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Seit kurzer Zeit wusste die goldene Elfe, wer sie wirklich war. Und dieses Wissen erdrückte sie fast. Vor allem auch deswegen, weil sie zwei weitere Erkenntnisse daraus gewann. Erstens: LUZIFERS Schergen würden sie weiterhin gnadenlos jagen. So lange, bis sie endlich tot war. Zweitens: Der Erzdämon Vassago versuchte sie auf ungeheuerliche Weise zu missbrauchen. Um dem zu entgehen, musste sie sich beiden Parteien entziehen ...
Doch auch LEGION ist für eine Überraschung gut, während Zamorra und Nicole am Ende eine Entdeckung machen, die sie ratlos zurücklässt ...
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Seitenzahl: 156
Veröffentlichungsjahr: 2018
Cover
Impressum
Am Abgrund der Zeiten
Leserseite
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Fotokostic / shutterstock
Datenkonvertierung eBook: Blickpunkt Werbe- und Verlagsgesellschaft mbH, Satzstudio Potsdam
ISBN 978-3-7325-6656-3
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
Am Abgrund der Zeiten
von Christian Schwarz
Eva …Wie seltsam das Wort doch klang. Kedlin saß an einer uralten Eiche, den Oberkörper leicht geneigt, die Hände vors Gesicht geschlagen. Seit kurzer Zeit wusste die goldene Elfe, wer sie wirklich war. Und dieses Wissen erdrückte sie fast. Vor allem auch deswegen, weil sie zwei weitere Erkenntnisse daraus gewann. Erstens: LUZIFERS Schergen würden sie weiterhin gnadenlos jagen. So lange, bis sie endlich tot war. Zweitens: Der Erzdämon Vassago versuchte sie auf ungeheuerliche Weise zu missbrauchen. Um dem zu entgehen, musste sie sich beiden Parteien entziehen. Aber wie? Kedlins verzweifelte Gedanken gebaren eine Idee, die schnell Gestalt annahm …
Bodensee, Süddeutschland
Ein Dutzend finstere Gestalten stapfte durch die unterirdischen Felsgänge, die sich tief unterhalb des Bodensees erstreckten. König Alviss führte den Trupp schwerbewaffneter Zwerge an. Neben ihm ging Ranowulf, der Zauberer. Äußerlich unterschied sich der alte Mann nicht von den anderen. Sie alle trugen wilde Bärte und lange Haare, in die die verschiedensten Schmuckstücke gewoben waren, derbe, grünbraune Kleider und Stiefel aus Rattenhaut. In den Gürteln steckten jeweils drei oder vier Äxte. Alviss trug zusätzlich einige Brocken magisches Erz bei sich. Selbst ein Erzdämon hätte Mühe gehabt, den kampferprobten Trupp zu besiegen, zumal speziell Alviss und Ranowulf über starke magische Kräfte verfügten.
»Wir werden dem verfluchten Wächter endlich den Arsch aufreißen und den Durchgang stürmen, was, Alviss?«, sagte Onar, ein mittelgroßer Zwerg, der breiter als hoch war und seine knielangen Haare zu einem einzigen Zopf geflochten hatte, an dessen Ende eine kleine eiserne Kugel hing. Als bester Kämpfer mit hohen Auszeichnungen marschierte er in der zweiten Reihe gleich hinter dem König.
Alviss war froh, dass Onar die belastende Stille durchbrach. Normalerweise lachten die Kämpfer und rissen Zoten, wenn sie in den Kampf zogen. Heute schien jeder mit sich selber beschäftigt zu sein.
»Worauf du einen lassen kannst, Onar«, erwiderte der König, blieb stehen und drehte sich um. Dabei grinste er breit.
»Bloß nicht«, erwiderte Dwalin und riss die Augen in komischer Verzweiflung weit auf. »Sonst fallen wir hier alle auf der Stelle tot um.«
»Ja. Was Dämonen und Elfen nicht schaffen, schafft Onar mit seinen Abgasen locker«, pflichtete ihm Murin, der dickste der Gruppe, bei. »Aber sobald wir unsterblich sind, kannst du furzen, soviel du willst, Onar, dann macht’s nichts mehr aus.«
Der Haufen begann brüllend zu lachen, und Alviss lachte mit. Das verscheuchte die unterschwellige Angst, die auch in ihm brütete, wenigstens für einige Augenblicke. Er warf einen flüchtigen Blick auf die Scheibe, die Ranowulf wie einen Schild vor seiner Brust trug. Auf dieses Kleinod setzte Alviss seine Hoffnung, endlich zur sagenhaften Quelle der Unsterblichkeit vordringen zu können, deren Wasser unsterblich machte, wenn man nur einen Schluck davon trank. So sagten es die Legenden der Zwerge. Und es war sicher etwas dran. Denn die Quelle lag nicht nur hinter einem stark gesicherten magischen Durchgang, sie wurde gleichzeitig von einem fürchterlichen Dämon bewacht. Bisher hatte keiner der Helden, die das Wagnis auf sich genommen hatten, eine Auseinandersetzung mit dem Wächter überlebt, geschweige denn, dass sie das Tor hätten durchdringen können.
In der magischen Scheibe, die Ranowulf trug, schlummerten enorme magische Kräfte. Viele Jahre war sie im Besitz der Nixe Wasserfreundin gewesen, die nicht im Traum daran gedacht hatte, sie Alviss abzutreten. Als Belohnung für einen lebensgefährlichen Dienst hatte er die Scheibe schließlich doch noch erhalten.
Sie gingen weiter. Die Leuchtkäfer, die sie zu Tausenden umschwirrten und für eine Lichtaureole sorgten, zogen mit ihnen. »Und du bist wirklich sicher, Ranowulf, dass die Scheibe stark genug für den Durchbruch ist?«, fragte Murin.
»Natürlich. Ich habe sie über ein halbes Jahr lang ausgelotet«, gab der Zauberer zurück, ohne sich umzudrehen. »Das, was ich schon immer ahnte, seit ich die Scheibe zum ersten Mal bei der Nixe gesehen habe, ist nun Gewissheit: Darin steckt ein gewaltiges magisches Potenzial. Wir haben zum ersten Mal eine reelle Chance, zur sagenhaften Quelle der Unsterblichkeit vorzustoßen und uns das ewige Leben zu bescheren.«
»Und wenn nicht, dann komm ich als Geist zurück und reiße eben dir den Arsch auf, Ranowulf.«
Das löste einen erneuten Heiterkeitsausbruch aus.
Der Gang wurde schmaler, von den Wänden tropfte Wasser und bildete ein kleines Rinnsal zwischen ihren Füßen. Moos krallte sich an den Wänden fest. Ein feindseliges Fiepen ließ Alviss zusammenfahren. Er stoppte und hob die Hand. Vor ihnen gab es eine Kreuzung. Zwei riesige Ratten schoben sich in den Gang. Ihre Augen funkelten gierig.
»Na wartet«, murmelte Alviss und zog zwei Kampfäxte aus dem Gürtel. Die eine warf er mit einem höhnischen Schrei. Sie spaltete der linken Ratte den Schädel. Dann ging er auf das andere Biest los. Bevor es sich drehen und flüchten konnte, erledigte er es ebenfalls. Als der Trupp die Kadaver passierte, watete er in Blut. Dieser leichte Sieg stärkte die Zuversicht der Männer weiter.
»Es ist jetzt nicht mehr weit«, sagte Alviss. »Noch zwei Gangbiegungen und vielleicht vier Steinwürfe, dann sind wir da.«
Wenn es uns tatsächlich gelingt, hinter das Tor zu kommen, was wird uns dort erwarten, dachte Alviss bang. Werden wir die Quelle der Unsterblichkeit tatsächlich finden? Ja, werden wir, denn wir sind Zwerge. Und Zwerge finden immer eine Lösung …
Sie bogen in einen Gang ab, der breiter und höher wurde.
Noch eine Biegung, dann werden wir das Tor sehen, dachte Alviss. Tatsächlich. Als sie um eine scharfe Ecke bogen, blieben sie alle stehen. Die Leuchtkäfer konnten das Tor noch nicht beleuchten, dazu waren sie zu weit entfernt. Trotzdem sahen sie es alle. Weil es aus sich selbst heraus leuchtete! Alviss kannte den Anblick bereits. Die anderen nicht.
Der König bemerkte, dass der eine oder andere unruhig auf seinen Beinen zu trippeln begann.
»Sieht unheimlich aus«, murmelte Murin.
»Und jetzt?«, gab Alviss forsch zurück. »Du wirst dir sicher nicht gleich in die Hosen machen, bloß weil etwas ein bisschen unheimlich aussieht, oder? Sind wir Zwerge oder nicht?«
»Wir sind Zwerge!«, brüllten alle laut.
»Das Tor da kann uns mal«, schob Onar hinterher. »Mit der magischen Scheibe werden wir es öffnen. Und wenn’s Widerstand gibt, kämpfen wir uns einfach durch. Die Unsterblichkeit gibt’s nicht zum Nulltarif.«
»Wahr gesprochen«, lobte Alviss. »Verlieren wir keine Zeit. Wir können bis auf eine Armlänge an das Tor heran, ohne dass etwas passiert. Ich hab’s ausprobiert.«
»Und was ist, wenn wir die Grenze überschreiten?«, fragte Murin.
»Dann spürst du schlagartig eine Kraft, die dich zu erdrücken droht. Ich bin ihr nur mit äußerster Mühe entkommen«, antwortete Alviss. »Wir müssen also vorsichtig sein. Legen wir los. Bis du bereit, Ranowulf?«
»Bin ich, ja«, murmelte der Zauberer und starrte mit zusammengekniffenen Augen auf das Tor. »Die Magie dort vorne ist stark, ich spüre sie bis hierher.«
»Hast du etwa Angst?«, fuhr Alviss ihn an.
»Nein, ich sage ja nur. Mit Hilfe der Scheibe werden wir es trotzdem durchbrechen.«
»Na dann.«
Das unheimliche Tor füllte den kompletten Gang aus. In dem schwarzen Leuchten schienen Schlieren zu wabern und sich gegeneinander zu verdrehen.
»Da, habt ihr das auch gesehen?« Onar starrte auf das Tor und fasste unwillkürlich an den Griff seiner Streitaxt.
»Was denn?«, fragte Murin.
»Da war ein Dämonengesicht in den Schlieren. Der Typ hat ziemlich grausam und böse ausgesehen.«
»Ich hab nichts gesehen«, erwiderte Murin. »Ihr anderen etwa?«
Alle verneinten murmelnd. Aber Alviss wusste, dass Onar sich nicht getäuscht hatte. Bei seinem ersten Besuch hatte er es ebenfalls bemerkt. »Los jetzt«, befahl er.
Sie näherten sich dem Tor bis auf zehn Armlängen. Alviss roch den Angstschweiß, den einige seiner Zwerge absonderten. Er konnte es ihnen nicht mal verdenken.
»Jetzt habe ich den Typ auch gesehen«, stieß Kellur hervor, der bis jetzt kein Wort geäußert hatte.
Ranowulf stellte sich in die Mitte des Ganges, räusperte sich zweimal und konzentrierte sich dann. Finster klingende Worte flossen über seine Lippen. Er kombinierte sie mit magischen Zeichen, die er in die Luft malte.
Alviss beobachtete fasziniert, wie vor dem Tor urplötzlich elf violette Flammen aus dem Boden wuchsen. Sie besaßen eine bestimmte Anordnung, die auf den ersten Blick nicht ersichtlich wurde. Alviss wusste aber um ihren Zweck. Der Zauberer leistete gute Arbeit, denn die Flämmchen bezeichneten die wichtigsten Punkte eines Drudenfußes. Fünf davon bildeten die äußeren Punkte der Sternzacken, fünf weitere markierten die inneren Kreuzungspunkte der fünf ineinander verschachtelten Linien. Das elfte Flämmchen befand sich genau in der Mitte des Drudenfußes.
»Los jetzt, Männer«, drängte Alviss. »Ihr wisst, was ihr zu tun habt. Auf uns wartet die Unsterblichkeit.«
Zehn Zwerge besetzten die Eck- und Kreuzungspunkte des Drudenfußes. Ranowulf begab sich mit der magischen Scheibe genau in die Mitte. Alviss hingegen blieb außen vor. Er übernahm die Schutzfunktion gegen ungebetene Gäste. Da sie sich unerlaubterweise auf Elfengebiet bewegten, mussten sie mit dieser Möglichkeit rechnen.
Die Zwerge sanken auf die Knie, Ranowulf ebenfalls. Links und rechts hielt er die magische Scheibe, die er vor sich hingestellt hatte. Die Flämmchen erloschen. Der Zauberer sang die Zwerge in Trance und vereinigte ihre Geister zu einem starken magischen Verbund, in den er auch die Kraft der Scheibe mit einbezog. Immer lauter, immer fordernder wurde der Gesang Ranowulfs. Alviss spürte, dass sich eine starke magische Kraft aufbaute. Und sich gegen das Tor wandte!
Die magische Scheibe vor Ranowulfs Brust flammte grell auf. Gleichzeitig begannen sich die Schlieren, des Tores wild zu drehen. Sie bildeten Dämonengesichter, die in rasender Abfolge erschienen. Alviss glaubte, sie höhnisch grinsen zu sehen.
Ein grell leuchtender Punkt erschien in der Schwärze des Tores. Er wurde schnell größer und begann die wabernden Schlieren in sich aufzusaugen! Die Schwärze wich, das Tor wurde allmählich durchsichtig.
Alviss schrie vor Begeisterung. Er glaubte, eine riesige Höhle mit einem See hinter dem Tor zu erkennen. In der Mitte des Sees schien eine Quelle zu sprudeln, die sanfte Wellen nach allen Seiten ausschickte. Auch einen kleinen Wasserfall nahm Alviss wahr.
Die Legende ist also wahr, dachte er schaudernd, denn der Gedanke an das ewige Leben überwältigte ihn plötzlich.
Wie aus dem Nichts stand der Dämon da! Er schien aus wabernder Schwärze zu bestehen, die annähernd humanoide Form besaß, aber ständig zerfloss. Fünf unglaublich grausame grellgelbe Augen starrten ihn aus der Schwärze an. Alviss, der bis jetzt geglaubt hatte, vor nichts Angst zu haben, schrie entsetzt auf. Instinktiv kapierte er, dass sie gegen dieses Wesen dort keine Chance hatten.
Die grell leuchtende Oberfläche des Tors erlosch schlagartig. Gleichzeitig bildete der Dämon lange dünne Tentakel aus, die wild peitschten und dann wie Schlangen durch das Tor stießen. Jeder Tentakel griff sich einen der Zwerge! Nur der Tentakel vor Ranowulf zuckte wieder zurück, als habe er sich verbrannt.
Einige Zwerge schrien grässlich, als sie von den Tentakeln in die Luft geschleudert wurden! Hilflos hingen sie in der Umklammerung, während den immer noch allgegenwärtigen Leuchtkäfern nichts zu passieren schien. Onar und Murin krachten ein paarmal gegen die Felswand. Alviss konnte förmlich zusehen, wie ihnen jeder Knochen im Leib zertrümmert wurde. Mit total verdrehten Gliedern fielen sie zu Boden und blieben verkrümmt liegen.
Ranowulf erhob sich brüllend und floh mit weit aufgerissenen Augen in Richtung Alviss. Der musste sich nun selbst gegen die beiden Tentakel wehren, die Onar und Murin getötet hatten. Der Erste umklammerte seinen linken Knöchel. Mit der magischen Kraft seiner Axt konnte er ihn durchtrennen. Das abgehackte Stück ließ ihn wieder los, während sich die Tentakel zurückzogen.
Alviss schrie triumphierend. Seine Kampflust erwachte schlagartig. Er sah, dass die magische Scheibe in Ranowulfs Händen noch immer leuchtete und ihn mit einer Ganzkörper-Aureole zu schützen schien. Ganz so hilflos waren sie also doch nicht gegen das Monster dort!
Am fliehenden Ranowulf vorbei stürmte Alviss nach vorne. Er wollte wenigstens einige der Männer retten, die sich noch auf dem Boden befanden. Direkt vor ihm kniete Tellur, den Tentakel um den Hals. Mit einem Kampfschrei und zwei Äxten gleichzeitig hieb Alviss auf den Tentakel ein. Der Schrei ging in ein Gurgeln über. Wahnsinnige Schmerzen zuckten durch Alviss’ Oberkörper. Gleichzeitig flog eine Axt durch die Luft, die andere ließ er fallen.
Der Tentakel war plötzlich eisenhart! Der Dämon schaffte es spielend, mit der Magie seiner Äxte fertig zu werden.
Der Mistkerl hat mich lediglich geblufft, schoss es Alviss durch den Sinn. Er begriff, dass sie verloren hatten. Die Hilflosigkeit machte ihn beinahe wahnsinnig. Aber es nutzte nichts, wenn er sich hier ebenfalls abschlachten ließ. Tellur war längst tot, das sah er deutlich. Und der Rest seiner Männer wurde gerade von den Tentakeln hinter das Tor gezogen. Schrill schreiend und strampelnd verschwanden sie im Körper des Wächters.
Keuchend warf sich Alviss herum. Mit einer blitzschnellen Körperdrehung wich er einem heranzuckenden Tentakel aus, obwohl sein Körper noch immer schmerzte. Dabei zog er einen Brocken des magischen Erzes aus seiner Hosentasche. Als der Tentakel erneut heranzuckte, berührte er ihn damit. Sofort begann, die Spitze des Tentakels zu versteinern. Die Versteinerung setzte sich ein Stück weit fort. Als der Dämon ihn zurückzog, brach das versteinerte Stück ab. Schwarzes Blut tropfte aus dem Stumpf.
Alviss besaß noch fünf weitere Erzbrocken. Trotzdem wagte er nicht, den Dämon damit anzugreifen. Er rannte um sein Leben. Ranowulf schien bereits außer Reichweite zu sein, er sah ihn nirgends mehr. Als Alviss um die Gangbiegung spurtete, sah er den Zauberer weiter vorne laufen. Noch immer hüllte ihn die leuchtende Aureole ein. Alviss wagte es. Er stoppte und schaute vorsichtig um die Ecke. Von dem Wächterdämon und seinen Tentakeln war nichts mehr zu sehen. Stattdessen schloss sich das Tor soeben wieder, indem es erneut die leuchtende, undurchdringliche Schwärze annahm.
Alviss bezähmte seine Angst und schaute nach Onar, Murin und Tellur, deren Körper regungslos im Gang lagen. Sie waren tatsächlich alle tot. Er schleppte die Leichen einzeln um die Gangbiegung, um sie wenigstens aus der Reichweite des Wächters zu bringen.
»Ihr wart tapfere Kämpfer«, murmelte er, und ein paar Tränen schlichen sich in seine Augenwinkel. »Harrt noch ein wenig aus hier. Ich werde euch persönlich mit anderen Männern abholen und euch ein Begräbnis geben, wie es nur die besten Zwerge verdient haben.«
Alviss sammelte die Leuchtkäfer um sich und rannte dem Zauberer hinterher. Er traf ihn erschöpft, auf dem Boden sitzend an.
»Ich habe zehn gute Männer verloren, Ranowulf«, zischte er böse. »Du hast dich getäuscht. Die magische Scheibe taugt nichts, sie ist nur Schrott.«
»Nein«, murmelte der Zauberer und sah zu ihm hoch. »In der Scheibe steckt eine starke Magie. Hast du nicht gesehen, wie sie mich vor dem Dämon schützte und dieser davor zurückzuckte?«
»Ich hab’s gesehen, ja«, musste Alviss zugeben. »Was ist dann schiefgelaufen?«
»Im entscheidenden Moment konnte ich die Magie der Scheibe plötzlich nicht mehr kontrollieren, König«, murmelte der Zauberer und starrte auf den Boden vor sich.
»Was heißt das?«
»Die Scheibe … hat sich selbstständig gemacht und unseren magischen Verbund verlassen. Wenn ich es … richtig einschätze, hat sie den Wächterdämon selbstständig angegriffen. Für einen Moment hatte ich das Gefühl, wir wären ihr nur eine Last. Mit der Macht des kompletten Verbundes hätten wir vielleicht sogar eine Chance gegen den Dämon gehabt. Nein, ganz sicher sogar.«
»Ist die Scheibe etwa ein lebendes magisches Wesen?«, fragte Alviss verblüfft.
»Ich weiß es nicht … nein, ich glaube eigentlich nicht«, erwiderte Ranowulf und räusperte sich ein paarmal. »Es war wohl meine Schuld. Mir ist in der entscheidenden Situation die Kontrolle entglitten. Ich muss mich weiter mit der magischen Scheibe beschäftigen, mit ihr experimentieren.«
»Dein Schuldeingeständnis ehrt dich, Ranowulf. Aber das macht meine Männer auch nicht wieder lebendig.«
»Ich weiß, König, ich weiß. Aber es ist nicht mehr zu ändern.«
***
Loire-Tal, Frankreich
Die goldene Elfe sprang hoch. Ihr Erschöpfungsgefühl war wie weggeblasen, neue Kraft pulste durch ihren Körper – genährt von der Hoffnung, ihrem Schicksal vielleicht doch entrinnen zu können. Warum nur war sie nicht schneller auf diese geniale Idee gekommen? Zwischen den Bäumen hindurch starrte Kedlin zu der fernliegenden Felsenformation hinüber, auf der als wuchtiger Klotz Château Montagne thronte. Der scharfe Wind jagte dunkle Regenwolken über den Himmel, die das mächtige Bauwerk düsterer erscheinen ließen, als es tatsächlich war. Die Bilder der nahen Vergangenheit wurden vor Kedlins innerem Auge lebendig.
Elfenschlucht am großen See: Nach unendlich langer Zeit im Stasis-Schlaf war Kedlin plötzlich erwacht und hatte eine völlig veränderte Welt vorgefunden. Eine Welt, an der sie beinahe verzweifelte, weil Menschen und Dämonen sie beherrschten, während das einst große Elfenvolk immer noch traurig vor sich hindämmerte und ein Leben im Schatten fristete. Kedlin hatte Königin Blütenkelch getötet und die Macht über das Elfenvolk an sich gerissen, um es aus seiner Lethargie zu wecken und zu alter Größe zu führen. Trotz einiger Anfangserfolge am Ende vergeblich, denn die Gegner, auf die sie dabei getroffen war, hatten sich als zu stark erwiesen.
Gegen den mächtigen Menschenmagier Zamorra hätte ich noch bestehen können. Weil er aber von LEGION unterstützt wurde, hätte ich den Kampf verloren
Hätte, ja … Ihre rechte Hand krampfte sich um den Griff ihres Schwerts Allesfresser. Die Erinnerungen an diese Niederlage, die eine doppelte war, schmerzten sie noch immer. Denn in dem Moment, da sie drauf und dran war, der unheiligen Allianz aus Mensch und Dämon zu unterliegen, hatte sie ein weiterer Dämon vor dem Untergang gerettet.
Vassago …
Der Gedanke, von einem Erzdämon gerettet zu werden und fortan in seiner Schuld zu stehen, machte Kedlin fast wahnsinnig. Zunächst hatte sie über Vassagos Motive gerätselt, da er keine Gegenleistung für die Rettung und den Schutz, den er ihr in seiner eigenen Welt gewährte, verlangt hatte. Seinen Worten nach waren sie beide vom selben hohen Adel, noch weit über Asmodis und allen anderen Dämonen stehend. War in diesen rätselhaften Worten sein Motiv zu suchen? Darüber hinaus hatte Vassago lediglich interessiert beobachtet, wie Kedlin von Tag zu Tag magisch erstarkte und körperlich größer wurde. Ein Vorgang, den sie damals selber nicht erklären konnte. Wie so vieles nicht in dieser veränderten Welt.
Auf viele ihrer Fragen besaß Kedlin zwischenzeitlich eine Antwort. Und die verdankte sie einem bloßen Zufall. Denn Vassago hatte sie beauftragt, den Erzdämon Agares zu fangen und zu ihm zu bringen. Aber Agares war durch ein Weltentor in die neue Hölle geflohen.
So ist LUZIFER auf mich aufmerksam geworden …
Lilith und eine Horde Urdämonen hatten sie von da ab in LUZIFERS Auftrag durch die Hölle gejagt, ohne dass sie den Grund dafür gewusst hätte.
Damals noch nicht …
In höchster Bedrängnis hatte sich Kedlin an Vassagos Prahlereien erinnert, an seine Erzählung einer Passage zwischen der neuen Hölle und einer erdnahen Dimension namens Ebene des hohen Himmels. Über diesen Weg war Kedlin aus der Hölle geflohen.
Und dieser Weg war es auch, der meine verschütteten Erinnerungen weckte und mir die ungeheuerliche Erkenntnis meiner wahren Herkunft offenbarte