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Kennen Sie Ödön von Horváth? Den k.k. ungarischen Schriftsteller? Nein? Sie auch nicht? Dann wird’s Zeit! Damit Sie wenigstens eines seiner Zitate bereit haben: „Nichts gibt so sehr das Gefühl der Unendlichkeit als wie die Dummheit.“ Dummheit ist ein Grundrecht, jeder nimmt es wahr. Die Zahl der Dummen wird immer unterschätzt. Vor allem: Keiner zählt sich selbst dazu. Anhand dieses Übungsbuches wird sich zeigen: Dummheit ist ein erfrischendes Lebenselixier, aber ihr Preis kann hoch sein.
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Seitenzahl: 233
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Horst Michael Hanika
Preis der Dummheit
Ein Übungsbuch
AUGUST VON GOETHE LITERATURVERLAG
FRANKFURT A.M. • WEIMAR • LONDON • NEW YORK
Die neue Literatur, die – in Erinnerung an die Zusammenarbeit Heinrich Heines und Annette von Droste-Hülshoffs mit der Herausgeberin Elise von Hohenhausen – ein Wagnis ist, steht im Mittelpunkt der Verlagsarbeit. Das Lektorat nimmt daher Manuskripte an, um deren Einsendung das gebildete Publikum gebeten wird.
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Lektorat: Dr. Helga Miesch
ISBN 978-3-8372-5154-8
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Wär’ der Gedank’ nicht so verflucht gescheit,
Man wär’ versucht, ihn herzlich dumm zu halten.
Friedrich Schiller
Piccolomini
Fragen wir mal ganz dumm ...
Haben Sie schon einmal Ödön von Horváth gelesen? Den ungarischen Schriftsteller? Nein? Sie auch nicht? Dann wird’s Zeit! Damit Sie wenigstens ein Zitat von ihm bereit haben: „Nichts gibt so sehr das Gefühl der Unendlichkeit als die Dummheit.“
Ein Gefühl, das uns immer und überall einholt: Dummheit ist ewig, ubiquitär, unveränderlich, unberechenbar – eine Naturgewalt. Ihre tausend Varianten haben wir so wenig im Griff wie das Wetter. Nur notdürftig vermögen wir uns vor ihren Sturzbächen zu schützen, gelegentlich aber findet sich ein trockenes Plätzchen, wo man gemütlich mit ihr leben kann, ohne verrückt zu werden. Dummheit ist ein Grundrecht.
Dummheit: welch wolkiges, schwammiges Wort! Beschreibt es doch höchst heterogene Phänomene vom Alltäglichen bis zum Exotischen und Absurden. Stellen Sie sich die Dummheit auf einer Achse vor,[1]· dann finden Sie links – sich im Unendlichen verlierend – den Schwachsinnigen, rechts den Weisen, auf seine Weise auch dumm und ohnehin aussterbend: Man sieht ihn nur noch im Kino.
[1] Ich weiß, wie schwer Ihnen das fallen wird, denn Dummheit ist nicht eindimensional und nicht linear. Sie ist flächendeckend, oft raumfüllend.
Den Kretin – wie man früher sagen durfte –, den geistig Behinderten also, heute den intellektuell anders Begabten, schließt man in eine Anstalt weg; man erklärt ihn für krank – geisteskrank. Tatsächlich aber steht er nur am äußeren Rand des Spektrums des Normalen, wo sich auf der Achse der Dummheit lückenlos die normalen Idioten anschließen. Auf sie trifft zu, was der weise Cipolla in seinem Ersten Prinzip der menschlichen Dummheit nachgewiesen hat: „Stets und unvermeidlicherweise unterschätzt jeder von uns die Anzahl dummer Individuen, die sich im Umlauf befinden.“ Ihrer großen Zahl wegen laufen sie frei herum: Sie sind die qualifizierte Mehrheit. Man erkennt sie am wohltuend stupiden Blick und daran, dass sie im Klinikversuch, seltener im Freiland, homöopathische Dosen von Verstand und Intelligenz zeigen; wahrscheinlich aber nur einen diesbezüglichen Quotienten.
Sie sind es, die unser Leben lebenswert machen – da folgen wir gerne Erasmus von Rotterdam. Ohne sie wäre unser Dasein trostlos, traurig und trübe. Diese Deppen füllen die Spalten der Zeitung: Da brachen in Saarmund bei Potsdam zwei Gangster in die Bank ein, um den Geldautomaten zu stehlen. Mit einem geklauten LKW setzten sie rückwärts durch die gläserne Eingangsfront, banden den Automaten mit einem Stahlseil an die Anhängerkupplung und rissen ihn aus der Verankerung. Sie entkamen unerkannt – mit dem Kontoauszugsdrucker. Auf der Internet-Seite Darwin Award werden postum Leute ausgezeichnet, die sich auf möglichst innovative Weise zum Tode beförderten und so den Genpool der restlichen Welt dramatisch verbesserten. Jedes Jahr finden sich Männer, die es irgendwie schaffen, auf stromführende Leitungen zu pinkeln.
Die Schmunzelecke, letzte Seite unten links, berichtet von schlichten Geistern, die ihr gesamtes Geld einem Magier zur „Entgiftung“ überlassen oder damit Stanniolkugeln gegen Krebs und Erdstrahlen kaufen. Oder von Vollprofis, die ihren Ausweis am Tatort zurücklassen.
Ein solcher hochgradig drittklassiger Experte – so die „News Crime Column“ von Ann Arbour – betritt fünf Uhr morgens eine Filiale von Burger King, zieht die Pistole und fordert den Inhalt der Kasse. Der Angestellte erklärt, die Kasse könne man nur bei Eingabe einer Bestellung öffnen, daraufhin bestellt der Räuber Zwiebelringe. Als der Angestellte einwendet, die seien zum Frühstück nicht erhältlich, verlässt der Mann frustriert das Lokal.
Solche Fulltime-Trottel lernen nichts dazu – doof bleibt doof –, sie verbleiben in einem bizarren Mikrokosmos, der immer wieder neu, aufregend und überraschend ist, dennoch abenteuerlich unproblematisch. Sie gehören zu den Gesegneten, von denen die Bibel sagt: „Sie säen nicht, sie ernten nicht, aber der himmlische Vater ernährt sie doch.“ Sie sind unvernünftig, ohne Vernunft, aber wozu bräuchten sie die?
An den genuin Dummen schließt sich nahtlos der Stupide an. Ihm dringt keine Wahrnehmung ins Bewusstsein. Sein lädierter Denkapparat kennt keinen Input, sondern nur Output immer desselben.
Wer will das für ein Problem halten? Was wäre, würden alle Menschen gescheit sein? Die Vernunft allein ist ohnehin nicht in der Lage, das Vernünftige zu tun. Dummheit disqualifiziert nicht, denn keiner kommt ohne sie aus. Sie ist nicht strafbar, denn ihr fehlt der Vorsatz. Sie ist ein Grundrecht, denn nur der Dumme ist wirklich frei. Und: Sie kann kein genetischer Nachteil sein: Die Dummen wären längst ausgestorben; es scheint aber, sie werden immer mehr.[1]· Auch gut: Denn nicht alles ist dumm, was der Dumme tut oder sagt. Als ein hinterhältiger Journalist einen Tierpfleger im Berliner Zoo fragte, ob sein Pinguin intelligent sei, bekam er zur Antwort: „Sehr intelligent! Er weiß und kann alles, was er zum Leben braucht.“
[1] Den Gedanken, Dummheit sei wichtigster Quell von Kreativität, mag ich nicht weiterdenken. Wäre dies vielleicht die entwicklungsgeschichtliche Funktion dieser Fehlleistung?
Der Tierpfleger wusste über Intelligenz mehr als sein Interviewer. Was verstehen wir darunter? In der Hauptsache wohl Denkvermögen – aber das allein kann es nicht sein. Wissen gehört irgendwie auch dazu. Spotten wir doch über die Bildungsfernen, denen die Ungunst des Schicksals eine Notration Allgemeinwissen vorenthalten hat. Wie lustig, sieht man sie wie auf hoher See mit Fremdwörtern und Rechtschreibung kämpfen, populären Irrtümern aufsitzen, ratlos vorm Fahrkartenautomaten stehen und Goethe für einen bekannten Boxer halten.
Und doch zeigen sie praktische Vernunft, Bauernschläue und die Gabe, die Realität, vielleicht auch sich selbst richtig einzuschätzen. Nicht Intelligenz fehlt ihnen, nur Bildung – und das kann man ändern.
Beobachten wir den Herrn Professor, Spezialist für altassyrische Lyrik, beim Umgang mit dem Fremdstartkabel oder seinen Friseur über der Steuererklärung, dann erleben wir eine attraktive Form des Unwissens: die Ignoranz. Der Akteur weiß zwar viel, aber das Falsche; ihm fehlt genau das, was er im Augenblick benötigt. Diese dilettantischen Koryphäen, die „gelehrten Dummköpfe“ wie Molière sie nennt, sind klug und vernünftig, aber Versager, sobald sie einen Fußbreit vom Feld ihrer Kompetenz abweichen.
Die dritte Eigenschaft, die – nach Denkkraft und Wissen – zur Intelligenz gehört, ist Gedächtnis. Der Kulturbold, der durch den humanistischen Bildungskanon geackert ist, sich jedoch weder seine Kontonummer, noch die Telefonnummer seiner Freundin merken kann und ständig Karl Marx mit Karl May verwechselt – wie intelligent kann man ihn nennen? Und doch: Jeder Hochmut beiseite! Die Dummheit, das Vergessen, der Irrtum: Sie lauern jedem auf, Ignoranten sind wir alle irgendwie. Intelligent ist, wer dennoch mit dem Leben zurechtkommt.
Einer der im Leben gut zurechtkam, war „Marschall Vorwärts“, der preußische Feldmarschall Leberecht von Blücher, der 1815 bei Waterloo Napoleons Niederlage besiegelte. Sein Oberbefehlshaber, der englische Feldmarschall Wellington, vertraute Blücher, obwohl der zeitweise an der Führung seiner Truppen gehindert war: Er glaubte, ein französischer Soldat habe ihn geschwängert und zwar mit einem Elefanten.[1]· Wo haben wir hier die Dummheit zu suchen? Einigen wir uns darauf: Psychosen sind Krankheiten, nicht Dummheiten. Töricht ist es allenfalls, psychisch Kranke in verantwortlicher Stellung zu belassen – obwohl dies eine teuflisch gute Lösung sein kann.
[1] Ryan, Geoffrey: The Guinness Book of Military Blunders, London 1991
Am rechten Ende der Achse der Dummheit, kurz vor den Klöstern der Weisen, sitzen einsiedlerisch die Genies. Auch diese Spezialbegabten am Rande des Wahnsinns wollen wir nicht untersuchen, obwohl gerade ihre Torheiten Legion sind.
Grenzen wir unser Thema ein: Nicht den Schwachsinn der Deppen und Idioten, die Dummheit als Folge intellektueller Minderausstattung, wollen wir betrachten; das langweilt auf Dauer. Vielmehr beschäftigt uns die intellektuelle Minderleistung der Klugen. Schopenhauer sagt dazu: „Dummheit ist Mangel an Verstand, Torheit ist Mangel an Vernunft.“
Torheit also: Diese amüsante Variante der Dummheit ist der Paradiesvogel unter den Idiotien. Wir sprechen von der „bêtise humaine“, zu der nur der Mensch fähig ist. Sie ist im Gegensatz zur Dummheit nicht ubiquitär, sondern überrascht an den absonderlichsten Orten, ja in den Zentralstellen der Vernunft. Torheit ist plötzlich da wie Kopfweh, stets ehrenwert im Gewande der Vernunft.[1]·
[1] Hier findet man Bullshit, zu Deutsch Bullenscheiße. Er gehört aber nicht hierher, weil er weder aus Dummheit noch sehenden Auges produziert wird, sondern ohne Denkprozess – rein vegetativ. Gleichsam ein unbewusster geistiger Defäkationsakt.
Torheit ist paradox. Denn der Tor ist nicht dumm, sondern er tut die falschen Dinge wider besseres Wissen. Er weiß um die Alternativen, wählt keine und lässt sich sehenden Auges von Dingen verführen, die für die Sache nichts bedeuten, ihm aber viel oder alles: Ehrgeiz und Eitelkeit, Geltungs- und Habsucht, Machtgier, Moralapostelei, eine Idée fixe und vieles mehr. Das sind bekannte menschliche Schwächen. Kommen jedoch Katalysatoren der Torheit hinzu, ideologische Denk-Blocker, zum Beispiel der Wahn, im Besitz des Wahren, Schönen, Guten zu sein – dann wird es eng. Im Wettlauf der Unvernunft finden dann oft Denkstarre und Sprechdurchfall zusammen.
Die ideologiegesteuerte Narretei gelingt perfekt im Kollektiv. Die infektiöse Wirkung von Ideen beweist sich hier fatal. Sie breiten sich epidemisch aus, Kritik und Selbstkritik werden zu entschiedenen Unwörtern, und zurück bleibt eine denkresistente Population – bis zur nächsten Infektion. Das Absonderliche, Absurde und Hohle wird selbstgerecht präsentiert als das spezifisch Eigene, das Zivilisierte und Kultivierte – was den Anderen eben fehlt. Wie Mehltau legt sich Ehre auf den Verstand: dumpfer Stolz auf irgendwas, auf Nation und Fahne, Rasse, rechten Glauben, ja Club- und Stadtteilzugehörigkeit. Wie viel Geist opfert man für Klassen- und Abstammungsdünkel? Wie viel Genuss bereiten Fremdenhass und Verachtung anderer?
Der kritische Bildungsbürger hält sich gegen derlei Narreteien gefeit, setzt er das vermeintlich Sichere doch dem Zweifel aus. Das ist ein schicker kleiner Selbstbetrug, ein befreiender Akt der Psychohygiene, der den Spießer stabilisiert. Er gibt ihm die Portion Schamlosigkeit – in der Attitüde des guten Menschen – die gröbsten Dummheiten fein ziseliert zu rechtfertigen.
Kratzt man diesen bräsigen Bildungsspießer mit Studium und akademischen Graden am Steiß, zeigt sich, dass er (Damen sind durchaus auch dabei) mit Verstandeskraft nicht getränkt, sondern nur eingefärbt ist. Er ist der klinische Beweis dafür, dass in der Jugend vorhandene gute Anlagen im Laufe eines lebenslangen Reifeprozesses durchaus abtrainiert werden können – in zunehmendem Maße abnehmend. Denken und Bildung sind eh mühsam und zeitaufwendig, Verblödung hingegen Sache eines Moments, da ja nur der Ausgangszustand hergestellt wird.
Erkennbar ist der geistig hindämmernde Philanthrop und Philister nicht an Erfolg oder Misserfolg – was einen Menschen groß macht, ist auch sein Makel –, sondern daran, dass er sich keinem Zweifel aussetzt; es würde ihn aufwecken. Seine Selbstgefälligkeit lässt ihm die Wahl zwischen drei törichten Optionen, die alle als respektabel gelten.
• Er bezieht keine Position, sondern hält – umwabert von einer Wolke aus Toleranz und Liberalität – alles für denkbar und akzeptabel. Er wertet nicht, ihm dünkt auch das Extreme und Abwegige ohne Prüfung für eine Bereicherung.
• Er übt Kritik selektiv, je nach Gefühl und Laune und den augenblicklichen Machtverhältnissen. Da er kein Weltbild hat, kann er sich eins von Stunde zu Stunde neu zusammenlügen.
• Steht nun so ein Schwachholzschläger bis zum Hals in den Trümmern seines Gedankengebäudes, und ein verschütteter Rest an Verstand ruft zaghaft nach Ordnung, dann lächelt ihn die dritte Alternative an: die Hinwendung zu extremen oder exotischen Wahrheiten. Das gilt als unkonventionell.
Die Flucht in vereinfachende Theorien lichtet plötzlich die Nebel, und Verborgenes wird sonnenklar. Für Wahrheiten dieser Art bräuchte man einen Waffenschein: Die geheimen Pläne böser Mächte, die Krakenarme globaler Unternehmen, der Öl- und Rüstungsindustrie, das Weltherrschaftsstreben der Freimaurer und des Kommunismus, ach nein, heute ist es das Kapital, oder war es doch der Islam oder das Weltjudentum? ... – Jetzt habe ich doch den roten Faden verloren! Aber wir wissen: Legenden, die alles erklären, kürzen den Denkprozess dramatisch ab.
Es ist eben so wie der Biologe Franz M. Wuketits sagt: „Der Mensch neigt dazu, seine eigene Unvernunft zu unterschätzen.“ Und wahrscheinlich hat auch der polnische Literat Stanislaw Lem Recht, dass „diese Welt sich zum großen Teil aus Verrückten und Idioten zusammensetzt und dass ihr Schicksal weitgehend von diesen Idioten abhängt.“ Hilfreich bei diesem Geschäft sind Ideologien und Religionen: versteinerte Weltbilder, fossile Gedankenwelten, mumifizierte Dogmen, ewig, Veränderungen unzugänglich, unduldsam. Keiner muss, keiner darf selbst denken: eingeübte Ignoranz. Das Denken erstarrt wie Aspik, der Glaube entwaffnet die Vernunft.
In der Zeit der Aufklärung haben wir uns das Werkzeug der kritischen Vernunft angeeignet, aber es verstaubt in den Schubladen. Es gibt das objektiv Unwahre, Falsche und Dumme, auch dann, wenn wir im Urteil manchmal irren. Die Nagelprobe ist: „Provoziert eine Antwort keine Fragen, dann ist sie falsch.“
Nehmen wir uns die Freiheit, unsere Urteile für wackelige Hilfskonstruktionen zu halten. Akzeptieren wir – zähneknirschend –, dass Dummheit und Klugheit keine objektiven Gegebenheiten sind, sondern nur im Auge des Betrachters liegen. Wer dieser Einsicht fähig ist, wird belohnt mit einem gerüttelten Maß an Toleranz, mehr Bescheidenheit und gelassener Hinnahme der erstaunlichen Unzulänglichkeiten des Menschen, seine Unwissenheit und Unfähigkeit. Der Lohn ist ein geschärfter Blick, ein produktives Unbehagen und eine stille Heiterkeit. Die Dummheit, die stultitia von Erasmus, ist schließlich ein kostbares Gut: Garant für Vielfalt, Freude und köstliche Narreteien. Wie schön: Dummheit, Einfalt, Torheit sind kein Mangel, sondern eine Gabe.
Gegen sie gibt es kein Rezept und keine Remedur. Finden wir uns damit ab, dass die Welt nicht so ist, wie sie sein sollte – wie sollte sie denn sein? Der Weise wird sich über derlei Nichtigkeiten nicht echauffieren. Denn, nicht wahr? Wie oft findet sich Klugheit beim Narren, wie oft die Narretei beim Klugen.
Dennoch: Ein Plädoyer für Beliebigkeit, für Gleichgültigkeit und Nihilismus ist dies nicht. Zwar besitzt keiner ein Monopol auf Wahrheit, aber zuweilen gibt es sie: Die Erde ist keine Scheibe. Wer jede Weltsicht für gleich richtig und gut hält, frönt nicht nur einem bequemen Irrtum, sondern lebt brandgefährlich. Es gibt unverdauliche Dummheiten, die man – bei Gefahr für Leib und Leben – nicht tolerieren darf.
Nur darum wurden die folgenden kleinen Geschichten aufgezeichnet: als Übungsfeld für den, der sich Torheiten wie ein Gourmet auf der Zunge zergehen lässt, sie nach süß und sauer, salzig und bitter analysiert, sie geschlossenen Auges genießt oder verabscheut. Aber Vorsicht: Der Koch verrät nicht sein Rezept! Worin die Dummheit steckt, wird selten sofort offenbar. Jeder wird es für sich selbst herausfinden müssen und sollte er feststellen: „Dies ist eine Torheit des Autors“ oder: „Die Torheit liegt bei mir“ oder resignierend: „Ich weiß es nicht“, dann ist schon viel an Einsicht gewonnen. Die Geschichten sind also ein Spiegel, in dem man sich selbst erblickt, aber auch sehen kann, was hinter einem spielt.
Die kleinen Torheiten des Alltags
Elvis Presley flog 1976 mit seinem Privatjet „Lisa Marie“ von Memphis nach Denver und zurück und verbrauchte dabei vierundzwanzigtausend Liter Kerosin. Zweck der Reise: Elvis hatte Appetit auf ein Riesensandwich, bestehend aus einem durchgeschnittenen Laib Brot, bestrichen mit Erdnussbutter, darauf Sülze und ein Pfund knuspriger Speck. 1
Solche Dummheiten lassen sich ja in aller Unschuld erzählen, vor allem ex post. Ist der zeitliche Abstand groß genug, erkennt man sie messerscharf.[1] Je näher man dran ist, desto verschwommener werden sie, weil der eigene Blick getrübt ist. Hat man sie dennoch in ihrer Lächerlichkeit entlarvt, dann wendet sich der Weise – der homo ridens – lachend ab, und überlässt den Ernst den anderen, die noch nicht so weit sind. Dies ist die einzig vernünftige Art, mit dergleichen Dingen umzugehen.
[1] Wirklich? Dazu Sartre: „Nichts ändert sich so oft wie die Vergangenheit.“
Besteht doch die überwiegende Zahl der Dummheiten nur aus Schrullen, Gedankenlosigkeiten, schlechtem Geschmack, Eitelkeiten, den Zwängen des far bella figura, der Angst vor öffentlicher Schande. Oder es sind sympathische Macken, Marotten und Wunderlichkeiten, menschliche Schwächen – Hang zu Wein und Pasteten, Gesang und weiblichem Küchenpersonal. Eher amüsant als lästig, töricht nur für bleifarbene Asketen.
Ebenso verzeihlich scheinen mir all die Aufgeregtheiten, Generalphobien und schleichenden Ängste zu sein, die uns ereilen, weil wir zu wenig wissen, diesen Zustand zutiefst lieben und daher schreckgeweiteten Auges die täglichen Panikattacken der Medien an die Backe bekommen: erbgutverändernde Medikamente, giftiges Amalgam in den Zähnen, schmelzende Polkappen, sich öffnende Ozonlöcher, Frankensteinsche Gentechnik auf dem Acker nebenan, radioaktives Trinkwasser und krebserregendes Bier, Asbest im Hauskamin, Elektrosmog vom Kirchturm, Dioxin im Gartenzaun und ein gewaltiger Meteor im Garten. Insgesamt ist das Leben ein enormes Risiko. Die Gefahr, es könnte tödlich enden, ist unübersehbar.
Vorher aber wollen wir zur Selbstverwirklichung schreiten, elegant und würdevoll, und unsere Torheiten genießen.
Kapitale Hirsche und andere Eitelkeiten
Um zur Konditorei „Kranzler“ zu gelangen, fuhr der Fürst Pückler-Muskau in Berlin mit der Kutsche über die Straße Unter den Linden. Sein Gespann bestand aus vier kapitalen Hirschen.
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