Princess Knight - G. A. Aiken - E-Book
SONDERANGEBOT

Princess Knight E-Book

G. A. Aiken

0,0
9,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 9,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

G. A. Aiken, die Hohepriesterin der erotischen High Fantasy, meldet sich mit ihrer "Blacksmith Queen"-Fortsetzung zurück. In "Princess Knight" wechseln sich Spannung mit Tragik und Humor mit Intrigen ab. Gemma Smythe hat ihr gesamtes Leben der Kriegsgott Morthwyl verschrieben. Als ihre Schwester Keeley aufgrund einer Prophezeiung zur Schmiedekönigin ernannt wird, kehrt sie jedoch zu ihrer Familie zurück. Denn die Erben des verstorbenen Königs möchten nämlich dessen Nachfolgerin töten, bevor sie an die Macht kommt. Blut, Gedärme, Ruhm und epische Schlachten – die New-York-Times-Bestsellerautorin geizt mit keinem dieser typischen Fantasy-Elemente in ihrem neuen, sinnlich aufgeladenen Werk. Inmitten dieser chaotischen Welt kämpfen zwei starke Frauen mit Schwert und Bogen für ihr Königreich. Dabei gehen sie sich zwischendurch gegenseitig ziemlich auf die Nerven, was die Familiendynamik allerdings umso charmanter macht. All diese Versatzstücke flicht Glynis Aiken in einen dichten Handlungsbogen ein, der unerwartete Wendungen nimmt. G. A. Aiken verbindet heißes Liebesknistern mit spannenden Schlachten und selbstironischem Augenzwinkern "Princess Knight" wäre kein Buch von G. A. Aiken, wenn es nicht auch eine knisternde Liebesgeschichte mit einer Prise Erotik enthalten würde. Dieses Mal ist es ein Zentaur namens Quinn, der einer der Heldinnen den Kopf verdrehen möchte – amüsante und skurrile Folgen sind da vorprogrammiert. Fantasy- und Aiken-Fans steht ein wilder und verrückter Ritt bevor Aufregend und clever spinnt G. A. Aiken den Story-Faden aus "Blacksmith Queen" weiter. Wichtige Hauptprotagonisten kehren zurück, schrullige Nebenfiguren tauchen auf und die Autorin gibt erneut ihr unverkennbares Talent für bissigen Wortwitz zum Besten. Fans ihrer Dragon-Reihe kommen bei "Princess Knight" garantiert auf ihre Kosten. Endlich wieder Fantasy von, für und mit Frauen!

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Entdecke die Welt der Piper Fantasy.

www.Piper-Fantasy.de

Übersetzung aus dem Amerikanischen von Michaela Link

Deutsche Erstausgabe

© G.A. Aiken 2020

Published by Arrangement with Glynis Aiken

Titel der amerikanischen Originalausgabe:

»The Princess Knight« bei Kensington Publishing Corp., New York 2020

© Piper Verlag GmbH, München, 2021

Covergestaltung: Guter Punkt, München

Coverabbildung: Christl Glatz, Guter Punkt, unter Verwendung von Motiven von GettyImages

Sämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten. Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken. Die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ist ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben.

Inhalte fremder Webseiten, auf die in diesem Buch (etwa durch Links) hingewiesen wird, macht sich der Verlag nicht zu eigen. Eine Haftung dafür übernimmt der Verlag nicht.

Inhalt

Cover & Impressum

Teil 1

Prolog

Kapitel 1

Zwei Jahre später …

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Teil 2

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Epilog

Teil 1

Prolog

Als Bruder Gemma ihre Truppe von Mönchsrittern in den Klosterhof des Ordens des Gerechten Heldenmuts führte, wusste sie sofort, dass ihr ein ziemlicher Haufen Mist bevorstand.

Das war nicht schwer zu erraten. Wenn man zu einer Bruderschaft von grimmigen, gewalttätigen und kriegsgottliebenden Kriegern gehörte, lernte man zu erspüren, wann der Wind sich gedreht hatte.

Sie hielt ihr Pferd mitten auf dem Innenhof an und inspizierte eingehend ihre Umgebung. Samuel, ihr Knappe, hielt neben ihr ebenfalls an.

»Alles in Ordnung?«, fragte er.

»Nein.«

»Sollte ich wegen irgendetwas Panik schieben? Ich bin sehr gut darin, Panik zu schieben.«

Das war ihr klar, aber immerhin kannte der Junge sich selbst ganz gut.

»Ich glaube nicht, dass es einen Grund für Panik gibt.« Zumindest noch nicht.

Sie saß von ihrem Pferd ab und reichte Samuel die Zügel.

»Dolchstoß hat sich gut geschlagen, nicht wahr?«, fragte der Junge und streichelte dem Pferd das Maul.

Gemma war erst vor zwei Monaten gezwungen gewesen, Ersatz für ihre geliebte Stute zu suchen. Sie vermisste Kriegszorn noch immer, aber Dolchstoß hatte sich in der Schlacht bewährt.

»Dolchstoß hat sich sehr wacker geschlagen. Dein Vorschlag war gut.«

»Danke, Bruder.«

Das schwache, zaghafte Lächeln auf Samuels Gesicht erstarb plötzlich, und Gemma wusste, dass jener Wind sich definitiv gedreht hatte.

Sie wandte sich um und sah Hauptfeldwebel Alesandro auf sich zukommen.

»Bruder Gemma.«

»Bruder Alesandro.«

»Man hat um dein Erscheinen in der Kammer des Heldenmuts gebeten.«

»Warum?«

Es amüsierte sie, dass Alesandros linkes Augenlid zuckte, bloß weil sie darauf bestanden hatte, nach dem Warum zu fragen. Genau deshalb hatte sie gefragt. Nur um dieses linke Augenlid zucken zu sehen.

»Weil es ein Befehl ist«, antwortete er.

»Aber du hast von einer Bitte gesprochen. Eine Bitte ist kein Befehl. Ein Befehl ist ein Befehl. Eine Bitte ist eher eine Möglichkeit, also frage ich: ›Warum‹, um festzustellen, ob ich es wirklich tun will. Und ganz ehrlich, es ist …«

»Bruder Gemma!«

Gemma blinzelte. Zweimal. »Ja, Sir?«

Er zeigte auf das Kloster.

»Also ist es doch ein Befehl? Na schön.«

Sie wandte sich an Samuel. »Sieh zu, dass Dolchstoß ein Quartier für die Nacht bekommt, ja, Samuel?«

»Selbstverständlich, Bruder.«

Sie zwinkerte ihm zu, damit er sich keine Sorgen machte – obwohl sie wusste, dass er es trotzdem tun würde –, und eilte auf das Kloster zu.

Alesandro folgte ihr auf dem Fuß, was sie nicht weiter kümmerte. Er benahm sich immer, als wäre sie drauf und dran, die Flucht zu ergreifen. Er schien ständig das Schlimmste von ihr zu erwarten. Sie war sich nicht ganz sicher, warum, abgesehen davon, dass er sie einfach nicht mochte. Das war jedoch seine Entscheidung. Sie wusste, dass nicht jeder sie mochte. Damit kam sie gut zurecht. Sie war ein Kriegsmönch. Sie ritt in die Schlacht und metzelte ihre Feinde nieder, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden. Sie hatte mit der Truppe, die sie anführte, gerade eine ganze Bande von Dieben niedergemetzelt, die schutzlose Dörfer angegriffen hatte. Auf ihrem Gesicht und an ihren Händen klebte immer noch Blut. Wenn solche Dinge in der Welt passierten, warum sollte sie sich darum scheren, ob der Hauptfeldwebel ihres Klosters sie mochte oder nicht? Ihr war viel wichtiger, ob es ihr gelang, ihre Ritter am Leben zu erhalten.

Es war ihr gelungen. Was spielte davon abgesehen schon eine Rolle?

Sie erreichten die Kammer des Heldenmuts, einen der wichtigsten Räume im Kloster, und Gemma trat ein. Sofort machte sie eine Bestandsaufnahme dessen, was sie vor sich sah.

Die Erhabenen Ältesten waren zugegen. Mönche, die bei wichtigen Entscheidungen direkt mit dem Großmeister ihres Ordens zusammenarbeiteten. Außerdem wartete in der Kammer ihre Kampfkohorte: Katla, Kir und Shona. Vom ersten Tag an zusammengeschweißt, hatten die vier seit ihrem Noviziat gemeinsam trainiert, ihre ersten Schlachten zusammen erlebt, waren zusammen im Rang aufgestiegen und standen einander heute so nah, wie vier Menschen das nur konnten, die einander Reste vom Hirn ihrer Feinde aus den Haaren gewaschen hatten.

Zu guter Letzt warteten noch mehrere Generäle auf Gemmas Ankunft, einschließlich der gefürchteten Lady Ragna. Die Mönchsritter nannten sie »Lady« Ragna, weil sie keine Lady war und alle sie hassten. Kein besonders guter Witz, doch das kümmerte nur wenige. Wann immer die Frau kam, verkrümelten sich alle wie Ratten, die von einem brennenden Schiff flohen. Die Einzigen, die nicht wegrannten, waren die Mönchsritter, die man für Ragnas Armee erwählt hatte. Sie hatte ihre eigene Legion, die nur eingesetzt wurde, wenn die Großmeister und Ältesten das verlangten.

Und dann waren da noch Bruder Sprenger und einige seiner Handlanger. Sprenger hasste Gemma, daher war sie überrascht, ihn hier zu sehen. Es sei denn, er hatte eine weitere Beschwerde gegen sie. Im Laufe der Jahre hatte er davon eine ganze Menge gehabt. So viele, dass sie kaum noch darauf achtete. Sie kamen per Schriftrolle, und Gemma musste jedes Mal zuhören, wenn ein General sie darüber in Kenntnis setzte, was sie wieder falsch gemacht hatte. Wenn es vorbei war, packte sie die Schriftrolle in eine Schachtel. Sie plante, eines Tages in diese Schachtel zu pinkeln, aber dieser Tag war noch nicht gekommen. Sie wollte etwas Handfestes haben, auf das sie pissen konnte. Einen richtigen Turm aus Pissschriften.

Gemma nahm ihren Platz neben ihren Waffenbrüdern ein, stellte sich breitbeinig hin und verschränkte die Hände hinterm Rücken. Sie wartete, während einer der Generäle monoton zu schwadronieren begann … über irgendetwas. Sie hörte wirklich nicht zu. Das Leben war zu kurz, um sich so sehr zu langweilen.

Endlich, nach gut dreißig Minuten – sie hatte noch nicht einmal gebadet! Sahen die denn nicht, dass sie gerade von einem weiteren hart erkämpften Sieg in einer Schlacht heimgekehrt war? Hätte all das nicht warten können, bis sie sich das Blut ihrer Feinde aus dem Haar gewaschen hatte? Es war so verdammt klebrig! Sie wünschte sich nichts sehnlicher, als sich mit beiden Händen die Kopfhaut zu kratzen! Also, nach einer geschlagenen halben Stunde kam der General zur Sache.

»An diesem heutigen Tage sind wir Brüder hier versammelt, um euch, die Mitglieder dieser Kampfkohorte, vom Leutnant zum Major zu befördern und jedem von euch die Zuwendungen zuzusichern, die mit besagter Beförderung einhergehen.«

Ach was. Sieh mal an. Sie wurde befördert. Das war nett.

»Bitte, Bruder Shona, Bruder Kir, Bruder Gemma und Bruder Katla, sprecht mir nach …«

»Halt!«, erscholl eine Stimme.

Bruder Thomassin, ein Ältester, schaute von den wichtigen Sendschreiben auf, die er während dieses ganzen langweiligen Martyriums gelesen hatte. »Bruder Sprenger?«

Sprenger trat in die Mitte des Raums und blieb einen Moment dort stehen, was reine Effekthascherei war, bevor er verkündete: »Ich weigere mich, die Beförderung von Bruder Gemma zu billigen.«

Thomassin erhob sich so schnell, dass sein Stuhl zurückschlitterte und beinahe seinen armen Gehilfen umwarf, was tatsächlich irgendwie komisch war, denn der Mann war knapp zwei Meter groß und wog fast dreihundert Pfund. Er hatte in mehr Kriegen gekämpft, als Gemma zählen konnte. Doch das galt auch für Thomassin.

Gemmas Kampfkohorte verbarg ihren Ärger ebenfalls nicht. Sie ließen ihre beim »Vorgesetzten Zuhören« angemessenen Posen fallen und machten sich bereit, mit allen und jedem zu streiten.

Die Einzige, die kaum reagierte, war Ragna. Obwohl sie durchaus feixte. Das Miststück.

»Sie ist nicht reif für eine solche Beförderung, und wenn ihr dennoch darauf besteht«, fuhr Sprenger fort, »werde ich mich gezwungen sehen, dem Großmeister von dieser Angelegenheit zu berichten.«

»Ausgezeichnet«, schoss Thomassin zurück. »Warum gehen wir damit nicht alle auf der Stelle zum Großmeister? Ich bin mir sicher, er würde liebend gern deine Gründe hören, warum …«

»Es ist in Ordnung.«

Die Brüder hörten auf zu streiten und alle starrten sie an.

»Was war das, Bruder Gemma?«, fragte Thomassin.

»Ich sagte, es sei in Ordnung, Bruder Thomassin.« Sie zuckte die Achseln. »Ich warte bis zum nächsten Mal.«

»Nein«, drängte Katla. »Du wirst nicht bis zum nächsten Mal warten. Wir werden jetzt entweder alle befördert oder wir warten alle …«

»Werd nicht hysterisch.«

»Ich bin nicht hysterisch. Ich bin stinksauer.«

»Wenn du jetzt nicht in diesen Rang erhoben wirst«, rief Shona ihr ins Gedächtnis, »wirst du noch mal fünf Jahre warten müssen, bis du wieder dazu berechtigt bist.«

Gemma zuckte die Achseln. »Das sind die Regeln.«

»Wie kannst du damit einverstanden sein?«, fragte Kir. »Ich bin nicht damit einverstanden.«

»Aber ich bin damit einverstanden.« Und das war sie wirklich. Natürlich war der Grund für ihr Einverständnis der, dass …

»Wie ist das möglich?«, fragte Sprenger, der jetzt direkt vor ihr stand und sich zu ihr vorbeugte, um ihr seine Fragen zu stellen. »Verfolgst du irgendeinen finsteren Plan?«

Das war eine extrem seltsame, geradezu irrsinnige Frage. »Was für einen Plan? Was gäbe es denn zu planen?«

»Deine Kampfkohorte wird befördert. Du wirst nicht befördert.«

»Und doch … geht das Leben weiter. Erstaunlich, nicht wahr? Wir hatten zum Beispiel mal ein Schwein …«

»Ein Schwein?«

»Ja. Und Dad hat dieses Schwein geliebt. Er dachte, er würde dessen Tod niemals verwinden. Das Schwein hatte jedoch Ferkel. Und bald merkte er, dass er weitermachen musste. Weil da Ferkel waren, um die er sich kümmern musste. Versteht ihr?«

Gemma ließ ihr Lächeln verblassen, runzelte stattdessen die Stirn und konzentrierte ihren Blick auf seinen Kiefer.

»Bruder Sprenger … ist das da ein Ausschlag?«

»Was?«, fragte er und rückte ein Stück von ihr ab.

»Ja. Genau …« Sie strich sich mit Mittel- und Zeigefinger über ihren eigenen Kiefer. »Hier.«

Er legte sich instinktiv eine Hand über die alte Wunde und sein funkelnder Blick galt ihr und ihr allein. Als ihr Lächeln zurückkehrte, breiter und – da war sie sich sicher – strahlender als zuvor, holte er mit ebenjener Hand aus, als wollte er sie schlagen.

»Bruder Sprenger!«, fuhr Thomassin ihn an und stoppte Sprenger, bevor der etwas tat, das nicht wiedergutzumachen war.

»Ich wollte gerade einen guten Heiler in der Stadt vorschlagen, der bei dieser Art von Ausschlag helfen kann, Bruder«, log Gemma. Sie zuckte die Achseln und sah Bruder Thomassin und die anderen Ältesten an. »Da ich hier nicht länger gebraucht werde …?«

Um Gemmas willen zwar verärgert und frustriert, wollte Thomassin die Situation nicht noch schlimmer machen, als sie bereits war, und entließ sie mit einer knappen Handbewegung.

Gemma zwinkerte ihren Gefährten zu, versprach mithilfe einer eindeutigen Geste, später am Abend ein feierliches Bier trinken zu gehen, und verließ die Kammer des Heldenmuts.

Noch bevor sie jedoch drei Schritte in Richtung der oberen Stockwerke und der Schlafzellen der Brüder getan hatte, packte einer der Gehilfen des Großmeisters sie und trug sie wie einen Sack Roggen in sein privates Arbeitszimmer.

»Ist das notwendig?«, fragte sie den Mann. »Ich hätte laufen können.«

Der Gehilfe klopfte an die Tür des Arbeitszimmers, trug Gemma hinein und stellte sie vor dem Schreibtisch des Großmeisters auf den Boden. Dann verließ er schnell den Raum und zog die Tür hinter sich zu.

»Ich vermute, du wolltest mich sprechen?«

Damit beschäftigt, etwas auf ein Pergament zu schreiben, wies er sie mit einer kleinen Drehung seiner Hand an zu warten. Gemma ging zu den kleinen Statuen hinüber, die in einem der zahlreichen Bücherregale standen, und nahm eine Darstellung des Kriegsgottes Morthwyl heraus, die einer der Mönche aus Stein geschaffen hatte. Obwohl sie in ihren Gebeten zahlreiche Kriegsgötter verehrten und anriefen, war Morthwyl ihre Hauptgottheit. Seinen Namen riefen sie, wenn sie in die Schlacht ritten. An seiner Tafel hofften sie sich zu laben, wenn sie einen ehrenvollen und blutigen Tod gestorben waren.

»Hör auf, damit herumzuspielen.«

Gemma stellte den Kriegsgott, mit dem sie gerade einen anderen Kriegsgott angegriffen hatte, zurück auf seinen Platz im Regal. »’tschuldigung.«

»Ich habe heute eine Prophezeiung gehört.«

»Hast du mit der hübschen blonden Seherin gesprochen? Oder war es die alte Vettel? Oder die mit den zwölf Kindern? Oder die, die gesagt hat, sie hätte ihre Zwillingsschwester gefressen, während sie noch im Schoß ihrer Mutter gewesen sei? Oder die, die über Feuer herrscht?«

»Nein. Es war der Seher Gary, der Zauberer.«

»Ohhh. Ja, natürlich.«

»Er hatte beängstigende Informationen hinsichtlich der Zukunft unserer Bruderschaft. Von denen einige wenig überraschend mit Bruder Sprenger zu tun haben.«

»Aber Sprenger hat damit angefangen.«

Der Großmeister hörte auf zu schreiben und sah von seinem Pergament auf. »Sprenger hat womit angefangen?«

Gemma blinzelte. »Nichts.«

»Gemma.«

»Joshua.«

Da sie allein in diesem Raum waren, konnte sie den Großmeister »Joshua« nennen. Er war von Anfang an ihr Mentor gewesen. Bevor er Großmeister geworden war. Jemand, der sie durch all die harten Zeiten begleitet hatte, der da gewesen war, wenn sie sich nicht sicher gewesen war, ob sie es schaffen konnte. Die Begriffe »Mentor« und »Schülerin« beschrieben ihre Beziehung allerdings nicht richtig; sie ging noch tiefer. Bedeutete das, dass sie Joshuas Vertrauen für selbstverständlich hielt? Nein. Sie würde ihn nie um etwas bitten, was sie nicht zu verdienen glaubte. Noch würde sie ihn bitten, wegen etwas so Lächerlichem wie einem höheren Rang für sie zu kämpfen. Sie verschwendeten ihre Beziehung nicht auf solch einen Schwachsinn. Sie war ihnen beiden zu wichtig.

»Also, was wollte der Seher dir erzählen?«

Er deutete auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch und Gemma ließ sich darauf fallen.

»Der Alte König wird bald sterben.«

»Gut.«

»Ja.«

»Ich schätze aber, das bedeutet, dass einer seiner idiotischen Söhne an seine Stelle treten wird?«

Das war der Moment, in dem Joshua sie lange ansah.

»Was ist?«, fragte sie, als er nicht antwortete.

»Tatsächlich hat der Seher einen anderen Herrscher gesehen.«

»Ui. Interessant. Jemand, für den wir kämpfen können? Oder jemand, den wir werden töten müssen? Ich bin mir nicht sicher, worauf ich hoffen soll. Beide Möglichkeiten klingen faszinierend.«

»Ich habe keine Ahnung, wie ich diese Frage beantworten soll. Denn der Herrscher, den er sieht, Gemma … ist deine Schwester.«

Wahrhaft verwirrt konnte sie nur fragen: »Schwester? Welche Schwester? Ich habe eine Menge Schwestern. Und Brüder und Cousins und Tanten und Onkel …«

»Beatrix.«

Sie schaute ihren Mentor länger an, als es ihre Absicht war. Sie schaute und schaute, bis alles gleichzeitig geschah. Sie brach in ein so heftiges Gelächter aus, dass sie auf dem Boden landete und sich in ihrer blutverschmierten Kutte und ihrem Kettenhemd hin und her wälzte und nur mit Mühe verhindern konnte, dass sie sich obendrein in die Hose pinkelte. Es dauerte eine Ewigkeit, und Gemma konnte sich nicht bremsen, selbst als ihr Tränen übers Gesicht strömten und ihr Gelächter sich in einen verzweifelten Husten verwandelte, bis sie nach Luft rang.

Doch schließlich bemerkte sie, dass Joshua nicht in ihr Gelächter einstimmte. Im Gegensatz zu den meisten Mitgliedern der Bruderschaft fand Joshua hier und da durchaus Gefallen an einem ordentlichen Lacher. Als er also diesmal nicht mitlachte, zwang sie sich, sich wieder hinzusetzen, und fragte, während sie sich die Tränen abwischte und noch ein letztes Mal vor sich hin kicherte: »Du machst Witze, oder?«

Als er nicht antwortete: »Natürlich tue ich das!«, blieb Gemma das Lachen im Hals stecken, und ein Stückchen ihrer Seele starb.

»Beatrix kann nicht Königin werden«, wandte sie ein. »Sie ist noch ein Kind.«

»Um Königin oder König zu sein, muss sie nur aus dem Mutterschoß herausgekommen sein.«

»Dafür ist sie nicht ausgebildet.«

»Dafür, Königin zu sein? Sie könnte ein Kopf in einem Einmachglas sein und trotzdem eine brauchbare Königin.«

»Aber ich hasse sie.«

»Bedauerlicherweise denke ich nicht, dass diese Tatsache eine Rolle spielen wird.«

»Sollte sie. Es sollte das Wichtigste im Universum sein.«

»Du weißt, dass wir Mönche sind, ja? Demut und so.«

»Wir sind nicht nur Mönche«, rief sie ihm ins Gedächtnis. »Wir sind Kriegsmönche. Da gibt es keine Demut. Es gibt Schwerter und Blut und, wenn wir Glück haben, sehr gutes Bier. Was denkst du also, soll ich in Bezug auf meine Schwester unternehmen? Soll ich dafür sorgen, dass meine Eltern sie in ein Nonnenkloster schicken, wie ich es schon seit ihrer Geburt immer wieder vorgeschlagen habe?«

Einmal mehr sah Joshua sie nur an, ohne zu sprechen.

»Was hat dieser Ausdruck auf deinem Gesicht zu bedeuten? Warum starrst du mich bloß an? Was verschweigst du mir?«

»Hier geht es nicht darum, ob deine Schwester ungeeignet ist zu führen, Gemma. Tatsächlich scheint der Seher zu denken, dass Beatrix mehr als bereit sein wird, das Land als Königin zu führen.«

»Oh.« Sie zuckte die Achseln. »Schön. Wo liegt dann das Problem?«

»Es besteht die Sorge darüber, was deine Schwester tun wird, sobald sie an der Macht ist.«

»Weil sie eine Frau ist?« Es hatte noch nie eine Frau gegeben, die in diesen Gegenden als Königin geherrscht hatte. Nur Könige, die in bestimmte Familien hineingeboren worden waren, oder Männer, die bereit gewesen waren, sich die Krone zu nehmen.

»Nein. Weil sie vielleicht keine Seele hat.«

Gemma runzelte die Stirn. »Buchstäblich oder im übertragenen Sinne?«

»Das eine oder das andere oder beides. Das ist an diesem Punkt noch nicht klar. Die Bruderschaft ist jedoch nicht bereit, das Risiko einzugehen.«

Gemma richtete sich auf ihrem Stuhl höher auf und fragte: »Was genau soll das bedeuten?«

Er stützte die Arme auf seinen Schreibtisch. »Es sind bereits Pläne in Gang gesetzt worden.«

»Pläne? Was für Pläne?«

»Deine Schwester zu töten.«

»Du willst meine Schwester töten?«

»Es ist nicht meine erste Wahl, aber ich treffe diese Art von Entscheidungen nicht allein. Und das weißt du auch.«

»Die Ältesten. Sie haben beschlossen, ein Kind zu töten.«

»Sie ist volljährig, Gemma. Und solche Dinge tun wir nun mal.«

»Du kennst meine Familie nicht. Sie werden es nicht zulassen.«

»Das ist genau der Grund, warum du gehen musst. Jetzt sofort. Kehr nach Hause zurück. Rette deine Familie.«

»Aber Thomassin? Bartholemew? Brín? Haben sie dem alle ebenfalls zugestimmt?«

»Es wurde beschlossen, dass es leichter wäre, dich allein nach Hause zu schicken, um deiner Schwester beizustehen, als zu versuchen, den Rest der Ältesten hier von ihrem Plan abzuhalten. Sie würden einfach hinter unserem Rücken agieren. Auf diese Weise hätte deine Schwester mit deiner Hilfe zumindest eine Chance auf Rettung.«

»Aber die Ältesten haben gerade versucht …«

»Dich zu befördern?«

»Ja.« Sie hob die Hände, ließ sie jedoch schnell wieder sinken und seufzte. »Aber Sprenger hat sie daran gehindert.«

Joshua lachte. »Er ist so ein Idiot. Wenn er wüsste, warum sie dich befördern wollten, hätte er es durchgehen lassen. Der Plan sah vor, dass man dich mit deinem schicken neuen Rang auf eine Mission aussendet. Während du fort gewesen wärst –«

»Hätte eine separate Einheit meine Schwester getötet.«

»Bedauerlich, aber zutreffend. Doch ich werde das nicht zulassen. Nichts von alledem. Geh und rette deine Schwester. Versteck sie. Wenn Gras über die ganze Sache gewachsen ist, kann sie entweder Königin werden oder zu ihrem normalen, langweiligen Leben zurückkehren, in dem ihr euch beide weiter hassen könnt.«

»Wenn ich das tue, werde ich damit nicht die Bruderschaft verraten?«

»Du wirst auf meinen Befehl hin fortgehen. Das werden sie begreifen … irgendwann.«

»Oh, jetzt fühle ich mich gleich viel besser.«

Joshua lachte leise. »Was habe ich dir immer gesagt, du verwöhntes Kind?«

»Wir müssen die Dinge schlau angehen«, antwortete sie mit der hohen, schrillen Stimme, die ihn immer zum Lachen brachte.

»Jetzt geh. Dein Knappe wartet mit euren Pferden neben dem verborgenen Tunnel in den Ställen auf dich. So kannst du von hier verschwinden.«

»Samuel kann nicht mitkommen. Das ist ihm gegenüber nicht gerecht.«

»Gemma, er hasst es, hier zu sein. Er würde lieber sein Leben mit dir aufs Spiel setzen, als hier in Sicherheit zu bleiben.«

»Ich kehre auf die Familienfarm zurück, Joshua«, antwortete sie und stand auf. »Ich bezweifle, dass dort große Gefahren lauern, solange die Schweine meines Vaters nicht wieder aus dem Stall ausbrechen und Jagd auf die Kinder machen.«

Kapitel 1

Zwei Jahre später …

Gemma Smythe wehrte mit ihrem erhobenen Schild das Schwert ab, das immer wieder darauf eindrosch. Als die Hiebe schwächer wurden, holte sie mit dem Schild aus und schlug zu. Der Soldat, der sie angriff, wurde weggeschleudert, und Gemma rückte nach und rammte ihm ihr Schwert in die Seite. Sie riss es heraus und stieß wieder zu, diesmal in seine Eingeweide. Sie schlitzte ihn auf und ließ seine Innereien herausquellen, bevor sie ihm in die Brust trat und er forttrudelte.

Ein weiterer Angreifer rutschte in den Eingeweiden seines Freundes aus und ging zu Boden. Gemma erledigte ihn schnell und schlug ihm den Kopf ab. Dann kickte sie dem Soldaten dahinter diesen Kopf als Ablenkung ins Gesicht. Sie wandte sich ab, sobald ihre eigenen Soldaten den Mann umzingelten und erledigten.

Gemma wischte sich Blut aus den Augen und verschaffte sich einen Überblick über die Schlacht um sie herum.

Verärgert, als sie nicht das sah, was sie sehen wollte, brüllte Gemma: »Findet den Herzog und seine Gemahlin! Wenn sie hier sind, schafft sie her!«

Die ihr unterstellten Soldaten eilten davon, um ihre Befehle auszuführen, doch die Amichai, deren Loyalität jetzt Keeley gehörte, umzingelten sie plötzlich, ihre Kriegskilts, ihre Waffen und sie selbst mit dem Blut und den Eingeweiden des Feindes besudelt.

Sie betrachtete die Gruppe um sie herum, bevor sie gelassen den Amichai rechts neben sich fragte: »Was zum Teufel macht ihr hier?«

Dieses Lächeln. Dieses Lächeln, das sie mit solchem Ingrimm verabscheute, blitzte auf. »Wir beschützen dich, meine Prinzessin.«

»Wenn du mich noch einmal so …«, warnte sie ihn mit zusammengebissenen Zähnen, woraufhin sein Lächeln bloß noch breiter wurde. Sie zwang sich, sich zu beruhigen. »Ihr solltet Keeley beschützen, nicht mich.«

»Aber sie hat uns zu dir geschickt, Mylady. Sie macht sich große Sorgen um deine Sicherheit, und wir sind hier, um zu dienen und zu beschützen. Wir wollen doch nicht, dass ihre Schwester in einem solch zarten Alter dahingerafft wird, nicht wahr?«

Gemma betrachtete dieses eine Wesen, das sie kaum ertragen konnte. »Warum?«, fragte sie ihn. »Warum reißt du dir ein Bein aus, um mich zu ärgern?«

»Ich befolge Befehle. Ist das nicht das, was du mir aufgetragen hast? Befehle befolgen? Aufs Wort gehorchen, glaube ich, lautete deine Anweisung.«

Er spielte dieses Spiel, ja? Ein Spiel, das sie selbst schon einige Male gespielt hatte, als ein Mönch aus einem anderen Kloster versucht hatte, ihren Orden zu übernehmen. Solche Mönche dachten immer, sie wüssten es besser und dass ihre Befehle wichtiger seien als die ihres Großmeisters. Es war Gemma ein Vergnügen gewesen, sie zu Fall zu bringen, einfach indem sie ihre Befehle befolgt hatte … mit größter Bosheit.

Doch der Amichai war ungerecht. Sie war nicht irgendein raffgieriger Mönch, der Macht an sich reißen wollte. Sie versuchte lediglich, Keeley zu beschützen, ihre älteste Schwester. Die götterverdammte Königin. Zumindest eine der Königinnen.

In einem Land, das noch nie von einer Königin regiert worden war, gab es jetzt auf einmal zwei davon. Königin Beatrix, die an der Seite ihres Gemahls, König Marius, herrschte, und Königin Keeley, die an niemandes Seite herrschte.

Es schien, als hätte Gary der Seher in Bezug auf Beatrix recht gehabt. Sie war ein seelenloses Miststück, das alles getan hätte, um Königin zu werden, selbst wenn das bedeutete, ihre ganze Familie auszulöschen. Zum Glück für die Familie und für das Volk hatte Keeley nicht die Absicht, das geschehen zu lassen.

Im Augenblick teilte ihre Welt sich in Ost und West. Keeley war die Königin der westlichen Länder, einschließlich der Hügelländer. König Marius herrschte über den Osten.

Viele glaubten, Beatrix sei lediglich ein königlicher Mutterschoß, in den Marius seinen Samen pflanzen wollte, aber Beatrix und Keeley wussten es besser. Ihre Schwester hatte all das nicht getan, um auf die wahre Macht der Krone zu verzichten. Sie würde einfach einen Weg finden müssen, ihren Gemahl zu manipulieren, so wie sie alle anderen in ihrem Leben manipulierte.

Gemma zweifelte keine Sekunde daran, dass ihre jüngere Schwester bereits einen Weg gefunden hatte, das einzufädeln. Sie konnte sich im Moment jedoch keine Sorgen um Beatrix machen. Nicht mitten in einem Kampf, in dem ein Idiot sie angrinste.

»Nein«, erklärte Gemma schließlich und zeigte über das Schlachtfeld auf die einzige Königin, die sie in dieser Sekunde interessierte. Die, die sich weigerte, Vernunft anzunehmen und auf königlichem Gebiet zu bleiben, wie Gemma es mit Nachdruck vorgeschlagen hatte. Die, die damit beschäftigt war, ihren lächerlichen Hammer zu schwingen, während Soldat um Soldat sie angriff; jeder von ihnen hoffte, derjenige zu sein, der die Königin zur Strecke brachte und die Belohnung einheimsen konnte, die die verbliebenen Söhne des Alten Königs ihnen versprochen hatten. »Siehst du nicht, dass die Königin in Gefahr ist?«

»Mein Bruder und meine Schwester kämpfen an ihrer Seite. Was könnte sie noch mehr brauchen? Außerdem waren ihre Befehle ziemlich klar, Prinzessin. Sie wollte, dass ich dich beschütze. Dich armes, schwaches Ding.«

Wenn sie kein Schwert in den Fingern gehalten hätte, hätte sie ihn erwürgt. Doch stattdessen benutzte sie ihren Ärger, um eine Schneise durch die tobende Schlacht zu schlagen und direkt auf ihre Schwester zuzugehen, Königin Keeley von den Hügelländern.

»Ey!«, brüllte sie ihre königliche Majestät an. »Hast du den hier zu mir geschickt?«

Keeley Smythe, Gemmas älteste Schwester und einstmals Herrscherin über sämtliche der elf Sprösslinge ihrer Eltern, drosch mit ihrem Lieblingshammer auf den feindlichen Kommandanten ein.

»Keeley!«

Keeleys massige Schultern zuckten vor Überraschung, und sie riss ihre Waffe hoch, worauf frische Blutspritzer in Gemmas Richtung flogen. Gemma war jedoch flink und trat zur Seite, sodass das Blut nicht sie, sondern den Amichai mitten im Gesicht traf. Sein funkelnder Blick war das alles wert.

»Hm?«, fragte Keeley und trat von der zerschmetterten Brust ihres Gegners weg. »Weshalb brüllst du mich an?«

Gemma schwang ihr Schwert nach Quinn vom Clan der Vernarbten Erde und genoss es, wie sein Kopf zurückzuckte, als die Klinge diesem hübschen, aber blutverschmierten Gesicht ein wenig zu nah kam.

»Ich sagte, hast du den hier zu mir geschickt?«

»Du warst ganz allein.«

»Und du hast gedacht, er könnte helfen?«

»Ich bin durchaus hilfreich«, warf der Amichai ein.

Die Schwestern sahen ihn an und dann wieder einander.

»Was ist hier wirklich los?«, fragte Gemma Keeley.

»Wovon redest du?«

»Du schickst diesen Idioten zu mir …«

»Das ist ein wenig gemein«, murrte er.

»Du hast mir nichts von der heutigen Schlacht erzählt …«, führte Gemma weiter aus.

»Nun …«

»Und wo ist mein Bataillon?«

»Das fragst du jetzt erst?«

»Was soll das denn heißen?«

»Du wirkst angespannt«, sagte ihre Schwester. Sie trat einen Schritt zurück und musterte Gemma von Kopf bis Fuß. »Deine Schultern sind verspannt. Dein Nacken steif. Du machst wieder diese Sache mit deiner Haltung. Willst du, dass ich das für dich in Ordnung bringe?«

Gemma würde ihre Schwester niemals verstehen.

»Ich bin kein Pferd!«, blaffte sie.

Keeley runzelte die Stirn. »Ähm … ich weiß. Moment mal … oder doch? Ist es das, was du sagen willst?«

Der Amichai schnaubte und wandte sich schnell ab, damit Keeley ihn nicht lachen sah. Gemma konnte sie nur anstarren.

»Was?«

»Es wäre möglich. Ich war zu jung, um mich an deine Geburt zu erinnern. Vielleicht hat Mum dich einfach hereingeschmuggelt.«

»Ich will sagen, dass du mich nicht einfach in Ordnung bringen kannst, weil ich keins von deinen verdammten Pferden bin!«

»Oh! Das meinst du.«

»Was hast du denn gedacht, was ich meine?«

»Das weiß ich wirklich nicht. Die Dinge mit dir waren … schwierig. Seit … nun …« Sie deutete auf Gemma, und Gemma schaute auf das Kettenhemd und die Teile der Rüstung hinunter, die ihre Mutter vor vielen Monaten für sie angefertigt hatte.

Sie sah Keeley an. »Seit … wann?«, hakte sie nach.

»Ähm …« Keeley schaute zu Quinn hinüber, doch der wandte sich schnell wieder ab.

»Ich bin an diesem Gespräch nicht beteiligt«, erklärte er den Schwestern. »Stattdessen blicke ich vielsagend in …« Er streckte seinen linken Arm und vier seiner Finger aus, nur den Daumen versteckte er in der Handfläche … »Diese Richtung.«

»Seit wann?«, drängte Gemma, die das Schlachtgetümmel um sie herum inzwischen ignorierte.

»Seit …« Abermals machte Keeley eine Geste auf Gemmas ganzen Körper hin. »Dem da.«

Gemma wollte, dass ihre Schwester es aussprach. Laut aussprach. Sodass alle es hörten.

»Dem da? Was ist das da?«

»Du weißt schon.«

»Nein. Ich habe keine Ahnung.«

»Ähm …«

Keeley griff plötzlich hinter sich, und als sie den Arm wieder nach vorn riss, hatte sie damit ihre Cousine Keran gepackt. Keran war mehr als ein Jahrzehnt älter als die beiden Schwestern und eine Art schwarzes Schaf, weil sie keine Schmiedin war wie die übrigen Verwandten auf der mütterlichen Seite der Familie. Stattdessen gehörte sie einer Kämpfergilde an. Sie trug die Narben dieser Jahre mit großem Stolz – denn sie lebte noch. Es war ihr sogar gelungen, in den Ruhestand zu treten, solange sie noch selbst stehen und gehen konnte. Das war fast unerhört, wenn es um Kämpfergilden ging.

»Zeit für ein Bier?«, fragte Keran, als sie vor ihren Cousinen stand.

»Nein«, fuhr Gemma sie angewidert an. »Wir sind noch nicht fertig.«

»Oh. Was wollt ihr dann? Ich war gerade mitten beim Töten.«

»Du sollst offenbar aussprechen, was Keeley sich nicht auszusprechen traut, weil sie zu große Angst hat.«

»Keeley hat niemals Angst, etwas auszusprechen. Erst heute Morgen hat sie eure Mum gefragt, ob sie wieder schwanger sei oder ob ihr Hintern einfach breiter würde. Ich kenne niemanden sonst, der mutig genug wäre, eure Mutter zu fragen, ob ihr Arsch breiter wird.«

Gemma schob sich an Keran vorbei, um ihre Schwester anzusehen. »Sag mir, dass diese Frau nicht schon wieder schwanger ist.«

»Ich glaube, ihr Hintern wird einfach breiter.«

Erleichtert trat Gemma einen Schritt zurück und sagte zu Keran: »Nun, irgendetwas will sie mir jedenfalls nicht sagen, weil sie Angst hat.«

»Dass du dauernd alle anknurrst? Alle anfauchst? Dass in letzter Zeit niemand mehr richtig mit dir reden kann?«

»Das ist eine beachtliche Liste, Cousine.«

»Oder reden wir hier von der Trinkerei?«

»Von der Trinkerei?«

Wenn man bedachte, dass allabendlich Wetten unter den Soldaten abgeschlossen wurden, wie schnell die Cousine der Königin einen Humpen Bier herunterkippen konnte, war Gemma ein wenig gekränkt, dass jemand ihr gelegentliches Gläschen kritisierte. Insbesondere, wenn die Kritik ausgerechnet von dieser götterverdammten Keran kam!

»Jetzt aber!«, feuerte Keeley sie an.

»Oh, Moment mal«, fuhr Keran fort. »Oder geht es hier um …«

»Uuund danke, Keran!«, sagte Keeley und schleuderte ihre Cousine lässig wieder in die tobende Schlacht zurück.

Ihre Cousine war keine kleine Frau, doch sie flog wie ein Blatt im Wind, landete auf den Füßen und drosch sofort mit ihrer Axt auf den nächstbesten feindlichen Soldaten ein, ohne aus dem Tritt zu kommen.

Gemma ging ganz dicht an ihre Schwester heran und hob das Kinn, damit sie zumindest versuchen konnte, Keeley in die Augen zu sehen. »Meine Trinkerei? Welche Trinkerei?«

»Weißt du, was du jetzt wirklich für mich tun musst, Schätzchen?«, fragte Keeley mit ihrem breiten Lächeln und ihrem entzückenden Charme. Sie zeigte auf die Burg des Herzogs. »Schau dort hinein. Stell fest, ob der Herzog und die Herzogin irgendetwas für uns zurückgelassen haben.«

»Du versuchst bloß, mich loszuwerden.«

»Würde ich dir das antun?«

»Tatsächlich …«

Die Königin ließ sie nicht ausreden. Sie wirbelte herum und schubste sie, sodass Gemma in Richtung Burg stolperte.

Es war demütigend.

»Warum bist du wieder hier?«, fragte Caid seinen Bruder Quinn.

»Ich habe Prinzessin Zickenbein im Auge behalten, wie die Königin mich gebeten hatte. Aber sie hat miese Laune. Ich wäre in einer Kampfgrube besser dran, unbewaffnet und nackt.«

»Ich dachte nicht, dass sie heute kommen würde.«

»Anscheinend hat sich dieser Plan geändert und der Feind büßt seitdem dafür. Sie hat den ganzen Tag lang Köpfe abgeschlagen. Es sollte mir eigentlich nichts ausmachen, doch es kommt mir so sinnlos vor.«

Caid zuckte die Achseln. »Wenigstens ist sie auf unserer Seite.«

»Tut mir leid, euch zwei zu stören«, sagte ihre Schwester Laila, während sie mit einem Speer ihre Feinde abwehrte. »Macht es euch beiden etwas aus mitzuhelfen, die Königin am Leben zu erhalten? Sie ist dort drüben ganz allein!«

Quinn und sein Bruder blickten zu Keeley Smythe hinüber, Königin der Hügelländer.

Sie schwang ihren Hammer im großen Bogen und fällte drei angreifende Soldaten. Dann hob sie ihren Hammer hoch über den Kopf und spannte gewaltige, schweißbedeckte Muskeln an, als sie die Waffe niedersausen ließ und den nächsten Soldaten in den Boden rammte. Als sie den Kopf ihres Hammers in der Brust eines weiteren Soldaten versenkte – und die stählerne Rüstung, die diese Brust geschützt hatte, völlig zerknautschte –, sahen die Brüder wieder ihre Schwester an.

»Machen wir uns Sorgen um sie?«, fragte Quinn seine Schwester. »Wirklich?«

Laila, die gerade einen Soldaten durch seinen Helm hindurch aufspießte, schimpfte: »Na schön, hört zu. Ihr zwei scheint zu vergessen, wem ihr tatsächlich untersteht, da du« – sie zeigte mit ihrem blutverschmierten stählernen Speer auf Caid – »das Glück hast, die Königin zu vögeln. Und du« – sie deutete nun auf Quinn – »das Glück hattest, von der Königin bisher nicht hingerichtet zu werden. Also sage ich es ganz deutlich: Die Einzige, von der ihr beide Befehle entgegennehmt … bin ich.«

»Weil du Mutters Erbin bist? Oder weil du Vaters Liebling bist?«

»Beides, weshalb ich über euch zwei herrsche wie ein Gott.«

»Sie wird eines Tages eine Tyrannin sein«, brummte Quinn in Caids Richtung.

»Also, Caid, geh zu Keeley. Und ihr da drüben begleitet ihn«, befahl sie und gab den anderen Amichai, die in der Nähe kämpften, ein Zeichen. »Und Quinn …«

»Bitte, schick mich nicht zu …«

»Du gehst mit Gemma.«

Er ließ den Kopf hängen. »Sie hasst mich. Ich sage das nicht leichthin. Ich meine, sie hasst mich wirklich.«

»Du liebst es, wenn andere dich hassen.«

Er zuckte die Achseln. »Stimmt.«

»Dann geh. Und sei vorsichtig. Wir sind hier noch nicht fertig.« Seine Schwester sah sich mit verengten Augen um. »Irgendetwas fühlt sich falsch an.«

Seine Schwester irrte sich nie in solchen Dingen. Sie war eine Zentaurin, und wie jedes Herdentier hatte sie ausgeprägte Sinne, die sie schützten und am Leben erhielten. Sie konnte Gefahr im Wind riechen und Ärger durch ihre Hufe erspüren.

Also hörte Quinn auf, ihr Fragen zu stellen, und folgte der angespannten Prinzessin, die ihre Feinde so brutal misshandelte. Er machte sich wirklich Sorgen, dass ihre eigene Schwester sie eines Tages vielleicht wegen Kriegsverbrechen verurteilen würde.

Gemma erkämpfte sich ihren Weg durch die Schlacht bis zu den offenen Toren der Burg des Herzogs. Sie wurden nicht von dieser königlichen Armee belagert, weil er und seine Frau sich auf die Seite von Königin Beatrix und ihrem idiotischen Gemahl gestellt hatten, sondern weil sie eine Armee ausgehoben hatten, um in dem bevorstehenden Krieg zwischen den beiden Königinnen behilflich zu sein. Das war etwas, was nicht einmal Keeley durchgehen ließ.

Womit Gemma nicht gerechnet hatte, war jedoch der Umstand, dass Keeley Herzog Reinhold vorbeugend angriff, statt abzuwarten, bis er seine Macht ausgebaut hatte. Keeley war Diplomatie normalerweise lieber als Krieg. Vielleicht hatte ihre Mutter etwas zu ihr gesagt, denn als Gemma morgens aufgewacht war, waren ihre Schwester und ihre Armee bereits dabei gewesen auszurücken.

Warum Keeley Gemma nicht früher über ihre Entscheidung in Kenntnis gesetzt hatte, wusste Gemma immer noch nicht, und ihr Gespräch eben mit Keran hatte die Dinge nicht besser gemacht. Das Bataillon, das Gemma unterstand, war immer noch mit der Familie auf der heimischen Farm. Gemma hätte es jedoch vorgezogen, wenn es hier gewesen wäre. Sie hatte die Soldaten genau für diese Art von Kampf ausgebildet. Schnell und unerbittlich im Schutz der Dunkelheit anzugreifen und ihren Feinden keine Zeit zu lassen, eine anständige Defensive oder Offensive aufzubauen. Es war eine brutale, unfaire Taktik, aber wenn sie gegen Beatrix und den Sohn des Alten Königs gewinnen wollten, mussten sie aufhören, wie rechtschaffene Zivilisten zu denken.

Ein hysterischer Soldat rannte schreiend auf sie zu, und Gemma drehte sich leicht, riss ihr Schwert schräg hoch und schlitzte den Mann von der linken Schulter durch einen Teil der Brust und bis zur anderen Seite seines Halses auf. Der Kopf des Mannes – und ein großer Teil seines Oberkörpers – klappten nach oben weg, während der Rest seines Körpers fiel, noch bevor er bei ihr ankam.

Gemma rammte ihr Schwert in einen anderen nahenden Soldaten und stieß ihn aus dem Weg. Sie eilte weiter und betrat die Burg, ohne dass irgendeiner der anderen feindlichen Soldaten ihr folgte. Sie hatte erwartet, dass auch in der Burg gekämpft würde. Dass Männer den Herzog und seine Familie verteidigten. Sie begriff jedoch schnell, dass die Adeligen eilends aus ihrem Heim geflohen waren, wahrscheinlich um sich in Beatrix’ Gebiete zu begeben.

Obwohl Gemma den Herzog gern in die Finger bekommen hätte, war diese Situation doch erträglich. Keeleys Armee dezimierte die Armee des Herzogs zusehends und ohne seine Soldaten würde er Beatrix und ihrem Gemahl nur wenig nützen. Das funktionierte ebenso gut wie eine Gefangennahme des Herzogs.

Gemma hielt ihr Schwert bereit und ging durch die verlassene herzogliche Burg. Sie hatte keine Verwendung für die Dinge, die er zurückgelassen hatte. Einige Gegenstände aus echtem Gold, Stahl und Silber würde man ihrer Mutter bringen, damit die Schmiedin Waffen daraus fertigte. Gemma suchte jedoch nach mehr. Sie suchte nach Informationen. Nach allem, was ihnen in ihrem anhaltenden Kampf gegen Beatrix helfen konnte.

Tief im Innern der Burg fand sie einen Raum mit mehreren großen Tischen. Darauf lagen Landkarten und Sendschreiben auf Pergament zwischen dem Herzog und König Marius, auch bekannt als Marius der Hasserfüllte. Unwillkürlich und widerstrebend machte Gemma sich einmal mehr Sorgen um Beatrix, die jetzt die Ehefrau eines Mannes war, der berüchtigt für seine Brutalität und Herzlosigkeit war. Es ärgerte sie, dass sie das überhaupt interessierte. Denn offensichtlich hatte Beatrix sich nicht um ihre Familie geschert, als sie Keeley ihre Klinge in den Bauch gerammt hatte. Ihrer eigenen Schwester. Und wofür? Für eine Chance, Königin zu sein? Keeley hatte ihr ganzes Leben damit zugebracht, für Beatrix da zu sein. Für sie zu sorgen, ihr Geld zu geben, sicherzustellen, dass sie alle Bücher bekam, die sie sich möglicherweise wünschte, und, was das Wichtigste war, die offensichtliche Tatsache zu ignorieren, dass Beatrix ein bösartiges Miststück war, das man längst auf dieselbe Weise hätte umbringen sollen, wie sie auf ihrer Farm kranke Schweine umbrachten.

Doch obwohl sie all das wusste, ertappte Gemma sich immer noch dabei, dass sie sich um Beatrix sorgte. Sich wegen des Lebens sorgte, das sie an der Seite eines Mannes wie Marius führte. Und sich ein wenig dafür hasste, dass sie überhaupt einen Scheißdreck darauf gab. Beatrix verdiente Gemmas Sorge nicht. Sie verdiente nichts als eine Klinge in ihren Hals. Nicht dass Keeley das jemals zulassen würde.

»Wir sollten diese Burg niederbrennen«, erklang eine Stimme hinter ihr, »damit sie nie mehr zurückkehren können.«

Gemma packte ihre Klinge fester, drehte sich jedoch nicht um.

»Ich wünschte, du würdest aufhören, dich an mich heranzuschleichen.«

»Ich habe mich nicht an dich herangeschlichen. Es sind meine Beine.«

Verwirrt über diese Bemerkung drehte sie sich endlich zu Quinn um.

»Was?«

»Es sind meine Beine.« Er betrachtete die langen, muskulösen Beine, die unter dem ledernen Kilt hervorlugten, das jeder kampfbereite Amichai trug. Beide Beine waren mit kleinen Narben übersät, aber an seinem linken Bein zog sich eine sehr lange, sehr gezackte Narbe von seiner Kniekehle vorn über seinen Oberschenkel hinauf, bis sie unter seinem Kilt verschwand. »Wenn ich nur zwei habe, scheine ich mich sehr leichtfüßig zu bewegen. Dann hört man praktisch nichts von mir.« Er betrachtete Gemma lange, bevor er fortfuhr. »Wenn ich allerdings die beiden anderen hinzufüge – und die Hufe natürlich –, dann mache ich plötzlich viel mehr Lärm, als mir lieb ist. Es sei denn, ich umwickele meine Hufe mit Stoff. Dann sind meine Schritte leiser.«

Er brach abermals ab … und schaute sie an, bevor er seinen kleinen Vortrag beendete: »Ich bin immer wieder überrascht, dass ihr Menschen nicht leiser seid, wenn ihr euch bewegt. Ihr habt doch bloß zwei Beine. Wie schwer kann das denn sein?«

Es war immer noch befremdlich für sie. Selbst jetzt. Diese Art von Gesprächen mit den Amichai zu führen. Laut auszusprechen, dass sie nicht menschlich waren. Sie waren Zentauren, die lediglich eine menschliche Gestalt annahmen, wenn sie es wünschten. Manchmal ging Gemma in das Schlafgemach ihrer Schwester und fand Caid vom Clan der Vernarbten Erde dort vor, der sich über irgendeine Kleinigkeit beschwerte, während sein langer schwarzer Schweif nach einer der streunenden Katzen schlug, die über die Burgmauern pirschten und sich gern an die Schweife der Amichai hängten. Er schien gar nicht zu bemerken, dass er es tat. Noch bemerkte er die kleinen Kätzchen, die an seinen Pferdebeinen hinaufkletterten. Und Keeley, die auf dem Bett saß und sich seine Beschwerden anhörte und ein Zicklein streichelte, schien weder das eine noch das andere zu bemerken oder sich darum zu scheren. Das war der Moment gewesen, in dem Gemma begriffen hatte, dass das Leben innerhalb des Smythe-Clans sich wirklich und wahrhaftig verändert hatte.

»Du folgst mir also immer noch?«, fragte sie Quinn, dessen weißblondes Haar ihr oft das Gefühl gab, die Götter hätten sich ein Bein ausgerissen, um ihn zu dem genauen Gegenteil seines schwarzhaarigen Bruders Caid zu machen.

»Ich bin nur hier, weil man mir befohl…«

»Wenn du noch ein einzigesMal ›befohlen‹ sagst …«

»Also darf ich nicht ›befohlen‹ oder ›Prinzessin‹ sagen? Und doch bist du eine Prinzessin, der zu folgen mir befohlen wurde.«

Gemma ging um ihn herum. »Verpiss dich, Amichai. Ich habe keine Zeit für dich oder …«

Gemmas Beschwerde verklang, als der Amichai an ihr vorbeitrat, stehen blieb und den Kopf zuerst in die eine Richtung, dann in die andere neigte. Er hörte etwas. Versuchte, das Geräusch zu orten.

»Hier entlang«, rief er, bevor er loslief.

Gemma folgte ihm sofort. Gemeinsam drangen sie tief in die verlassene Burg vor, durchquerten den Küchentrakt und fanden einen Ausgang hinaus aufs freie Feld. Eine gefährliche Sache, keinerlei Schutz wie einen kleinen, ummauerten Hof im Rücken zu haben.

Sie blieb neben Quinn stehen und ließ den Blick über die grasbewachsene Landschaft wandern, bis sie ihn sah. Seine leuchtend gelbe Kutte flatterte, während er verzweifelt auf die Burg zulief, hinter ihm ein Mann auf einem Pferd, der ihn jagte. Er schwang eine große Axt, um dem Läufer den Kopf abzuschlagen.

»Kennst du einen der beiden?«, fragte Quinn sie.

»Der in der Kutte ist ein Mönch. Ein friedlicher Orden, der niemandem etwas zuleide tut. Die Rüstung des anderen Mannes erkenne ich nicht.«

»Das reicht mir«, sagte Quinn und nahm den Langbogen zur Hand, den er um seine Brust geschnallt hatte, sowie einen Pfeil aus dem ledernen Köcher, der von seinem Schwertgürtel hing. Er spannte den Pfeil ein, zielte und schoss.

Es war ein Volltreffer, ein Schuss in die Brust, der den Reiter sofort von seinem Pferd riss.

So sehr Quinn sie auch nervte, konnte Gemma das Talent des Amichai im Umgang mit einem Langbogen nicht leugnen, ein Talent, dem nur das seiner Schwester gleichkam, die einen Kompositbogen benutzte, als wäre er eine Verlängerung ihres Arms.

Trotzdem hatte Gemma nicht die leiseste Absicht, Quinn davon irgendetwas zu verraten. Er war so schon arrogant genug.

Gemma nahm zwei Finger in den Mund und pfiff. Schnell, als hätte es nur auf ihren Ruf gewartet, kam Gemmas Pferd durch die Burg und hinaus auf die Wiese getrabt und blieb direkt neben ihr stehen.

Dolchstoß warf seine schwarze Mähne zurück, die zu vier dicken Zöpfen geflochten war, damit sie ihm während der Schlacht nicht im Weg war, und stampfte mit seinem Vorderhuf auf. Sie schwang sich mühelos auf seinen Rücken und schnalzte einmal mit der Zunge. Dolchstoß galoppierte auf den hysterischen Mann zu, der immer noch in ihre Richtung rannte. Als sie näher kamen, hörte Quinn seine Hilfeschreie, als der Mönch stolperte, fiel und sich dann wieder hochrappelte.

Gemma erreichte ihn als Erste und als sie stehen blieb, fiel der Mann neben ihr auf die Knie.

»Bitte! Tut mir nichts! Bitte! Ich bin ein Friedensmönch! Ich bin ein Friedensmönch!«, schrie er. Bettelte.

Gemma starrte auf ihn hinunter.

»Ich weiß, was du bist, Bruder. Ich werde dir nichts tun. Kein Soldat sollte dir etwas tun. Sie sollten nur zur Heilung und Pflege in euer Kloster kommen. Als Zufluchtsort.«

Der Mönch, der immer noch auf dem Boden kniete, schüttelte den Kopf.

»Sie haben sie alle getötet!«, kreischte er. »Alle! Sie haben jeden Einzelnen getötet!«

Gemma wandte den Blick ab und zog die Brauen zusammen, ihre blauen Augen dunkel, ihre Miene undeutbar. Quinn beobachtete sie genau, neugierig, was sie tun würde. Wenn Mönche verschiedener Orden durch ihre Stadt reisten, war Gemma meist nicht gerade freundlich. Bestenfalls ignorierte sie sie einfach. Schlimmstenfalls gab es hässliche Kämpfe in den nahe gelegenen Tavernen, die damit endeten, dass sie am nächsten Tag zusammengeflickt werden musste und sich weigerte, über die Gründe für die Rauferei zu reden.

Das hier fühlte sich jedoch anders an.

Einen Moment später schaute Gemma über ihre Schulter und gab einer Einheit von Keeleys Soldaten ein Zeichen.

»Ihr da!«, rief sie. »Zu uns!« Gemma streckte die Hand aus und der Mönch ergriff sie. Sie zog ihn auf Dolchstoß’ Rücken und trieb das Pferd vorwärts. Quinn folgte ihr.

Als sie das nahe Kloster erreichten, ließ der Mönch sich sofort von Dolchstoß heruntergleiten. Er ging vor, um die Türen zu öffnen, ließ sich in seiner penetrant fröhlichen, leuchtend gelben Kutte wieder auf die Knie fallen, presste die Hände zusammen, schaute konzentriert in den strahlenden Himmel über ihnen und stieß Gebete aus, die bloß geschluchzte, an seinen Gott gerichtete Schreie waren.

Quinn, der nicht wusste, wie er darauf reagieren sollte, ging ohne ein Wort an ihm vorbei und betrat das Kloster.

Gemma war ihm bereits zuvorgekommen und stand in der Haupthalle. Sie hatte sich auf ein Knie niedergelassen, die Spitze ihrer Klinge auf den steinernen Boden gedrückt; mit der rechten Hand umklammerte sie den Knauf und hatte den Kopf zum Gebet gesenkt.

Er verstand, warum. Es war eine normale Reaktion für jemanden, der sein Leben den Göttern geweiht hatte, was auf sie zutraf. Obwohl das in den letzten vierzehn Monaten kaum jemand bemerkt hätte. Er erinnerte sich deutlich an jenen Morgen, an dem er an ihrem Schlafzimmer vorbeigegangen war und gesehen hatte, wie sie ihre Mönchskutte, ihr Kettenhemd und ihre Waffen in eine Truhe am Fußende ihres Bettes gepackt hatte. Ihre Mutter hatte sie damals vollkommen neu ausgestattet, mit einer eigens für sie von der berühmten Schmiedin angefertigten Ausrüstung, aber es war nicht dasselbe, nicht wahr? Sie in bloßer Kriegergewandung zu sehen. Jedenfalls war es für Quinn nicht dasselbe. Er war daran gewöhnt, die Schwester der Königin in ihrer schwarzen Kutte zu sehen, deren Vorder- und Rückseite die blutrote Rune schmückte, und in ihrem exquisit gefertigten Kettenhemd, das sie als Kriegerin eines Gottes auswies.

Quinn wusste nicht, was geschehen war. Was sie dazu veranlasst hatte, ihre Kutte abzulegen und aufzuhören, auf den Titel »Bruder Gemma« zu reagieren, und er fragte sie nicht danach. Obwohl er es liebte, sie zu ärgern, hatte es sich nie richtig angefühlt, sich über so etwas lustig zu machen. Götter waren eine persönliche Angelegenheit.

Sie jedoch auf einem Knie zu sehen, ihr Schwert fest in der Hand, den Kopf gesenkt … in ihrer Kutte oder ohne sie, da wusste Quinn, dass sie ihre Götter nicht wirklich hinter sich gelassen hatte. Wie hätte sie das auch tun können, wenn sie mit etwas Derartigem konfrontiert war?

Denn sie waren alle tot. Ausnahmslos. Jeder Mönch im Kloster war tot, ihre zerschundenen und blutenden Leiber hoch aufgetürmt mitten in der Halle. Einige waren an Säulen gefesselt und von Armbrustbolzen durchlöchert. An den meisten Leichen war zu erkennen, dass die Angreifer sie gefoltert hatten, bevor sie gestorben waren.

Da war so viel Blut. So viel Blut hatte er bisher nur auf Schlachtfeldern gesehen.

Gemma beendete ihr Gebet, stand auf und drehte sich zu ihm um.

»Diese Mönche«, sagte sie leise, aus Respekt vor den Toten, »waren genau wie der da draußen keine Kriegsmönche. Es waren Friedensmönche. Sie waren hier, um den Schwachen und Leidenden zu helfen. Dieser Ort war eine Zuflucht für jeden, der herkam und Hilfe brauchte. Selbst der Alte König hat niemals diese Grenze überschritten. Und er war bekannt dafür, fast jede Grenze überschritten zu haben.«

»Warum sollten deinesgleichen so etwas tun?«

Sie schüttelte den Kopf. »Ich kann nicht das Verhalten anderer Menschen erklären, Amichai.«

Er reagierte mit einem Stirnrunzeln auf ihre Antwort. »Ich meine das nicht im philosophischen Sinne, Frau. Ich meine, warum haben sie das getan? Jetzt?«

»Oh!« Gemma sah sich um. »Tja, das weiß ich nicht. Vielleicht, weil sie es konnten. Wegen des tobenden Machtkampfes im Land haben sich die Angreifer gedacht, sie könnten sich alles nehmen, was sie an Gold und Silber finden konnten.«

»Du denkst, das hätten Diebe getan?«

»Denkst du das nicht?«

»Diebe kommen normalerweise einfach herein, nehmen sich, was sie wollen, und gehen dann wieder. Dies scheint übertrieben grausam zu sein. Selbst für deinesgleichen. Findest du nicht auch?«

»Ja, ich schätze schon.«

Quinn musterte sie. »Du schätzt?«

»Was willst du von mir hören, Amichai?«

Er wollte von ihr hören, dass es ihr nicht egal sei. Er wollte von ihr hören, dass sie erst ruhen werde, wenn sie herausgefunden hatte, was hier geschehen war. Er wollte von ihr hören, dass sie die Dreckskerle aufspüren werde, die diese wehrlosen Mönche getötet hatten, dass sie sie bei lebendigem Leib häuten und dann pfählen werde. Das war es, was er von ihr hören wollte. Denn das war es, was Bruder Gemma gesagt hätte, als er sie kennengelernt hatte. Doch seit sie ihre Kutte weggepackt hatte …

»Ich gehe deine Schwester holen.«

»Wozu?«, fragte Gemma. »Es waren abscheuliche Diebe ohne Ehrgefühl. Wir werden die Toten begraben und weiterziehen.«

»Pfff!«

Gemma blinzelte. »Hast du gerade ›pfff‹ zu mir gesagt?«

»Ja. Und ich werde es wieder tun.« Er beugte sich dicht zu ihr herunter. »Pfff!«

»Ey! Du hast mir ins Auge gespuckt!«

»Verdientermaßen. Ich gehe deine Schwester holen.«

»Sie wird auch nichts anderes sagen!«, rief Gemma ihm nach. »Du machst ein Riesendrama aus der ganzen Sache!«

Keeley drehte eine Runde durch den Raum, bevor sie sich zu Gemma umwandte, die Arme ausbreitete und verkündete: »Diebe machen so was nicht.«

Hinter Keeleys Rücken formte Quinn stumm die Worte: Hab ich dir ja gesagt.

Wenn Gemmas Arme lang genug gewesen wären, um ihn dort, wo er stand, zu ohrfeigen …

»Das hier ist das Werk von Soldaten.«

»Das wissen wir nicht mit Sicherheit.«

»Bist du blind?« Keeley drehte noch eine Runde durch die Haupthalle, schüttelte den Kopf und gab eindeutige Laute des Abscheus von sich, ihre Stirn in Falten gelegt. »Das ist total verstörend. Findest du es nicht verstörend?«, fragte Keeley. Und bevor Gemma antworten konnte, brüllte sie: »Wie kann es sein, dass du das nicht verstörend findest?«

»Ich habe nicht gesagt, dass ich das nicht verstörend finde!«

»Wo ist der Mönch?«, fragte Keeley Quinn. Denn die beiden waren jetzt plötzlich Freunde.

»Hier entlang, Euer Hoheit«, sagte Quinn mit einer weit ausholenden Geste.

Keeley stiefelte an Gemma vorbei und sah sie nicht einmal an. Als Quinn ihr folgte, holte Gemma mit einem Arm aus, um ihm eine Kopfnuss zu verpassen, aber Caid packte sie und zog sie in die entgegengesetzte Richtung. Sie gingen in einen kleinen Flur, wo er sie losließ.

»Was ist hier los?«

»Dein Bruder …«

»Abgesehen davon. Was ist hier los?«

Gemma stieß einen Seufzer aus. »Ich weiß es nicht. Für mich sieht das nach Dieben aus.«

»Ach, wirklich? Für gewöhnlich neigst du zu mehr Paranoia.«

»Ich bin nicht paranoid.«

»Gemma, du bist die paranoideste Person, die ich kenne. Und ich kenne meinen Vater. Und deinen Onkel.«

Gemma rieb sich flüchtig die Stirn. »Na schön. Vielleicht habe ich das ein wenig zu schnell abgetan. Normalerweise wäre ich etwas …«

»Argwöhnischer?«

»Ja.«

»Dann sei jetzt argwöhnisch. Wenn mein Bruder schon Zweifel äußert … mein Bruder …, dann muss da irgendetwas dran sein. Sieh dich um. Sei die alte Gemma.«

»Die alte Gemma?«

»Du hast dich in letzter Zeit verändert.«

»Inwiefern?«

»Ich weiß es nicht.« Er zuckte die Achseln. »Um ehrlich zu sein, du erinnerst mich an deine Cousine.«

»Keran?«, explodierte sie. »Ich erinnere dich an Keran?«

»Keine Ahnung, warum du so brüllst. Ich mag Keran.«

»Darum geht es ja wohl kaum.« Gemma wandte den Blick von dem Amichai ab und entließ ihn mit einer herablassenden Handbewegung. »Ich … ich … ich werde mich umsehen. Feststellen, ob ich etwas herausfinden kann.«

»Grandios«, antwortete Caid knapp. »Danke.« Er musterte sie für einen Moment. »Geht es dir gut?«

»Es geht mir bestens. Aber … geh einfach.«

»Willst du, dass ich dir etwas Bier besorge?«

Gemma funkelte ihn an. »Nein. Ich will nicht, dass du mir Bier besorgst. Ich brauche kein Bier.«

»Nein, nein. Natürlich brauchst du das nicht.«

Von seinem Ton gekränkt, öffnete Gemma den Mund zu einer Antwort, aber er war bereits weggegangen. Wenn er in seiner natürlichen Gestalt gesteckt hätte, dann hätte sie ihm in seinen Pferdehintern getreten.

Nein, sie würde nichts von alledem tun. Sie musste sich beruhigen. Sie musste vernünftig sein.

Wenn Caid irgendetwas an dieser Sache hier seltsam vorkam, dann hatte er wahrscheinlich recht. Im Gegensatz zu seinem lächerlichen Bruder war Caid ein umsichtiger Zentaur. Er passte gut zu ihrer Schwester, die dachte, diese harte Welt sei ausschließlich mit Tugendbolden bevölkert, die nur das Beste für andere wollten.

Sie wollte gerade zu den Schlafquartieren abseits der Haupthalle gehen, als Laila auf sie zukam. Kaum war sie bei Gemma angelangt, steckte sie ihre Waffe weg.

»Es ist niemand am Leben geblieben. Nur der eine Mönch. Er hat großes Glück gehabt.« Sie schüttelte den Kopf. »Was ist hier passiert?«

»Ich habe keine Ahnung. Caid will, dass ich mich einmal umsehe.«

»Gute Idee. Deine Schwester redet mit dem Mönch. Und die Soldaten bereiten Scheiterhaufen vor.«

»Tut das nicht. Die Friedensmönche begraben ihre Toten. Sag den Soldaten, sie sollen Gräber ausheben.«

»Warum sollte irgendjemand seine Toten begraben?«

»Sie tun es einfach.«

Sie verzog das Gesicht. »Igitt.«

»Versuche bitte, in Gegenwart des Mönchs nicht so voreingenommen zu sein.«

»Sorg dafür, dass ich verbrannt werde«, beharrte Laila. »Ich will mein jenseitiges Leben nicht damit zubringen, in der Erde zu verrotten. Beim Ungeziefer. Oder wenn ich nicht verbrannt werden kann, dann lass mich draußen liegen und gib mich den Elementen preis. Damit Raubtiere mich fressen.«

»Müssen wir dieses Gespräch wirklich jetzt führen?«

»Ich sorge nur dafür, dass das klar ist. Ihr Menschen seid … seltsam.« Sie musterte Gemma. »Ist mit dir alles in Ordnung?«

»Mir geht es gut.«

»Möchtest du etwas Bier? Ich bin mir sicher, dass hier irgendwo Bier sein muss.«

Gemma knirschte mit den Zähnen. »Ich brauche kein Bier. Und die Friedensmönche sind Abstinenzler.«

»Ernsthaft?«

»Sie verzichten auf Bier und Sex und Gewalt. Sie meiden alles, was einem einen Steifen bescheren könnte.«

»Ah. Verstehe. Na ja … wir sind bald wieder zu Hause.« Sie klopfte Gemma auf die Schulter und ging davon.

Gemma dachte flüchtig darüber nach zu schreien und die Mauern dieses friedlichen Gebäudes ringsherum niederzureißen, aber sie würde niemals ein Haus so respektlos behandeln, in dem Gläubige einem anderen Gott huldigten. Stattdessen setzte sie ihre Suche fort.

Sie suchte und suchte. Fast eine Stunde lang. Sie fand jedoch nichts, das ihr ungewöhnlich vorkam. Soweit sie es erkennen konnte, hatten die Eindringlinge alles Gold, alles Silber und überhaupt alles mitgenommen, das vielleicht etwas wert war, wie jeder gute Dieb es getan hätte.

»Ich wusste, das würde Zeitverschwendung sein.«

Sie ging auf den nächsten Ausgang zu, blieb aber abrupt stehen.

Gemma ließ im Geist alles noch einmal Revue passieren. Alles, was sie während der Zeit, die sie in diesem Kloster verbracht hatte, bemerkt oder nicht bemerkt hatte. Und da wurde ihr bewusst, was sie übersehen hatte. Wie blind sie gewesen war.

»Scheiße«, schimpfte sie, bevor sie losrannte. »Scheiße!«

Die Gräber waren ausgehoben worden, und die Soldaten legten die Leichen der bestialisch abgeschlachteten Brüder in die Erde, während Keeley, Quinn, die Amichai und der letzte überlebende Mönch zuschauten.

In dem Moment tauchte Gemma wie aus dem Nichts auf und sprang vor den schreckhaften Mönch hin.

»Ich muss mit dir reden«, sagte sie, packte ihn am Ärmel seiner leuchtend gelben Kutte und zog ihn hinter sich her, bis Keeley ihn ihr entriss.

»Was machst du da?«, verlangte Keeley zu erfahren.

»Ich muss mit ihm reden.«

Keeley, die größer war als ihre Schwester, beugte sich ein wenig vor. »Kann das nicht warten? Wir beerdigen gerade seine Toten.«

»Es ist wichtig«, antwortete Gemma.

»Das hier ist auch wichtig.«

»Halt dich da raus.«

»Halt dich selbst raus!«

»Was ist denn hier los?«, fuhr Laila sie an.

»Ich muss mit dem Mönch sprechen …«

»Und ich habe gesagt, das kann warten.«

»Ihr könnt einfach fragen«, warf der Mönch leise ein.

Und Keeley sah tatsächlich so aus, als wollte sie ihrer jüngeren Schwester den Hals umdrehen.

»Die Reliquien des Klosters«, begann Gemma, »wo sind sie?«

Der Mönch sah Gemma an und blinzelte. Einmal, zweimal. »Wir … wir haben keine Reliquien, Mylady.«

Und sie wussten alle, dass der Mönch log.

Gemma hatte aktuell keine Geduld mehr für schlechte Lügen und verdrehte genervt die Augen. Keeley dagegen versuchte es mit ihrer lächerlichen Aufrichtigkeit.

»Bruder, du kannst meiner Schwester alles sagen.«

»Keeley, warte.«

»Sie ist eine von euch«, erklärte Keeley.

»Eine von uns?«, fragte der Mönch.

»Keeley, halt den Mund.«

»Jawohl! Sie ist ein Mönch aus dem Orden des Gerechten Heldenmuts.«

Der Mönch blinzelte jetzt noch heftiger. Tatsächlich blinzelte er zehn- oder zwölfmal hintereinander, bevor er rückwärts taumelte und gegen Caid stieß.

»Ihr … Ihr seid ein … ein … Kriegsmönch?«

»Bruder, bitte …« Gemma hob beschwichtigend die Hände. »Bevor du in Panik gerätst –«

»Kriegsmönch!«, schrie er hysterisch und rannte davon.

Gemma schloss kurz die Augen, bevor sie ihre Schwester anfuhr. »Warum hast du das gesagt?«

»Warum gehörst du einer Organisation an, die Menschen zu Tode erschreckt?«

Berechtigte Frage.

Eine berechtigte Frage, die zu beantworten Gemma sich nicht die Mühe machte. Stattdessen lief sie hinter dem Mönch her.

»Nun renn doch nicht hinter ihm her –«

Als ihre Schwester sie ignorierte, warf Keeley resigniert die Hände hoch und preschte los, hinter Gemma her.

Die Amichai sahen einander an. Keeley war eine Königin. Gemma war die älteste Schwester der Königin. Eine Prinzessin. Hier waren mindestens drei Einheiten von Soldaten anwesend, die Leichen begruben und die den Mönch bis in die Bergheimat der Amichai hätten jagen können. Und doch …

Laila und Caid nahmen Quinn ins Visier.

»Ach, kommt schon!«, rief er. »Warum muss ich das tun?«

»Ich habe keine Lust zu rennen«, erwiderte Laila.

»Ich will auch nicht«, knurrte Caid.

»Und du weißt, was geschehen wird, wenn sie einander einholen. Diesem armen Mönch wird das Herz stehen bleiben, wenn er sieht, was diese zwei einander antun können. Wir werden nie die Antworten auf Gemmas Fragen bekommen. Also geh«, befahl Laila und scheuchte ihn mit beiden Händen.

»Verdammt.« Er nahm seine natürliche Gestalt an und galoppierte hinter den Schwestern her.

Es war nicht schwer, sie zu finden. Die gelbe Kutte des Mönchs strahlte so hell wie die beiden Sonnen. Gemma hatte ihn schon fast erreicht, als Keeley sich von hinten auf sie warf und die beiden mit voller Wucht zu Boden gingen.

Quinn eilte weiter, erreichte schließlich den hysterischen Mönch und packte ihn von hinten. Als er den Mann unter Kontrolle hatte, stand er schon wieder auf nur zwei Beinen, damit der Mönch, wenn sie einander gegenüberstanden, nicht noch mehr Angst bekam.

»Atme«, befahl er dem armen Mann. »Einfach atmen.«

»Sie ist ein …«

»Ja. Das ist sie. Aber sie wird dir nichts tun. Versprochen. Bei meinem Leben und dem Leben meines Volkes. Verstanden?«

Der Mönch starrte ihn lange an, nickte allerdings schließlich.

»Also, sie wird dir Fragen stellen, und du wirst sie beantworten, ja? Du wirst helfen?«

»Ja.«

»Gut. Und jetzt …« Quinn schaute über seine Schulter und schüttelte den Kopf. »Warte kurz.«