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**Auch das Funkeln der Elfenwelt wirft Schatten** Seitdem Lucy durch ein verzaubertes Portal ins Reich der Elfen geworfen wurde und dort erfahren hat, wer sie wirklich ist, sind einige Monate vergangen. An der Akademie der vereinten Völker lernt sie mit ihren magischen Fähigkeiten umzugehen und ihre schillernden Elfenflügel zu benutzen. Doch ihr neues Leben birgt viele Herausforderungen: Immer öfter kommt es zu Angriffen, die nicht nur Lucys Leben in Gefahr bringen, und die Konflikte zwischen den fünf Völkern nehmen zu. Lucy bemüht sich ihrer Rolle als Prinzessin der Elfen gerecht zu werden, doch dann sind da auch noch die eisblauen Augen des so undurchschaubaren Daans. Sein Blick verfolgt sie überall hin und bringt ihr Herz zum Tanzen. Aber die Welt, in der sie lebt, hat keinen Platz für ihre Gefühle… Mit »Prinzessin der Elfen« kreiert Nicole Alfa eine bezaubernde Geschichte über die Kraft einer verbotenen Liebe. Dabei entführt sie uns in das faszinierende Reich der Elfen, aus dem kein Leser je wieder zurückkommen möchte. //Alle Bände der zauberhaft-magischen Buchserie »Prinzessin der Elfen«: -- Prinzessin der Elfen 1: Bedrohliche Liebe -- Prinzessin der Elfen 2: Riskante Hoffnung -- Prinzessin der Elfen 3: Zerstörerische Sehnsucht -- Prinzessin der Elfen 4: Verratenes Vertrauen -- Prinzessin der Elfen 5: Verlorene Gefühle// Diese Reihe ist abgeschlossen.
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Nicole Alfa
Prinzessin der Elfen 2: Riskante Hoffnung
**Auch das Funkeln der Elfenwelt wirft Schatten** Seitdem Lucy durch ein verzaubertes Portal ins Reich der Elfen geworfen wurde und dort erfahren hat, wer sie wirklich ist, sind einige Monate vergangen. An der Akademie der vereinten Völker lernt sie mit ihren magischen Fähigkeiten umzugehen und ihre schillernden Elfenflügel zu benutzen. Doch ihr neues Leben birgt viele Herausforderungen: Immer öfter kommt es zu Angriffen, die nicht nur Lucys Leben in Gefahr bringen, und die Konflikte zwischen den fünf Völkern nehmen zu. Lucy bemüht sich ihrer Rolle als Prinzessin der Elfen gerecht zu werden, doch dann sind da auch noch die eisblauen Augen des so undurchschaubaren Daans. Sein Blick verfolgt sie überall hin und bringt ihr Herz zum Tanzen. Aber die Welt, in der sie lebt, hat keinen Platz für ihre Gefühle …
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Vita
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© privat
Nicole Alfa schrieb bereits mit elf Jahren die Erstfassung für ihre Debütreihe. Nachdem sie ihre Manuskripte auf einer Plattform für Autoren hochlud und dort Zuspruch von ihren Lesern bekam, verfestigte sich ihr Wunsch, Schriftstellerin zu werden. Oft lässt sie sich für ihre Charaktere und deren Schicksale durch ihre Umgebung, Erfahrungen, Musik oder Fotos inspirieren. Ihr Motto ist es, nicht aufzugeben, auch wenn andere sagen, dass es unmöglich ist.
Für meinen Schreibbuddy Saskia
So wilde Freude nimmt ein wildes Ende
Und stirbt im höchsten Sieg, wie Feu’r und Pulver
Im Kusse sich verzehrt.
William Shakespeare, Romeo und Julia
Ich betrachte mein finsteres Gesicht im Spiegel. Um meine Augen ranken sich ineinander verschnörkelte Blumenmuster vom Ansatz meiner Nasenwurzel unter meine Augen bis hin zu meinen Schläfen, wo sie sich mit einem weiteren Muster treffen, das über meinen Augenbrauen beginnt und sich ebenfalls bis hin zu meinen Schläfen zieht. Es handelt sich um meine Gesichtsmale, wie sie alle Natura hier auf Phönix haben – dem Parallelplaneten der Erde, der seit ein paar Wochen mein neues Zuhause ist.
Phönix, der Planet, auf dem Elfen, Kobolde, Elben, Feen und weitere Wesen leben, die ich vorher nur aus Büchern kannte. Bis ich angegriffen und hierhergebracht wurde, wo ich erfuhr, wer ich wirklich bin: die Prinzessin der Elfen. Dachte ich vorher immer, ich wäre ein Einzelkind, lernte ich an der Akademie der vereinten Völker meinen Zwillingsbruder Danny kennen. Dabei ist nicht nur er mein Bruder, jedoch der einzige, der noch lebt. Meine Tante Freya und mein Onkel Delavar haben angeblich meinen älteren Bruder Dylan ermordet. Sie mögen mich neun Jahre lang angelogen haben, aber ich kann einfach nicht glauben, dass sie das wirklich getan haben. Sie darauf ansprechen, kann ich nicht, da sie sich auf der Erde auf der Flucht befinden. Wenn man sie fasst, würden sie wegen Hochverrats angeklagt und zum Tode verurteilt werden. Ich kann nur auf das Wort von Ariel vertrauen – dem Mann, der mich gerettet und hierhergebracht hat. Darauf, dass er mir die Wahrheit gesagt hat und sie wirklich noch am Leben sind.
Er ist an der Akademie unser Vertrauenslehrer und Mentor und steht angeblich mit ihnen in Kontakt. Jedes Mal, wenn ich ihn danach frage, erzählt er mir denselben Unsinn wie »Sie sind untergetaucht« und »Es ist noch zu gefährlich für sie, mit dir Kontakt aufzunehmen.«
Ich verstehe allerdings nicht, warum er mit ihnen telefoniert, es mir aber nicht erlaubt wird. Sie meinten, ich könne ihm vertrauen. Auch wenn ich diesbezüglich meine Zweifel habe, habe ich keine andere Wahl. Dennoch vermisse ich sie und habe schreckliche Angst um sie.
Mit klopfendem Herzen streiche ich über mein Gesichtstattoo. Bei uns Elfen und den Elben sind sie in der Farbe unserer Augen gefärbt. In meinem Fall: grün. Wenn man es genau nimmt, befinden sich darin goldene Sprenkel, die zu meinen goldblonden Haaren passen, die mir bis zu den Schultern fallen.
Dennoch habe ich meine Aufmerksamkeit auf meine Augen gerichtet, denn diese blicken mir unsicher entgegen. Kein Wunder. Ich fühle mich im Moment auch überhaupt nicht wohl. Meine Miene spiegelt meine derzeitigen Empfindungen wider, wenn ich an Daan denke. Seit unserer Rückkehr vom Strand vor ein paar Tagen habe ich den Kobold ein einziges Mal gesehen. Mit Siana, seiner Koboldfreundin. Ich weiß immer noch nicht, ob die beiden zusammen sind. Aber jeder hier ist der Meinung, sie wären es. Statt mich aufzuklären, als wir uns bei unserem gemeinsamen Ausflug nahegekommen sind und ich ihn auf Siana angesprochen habe, hat er mich einfach unterbrochen und geküsst. Als ich ihn gefragt habe, was er sich am meisten wünscht, sagte er mir, ich sei es.
Wir kamen jedoch nicht dazu, über den Kuss und seine Worte zu reden, da wir von den Elfensoldaten unterbrochen wurden. Da Daan ein Kobold ist und es diesen Wesen verboten ist, sich auf dem Land der Elfen aufzuhalten, wollten sie ihn festnehmen. Ich ging dazwischen. Schließlich retteten uns die Komodowarane und wir flogen zurück zur Akademie, wo sein Vater auf Daan wartete.
Ich weiß nicht, ob er Ärger bekommen hat, aber seitdem hält er sich wieder von mir fern. Dabei hätte ich gern mit ihm über die Vorfälle gesprochen und darüber, was das zwischen uns zu bedeuten hat. Die ganze Zeit muss ich an den Kuss denken und welche Gefühle er in mir ausgelöst hat. Daan kann mich doch nicht einfach so abweisen, ohne mir eine Erklärung zu liefern. Ich fühle mich ohnehin schon schlecht bei dem Gedanken, was Danny täte, wenn er von dem Kuss erfahren würde. Aufgrund des langen Krieges zwischen Kobolden und Elfen, der vor vielen Jahren beendet wurde, können diese sich trotz der derzeitig laufenden Friedensverhandlungen immer noch nicht ausstehen. Da Daan der Prinz der Kobolde ist und Elfen und Kobolde sich vor vielen Jahren noch gegenseitig bekriegt haben, hasst Danny ihn und ist der Meinung, dass er ein falsches Spiel mit mir treibt.
Aber ich habe von Freya und Delavar gelernt selbst über jemanden zu urteilen. Auf mein Herz zu hören. Außerdem hat Daan mich bisher immer beschützt, wenn ich angegriffen wurde. Wenn er mir wirklich Böses wollte, hätte er mir nie geholfen. Ich vertraue ihm.
Während Daan mir hilft, ist Danny eingeschnappt und beleidigt, statt mich näher kennenzulernen und zu akzeptieren, dass ich mit einem Kobold befreundet bin. Dabei ist mir mein Bruder wichtig. Er ist meine Familie.
Unsere Eltern habe ich immer noch nicht persönlich getroffen. Sie haben mir nur einen Brief geschrieben, in dem stand, dass wir uns bald sehen würden. Inzwischen sind aber Wochen vergangen, in denen sie sich nicht bei mir gemeldet haben. Angeblich haben sie wichtige Regierungsangelegenheiten zu erledigen. Dennoch könnten sie doch ein paar Minuten ihrer Zeit für ihre eigene Tochter erübrigen. Wie gern würde ich sie endlich kennenlernen, auch wenn ich Angst vor dem Treffen habe. Immerhin habe ich sie neun Jahre lang nicht gesehen und kann mich nicht mehr an sie erinnern, weil Freya und Delavar angeblich meine Erinnerungen manipuliert haben.
Gleichzeitig haben die Anfeindungen meiner Mitschüler, die mich aufgrund meiner Art und meiner Stellung als Prinzessin der Elfen hassen, immer noch nicht aufgehört. Zwar sind die Bemalungen auf meinem Spind, auf den sie Schimpfwörter schreiben, weniger geworden, aber die abschätzigen, missbilligenden Blicke und gemeinen Worte wie Elfendreck oder Royalschlange, mit denen sie mich beleidigen, tun ihr Übriges. Egal wie sehr ich sie zu ignorieren versuche, es tut weh.
Müde fahre ich mir durch die Haare. Dabei sollte ich mich eigentlich freuen, da heute die Nacht der Toten ist – auf der Erde Halloween genannt. So wie die Menschen auf der Erde das Fest feiern, pflegen auch die Natura diesen Brauch. Manche Feste wurden von ihnen übernommen. Sie glauben daran, dass in dieser Nacht die Kluft zwischen den Lebenden und den Toten am geringsten ist. Es gibt zwar keine Kürbisse, dafür aber Lichterketten und Kerzen, die in den Fenstern hängen und stehen. Die Wohnhäuser und das Schulgebäude sind mit Pappgeistern und künstlichen Spinnweben dekoriert, um eine düstere Atmosphäre zu schaffen.
Zu diesem Anlass findet heute eine kleine Feier im Speisesaal statt, weswegen ich mich bereits umgezogen habe. Zu meiner Stimmung passend trage ich ein von Aislinn – meiner Mitbewohnerin und besten Freundin – ausgeliehenes knielanges schwarzes Cocktailkleid mit Ärmeln aus Spitze.
»Bist du so weit?«, fragt Aislinn, die ebenfalls ein kurzes schwarzes Kleid trägt und gepaart mit ihren gelockten hellblonden Haaren wie ein dunkler Engel aussieht. Ihre strahlend blauen Augen, um die sich die gleichen Blumenmuster wie bei mir befinden, betrachten mich über den Spiegel.
Ich nicke nur. Mein Magen kribbelt vor Aufregung, gepaart mit Furcht. Auf der letzten Party hat jemand eine Dryade getötet, um mir zu drohen. Ich habe Angst, dass die heutige Feier ähnlich endet.
»Na klar ist sie so weit«, grinst Livia, die hinter ihr steht. Sie ist ebenfalls eine unserer Mitbewohnerinnen und eine gute Freundin von meinem Zwillingsbruder. Außerdem ist sie mir wie Aislinn ans Herz gewachsen.
Ihre Gesichtstattoos ähneln den unseren. Mit dem Unterschied, dass sie statt Blätter Dornen aufweisen, die in der Farbe ihrer giftgrünen Augen gefärbt sind – das Merkmal für Schattenelfen. In Kombination mit ihren kupferfarbenen Haaren und ihrem Kleid erinnert sie mich an eine Kriegerin.
Meine Freundinnen werfen sich grinsende Blicke zu. Sie freuen sich auf die Party. Unsere andere Mitbewohnerin, eine Schattenkoboldin namens Lorena, ist bereits mit ihrem Freund Ricardo, dem Prinzen der Schattenkobolde, vorgegangen, weil die beiden lieber unter sich bleiben.
Aislinn legt lächelnd eine Hand auf meine Schulter. »Dann lasst uns nach unten gehen.«
Im Aufenthaltsraum warten die Jungs auf uns. Mein Bruder und seine Freunde Oliver und Aaron haben dunkle Jeans und Shirts angezogen. Düstere Farben sind der Dresscode für die Nacht der Toten.
Oliver ist der große, schlanke Junge und Prinz der Elben. Auf seiner Stirn befindet sich ein Edelstein in der Farbe seiner olivgrünen Augen. Von ihm ausgehend winden sich wie Stirnschmuck Ranken bis zum Ansatz seiner aschblonden Haare.
Der Junge neben ihm ist kleiner und zierlicher. Er hat dunkelbraune Haare und dunkelbraune Augen. Seine Blumenmuster sind zackiger und aggressiver, so wie bei Livia. Aaron ist der Prinz der Schattenelfen.
Zwar ist Danny noch sauer auf mich, weil ich heimlich mit Daan am Strand war, dennoch sieht er mich lächelnd an. »Du siehst wunderschön aus.« Ein kaum übersehbares Strahlen breitet sich auf seinem Gesicht aus, als er seinen Blick von mir zu Livia und Aislinn wandern lässt. »Ihr seht alle drei wunderschön aus.«
»Danke«, erwidern wir wie aus einem Mund.
Ich bin ganz überrascht, dass er mir ein Kompliment gemacht hat, aber ich freue mich sehr darüber. Die Meinung meines Bruders ist mir wichtig. Es tut weh, dass wir neun Jahre verloren haben. Neun Jahre, in denen wir getrennt waren.
Egal wie schwer es mir fällt, mich mit meiner neuen Situation abzufinden, ich bin überglücklich und froh darüber, wenigstens meinen Zwillingsbruder wiederzuhaben.
Dieser kann seinen Blick gar nicht mehr von Livia losreißen. Die Schattenelfe errötet. Auch die Wangen meines Bruders färben sich rötlich.
Aaron und Oliver, die das Geschehen aufmerksam verfolgen, sehen sich vielsagend feixend an, sagen jedoch nichts, weshalb ich vermute, dass sie ihre Gedanken stumm austauschen. Das ist der Vorteil, wenn man ein Royal ist: Wir können die Elemente kontrollieren. Wobei ich erst dabei bin, es zu lernen, während die Prinzen ihre Fähigkeiten schon sehr gut beherrschen. Da Freya und Delavar mir alles verschwiegen haben, habe ich einiges nachzuholen.
»Wo ist Talorion?«, fragt Livia und wendet nervös den Blick von Danny ab, um sich suchend umzusehen. In ihrer Stimme schwingen Besorgnis und Enttäuschung mit.
Ich sehe mich ebenfalls nach ihrem festen Freund und zugleich unserem Cousin um, doch er ist nicht hier.
Dannys Miene verfinstert sich. »Er meinte, er würde uns auf der Party treffen.«
»Oh.« Ein Schatten huscht über Livias Gesicht, dann senkt sie müde den Kopf. »Er ist in letzter Zeit echt merkwürdig. Andauernd ist er unterwegs. Und wenn wir beisammen sind, ist er mit den Gedanken woanders.« Sie verschränkt die Arme vor der Brust, ehe sie meinen Bruder und seine Freunde unschlüssig anblickt. »Glaubt ihr, er hat eine andere? Oder will er mich nicht mehr?«
»Nein, das glaube ich nicht. Talorion würde dir das nie antun. Ich weiß, dass du ihm viel bedeutest«, meint Danny energisch und legt ihr beruhigend eine Hand auf den Unterarm. Dann verzieht er nachdenklich das Gesicht. »Aber du hast recht, in letzter Zeit ist er nicht mehr er selbst.«
Ehe die Situation noch unangenehmer werden kann, begeben wir uns gemeinsam nach draußen. Wir steigen die Ästetreppe hinunter, die sich von der Haustür unseres Baumhauses nach unten windet. Dann spazieren wir über den Hügel, auf dem sich unser Wohnhaus befindet, die Wiese hinunter. Diese mündet in einen hellen Sandstrand, welcher aufgrund der untergegangenen Sonne eher düster wirkt. Der Strand umgibt einen See, dessen Wasseroberfläche tagsüber im Sonnenlicht glitzert, als bestünde sie aus lauter blauen Edelsteinen. Jetzt scheint sie vielmehr trüb.
Da es acht Uhr abends und der Himmel bis auf vereinzelte Sterne, die zwischen den schweren Wolken funkeln, dunkel ist und die Umgebung nur von sehr wenigen Laternen beleuchtet wird, haben wir uns dafür entschieden, zu Fuß zu gehen. Die Alternative wäre, den See mit einem der Boote zu überqueren, die am Steg angebunden sind. Mir ist es mehr als recht. Zwar kann ich schwimmen, aber wenn ich den Grund eines Gewässers nicht sehen kann, wird mir ganz unwohl.
Hinter dem See ragt hinter einer Mauer aus Steinbögen, die durch Pfeiler miteinander verbunden sind, das sandsteinfarbene Schulgebäude in die Höhe. Es hat mehrere Seitenflügel und wirkt wegen der Ecktürme und Turmfassaden eher wie ein Schloss. Zu beiden Seiten befinden sich versetzt zwei Gebäude aus Backstein. Das rechte ist die Schwimmhalle der Akademie, im linken befinden sich die Trainingsräume für das Selbstverteidigungstraining. Jetzt, in der Dunkelheit, wirkt der Gebäudekomplex eher furchteinflößend und bedrohlich, als wir darauf zugehen.
Die Bäume und Häuser rings herum werfen dunkle Schatten, vom Wald her ziehen Nebelschwaden wie Arme, die nach uns greifen wollen. Es ist das perfekte Gruselwetter für die heutige Nacht.
Während sich meine Freunde mehr oder weniger fröhlich unterhalten, fühle ich mich ganz beklemmt. Was nicht nur daran liegt, dass Danny mich weitgehend ignoriert. Stattdessen versucht er die besorgte Livia mit Witzen aufzuheitern. Was ihm sogar ein wenig gelingt, weil sie lächeln muss.
Aaron und Aislinn versuchen mich in ein Gespräch über die Schule zu verwickeln, doch ich höre ihnen kaum zu, da ich mit den Gedanken weit weg bin. Unruhig suche ich mit den Augen die Umgebung ab, als mir plötzlich eine schwarze Gestalt zwischen den Bäumen links von uns auffällt, die mit den Schatten, die die Baumkronen werfen, geradezu verschmilzt. Ich schreie erschrocken auf, woraufhin meine Freunde ebenfalls zusammenfahren.
»Was ist los?!«, ruft Aaron und nimmt Kampfhaltung ein. Aislinn steht sofort bei mir und schiebt mich beschützend hinter sich. Livia versteckt sich ängstlich hinter Danny, der seine Hände zu Fäusten ballt. Oliver hebt die Arme, als wäre er unschuldig, und sieht mich verwirrt an.
»Da …«, stottere ich und deute dorthin, wo ich vor wenigen Sekunden die Gestalt sah. Doch dort ist nichts mehr. »Da war jemand«, krächze ich irritiert.
Alle folgen meiner Geste.
»Da ist niemand. Nur Bäume.«
Mein Bruder runzelt die Stirn und wechselt einen Blick mit seinen Kumpeln, ehe er mich unsicher ansieht. Er zögert kurz, dann tritt er einen Schritt auf mich zu und blickt mir mitfühlend in die Augen.
»Die letzten Wochen waren nicht leicht für dich.« Er wirft unseren Freunden schiefe Blicke zu, bevor er die Stimme senkt. »Es kommt vor, dass man da unter … Verfolgungswahn leidet.«
Mir klappt der Mund auf, als ich verstehe, worauf er hinauswill. Vor Scham und Wut laufe ich rot an. »Du denkst, ich hätte mir das nur eingebildet?«
Mein Bruder schweigt. Die skeptischen Mienen meiner Freunde sprechen Bände: Sie glauben mir nicht. Lediglich Aislinn sieht weiterhin wachsam mit zusammengekniffenen Augen in den Wald.
Plötzlich bin ich mir nicht mehr sicher, ob ich wirklich richtig gesehen habe. Habe ich mich geirrt und es war nur ein Schatten? Bin ich wegen der vergangenen Angriffe schon so paranoid geworden?
Danny legt mir mitleidvoll einen Arm um die Schultern. »Lasst uns weitergehen.«
Trotzdem lässt mich das ungute Gefühl nicht los, dass ich beobachtet werde. Doch umso näher wir dem Schulgebäude kommen, umso erleichterter bin ich.
Laute Bässe dringen an unsere Ohren. Die Deko und die Tatsache, dass die Natura auch die Nacht der Toten feiern, erinnern mich schmerzvoll an meine Zeit auf der Erde und bohren das Gefühl der Trauer und Hilflosigkeit wegen Delavar und Freya nur noch tiefer in mein Herz.
Ehe ich mir noch weitere Gedanken machen kann, haben wir schon den Speisesaal erreicht – eine große Halle mit Deckengewölben, an denen gewaltige Kronleuchter angebracht sind. Daneben hängen Kerzen von der Decke; personengroße echt aussehende Plastikspinnen kleben an den Wänden und überall brennen Kerzen, deren Flammen unruhig flackern, was dem ganzen Raum eine unheimliche Atmosphäre verleiht. Die Kerzen symbolisieren das Licht, das für das Gute steht und die bösen Geister vertreiben soll.
Die unzähligen Esstische wurden an die Seiten geschoben und dienen als Buffet, auf dem sich die leckersten Speisen auftürmen. Von Suppen, Kuchen, blutrotem Punsch oder gleichfarbigem Schleim, der allem Anschein nach einen Wackelpudding darstellen soll, ist alles dabei. Ein DJ legt Musik auf, zu der sich Dutzende Schüler in demselben Rhythmus auf der improvisierten Tanzfläche bewegen. Die Bässe bringen den ganzen Saal zum Beben. Der Geruch von Essen, Rauch und Schweiß liegt in der Luft und lässt mich die Nase rümpfen. Einige in Schwarz gekleidete Wächter, die sich durch den heutigen Dresscode kaum von den Schülern abheben, stehen zur Sicherheit in den Ecken und beobachten das Geschehen mit eisernen Mienen.
Livia zerrt meinen Bruder sofort auf die Tanzfläche. Oliver und Aaron gesellen sich zu ein paar Schattenelfen und Elben, weshalb ich mich mit Aislinn ebenfalls ins Getümmel stürze – vorbei an tanzenden, verschwitzten Körpern.
Wir kommen an ein paar Kobolden vorbei. Jemand stellt mir einen Fuß, sodass ich stolpere und beinahe hingefallen wäre, hätte ich mich nicht an Aislinn festgehalten, die sich überrascht umdreht.
»Elfendreck!«, zischt jemand.
Eigentlich sollte ich diese Anfeindungen mittlerweile gewohnt sein, dennoch zucke ich zusammen. Da ich aber nicht will, dass sie bemerken, wie sehr ich darunter leide, weil ich überhaupt nicht verstehen kann, warum sie so rassistisch sind, gebe ich zurück: »Etwas Besseres fällt euch nicht ein?«
Ein breites Koboldmädchen baut sich gehässig vor mir auf. Ich erinnere mich daran, dass ich an meinem ersten Schultag auf ihrem Platz gesessen habe. Zumindest behauptete sie, dass der Platz ihr gehöre, weil in der Reihe, die ich mir ausgesucht hatte, nur Kobolde saßen.
Sie lächelt gehässig und ihre Freunde bauen sich hinter ihr auf. Wenn Blicke töten könnten, wäre ich jetzt vermutlich nicht mehr am Leben. »Ihr seid nichts weiter als dreckige Elfen. Warum kehrt ihr nicht einfach in eure Baumhäuser zurück, statt uns zu verpesten?«, knurrt sie.
Es fühlt sich an wie ein Schlag ins Gesicht. Ehe ich reagieren kann, packt Aislinn mein Handgelenk und zieht mich weiter.
»Sie sind es nicht wert«, murmelt sie mir warnend ins Ohr, auch wenn sie ebenfalls geknickt wirkt.
Während alle um uns herum fröhlich tanzen, fährt sie sich mit der freien Hand genervt durch die Haare und führt mich weiter in Richtung Mitte der Tanzfläche, bis wir nur noch von feiernden Elfen umgeben sind. Allerdings geht es da weiter mit den Anfeindungen.
Dieses Mal bin nur ich das Zielobjekt, als mich jemand im Vorbeigehen mit Absicht anrempelt und mir »Pass doch auf, du verdammte Royalschlange, oder bin ich es in deinen Augen nicht wert, beachtet zu werden?« ins Ohr knurrt, ehe die Elfe, die ich nicht kenne, zu ihren Freundinnen zurückkehrt. Tuschelnd stehen sie in einer Ecke neben dem Buffet und beobachten mich mit herablassenden Blicken.
Ein faustdicker Kloß bildet sich in meinem Hals. Ich fühle mich hier überhaupt nicht wohl. Es kommt mir so vor, als käme der Hass auf mich von allen Seiten. Niemandem kann ich etwas recht machen. Sie kennen mich nicht einmal, doch haben mich bereits verurteilt. Weil ich eine Elfe und eine Prinzessin bin. Dabei dachte ich immer, Prinzessinnen und Prinzen wären bei ihrem Volk beliebt. In meiner Welt ist es anscheinend nicht so.
Dabei verstehe ich nicht, was sie gegen mich haben. Sie kennen mich nicht einmal. Würden sie sich mir gegenüber anders verhalten, wäre ich keine Elfenprinzessin?
Frustriert balle ich die Hände zu Fäusten und unterdrücke den Drang, sie irgendwo hineinzurammen. Ich schließe kurz die Augen, in denen bereits Tränen brennen. Am liebsten würde ich einfach zurück in mein Zimmer gehen, um mich dort in die Welt eines guten Buches flüchten zu können. Dorthin, wo mich niemand wegen dem beleidigt, was ich bin.
Aislinn scheint meine Miene richtig aufgefasst zu haben, denn sie lächelt teilnahmsvoll und legt mir eine Hand auf die Schulter. »Ignorier sie einfach. Es wird immer jemanden geben, der dich schräg anschaut. So hart es auch ist: Du musst da drüberstehen. Erst recht als Prinzessin. Du darfst keine Schwäche zeigen.«
Ich lächle verkrampft. Das ist leichter gesagt als getan, wenn man die ganze Zeit mit gehässigen Blicken beobachtet wird.
Dennoch versuche ich meine Mitschüler auszublenden und mich nur auf Aislinn und die Musik zu konzentrieren. Ich tanze gern, kann jedoch aufgrund des Selbstverteidigungsunterrichts und des Elementetrainings nicht in die Tanzgruppe, da die zu diesen Zeiten übt. Außerdem will Ariel, dass ich mich voll und ganz auf meine Ausbildung konzentriere. Dennoch würde ich gern etwas Normales machen, was normale Menschen machen würden. Wie auf eine Party zu gehen.
Soweit ich weiß, hat Alainna, die Tochter der Direktorin, diese Party organisiert, was sie richtig gut hinbekommen hat. So habe ich mir eine Feier schon immer vorgestellt. Es ist erst meine zweite Party, da Freya und Delavar mich auf der Erde unter Verschluss hielten. Ich durfte keine Freunde finden, nicht ausgehen. War mit ihnen eingesperrt, bis wir wieder umzogen. Mittlerweile weiß ich, dass die steten Umzüge daran lagen, dass Freya und Delavar es sich nicht leisten konnten, zu lange an einem Ort zu verweilen.
Während ich mit Aislinn tanze, suchen meine Augen den Saal nach einer bestimmten Person ab. Ich hatte gehofft, er wäre mit Danny, Oliver und Aaron zum Wohnhaus gekommen, um uns abzuholen. Ich bin ein wenig enttäuscht, dass er nicht kam.
Vermutlich ist es besser, ihn nicht zu sehen, damit ich erst mal verarbeiten kann, was für ein großer Fehler es war, den Ausflug mit ihm zu machen. Dabei war er so schön. Wir konnten beide abschalten und ich habe eine ganz andere Seite an Daan kennengelernt. Eine Seite, die mir an ihm so sehr gefällt.
Wir beide wussten, dass jegliche Annäherungen zwischen einer Elfe und einem Kobold verboten sind. Wir hätten uns nicht küssen dürfen.
Und dennoch haben wir es getan.
Als hätte ich ihn durch meine Gedanken heraufbeschworen, spüre ich ein wohlbekanntes Prickeln im Nacken. Ehe ich mich umdrehe, weiß ich, wer den Speisesaal betritt. Mein Magen beginnt zu flattern, als ich mich umdrehe. Ich entdecke ihn fast auf den ersten Blick.
Daan, der Prinz der Kobolde, steht im Türrahmen. Wie die meisten Jungen trägt er eine dunkle Jeans und ein schwarzes T-Shirt, das sich wie angegossen um seinen Oberkörper schmiegt. Seine Augen sind mit schwarzem Eyeliner umrandet, was ihn düster und geheimnisvoll wirken lässt. Dunkle Strähnen fallen ihm über seine Stirn. Gepaart mit seinem für Kobolde typischen Gesichtstattoo – einer sichelförmigen Linie von goldenen Punkten, die sich von seinem Kiefer zu seiner Schläfe ziehen – sieht er verwegen aus.
Sowie er mich bemerkt, hebt er den Kopf und starrt mich aus seinen strahlend eisblauen Augen an. Sein Blick geht mir durch Mark und Bein, sodass mich schaudert und ich die Luft anhalte.
Doch dann fällt meine Aufmerksamkeit auf das Mädchen neben ihm, das sich bei ihm untergehakt hat und sich strahlend umsieht. Schlagartig überrollt mich Enttäuschung. Zugleich durchfährt mich ein Stich der Eifersucht, weil sie einfach bezaubernd aussieht. Das wunderschöne bodenlange Kleid aus schwarzem Samt, das ihre Augen perfekt betont und in einem dunkleren, intensiveren Rehbraun erstrahlen lässt, schmiegt sich wie maßgeschneidert an ihren Körper und bringt ihn dadurch an den richtigen Stellen perfekt zur Geltung. Ihre braunen Haare locken sich bis zu ihren Schultern. Auf ihren Lippen liegt ein einnehmendes Lächeln. Sowie sie den Mund öffnet, um ein paar Worte mit ihrem Begleiter zu wechseln, kommen strahlend weiße Zähne zum Vorschein.
Täuscht normalerweise das Aussehen, ist bei Siana das Gegenteil der Fall. Sie ist die liebevollste, freundlichste und fürsorglichste Person, die ich kenne. Im Gegensatz zu mir gehört sie demselben Volk an wie Daan, weshalb eine Beziehung zwischen ihnen erlaubt ist.
Als ich meinen Blick wieder zurück zu dem Kobold wandern lasse, macht mein Herz einen Satz und mir wird ganz warm. Wärmer, als mir vom Tanzen in dem stickigen Raum ohnehin schon ist. Denn Daan starrt mich immer noch an. Seine Augen scheinen sich geradezu in meine Seele zu bohren. Er lächelt nicht, noch verzieht er sein Gesicht zu einer Grimasse. Er sieht mich einfach nur unschlüssig an, als wüsste er selbst nicht, wie er reagieren soll. Am liebsten würde ich zu ihm laufen und ihn zur Rede stellen, warum er mich erst küsst und mir dann aus dem Weg geht. Doch ich bin wie festgefroren, unfähig mich zu bewegen oder einen klaren Gedanken zu fassen.
Erst als Aislinn mich anstupst, weil ich nicht weitertanze, erwache ich aus meiner Starre. Ebenso wie Daan, der sich jetzt seiner Freundin zugewandt hat und mit einem letzten undurchdringlichen Blick auf mich mit Siana, die seine Hand ergriffen hat und ihn bestimmt hinter sich herzieht, zwischen den Tanzenden verschwindet.
Aislinn runzelt die Stirn. Da die Musik so laut ist, brüllt sie mir ins Ohr. »Ist alles okay? Du siehst aus, als hättest du einen Geist gesehen. Oder war es Daan? Ist auf dem Strandausflug etwa mehr passiert?«, schiebt sie mit einem zweideutigen Zwinkern hinterher.
Ich zucke ertappt zusammen und verschränke unwohl die Hände vor der Brust. Es stimmt, dass ich ihr nicht alles erzählt habe. Über den Kuss habe ich kein einziges Wort verloren. Ich weiß nicht warum. Lag es an der Angst vor ihrer Reaktion, weil derartige Zuneigungen zwischen Elfen und Kobolden verboten sind? Weil Daan mich jetzt plötzlich ignoriert und ich nicht weiß, ob er mit Siana zusammen ist? Weil ich nicht weiß, woran ich bei ihm bin? Und ich mich dafür schäme, was ich getan habe? Dabei war er derjenige, der mich zuerst geküsst hat. Und ich habe es zugelassen.
Zu gern hätte ich mit meiner Zimmergenossin darüber gesprochen. Livia ist zwar auch eine gute Freundin, aber im Gegensatz zu Aislinn kann sie ihren Mund nicht halten. Bei ihr ist kein Geheimnis sicher. Aislinn vertraue ich.
Doch ich schweige. Und mein betretenes Schweigen scheint meiner besten Freundin alles zu sagen, was sie wissen muss. Mitfühlend drückt sie meinen Arm. Doch ehe sie etwas sagen kann, verstummt plötzlich die Musik und alle Lichter richten sich nach vorn auf die Bühne beziehungsweise auf das Podest, das davorsteht. Nach und nach verstummen alle Gespräche, bis die Aufmerksamkeit auf das Mädchen gerichtet ist, das hocherhobenen Hauptes auf das Podest zuschreitet. Es ist Alainna.
In ihrem knielangen pechschwarzen Abendkleid, das ihre Kurven perfekt zur Geltung bringt, sieht sie wirklich gut aus. Ihre für Elben typischen wallenden aschblonden Haare sind zu Wellen frisiert und glänzen im Licht der Scheinwerfer wie die perlmuttfarbenen Perlen ihrer Halskette.
Ich erinnere mich an den komischen Vorfall auf meiner ersten Party, als ihr jemand die Perlenkette vom Hals riss und sie in den See stürzte. Sie wollte partout nicht herauskommen und flehte mich an ihr eine Perle zu geben, die sich im Gras verteilt hatten. Erst als sie eine in ihrer Hand hatte, stieg sie aus dem Wasser und fauchte mich an mit niemandem darüber zu reden. Dabei fiel mir auf, dass ihr Elbengesichtsmal ein wenig verwischt war, als wäre es aufgemalt gewesen. Derweil kann es nicht verschwinden. Es entstand mit der Geburt und verschwindet nur, wenn sich ein Natura auf der Erde aufhält. Aus diesem Grund frage ich mich, wer Alainna wirklich ist und was das zu bedeuten hat.
Sie räuspert sich und blickt ernst lächelnd in die Runde.
»Wie jedes Jahr feiern wir die Nacht der Toten. Die Nacht, in der die Schwelle zwischen Leben und Tod so schmal ist, dass sich die Seelen Verstorbener kurzzeitig in der Welt der Lebenden bewegen können.«
Da sie die Stimme gesenkt hat und es mucksmäuschenstill ist, läuft mir eine Gänsehaut über den Körper. Meine Augen huschen kurz an die Decke und zu dunklen Ecken, in der Erwartung, gleich den Geist einer alten Seele zu sehen, die einst hier ihr Unwesen trieb.
»Laut einer Legende gehörten unsere Akademie und das Schulgelände vor dem langen Krieg zwischen Kobolden und Elfen einem anderen Volk – dem Meeresvolk, das durch diesen Konflikt komplett ausgelöscht wurde.«
Sie schweigt kurz und es kommt mir so vor, als wäre ihre Anteilnahme ehrlich. Als ginge es ihr wirklich ans Herz.
Daan erzählte mir bereits, dass die Akademie früher ein Schloss war, das dem Meeresvolk – Meerjungfrauen und Meermännern – gehörte. Da es aber keine stichfesten Beweise gibt, gehen alle davon aus, dass es sich dabei nur um eine Legende handelt. Ich ebenfalls, obwohl mich nach meiner Ankunft auf Phönix nichts mehr wundern würde.
»Deshalb möchte ich, dass wir eine Minute lang die Augen schließen und schweigen, um …«
Der Rest ihres Satzes geht in einem ohrenbetäubenden Knall unter, als würden mehrere Feuerwerkskörper gleichzeitig hochgehen. Darunter mischt sich erschrockenes Geschrei. Unversehens ist alles voller Rauch und ich werde von panischen Schülern angerempelt und umgestoßen. Alle rennen kopflos in die Richtung, in der sie die Ausgänge vermuten, da man vor lauter Qualm nichts mehr sehen kann. Der Rauch dringt in meine Kehle und haftet sich wie zäher Schleim an meinen Lungen fest, sodass mir das Atmen schwerfällt. Meine Augen brennen und Schwindel befällt mich, da der Rauch meine Sinne zu vernebeln scheint. Hustend rapple ich mich auf und versuche die Orientierung wiederzuerlangen. Doch der Nebel ist so dicht, dass ich gänzlich blind bin.
Gerade als ich den angsterfüllten Schreien meiner Mitschüler folgen will, werde ich grob an den Armen gepackt.
»Bleiben Sie bei uns, Prinzessin. Wir bringen Sie in Sicherheit.«
Zwei in Schwarz gekleidete Sicherheitsmänner halten mich links und rechts an den Armen fest und drängen mich mit den vorbeistürmenden Schülern in Richtung Ausgang. Da sie mich einfach mit sich ziehen und mein Gehirn von dem Rauch ganz berauscht ist, bleibt mir nichts anderes übrig, als mit ihnen zu stolpern.
Der Gang, der zum Speisesaal führt, ist ebenfalls voll von beißendem Rauch. Ich huste, als mir erneut der scharfe Qualm in die Lungen strömt, und ringe verzweifelt nach Luft. Todesangst befällt mich. Wenn wir nicht endlich nach draußen kommen, werde ich noch ersticken.
Auf unserem Weg werden wir immer wieder angerempelt, aber die Sicherheitsmänner halten mich stoisch fest. Als wir in der Eingangshalle ankommen, drängt es mich und vor allem meine schmerzende Kehle und meine Lungen danach, die frische Luft zu erreichen. Doch statt nach draußen in den Innenhof der Schule zu flüchten, schieben sie mich stoisch in einen weiteren Gang, der zur Rückseite des Schulgebäudes führt.
Da mir das nicht ganz geheuer ist, will ich mich ihnen entreißen, was dazu führt, dass sie mich noch härter an den Armen packen. Ich beiße die Zähne zusammen, um nicht schmerzerfüllt aufzustöhnen, da sich der Griff des einen Mannes wie ein Schraubstock um meinen Arm dreht. Seine Fingernägel bohren sich schmerzhaft in meine Haut.
»Sie tun mir weh. Lassen Sie mich los«, krächze ich und breche in einen Hustenanfall aus. Ich will stehen bleiben und mich vornüberbeugen, da der Husten mir in der Kehle schmerzt, doch sie treiben mich unnachgiebig voran.
Plötzlich habe ich den erschreckenden Verdacht, dass das gar keine Sicherheitsmänner sind. Panische Angst lässt Adrenalin durch meine Adern schießen und treibt meinen Puls in die Höhe. Der Mann, der mich so schmerzhaft festhält, lacht grimmig. Dabei stößt sein ekliger Atem an mein Ohr, was mir eine Gänsehaut beschert.
Geschätzt ist er ungefähr so alt wie Ariel, etwa um die dreißig, während der andere etwas älter scheint. Starke Muskeln treten auf ihren nackten Armen hervor. Der Rest ihrer Körper ist durch kugelsichere Westen verdeckt.
Ich unternehme einen erneuten Versuch, mich aus seinem Griff zu entwinden, doch da reißen sie meine Arme nach hinten und verdrehen sie im Polizeigriff, sodass ich bewegungsunfähig bin und vor Schmerz aufstöhne. Während ich von einem nächsten Hustenschwall erschüttert werde, der mir heftige Bauchschmerzen beschert, legen sie mir trotz meines Widerstands Handschellen an, die sich unangenehm in meine Haut brennen. Vermutlich bestehen sie aus Eisen – was wir Natura nicht vertragen.
Eine Tür am Ende des Ganges wird geöffnet und ich werde unsanft weitergestoßen. Unter meinen Füßen spüre ich plötzlich unebenen Boden. Weil ich auf grünem Gras stehe, hätte ich vor Erleichterung beinahe losgeheult. Ich schnappe nach Luft. Sie durchströmt meine Lungen und füllt sie mit neuem Leben. Vertreibt etwas von dem Nebel, der sich in meinem Gehirn festgesetzt hat. Fast hätte ich aufgeseufzt. Niemals hätte ich geglaubt, dass mich Gras und die Luft so glücklich machen würden.
Jedoch kann ich mich nicht lange darüber freuen, da ich unsanft weitergestoßen werde. Nach nur wenigen Schritten gelangen wir an den Waldrand. Verzweifelt blicke ich mich nach Lehrern, echten Sicherheitsleuten oder Schülern um, doch wir sind ganz allein. Entfernt dringen Schreie an meine Ohren, die vermutlich von den von der Party fliehenden Schülern stammen. Und als ich versuche nach Hilfe zu rufen, bekomme ich aufgrund des Rauchs in meinem Hals nur ein hilfloses Krächzen zustande.
Ich will nach dem Luftelement greifen, mit dem ich die Luft beeinflussen kann und in dem ich am meisten Übung habe, um meine Entführer von mir zu stoßen. Jedoch regt sich nicht das geringste Lüftchen, wie ich entsetzt feststellen muss, weshalb ich vermute, dass das Eisen nicht nur unverträglich ist, sondern auch meine Kräfte blockiert oder sie zumindest hemmt. Meine Flügel zu transformieren brauche ich erst gar nicht zu versuchen, weil ich es nicht bewusst steuern kann. Egal wie sehr ich es versuche.
Hoffnungslosigkeit überkommt mich. Panische Angst um meinen Bruder umklammert mein Herz. Was, wenn ihm etwas passiert ist?
Mich fröstelt, als ein kalter Wind an mir vorbeifegt. Die Baumkronen über mir sehen aus wie schwarze Schatten, die mich verschlingen wollen.
Ein ungutes Gefühl überkommt mich. Es bedeutet nichts Gutes, wenn sie mich in einen dunklen Wald bringen. Mir wird ganz schwindelig vor Angst, als ich mir vorstelle, wie sie mich töten und davor sonst was mit mir anstellen. Niemand würde mich hören. Bei dem Gedanken läuft mir ein kalter Schauer über den Rücken. Mir bleibt nur zu hoffen, dass Ariel und Damon – seine rechte Hand und Selbstverteidigungstrainer – bald feststellen, dass ich entführt wurde, und mich suchen.
Meine Hoffnung schwindet jedoch mit jedem weiteren Meter. Es kommt mir so vor, als sinke meine Chance zu fliehen mit jeder weiteren Sekunde, die verstreicht. Desto tiefer wir in den Wald vordringen, desto dichter werden die Bäume und umso dunkler und unheimlicher die Umgebung.
Ich muss irgendetwas unternehmen, bevor ich zu weit weg bin, und handle spontan. Ich hebe meine Füße hoch und mache mich so schwer, dass der jüngere Entführer mich überrascht loslässt. Mit einem Fußtritt nach hinten höre ich ihn wütend aufschreien. Da meine Hände hinten gefesselt sind, gerate ich ins Straucheln, kann mein Gleichgewicht aber noch finden. Der ältere Mann will mich an der Schulter packen, doch ich weiche ihm aus und renne den Weg zur Schule zurück. Das anstrengende Lauftraining, durch das ich Kondition aufgebaut habe, zahlt sich jetzt aus. Adrenalin schießt durch meine Adern und treibt mich an.
Ich rase – so schnell es mir meine Einschränkung erlaubt – über das Laub, springe über Baumstämme und schlage Haken. Dabei werde ich von den Flüchen meiner Entführer und den Geräuschen von zerbrechenden Ästen verfolgt. Allerdings taumle ich durch den feuchten Erdboden immer wieder. Aufgrund umgefallener Baumstämme, über die ich hinwegspringen muss, verringert sich der Abstand zwischen meinen Verfolgern und mir. Ich bin schnell. Doch die Männer sind schneller.
Der ältere Mann erwischt meine Schulter und reißt mich grob herum, sodass ich mit einem erschrockenen Aufschrei das Gleichgewicht verliere und unsanft auf dem Boden lande.
»Los, steh auf, die Spielchen sind vorbei«, knurrt er.
Die Männer zerren mich unsanft wieder hoch. Mit einem harten Schlag in die Seite nehmen meine aussichtslosen Fluchtversuche ein jähes Ende. Mir bleibt die Luft weg. Ein stechender Schmerz breitet sich von der Stelle aus, wo mich die Faust getroffen hat. Doch ich werde unsanft weitergestoßen.
Auf unserem Weg gelangen wir an mehreren in der Luft schwebenden Lichtern vorbei. Bei genauerem Hinsehen erkenne ich die zierlichen, etwa handflächengroßen Körper der Feen, die im Wald auf dem Schulgelände leben. Ihre für die Weibchen silberne und für Männchen goldene Haut ist mit Blätterkleidern bedeckt. Ihre dünnen, libellenartigen Flügel schlagen unaufhörlich und verteilen somit ein wenig ihres Glitzerstaubs. Ihre großen Augen blicken mich ausdruckslos an.
»Helft mir«, keuche ich flehend, in der Hoffnung, dass sie mich verstehen. Ariel meinte einmal, dass sie neben ihrer Tätigkeit, sich um kranke Pflanzen zu kümmern, zusätzlich als Botschafter auf dem Schulgelände fungieren und Eindringlinge bei ihm melden. Vielleicht können sie ihn zu mir bringen. »Holt Hilfe.«
»Sei still!«, knurrt der ältere Entführer und verpasst mir einen weiteren Schlag in die Seite, der mich aufschreien lässt.
Die Feen stieben sofort auseinander und Verzweiflung überkommt mich. »Bitte!«, krächze ich ihnen hinterher, woraufhin ich mir dieses Mal eine Ohrfeige einfange, die heftiger ist als der Schlag. Meine Wange brennt und ich keuche auf, verkneife mir jedoch einen weiteren Hilferuf, da es mir sowieso nichts bringen würde und ich keine weiteren Schmerzen erleiden will.
Nach schier einer Ewigkeit lichten sich die Bäume und wir gelangen auf eine weite Lichtung, die vom Mondlicht in eine unheimliche Atmosphäre getaucht wird. Mein Herz bleibt stehen, als weitere Gestalten wie Schatten zwischen den Bäumen hervortreten und uns umzingeln. Alle sind ebenfalls in Schwarz gekleidet und halten schwere Gewehre in den Händen, deren Läufe auf mich gerichtet sind.
»Perfekt, ihr habt sie. Es läuft alles nach Plan.«
Mir wird schlecht und meine Hoffnung versinkt endgültig im Boden. Diese Stimme würde ich sofort wiedererkennen. Meine bangen Vermutungen werden bestätigt, als sich die Männer teilen und ein zufrieden aussehender Brendon hervortritt.
Vor ein paar Wochen wurde ich von ihm und ein paar Männern angegriffen, ehe Ariel mich rettete und hierherbrachte. Ich weiß noch, wie ich ihm das Messer in die Schulter gerammt habe, und muss bei dem Gedanken schlucken, dass er sich bestimmt bei mir revanchieren möchte.
Ich werde grob weitergestoßen, bis ich stolpernd vor ihm auf die Knie falle und mir dabei das rechte auf dem dreckigen Waldboden aufschlage. Ich beiße die Zähne zusammen und will mich wieder aufrichten, doch die beiden Männer, die mich hergebracht haben, drücken mich an den Schultern schroff nach unten und verharren zu meinen Seiten.
Brendon wendet sich den umherstehenden Gestalten zu und weist sie an die Umgebung abzusichern.
»Was wollt ihr von mir?«, krächze ich unter Tränen.
Er verschränkt die Hände hinter dem Rücken und lächelt mit schief geneigtem Kopf auf mich herab. Dabei fallen ihm honigblonde Strähnen in die Stirn. Seine dunkelblauen Augen taxieren mich stumm. Er hat das gleiche Gesichtsmuster wie ich, was beweist, dass er auch ein Elf ist.
»Das wirst du noch früh genug herausfinden.«
Fieberhaft überlege ich nach einer Fluchtmöglichkeit. Die Umgebung ist von mindestens zehn Männern abgesichert, die zwischen den Bäumen stehen. Da komme ich niemals raus, ohne dass sie mich wieder einfangen. Dazu schränken mich die fürchterlich schmerzenden Handschellen erheblich in meiner Bewegungsfreiheit ein.
»Wo bleibt er denn? Er sollte schon längst da sein.«
Brendon marschiert ungeduldig auf und ab, während er mich stirnrunzelnd im Blick behält.
»Vielleicht hat es Schwierigkeiten gegeben. Lass uns lieber sofort verschwinden«, schlägt einer der Männer vor und kratzt sich mit der freien Hand am Kopf. Dabei rutscht der Ärmel seiner Jacke zurück, sodass ich einen Blick auf das Tattoo an seinem Handgelenk erhaschen kann.
Mir bleibt die Luft weg, als ich erkenne, dass es das gleiche Symbol ist, das auch Lorcan trägt, ein Elf, der mich seit meiner Ankunft an der Akademie tyrannisiert: ein Pentagramm, in dessen Mitte eine Taube ihre Flügel gen Himmel gerichtet hat. Das Symbol der Rebellen, einer Gruppe von Natura, die gegen das monarchische Regierungssystem protestieren und die Königsfamilien hassen.
»Nein!«, herrscht Brendon den Mann an. »Wir haben unsere Befehle. Es sei denn, du willst den Schwanz einziehen, denn dann kannst du gleich wieder abhauen! Aber ohne dein Geld!«
Der Mann verdrückt sich grummelnd und verschwindet zwischen den Schatten der Bäume. Mir wird noch übler, als mir ohnehin schon ist. Es ist beängstigend, was manche Natura für die richtige Summe zu tun bereit sind. Zudem es mich irritiert, dass Brendon ältere Leute herumkommandiert. Sollte nicht er unter ihnen stehen und nicht umgekehrt?
Urplötzlich herrscht Tumult hinter uns, jemand stöhnt schmerzerfüllt auf, überraschte Ausrufe ertönen. Brendon reißt verblüfft die Augen auf und wendet seinen Blick auf etwas hinter mir. »Was zum …?«
»Lass sie in Ruhe!«
Mein Herz droht mir vor Erleichterung aus der Brust zu springen, als ich seine Stimme höre. Ich drehe mich so schnell um, dass die Männer, die mich festhalten, gar nicht die Möglichkeit haben, mich davon abzuhalten. Sowie ich Daan sehe, fällt mir ein Stein vom Herzen. Er steht zwischen zwei Männern, die er zu Boden gerungen hat, und richtet seine erhobenen Hände in Richtung Brendon. Gefährliches Feuer lodert über seinen Fingerspitzen.
Lächelnd tritt Brendon hinter mich, um mich als lebenden Schutzschild zu verwenden. Ich will mich von ihm wegschieben, damit Daan freie Bahn hat, doch seine Männer halten mich unnachgiebig fest.
»Du wirst mir nichts tun, denn wenn du dein Feuer einsetzt, wirst du sie verletzen.«
Die Flammen auf Daans Händen erlöschen und Brendon mustert mich fast mitleidig.
»Hat dir der liebe Daan eigentlich schon erzählt, dass er …«
Der Rest seines Satzes geht in einem erschrockenen Aufschrei unter, als wir von einem Windstoß von den Füßen gerissen werden. Ich lande unsanft auf dem Waldboden, Brendon prallt hart gegen einen Baumstamm, die Pistole fällt ihm aus der Hand und landet im dreckigen Erdboden.
»Lucy, lauf!«, brüllt Daan und wendet sich den anderen Männern zu, die nach ihren Maschinengewehren greifen und sich wieder aufrichten wollen.
Überrumpelt rappele ich mich auf und will in den Wald fliehen. Doch zwischen den Bäumen angekommen halte ich inne. Ich kann den Kobold doch nicht allein lassen.
Gerade als ich wieder umkehren will, spüre ich eine geschwungene, scharfe Klinge an meinem Hals, die meine Haut verbrennt, und einen warmen Körper in meinem Rücken.
»Wenn du noch mal Anstalten machen solltest abzuhauen, schneide ich dir die Kehle höchstpersönlich durch«, flüstert jemand an meinem Ohr, sodass sein kalter Atem auf meine Haut stößt. Mir bleibt vor Schreck das Herz stehen, als ich die Stimme wiedererkenne. Nein!
»Los, vorwärts.«
Er verpasst mir einen schmerzhaften Stoß in die Seite, der mich nach vorn taumeln lässt. Ich keuche auf, krümme mich zusammen und unternehme einen hilflosen Versuch, mir die pochende Stelle zu halten. Jedoch wird mir das durch die gefesselten Hände verweigert. Völlig durcheinander drehe ich mich langsam um. Ich weiß, wer hinter mir steht. Aber ich kann und will es nicht glauben.
»Hallo, Lucy«, sagt Talorion ernst.
Da ich ihn schon seit ein paar Tagen nicht mehr zu Gesicht bekommen habe, erschreckt mich sein Anblick. Er ist kreidebleich. Schatten liegen unter seinen Augen, als hätte er in den letzten Tagen nicht geschlafen. Die dunkelblonden Haare sind ungekämmt und seine dunkelbraunen Augen haben ihren Glanz verloren. In seiner Stimme schwingt ein bedauernder Unterton mit. Dieser Junge vor mir hat nichts mehr mit dem fröhlichen und gutmütigen Cousin gemein, den ich kennengelernt habe.
Er stößt mich zurück auf die Lichtung, wobei er sich mit dem Dolch an meinem Hals dicht hinter mir hält. »Ergib dich, Daan, oder ich schneide ihr die Kehle durch«, brüllt er laut und deutlich.
Die Rebellen, die den Kobold immer noch umzingeln, drehen sich verwundert zu uns. Brendon scheint der Einzige zu sein, der nicht überrascht, sondern erleichtert wirkt.
»Was zum …?« Daan, der wieder die Hände gehoben hat, um sich erneut gegen die Rebellen zu stellen, starrt Talorion ungläubig an.
In diesem Moment wirft sich jemand von der Seite auf ihn. Der Kobold wird von dem plötzlichen Angriff so überrascht, dass er schwankt. Er kann Lorcan, der auf seinen Rücken gesprungen ist, abschütteln und will sich umdrehen. Doch da verpasst ihm ein anderer Mann mit dem Knauf seines Maschinengewehrs einen Schlag gegen die Schläfe, woraufhin er endgültig das Gleichgewicht und die Orientierung verliert.
Lorcan nutzt diesen Moment und stößt ihm grob eine Spritze in die Schulter. Daan will nach ihm schlagen, doch als hätte er keine Kontrolle mehr über seinen Körper, fallen erst seine Arme nach unten, ehe er auf dem schmutzigen Waldboden zusammenbricht. Lediglich seine Augen sind geöffnet, mit denen er mich schockiert anblickt.
»Nein!«, schreie ich verzweifelt, als könnte ich damit etwas ausrichten. Ich will zu ihm laufen, werde aber von Talorion zurückgehalten, der mich mit eisernem Griff festhält und seinen Dolch an meinen Hals drückt.
Daan verzieht stöhnend das Gesicht und fängt meinen Blick auf. »Keine Angst. Die Feen, die mir verraten haben, wo du bist, habe ich zu Ariel geschickt. Er ist bestimmt schon auf der Suche nach uns. Sie werden uns finden«, flüstert er aufmunternd in meinem Kopf. Jedoch kann ich den besorgten Unterton in seiner Stimme heraushören. Bis Ariel uns gefunden hat, sind wir tot.
Ich kann nicht glauben, dass das alles gerade wirklich passiert. Es fühlt sich eher wie ein wahrgewordener Albtraum an.
Talorion schubst mich in die Arme der Männer, die mich hierherbrachten. Diese drücken mich mit festen Griffen an meinen Armen unsanft zu Boden, sodass mein Gesicht im Dreck landet.
Mein Cousin nickt Brendon zu und deutet mit dem Dolch auf Daan, der regungslos auf dem Boden liegt. Sein Gesicht ist ganz bleich angelaufen. »Kümmere dich um ihn.«
Brendon sieht Talorion verwirrt an. »Was meinst du? Ich dachte …«
»Die Pläne haben sich geändert«, unterbricht der Elf ihn barsch.
»Talorion, was hast du vor?«, verlangt Brendon fassungslos zu wissen.
Dasselbe frage ich mich auch. Es macht mir Angst, dass er anscheinend weiß, was in Talorion vorgeht. Und es macht mir Angst, dass er davon dermaßen betroffen ist, denn das verheißt nichts Gutes. Mir wird übel. Richtig übel. Es kommt mir so vor, als hätten sich all meine Feinde gegen mich verschworen. Fehlen nur noch die Schüler, die etwas gegen meine Herkunft haben und das ganze Spektakel bestimmt liebend gern mitverfolgen würden.
»Ich sagte, du sollst dich um Daan kümmern! Oder stellst du mich infrage?«, knurrt Talorion und hebt die Hand. »Dryaden, ihr untersteht meinem Befehl. Haltet die Rebellen fest!«
Wie auf Kommando beginnen die Stämme sich zu bewegen. Magere, etwa hüfthohe Dryaden lösen sich aus ihnen. Ihre nur mit einem Blätterkleid bedeckten Körper sind dennoch mit ihnen verbunden. Ihre Haut ist grünbraun. Mit Blättern und Moos bedeckte Haare reichen ihnen bis zu den Füßen. Ihre großen Augen fixieren Brendons Männer, die erschrockenen vor ihnen zurückweichen.
Als wären die Baumgeister das Schaltzentrum der Bäume rings um ums, bewegen sich deren Äste. Sie schlagen ihnen die Waffen aus den Händen. Verzweifelt versuchen die Männer sich zu wehren, doch die Dryaden sind unnachgiebig. Ihre Äste umschlingen Füße und Arme und ziehen sie zu sich heran an die Baumstämme. An Hand- und Fußgelenken durch die Äste gefesselt werden die Männer an die Dryaden gepresst, sodass sie bewegungsunfähig sind. Die ganze Szene wirkt beinahe gespenstisch, da die Dryaden und ihre Bäume wie Todeswächter hinter den gefangenen Rebellen hochragen.
Meine Bewacher werden unruhig, halten mich jedoch weiterhin fest. Der Anblick ihrer Kameraden erinnert mich schmerzlich daran, wie ich vor Kurzem von einer Dryade angegriffen wurde, die das Gleiche mit mir machte und mich dabei fast erstickte, wäre Daan nicht gekommen, um sie und ihren Baum zu verbrennen und mich zu retten.
Mir klappt der Mund auf und ich starre Talorion fassungslos an. »Du warst das! Du hast die Dryade dazu gebracht, mich anzugreifen! Sie hätte mich beinahe getötet!«
Mein Cousin lächelt grimmig. »Das wäre mir auch fast gelungen, wäre nicht jemand dazwischengegangen, der immer zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort ist!« Er wirft Daan, der nach wie vor regungslos am Boden liegt, einen finsteren Blick zu.
Brendon steht die Verwirrung ins Gesicht geschrieben. Ebenso wie Lorcan, der die Stirn runzelt und sich aufgewühlt durch die haselnussbraunen Haare fährt. Seine gleichfarbigen Augen durchbohren die meines Cousins.
»Was soll das? Du sagtest, dass sie am Leben bleibt. Sie ist doch nur ein Druckmittel, bis die Verhandlungen beendet sind und wir das bekommen haben, was wir wollen.«
»Meine Meinung hat sich geändert. Ihre Eltern werden sich niemals auf Verhandlungen mit euch einlassen. Geh wieder zurück und kümmere dich um den Kobold.« Talorion beachtet Daan nicht einmal. Sein unergründlicher Blick ist auf mich gerichtet und beschert mir eine Gänsehaut.
Verzweifelt blicke ich zu Daan, der immer noch am Boden liegt und sich nicht bewegt. Ausschließlich sein Blick wandert zwischen den diskutierenden Jungen hin und her. Lediglich zwei oder drei Männer wehren sich noch gegen die festen Griffe der Dryaden, der Rest hat erschöpft aufgegeben. Was vermutlich auch daran liegt, dass die Dryaden ihnen die Luft abdrücken, um sie bewusstlos werden zu lassen. Wenn sie sie nicht sogar ganz töten. Mir wird schlecht. Das ist übel. Das ist so richtig übel.
»Das stimmt«, pflichtet Brendon ihm bei und beobachtet die Dryaden skeptisch, welche die Rebellen in Schach halten. Er bleibt unschlüssig stehen und es scheint so, als stelle er die Befehle von Talorion infrage. Die Jungen starren sich gegenseitig an, als würden sie still kommunizieren.
»Na schön.« Brendon funkelt meinen Cousin nochmals wütend an, dreht sich jäh um und marschiert festen Schrittes zu Daan. Der Elf reißt ihn am Nacken hoch, sodass der Kobold die Lippen aufeinanderpresst. Lediglich sein gequälter Gesichtsausdruck verrät, dass er Schmerzen erleidet, was mir einen Stich versetzt. Erst recht, weil er wie ein Betrunkener in sich zusammensackt, weshalb Brendon ihn stützen muss.
»Lass ihn in Ruhe! Hört auf! Bitte!«, rufe ich und wehre mich verzweifelt gegen meine Bewacher, die mich nur weiterhin unbarmherzig festhalten und von den Dryaden verschont wurden.
»Das mit euch beiden wäre sowieso nichts geworden. Du bist wirklich naiv, wenn glaubst, dass Daan Dragón etwas von dir will. Das Einzige, was er von dir will, ist dein Herz, damit er es zerstören kann«, meint Talorion anklagend.
Ein ungutes Gefühl überkommt mich. Sogar Talorion ist der Meinung, dass Daan mit mir spielt. Sagt er das nur, um mich zu verunsichern? Aber was, wenn es die Wahrheit ist?
Mein Cousin nickt Brendon zu, der mit dem bewegungsunfähigen Daan, dessen Augen meinen Cousin finster fixieren, zwischen den Bäumen verschwindet.
»Du darfst ihn nicht töten! Bitte!«, rufe ich ihm verzweifelt hinterher, in der Hoffnung, dass er meine Bitte erhört. Immerhin schien er etwas gegen Talorions Planänderung zu haben. Doch da sind sie bereits weg. Mit Tränen in den Augen und einem dicken Kloß im Hals sehe ich meinen Cousin an. »Was soll das?«, flüstere ich tonlos.
Ich schreie vor Schreck auf, als ich hochgerissen werde.
»Wenn du weiterhin lebst, werden die Elfen wegen deiner Naivität untergehen. Du bist die rechtmäßige Thronerbin, aber Danny wäre ein besserer König. Ich weiß, dass er die Elfen anführen und die Kobolde wieder in das Drecksloch zurückverbannen wird, aus dem sie herausgekrochen kamen.«
»Wo ist Danny?«
Angst und Zweifel schnüren mir die Kehle zu. Was, wenn mein Bruder mit Talorion gemeinsame Sache macht? Was, wenn er ebenfalls hinter den ganzen Angriffen steckt, um mich loszuwerden?
Ohne auf meine Frage einzugehen, nickt mein Cousin den Männern zu, die mich festhalten. Sie drücken mich unsanft mit den Schultern nach unten, sodass ich wieder vor ihm knien muss. Mein Cousin zückt seinen Dolch, dessen scharfe Klinge bedrohlich glänzt.
»Das kannst du doch nicht machen! Du hast die Vereinbarung gebrochen! Wir brauchen sie lebend!«, ruft Lorcan, der die ganze Zeit fassungslos danebenstand, und will sich mit geballter Faust auf Talorion stürzen.
Der weicht ihm lässig zur Seite aus. Mit einem Wink seiner Hand löst sich eine weitere Dryade von ihrem Baum. Ehe Lorcan registriert, wie ihm geschieht, hat sie bereits ihre Äste um seinen Bauch geschlungen und ihn an ihren Stamm gezogen, wo sie ihn mit ihren knorrigen Armen und ihren Ästen an seinen Hand- und Fußgelenken festnagelt.
Der Elf wehrt sich verbissen, kommt jedoch nicht gegen den Baumgeist an. »Tu das nicht! Bitte! Wir brauchen sie!«, brüllt er in heller Verzweiflung.
Mit einem weiteren Wink Talorions legt die Dryade eine Hand auf Lorcans Mund und bringt ihn dadurch zum Verstummen.
»Nimm es mir nicht übel, Lorcan. Ihr habt gute Arbeit geleistet. Das werden wir den Rebellen nicht vergessen. Bald wirst du erkennen, dass wir nur das Beste für unser Volk wollen.« Dann wendet er sich an mich.
Verwirrt sehe ich ihn an. »Wen meinst du mit wir?«
Doch er geht gar nicht erst auf meine Frage ein. »Es tut mir leid, aber du kannst es mir nicht verübeln, dass ich dich hasse. Dafür wird dein Tod schnell und schmerzlos sein.« Er hält die Klinge in Höhe meines Herzens. »Es gibt nur eine Möglichkeit, wie man Royals töten kann. Das Material, mit dem man sie verletzt, muss aus Eisen sein, weil es die Heilung verlangsamt. Sei froh, dass ich dir das Schicksal der Dryade erspare. Im Gegensatz zu dir musste sie ein wenig leiden. Ich werde es kurz und schmerzlos machen.«
»Du hast sie getötet? Aber warum? Was habe ich dir denn getan?!«, stottere ich mit zitternder Stimme und hoffe durch meine Fragen auf Zeit spielen zu können, bis Rettung kommt.
»Natürlich habe ich die Dryade getötet. Sie wollte reden und ihr war bewusst, welche Strafe sie erwartet, wenn sie mich verrät, deshalb musste ich sie beseitigen. War auch eine gute Machtdemonstration, damit die anderen Dryaden nicht auf dumme Gedanken kommen.« Er zwinkert den Baumgeistern zu, die die Rebellen festhalten.
Erst jetzt bemerke ich, dass in ihren dunklen Augen Schmerz liegt. Dass sie ihm gar nicht gehorchen wollen. Neue Hoffnung keimt in mir auf.
»Hört nicht auf ihn! Ihr seid in der Überzahl! Lasst die Rebellen frei und helft mir!«, wage ich mit neuer Hoffnung den Versuch, sie dazu zu bringen, sich gegen meinen Cousin zu wenden.
Doch sie starren mich nur bedauernd an, während Talorion spöttisch lacht. »Sie unterstehen meinem Kommando. Du kannst so viel flehen und betteln, wie du willst, sie werden dir nicht helfen. Die Prophezeiung darf auf keinen Fall in Erfüllung gehen. Deshalb musst du sterben.«
»Was meinst du damit?« Ich rüttle verzweifelt an den Fesseln und halte hoffnungsvoll nach Rettung Ausschau. Doch außer den Feinden, die selbst durch die Dryaden bewegungsunfähig sind, ist niemand zu sehen, der mir oder Daan zu Hilfe eilen könnte. Der Gedanke, dass Brendon ihn gerade verletzt oder gar tötet, versetzt mich in Angst und Schrecken.
Fürchterliche Szenen spielen sich in meinem Kopf ab, bei denen mein Bruder verletzt und umgebracht wird. In anderen gesellt er sich zu Talorion und unterstützt ihn. Ich hoffe sehr, dass er mit den Schülern aus dem Schulgebäude geflohen und in Sicherheit ist. Ich will nicht daran denken, dass er mich verraten haben könnte.
»Darüber brauchst du dir keine Gedanken mehr zu machen. Deine Zeit ist abgelaufen.«
In Talorions Augen funkelt urplötzlich so viel Hass, wie ich es noch nie zuvor gesehen habe. Das ist nicht mein Cousin, wie ich ihn kenne, beziehungsweise glaubte gekannt zu haben. Der Elf vor mir ist wie ausgewechselt. Ein böser Zwilling.
»Glaubst du, ich kann zulassen, dass du unser Volk zerstörst?« Er lacht herablassend. »Du kannst es noch so sehr verleugnen, aber ich weiß, was du bist: ein dummes Mädchen, das sich in den Feind verliebt und sein eigenes Volk verrät! Dabei hast du nicht die geringste Ahnung, was du den Elfen damit antust!«
Ich zucke bei seinen Worten zurück. Wie rasiermesserscharfe Klingen fahren sie durch die Luft und treffen mich mitten im Herzen. Ist es denn so offensichtlich?
»Daan ist nicht der Feind! Du bist derjenige, der …«
Talorion schnaubt kopfschüttelnd und bedenkt mich mit einem mitleidigen Blick. »Die neun Jahre haben dich verblöden lassen. Du denkst, er hätte etwas für dich übrig.«
Er lacht boshaft. Dann verdunkeln sich seine Augen. Die freie Hand ballt er zu einer Faust, während die linke den Schaft seines Messers fest umklammert, als wäre es sein Schutzschild.
Seine Stimme wird lauter und er deutet mit seiner Waffe zur Schule. »Du wurdest angelogen. Würde es die Monarchie nicht geben und hättest du mir mein Leben nicht genommen, hätten wir sogar gute Freunde werden können. Doch ich hasse dich. Für das, was du bist, und für das, was mir wegen dir in den letzten neun Jahren genommen wurde«, fügt er traurig hinzu.
Ich starre ihn verwirrt an. Was redet er denn da? Talorion muss völlig verrückt geworden sein. Seine Worte ergeben für mich nicht den geringsten Sinn. Sie werfen lediglich weitere Fragen auf.
»Talorion, ich verstehe nicht, was du meinst. Ich habe dir gar nichts getan. Wenn es um den Thron geht … Ich will das gar nicht! Du kannst meinen Platz gern haben!«, sage ich beschwichtigend und meine es ernst. Ich hatte in den letzten Wochen genug Zeit, mir Gedanken über meine Zukunft zu machen. Die Vorstellung, in einigen Jahren als Königin über die Elfen zu regieren und eine derart große Verantwortung auf den Schultern zu tragen … das kann ich nicht. Und ich werde es auch nie können.
»Lüge!«, brüllt er und lässt den Schaft seines Dolchs auf meine Schläfe niederfahren, sodass Sterne vor meinen Augen tanzen.
Ich gehe mit einem erschrockenen Aufschrei zu Boden. Dort, wo er mich getroffen hat, breitet sich ein pochender Schmerz aus. Warmes Blut rinnt über meine Wange und ich verkneife mir ein Aufschluchzen.
»Du kannst nichts für das, was du bist«, flüstert Talorion überraschend ruhig und kniet sich vor mich. Er legt seine Hände an mein Kinn und hebt es leicht an, sodass ich ihm mit bebenden Lippen in die Augen sehen muss. Ich zittere am ganzen Körper, während alles vor mir verschwimmt und der pochende Kopfschmerz zunimmt.
»Ich habe keine Ahnung …«, versuche ich ihn zu beruhigen, doch meine Stimme bricht.
Talorion hat gar nicht vor mich ausreden zu lassen. Er hebt die andere Hand, um mich zum Schweigen zu bringen. Ich zucke in der Erwartung eines weiteren Schlags ängstlich zusammen. Doch der bleibt aus.
»Du und deine Familie, ihr habt mir alles genommen, was ich hatte. Mein Leben. Und jetzt habe ich keine andere Wahl. Du bist eine Gefahr für den Fortbestand unseres Volkes. Statt es zu seiner Größe zurückzuführen, ließest du es untergehen. Die Prophezeiung besagt dasselbe.«
Und plötzlich geht alles ganz schnell. Während mich seine Männer zu Boden drücken, kniet Talorion sich vor mich und drückt mir die Spitze des Dolchs ans Herz. Er ist so scharf, dass die Schneide den Stoff meines Kleides durchdringt und sich schmerzhaft in meine Haut brennt. Aufgelöst sieht er mich an. Seine Hand zittert merklich, sodass es mich nicht gewundert hätte, wäre ihm die Waffe aus den Händen geglitten. Es kommt mir so vor, als wäre er hin- und hergerissen, ob er mich wirklich töten soll oder nicht.