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Als Schauspieler, Kabarettist und Musiker weiß Stephan Zinner: Das härteste Publikum wartet zuhause – die eigene Familie. Trotzdem stellt er sich gerne den Herausforderungen als Koch von trendigem Soulfood, Fahrdienstleiter, Christbaum-Chefeinkäufer, Heimwerker und Schwiegersohn. Dafür bekommt er zwar nicht immer Applaus, die Verletzungsgefahr ist hoch und die Gage niedrig, aber ein Lächeln ist eh viel mehr wert. Da hält man sogar die Welt da draußen aus, voller Scheuklappenträger auf ihrem eiligem Weg zur Selbstoptimierung. Zinners Kurzgeschichten erzählen von kleinen Siegen und fulminanten Alltagspleiten zwischen Bühne, Baumarkt und Familientisch. Getragen vom rustikalen Feingeist eines genialen Unterhaltungskünstlers, versammeln sie sich zu einem von Florian Mitgutsch illustrierten Prachtexemplar von Buch.
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Seitenzahl: 253
Als Schauspieler, Kabarettist und Musiker weiß Stephan Zinner: Das härteste Publikum wartet zuhause – die eigene Familie. Trotzdem stellt er sich gerne den Herausforderungen als Koch von trendigem Soulfood, Fahrdienstleiter, Christbaum-Chefeinkäufer, Heimwerker und Schwiegersohn. Dafür bekommt er zwar nicht immer Applaus, die Verletzungsgefahr ist hoch und die Gage niedrig, aber ein Lächeln ist eh viel mehr wert. Da hält man sogar die Welt da draußen aus, voller Scheuklappenträger auf ihrem eiligem Weg zur Selbstoptimierung.
Zinners Kurzgeschichten erzählen von kleinen Siegen und fulminanten Alltagspleiten zwischen Bühne, Baumarkt und Familientisch. Getragen vom rustikalen Feingeist eines genialen Unterhaltungskünstlers, versammeln sie sich zu einem von Florian Mitgutsch illustrierten Prachtexemplar von Buch.
»Ein vielfach begabter, intelligenter Unterhalter, der aus unserem aberwitzigen Alltag auf der Bühne etwas Besonderes machen kann.« Deutscher Kabarett-Preis
Stephan Zinner, geboren 1974, ist Schauspieler, Autor, Musiker und Kabarettist. Er spielte auf den Bühnen des Landestheaters Salzburg und der Kammerspiele in München sowie unvergessliche fünfzehn Jahre lang im Singspiel auf dem Nockherberg als Markus Söder. Seit 2016 gehört er zum Cast der bundesweit erfolgreichen Eberhofer-Krimi-Reihe nach den Romanen von Rita Falk, darüber hinaus ist er im Münchner »Polizeiruf 110« sowie in der Hauptrolle im BR-Sechsteiler »Himmel Herrgott Sakrament« zu sehen. Regelmäßige Auftritte mit musikalischen Lesungen in Deutschland und Österreich bestreitet er mit Kollegen wie Hannes Ringlstetter (»2 Typen, 2 Gitarren, 2 Bücher«) und Stefan Leonhardsberger (»Kaffee & Bier«). Sein letztes Soloprogramm heißt »Der Teufel, das Mädchen, der Blues & Ich«. Stephan Zinner lebt mit seiner Familie in München.
STEPHAN ZINNER
Geschichten zwischen Bühne, Baumarkt und Familientisch
Illustriert von Florian Mitgutsch
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Originalausgabe 2024
Copyright © 2024 by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München
Umschlaggestaltung: wilhelm typo grafisch unter Verwendung eines Fotos von: Nils Schwarz Photography
Illustrationen: © Florian Mitgutsch
Satz: satz-bau Leingärtner, Nabburg
ISBN 978-3-641-31730-0V001
www.heyne.de
INHALT
Tanzende Väter
Schiefe Sachen
Er kalibriert
Tinderdate am Nachbartisch
Börsenspiel
Barista
Mango-Maracuja-Smoothie
Zu langsam für die Welt
Flasche leer
Marathon-Mann
Mehr Volumen
Das Kammerl des Schreckens
Getragene Hunde
Tote Ente
Armer Achim
Boyfriendlook
Tiroler Bergkäse
Eingelegte Früchte
Ein Ehepaar läuft für einen guten Zweck
Neue Autos
Die legendäre Beerdigung vom Metzgermeister Frohmaier
Der Familienkalender
Ottolenghi
Die Süße der Apfeltasche
Die Schwarze Hand
Pfeilgiftfrösche und Bier
Immer viel kochen
LEGO
Kopfhörer
Freier Oberkörper
Die Deutsche Eiche
Uli und ich
Der Schreib-Schmink-Tisch
Demonstrant wider Willen
Vierzehn oder Der Wolf
Spiderman
Hitler-Bild
Nachtgedanken
Kühlschrankregeln
Tennis
Der angepisste Barkeeper
Stunts
Der Feinschmecker
1988
Ein Gedicht
Nah am Polarkreis
Prachtexemplar
Soulfood
Taxidriver
Viel hilft viel
C’era una volta il Sud (Es war einmal im Süden)
Welttournee
Meine Töchter mögen es nicht, wenn ich tanze. Das verstehe ich nicht, denn ich bin ein sehr guter Tänzer. Ich lege sehr viel Seele und Begeisterung in meinen Tanz. Dadurch entspricht er vielleicht nicht dem gängigen Stil der Restbevölkerung, aber er ist auf alle Fälle einzigartig. Meine Bewegungen sind kraftvoll, eindringlich und ausdrucksstark. Meine Töchter sehen das anders. »Peinlich« oder »voll peinlich« sind die gängigen Bewertungen für mich. Ich bin aber nicht peinlich. Faul an der Seite der Tanzfläche mit der Bierflasche in der Hand stehen und beim Betrachten der sich bewegenden Masse zu seinem Nebenmann sagen: »Das könnte ich viel besser!« – das ist peinlich. Zu enge Hosen, blaues Businesshemd und weiße Turnschuhe tragen, das ist voll peinlich. Meine Frau konnte und kann ich mit meinem Tanzstil immer noch sehr beeindrucken. Und als meine Töchter klein waren, störte es sie überhaupt nicht, wenn ihr Vater einmal das Tanzbein schwang. Ich kann mich noch sehr gut an Grundschul-Sommerfeste erinnern, bei denen meine Frau und ich dermaßen gerockt haben, dass wir zügig die Tanzfläche für uns alleine hatten. Die Kinder waren begeistert, weil wir nicht so waren wie die »Anderen«. Jetzt sind ihnen die »Anderen« viel lieber, zumindest bei öffentlichen Anlässen.
Meine Liebe zum Tanz habe ich schon früh, bei sogenannten Diskopartys, auf dem oberbayrischen Land entdeckt. Ich konnte sie aber nicht voll ausleben, weil tanzende männliche Teenager, zu der Zeit, als das Peinlichste überhaupt angesehen wurden. Oft tanzte ich heimlich zu Hause in meinem Zimmer zu Swing-Klassikern oder 80er-Jahre-Popmusik. Das hätte ich zwar niemals offen zugegeben, weil ich dann mit hundertprozentiger Sicherheit als »schwul« gegolten hätte. Aber zu Hause, alleine, im Schutze der Dunkelheit, konnte ich die Hüften kreisen lassen. Mein großes Coming-out als Tänzer hatte ich dann in der Inszenierung von Curt Goetz’ »Das Haus in Montevideo«. Mir wurde in der Trostberger Realschul-Theatertruppe die Rolle des Pastor Riesling zugeteilt. In unserer Interpretation, die es locker mit der Berliner Volksbühne oder dem Thalia Theater in Hamburg hätte aufnehmen können, hatte der Pastor Riesling eine kurze, aber sehr prägnante Tanzszene, die vom Publikum in der Realschulaula mit Begeisterung aufgenommen wurde. Im Schutze der Inszenierung war ich nicht »schwul«, sondern »cool«. Wie einfach die Welt doch sein kann. Als ich dann aber, ein paar Wochen später, auf der nächsten Schul-Party eine heiße Sohle aufs Parkett legte, und das noch zu Depeche-Mode-Songs, drehte sich der Wind gewaltig, und es wurde ein ziemlich einsamer Abend. Wie kompliziert die Welt doch sein kann. Und so ist es noch heute, wenn mich wieder einmal der Teufel reitet und ich loslege. Aber mittlerweile ist mir das egal. Ab und zu mache ich mir sogar einen Spaß daraus, diese spießigen Münchner Millennials mit meinen Tanzeinlagen zu schockieren. Das kennen diese Polo-Hemd-Träger nicht, dass ein 49-jähriger Bär über die Tanzfläche fegt. Da kriegen sie Angst. Außerdem schwitze ich, was in diesen Kreisen gar nicht geht. Manche DJs versuchen mich zu stoppen, indem sie die Musik leiser machen, doch das funktioniert bei mir nicht. Ich habe die Musik im Blut, und in mir kann keiner etwas leise drehen.
Vor Kurzem habe ich gesehen, dass es Gruppen von Menschen gibt, die sich auf öffentlichen Plätzen treffen und Tango oder Mambo tanzen. Vielleicht gründe ich eine Gruppe von tanzenden Vätern, die einfach nur »abhotten«. Ich bin mir sicher, dass es auf dem Planeten viele Väter gibt, die ihre Tanzleidenschaft nicht voll ausleben dürfen. Mal schauen, ob mich meine Töchter dann als voll peinlich oder als voll cool einstufen, wenn sich das zu einem weltweiten Trend entwickelt und mein Instagram-Account durch die Decke geht.
Eine gewisse Genauigkeit ist bei Operationen am Gehirn und an der Wirbelsäule mit Sicherheit notwendig, um nicht zu sagen essenziell, weil sonst der Patient nach der OP seine Mutter nicht mehr erkennt oder gelähmt ist. Das verstehe ich, nur finde ich es als Ehemann einer Neurochirurgin schwierig, wenn diese Perfektion auf Tätigkeiten im Haushalt übertragen wird, besonders beim Heimwerken. Hier fängt es schon mit der Grundproblematik an:
Wer ist der Chef, beziehungsweise die Chefin, und wer ist der Assistent, beziehungsweise die Assistentin? Da meine Frau es gewohnt ist, im Operationssaal das Sagen zu haben, geht sie natürlich auch zu Hause davon aus, dass, wenn sie einen Hammer, eine Säge oder eine Schlagbohrmaschine in die Hand nimmt, also Werkzeuge, mit denen sie Tag ein Tag aus im Krankenhaus hantiert, sie es ist, die die Chefin ist – und ich bin der Assistent. Ich kann mit dieser Position gut leben. Nur ist es halt auch so, dass dann die Chefin für etwaige Fehler haftbar gemacht wird und nicht der Assistent. So ist das in der Wirtschaft, im Krankenhaus oder in der Gastronomie, um hier nur ein paar Beispiele zu nennen. Bei uns zu Hause ist das nicht der Fall. Schon des Öfteren wurde mir, dem Assistenten, vorgeworfen, falsch angezeichnet zu haben. Wenn ich befinde, dass der Bohrvorgang von meiner Frau nicht optimal ausgeführt wurde, reagiert sie nur mit Schnaufen – bei ihr ein eindeutiges Zeichen für Unverständnis, wenn nicht sogar Verachtung. Hinzu kommt, dass ich mit einer gewissen Ungenauigkeit wunderbar leben kann. In meiner vorehelichen Zeit hatte ich diverse leicht schiefe Regale und einen Schreibtisch mit Hangneigung. Mein Schrank hatte ungleiche Füße, was bei einem Erdbeben im Chiemgau unweigerlich zu meinem Tode geführt hätte, da nach Versagen der Bierdeckel-Unterleg-Konstruktion der Schrank mit hundertprozentiger Sicherheit auf mein Bett gekippt und ich in die ewigen Jagdgründe gehumpelt wäre.
Meine Frau kann mit schiefen Sachen nicht leben, deshalb ist ihr bester Freund die Wasserwaage. Ich mag, wie es sich für einen anständigen Ehemann gehört, ihren besten Freund nicht, er nervt. Der Spaß beim Heimwerken, zumindest in meinem Verständnis, liegt doch darin, dass man, also ich, nach Augenmaß die Bohrlöcher anzeichnet, dann anbohrt, eindübelt und festschraubt und sich dann denkt: Auwehzwick, da hätten wir mal besser die Wasserwaage hergenommen.
Um die weiteren Arbeitsschritte zu erwägen, wird sich dann eine Halbe Bier aufgemacht. Man holt einen Stuhl, setzt sich mit seinem Getränk vor das schiefe Regal und sinniert. Meine Frau kennt den Begriff »Baustellen-Halbe« überhaupt nicht, beziehungsweise tut so, als würde sie ihn nicht kennen. Ich bin mir sicher, bei Chirurginnen ist es wie bei Piloten, die saufen doch alle heimlich.
Das nehme ich zurück, sie ist Vollprofi, aber eine gewisse Lockerheit beim Bohrvorgang im Privaten würde ich mir schon wünschen. Wobei ich sagen muss, in der Küche ist meine Ehefrau eine wunderbare Assistentin. Keine schnibbelt mit solcher Geduld und Geschwindigkeit Gemüse wie sie. Vielleicht liegt das am sogenannten Küchenwein, diesen Begriff scheint sie zu kennen. Beim nächsten Regal werde ich statt dem Bier eine Flasche Wein einkühlen. Möglicherweise klappt es dann ja auch mit dem geraden Regal und mit der flachen Hierarchie.
Geduld ist eine Tugend, ja, sicher.
Ausdauer ist edler als Stärke, und Geduld edler als Schönheit, schon klar.
Wer Geduld hat, kann alles überstehen, super Spruch, aber wenn mein Drucker nicht sofort aufhört zu kalibrieren, schmeiße ich ihn gegen die Wand!
Während der Pandemie und dem damit verbundenen Homeschooling hatte ich uns einen neuen Drucker gekauft. Denn Lehrer verwenden bei ihren Übungen sehr viel Farbe und wenn mebis dann doch einmal funktionierte, erreichte uns eine schiere Welle an Arbeitsaufträgen, die unseren alten Drucker vernichtet hat. Zuerst versagte der Farb-Druck, dann der schlichte Schwarz-Weiß-Druck, und zum Schluss wollte er nicht einmal mehr kopieren. Sein kleines rotes POWER-Lämpchen erlosch für immer. Eine gewisse Mitschuld am Tod unseres langjährigen Begleiters muss ich hier auch meiner Frau geben, die es des Öfteren versäumte, bereits erledigte Arbeitsaufträge abzuhakeln, was dazu führte, dass etliche Übungen doppelt ausgedruckt wurden.
Anfänglich war ich absolut begeistert von unserem neuen Drucker. Ruhig, genügsam, ordentlich arbeitete er die ihm zugeteilten Aufträge ab. Doch mit der Zeit, und zuerst noch unbemerkt von mir, entdeckte er für sich die Kalibration. Ich hatte das Gefühl, er wartete nur darauf, bis ich das Zimmer verlassen hatte, um heimlich zu kalibrieren. Mit der Zeit verlor er jegliche Scham und kalibrierte schließlich offen vor allen Familienmitgliedern. Auf die Frage: Was macht der Drucker denn da?, kam immer öfter und mit einem resignierenden Schulterzucken:
»Er kalibriert.«
Im Grunde spricht nichts dagegen, sich gelegentlich neu auszurichten. Das trifft auf Menschen genauso wie auf Maschinen zu. Nur sollte der Mensch schon noch die Oberhand über die Maschine haben. Wenn das rote Licht blinkt, erinnert mich unser Drucker ein bisschen an HAL 9000 aus Odyssee im Weltraum. Ging der Film für die Menschen eigentlich gut aus? Ich kann mich nicht mehr erinnern. Falls mein Drucker mich vernichten will, weil er mich für überflüssig hält, wäre ich nicht überrascht.
Ich habe jetzt ein subtile Form der Rache gefunden. Wenn er sich in einer Kalibrations-Pause doch einmal herablässt und einen Auftrag ausführt, nehme ich das Blatt nicht sofort aus dem Drucker, sondern lasse ihn schmoren. Ich merke, wie es ihn wahnsinnig macht, wenn ich mich scheinbar zielstrebig nähere, um das Blatt dann doch nicht aus dem Ausgabefach herauszunehmen. Ich spüre, wie sich seine Schaltkreise verspannen. Man sieht, wie sein POWER-Lämpchen immer röter wird, und ich merke, wie er langsam, aber sicher immer weicher wird. Diesen Vorgang wiederhole ich mehrmals am Tag. Wir werden sehen, wer in diesem Kampf als Sieger vom Platz geht.
Gegenwärtig konkurriert die Maschine mit dem Menschen. Unter richtigen Verhältnissen wird sie dem Menschen dienen.
Ich mag Oscar Wilde.
»Sambia ist das neue Namibia«, dozierte der Mittzwanziger in seinem weißen Rollkragenpulli und machte eine Geste, die einem Dirigenten alle Ehre gemacht hätte. Dieser Satz war die Krönung einer Aufzählung von Reisezielen, die er vermeintlich schon besucht hatte. Mir persönlich waren es ein paar zu viel, um ihm wirklich glauben zu können. Doch sein Gegenüber, eine junge Frau, nickte gläubig und wirkte in keiner Weise belustigt. Es gibt Tage, da kann man solche Heldengeschichten vom Nachbartisch überhören, aber der junge Mann überbot sich von Minute zu Minute immer mehr und hörte gar nicht mehr auf, von seinen Weltreisen zu berichten. Sogar meine Frau kratzte sich schon bedenklich an der Schläfe, was mir zu verstehen gab, dass ihr der Typ ebenfalls mächtig auf den Senkel ging.
Was für eine Arbeit wird er wohl haben, die ihm so viel Freizeit erlaubt?, überlegte ich, als die junge Frau nun ihrerseits von ihren vielen Reisen erzählte.
»In Tel Aviv brodelt es, New York ist auch nicht mehr das, was es einmal war, Surfen nur noch vor Marokko, Island war schon ein bisschen überlaufen, in Tokio muss man unbedingt länger bleiben und Kolumbien nur mit Guide.« Sie redete so viel, dass ihre Suppe kalt wurde.
Zeit scheint kein Problem zu sein und das Geld auch nicht. Eigentlich waren die Zwei wie füreinander geschaffen. Aber was ist in ein paar Jahren, wenn sie die ganze Welt bereist haben, wohin wollen sie dann noch fahren? Und diese jungen Menschen werden alt – sie trinken nicht, sie rauchen nicht, sie treiben täglich Sport. Meiner Meinung nach ist das total asozial, das hält unser Sozialsystem doch überhaupt nicht aus. Wenn die alle über hundert werden, dann gute Nacht, mein Freund und Kupferstecher. Auf einmal setzte am Nachbartisch Stille ein. Ich blickte zur Seite. Beide hatten ihre Handys herausgezogen und schauten gebannt auf den Bildschirm. Nebenbei wurden die Suppen, die nicht ganz so »original« waren wie die in Hanoi, in sich hineingelöffelt.
Ich überlegte, ob ich mir einen Scherz erlauben sollte. Meine Frau bemerkte das sofort und schüttelte ganz leicht, und nur nach über zwanzig Ehejahren erkennbar, ihren Kopf. Ich lächelte, um sie zu beruhigen, konnte mich dann aber doch nicht beherrschen.
Ich rückte etwas näher an den jungen Mann heran: »Wir fahren ja gern in den Bayrischen Wald!«, sagte ich viel zu laut, sodass meine Frau sich etwas an ihrem Mango-Salat, der besser war, als der in Pasing, verschluckte.
»Rauf auf den Lusen, Himmelsleiter uns so, das ist großartig, und die Leberknödelsuppe in Spiegelau, bei dem Wirt an der Kirch, ist ein Traum!«
Ich schaute in die weit aufgerissenen Augen von zwei jungen Menschen.
Der Bayrische Wald schien ein Teil der Welt zu sein, von dem sie noch nie gehört hatten. »Und der Drachenstich in Furth im Wald ist schon sehr beeindruckend, wenn Sie wissen, was ich meine?«
»Nein, ich weiß nicht, was Sie meinen.« Der Typ schob missmutig seine Suppe auf die Seite.
»Essen Sie die nicht mehr?«, fragte ich höflich.
»Warum?«
»Na, da wäre es doch schade drum, also ich würde sie nehmen.«
»Zahlen, bitte zahlen«, rief der Rollkragen Richtung Bar und machte eine beeindruckende Augenverdrehung. Seine Begleitung stimmte ausdrucksstark zu.
Ich wandte mich wieder meiner Frau zu und fragte: »Schmeckt’s?«
Sie schwieg und sah mich sehr lange, sehr streng an, doch dann, nach ein paar Sekunden Eiszeit, musste sie ganz leicht lächeln. Dieses Lächeln konnte man nur nach vielen Ehejahren erkennen, aber es war wunderschön.
Die jungen Menschen zahlten getrennt und flüchteten, ohne Trinkgeld zu geben, aus dem Lokal. Draußen gingen sie in verschiedene Richtungen. Schade, ich hätte den beiden noch gerne ein paar Ausflugstipps für Paare gegeben.
Der junge Mann, mit dem Grinsen eines Maultiers, erzählte mir gerade zum dritten Mal, dass ich mein Geld für mich arbeiten lassen müsse. Wie schon bei seinen ersten zwei Versuchen, mir das Aktiengeschäft schmackhaft zu machen, verneinte ich dankend und sehnte mich nach einem Erdbeben oder einem kleinen Schlaganfall des Maultiers, irgendetwas, das mir eine klare Fluchtmöglichkeit aus dieser Kaffeehaus-Hölle gezeigt hätte. Ich winkte zum wiederholten Male dem Kellner, der sich aber eher als Schauspieler verstand, als sich um seine Gäste zu kümmern. Schon bei meiner Bestellung musste ich seine Performance unterbrechen, bei der er mir sämtliche Frühstücksvarianten, die das Motto-Café zu bieten hatte, und die alle eigene, lustige Namen hatten, vormonologisiert hatte, um, in seinen Augen, »nur« einen Kaffee und eine Breze zu bestellen. Breze werde bei ihnen nicht mehr so oft geordert, darum hätten sie nur noch ab und zu welche, er müsse mal schauen, säuselte der Brad Pitt für Arme. Ich wünschte ihm viel Glück bei der Suche. Humor war nicht seine Stärke.
Als er mich endlich verließ, begutachtete ich noch einmal das Café. Mintgrün schien die Lieblingsfarbe des Innenarchitekten zu sein. Dass ich hier hineingeraten war, konnte ich mir nur mit dem Wetter, drei Grad und Nieselregen, erklären, aber nicht verzeihen. Da saß ich nun inmitten von diesem spießigen, kitschigen Ambiente voller junger, spießiger Menschen und wurde von meinem neuen Freund vom Nachbartisch vollgetextet. Er hieß Bente, kam aus der Nähe von Bremen und arbeitete mit seinen Freunden für ein kleines Start-up-Unternehmen, das irgendetwas mit Geld, Bitcoin und Aktien machte. Amazon und Google wären interessiert. Für mich klang das Ganze eher nach Geldwäsche, was ich Bente auch sagte und worüber er sich köstlich amüsierte. Er fand mich lustig. Kurz nachdem mir meine Breze, die das Küchenpersonal, dem Aussehen nach zu urteilen, hinter der Spüle gefunden hatte, von Brad Pitt serviert worden war, sprach mich der Jungunternehmer an. Er kenne mich aus dem Fernsehen. Ich wäre doch der lustige Metzger aus diesen Provinz-Gaudi-Krimis.
Das Wort »Gaudi« sprach er so aus, als wäre ich debil oder schwerhörig. Zu diesem Zeitpunkt war ich aber noch gut gelaunt und ließ den Gschaftler gewähren. Ich finde es äußerst erstaunlich, wenn Menschen, die großes Mitteilungsbedürfnis haben, nicht merken, dass sie unerwünscht sind, oder es einfach gut ist, wenn das Gegenüber nur mit »Mhm«, »Echt«, »Aha«, »Verrückt« und leichtem Nicken antwortet. Ich meine, da könnte man doch darauf kommen, dass man seinen Redeschwall vielleicht stoppen und sich ein anderes Opfer suchen sollte. Während er weiter über »Die Geschäfte auf dem Parkett« referierte, schweiften meine Gedanken ab, zurück in die Zeit an der Trostberger Realschule. Hier war es üblich, dass die Schüler, die den kaufmännischen Zweig gewählt hatten, einmal in ihrer Schulzeit an einem Börsenspiel teilnahmen. Warum ich mir den kaufmännischen Zweig ausgesucht hatte, konnte ich mir nur mit Nieselregen und drei Grad Kälte erklären, oder geistiger Umnachtung. Nach meiner fragwürdigen Entscheidung durfte ich mich lange vier Jahre mit den extrem spannenden Fächern Wirtschafts- und Rechtslehre, Rechnungswesen, Stenografie und Schreibmaschinenschreiben auseinandersetzen. Wobei Letzteres wirklich die einzig sinnvolle Erfahrung war. In der neunten Klasse stand auch für mich das sagenumwobene Börsenspiel an. Man bekam einen imaginären Geldbetrag von 5000 DM und sollte damit Aktien kaufen. Diese ließ man drei Monate für sich arbeiten. Der Schüler oder die Schülerin – Mädchen bewiesen hier meistens größeres Geschick –, welche den größten Gewinn erzielte, bekam dann von der örtlichen Bank irgendeinen windigen Sachpreis und eine Urkunde, samt Foto mit einem Bankvertreter, das in der lokalen Presse abgedruckt wurde. Der Erfolgsdruck hielt sich also in Grenzen. Da mich damals wie heute der Umgang mit Geld, insbesondere das Wetten auf Wertpapiere, nicht im Geringsten interessiert und ich es sogar für eines der größten Übel der Menschheit halte, befasste ich mich nicht groß mit Fachliteratur oder dem Vortrag des örtlichen Sparkassenvorstandes, sondern ging direkt zu einem Insider – meine Mutter. Meine Mutter arbeitete damals beim Schuh-Sport-Wagner und war dort in der Schuhabteilung tätig. Beim flüchtigen Blick auf die möglichen Firmen, an denen ich mich mit meinen 5000 DM beteiligen konnte, war mir die Salamander-Aktie aufgefallen. Ich hatte zwei Paar Salamander-Schuhe, und meine Mutter war von der Firma absolut überzeugt: »Des is a grundsolider Schuha.« Außerdem hatte die Firma Salamander den »Lurchi« als Maskottchen. Es war also klar vorgezeichnet, dass sich meine 5000 DM Einsatz in den nächsten Monaten verdoppeln, wenn nicht sogar verdreifachen sollten. Das war schon ein verdammt einfacher Weg, um Geld zu verdienen. Meine Entscheidung, alles auf eine Schuhfirma zu setzen, wurde in der Klasse mit Kopfschütteln aufgenommen. Meine Mitschüler vertrauten eher Siemens, Linde oder Volkswagen. Auch als ich ihnen versuchte, den »Lurchi« als große Trumpfkarte schmackhaft zu machen, winkten sie nur mitleidig ab. Nach einem Monat Börsenspiel hatte sich noch nicht viel getan. Die großen deutschen Firmen, die meine Mitschüler gewählt hatten, stiegen leicht und stetig. Meine Schuhfirma stagnierte. Ich versuchte, mit dem Kauf eines weiteren Paars Salamander-Schuhe dem Unternehmen einen kräftigen Schub zu geben, doch meine Aktion verpuffte. Dann, kurz vor dem Ende der Spielzeit, kam es zum Crash, aber nicht bei allen, sondern nur bei mir, beziehungsweise bei Salamander. Es musste etwas Gewaltiges passiert sein, entweder ein weltweiter Kollaps des Lederhandels oder gar der Tod des »Lurchi«. Ich bin nie hinter die tatsächliche Ursache des Einbruchs gekommen, was vielleicht auch daran lag, dass wir zu dieser Zeit gerade mit der Theatertruppe »Das Haus in Montevideo« von Curt Goetz probten und ich mit der Rolle des Pastor Riesling groß ins Schauspielgeschäft einstieg.
Unsere Schulleitung gratulierte dann von ganzem Herzen den sagenhaft guten Ergebnissen der Börsenspiel-Gewinnerinnen und war mehr als stolz auf ihre »Sieger«. Für das spätere Leben sollten sie genauso viel Erfolg haben und vielleicht mit der einen oder anderen Investition eine ordentliche Rendite erwirtschaften. Schön waren die Schlussworte: »Aber vergesst dabei niemals: Geld ist bekanntlich nicht alles …« Ja, ja, dummes Gequatsche… eine der Siegerinnen sitzt wegen versuchten Drogenhandels in Südamerika im Knast und die andere arbeitet bei der Raiffeisenbank. Ich überlege, was die größere Niederlage ist. Der letzte Gedanke führte mich wieder zu meinem Gegenüber, der tatsächlich gerade Leonardo de Caprio in Wolf of Wallstreet zitierte. Er fragte, warum ich lächelte. Ich sagte. »Sie müssen in Salamander investieren.«
Er dachte nach.
»Sie meinen in seltene Tiere, das haben wir auch schon mal überlegt, aber da muss man höllisch aufpassen, wegen dem Tierschutz. Ich meine, wir sind ja nicht immer ganz legal unterwegs, aber das kommt nicht so gut an bei den jungen Leuten, da muss alles fair und…«
»Nein, nein«, ich unterbrach den Experten, »ich meine den Schuh.«
»Wow, es gibt Schuhe aus Salamander-Haut… aber das ist doch schwer illegal, oder?« Er trank nachdenklich von seiner Hanfmilch-Kaffee-Mischung.
In dem Moment erschien der Herr Ober und erbarmte sich. Ich zahlte einen beeindruckenden Preis für ein kleines Frühstück und flüchtete. Als ich winkend an der Scheibe des Cafés vorbeiging, googelte der Jungunternehmer gerade irgendetwas in seinem Handy.
Ich musste mich anlehnen. Mit einem so langen Vortrag hatte ich nicht gerechnet. Mir war klar gewesen, dass diese Einladung kein Kinderspiel werden würde, aber das hier toppte alles. Wir standen nun schon seit einer gefühlten Ewigkeit in der Küche eines Kollegen meiner Frau, seines Zeichens Chirurg, und erhielten einen Vortrag über die Kaffeebohne an sich, deren Röstungsgrad, die scheiß Luftfeuchtigkeit und diverse Einzelheiten über sein Kaffeemaschinen-Monster. Der Referent war Single, warum brauchte er ein Gerät, das so groß war, dass man damit ein Kaffeehaus betreiben konnte? Ich hatte den Fehler begangen und auf die Frage, ob ich denn einen Espresso wolle, mit »Ja« geantwortet. Wer konnte damit rechnen, dass wir uns, bevor der Mann zur Tat schritt, erst einmal einen Vortrag über diese verdammte Bohne anhören mussten? Diese besondere Bohne bekam nur er von seinem Kaffeebohnen-Dealer und sie würde in Afrika von dürren Kinderhänden drei Monate in die Sonne gehalten, dann auf der Mutterbrust zerrieben, um später zu Fuß über die Alpen getragen zu werden. Diese Spezialistenbohne würde man auf dem normalen Markt ja überhaupt gar nicht bekommen. Rarität war sein Lieblingswort. Wenn er noch angefangen hätte, eine Power-Point-Präsentation über einen Beamer an die Wand zu werfen, wäre ich nicht erstaunt gewesen. Meine Frau knetete mir leicht die Schulter. Sie wollte mich beruhigen. Es gab eine Abmachung zwischen uns. Wir wussten, dass es ein- bis zweimal im Jahr eine Einladung aus meinem oder ihrem Bekanntenkreis gab, die beim Partner nicht unbedingt auf Begeisterung stieß, aber bei der wir uns zusammenrissen und gute Miene zum bösen Spiel machten. Ich denke, so ist es in jeder funktionierenden Beziehung. Aber er hier bewegte sich auf sehr dünnem Eis. Schon bei der Begrüßung hatte er uns gefragt, ob wir uns seine Maschine anschauen wollten. Kurz dachte ich, er sei Motorradfahrer und hatte in seinem kleinen Wigwam, wie er es nannte, eine 250-Quadratmeter-Wohnung im Münchner Lehel, ein Motorrad versteckt. Die Maschine entpuppte sich dann aber als riesiges SAECO-Siebträger-Ungetüm. Sie bildete das Zentrum einer gigantischen Küche, die in einem Sauberkeitsgrad erstrahlte, der nur zwei Möglichkeiten zuließ: Entweder er benutzte sie nie, oder der Herr Chirurg war Serienkiller. Ich tippte auf Zweites.
Dann geschah ein Wunder und der Barista schritt tatsächlich noch zur Tat. Er sagte, er dürfe sich Barista nennen, da er diverse Kurse gemacht hatte. Das Wort Barista würde zwar, so erörterte er uns, inflationär verwendet, doch er wäre halt ein echter Profi. »Fang an«, schoss es aus meinem Mund. Ich konnte mich nicht mehr zurückhalten. Er schaute uns fragend an. Meine Frau übernahm: »Stephan freut sich schon sehr auf seinen Kaffee.« »Espresso, meine Liebe, Espresso«, verbesserte der bald Zahnlose meine Ehefrau oberlehrerhaft. Ich machte einen Schritt nach vorne. Ich spürte einen festen Griff an meinem Oberarm. Meine Frau lächelte mich an. Ich atmete aus.
»Die Temperatur ist das Geheimnis.« Er versuchte eine passende Geste zu machen und scheiterte.
»Ist das spannend«, sagte ich leise.
Der Griff meiner Frau tat weh. Ich nickte die nächsten Minuten nur noch. Und tatsächlich, irgendwann, wir waren bereits in eine neue Mondphase eingetreten, schuf Gott einen Espresso. Verschwörerisch mit den Augen rollend, kam er auf mich zu. Ich griff nach der Tasse. Noch bevor ich trinken konnte, sagte er: »Und?«
»Ich muss ihn noch trinken«, war meine Antwort.
»Ah, ja«, er nickte unzufrieden.
Ich trank den Espresso aus, und sofort kam wieder: »Und?«
Darauf antwortete ich wahrheitsgetreu: »Ja, Kaffee.«
Und es war halt einfach ein stinknormaler Espresso, weder besonderer Mist, noch ein unvorstellbares Geschmackserlebnis – Kaffee halt.
Er war fassungslos.
»Aber, die Bohne, aber die Bohne«, wiederholte er mehrere Male.
»Ist drin«, sagte ich. Meine Frau musste lachen.
Er war verwirrt. Sein Blick wanderte in der Küche herum.
»Aber die Crema, die Crema ist doch ein Traum, oder nicht?« Er hatte ein Argument gefunden.
Ich wollte meine Worte weise wählen und machte eine kurze Pause, die meine Frau nutzte: »Die Crema hat wirklich wunderbar ausgesehen.«
»Ah, soll ich dir auch einen Espresso machen?«, fragte der Barista meine Frau.
»Nein«, war meine klare Antwort.
Meine Frau unterstützte mich mit der Aussage, sie würde lieber keinen Kaffee mehr trinken, weil sie sonst nicht so gut schlafen könne. Glücklicherweise kamen dann die anderen Gäste, aber es wurde trotzdem ein sehr zäher Abend, da sich unter den Herrschaften auch einige Baristi herauskristallisierten. Ich versuchte, einem dieser Männer zu erklären, als der wieder von dieser sagenumwobenen Crema anfing, dass man ein Weißbier ja auch nicht wegen dem Schaum trinken würde, stieß damit aber auf völliges Unverständnis. Ich hielt mich die nächsten Stunden in einem nicht so gut ausgeleuchteten Winkel der Wohnung auf. Ab und zu winkte ich meiner Frau und aß zu viele Schnittchen. Damit der Gastgeber diesen Abend ja nicht vergessen würde, habe ich ihm dann noch seinen sündhaft teuren spanischen Rotwein weggetrunken, sodass ich am nächsten Tag einen dermaßenen Schädel auf hatte, aber das war es mir wert.
Meine drei Kinder können kochen. Das macht mich stolz.
Sie sind zwar keine Sterneköche, aber wenn einmal keiner zu Hause ist, weil der Vater Länge mal Breite mal Höhe das Land durchstreift, um die Kabarettbühnen zum Lachen zu bringen und die Mutter im Krankenhaus ein paar Bandscheiben richtet, müssen die Kids nicht verhungern. Vielen ihrer Altersgenossen scheint diese Tätigkeit, die da hinter dieser geheimnisvollen Küchentüre ausgeübt wird, doch fremd, wenn nicht sogar eigenartig zu sein.
Vor ein paar Wochen stand ich bei uns in der Küche, als eine Freundin meiner Tochter hereinkam und mich mit großen Augen anschaute.
»Was machen Sie da?«, war ihre Frage.
»Ich koche«, meine Antwort.
»Krass, Sie kochen selber.« Sie schüttelte verwundert den Kopf.
»Ja, wir haben unseren Bediensteten heute einmal freigegeben.«
Sie verstand den Scherz nicht. Um die Pause nicht zu lang werden zu lassen, fragte ich sie: »Aber deine Eltern kochen doch sicher auch, oder?«
Sie überlegte kurz, dann sagte sie: »Naja, wir bestellen eher.«
»Ah, verstehe. Und was lasst ihr euch denn da so liefern?« Das interessierte mich wirklich.
»Vegetarisch, oder vegan«, antwortete sie kurz.
Ich wollte es genauer wissen: »Alles klar, aber das sind ja jetzt keine Gerichte. Was esst ihr denn da genau?«
»Oh, das weiß ich nicht, aber es ist gesund… viel mit Avocado. Meine Mutter sagt, man sollte am Tag mindestens zwei Avocados essen. Mögen Sie Avocados?« Sie kam näher.
»Naja, es geht. Ehrlich gesagt, esse ich lieber so was wie das hier.« Ich deutete auf die Pfanne.
»Was ist das?«
»Das sind Schupfnudeln mit Sauerkraut.« Mir lief das Wasser im Mund zusammen, weil ich echt Hunger hatte. »Willst du auch etwas davon?«, fragte ich meinen Gast.
»Was ist Sauerkraut?« Sie schaute mich mit großen Augen an.
Ich musste lachen, weil ich dachte, sie hätte einen Scherz gemacht.
»Warum lachen Sie, Herr Zinner?« Ihr Blick wurde streng.
Oha, kein Scherz, dämmerte es mir. »Ich habe das Weißkraut mit Zwiebeln und einem Stück Apfel, Kümmel, einem Lorbeerblatt und Wacholderbeeren eingekocht.«
»Das ist vegetarisch, oder?«
»Ahh, nicht ganz, ein bissl Speck ist auch drin.«
»Das klingt interessant, aber ich weiß nicht, ob ich das vertrage.«
Das Mädchen schaute auf den Boden. Sie hatte sicher auch Hunger. »Was hättest du denn gerne?«, fragte ich sie.
Sie lächelte und sagte: »Einen Mango-Maracuja-Smoothie.«
Ich antwortete: »Ah, der ist gerade aus. Aber ich könnte dir die Schinkennudeln von gestern pürieren.«
Sie strahlte: »Sehr gern.« Damit verschwand sie aus der Küche.