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**Wenn die Schatten die Elfenwelt ergreifen** Die Konflikte der fünf Völker im Reich der Elfen spitzen sich immer weiter zu. Als Thronfolger verfeindeter Königshäuser merken Lucy und Daan täglich, dass sie nicht mal mehr ihren eigenen Familien trauen können. Denn eine Prophezeiung besagt, dass bei der Vereinigung der Elfen und Kobolde nur ein Volk überleben kann. Lucy und Daan müssen sich entscheiden, was ihnen wichtiger ist: ihre Liebe zu einander oder die zu den Bewohnern ihres Landes… Mit »Prinzessin der Elfen« kreiert Nicole Alfa eine bezaubernde Geschichte über die Kraft einer verbotenen Liebe. Dabei entführt sie uns in das faszinierende Reich der Elfen, aus dem kein Leser je wieder zurückkommen möchte. //Alle Bände der zauberhaft-magischen Buchserie »Prinzessin der Elfen«: -- Prinzessin der Elfen 1: Bedrohliche Liebe -- Prinzessin der Elfen 2: Riskante Hoffnung -- Prinzessin der Elfen 3: Zerstörerische Sehnsucht -- Prinzessin der Elfen 4: Verratenes Vertrauen -- Prinzessin der Elfen 5: Verlorene Gefühle// Diese Reihe ist abgeschlossen.
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Nicole Alfa
Prinzessin der Elfen 4: Verratenes Vertrauen
**Wenn die Schatten die Elfenwelt ergreifen** Die Konflikte der fünf Völker im Reich der Elfen spitzen sich immer weiter zu. Als Thronfolger verfeindeter Königshäuser merken Lucy und Daan täglich, dass sie nicht mal mehr ihren eigenen Familien trauen können. Denn eine Prophezeiung besagt, dass bei der Vereinigung der Elfen und Kobolde nur ein Volk überleben kann. Lucy und Daan müssen sich entscheiden, was ihnen wichtiger ist: ihre Liebe zu einander oder die zu den Bewohnern ihres Landes …
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Vita
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© privat
Nicole Alfa schrieb bereits mit elf Jahren die Erstfassung für ihre Debütreihe. Nachdem sie ihre Manuskripte auf einer Plattform für Autoren hochlud und dort Zuspruch von ihren Lesern bekam, verfestigte sich ihr Wunsch, Schriftstellerin zu werden. Oft lässt sie sich für ihre Charaktere und deren Schicksale durch ihre Umgebung, Erfahrungen, Musik oder Fotos inspirieren. Ihr Motto ist es, nicht aufzugeben, auch wenn andere sagen, dass es unmöglich ist.
10 Jahre zuvor
Mit angehaltenem Atem schiebe ich die Blätter beiseite. Laub raschelt unter meinen Füßen, als ich über die Äste hinwegsteige. Kurz drehe ich mich um. Hinter mir ragt der Palast in den blauen Frühlingshimmel. Der Schnee ist bereits geschmolzen und die Sonne scheint auf mich herab, ihre warmen Strahlen streicheln meine Wangen.
Auch wenn ich mich hier, umgeben von der Natur, wohlfühle, pocht mein Herz unglaublich schnell. Ich habe Angst, erwischt zu werden, doch die Wachen und meine Eltern sind damit beschäftigt, Danny und Dylan beim Bogenschießen zu beobachten, weshalb niemand mein Fehlen bemerkt.
Schnell ducke ich mich unter einem tiefhängenden Ast hindurch, damit er mir nicht ins Gesicht peitscht, und entdecke die Lücke, die ins Dickicht führt. Ich muss mich hinknien und auf allen vieren hindurchkrabbeln, weil ich sonst nicht durchpasse.
Schon im Tunnel, der von den Büschen und der Hecke gebildet wird, spüre ich wegen diesem komischen Prickeln in meinem Nacken, dass ich nicht allein bin.
Jemand ist in mein Versteck eingebrochen. Und mein Gefühl sagt mir, dass ich schon weiß, wer sich dazu erdreistet hat, in meinen Zufluchtsort einzudringen. Ich sollte die Wachen rufen. Aber ich tue es nicht, weil ich die Sache allein regeln will. Stattdessen krabbele ich mit einer Mischung aus Furcht und Aufregung als auch Empörung weiter.
Der Tunnel weitet sich und führt mich auf eine kleine Wiesenfläche, die von hohen Büschen, Bäumen und Hecken umgeben und für das bloße Auge von außen nicht zu erkennen ist. Mitten auf der Lichtung steht die Person.
Mit großen Augen sehe ich ihn an. Es handelt sich um einen Jungen. Einen Jungen mit dunkelbraunen, fast schwarzen Haaren, die ihm wirr ins Gesicht hängen. Klare eisblaue Augen fixieren mich spöttisch.
Er hat sich im von der Sonne erwärmten Gras niedergelassen. Den Kopf in den Nacken gelegt und die Beine überschlagen betrachtet er mich, als wäre ich der Eindringling und nicht umgekehrt.
Entrüstet verschränke ich die Arme vor der Brust. »Habe ich es mir doch gedacht. Was machst du hier?! Du hast hier nichts zu suchen! Das ist mein Versteck und mein Palast!«, fauche ich.
»Pech gehabt. Jetzt ist es mein Versteck. Es gefällt mir hier und ich habe nicht vor, so schnell wieder zu verschwinden. Und der Palast wird irgendwann auch mal mein sein.« Er zwinkert mir zu.
Mit hochrotem Gesicht stemme ich eine Hand in die Hüfte und deute mit der anderen auf den Tunnel. »Verschwinde sofort!«
Der Junge betrachtet mich eine Weile mit schief geneigtem Kopf. Dann steht er schließlich auf. Ich bin schon fast enttäuscht, dass er geht. Aber dann kommt er auf mich zu, bis er direkt vor mir stehen bleibt.
Ich widerstehe dem Drang, vor ihm zurückzuweichen. Er soll nicht merken, wie sehr er mich einschüchtert. Mutter und Vater haben mir beigebracht, mich von jemandem wie ihm – vor allem ihm und seiner Familie ja nicht unterdrücken zu lassen.
»Warum kommst du dann her, wenn du wusstest, dass ich hier bin, obwohl du mich ja – wie du es unmissverständlich ausgedrückt hast – nicht sehen willst?«, gibt er provokant zurück.
»Ich …«, beginne ich und klappe den Mund wieder zu. »Blödkobold!«
Dass mir nichts Besseres eingefallen ist, lässt ihn verschmitzt grinsen und er tritt mit diesem selbstgefälligen Lächeln im Gesicht an mich heran. »Aber dafür bin ich ein cooler Blödkobold, oder?«
Ich will schon zu einem entrüsteten Protest ansetzen und öffne den Mund, da beugt er sich vor und presst seine Lippen auf meine.
Der Junge küsst mich. Er küsst mich!
Meine erste und einzig vernünftige, rationale Reaktion sollte sein, ihn von mir zu stoßen. Doch obwohl mein Gehirn das fordert, will mein Körper nicht reagieren. Somit stehe ich wie erstarrt da, unfähig mich zu bewegen, und lasse zu, dass dieser Junge, den meine Familie und ich über alles hassen, mich küsst.
Dieser Kuss ist eklig und nass. Und warm. Ja, er ist warm. Ich spüre Wärme und Geborgenheit, die sich in Feuer umwandelt, das durch meine Adern schießt und sich bis in meine Zehenspitzen ausbreitet. Mein Magen kribbelt, als würde ich dort Tausende von herumschwirrenden Feen beherbergen. Meine Knie werden plötzlich zu Wackelpudding und ich denke schon, dass ich gleich ohnmächtig werde, als der Junge mir das Handeln abnimmt.
So schnell wie er mich geküsst hat, tritt er wieder zurück. Die Lippen noch leicht geöffnet, haben seine Wangen einen verlegenen Pfirsichton angenommen. Er blinzelt ein paar Mal, während er mich nicht weniger verblüfft anstarrt. Erst da scheint ihm klar zu werden, was er da gerade getan hat, denn er weitet entsetzt die Augen. »Denk nicht, dass das jetzt irgendwas zu bedeuten hat. Ich hasse dich!«
Ich nicke und fasse mir perplex an die Lippen, auf denen ich immer noch den Druck der seinen spüre. Ich blinzle kurz, doch da ist er schon weg und lässt mich allein in meinem kleinen Versteck zurück.
»Ich hasse dich auch«, hauche ich, auch wenn er es nicht mehr hören kann.
Lucy
Ich bin stolz auf dich, mein Sohn. Du hast deinen Auftrag erfolgreich erfüllt. Nun können wir endlich die Kobolde rächen und mit der Vernichtung der Elfen beginnen. Angefangen mit ihrer Kronprinzessin.
Rüttelte ich eben noch verzweifelt an den Ketten, in der Hoffnung, mich irgendwie befreien zu können, lasse ich meine Hände jetzt sinken und starre den König der Kobolde und seinen Sohn, in den ich mich unwiderruflich verliebt habe, entsetzt an. Immer wieder gehen mir die Worte des Koboldkönigs durch den Kopf. Immer wieder höre ich seine kalte, verächtliche Stimme in meinen Ohren. Ein Zittern geht durch meinen Körper und mir wird eiskalt.
»Was meinen Sie damit?«
Ich bin überrascht, dass ich überhaupt noch einen richtigen Satz zustande bringe, so durcheinander wie ich bin. Vielleicht bin ich auch noch ein wenig benebelt wegen des Betäubungsmittels oder in was auch immer der Giftpfeil getaucht war, ehe ich ohnmächtig wurde.
Ich weiß noch, dass ich mit Daan sein Wohnhaus verlassen habe, nachdem ich heute Nacht bei ihm übernachtet habe. Ich weiß noch, dass wir zum Mittagessen in den Speisesaal gehen wollten. Ich weiß noch, wie Daan sagte: »Lucy, ich glaube, wir sollten …«, ehe sich ein spitzer Pfeil in meine Haut bohrte. Ich erinnere mich an sein erschrockenes Gesicht, ehe alles um mich herum dunkel wurde.
Und jetzt sitze ich hier. In einem dunklen Kellergewölbe, vermutlich unter dem Palast der Kobolde. Das einzige Licht spenden die flackernden Fackeln zu beiden Seiten der schweren Eisentür auf der anderen Seite. Während Daan und sein Vater sich vor mir befinden, bin ich wie ein Tier an die Steinsäule gekettet. Die Eisenhandschellen an meinen Handgelenken brennen sich wie Feuer in meine Haut.
»Was meinen Sie damit?«, wiederhole ich, obwohl ich es tief in meinem Inneren bereits weiß. Ich will es nicht wahrhaben. Es darf nicht wahr sein!
Der König lächelt selbstgefällig, seine dunklen Augen blitzen mich gefährlich an. »Ich bin doch nicht so närrisch, meine Pläne zu verraten. Daan, mein Sohn, willst du ihr nicht sagen, was dein Auftrag war?«
Daan zuckt zusammen, er schüttelt den Kopf. »Bitte, Vater …«
»Was habe ich dir über betteln und flehen beigebracht?«, knurrt sein Vater. »Du bist der Prinz der Kobolde. Und der Prinz der Kobolde bettelt und fleht nicht! Er nimmt sich, was er will!«
Ehe er es sich versieht, hat sein Vater ihn schon am Kragen gepackt, in meine Richtung geschubst und auf die Knie gezwungen, sodass wir auf gleicher Augenhöhe sind und ich in seine weit aufgerissenen eisblauen Augen blicken kann, die verdächtig glänzen. In ihnen kann ich so viele Emotionen erkennen. Schmerz, Schuldgefühle und Scham. Aber auch unterdrückte Wut und Zorn.
»Sag es ihr!«, zischt sein Vater. Seine kalte Stimme fährt wie ein scharfes Messer durch die Luft. »Sag ihr, was deine Aufgabe war!«
Daan ist kreidebleich angelaufen. Er atmet sehr schnell und zittert am ganzen Körper. Dann presst er die Lippen zusammen und schüttelt stur den Kopf. Die Verzweiflung steht ihm ins Gesicht geschrieben.
»Muss ich noch deutlicher werden?« Sein Vater greift fester um seinen Nacken und drückt ihn weiter nach unten.
Daan verzieht das Gesicht vor lauter Schmerz. »Ich …«, beginnt er stotternd. »Es … es war meine Aufgabe, dir näher zu kommen und dich …«
Ungläubig schüttle ich den Kopf, denn ich will das nicht hören. Ich will nicht, dass er es ausspricht.
Doch als sein Vater ihn noch fester packt, fährt er stockend fort. »Ich sollte dich dazu bringen, dich in mich zu verlieben.«
Seine Worte sind wie ein Messerstich direkt ins Herz, das dort steckenbleibt und es langsam in tausend Stücke schneidet.
»Nein«, flüstere ich. Ein Kloß bildet sich in meinem Hals, Tränen schießen in meine Augen. Mein Herz rast und ich bekomme kaum Luft. »Bitte sag mir, dass das nicht wahr ist! Dass er lügt!«, flehe ich ihn verzweifelt an.
»Sag ihr, warum!«, fordert sein Vater ihn auf.
Daan schüttelt den Kopf, doch als sein Vater ihm etwas ins Ohr flüstert, verspannt er sich und gibt nach. Er schließt kurz die Augen und als er sie wieder öffnet, sind sie erkaltet und leer. »Ich sollte dich dazu bringen, dich in mich zu verlieben, damit ich einen Keil zwischen dich und deine Familie treibe.«
Er spricht jedes einzelne Wort aus, als koste es ihn viel Kraft. Als täte es ihm genauso viel weh wie mir. Und jedes einzelne Wort ist nur ein weiterer tiefer Schnitt mitten in mein Herz, das mit jedem weiteren Stück auseinanderbricht.
Dabei haben Daan und ich so viel durchgemacht. Haben Seite an Seite mit den Rebellen gegen die Orks gekämpft, die in den Elfensektor eindrangen. Er hat sein Leben für mich riskiert. Er hat mir gestern inmitten eines Schlachtfeldes vor den Elfensoldaten und den Rebellen seine Liebe gestanden.
Wir waren uns körperlich nähergekommen. Und Daan meinte, er wolle mich davor erst noch richtig ausführen, bevor wir miteinander schlafen. Er war immer so fürsorglich, hat sich für mich eingesetzt und mich beschützt.
Doch jetzt kniet er direkt vor mir, starrt durch mich hindurch, als wäre ich nicht da. Sein sonst immer so zärtlicher Ausdruck ist einer kalten undurchdringlichen Maske gewichen. Das ist nicht der Daan, den ich kannte. Wurde er wieder von seinem Vater manipuliert? Sowie nach Neujahr, als er ihn dazu zwang, sich mit Siana zu verloben und sich von mir fernzuhalten? Und was meinte er mit dem Auftrag, den er seinem Sohn gegeben hat?
Ich zittere, Tränen rinnen unkontrolliert über meine Wangen, doch es ist mir egal. Obwohl es hier unangenehm warm ist, sodass mir Schweißperlen auf der Stirn stehen, breitet sich eine eisige Kälte in mir aus. Ich sacke nach vorn, wobei die Eisenhandschellen mich zurückhalten und schmerzhaft in meine Haut einschneiden.
Doch die Schmerzen sind nicht so schlimm wie das Gefühl des Verrates, das sich wie die messerscharfe Spitze eines Schwertes in mein Herz bohrt. Das mir all die Hoffnung nimmt, die ich hegte. Die Hoffnung, dass Daan und ich einen Weg finden, zusammen zu sein. Wie er es mir versprochen hat. Doch war sein Versprechen überhaupt etwas wert, wenn er mich so offensichtlich von vorn bis hinten belogen hat?
Und ich habe zugelassen, dass Daan in mein Leben trat. Ich habe zugelassen, dass er mir näherkam und sich in mein Herz schlich, während ich mich wegen ihm mit meiner Familie zerstritt. Weil ich mich für ihn eingesetzt habe. Ich habe zugelassen, dass ich mich in ihn verliebte. Ich habe alle Warnungen in den Wind geschlagen, weil ich auf mein Herz gehört habe. Und jetzt zahle ich den Preis dafür. Einen hohen Preis.
Ich weiß, was sein Vater ihm antut, wenn er ihm nicht gehorcht. Er foltert ihn, indem er ihm das Familienwappen mit einem Eisenstab einbrennt, da das Eisen eine Verheilung der Wunde verhindert, sodass eine Narbe zurückbleibt. Ich habe es selbst gespürt, als ich einmal aus Versehen in seine Erinnerungen eindrang. Ich habe seinen Schmerz gespürt. Ich habe den Frust und die Unterdrückung gespürt. Seine Gefühle mir gegenüber kann er mir nicht so vorgespielt haben. Ich weiß, dass er mich liebt. Dass er mich wirklich liebt, sonst hätte er mich nie so beschützt. Oder war das alles Teil seines Plans?
Wenn er wusste, was geschehen würde, warum hat er dann die letzte Nacht nicht ausgenutzt? Er hätte mich dazu bringen können, mit ihm zu schlafen. Ein erstes und letztes Mal. Warum hat er es nicht getan? Ich erinnere mich daran, dass er ganz überrascht und erschrocken wirkte, als der Pfeil mich traf, kurz bevor ich ohnmächtig wurde. Doch warum bin ich hier, wenn er es hätte verhindern können?
Eiskalte Angst packt mich. Was, wenn sein Vater die Wahrheit sagt?
»Es tut mir leid«, flüstert er in meinem Kopf. Seine Stimme klingt so leer und emotionslos, als hätte er alle Kraft und Gefühle verloren. Als hätte er aufgegeben.
Erst da wird es mir klar. Auch wenn es ihm jetzt leidtut, auch wenn ich ihm nicht komplett egal bin, Daan hat mich verraten. Es war alles nur eine Lüge. Die Freundschaft. Die aufgebaute Beziehung. Die Küsse. Das Liebesgeständnis. Alles eine Lüge. Basierend auf dem Grund, dass er sich an mich heranmachte, weil ich die Prinzessin der Elfen bin. Weil er seinem Vater seine Treue beweisen wollte. Ich war nichts weiter als eine Aufgabe.
Bittere Enttäuschung schnürt mir den Brustkorb zu. Ich fühle mich so dreckig. Benutzt.
Dabei hat Daan mich vorgewarnt. Er hat mir schon so oft gesagt, dass er Angst hat, sich irgendwann zwischen mir und seinem Volk entscheiden zu müssen, weil er genau wusste, was er wählen würde. Jetzt ist seine Voraussage eingetroffen.
Das selbstgefällige Lächeln seines Vaters wird immer breiter. Zufrieden reißt er Daan wieder hoch, der erst stolpert, aber dann Haltung einnimmt. Als er seinem Sohn die Hand auf die Schulter legt, zuckt dieser zusammen.
Das Lächeln seines Vaters verrutscht kurz. Doch dann erkenne ich ein gefährliches Blitzen in seinen Augen. »Wir wissen auch, dass Kronprinz Dylan noch lebt.«
Es dauert ein wenig, bis die Bedeutung dieser Information zu mir durchdringt. Vor lauter Unglauben klappt mir der Mund auf.
»Woher wisst ihr das?!«
Dylan, mein für tot geglaubter großer Bruder. Wegen eines Beschlusses, der zum Zeichen des Waffenstillstands beschlossen wurde, um gegen die steigende Bevölkerungsdichte anzukämpfen, die Grund für die Ausbreitung der fünf Völker und der Grenz- und Länderkämpfe war, darf keine Familie mehr als zwei Kinder haben. Zudem werden »arbeitsunfähige« Natura – also alle, denen man eine Behinderung zuschreibt oder die angeblich zu alt sind – ebenfalls getötet.
Anfangs galt dieser Beschluss nur für die Bürger, bis die Aufstände und Revolte so schlimm wurden, dass der Beschluss auch für die Königsfamilien ausgelegt wurde. Dylan war ihr erstes Kind, sie wussten nicht, dass sie Zwillinge – nämlich Danny und mich bekommen würden.
Da sie nicht wollten, dass einer von uns starb, haben sie Dannys Entführung und seinen Tod vorgetäuscht. Doch das ging gewaltig schief, weil in dieser Nacht Dylan spurlos verschwand und ich von meiner Tante Freya und meinem Onkel Delavar entführt wurde.
Weil mein anderer Onkel Reagon angeblich Zeuge von Dylans Tod war, mussten sie Danny nicht mehr töten. Niemand, wirklich niemand außer meiner Familie konnte wissen, dass Dylan in Wirklichkeit noch lebt. Ich wusste es. Hat Daan meine Gedanken gelesen und es seinem Vater gepetzt?
Verletzt sehe ich ihn an, doch er weicht mir aus, während die Schadenfreude in der Miene seines Vaters immer größer wird. Tränen perlen über meine Wangen, tropfen zu Boden, doch ich kann sie nicht wegwischen, weil mich die Fesseln daran hindern. Ich fühle mich so ausgeliefert. Dabei will ich diesem Monster nicht die Genugtuung geben, gewonnen zu haben. Also bringe ich all meine letzten Kräfte und meine Selbstbeherrschung auf und blicke dem König der Kobolde herausfordernd in die finsteren Augen. Wobei ich ihn wegen der Tränen nur noch verschwommen sehe.
»Was geschieht jetzt? Was wollt ihr von mir und meiner Familie? Warum lasst ihr mich nicht gehen? Wollt ihr mich hier sterben lassen? Nur zu, ihr habt ja erreicht, was ihr wolltet. Aber mir ist es egal und meinen Eltern wird es auch egal sein, denn sie haben ja meinen Bruder, der ein würdigerer Nachfolger ist als ich. Damit würdet ihr ihnen nur einen Gefallen tun!«, krächze ich mit zitternder Stimme.
Daan zuckt kaum merklich zusammen. Ein kaltes Lächeln schleicht sich auf die Lippen seines Vaters, das mir das Blut in den Adern gefrieren lässt.
»Ich will, dass die Elfen für das büßen, was sie unserem Volk angetan haben!«, knurrt der König mit blitzenden Augen.
Ich schrecke zurück, weil er einen Schritt nach vorn tritt und ich Angst habe, dass er mich schlägt. Der König der Kobolde ist gefährlich und unberechenbar.
»Die Elfen mögen nicht ganz unschuldig gewesen sein, aber wenn ich mich recht daran erinnere, lebtet ihr Kobolde vorher unter der Erde und seid dann wegen eurer wachsenden Bevölkerung in das Reich der Elfen eingedrungen«, widerspreche ich ihm.
Zu spät erkenne ich, dass ich das Falsche gesagt habe, denn Daans Vater läuft puterrot an. Eine Ader an seiner Stirn tritt hervor.
Daan wiederum wird kreidebleich. Die Augen weit aufgerissen starrt er mich panisch an und schüttelt kaum merklich den Kopf.
Der König läuft langsam auf mich zu. Dabei erinnert er mich an ein Raubtier, das seine Beute ins Visier nimmt. Unwillkürlich rutsche ich näher an den kalten Stein, während alles in mir danach schreit, sofort die Flucht zu ergreifen. Ich fühle mich so hilflos und ich kann nichts dagegen tun. Direkt vor mir bleibt er stehen und blickt abfällig auf mich herab.
»Da hast du deine Bestätigung, mein Sohn. Sie denkt nur an ihr Volk.«
»Ich will keinen Krieg, ich will Frieden! Diese Konflikte sind Vergangenheit. Wenn ihr die Grenzteilungen akzeptieren würdet, könnte man alle Gebiete gleich und fair aufteilen. Es muss keinen Krieg und keine weiteren Toten geben. Wollt ihr denn nicht auch in Frieden leben?«
Der König der Kobolde schweigt und für einen kurzen Moment verändert sich seine Miene. Hinter dem Jähzorn sehe ich einen alten Mann, der die Last seines Volkes auf den Schultern trägt. Der darum kämpft, dass sein Volk nicht untergeht.
In diesem Punkt kann ich ihn und seine Wut verstehen. Aber ich kann auch meine Eltern und die Elfen verstehen. Durch die Landstreitigkeiten hat es auf beiden Seiten Verluste gegeben. Dabei wäre alles so einfach, wenn die Royals nicht so stur wären und sich auf die gleichmäßige Aufteilung der Gebiete einigen würden.
In diesem Augenblick verfinstert sich seine Miene wieder und in seinen Augen lodert ein bedrohliches Feuer. Fand ich es bei Daan immer faszinierend und anziehend, jagt es mir bei seinem Vater eine Heidenangst ein.
Schweiß bricht auf meiner Stirn aus und ich ziehe den Kopf ein, als er sich herabbeugt, sodass wir auf Augenhöhe sind.
»Natürlich könnte alles so einfach sein. Aber die Elfen werden die Grenzteilungen genauso wenig akzeptieren wie wir. Es wird nie eine Einigung geben. Und ich werde nicht zulassen, dass mein Volk erneut von euch Elfen unterdrückt wird!« Das Wort Elfen spuckt er geradezu aus.
Ich atme tief durch und schaue dem König der Kobolde direkt in die Augen. »Das Gleiche denken meine Eltern auch. Merkt ihr nicht, wie ähnlich ihr euch seid?«
Mein Blick wandert zu Daan, der mit zusammengepressten Lippen auf den Boden vor sich starrt. Die Hände hat er zu Fäusten geballt. Er verzieht kurz das Gesicht, als habe er Schmerzen, doch als sein Vater sich zu ihm umwendet, hebt er sofort das Kinn und legt eine gleichgültige Miene auf.
Ich erinnere mich nur allzu deutlich an Daans Schmerz. »Und warum tust du deinem Sohn weh? Ich weiß genau, was du ihm antust. Er hat damit doch nichts zu tun! Er ist dein Sohn!«
Etwas schimmert in seinen Augen. Ist es Reue? Sind es Schuldgefühle? Doch dann verhärtet sich seine Miene wieder. Kalt blickt der König der Kobolde auf mich herab. »Mein Sohn weiß von den Konsequenzen seines Fehlverhaltens. Er war sich dessen vollkommen bewusst. Ebenso wie er die Entscheidung, den Auftrag auszuführen, aus freien Stücken gefällt hat. Oder siehst du irgendwelche Anzeichen, dass er hier gegen seinen Willen festgehalten wird? Es steht ihm frei, zu kommen und zu gehen, wann er will. Er könnte dich befreien und laufen lassen, aber das tut er nicht, weil er weiß, wo sein Platz ist. Was seine Pflicht ist. Im Gegensatz zu dir steht er hinter seiner Familie.«
Verbittert presse ich die Lippen aufeinander. Weil er recht hat. Ich liebe meine Familie. Trotz der Lücke der neun Jahre, in denen ich fort war. Ich weiß, wie wichtig Familie ist. Aber wie soll ich hinter ihnen stehen, wenn ich mit einigen Entscheidungen, die sie getroffen haben, nicht einverstanden bin? Dem Beschluss? Der Art, wie unsere Soldaten mit unseren Bürgern umgehen? Wie soll ich ihnen da blind vertrauen, hinter ihnen stehen und sie unterstützen, wenn ich weiß, dass das nicht richtig ist?
Zugleich versetzen mir die Worte des Königs einen schmerzhaften Stich im Herzen. Daan sieht zwar völlig am Ende aus, aber er wirkt nicht so, als würde er hier festgehalten. Als Prinz der Kobolde wäre es ihm doch bestimmt ein Leichtes, sich heimlich zu mir zu schleichen und mich zu befreien. Oder?
Unsicher sehe ich zu ihm. Ich will, dass er mich ansieht. Dass er mir sagt, dass das, was sein Vater sagt, nicht wahr ist. Dass er mir sagt, dass das alles nur ein riesengroßes Missverständnis ist. Dass er mich aus diesen wie Feuer brennenden Ketten befreit und mich in seine Arme nimmt, in denen ich mich immer so beschützt und geborgen fühlte.
Doch er tut nichts dergleichen. Er weicht meinem Blick aus.
Ruhelos rüttle ich an den Ketten, meinem Körper drängt es immer noch danach, so viel Abstand zwischen den König und mich zu bringen, wie nur irgendwie möglich.
Turan lächelt böse. »Es ist bemerkenswert, wie du dich an etwas, das es nicht gibt, festhältst. Früher oder später wirst du feststellen, dass du falsch liegst. Wenn du geglaubt hast, er würde dich wirklich lieben, dann hast du dich gewaltig geirrt. Er hat dich belogen. Ein Kobold kann für eine Elfe keine Liebe empfinden.« Der Hass in seiner Stimme lässt mich erneut zusammenfahren. »Außerdem wird Daan Siana heiraten.« Er macht eine Pause und registriert zufrieden, wie ich verzweifelt gegen weitere ansteigende Tränen ankämpfe.
Neben der Hilflosigkeit und der Trauer macht sich ein anderes Gefühl in mir breit: lodernde Wut. Nicht nur auf Daans Vater, sondern auf alle Royals, weil sie so mittelalterlich denken und ihre Kinder nach ihren Vorstellungen erziehen wollen. Dabei merken sie nicht, dass wir das gar nicht wollen. Wir sind eine andere Generation. Dennoch scheint sich niemand außer mir gegen seine Familie zu wehren. Niemand traut sich, offen seine Meinung zu zeigen.
Nur Daan hat sich einmal gewehrt, als er vor allen Augen auf dem Silvesterball mich statt Siana zum Tanz aufforderte. Er hätte sie zum Eröffnungstanz auffordern und ihr dann den Antrag machen sollen. Dennoch hat er sich für mich entschieden. Im Bewusstsein der Konsequenzen, die ihn erwarteten. Doch ich war ihm wichtiger. Verzweifelt klammere ich mich an dieser Tatsache fest.
Zu meiner Genugtuung verrutscht die selbstgefällige Miene des Königs der Kobolde. Er wirkt kurz aus der Fassung gebracht. Doch dann lächelt er grimmig.
»Daan und Siana passen perfekt zusammen und das wissen sie auch. Vielleicht lasse ich dich sogar am Leben, damit du ihre Hochzeit noch miterleben kannst. Vielleicht lasse ich dich sogar am Leben, bis du eines natürlichen Todes stirbst. Es wäre zu schade, zu verpassen, wie sie sich vor dem Altar das Ja-Wort geben. Wie sie Kinder bekommen und diese großziehen …«
»Hör auf!«, brülle ich und rüttele verzweifelt an den Handschellen, weil ich mir die Hände an die Ohren halten will, damit Turans Worte nicht an mich herankommen.
Ich will die schrecklichen Bilder aus meinem Kopf verdrängen, die sich dort bilden. Szenen, wie Daan und Siana vor dem Traualtar stehen und sich das Ja-Wort geben. Szenen, wie sie miteinander schlafen, wie Siana neben ihm im Bett liegt. Wie sie ein Baby im Arm hält und sie und Daan sich liebevoll anlächeln. Wie ihre Kinder größer werden, sie ausgelassen mit ihnen spielen …
Ich weiß, dass er mich nur provozieren will. Ich weiß, dass ich nicht hinhören, nicht darauf eingehen sollte. Trotzdem funktioniert es. Er weiß genau, wo er bei mir die richtigen Knöpfe drücken muss, um mich zu treffen.
»Aber warum denn?«, entgegnet er unschuldig und lächelt zufrieden. »Ich habe doch gerade erst angefangen.«
»Du bist ein Monster.«
Er erwidert meinen Blick unerschrocken und neigt sich ein wenig nach vorn. Übelkeit kriecht in mir empor, als mir auch noch der penetrante Duft seines teuren Aftershaves in die Nase steigt. »Nein, meine Liebe. Ich bin der König der Kobolde.«
Ich will vor ihm zurückweichen, doch ich habe die harte Wand im Rücken. Außerdem sind meine Hände nach wie vor durch die brennenden Eisenketten festgekettet. Tränen treten in meine Augen, beinahe wäre mir ein Schluchzer entfahren.
Hilflos sehe ich zu Daan, doch der steht starr hinter seinem Vater. Im Gegensatz zu mir wuchs er sein Leben lang mit all den Vorstellungen, Werten, Normen und Traditionen der Kobolde im Palast auf, war dort den Tyranneien und dem Einfluss seines Vaters ausgesetzt. Er kann unmöglich innerhalb weniger Monate zum Umdenken gekommen sein.
Der Koboldkönig streichelt mit seinen heißen Händen meine Wange. Ich presse die Lippen aufeinander und will meinen Kopf wegdrehen, doch er packt mein Kinn fest und zwingt mich dazu, ihn anzusehen.
Nur mit äußerster Mühe kann ich mich davon abhalten, ihm ins Gesicht zu spucken. Ich fühle mich so hilflos. So ausgeliefert. Mein Blick fällt auf Daan, der mich schweigend und ohne jegliche Gefühlsregung ansieht. Stumm flehe ich ihn an, seinen Vater von mir wegzureißen. Mir zu helfen und dem Horror ein Ende zu machen. Mich zu retten, wie er es schon so oft getan hat.
Aber er unternimmt nichts dagegen. Nein, er steht nur da und lässt zu, dass sein Vater mir nahekommt.
Ich suche in seinem Gesicht nach irgendeinem Zeichen von Reue, Mitleid oder Liebe. Doch seine Miene ist so unergründlich, dass ich den alten Daan gar nicht wiedererkenne. Der Junge, der sich hier mit seinem Vater und mir in diesem Raum befindet, ist nichts weiter als eine Marionette, die nur auf Knopfdruck reagiert und die Befehle ausführt, die ihm sein Vater aufträgt.
Wie mich dazu zu bringen, mich in ihn zu verlieben. Und dieses Wissen, dieser Anblick zerbrechen mein Herz.
Angewidert will ich meinen Kopf von dem König wegziehen, doch er hält mich fest und verstärkt den Druck seiner Finger, die sich schmerzhaft in meine Haut bohren.
Ich muss gegen die Übelkeit ankämpfen, die sich in meinem Magen ansammelt, als er mich mit seinen Blicken durchbohrt. Denn ich verstehe, was er vorhat.
»Nein!«, flehe ich und kämpfe dagegen an. Ich kämpfe wirklich dagegen an. Ich schließe die Augen und wünsche mich verzweifelt weg von hier. Ich will nur noch, dass dieser verdammte Albtraum endlich aufhört.
Doch mein Wunsch geht nicht in Erfüllung. Der Schmerz in meinem Kopf wird immer schlimmer und der Drang danach, endlich aufzugeben, immer stärker.
Es hat keinen Sinn mehr. Es ist ausweglos.
Und dann, lasse ich es einfach von mir fallen. Ich schließe krampfhaft schluchzend die Augen und spüre, wie er ohne jede Rücksicht in meine Gedanken eindringt. Wie er sich an meinem Kopf zu schaffen macht und all meine Erinnerungen durchsucht. Angefangen mit dem Moment, als ich angegriffen und von Ariel aus dem Palast gerettet wurde. Er durchsucht meine Erinnerungen, findet die heftigen Auseinandersetzungen mit meinen Eltern, weil ich mich ihnen widersetzte bis hin zu dem Moment, als ich Daan das erste Mal wiedersah.
Ich verspüre wieder das Herzklopfen, das Prickeln und das Magenflattern, als ich Daan sehe, wie er an meinem Ankunftstag auf dem Balkon vor mir stand. Ich erinnere mich an das Gefühl des Wiedererkennens, obwohl ich mir sicher war, ihn noch nie zuvor gesehen zu haben.
Gleichzeitig fühle ich aber auch etwas anderes. Etwas, das nicht meine Gefühle sind. Es fühlt sich an wie Hass, Wut und Abscheu. Was aber überwiegt, sind Zufriedenheit und Freude. Zu spät erkenne ich, dass es sich dabei um das Innenleben von Daans Vater handelt.
Sowie er in meinen Kopf eindringen kann, kann ich anscheinend auch in seinen eindringen. Allerdings ist er viel stärker als ich, weshalb ich mich seiner Macht nicht entziehen kann.
»Hör auf! Aufhören!«, flehe ich mit tränenerstickter Stimme. Doch ich weiß, dass es bereits zu spät ist.
Verzweifelt wehre ich mich dagegen, doch ich schaffe es nicht. Hilflos muss ich dabei zusehen, wie ich erkannte, dass Brendon Dylan ist. Wie ich ihn verzweifelt suche, aber nicht finde, weil er seit Neujahr wie vom Erdboden verschluckt ist. Der König gräbt tiefer, wühlt sich grob durch all meine Erinnerungen. Er findet alles heraus.
Erneut verspüre ich den tiefen Schmerz, als ich sah, wie Daan Siana nach Neujahr küsste und ich herausfand, dass sie verlobt sind. Wie er mir auf dem Turm sagte, dass er für mich nichts empfand. Wie Daan mich in seinen Träumen zu sich rief, weil er es nicht mehr aushielt, sich mir gegenüber so distanziert und abweisend zu verhalten. Wie er mir beichtete, dass er das alles gar nicht wollte. Wie ich fast getötet worden wäre und Daan sich liebevoll um mich kümmerte und die ganze Nacht bei mir blieb, weil ich durch ein Gift wie gelähmt war. Wie ich mich mit dem Elfenrebellen Lorcan im Versteck der Rebellen befand und Daan zu uns stieß, weil er uns gefolgt war. Wie wir gemeinsam mit den Rebellen gegen die Orks kämpften, die in den Elfensektor eingedrungen waren. Wie Daan mir vor aller Augen seine Liebe gesteht.
Und es wird noch schlimmer, als er sich an meiner letzten Erinnerung zu schaffen macht, die Erinnerung an die Nacht mit Daan, bevor mich am nächsten Tag dieser Pfeil traf und ich bewusstlos wurde.
»Bitte«, flüstere ich kraftlos.
Doch da ist er bereits in meinen Gedanken. Dringt in die intimste Erinnerung, die mir am meisten bedeutet, ein. Wie ich vor Daan stehe und wir uns unsere Liebe gestehen. Wie ich seinen Pullover ausziehe, ihm sage, dass ich seine Narben nicht als Zeichen der Schwäche, sondern als Zeichen der Stärke sehe, weil er sich gegen seinen Vater gewehrt hat und für seine eigene Meinung eingestanden ist. Wie ich seine Narben küsse, wie wir uns küssen und berühren. Ich rieche seinen unverkennbaren Duft, fühle seinen warmen Atem an meinem Hals, spüre seine Hände, die mich berühren und streicheln. Mich dazu bringen, seinen Namen zu flüstern.
Das Schlimmste dabei: Ich weiß, dass sein Vater alles sieht, was ich sehe. Dass er alles fühlt, was ich fühle.
Und ich kann nichts dagegen tun.
Neben meiner Scham spüre ich unverkennbare Abscheu, Ekel und Zorn, die wie Feuer in mir brennen. Aber es sind nicht meine Gefühle. Der König ist wütend. Sein Hass auf mich wird immer größer. Doch ist da noch etwas, das ich zuerst nicht benennen kann. Es ist Angst: Angst vor mir? Angst, Daan zu verlieren, der all die Jahre zum Thronfolger ausgebildet wurde? Sein einziger Stolz, da Lily, seine kleine Tochter dafür nicht bestimmt ist?
In diesem Moment geschieht etwas Seltsames. Ich werde überschwemmt von allen möglichen Emotionen, die mich niederdrücken und mir die Luft zum Atmen rauben. Sie scheinen sogar den König der Kobolde zu überwältigen, denn für eine Nanosekunde bekommt seine Fassade Risse, die es mir ermöglichen, in ihn einzudringen.
Auf einmal sehe ich mit seinen Augen, fühle seine Gefühle und denke seine Gedanken. Es ist gruselig. Es ist wie ein weiterer Albtraum.
Ich stehe inmitten eines Trainingsraums, in dem Holzpuppen aufgestellt sind. Mit den Flügeln, die sie auf dem Rücken haben, sollen sie Elfen darstellen. Ein Junge mit wildem schwarzen Haar, etwa neun Jahre alt, schlägt mit einem Schwerz auf die Puppen ein. Mit einer schnellen präzisen Bewegung köpft er die Trainingspuppe – wie ein erwachsener Krieger. Er dreht sich mit angstvoll eisblau leuchtenden Augen zu mir um.
Wärme durchflutet mich. Ich bin zufrieden und spüre Stolz auf meinen Sohn, weil er mein Nachfolger sein wird. Ein würdiger Nachfolger. Ich bin erleichtert, weil er heute keine Fehler gemacht hat und ich ihn nicht noch einmal bestrafen muss. Ich tu all das nur für Daan. Weil ich nicht will, dass der Ältestenrat ihn nicht als würdigen Nachfolger anerkennt und tötet. Wenn er sich so weiterentwickelt, werden die Ältesten zufrieden sein. Sie werden meine Familie in Ruhe lassen und Daan als Thronfolger akzeptieren.
Diese widerlichen Elfen … Sie wollen uns unter die Erde zurückdrängen. Doch ich werde alles daran setzen, dass mein Volk seinen rechtmäßigen Platz neben den anderen Völkern bekommen wird. Koste es, was es wolle. Und dann werden die Elfen in den Untergrund verbannt. Dorthin, wo sie hingehören.
Ich hasse sie, weil sie meinem Volk viel Leid zugefügt haben. Und weil sie meinen Vater getötet haben. Schmerz, als auch Erleichterung, dass er nicht mehr da ist, durchflutet mich – weil er ein noch schlimmeres Monster war als ich.
Ein Ruck durchfährt meinen Körper. Der Trainingsraum verschwindet und ich sehe mich selbst vor Schmerzen wimmernd und um Hilfe flehend in einem abgedunkelten Zimmer knien. Mein ganzer Körper, der von Brandblasen übersät ist, schmerzt so sehr, dass ich mich kaum bewegen kann.
Mein Vater marschiert mit kalter Miene vor mir auf und ab. Seine Haare sind rabenschwarz und seine Augen sind noch dunkler als meine eigenen. Obsidianfarbene schlangenlinienförmige Muster in seinen Iren spiegeln seine vergiftete Seele wider, falls er überhaupt eine hat.
»Es tut mir leid, Vater«, flehe ich den Tränen nahe, weil ich die Strafe für meine Ungezogenheit kenne. Dabei habe ich nur meine Gedanken zu seinen Kriegsplänen mit einbringen wollen. Dass ich vorgeschlagen habe, das Elfendorf nicht vollständig niederzumetzeln, sondern die Bewohner aus dem Dorf zu vertreiben oder es zu besetzen und zu unserem zu machen, war ein Schock für alle. Die Berater und die Ältesten warfen mir sogar angewiderte Blicke zu.
Ich habe meinen Vater gedemütigt. Ich weiß, dass ich jetzt bestraft werde. Ängstlich ziehe ich den Kopf ein. »Es wird nie wieder vorkommen. Ich werde mich nie wieder in Ratsangelegenheiten einmischen.«
Statt zu erweichen verhärtet sich seine Miene. »Du hast mich enttäuscht, mein Sohn«, knurrt er mit eiskalter Stimme und hebt die Hände.
Flammen schießen aus ihnen hervor, erhitzen die Umgebung um ihn herum.
Ich weiche zurück. Tränen rinnen ungehindert über meine Wangen, aber er tritt auf mich zu, um mich für mein Fehlverhalten zu bestrafen. Ein stechender Schmerz durchfährt mich, als verbrenne ich bei lebendigem Leibe. Ich öffne den Mund, um zu schreien, doch vor lauter Schmerzen verlässt kein einziger Ton meinen Mund.
So schnell, wie ich in die Erinnerung eintauchte, werde ich wieder herauskatapultiert. Daans Vater reißt sich abrupt von mir los und stolpert zurück. Er atmet heftig, die Hand liegt an seinem Herz. Panik steht in seinem Blick, während er am ganzen Körper zittert.
»Vater!«
Ich zucke zusammen, als ich Daans erschrockene Stimme höre.
Daan wirft mir einen kurzen Blick zu, bevor er zu seinem Vater stürzt und ihm hilft, sich aufzurichten. Seine Augen liegen dabei jedoch auf mir, nehmen mich gefangen und lassen mich nicht mehr los.
Für einen kurzen Augenblick kann ich den Schrecken, die Angst in ihnen erkennen. Doch dieser Ausdruck ist so schnell verschwunden, wie er kam, weil er sich seinem Vater zuwendet.
Der König der Kobolde schüttelt seine Hand ab. Stattdessen dreht er sich langsam zu mir. Das Herz schlägt mir bis zum Hals und ich halte atemlos die Luft an, als er die Augen zu schmalen Schlitzen zusammenkneift. Der Schreck ist aus seiner Miene gewichen. Sein verächtlicher Blick durchbohrt mich. An seiner ganzen Körperhaltung kann ich erkennen, dass er mir am liebsten den Kopf abreißen würde. Aber ich erkenne auch etwas anderes. Etwas, das ich noch nie zuvor gesehen habe. Ich erkenne das wahre Gesicht des angeblich so harten, gefühlskalten Königs der Kobolde: Er ist verletzlich. Er hat Angst. Und er hatte eine schlimme Vergangenheit, in der er Ähnliches erleiden musste wie sein eigener Sohn. Nur warum tut er Daan dasselbe an?
»Du wartest vor der Tür auf mich«, befiehlt er seinem Sohn mit einer ruhigen, eiskalten Stimme.
»Aber Vater …«, beginnt Daan.
»Muss ich es dir noch einmal sagen?«, bellt der König.
Daan sieht unsicher von ihm zu mir und ich flehe ihn stumm an, mich nicht mit seinem Vater allein zu lassen. Für einen kurzen Augenblick scheint er wirklich mit sich zu ringen. Doch dann nickt er schließlich und verschwindet mit einem letzten Blick auf mich aus dem Raum.
Vor lauter Panik rüttle ich an den Ketten, doch sie geben natürlich nicht nach. Somit muss ich hilflos mitansehen, wie Daan mir den Rücken zukehrt.
Ich habe den König der Kobolde in einer seiner schlimmsten Erinnerungen gesehen. Ich habe seine Verletzlichkeit gesehen. Dafür wird er mich umbringen. Er wird mich foltern und mir so lange wehtun, bis ich meinen Verstand verliere.
Ängstlich warte ich darauf, dass er mich schlägt, aber es kommt nichts. Er verschränkt lediglich die Arme vor der Brust und schaut verächtlich auf mich herab.
Obwohl er so kalt und beherrscht wirkt, kann ich die Unsicherheit in seinen Augen erkennen. Sie ist das einzige Schlupfloch, das mir Zugang zu dem als gefühlskalt bekannten König der Kobolde verschafft.
»Wenn dein Vater so schlimm war, wenn du auch so gelitten hast, warum tust du das deinem eigenen Sohn an? Ich kenne deinen Sohn und ich weiß, dass er ein guter König sein wird, zu dem sein Volk aufsehen wird. Hat er da nicht ein eigenes, freies Leben verdient?«, versuche ich, zu ihm durchzudringen. Denn ein bisschen kann ich ihn sogar verstehen. Er macht sich Sorgen um seine Familie und sein Volk. Er will nicht, dass sein Sohn dieselben Fehler begeht, was auch immer die sind. Weil er sie alle beschützen will.
Seine Miene verhärtet sich. Augenblicklich fällt die Temperatur im Raum und die Fackel an der Wand flackert nervös umher, als habe selbst sie Angst vor dem König.
»Wir sind die Oberhäupter eines ganzen Volkes. Wir haben kein eigenes, freies Leben. Wir leben nur, um das Überleben unseres Volkes und unserer Krone zu sichern.«
Er beugt sich gefährlich nahe zu mir herunter. Sein Blick ist voller Verachtung, als er mich direkt ansieht. Er jagt mir eine eiskalte Gänsehaut über den ganzen Körper.
»Mein Vater hat mir die Augen geöffnet. Und er hatte recht: Elfen sind nichts weiter als durchtriebene Wesen. Ich wäre ein schlechter König, wenn ich vergessen würde, was dein Volk uns angetan hat!«, knurrt er.
»Das ist doch Schwachsinn!«, rufe ich empört. Nachdem ich jetzt seine innersten Gedanken und Ängste kenne, habe ich weniger Angst vor ihm. »Denn das ist noch lange kein Grund, seinem eigenen Kind derartige Schmerzen zuzufügen!«
»Daan weiß, welche Konsequenzen ihn für seine Fehltritte erwarten. Er muss dafür bestraft werden. Wenn er sich zwischen dir und seinem Volk entscheiden müsste, für wen glaubst du, würde er sich entscheiden?«, fragt er plötzlich.
Zuerst bin ich vollkommen perplex, weil seine Frage so unerwartet kam. Ich habe gedacht, er wolle mir etwas von Daans Pflicht oder ahnlichem erzählen. Stattdessen kommt so etwas?! Dabei hat sich Daan doch schon längst für sein Volk entschieden.
»Für dich.«
Ich bin so überrascht, dass mir der Mund aufklappt. Das Herz schlägt mir bis zum Hals.
Der König der Kobolde entgegnet meinem Blick mit grimmiger Miene. Keine Spur von Sarkasmus oder Schadenfreude ist in ihm zu erkennen. Lediglich pure Ehrlichkeit, weshalb ich so baff bin, dass ich nicht mal einen Gedanken fassen kann.
»Du darfst nicht zwischen meinem Sohn und seinem Volk stehen«, erklärt er mir nach Sekunden des Schweigens.
Auch wenn kein Bedauern in seiner Stimme mitschwingt und ich weiß, dass er mich abgrundtief hasst, will er, dass ich ihn verstehe. Er reibt sich das Kinn, ehe seine Augen auf meine treffen. »Ich werde dafür sorgen, dass du nie wieder zwischen meinem Sohn und seinem Volk stehen wirst.«
In diesem Moment geht die Tür auf und Daan kommt wieder herein. Kommt es mir nur so vor oder wirkt er erleichtert, als er sieht, dass sein Vater lediglich mit mir redet?
»Vater? Es wird Zeit, dass wir gehen. Unsere Berater und die Ältesten warten wegen der Audienz.«
Ich werde hellhörig. »Audienz? Welche Audienz?«
Sein Vater lächelt grimmig. »Wir werden deiner Familie die Chance geben, unsere Grenzteilungen zu akzeptieren. Ihre Antwort wird dein Schicksal bestimmen.«
Und damit rauscht er an Daan vorbei aus dem Kerker. Kaum, dass er weg ist, fällt die Anspannung von mir ab. Mir war gar nicht aufgefallen, dass ich den Atem angehalten hatte. Zugleich tut sich eine dunkle Vorahnung in mir auf und ich bekomme Todesangst.
Als ich aufsehe, bemerke ich, dass ich nicht allein bin. Daan steht immer noch da, er scheint mit sich zu ringen. Unsicher blickt er mich an, während die Wachen fragend hinter ihm stehen. Sie wollen die Tür schließen, aber Daan hindert sie daran.
Ein neuer Hoffnungsschimmer keimt in mir auf. Er könnte ihre Gedanken manipulieren und mich hier rausholen. Zwar bin ich geschwächt und mein ganzer Körper schmerzt von der Eisenkette und vom langen Sitzen, aber ich würde es bestimmt irgendwie schaffen, zu fliehen und Hilfe zu holen.
»Lass mich gehen«, flehe ich ihn an. »Bitte, Daan. Ich glaube nicht, dass alles gelogen war, was er gesagt hat. Nach allem, was wir durchgemacht haben. Ich sehe doch, dass du das gar nicht willst. Wenn das wirklich so ist und ich dir jemals etwas bedeutet habe, dann lass mich gehen. Bitte. Ich habe etwas gesehen, dass ich nicht hätte sehen sollen und ich glaube, dass ich ihm im Weg stehe. Er wird mich töten, Daan!«
Sein Blick weicht keine einzige Sekunde von meinem Gesicht. In seinen Augen flackert etwas auf. Er scheint hin- und hergerissen. Kurz denke ich, ihn erreicht zu haben, doch da tritt er einen Schritt zurück, als wolle er Abstand zwischen uns bringen und schüttelt bedauernd den Kopf.
»Es tut mir leid, aber ich kann nicht.«
Seine Augen durchbohren meine und es kommt mir so vor, als wäre da noch mehr, was er mir sagen wollte. Er öffnet den Mund, doch dann schließt er ihn wieder und tritt einen Schritt zurück.
»Bitte lass mich nicht im Stich. Lass mich nicht allein«, flehe ich ihn gedanklich an.
Doch er wendet mir den Rücken zu und folgt seinem Vater durch die Tür in einen schwach beleuchteten Gang hinaus, in dem ein Dutzend Wachen stehen.
Ehe eine Wache die Eisentür zufallen lässt, hält Daan noch einmal inne. Ich blinzle die Tränen weg und halte die Luft an. Für einen kurzen Moment verdränge ich die brennenden Schmerzen, die von den Eisenketten ausgehen, und konzentriere mich nur auf Daan.
Hoffnungsvoll warte ich darauf, dass er sich umdreht und mich ansieht. Dass er mir zeigt, dass noch etwas von dem Daan, den ich kannte, da ist. Dass ich nicht verloren bin.
Ich warte und warte. Doch ich warte vergebens, denn der Prinz der Kobolde gibt seinen Wachen den Befehl, die daraufhin die Eisentür zufallen lassen. Sie schließt mit einem lauten Knall, der in meiner Zelle wie ein Todesschuss widerhallt und lässt mich mit all der Enttäuschung, all der Hoffnungslosigkeit und einer tiefen Leere in meinem Herzen zurück. Als wäre gerade mein Schicksal beschlossen worden.
Ich wusste, dass er vor der Wahl stand, bei der er gar keine Wahl hatte. Ich wusste es. Aber ich habe es immer verdrängt. Und jetzt hat er sich entschieden. Für seine Pflicht. Für seinen Vater. Für sein Volk. Gegen mich.
Danny
»Was soll das heißen mit sie ist weg?«, fahre ich Ariel ungläubig an.
Ich warte darauf, dass er mich schief angrinst und mir sagt, dass das nur ein Scherz war, um mich auf die Probe zu stellen, weil ich stinksauer bin. Weil meine dumme und naive Zwillingsschwester Lucy heimlich die Akademie verlassen hat.
Ariel schweigt betreten. Seine grünen Augen verfinstern sich und er verschränkt die Finger ineinander, während er mich über seinen Bürotisch aus Mahagoniholz hinweg schuldbewusst anschaut.
»Du bist für uns verantwortlich. Du bist für sie verantwortlich! Wie konntest du es nur zulassen, dass sie entführt wird?! Wie konntest du überhaupt zulassen, dass er in ihre Nähe kommt?!« Ich stemme meine Hände auf den Tisch und blitze ihn über den Bürokrempel an. »Wir können nicht warten. Ich weiß, er hat sie! Wer weiß, was er ihr gerade antut. Ich muss umgehend zurück zu meinen Eltern. Wir müssen etwas unternehmen. Sofort!«
Was die Vermutung bestätigt, dass die Kobolde sie haben, ist die Tatsache, dass der König des meist verhassten Volkes der Elfen um eine Audienz bei meinen Eltern gebeten hat. Genauer formuliert hat er sie eingefordert. Und wir können nichts dagegen tun, weil Turan das mit Dylan weiß.
Sollte herauskommen, was wirklich mit meinem großen Bruder geschehen ist, stünde uns mehr als nur eine Rebellion bevor. Denn dann hätten die Rebellen und die anderen Völker einen Grund, unsere Familie zu stürzen. Unsere Eltern würden wegen Hochverrats angeklagt und hingerichtet, weil sie die Gesetze nicht befolgten, die auch für uns Royals gelten. Lucy und ich wären Waisen, sie würden uns vermutlich verbannen und jemand anders an unserer statt an die Macht lassen.
Turan wartet nur noch darauf, die Beweise zu finden, dann sind wir fällig. Wir können nur hoffen, dass Dylan gut versteckt ist, wo auch immer er sich befindet.
»Wir müssen etwas unternehmen. Ich werde ganz sicher nicht zulassen, dass dieser dreckige Kobold sie noch weiter in seinen Griffeln hat!«, knurre ich, weil Ariel nichts sagt, sondern mich stumm anstarrt, als wollte er darauf warten, bis ich mich abgeregt habe.
»Denkst du nicht, dass ich bereits daran arbeite? Glaubst du, wir können einfach so die Festung stürmen? Du weißt genauso gut wie ich, dass die Kobolde eine ganze Armee haben. Wir haben weder die nötigen Kräfte, noch haben wir Beweise, dass sie sie wirklich haben. Was, wenn wir in den Palast einbrechen und sie ist gar nicht dort? Wenn wir nicht den Hass der anderen Völker auf uns ziehen wollen, müssen wir diesen Konflikt friedlich regeln.«
Herausfordernd blickt er mich an. Ich schweige verärgert, weil ich weiß, dass er recht hat. Und weil es das Gleiche ist, was Mutter und Vater sagen würden, die jetzt vermutlich genauso aufgelöst sind wie ich. Im Gegensatz zu mir müssen sie am Palast bleiben und mit ihren Beratern und den Ältesten besprechen, wie es nun weitergehen soll.
Vier Völker gegen uns aufzulehnen, wo wir noch mit unserem eigenen Volk zu kämpfen haben, wäre keine gute Idee. Dennoch ärgert es mich, dass ich nur hilflos mit zusehen kann, wie mir die Kobolde alles unter den Augen wegreißen, was mir lieb und teuer ist.
»Lass uns bis zu der Audienz warten. Lass uns abwarten, was Turan verlangt. Dann sehen wir weiter«, fügt Ariel noch hinzu.
Ich schnaube verärgert auf. Er hat recht. Trotzdem fühle ich mich so hilflos. Es macht mich nahezu verrückt zu wissen, dass meine Schwester irgendwo da draußen ist und in diesem Moment vermutlich gerade verletzt und gefoltert wird.
Wo bist du nur, Lucy? Bitte halte durch. Wo auch immer du bist. Wir werden dich dort rausholen.
Ariel scheint meine Gedanken gehört zu haben, denn er kommt um den Tisch herum und legt mir mitfühlend eine Hand auf die Schulter. »Wir werden sie finden. Das verspreche ich dir. Aber bitte warte ab, ehe du vorschnelle Urteile fällst. Wir wissen nicht sicher, ob die Kobolde sie haben und ob Daan darin verwickelt ist.«
Sein eindringlicher Blick scheint mich zu durchbohren, was mir missfällt. Ariel hat nicht das Recht, in meine Gedanken einzudringen. Sie gehen niemanden außer mir selbst etwas an.
Ich spüre einen Kloß im Hals und bemerke das Brennen in meinen Augen, weshalb ich seine Hand unwirsch abschüttele und ihm ausweiche.
Er kann noch so sehr versuchen, mich zu beruhigen. Ich werde erst Frieden geben, bis wir meine Schwester wiedergefunden haben. Er kann mir noch so viele Gründe an den Fingern abzählen, weshalb ich mit meinen Schuldzuweisungen warten sollte. Es wird nichts daran ändern, dass ich Daan nach wie vor hasse und ihm den Tod wünsche. Wir wissen beide, auf wessen Seite er steht. Und das ist nicht die Seite der Elfen. Es ist nicht Lucys Seite.
Wut lodert durch mich hindurch und ich bin kurz davor, zu explodieren. Dennoch reiße ich mich zusammen und funkle Ariel wütend an.
»Sollte mir Daan Dragón unter die Augen kommen, dann verspreche ich dir, wird mich nichts und niemand davon aufhalten können, ihn zu töten!«
Daan
Mit heftigem Herzpochen folge ich meinem Vater durch die endlosen Gänge des Regierungshauses in Richtung Konferenzsaal. Schweiß steht mir auf der Stirn. Ich wische meine verschwitzten Hände an meiner Anzughose ab und bemühe mich um eine aufrechte Haltung.
»Reiß dich zusammen. Du bist doch keine Dryade!«, knurrt mein Vater.
Mist, ich hätte wissen müssen, dass er meinen Herzschlag hört.
Ich bleibe stehen; hole tief Luft, um mich zu sammeln. Mit gerecktem Kinn drehe ich mich zu ihm. Es kostet mich viel Überwindung, ihm in die schwarzen Augen zu sehen.
»Es tut mir leid, Vater«, murmle ich.
Die Sicherheitsleute halten mit emotionslosen Mienen an. Es sind mehr als sonst. Vater hat mehr Personal eingestellt, seit Lucy bei uns ist. Die Königsfamilie der Elfen wird bereits ahnen, was mein Vater von ihnen will, und sie werden uns sicher nicht freundlich gesinnt sein. Das, was er getan hat, ist eine offene Kriegserklärung.
Das ist nicht der einzige Grund. Auch ich soll kontrolliert werden. Das fängt damit an, dass mein Vater mir verboten hat, zur Akademie zurückzukehren, auch wenn das den Verdacht stärkt, dass wir etwas mit Lucys Verschwinden zu tun haben. So wird mir der Kontakt zu Ariel verwehrt, falls ich weich werde und ihm alles beichten will. Und noch mehr: Mein Vater hat extra Wachen positionieren lassen, die mich beim Schlafen bewachen und mich jede Stunde wecken, damit ich nicht in die Zwischenwelt gelangen kann.
Wie gerne würde ich Ariel oder sogar Danny kontaktieren, damit sie sie da rausholen. Wie gern würde ich Lucy in die Zwischenwelt holen, um ihr die Schmerzen zu nehmen. Um ihr zu sagen, warum ich sie im Stich gelassen habe.
Es schmerzt, die Enttäuschung in ihren Augen zu sehen. Die Enttäuschung über den Verrat. Meinen Verrat. Ich habe sie verraten. Ich habe das Mädchen, das ich über alles liebe, verraten.
Es ist schrecklich, ihr nicht helfen zu können. Hinter meinem Vater stehen und ihm dabei zusehen zu müssen, wie er sie foltert. Sie nicht vor ihm beschützen zu können. Ich bin machtlos.
Würde ich ihr helfen, würde ich alles nur noch schlimmer machen. Er würde sie dann mit Absicht verletzen, am Ende vielleicht sogar töten, nur um mich zu quälen und seine Macht mir und ihrer Familie gegenüber zu demonstrieren.
Ich habe schon immer die Befürchtung, dass er sie am Ende töten wird, auch wenn ich das Gegenteil hoffe. Und ich glaube, dass ihr nicht mehr viel Zeit bleibt. Nicht nur ihr, uns allen.
Er sieht Lucy als Gefahr an und er ist wie ein hochexplosives Pulverfass, das jeden Moment hochgehen könnte. Nach dem Vorfall gestern, als sie ungewollt in seinen Kopf eindrang, hat sie für kurze Zeit seine Schwäche gesehen. Lucy hat eine seiner schlimmsten Erinnerungen entdeckt. Mein Vater will nicht für schwach gehalten werden, obwohl er genau das ist. Denn er ist lediglich eine Marionette. So wie ich.
Ich hoffe nur, dass er mich nicht irgendwann vor eine unausweichliche Entscheidung stellt, denn das könnte ich ihr nicht antun. Das könnte ich mir nie verzeihen.
Was, wenn es doch so ist? Du weißt, dass es so kommen wird. Er wird sie nicht gehen lassen.
Die Vorstellung, was ich werde tun müssen, jagt mir einen eiskalten Schauer über den Rücken. Denn etwas in mir sträubt sich dagegen, weil es genau weiß, dass ich keine andere Wahl habe.
»Daan Dragón!«, donnert seine Stimme in meinem Kopf.
Stocksteif drehe ich mich um. Das grimmige Lächeln um seine Mundwinkel jagt mir Angst ein, doch ich reiße mich zusammen, um es nicht zu zeigen.
»Ich hoffe, ich bereue es nicht, dich mitgenommen zu haben.«
Sein mahnender Blick ist Warnung genug. Sollte ich irgendetwas tun, das uns und unser Volk schlecht dastehen lässt, werde nicht nur ich die Konsequenzen zu tragen haben, sondern Lucy.
»Ja, Vater. Ich werde dich nicht enttäuschen.«
Unterwürfig senke ich den Kopf, was ihn zufrieden lächeln und mich erleichtert ausatmen lässt.
»Gut.«
Ich straffe die Schultern, als er sich umdreht und wir vor dem Konferenzsaal stehen bleiben.
In wenigen Sekunden werde ich durch diese hohen Eichentüren marschieren und ihrer Familie und ihrem Bruder gegenübertreten. Ich werde ihnen gegenübertreten als der Kobold, der ich bin. Der Kronprinz. Der Verräter. Mit dem Wissen, dass sie bereits verloren ist.
Mit dem Wissen, dass wir kurz vor einem Krieg stehen.
Danny
Ungeduldig trommle ich mit den Fingern auf der Tischplatte herum, während mein Blick immer wieder zu den geschlossenen Türen wandert. Gleich werden die Kobolde hereinkommen, in den Konferenzsaal im Zentrum von Phönix.
Meine Eltern stehen etwas abseits von mir und unterhalten sich mit ihren Beratern. In ihren gesenkten Stimmen und ihren fahrigen Gesten spürt man die Anspannung, die in uns allen herrscht. Niemand von uns hat geschlafen. Seit der Nachricht über die Audienz des Koboldkönigs haben sich meine Eltern und ihre Berater zurückgezogen. Nicht einmal ich durfte an den geheimen Gesprächen teilnehmen. Vermutlich denken sie, ich sei zu temperamentvoll. Sie glauben, ich würde mich von meinen Gefühlen und der Treue zu meiner Schwester leiten lassen, statt wie ein Prinz zu handeln.
Ich weiß, dass unser Volk an erster Stelle steht. Wir dürfen nichts tun, das es gefährdet. Da Dylan für tot erklärt und Lucy verschwunden war und wir nicht wussten, ob sie jemals gefunden würde, war ich der nächste Thronfolger. Ich kenne meine Pflichten. Aber meine Schwester hat keine Ahnung von all unseren Problemen. Aufgrund ihrer langen Abwesenheit versteht sie unsere Welt nicht so gut. Sie kennt sich in diesen Geschäften nicht so gut aus. Und auch wenn sie in gewissen Dingen stark zu sein scheint, schlägt ihr Herz weder für ihr Volk noch für ihre Familie. Es schlägt für den Feind.
Ich kann nicht zulassen, dass Lucy wegen ihrer Naivität, ihrem Herzen und ihrer Unwissenheit unser Volk gefährdet. Unsere Eltern sehen das genauso.
Aus diesem Grund weiß ich, was von meinen Eltern verlangt wird, wenn der König das Unmögliche fordert. Und ich weiß auch, was das für Lucy bedeuten wird.
Ein Pochen macht sich hinter meinen Schläfen bemerkbar. Auch wenn es sich als Prinz nicht schickt, Emotionen und sonstige Gefühle wie Erschöpfung und Müdigkeit, Verletzlichkeit nach außen hin zu zeigen, reibe ich mir die Augen. Als mein Vater zu mir herüberschaut, fühle ich mich ertappt. Ich verstecke meine unruhigen Finger hinter meinem Rücken und lasse grimmig meinen Blick durch den Raum schweifen.
Da die schweren Vorhänge vor den Fenstern zurückgezogen sind, erhellen warme Sonnenstrahlen den Raum und bringen die Gemälde, die hier angebracht sind, zum Leuchten – was so gar nicht zu dem passt, was in diesem Moment in mir vorgeht.
Sowie sich die Türen öffnen, halte ich die Luft an. Ebenso wie meine Eltern und der Rest der Anwesenden, die augenblicklich verstummen.
Mein Puls schießt in die Höhe, als ich die zwei Personen erkenne, die flankiert von ihrer Leibwache den Konferenzsaal betreten. Zuerst ein breitschultriger Mann, der hoch erhobenen Hauptes in einem schwarzen Anzug voller nicht verdienter Medaillen und Abzeichen hereintritt.
Auch wenn ich mit dem König bis auf den Ball und einigen Konferenzen noch nicht viel zu tun hatte, geht eine beängstigende Präsenz von ihm aus. Seine dunklen, fast schwarzen Augen scheinen jeden in diesem Raum zu fixieren – auch wenn sein Blick auf meinen Eltern liegt. Ein gehässiges Lächeln umspielt seine Lippen, während er hoch erhobenen Hauptes voranschreitet. So ungern ich es zugebe: Ich habe eine Höllenangst und großen Respekt vor diesem Mann, der mit ziemlicher Sicherheit meine Schwester in seiner Gewalt hat.
Bei dem Gedanken, was für Ängste und Schmerzen sie wohl gerade durchstehen muss, wechseln sich Angst und Wut gegenseitig ab. Bis mein Blick auf die Person neben dem König fällt und die Wut überwiegt. Ich muss sehr an mich halten, nicht aufzuspringen und auf ihn zuzustürzen, um ihn umzubringen. Denn zu seiner Rechten befindet sich seine jüngere Version und der Kronprinz: Daan Dragón. Den Jungen, den ich über alles hasse, weil er meiner Schwester das Herz gestohlen und gebrochen hat.
»War es denn nötig, eure Leibwache mitzubringen? Habt ihr Angst, wir könnten euch angreifen?« Mein Vater kann den Zorn in seiner Stimme nicht verbergen. Und ich kann ihn vollkommen verstehen, bewundere ihn dafür, dass er so gelassen scheint.
Ich stehe nämlich kurz davor, ihm den Hals umzudrehen. Dass es zu einem Krieg kommen wird, ist fast klar. Die Kriegerklärung darf er aber selbst abgeben. Vorausgesetzt, man würde ihn, einen der mächtigsten Könige unserer Zeit, überleben, will ich nicht im Gefängnis landen und zur Todesstrafe verurteilt werden.
Wut lodert durch meine Adern, als ich Daan sehe, der bewegungslos neben seinem Vater steht und geradeaus starrt. Sein Blick geht direkt durch mich hindurch. Er zuckt nicht einmal mit der Wimper, sodass ich für einen kurzen Augenblick wirklich glaube, einer Statue gegenüberzustehen. Doch sein Brustkorb, der sich mit jedem Atemzug hebt und senkt, beweist das Gegenteil.
Er ist der Grund dafür, dass ich mit meiner Schwester andauernd Streit hatte. Er ist der Grund dafür, dass sie spurlos verschwunden ist und in diesem Moment womöglich schmerzvolle Qualen erleidet. Ich spüre ihre Angst. Ich weiß, dass sie Angst hat zu sterben, und ich habe es auch.
Ich werde ihn noch umbringen, aber dank meiner Ausbildung bin ich klug genug, um abzuwarten, bis sie den Krieg erklären.
Ich schiele abwartend auf eine Reaktion zu meinen Eltern hinüber. Wie erwartet tragen sie nun eiserne Mienen zur Schau. Emotionslos und undurchschaubar. Niemand soll ihre wahren Gefühle erkennen. Denn wenn man die entdeckt, hat man ihre Schwachstelle gefunden. Und das sind wir. Ihre Kinder.
Der König der Kobolde lächelt selbstgefällig. »Lassen wir das höfliche Geplänkel und kommen zu dem Grund, weshalb ich hier bin.« Er stoppt kurz und reckt das Kinn, um uns herablassend zu betrachten. »Wie ihr sicher mitbekommen habt, ist eure Tochter verschwunden.« Er hebt einen Mundwinkel, als fände er es amüsant, dass meine Schwester vermisst wird. Derweil weiß dieser verdammte Koboldkönig genau, wo sie ist!
Aus den Augenwinkeln bekomme ich mit, wie mein Vater sich anspannt und unter dem Tisch die Hand zur Faust ballt. Mit der anderen greift er nach der meiner Mutter und verflechtet seine Finger mit den ihren.
Ich wollte mich zusammenreißen. Aber es fällt mir immer schwerer, neben meinen Eltern zu stehen, ohne auf die Kobolde loszugehen. Als wüsste der König, was in mir vorgeht, lächelt er noch breiter. Daan hingegen weicht meinem zornigen Blick aus.
Er ist bestimmt froh, das erreicht zu haben, was er wollte. Er hat Lucy. Er hat sie gegen unsere Familie aufgebracht, uns wieder entzweit. Aber noch einmal wird ihm das nicht gelingen, denn ich werde nicht zulassen, dass er ihr noch einmal so nahekommt.
»Du weißt, wo Lucy ist. Du bist derjenige, der sie entführt hat. Was willst du, Turan?«, verlangt mein Vater mit fester Stimme zu wissen. Äußerlich wirkt er wie die Ruhe selbst.
»Ihr Elfen seid doch nicht so dumm, wie ich dachte.« Der Koboldkönig kneift die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen. »Das Leben der Elfenprinzessin gegen die eingeforderten Grenzen für die Kobolde.«
»Was?!«, entfährt es mir ungläubig.