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Im gegenwärtigen Altersdiskurs werden Selbstbestimmung und Freiheit im Alter besonders hervorgehoben. Eine einseitige Betonung der positiven Seiten geht aber mit einer Tabuisierung der belastenden Aspekte einher. Alte Menschen, die diesem neuen Ideal nicht zu entsprechen vermögen, droht Ausgrenzung. Das Alter ist aber nur in seiner dialektischen Doppelnatur zu fassen: Der Zunahme an Wissen und Freiheitsgraden stehen Verluste und Einbußen gegenüber – eine Ambivalenz, mit der jeder Einzelne einen Umgang finden muss. Eine kritisch inspirierte Psychoanalyse braucht deswegen jenseits verkürzter Bilder vom erfolgreichen Alter ein differenzierteres Leitbild, das die Werte dieses Lebensabschnitts zwar hervorhebt, aber auch die Schattenseiten nicht ausspart. Dieses Ziel verfolgt der Autor, in dem er die innere Bühne des Alters psychodynamisch ausleuchtet und beschreibt, wie im therapeutischen Prozess das verborgene Alter hervortreten und sich zu einem bewusst erlebten und reflektierten Alter wandeln kann. Meinolf Peters schöpft dabei aus einer breiten klinischen Erfahrung mit Fachkenntnis und Lebensklugheit.
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Seitenzahl: 85
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Herausgegeben vonFranz Resch und Inge Seiffge-Krenke
Meinolf Peters
Psychodynamische Psychotherapie mit Älteren
Eine Einführung
Vandenhoeck & Ruprecht
Mit 2 Abbildungen
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
ISBN 978-3-647-99772-8
Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhältlich unter: www.v-r.de
Umschlagabbildung: Paul Klee, Keramisch-Mystisch (In Der Art Eines Stillebens), 1925/Private Collection/Photo © Christie’s Images/Bridgeman Images
© 2017, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG,Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen /Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U.S.A.www.v-r.deAlle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlichgeschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällenbedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages.
Satz: SchwabScantechnik, Göttingen EPUB-Erstellung: Lumina Datamatics, Griesheim
Inhalt
Vorwort zur Reihe
Vorwort zum Band
1Psychoanalyse und Alter – eine allmähliche Annäherung
2Der gesellschaftliche Rahmen des Alters
2.1Die gegenwärtige Neuverhandlung des Alters
2.2Dem Schatten des Alters entkommen?
2.3Die Bürde der Vergangenheit
3Das »Innere des Alters« – eine psychodynamische Ausleuchtung
3.1Von der Kontinuität des Lebens – die Zeitlosigkeit des Unbewussten
3.2Altern als das Fremde in uns – die Spiegelphase des Alters
3.3Der gelebte Augenblick – die depressive Position
3.4Das innere Gleichgewicht erhalten – Narzissmus und Alter
3.5Die Suche nach Sicherheit – Bindung im Alter
3.6Grenzen ziehen sich zusammen – Neuropsychoanalyse und Alter
3.7Vom Prozess der Aneignung des Alters
4Konzepte psychodynamischer Psychotherapie und Alter
4.1Konfliktorientierte Psychotherapie
4.2Mentalisierungsbasierte Psychotherapie
4.3Strukturbezogene Psychotherapie
5Zur heutigen Versorgungsrealität
6Das verborgene Alter in der klinischen Praxis
6.1Die Anbahnung der Psychotherapie
6.2Zur Eigenübertragung des Therapeuten
6.3Unbewusstes Alter und Gegenübertragung
6.4Zur Entwicklung der therapeutischen Beziehung
6.5Altersspezifische Themen – die existenzielle Dimension
6.6Das Hervortreten aus der Verborgenheit – das bewusste Alter
6.7Altern als alltägliche Herausforderung – eine Erweiterung der therapeutischen Aufgaben
6.8Was kommt danach – von der Therapie zur therapeutischen Begleitung?
7Ein Blick in die klinische Praxis – ein Behandlungsverlauf
7.1Erstgespräch und Hintergrund – Frau F., 74 Jahre
7.2Erste Therapie – Abschied und Neubeginn
7.3Zweite Therapie – die Last des Alters tragen
7.4Der Therapieverlauf – kreative Räume nutzen
8Psychotherapieforschung und Alterspsychotherapie
9Fort- und Weiterbildung in Alterspsychotherapie
10Wenn Psychoanalytiker alt werden
Literatur
Vorwort zur Reihe
Zielsetzung von PSYCHODYNAMIK KOMPAKT ist es, alle psychotherapeutisch Interessierten, die in verschiedenen Settings mit unterschiedlichen Klientengruppen arbeiten, zu aktuellen und wichtigen Fragestellungen anzusprechen. Die Reihe soll Diskussionsgrundlagen liefern, den Forschungsstand aufarbeiten, Therapieerfahrungen vermitteln und neue Konzepte vorstellen: theoretisch fundiert, kurz, bündig und praxistauglich.
Die Psychoanalyse hat nicht nur historisch beeindruckende Modellvorstellungen für das Verständnis und die psychotherapeutische Behandlung von Patienten hervorgebracht. In den letzten Jahren sind neue Entwicklungen hinzugekommen, die klassische Konzepte erweitern, ergänzen und für den therapeutischen Alltag fruchtbar machen. Psychodynamisch denken und handeln ist mehr und mehr in verschiedensten Berufsfeldern gefordert, nicht nur in den klassischen psychotherapeutischen Angeboten. Mit einer schlanken Handreichung von 60 bis 70 Seiten je Band kann sich der Leser schnell und kompetent zu den unterschiedlichen Themen auf den Stand bringen.
Themenschwerpunkte sind unter anderem:
–Kernbegriffe und Konzepte wie zum Beispiel therapeutische Haltung und therapeutische Beziehung, Widerstand und Abwehr, Interventionsformen, Arbeitsbündnis, Übertragung und Gegenübertragung, Trauma, Mitgefühl und Achtsamkeit, Autonomie und Selbstbestimmung, Bindung.
–Neuere und integrative Konzepte und Behandlungsansätze wie zum Beispiel Übertragungsfokussierte Psychotherapie, Schematherapie, Mentalisierungsbasierte Therapie, Traumatherapie, internetbasierte Therapie, Psychotherapie und Pharmakotherapie, Verhaltenstherapie und psychodynamische Ansätze.
–Störungsbezogene Behandlungsansätze wie zum Beispiel Dissoziation und Traumatisierung, Persönlichkeitsstörungen, Essstörungen, Borderline-Störungen bei Männern, autistische Störungen, ADHS bei Frauen.
–Lösungen für Problemsituationen in Behandlungen wie zum Beispiel bei Beginn und Ende der Therapie, suizidalen Gefährdungen, Schweigen, Verweigern, Agieren, Therapieabbrüchen; Kunst als therapeutisches Medium, Symbolisierung und Kreativität, Umgang mit Grenzen.
–Arbeitsfelder jenseits klassischer Settings wie zum Beispiel Supervision, psychodynamische Beratung, Arbeit mit Flüchtlingen und Migranten, Psychotherapie im Alter, die Arbeit mit Angehörigen, Eltern, Gruppen, Eltern-Säuglings-Kleinkind-Psychotherapie.
–Berufsbild, Effektivität, Evaluation wie zum Beispiel zentrale Wirkprinzipien psychodynamischer Therapie, psychotherapeutische Identität, Psychotherapieforschung.
Alle Themen werden von ausgewiesenen Expertinnen und Experten bearbeitet. Die Bände enthalten Fallbeispiele und konkrete Umsetzungen für psychodynamisches Arbeiten. Ziel ist es, auch jenseits des therapeutischen Schulendenkens psychodynamische Konzepte verstehbar zu machen, deren Wirkprinzipien und Praxisfelder aufzuzeigen und damit für alle Therapeutinnen und Therapeuten eine gemeinsame Verständnisgrundlage zu schaffen, die den Dialog befördern kann.
Franz Resch und Inge Seiffge-Krenke
Vorwort zum Band
Die langzeitliche Lebensperspektive schließt das Altern mit ein. Die gestiegene Lebenserwartung der Nachkriegsgenerationen im 20. Jahrhundert hat zu Beginn des 21. Jahrhunderts zu einer gegenwärtigen Neuverhandlung des Alters geführt. Gegen die Vorstellungen von Abbau und Verlust als Schattenseiten des Daseins im Alter – die von Schmerzen, Krankheiten, Einsamkeit und Einschränkungen geprägt sind – werden heute die Konzepte des erfolgreichen Alterns und des aktiven Engagements im Alter gesetzt. Diese betonen die Selbstbestimmung und Freiheit im Alter und heben die positiven Lebensaspekte des Alterns hervor. Aber auch die zu einseitige Betonung der Freuden des Alters, die zur Tabuisierung der belastenden Facetten führt, kann als Kultur der repressiven Idealisierung die Gefahr in sich bergen, einer strukturellen Desintegration alter Menschen Vorschub zu leisten, die diesem Ideal nicht genügen. Das Alter ist nur in seiner dialektischen Doppelnatur zu fassen: Denn es stehen den Zunahmen an Wissen und Freiheitsgraden durchaus auch Verluste und Einbußen gegenüber – wie zwei Seiten einer Medaille.
Deswegen braucht eine kritisch inspirierte Psychoanalyse ein differenzierteres Leitbild, das die inhärenten Werte des Lebensabschnitts zwar hervorhebt, aber auch die Schattenseiten nicht ausspart. Denn Introspektion, Gelassenheit und Generativität können auch mit einer Verlangsamung einhergehen, die durchaus eine neue Lebensqualität besitzt und als Antithese zur Beschleunigung in einer globalisierten Welt aufzufassen ist. Die psychodynamische Ausleuchtung der inneren Aspekte des Alters gelingt Meinolf Peters in seinem Buch mit großem Feinsinn und einem besonderen Fingerspitzengefühl. Es geht dabei um die Zeitlosigkeit des Unbewussten und das Altern als das Fremde in uns. Der Suche nach Erhaltung des Selbstwerts und nach Sicherheit in Bindungen steht der Prozess der Aneignung des Alters gegenüber.
Meinolf Peters stellt unterschiedliche Konzepte einer psychodynamischen Therapie im Alter vor. Neben konfliktorientierter Psychotherapie wird die Bedeutung der Mentalisierungsbasierten Psychotherapie und der Strukturbezogenen Psychotherapie hervorgehoben. Eine Mentalisierungsbasierte Therapie bei Älteren scheint besonders sinnvoll zu sein, da sie auf die Förderung der Reflexionsfähigkeit im Rahmen einer therapeutischen Beziehung abzielt. Dabei muss der Therapeut, die Therapeutin die offenbar im Alter abnehmende Bindungssicherheit gut herzustellen imstande sein. Demgegenüber bietet die Strukturbezogene Psychotherapie eine Arbeit an den Bewältigungsmechanismen und kompensatorischen Strukturen an, wobei dabei auch die äußere Realität Berücksichtigung findet. Ein Kapitel zur gegenwärtigen Versorgungswirklichkeit öffnet uns die Augen: Trotz guter Möglichkeiten wird Psychotherapie bei Älteren sehr selten durchgeführt, erscheint bestenfalls als ein Ergänzungsangebot. Insbesondere höheraltrige Patientinnen und Patienten werden heute immer noch marginalisiert.
Das Kapitel vom verborgenen Alter in der Psychotherapie greift auf den großen Erfahrungsschatz des Autors zurück und handelt von der Bedeutung des Alters in der Übertragung des Patienten und in der Gegenübertragung der Therapeuten. Sehr kundig werden die Einzelheiten fassbar gemacht, die in der Therapie zu einem bewussten Hervortreten des Alters führen können. Ein Blick in die klinische Praxis an einem Fallbeispiel rundet das Buch ab. Ein erhellender Beitrag zur Psychotherapie mit Älteren, der nicht nur mit Fachkenntnis, sondern auch mit Lebensklugheit geschrieben ist.
Inge Seiffge-Krenke und Franz Resch
1Psychoanalyse und Alter – eine allmähliche Annäherung
Die Psychoanalyse hat sich mit dem Alter lange Zeit schwergetan. Freud schrieb 1904, damals selbst 48 Jahre alt: »Auch eine Altersstufe in der Nähe des fünften Dezenniums schafft ungünstige Bedingungen für die Psychoanalyse. Die Masse des psychischen Materials ist dann nicht mehr zu bewältigen, die zur Herstellung erforderliche Zeit wird zu lang und die Fähigkeit, psychische Vorgänge rückgängig zu machen, beginnt zu erlahmen« (zit. nach Gay, 1987). Diese von ihm lebenslang durchgehaltene Auffassung geht auf ein ausgesprochen negatives Altersbild zurück. In seinen Briefen hatte er sich schon früh immer wieder mit seinem »Alterskomplex«, wie er ihn selbst später bezeichnete, befasst. So beschreibt er sich knapp vierzigjährig in einem Brief an Fließ als gealtert, schwerfällig, nicht gesund, als einen »alten, etwas schäbigen Israeliten« (Gay, 1987). Seine Einstellung zum Alter und seine skeptische Haltung im Hinblick auf die Behandlungsmöglichkeiten älterer Menschen korrespondieren also in auffallender Weise.
Zwar finden sich in der Folgezeit vereinzelt Arbeiten, die sich mit der Behandlung Älterer beschäftigt haben (z. B. Grotjahn, 1955)1, doch die skeptische Haltung Freuds setzte sich über mehrere Therapeutengenerationen fort. Als ich selbst in den 1980er Jahren begann, mich mit dem Thema zu befassen, waren Ressentiments allerorten spürbar, und ähnlich wie bei Freud dürften dabei – bis heute – persönliche Vorbehalte von erheblicher Bedeutung sein. In einer Befragung im Jahre 1980 gab die große Mehrheit der Psychotherapeuten an, keine älteren Patienten behandeln zu wollen (Ray, McKinney u. Ford, 1987). Ich habe es Hartmut Radebold, dem Nestor der Alterspsychotherapie in Deutschland, zu verdanken, dass ich zu einem Thema fand, das mich bis heute nicht losgelassen hat. In den 1990er Jahren haben wir zusammen einen alterstherapeutischen Schwerpunkt in einer Psychosomatischen Klinik aufgebaut und wissenschaftlich begleitet, später habe ich zusammen mit meiner Kollegin, der Psychoanalytikerin Christiane Schrader, das von ihm gegründete Institut für Alterspsychotherapie und angewandte Gerontologie übernommen. Ich selbst war in der Zwischenzeit in verschiedenen Zusammenhängen und Kontexten mit dem Thema Alter befasst: neben der ambulanten und stationären Psychotherapie in der Fortbildung von Kolleginnen und Kollegen, der universitären Lehre und Forschung sowie in Supervisionen und Beratung von Kliniken. Die folgende Abhandlung gibt einen Überblick über meine Erfahrungen und den Stand der psychodynamischen Alterspsychotherapie.
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1In den 1960er Jahren insbesondere im Journal of Geriatric Psychiatry.
2Der gesellschaftliche Rahmen des Alters
2.1Die gegenwärtige Neuverhandlung des Alters