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Um Transformationsprozesse im Rahmen der Digitalisierung bewältigen zu können, müssen Unternehmen agil sein. Je schneller und dynamischer sie sich ihrer Umwelt anpassen, desto erfolgreicher sind sie. Die Autoren stellen spielerisch die Methoden der agilen Transformation vor und erläutern Ablauf, Ziele und Nutzen. Mit zahlreichen Illustrationen und Abbildungen. Inhalte: - Grundlagen und Erfolgsfaktoren - Agile Organisationsentwicklung: Reifegrade, Werte, Spielregeln und Tools - Strategie, Prozesse und Struktur - Führung, Kultur und HR - Neu: Design Thinking und neue innovative Tools
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Seitenzahl: 310
Veröffentlichungsjahr: 2019
Haufe-Lexware GmbH & Co. KG, Freiburg
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.
André Häusling, Esther Römer, Nina Zeppenfeld
Praxisbuch Agilität
2., überarbeitete und erweiterte Auflage, 2019
© 2019 Haufe-Lexware GmbH & Co. KG, Freiburg
www.haufe.de
Produktmanagement: Christiane Haas
Lektorat: Lektoratsbüro Peter Böke, Berlin
Zeichnungen: chrispy simon, Berlin, www.chrispy-simon.de
Fotos: Marc Thürbach, http://www.marcthuerbach.de, www.unsplash.com
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Kennt Ihr das? Etwas Neues beginnen, erste Eindrücke, erste Begegnungen, erste Versuche, erstes Scheitern und erste Erfolge. Wir erleben tagtäglich Unternehmen, die sich mit Agilität auseinandersetzen. Aus unterschiedlichen Branchen, mit unterschiedlichen Herausforderungen und meist sehr unterschiedlichen Startbedingungen. Zuerst sind da die Methoden und Prozesse, doch nach Lehrbuch funktioniert »agil werden« nicht. Diese Erkenntnis reift mitunter sehr schnell.
Hinter agilen Prozessen und Methoden stecken vor allem Werte, Haltungen und Prinzipien der Zusammenarbeit. Wir haben in vielen Workshops und Trainings festgestellt, dass sich diese erfolgskritischen Aspekte nur schwer rational vermitteln lassen. Vielmehr gilt es, Mitarbeitern und Führungskräften Erfahrungsräume zu schaffen, in denen sie agile Werte, Prinzipien und Haltungen erleben. Tools (zuweilen mit sehr spielerischen Elementen) sind hilfreich, um bestimmte Werte und Prinzipien erlebbar zu machen und in den Arbeitsalltag mit den Teams zu integrieren.
So ist im Jahr 2016 zunächst die Serie »Agile Tools« im Personalmagazin entstanden und daraus hat sich die Idee zu diesem Buch entwickelt, das wir 2018 erstmalig veröffentlicht haben. Wir freuen uns über eine erfolgreiche erste Auflage und stellen Euch nun voller Freude, in der überarbeiteten Zweitauflage, viele neue innovative Tools und Kategorien vor, die wir als wirksam erachten und erleben. Mithilfe der vorgestellten Tools möchten wir Euch ermöglichen, Agilität zu erleben und gemeinsam Erfahrungen zu sammeln, um Arbeitsweisen und Zusammenarbeit neu zu denken sowie ein agiles Verständnis und Mindset zu erlangen.
Dabei haben wir wieder unsere Kolleginnen und Kollegen von HR Pioneers, unsere Kunden und unser Netzwerk nach ihren besten Tools gefragt, die im Kontext von Agilität für sie wirkungsvoll sind. Das Ergebnis haltet Ihr in Euren Händen.
Es freut uns ganz besonders, dass in diesem Buch zahlreiche Augmented-Reality-Elemente enthalten sind. Ihr werdet an vielen Stellen, die durch ein Haufe-smARt-Icon markiert sind, Hinweise zu Dokumenten, Videos und Arbeitsvorlagen entdecken. Wir finden, dass das hervorragend zu dem Stil dieses Praxisbuchs passt!
Dieses Buch ist eine Teamleistung. Wir sind sehr vielen Menschen dankbar, die uns unterstützt haben:
Ein ganz besonderer Dank gebührt den Teilnehmerinnen und Teilnehmern unserer Befragung. Wir konnten in diesem Buch sehr viele, aber leider nicht alle Vorschläge von Euch aufgreifen.[12]Danken möchten wir unseren Kolleginnen und Kollegen von HR Pioneers für ihre Inspiration, ihre Ideen und ihre Bereitschaft, sich auf viele Experimente einzulassen.Wir danken dem Haufe Verlag für die professionelle Begleitung und die Kreativität in der Umsetzung der Buchidee.Chrispy Simon gebührt großer Dank für seinen unermüdlichen kreativen zeichnerischen Einsatz in diesem Buch.Wir sind unseren Freunden und Familien sehr dankbar für ihre Unterstützung.Besucht die Website der Autoren
Über Rückmeldungen, Anregungen und neue Ideen freuen wir uns per E-Mail an [email protected].
Wir wünschen Euch viel Spaß beim Ausprobieren und Erleben der Tools!
André, Esther, Jan und Nina
Agilität scheint mittlerweile zum Buzzword verkommen, weil immerfort davon die Rede ist. Viele sind in diesem Bereich sehr umtriebig und fast jeder scheint mittlerweile agil zu arbeiten und zu denken. Doch hier ist Vorsicht geboten! Hinter Agilität steckt weitaus mehr, als viele denken, und sie besteht nicht nur aus agilen Prozessen oder agiler Arbeitsweise. Agilität ist vielmehr ganzheitlich zu betrachten und wirkt sich dementsprechend in vielerlei Hinsicht auf mehreren Dimensionen aus. Mit diesem Praxisbuch erhoffen wir uns, Euch einerseits ein tieferes ganzheitliches Verständnis von Agilität, deren Einsatz- und Wirkungsbereiche zu geben. Andererseits hoffen wir, dass Ihr viele kleine oder große Tools und Hacks für Euren Arbeitsalltag, Eure wirksame Zusammenarbeit und für Eure agile Transformation findet.
Heute beschreibt Agilität die Fähigkeit einer Organisation, sich kontinuierlich an ihre komplexe, turbulente und unsichere Umwelt anzupassen. Denn je schneller und dynamischer Organisationen auf Veränderungen in ihrer komplexen, turbulenten und unsicheren Um- und Inwelt reagieren können, desto wettbewerbsfähiger sind sie (Dove 2001). Über die Steigerung der Reaktionsgeschwindigkeit und die Anpassungsfähigkeit hinaus ist es essenziell, dass agile Unternehmen den Wandel vor allem selbst antizipieren müssen, um überlebens- und wettbewerbsfähig zu bleiben (Groth 2016). Durch schrittweise, iterative Bearbeitungszyklen können Kundenbedürfnisse und -wünsche direkt berücksichtigt und verarbeitet werden (Fischer et al. 2017).
Im Videobeitrag von Prof. Dr. Stephan Fischer in Kooperation mit der AOE GmbH erfahrt Ihr mehr darüber, was Agilität eigentlich bedeutet.
Ein bedeutender externer Treiber ist die im öffentlichen Diskurs sehr präsente Digitalisierung. Das Potenzial neuer Produkte und Dienstleistungen sowie anderer Geschäftsmodelle bis hin zu komplett neuen Märkten scheint durch die technologischen Entwicklungen nahezu unendlich. Damit einhergehend steigt der Grad an Automatisierung, Vernetzung und der Erreichbarkeit an jedem Ort und zu jeder Zeit. Den von diesem Treiber betroffenen Unternehmen setzt insbesondere die zunehmende Geschwindigkeit der Veränderung zu, z. B. durch teils exponentielles Wachstum und der damit begrenzten Zeit, sich dem Wandel anzupassen. Ein aktuelles Beispiel macht das deutlich: Das chinesische E-Commerce Unternehmen Alibaba hat am 11.11.2018, dem Singles’ Day, fast 28 Milliarden Euro Umsatz gemacht. Über eine Milliarde dabei in den ersten zwei Minuten des Events (Brien 2018). Im Vergleich dazu hat die Otto-Group im Geschäftsjahr
[14]2017/18 knapp 8 Milliarden Euro Umsatz durch E-Commerce erwirtschaftet (Hofer 2018). Sie feiert im Jahr 2019 ihren 70. Geburtstag, wohingegen Alibaba erst 20 Jahre alt wird. Gleichzeitig jährt sich 2019 die Insolvenz von Quelle zum zehnten Mal, einem einstmals großen Konkurrenten der Otto-Group, der sich 2009 auflöste.
Neben der hohen Geschwindigkeit besteht ein weiterer externer Treiber darin, dass sich häufig Marktzugangsbarrieren bestehender Märkte verringern. Benötigte man in zahlreichen Branchen zu früheren Zeiten ein möglichst großflächiges Netz an Filialen, um Produkte und Dienstleistungen zu vertreiben, können neue Wettbewerber Elektrogeräte verkaufen, Bankgeschäfte organisieren oder Reisen vermitteln, ohne eine einzige Filiale dafür errichten zu müssen. Der Einfluss von Technologie, neue Spielregeln und andere Wettbewerber sorgen zudem in hohem Maß für mangelnde Vorhersehbarkeit kommender Entwicklungen. So ist es schwer, aktuell verlässliche Prognosen zur Mobilität in den nächsten zehn Jahren zu machen. Gleichzeitig ändern sich in umkämpften Märkten mit einer hohen Dynamik die Erfolgsfaktoren, insbesondere weg von Größe und Stabilität, hin zu Wendigkeit und Flexibilität. Darauf sind zahlreiche Unternehmen nicht oder nur bedingt vorbereitet.
Der erleichterte Marktzugang und die Vernetzung gelten aber nicht nur für Unternehmen – auch das Verhalten der Kunden verändert sich. Diese informieren sich immer besser über den Markt und ihre eigenen Möglichkeiten, was dafür sorgt, dass sie sich auch bereitwillig von Unternehmen abwenden, wenn anderswo ihre Bedürfnisse besser erfüllt werden. Aus Unternehmenssicht sinkt die Loyalität bzw. die Präferenzen und das Verhalten der Kunden wird zunehmend instabil. Hier helfen den Kunden vor allem Plattformen, die nicht mehr den Anbietermarkt, sondern den Kundenmarkt bedienen. So schaffen Kununu, Jameda oder TripAdvisor volle Transparenz für Bewerber, Mitarbeiter und Kunden. Die Möglichkeit der Vergleichbarkeit für die Kunden steigt also immens an.
Zusammengefasst hat sich für die genannten externen Treiber das Akronym VUCA (Volatility, Uncertainty, Complexity und Ambiguity) durchgesetzt und weit verbreitet, um unsere Welt durch die Begriffe Unbeständigkeit, Unsicherheit, Komplexität und Unklarheit zu umreißen.
Auch interne Treiber spielen für Unternehmen zunehmend eine Rolle dabei, sich neu aufzustellen und Zusammenarbeit anders zu organisieren, um auch in Zukunft als Unternehmen erfolgreich zu bleiben. Die Erwartungshaltung der Mitarbeiter gegenüber ihrem Arbeitgeber verändert sich zunehmend. Entwicklungen, wie der demografische Wandel und der zunehmende Fachkräftemangel, sorgen dafür, dass Mitarbeiter an Selbstbewusstsein gewinnen und die Abhängigkeit vom Arbeitgeber sinkt. In vielen Berufsbildern entsteht ein Arbeitnehmermarkt. Der Wunsch nach Befriedigung
[15]individueller Bedürfnisse steigt. Dies führt dazu, dass verschiedene Angebote parat gehalten werden müssen, z. B. hinsichtlich Vergütungsmodellen oder Arbeitszeitregelungen. Der gesellschaftliche Wertewandel trägt unter anderem dazu bei, dass der Wunsch nach Sinnstiftung in der Arbeit steigt und ein höheres Maß an Autonomie gefordert wird. Auch gilt es zu berücksichtigen, dass mittlerweile fünf Generationen (Traditionalisten, Babyboomer sowie die Generationen X, Y und Z) gleichzeitig im Arbeitsmarkt aktiv sind, die dadurch unterschiedlichste Anforderungen an ihre Unternehmen stellen. Dies betrifft insbesondere die Art und Weise, wie kommuniziert wird und welche Medien dabei zum Einsatz kommen. Nicht zuletzt lässt sich immer häufiger beobachten, dass die Arbeitslast entlang der Wertschöpfung ungleich verteilt ist. Das führt dazu, dass einzelne Mitarbeiter, meist mit sehr exklusivem und dringend benötigtem Fachwissen, stark überlastet sind, damit alle anderen ausgelastet sind. Hier zeigen sich die Grenzen von dezidierter Arbeitsteilung immer deutlicher im Arbeitsalltag.
Im Videobeitrag von André Häusling in Kooperation mit der AOE GmbH erfahrt Ihr mehr über interne und externe Treiber von Agilität.
Diesen zum Teil aus allen Richtungen auf Unternehmen zukommenden Herausforderungen gilt es zu begegnen, um auch zukünftig erfolgreich zu bleiben. Deswegen haben sich bereits zahlreiche Unternehmen auf eine Reise begeben, um den Grad an Agilität zu erhöhen.
Dabei definiert sich der Begriff Agilität auf organisationaler Ebene als »die Fähigkeit eines Unternehmens, sich kontinuierlich an seine komplexe, turbulente und unsichere Umwelt anzupassen« (Goldman et al. 1995). Dove hat 2001 beschrieben, welche Fähigkeiten dafür notwendig sind: »Dazu muss es sich schnell an (interne und externe) Veränderungen anpassen, indem es die Fähigkeit entwickelt, diese Veränderungen möglichst rechtzeitig zu antizipieren, selbst innovativ und veränderungsbereit zu sein, ständig als Organisation zu lernen und diese(s) Wissen & Erfahrungen allen relevanten Personen zur Verfügung zu stellen« (Dove 2001). Dementsprechend ist »das Gegenteil von Agilität die Trägheit eines Unternehmens« (Hannan und Freeman 1989).
Beschreiben diese Definitionen ein notwendiges Zukunftsbild für Unternehmen jeder Größe und aller Branchen? Gilt es, genau die genannten Fähigkeiten maximal auszuprägen, um den höchsten Reifegrad an Agilität zu erreichen? Und falls ja: Wie erzeuge ich konkret mehr Agilität in Unternehmen und was sind die Erfolgsfaktoren dabei?
Um Antworten auf die gestellten Fragen zu finden, beschäftigen sich die folgenden Überlegungen mit dem Trafo-Modell von HR Pioneers. Es bietet eine mehrdimensionale, auf verschiedenen Reifegrad-Leveln beschriebene Sicht auf Organisationen. Bei der Entwicklung dieses Reifegrad-Modells haben wir uns zum einen an wissenschaftlichen Charakteristika, die ein Reifegradmodell für Agilität beinhalten sollte, orientiert. Zum anderen sind unsere Praxiserfahrungen darin berücksichtigt. Das Trafo-Modell beschreibt sechs Dimensionen und fünf Reifegrad-Level. Weiterhin zeigen wir bestehende Herausforderungen und Grenzen des Modells auf.
»Agilität« ist in aller Munde und das Buzzword des Momentums. Doch was steckt dahinter? Das fragen sich viele Unternehmen und sind unsicher, wie sie eine agile Transformation in ihrer Organisation überhaupt umsetzen können. Andernfalls fragen sie sich während der Transformation, wo sie überhaupt stehen, warum sie nicht weiterkommen oder wo es genau hakt bzw. wie viel Agilität die Organisation überhaupt braucht. Um Unternehmen in dieser Unsicherheit zu unterstützen und Antworten auf ihre Fragen zu finden, benötigt man ein Instrument, dem es gelingt, den agilen Reifegrad in Unternehmen oder einem Unternehmensbereich zu analysieren. Denn genau wie bei einer ärztlichen Diagnose, erfolgt zunächst eine ausführliche Anamnese, bevor mit der individuell abgestimmten Therapie begonnen werden kann. Nur so können die Ursachen und nicht nur oberflächliche Symptome behandelt werden.
Wir haben solch ein Instrument entwickelt, mit dem die Ist-Situation – der aktuelle agile Reifegrad – aufgezeigt werden kann. Darauf aufbauend können Entwicklungspläne formuliert werden, die jeweils auf das Unternehmen bzw. den Bereich passend zugeschnitten werden. Weiterhin kann analysiert werden, wie viel Agilität eine Organisation überhaupt benötigt, um erfolgreich zu sein. Denn es geht nicht darum den höchsten, sondern den passenden Grad an Agilität einzusetzen. Die Analyse befolgt also keineswegs ein Agilitäts-Gießkannen-Prinzip, denn niemals bedeutet viel Agilität auch zwangsläufig viel Erfolg. Wie viel Agilität ein Unternehmen oder ein Bereich benötigt, hängt zwangsläufig von der Branche, dem Markt oder dem Unternehmensbereich ab. Deshalb ist es zwar wichtig und inspirierend, sich zu Anfang andere Unternehmen anzuschauen und zu verstehen, wie dort Agilität eingeführt und umgesetzt wurde. Trotzdem sollte man diese Konzepte keinesfalls für das eigene Unternehmen kopieren, da es die eine One-Size-fitsall-Lösung nicht gibt. In vielen Organisationen ist aber ein ähnliches Szenarium zu erkennen: Agilität wird mit der Einführung agiler Prozesse gleichgesetzt und Organisationen fragen sich dann, weshalb die Wirksamkeit ausbleibt, es Widerstände und Konflikte gibt. So entsteht immer häufiger das Verständnis, dass auch Führung und HR-Instrumente sich verändern müssen und dass Struktur sowie Strategie ebenfalls einer agilen Überarbeitung bedürfen. Aus unserer Sicht sind all diese Ansätze gut und richtig,
[17]lassen sich aber nicht gesondert voneinander betrachten. Nur ein systematischer, ganzheitlicher Ansatz kann die agile Transformation voranbringen. Das HR Pioneers Trafo-Modell folgt diesem Ansatz und analysiert den agilen Reifegrad ganzheitlich über sechs Dimensionen. Neben der prozessualen Dimension werden die Dimensionen Strategie, Struktur, Führung, Kultur und HR beleuchtet. Diese sechs Dimensionen sind in der Lage, den Reifegrad einer Organisation bzw. eines Bereichs widerzuspiegeln und so ein ganzheitliches Bild der Agilität in einem Unternehmen zu liefern.
Eine agile Transformation gleicht einer Reise. Es gibt keinen Schalter, der umgelegt werden kann, und von heute auf morgen wandelt sich eine traditionelle Organisation in eine agile.
Vielmehr vollzieht eine Organisation oder ein Bereich eine Entwicklung, die durch jede der sechs Dimensionen des Trafo-Modells und darüber hinaus durch unterschiedliche Entwicklungsstufen führt. Jede der sechs Dimensionen wurde deshalb zusätzlich in jeweils fünf Reifegrade unterteilt, die man auf dem Weg zur agilen Organisation durchlebt. Aber dazu auf den folgenden Seiten mehr.
An dieser Stelle stehen die sechs Dimensionen im Fokus, in denen die agile Transformation auf organisationaler Ebene maßgeblich stattfindet. Dabei lassen sich die Dimensionen nicht ganz getrennt voneinander betrachten, sie weisen durchaus Abhängigkeiten auf. Ebenso ist eine agile Transformation nicht in nur einer Dimension durchzuführen. Denn hat man in einer bestimmten Dimension schon Entwicklungs-und Fortschritte gemacht, entsteht der Engpass in einer anderen Dimension. Trotzdem wird Agilität vielerorts mit agilen Methoden und Prozessen gleichgesetzt. Aber agile Methoden wie etwa das Rahmenwerk Scrum bilden tatsächlich nur einen kleinen Teil in einer agilen Organisation ab bzw. stellen eine der sechs Dimensionen des Trafo-Modells dar. Bleiben noch weitere fünf relevante Dimensionen, die auf dem Weg zur agilen Organisation beachtet werden müssen (Häusling 2018).
Das Trafo-Modell
Nichtsdestotrotz dienen Prozesse oft als guter Einstieg in die agile Transformation. Werden andere Dimensionen nicht ganz außer Acht gelassen, ist es sinnvoll, hier zu starten. Denn vielerorts sind Projekte in wasserfallartigem Vorgehen organisiert. Dieses sequenzielle Vorgehen beinhaltet eine langfristige Planung vor Projektstart, aber wenig Anpassungsspielraum in der häufig ebenfalls sehr langfristig angelegten Projektarbeit. Externe Treiber sorgen aber dafür, dass dieses Vorgehen immer weniger tragbar wird. Denn Wasserfallprojekte gehen davon aus, dass zum Start eines Projekts alle Eventualitäten und Rahmenbedingungen klar und unveränderbar sind und diese zum Ende des Langzeitprojekts immer noch gelten. Immer häufiger lässt sich aber feststellen, dass Wasserfallprojekte nicht das geplante Ziel erreichen bzw. das Ziel nach Beendigung des Projekts auf dem Markt nicht mehr relevant ist. Projekte oder [19]Prozesse, die eine gewisse Flexibilität voraussetzen und wo auf veränderte Rahmenbedingen schnell reagiert werden muss, erfordern flexible Prozesse. Auf prozessualer Ebene können agile Methoden eine mögliche Reaktion auf die turbulente Umwelt und den Wunsch nach Anpassungsfähigkeit darstellen. Denn agile Ansätze in der Prozessdimension verwenden einen explorativen Ansatz, bei dem die Annäherung an die beste Lösung schrittweise erfolgt und nicht zu Beginn festgelegt werden muss. Besonders populär ist hier der Scrum-Ansatz, der vor allem in der Produktentwicklung und in IT- und Softwarebereichen eingesetzt wird. Mittlerweile sind agile Methoden und Prozesse aber auch in anderen Bereichen etabliert worden. Hier ist der Marktdruck ebenfalls immens angestiegen und agile Vorgehensmodelle erhöhen merklich die Qualität der Arbeitsergebnisse und die Produktivität. Vor allem verkürzen sie die Time-to-Market. Diese Vorteile lassen sich auf das wesentliche Merkmal agiler Prozesse zurückführen: die Kundenzentrierung! Es werden Lösungswege erarbeitet, die den Kunden adäquat berücksichtigen und dessen Bedürfnisse in den Vordergrund stellen. Weiterhin wird in Prozessschleifen gearbeitet, um kurzfristig für jede Iteration planen zu können und um Markt- bzw. Kundenanforderungen gerecht zu werden. Kurze, in sich methodisch wiederholende Schleifen (Iterationen) ersetzen also den üblichen langfristig ausgelegten Prozess. Die Vision wird vorab formuliert und leitet durch den gesamten Projektablauf. Am Ende einer abgeschlossenen Iteration steht immer ein an den Kunden auslieferungsfähiges Zwischenergebnis. Dieses so genannte Inkrement kann also deutlich schneller auf dem Markt veröffentlich werden als ein sequenziell geplantes Produkt. Außerdem lässt sich Kundenfeedback erfragen und in der nächsten Iteration direkt umsetzen. Ein weiterer Vorteil agiler Vorgehensmodelle: Prozessschritte sowie Verantwortlichkeiten und aktueller Arbeitsstand sind für alle Teammitglieder und auch für beteiligte Stakeholder transparent. Prozessverantwortung und Entscheidungsgewalt liegt nicht mehr beim Management, sondern werden in das Team gegeben. Denn hier herrscht die höchste Kompetenz, um Entscheidungen treffen zu können, da das Team am nächsten am Markt bzw. am Kunden agiert. Qualitätssteigerung und Geschwindigkeit sind positive Folgen. Hierfür ist es aber natürlich erheblich, dass das Team bereit ist, selbstorganisiert zu arbeiten und Entscheidungen selbst treffen zu wollen.
Nach erfolgreicher Einführung agiler Prozesse folgt häufig die ernüchternde Erkenntnis, die schon oben angesprochen wurde: Agile Methoden machen uns lange noch nicht zu einem agil arbeitenden System. Der Engpass in der Umsetzung agiler Vorgehensmodelle ist häufig in der Struktur-Dimension verankert. Eine hierarchisch orientierte, oft pyramidal aufgebaute Organisationsstruktur kollidiert mit dem Verständnis kundenzentrierter agiler Prozesse. In einer traditionell aufgebauten Organisation gibt es klare Hierarchien, Macht und Entscheidungsgewalt konzentrieren sich an der Spitze der Pyramide bei der Geschäftsführung oder beim Vorstand. Der Kunde ist hier im Organigramm nirgends zu finden. Im Zuge einer agilen Transformation zeichnet sich [20]die Organisationsstruktur durch eine Ablauforganisation aus, die die Prozesse stärker fokussiert und den Kunden in den Mittelpunkt des Denkens und Handelns stellt. Diese Veränderung ist durchaus tiefgreifend, bedenkt man die radikale Reduzierung von Hierarchien und Managementpositionen. Vielen Mitgliedern des mittleren Managements ist an der Stelle nicht klar, welche Rolle sie zukünftig in der Organisation einnehmen. Hier gilt es, Rahmen zu setzen und neue Rollen klar zu kommunizieren. Denn auch in einer agilen Struktur braucht es Führung und Orientierung. Hierzu später mehr. Doch nicht nur die Hierarchie, auch Silo-Strukturen innerhalb der Organisation und der Teams sorgen für Verhinderung von Agilität. Möchte ein Unternehmen sich agil aufstellen, ist es erforderlich, dass die Mitarbeiter kollaborieren und zusammenarbeiten wollen, sich austauschen und eben keine Mauern und Silos aufbauen. Im Zuge dieser agilen Zusammenarbeit entstehen auch neue Rollen: bei der Einführung von Scrum etwa der Product Owner, der als Produktverantwortlicher das Bindeglied zwischen Team, Kunde und Stakeholder darstellt, sowie der Scrum Master, der das Team begleitet, den Prozess im Blick hat bzw. kontinuierlich verbessert, der Meetings moderiert und Konflikte aus dem Weg räumt. Diese neuen Rollen und die Umverteilung von Verantwortung müssen in der Organisationsstruktur abgebildet werden. Werden diese neuen Rollen in einer klassischen Aufbauorganisation eingeführt, ist dies zwar zu Beginn hilfreich, da keine essenziellen Änderungen im Organigramm vorgenommen werden müssen, langfristig können die neuen Rollen aber ihre Wirkungskraft in einer klassisch organisierten Organisation nicht ausschöpfen. So können sich auch Kundenzentrierung und Empowerment der einzelnen Teams nicht richtig entfalten. Langfristig entwickeln sich Organisation häufig über eine funktionsorientierte bzw. produktorientierte Matrix hin zu einer agilen Netzwerkorganisation, die häufig mit dem sogenannten Peach-Modell visualisiert wird. Diese drei Organisationsmodelle sind jedoch auch nur mögliche Lösungen. Jede Organisation muss die für sich passende Struktur finden. Wichtig ist dabei nur, dass der Kunde und die Vernetzung innerhalb und außerhalb des Unternehmens berücksichtigt werden.
Organisationen, die sich auf die agile Reise machen, sollten neben der Transformation ihrer Prozesse und Strukturen auch die Strategie ihres Unternehmens verändern, denn hier kann konsequentes kundenzentriertes Denken und Handeln entstehen. Wer anpassungsfähiger und flexibler agieren möchte, muss die Strategie danach ausrichten. In klassisch geprägten Organisationen steht meist die Gewinnmaximierung an oberster Stelle des Unternehmensziels. So wird der Erfolg vor allem an finanziellen Kennzahlen, wie dem Umsatz, gemessen. Dabei verlässt sich die klassische Organisation häufig auf Altbewährtes, auf das, was sie können, was in der Vergangenheit gut funktioniert und schon immer den größten Nutzen geliefert hat. Diese Unternehmen nehmen eine starke Inside-out-Perspektive ein, da Planungs- und Entscheidungszyklen stark um sich selbst kreisen und die Gegebenheiten innerhalb der Organisation nach außen übertragen werden. Diese Denke steht aber in klarer Opposition zu dem, [21]was eine agile Organisation ausmacht. Denn ebenso wie in den Dimensionen zuvor, ist es vor allem in der Strategie-Dimension enorm wichtig, den Kunden und den Kundennutzen in der Vision zu verankern; Denken und Handeln nach ihm auszurichten. Die Gesamtstrategie einer agilen Organisation ist durch eine Outside-in-Denkweise geprägt, die sich stark daran orientiert, was der Kunde wirklich will, wie er und seine Bedürfnisse zufriedengestellt werden können und wie am besten auf die Gegebenheiten am Markt reagiert werden kann. Dies ist besonders bei drastischen Veränderungen auf dem Markt relevant, etwa bei einer neuen Technologie oder gar neuen Wettbewerbern, die es zuvor noch gar nicht gab. Um am Markt weiterhin erfolgreich bestehen zu können, bedarf es seitens der Organisation des Mutes, ausgetretene Pfade zu verlassen, einen neuen Weg einzuschlagen und noch wenig erschlossene Märkte zu erobern.
Neben der strategischen Kundenzentrierung ist es in der Strategie-Dimension ebenso relevant, Agilität als strategisches Ziel in der Organisation zu verankern. Das Management ist hier in der Verantwortung, Agilität in die Unternehmensvision aufzunehmen, diesen Weg vorzuleben und die Menschen in der Organisation dafür zu begeistern und mitzureißen. So muss den Organisationsmitgliedern Notwendigkeit und Sinn der agilen Strategie bewusst werden, so dass Akzeptanz und Identifikation für das Thema entstehen können. Wenn es der Organisation gelingt, Sinn und Zweck der agilen Transformation zu vermitteln sowie Klarheit über das Ziel für das eigene Unternehmen zu schaffen, ist ein guter Grundstein für die Transformation gelegt. Im Zuge der agilen Transformation wird dem Management also eine Schlüsselrolle zuteil, was zur nächsten Dimension führt.
Die Führungskräfte sind maßgeblich daran beteiligt, die agile Veränderung als federführend voranzutreiben. Besonders den höheren Führungsebenen wird eine Verantwortung hinsichtlich der strategisch agilen Ausrichtung, entsprechender Rahmenbedingungen und Kommunikation nach innen sowie außen zuteil. Trotz dieser wichtigen Position ist der Wandel nicht für jede Führungskraft leicht zu akzeptieren bzw. umzusetzen. Denn im agilen Umfeld verändert sich die Rolle und die Position einer Führungskraft so drastisch, dass dies zunächst von den betroffenen Personen verstanden, erlernt und vor allem akzeptiert werden muss. Im klassischen Umfeld definieren sich Führungskräfte zumeist über ihre fachliche Expertise und praktizieren einen fachorientierten Führungsstil. Somit geht Führungskarriere automatisch mit fachlicher Expertise einher. Mitarbeiter- oder Menschenführung mit gezielter Förderung der Mitarbeiter ist in diesem System kaum bis gar nicht vorhanden. Außerdem ist diese herkömmliche Führungsansicht geprägt von hierarchiebedingten Statussymbolen und Privilegien. Wissen wird zum Machtinstrument, weil die volle Verantwortung bei den Führungskräften liegt und Wissen sehr häufig bewusst und auch unbewusst – durch fehlende Systeme der Wissensweitergabe – nicht geteilt wird. Mitarbeiter und Team [22]sind in dieser Welt die ausführende Kraft, während die Führungskräfte vorgeben, was bis wann wie zu tun ist. Das Gegenteil dieser klassischen Denkweise stellt die Führungsrolle im agilen Umfeld dar, die sich selbst als »Dienstleister« für ihre Mitarbeiter versteht. Dienstleister in dem Sinne, dass es Aufgabe der Führungskräfte ist, optimale Arbeits- und Rahmenbedingungen für die Mitarbeiter zu schaffen, sie stärkenorientiert zu fördern und stärkenbasiert einzusetzen. Bei näherer Betrachtung sind nun zwei Merkmale besonders charakteristisch für agile Führung. Zum einen werden Führung und Wissen nicht weiter in einer Person gebündelt, sondern auf viele Köpfe verteilt. Bei der Einführung von Scrum liegen die Führungsaufgaben sowohl beim Product Owner und beim Scrum Master als auch beim Team selbst. Hier gibt es genügend Wissen und Kompetenz zu den Themen, so dass Entscheidungen im Team getroffen werden können. Mit verteilter Führung erlangen agile Führungsrollen mehr Zeit für die menschenzentrierte Führung und stärkenbasierte Weiterentwicklung der Mitarbeiter. Außerdem verhindern schnelle Entscheidungs- und Kommunikationswege, dass die Organisation langsam und träge wird. Um die Selbstorganisation und -verantwortung aber tatsächlich ins Team geben zu können, braucht es zum anderen Führungskräfte, die die Teams für ihre Arbeit befähigen können (Empowerment). Aufgrund der herkömmlichen Annahme, dass Fachexperten auch Führungsverantwortung tragen können, sind natürlich viele Kompetenzen (trotz Distanz zum Tagesgeschäft) in den Führungsrollen verankert und weniger im Team. Damit haben viele Organisationen zu kämpfen, die sich in einer agilen Transformation befinden. Besonders hier vollzieht sich ein langer Lernprozess für alle Beteiligten in der Organisation. Denn Selbstverantwortung und organisation müssen sowohl von Führungskräften als auch von Mitarbeitern gelernt werden und erfordern Änderungen in Verhaltensweisen und Haltungen. So gewinnen Mitarbeiter zwar mehr Selbstbestimmtheit dazu, müssen aber auch lernen, mehr Verantwortung zu übernehmen und Sicherheit abzugeben. Sie sind es nicht gewohnt, selbst Dinge auszuprobieren, dementsprechend auch Fehler machen zu dürfen, um daraus zu lernen. Führungskräfte wiederum sind es nicht gewohnt, ihre Mitarbeiter eigenverantwortlich arbeiten zu lassen, die Entscheidungsgewalt abzugeben und loszulassen. Die richtigen Führungsinstrumente sowie Coaching und intensive Begleitung sind hier ein wichtiger Schlüssel zur erfolgreichen Implementierung agiler Führung.
Die Führungs-Dimension ist übrigens sehr stark mit der Struktur-Dimension verknüpft. Denn wenn ein Unternehmen pyramidal hierarchisch organisiert ist, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass auch Führungssysteme pyramidal folgen. Damit ist auch hier die Ausrichtung auf den Kunden – wie in den anderen Dimensionen – klassischerweise nachrangig.
Vielerorts erleben wir, dass HR-Bereiche und entsprechende Personal- und Führungsinstrumente wenig Beachtung erfahren. Oft werden sie sogar als hinderlich für das [23]operative Geschäft wahrgenommen. Tatsächlich muss man die Frage stellen, ob und wie HR heute als Unterstützung in der Organisation fungiert — und vor allem auch, ob es die agile Strategie behindert oder fördert. Liefern die bestehenden HR-Instrumente wirklich echten Kundennutzen? Diese Frage muss vielerorts verneint werden, weil HR mehr inside-out und selbstzentriert als outside-in denkt. Erst mit einer Outside-in-Denkweise wird der Kunde in den Mittelpunkt strategischer HR-Überlegungen gestellt. Und mit »Kunden« sind in diesem Fall nicht mehr der Fachbereich und die Mitarbeiter, sondern die tatsächlichen Endkunden gemeint. Die agile Welt stellt – neben der neuen Kundenzentrierung – auch weitere Anforderungen an HR. So wirken viele Personalinstrumente, wie z. B. das Mitarbeiterjahresgespräch, in einer schnelllebigen komplexen Welt mit kurzen Planungszyklen geradezu kontraproduktiv. Wenn Ziele für ein ganzes Jahr geplant werden, im Tagesgeschäft aber in kurzen Sprints gearbeitet wird, müssen neue HR-Lösungen her. So weichen Mitarbeiterjahresgespräche im agilen Umfeld einem kontinuierlichen Mitarbeiterdialog, der einen deutlich partizipativeren Charakter hat, in höherer Frequenz stattfindet und flexibler an die aktuellen Gegebenheiten angepasst ist. Leistungsbeurteilungen wiederum finden in Form von regelmäßigen Feedbackgesprächen statt. In agilen Organisationen holen sich Mitarbeiter zudem nicht nur Feedback von ihren Vorgesetzten ein, sondern vor allem von ihren Kollegen. Da sie mit denen tagtäglich zusammenarbeiten, können die Kollegen die Leistung folglich am besten beurteilen. So passiert es aber auch, dass sich Führungskräfte Feedback von ihren Mitarbeiten einholen. »Klassische« Gespräche zwischen der Führungskraft und dem Mitarbeiter finden eher zum Zwecke der individuellen Weiterentwicklung statt. Diese liegt nunmehr eigenverantwortlich in der Hand der Mitarbeiter. Sie können dazu aber jederzeit die Hilfe der Führungskraft in Anspruch nehmen. Weiterhin wird in agilen Organisationen eine Führungs- sowie eine Fachkarriere gefördert. Denn Macht und Status gehen nicht mehr mit Karriere einher und es gibt durchaus Menschen, die als Fachexperten nicht unbedingt Führungsaufgaben übernehmen wollen oder umgekehrt. Außerdem gehören individuelle Boni der Vergangenheit an. Stattdessen werden Ziele nur noch auf Teamebene definiert, um die Teamkultur innerhalb der Organisation zu stärken. Oftmals in Form von Anschaffungen oder Teamentwicklungsmaßnahmen. Neben der Einführung neuer Personalinstrumente, steht dem HR-Bereich auch eine strategische Rolle in der agilen Transformation zu. Viele Themen, die früher ausschließlich bei HR lagen, werden in agilen Organisationen ins Team gegeben. So liegt Personalarbeit genau dort, wo sie passiert, und das Unternehmen gewinnt Geschwindigkeit durch kurze Entscheidungswege. Beim Thema Recruiting fungiert HR beispielsweise eher als Unterstützer und Partner auf Augenhöhe. Die Entscheidung selbst trifft das Team, welches später mit dem potenziellen neuen Kollegen arbeitet. So kann HR der entscheidende Katalysator in der Veränderung und in der Mitgestaltung der Zukunftsfähigkeit der Organisation sein. Mit dem Mut, bestehende Prozesse zu hinterfragen, Modifikation, Optimierung und Innovation von bestehenden Instrumenten, kann HR die Agilität in der Organisation maßgeblich fördern und mitgestalten.
Wie eingangs schon erläutert wurde und in der Beschreibung der letzten fünf Dimensionen bereits deutlich zu erkennen ist, sind die Dimensionen des Trafo-Modells nicht immer klar voneinander abgrenzbar. Alle Dimensionen beeinflussen sich in gewisser Weise gegenseitig und bei Vernachlässigung einer Dimension kann diese zum limitierenden Faktor in der agilen Transformation werden. Für eine Dimension gilt dies aber noch mehr als für die bereits beschriebenen: die Kultur-Dimension. Kultur und ihre Veränderungen vollziehen sich in jeder einzelnen anderen Dimension. Kultur ist ebenso Ergebnis aus den Änderungen in den Dimensionen Strategie, Struktur, Prozess, Führung und HR. An der Kultur-Dimension kann man schlussendlich ablesen, ob Agilität in der Organisation tatsächlich gelebt wird oder ob es sich nur um ein Lippenbekenntnis handelt. Dennoch lassen sich einige Stellschrauben innerhalb der Kultur-Dimension identifizieren, die charakteristisch in der agilen Transformation sind. So beispielsweise eine dialogfördernde Kommunikationsstruktur. Im Gegensatz zu klassischen Organisationen legt man im agilen Umfeld Wert auf eine ausgeprägte Kommunikations- und Feedbackkultur auf jeder Ebene. Weiterhin existieren viele innovative Formate, die die hierarchieübergreifende und interdisziplinäre Kommunikation fördern. So wird nachhaltig Offenheit und Transparenz gefördert, was für das Arbeiten in cross-funktionalen Teams gewiss vonnöten ist. Um diese Offenheit wirklich in der Organisation leben zu können, braucht es Vertrauen unter den Mitarbeitern, aber auch gegenüber dem Management. Nur dann kann gewährleistet werden, dass Informationen und Wissen ohne Vorbehalt in der Organisation geteilt werden, für das Wohl des gesamten Unternehmens zusammen an einem Strang gezogen wird und nicht – wie im klassischen Umfeld üblich – nur für die eigene Abteilung. Damit einhergehend vertraut man in agilen Organisationen eher auf Prinzipien, die die Zusammenarbeit klären, als auf Regeln, da diese den Arbeitsalltag eher behindern. Handlungsleitende Prinzipien lassen den Mitarbeitern mehr Spielraum in ihrem Tun und Wirken in der Organisation, zeigen aber trotzdem einen Rahmen für Zusammenarbeit auf. Weiterhin gibt es in agilen Umfeldern weniger Kontrollen, Reporting oder Absicherungen. Denn hier wird nicht alles darangesetzt, Fehler zu vermeiden und Ursachen nicht zu betrachten. Das wäre auch kaum machbar, befindet man sich mit der agilen Transformation doch in einer Phase des Experimentierens und Ausprobierens. Fehler werden vielmehr als Lernerfahrung angesehen, deren Ursache es zu verstehen gilt, um in der Zukunft anders handeln zu können. Auch diese Entwicklung zeugt von einem hohen Vertrauensgrad den Mitarbeitern gegenüber. Alles in allem ist aber festzuhalten, dass der Kulturbegriff grundsätzlich eine gewisse Unschärfe mit sich bringt. Das liegt daran, dass die Kultur einer Organisation stark geprägt ist von gemeinsamen Werten, Normen und Einstellungen. Diese sind aber mitunter sehr subjektiv und natürlich individuell verschieden stark bei den Menschen in der Organisation ausgeprägt. Für die erfolgreiche agile Transformation sollten Normen und Werte sowie das Verständnis und das Leben dieser Werte aber kulturell stark in der Organisation verankert sein. Nur so kann Transformation gelingen (Häusling 2018).
[25]Eine Zusammenfassung der sechs Dimensionen der agilen Organisationsentwicklung könnt Ihr Euch in dem Videobeitrag von André Häusling in Kooperation mit der AOE GmbH anschauen.
Nachdem sich der vorangegangene Abschnitt mit dem Trafo-Modell als Erklärungsmodell agiler Transformationen beschäftigt hat, sollen nun die dahinterliegenden Entwicklungsstadien und -stufen der Transformation erläutert werden. Wir haben festgestellt, dass agile Transformationen typischerweise durch alle Dimensionen hindurch fünf Stadien der sukzessiven Reifegraderhöhung durchlaufen. Dabei geschieht die Reifegradentwicklung in den verschiedenen Dimensionen natürlicherweise nicht immer synchron. Wenn eine bestimmte Transformationsebene auf einer Dimension erreicht wird, verharrt die Organisation meist doch in ihrer Weiterentwicklung. Grund sind häufig limitierende Faktoren einer anderen Dimension. Für den Schritt auf die nächsthöhere Ebene muss insbesondere in der besagten limitierenden Dimension weitergearbeitet werden, ohne dabei aber alle anderen Dimensionen außer Acht zu lassen. Denn wie bereits betont verlangt eine agile Transformation immer einen ganzheitlichen Ansatz. Dennoch sollten die Stadien nicht schematisch betrachtet werden. Es kann durchaus sein, dass eine Organisation in verschiedenen Dimensionen auch auf verschiedenen Leveln entwickelt ist oder auch in einer Dimension selbst Elemente aus verschiedenen Leveln enthält (Häusling 2018).
Der Organisationstyp, der über die geringste Ausprägung des agilen Reifegrads verfügt, ist die traditionelle Organisation. Sie entstammt zumeist einem sehr klassischen Umfeld, das stark traditionalistisch und bewahrend agiert. Geprägt ist dieses Stadium durch lange Planungszyklen und wasserfallartige Vorgehen. Außerdem herrscht eine pyramidale Organisationsstruktur, in der Entscheidungen in der Hierarchie getroffen werden und Teams in Silo-Strukturen arbeiten. Somit herrscht auch ein Top-down-Führungsverständnis vor. Die Strategie ist weniger am Kunden, als vielmehr an den wirtschaftlichen Kennzahlen ausgerichtet und hat damit einen stark wissenschaftlichen Charakter. Die HR-Instrumente festigen die hierarchieorientierte Organisation, Karrierewege sowie Vergütungssysteme sind auf die Aufbauorganisation ausgerichtet. Zusätzlich ist die Organisationskultur geprägt von Kontrolle, Absicherung und Misstrauen.
Durch externe oder interne Treiber ausgelöst wird ein Änderungsbedarf gespürt und die Organisation begibt sich in ein zweites Stadium – die Experimentierphase. Hier sammelt das Unternehmen erste agile Erfahrungen. Häufig wird hier in der prozessualen Ebene gestartet: Erste agile Methoden werden ausprobiert, die Transparenz in [26]der Zusammenarbeit steigt, Mitarbeiter und Kunden erleben eine positive Entwicklung. In der strukturellen Dimension stößt man allerdings schnell an seine Grenzen. Agile Rollen werden zwar in der Aufbauorganisation verankert, diese gerät aber dann in Konflikt mit den agilen Prozessen. Die Aufbauorganisation wird von agilen Teams, die cross-funktional arbeiten wollen, zunehmend als Hindernis wahrgenommen, weshalb nach anderen strukturellen Lösungen gesucht werden muss. Auf strategischer Ebene gibt es schon Zuspruch, aber auch viele offene Fragen: Wie soll mit Agilität im Unternehmen umgegangen werden? Was bedeutet das und wie viel Agilität braucht es überhaupt? Auf der Führungsebene entstehen zunehmend Identitätsprobleme. Denn wozu braucht es noch Führungskräfte, wenn mehr und mehr Verantwortung in die Teams gegeben wird, fragen sich die Führungskräfte. So entsteht ein Vakuum, weil es große Unsicherheit und Unklarheit in der Organisation gibt, wie Führung weiter organisiert werden soll. HR wird zunehmend als hinderlich empfunden, da klassische HR-Instrumente nicht mehr zu den agilen Experimenten passen. Aus diesem Grund beginnt HR sich mit dem Thema auseinanderzusetzen und eine HR-Rolle zu entwickeln, die als Unterstützer in der Transformation dienen kann. Kulturell entstehen viele Konflikte, da einiges im Aufbruch ist und agile Vordenker auf klassisch bewahrende Denker stoßen. Viele verschiedene Kulturen, Denk- und Sichtweisen treffen hier aufeinander.
In der Bewährungsphase