Psychologie in der Gesundheitsförderung -  - E-Book

Psychologie in der Gesundheitsförderung E-Book

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Beschreibung

In dem Lehrbuch geben Experten und Expertinnen aus Forschung, Lehre und Praxis einen umfassenden Einblick in die Psychologie der Gesundheitsförderung. In 70 Kapiteln wird das psychologische Wissen zur Gesundheitsförderung an der Schnittstelle zu Medizin, Soziologie und Pädagogik präsentiert. Ein breites Spektrum an Settings, altersgruppenspezifischen Themen sowie Erkrankungs- und Störungsbildern wird aus der Perspektive des aktuellen biopsychosozialen Gesundheitsverständnisses und unter Berücksichtigung unterschiedlicher Formen der Gesundheitsförderung und Prävention beleuchtet.Aus dem InhaltVerständnis von Gesundheit Zentrale Begriffe und Konstrukte der Gesundheitsförderung Modelle und Methoden zur Förderung des Gesundheitsverhaltens Maßnahmen zur Förderung des Gesundheitsverhaltens Gesund aufwachsen Gesund leben und arbeiten Gesund im Alter Das Lehrbuch wendet sich an Studierende und Fachkräfte gesundheitsbezogener Disziplinen wie Gesundheitsförderung, Gesundheitsmanagement, Gesundheitspädagogik, Gesundheitswissenschaft, Medizin, Pflegewissenschaft, Psychologie, Public Health oder Rehabilitationswissenschaften sowie an einen breiteren Akteurskreis, der sich mit Fragen der Förderung von Gesundheit beschäftigt.

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Seitenzahl: 1463

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Psychologie in der Gesundheitsförderung

Carl-Walter Kohlmann, Christel Salewski, Markus Antonius Wirtz (Hrsg.)

Wissenschaftlicher Beirat Programmbereich Psychologie:

Prof. Dr. Guy Bodenmann, Zürich; Prof. Dr. Lutz Jäncke, Zürich; Prof. Dr. Franz Petermann, Bremen; Prof. Dr. Astrid Schütz, Bamberg; Prof. Dr. Markus Wirtz, Freiburg i. Br.

Carl-Walter KohlmannChristel SalewskiMarkus Antonius Wirtz(Hrsg.)

Psychologie in der Gesundheitsförderung

Prof. Dr. Carl-Walter Kohlmann

Pädagogische Hochschule Schwäbisch Gmünd

Institut für Humanwissenschaften

Abteilung Pädagogische Psychologie und Gesundheitspsychologie

Oberbettringer Str. 200

73525 Schwäbisch Gmünd

Deutschland

[email protected]

Prof. Dr. Christel Salewski

FernUniversität in Hagen

Lehrgebiet Gesundheitspsychologie

Universitätsstr. 33

58097 Hagen

Deutschland

[email protected]

Prof. Dr. Markus Antonius Wirtz

Pädagogische Hochschule Freiburg

Fakultät für Bildungswissenschaften, Institut für Psychologie

Abteilung für Forschungsmethoden

Kartäuserstr. 47

79104 Freiburg

Deutschland

[email protected]

Geschützte Warennamen (Warenzeichen) werden nicht besonders kenntlich gemacht. Aus dem Fehlen eines solchen Hinweises kann also nicht geschlossen werden, dass es sich um einen freien Warennamen handelt.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.dnb.de abrufbar.

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Kopien und Vervielfältigungen zu Lehr- und Unterrichtszwecken, Übersetzungen, Mikroverfilmungen sowie die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Für die Vorbereitung und die Gestaltung von Vorlesungen stehen Lehrenden unter dem Link http://www3.hogrefe.de/buecher/lehrbuecher/psychlehrbuchplus/ Tabellen und Abbildungen aus diesem Buch zur Verfügung.

Trotz sorgfältiger Prüfung konnten nicht alle Rechteinhaber ermittelt werden. Rechtmäßige Ansprüche können beim Verlag geltend gemacht werden.

Anregungen und Zuschriften bitte an:

Hogrefe AG

Lektorat Psychologie

Länggass-Strasse 76

3000 Bern 9

Schweiz

Tel: +41 31 300 45 00

E-Mail: [email protected]

Internet: http://www.hogrefe.ch

Lektorat: Dr. Susanne Lauri

Bearbeitung: Angelika Pfaller, Bad Reichenhall

Herstellung: René Tschirren

Umschlagabbildung: Blend Images

Umschlag: Claude Borer, Riehen

Satz: Claudia Wild, Konstanz

Druck und buchbinderische Verarbeitung: Finidr s.r.o., Český Těšín

Printed in Czech Republic

1. Auflage 2018

© 2018 Hogrefe Verlag, Bern

(E-Book-ISBN_PDF 978-3-456-95770-8)

(E-Book-ISBN_EPUB 978-3-456-75770-4)

ISBN 978-3-456-85770-1

http://doi.org/10.1024/85770-000

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Anmerkung

Sofern der Printausgabe eine CD-ROM beigefügt ist, sind die Materialien/Arbeitsblätter, die sich darauf befinden, bereits Bestandteil dieses E-Books.

Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Gesundheitsförderung und Prävention – die psychologische Perspektive
Teil I: Verständnis von Gesundheit
I.1 Gesundheitsbezogenes Verhalten
I.2 Gesundheitseinstellungen und -überzeugungen
I.3 Gesundheitskompetenz
I.4 Gesundheitsziele
I.5 Salutogenese und Ressourcenorientierung
I.6 Motivation für gesundheitsförderliches Verhalten
I.7 Interozeption
Teil II: Zentrale Begriffe und Konstrukte der Gesundheitsförderung
II.1 Selbstwirksamkeit
II.2 Empowerment
II.3 Lebensqualität und Wohlbefinden
II.4 Stress und Stressbewältigung
II.5 Persönlichkeit, Selbstregulation und Gesundheit
II.6 Geschlecht und Geschlechterrollen
II.7 Soziale Unterstützung
II.8 Positive Psychologie
Teil III: Modelle und Methoden zur Förderung des Gesundheitsverhaltens
III.1 Modelle des Gesundheitsverhaltens
III.2 Verhaltens- und Verhältnisprävention
III.3 Gesundheitsinformation und Risikokommunikation
III.4 Maßnahmenentwicklung und Techniken der Verhaltensänderung
III.5 Gesundheitspsychologische Diagnostik
Teil IV: Maßnahmen zur Förderung des Gesundheitsverhaltens
IV.1 Gesundheitscoaching und motivierende Gesprächsführung
IV.2 Interventionen zur Förderung gesundheitsrelevanten Verhaltens in den Bereichen Bewegung und Ernährung
IV.3 Erklärung und Veränderung von Präventionsverhalten
IV.4 Förderung von Lebenskompetenzen
IV.5 Patientenschulungsprogramme
IV.6 Gesundheitskampagnen
IV.7 Internet- und mobilebasierte Interventionen
IV.8 Partizipation und Gesundheitsförderung
IV.9 Achtsamkeit
Teil V: Gesund aufwachsen
V.1 Eltern und Familie
V.2 Gesundheit und Gesundheitsförderung in der Kindertageseinrichtung
V.3 Kindheit
V.4 Schule als Handlungsfeld psychologischer Gesundheitsförderung
V.5 Jugend
Teil VI: Gesund leben und arbeiten
VI.1 Partnerschaft und soziales Netz
VI.2 Betriebliche Gesundheitsförderung
VI.3 Gesundheitsfördernde Hochschule
VI.4 Rehabilitation bei chronischen Erkrankungen
VI.5 Gesundheitsförderung bei Menschen mit Intelligenzminderung
VI.6 Soziale Ungleichheit und Diversität
VI.7 Migration und Interkulturalität
Teil VII: Gesund im Alter
VII.1 Höheres Alter
VII.2 Psychologische Aspekte von Pflege
Teil VIII: Psychologische Aspekte der Prävention und Gesundheitsförderung bei ausgewählten Krankheits- und Störungsbildern sowie in Anwendungsfeldern
VIII.1 Alkohol- und Tabakmissbrauch
VIII.2 Atemwegserkrankungen
VIII.3 Chronisch entzündliche Darmerkrankungen
VIII.4 Chronischer Schmerz
VIII.5 Demenzielle Erkrankungen
VIII.6 Dermatologische Erkrankungen
VIII.7 Diabetes mellitus
VIII.8 Entwicklungsstörungen: Bindungsstörungen im Kindes- und Jugendalter
VIII.9 Entwicklungsstörungen: Dissoziales Verhalten im Kindes- und Jugendalter
VIII.10 Erkrankungen des Bewegungsapparates
VIII.11 Essstörungen und Adipositas
VIII.12 HIV/Aids
VIII.13 Kardiovaskuläre Erkrankungen
VIII.14 Mundhygiene und Mundgesundheit
VIII.15 Neurologische Erkrankungen
VIII.16 Operationsvorbereitung
VIII.17 Psychische Störungen am Arbeitsplatz
VIII.18 Schlaf und Schlafstörungen
VIII.19 Sexuelle Funktionsstörungen
VIII.20 Transplantationen
VIII.21 Tumorerkrankungen
VIII.22 Urologische Erkrankungen
VIII.23 Verhaltenssucht
Teil IX: Evidenzbasierung, Evaluation und Qualitätssicherung, Forschungspraxis
IX.1 Evidenzbasierte Entscheidungen
IX.2 Konzepte und Modelle der Evaluation und Qualitätssicherung
IX.3 Methodenpraxis im Rahmen empirischer Forschung, Evaluation und Qualitätssicherung
Nachwort: Megatrend Gesundheit
Verzeichnis der Autorinnen und Autoren
Sachwortverzeichnis

Vorwort

Gesundheit ist für jeden Menschen, soziale Gemeinschaften und die Gesellschaft ein grundlegendes und bedeutsames Thema. Gesundheit ist für die subjektive Sicht des Einzelnen auf seine Lebenssituation von zentraler Bedeutung und mit wichtigen Werten und Zielen wie Lebensqualität, Wohlbefinden und Lebenszufriedenheit verbunden. Das soziale und gesellschaftliche Zusammenleben wird durch die Gesundheit und den Umgang mit Gesundheit mit geprägt.Gesundheitsförderung kommt in diesem Sinne eine umfassende Bedeutung zu: Wie kann der einzelne Mensch befähigt werden, selbstverantwortlich und kompetent mit seiner Gesundheit umzugehen? Welchen Einfluss hat das soziale Umfeld auf die Gesundheit? Wie sind Lebenswelten und das gesundheitliche Versorgungssystem zu gestalten, damit die Gesundheit des einzelnen Menschen und die gesundheitliche Situation in der Gesellschaft bestmöglich befördert werden können? PsychologieinderGesundheitsförderung fokussiert das Erleben und Verhalten des einzelnen Menschen in seinem sozialen und gesellschaftlichen Umfeld in Bezug auf Fragen der Gesundheitsförderung.

Dieses Lehrbuch behandelt das psychologische Wissen zur Gesundheitsförderung an der Schnittstelle zu Medizin, Pädagogik und Soziologie. Auf der Basis des biopsychosozialen Modells der Gesundheit wird unter einer psychologischen Perspektive ein wissenschaftlich fundiertes Verständnis des gesundheitsbezogenen Erlebens und Verhaltens verdeutlicht. Dies ermöglicht die praktische Umsetzung der Erkenntnisse in inter- und multidisziplinären Anwendungskontexten unter Berücksichtigung unterschiedlicher Formen der Gesundheitsförderung und Prävention in einem breiten Spektrum von Settings, in verschiedenen Altersgruppen sowie bei wichtigen Erkrankungs- und Störungsbildern.

Der Band wendet sich an Studierende und an Fachkräfte der Psychologie und gesundheitspsychologischer Bezugsdisziplinen wie Medizin, Public Health, Pflegewissenschaft, Sozialpädagogik, Soziale Arbeit, Sport- und Ernährungswissenschaft, Versorgungsforschung, Gesundheitsförderung, Gesundheitspädagogik oder Gesundheitsmanagement.

Das Lehrbuch ist das gemeinsame Werk vieler ausgewiesener Expertinnen und Experten der Gesundheitsförderung. Nur durch das Engagement aller Beteiligten konnte die psychologische Perspektive in der Gesundheitsförderung in dieser Breite, Tiefe und Qualität für das Lehrbuch aufbereitet werden. Es war uns eine große Freude im Rahmen des Editierungsprozesses zu erleben, dass die Arbeit durch ein solch hohes Maß an positivem Engagement für dieses wichtige psychologische Anwendungsfeld geprägt war. Frau Dipl.-Psych. Maria Kluge von der FernUniversität in Hagen danken wir für die umsichtige Prüfung der Manuskripte. Frau Dr. Susanne Lauri und dem gesamten unterstützenden Team im Hogrefe-Verlag in Bern danken wir für die engagierte redaktionelle Begleitung des Editierungsprozesses. Als Herausgeber möchten wir allen Beteiligten für die kollegiale, konstruktive und angenehme Zusammenarbeit ganz herzlich danken.

Schwäbisch Gmünd, Hagen und Freiburg, im Juli 2017

Carl-Walter Kohlmann, Christel Salewski & Markus Antonius Wirtz

Gesundheitsförderung und Prävention – die psychologische Perspektive

Markus Antonius Wirtz, Carl-Walter Kohlmann & Christel Salewski

Für jeden Menschen ist Gesundheit ein wesentlicher Aspekt des subjektiven Wohlbefindens und einer zufriedenstellenden Lebensqualität. In Lebensphasen, in denen die Gesundheit nicht beeinträchtigt ist und keine Gesundheitseinschränkungen befürchtet werden, ist die Gesundheit die – oft nicht bewusste – Voraussetzung für eine aktive Lebensgestaltung. Ist die Gesundheit jedoch eingeschränkt oder werden Einschränkungen des Gesundheitszustands befürchtet, so gerät die Thematik „Gesundheit“ in den Fokus: Das Erleben der eigenen Gesundheit und das gesundheitsbezogene Verhalten des Individuums werden zu einem wesentlichen Teil der Sichtweise des Individuums auf die eigene Lebenssituation.

Auch wenn diese kontrastierende Charakterisierung auf den ersten Blick selbstverständlich erscheinen mag, so erweist sich diese bei genauerer Betrachtung als unzureichend. Insbesondere die Themen des individuellen Gesundheitsempfindens sowie der Gesundheitsvorsorge und Gesundheitsförderung erweitern den Fokus und erfordern die Beschäftigung mit Problemen und Fragen, die die Klärung des Gesundheitsbegriffs und die Bedeutung von Gesundheitsförderung betreffen:

Wann ist ein Mensch gesundheitlich unbeeinträchtigt oder nicht eingeschränkt? beziehungsweise Wann ist ein Mensch gesund?: Es muss zumindest berücksichtigt werden, dass viele gesundheitsrelevante (insb. akute vs. chronische körperliche und psychische) Facetten bedeutsam sind. Zudem sind die Adjektive „unbeeinträchtigt“ vs. „beeinträchtigt“ lediglich als Extremausprägungen (i.S. von schwarz vs. weiß) anzusehen, zwischen denen ein fließender Übergang (i.S. von Graustufen) liegt.Ist gesund zu sein synonym zu nicht krank oder nicht krankheitsanfällig zu sein? Ist es angemessen, Gesundheit primär negativ, also durch das Nichtvorliegen von Krankheitsaspekten zu charakterisieren?Worin unterscheiden sich gesund sein und sich gesund fühlen? Jeder Mensch hat ein individuelles Gesundheitsverständnis und reagiert anders auf (potentielle) Gesundheitseinschränkungen. Das Ziel, den Gesundheitszustand objektiv feststellen zu wollen, stößt an seine Grenzen, wenn das subjektive Gesundheitsempfinden wesentlich den Gesundheitszustand charakterisiert (z.B. Belastungsempfinden bei chronischen Erkrankungen).Wodurch ist die Gesundheitswahrnehmung gekennzeichnet? Inwiefern beeinflussen situative Merkmale, Einstellungen und Persönlichkeitsmerkmale die Gesundheitswahrnehmung? Gesundheit ist für Menschen in unterschiedlichem Maße bedeutsam, auch wenn die objektiven Gegebenheiten sich nicht unterscheiden. Die Thematik der Gesundheit ist Teil des persönlichen Selbstverständnisses und wird zugleich durch die eigene Persönlichkeit mit geprägt.Wann werden mögliche zukünftige Gesundheitsbeeinträchtigungen als wichtig wahrgenommen? Inwiefern sieht ein Mensch die Vorbeugung zukünftiger Gesundheitsbeeinträchtigungen als relevant an? Das Erleben der Bedrohung oder die Widerstandsfähigkeit gegenüber Erkrankungen beeinflussen das gesundheitsbezogene Verhalten des Menschen wesentlich.Wie kann und sollte der Einzelne aktiv seine Gesundheit als persönliche Entwicklungsaufgabe begreifen? Wo beginnt die Eigenverantwortlichkeit des Einzelnen im Umgang mit der Gesundheit und in welchem Maße kann er sich auf die allgemeinen Maßnahmen der Gesundheitsversorgung verlassen?

Diese Fragen verdeutlichen, dass es wesentlich von der Wahrnehmung, dem Empfinden, Denken und Verhalten des Einzelnen abhängt, wie er subjektiv und individuell mit seiner Gesundheit umgeht. Gesundheit sollte nicht als objektive Rahmenbedingung aufgefasst werden, die dem Individuum mehr oder weniger Gestaltungsspielraum lässt, sondern vielmehr als subjektiv und individuell geprägter Erlebens- und Verhaltensaspekt, der von den individuellen Bedeutungs- und Verarbeitungskomponenten des Individuums entscheidend mitgeprägt wird und dem subjektiv in unterschiedlichem Maße und in unterschiedlicher Qualität Bedeutung zugeschrieben wird. Die psychologische Perspektive betont diese individuellen und verarbeitungsabhängigen Komponenten der Gesundheit, der Gesundheitswahrnehmung und des Gesundheitsverhaltens:

Wodurch ist die individuell spezifische Sicht auf die eigene Gesundheit gekennzeichnet?Durch welche objektiven Gegebenheiten und welche subjektiven Komponenten wird die individuell spezifische Sicht auf die eigene Gesundheit beeinflusst?Was führt dazu, dass sich ein Individuum in einer spezifischen Art und Weise mit der eigenen Gesundheit beschäftigt und sich in einer spezifischen Art und Weise gesundheitsbezogen verhält?

Jeder Mensch erlebt und verarbeitet gesundheitsrelevante Aspekte auf individuelle Art und Weise. Jeder Mensch verfügt über spezifische gesundheitsbezogene Einstellungen und Überzeugungen, setzt sich spezifische gesundheitsbezogene Ziele und zeigt ein spezifisches gesundheitsbezogenes Verhalten. Die Psychologie als Wissenschaft des Erlebens und Verhaltens fokussiert alle Fragen, die die individuelle Sichtweise auf die Gesundheit, die gesundheitsbezogene Informationsverarbeitung des Einzelnen sowie das individuelle Gesundheitsverhalten betreffen.

Typische Inhalte und Themen einer psychologischen Sichtweise auf Erleben und Verhalten beziehen sich insbesondere auf folgende Gebiete:

Emotionen wie zum Beispiel Freude, Angst, Ärger, Furcht, Trauer oder Überraschung spiegeln die unmittelbare subjektive Bedeutung und Wertigkeit von Erlebtem wider. Emotionen sind durch physiologische Reaktionsmerkmale (z.B. Herzklopfen), subjektive Erlebenskomponenten (i.S. von Gefühlen) sowie Verhaltensaspekte (z.B. Mimik, Gestik) gekennzeichnet. Emotionen sind insbesondere durch das gezeigte Verhalten (z.B. Zuwendung, Vermeidungsverhalten) vom Individuum aktiv beeinflussbar (Emotionsregulation; Brandstätter, Schüler, Puca & Lozo, 2013).Motivation kennzeichnet die Art und das Ausmaß der Bereitschaft zu zielgerichtetem Handeln (Kap. I.6). Motivation basiert auf Motiven und Bedürfnissen und ist mit der Überzeugung verbunden, durch eigenes Verhalten einen positiv bewerteten Zielzustand erreichen beziehungsweise einen negativ bewerteten Zustand vermeiden zu können. Insbesondere die Motivation zur Erreichung langfristiger Ziele erfordert eine reflektierte Motivationsregulation und Zieldefinition (Kap. I.4).KognitiveInformationsverarbeitung und Denken: Menschen nehmen ihre Umwelt aktiv wahr und schaffen eine innere Repräsentation von Umweltinformationen. Die innere Repräsentation ist dabei nicht als eindeutiges Abbild der Umwelt aufzufassen: Menschen strukturieren und organisieren Informationen insbesondere gemäß ihrer Vorannahmen, Erfahrungen, Routinen oder (kreativen) Denk- und Schlussfolgerungsheuristiken sowie situativen Rahmenbedingungen. Dabei sind sowohl die BegrenzungkognitiverKapazität als auch das Bedürfnis des Menschen, die Umweltkonsistentundverstehbarzumachen, für die Informationsverarbeitung wesentlich. Merkmale menschlicher Wahrnehmung, Aufmerksamkeit, Gedächtnisprozesse, Schlussfolgerungs- und Problemlöseprozesse sowie des Informationsabrufs sind hier zu berücksichtigen (Eysenck & Keane, 2015).Lernen bezeichnet die mehr oder weniger stabile, langfristige Veränderung des Verhaltens oder des Verhaltenspotentials eines Menschen aufgrund vorangegangener Erfahrungen. So können Umweltreize eine Verhaltensreaktion auslösen (z.B. geselliges Beisammensein löst das Bedürfnis nach Alkoholkonsum aus; klassisches Konditionieren), positive (belohnende) oder negative (bestrafende) Verhaltenskonsequenzen können die zukünftige Wahrscheinlichkeit eines Verhaltens erhöhen oder verringern (z.B. die Entspannung nach Alkoholkonsum kann den zukünftigen Alkoholkonsum wahrscheinlicher werden lassen; operantes Konditionieren). Menschen lernen aber auch, weil sie Verhaltensweisen bei anderen beobachten (z.B. Konsumverhalten in der Familie oder in der Peergroup), oder weil sie Informationen und Verhaltensanregungen von außen (z.B. ärztlicher Rat oder Werbung) erhalten.Handlungsplanung, -steuerung und -kontrolle sind weitere wichtige kognitive Prozesse. Es bedarf einer bewussten Reflexion und Gestaltung von Handlungs- und Verhaltensprozessen, bei denen insbesondere Barrieren des Verhaltens, die Erwartung und das Erleben positiver Konsequenzen des Verhaltens (Kontingenzmanagement), die eigene Selbstwirksamkeit und Determinanten einer langfristig stabilen Verhaltensmodifikation (u.a. Umwelteinflüsse) systematisch mit bedacht werden müssen (Kap. II.1, Kap. III.4).

Diese exemplarischen Themenschwerpunkte geben einen Eindruck, wodurch die psychologische Perspektive auf das Individuum konkret gekennzeichnet ist. Das Individuum darf aber nicht isoliert fokussiert werden, da die gesundheitsbezogenen Informationen, die ein Mensch erhält, und seine Handlungs- und Verhaltensoptionen durch das soziale Umfeld, durch die Medien und ganz wesentlich durch das gesundheitliche Versorgungssystem mit beeinflusst werden. Deswegen ist es von hoher Bedeutung, diese Einflüsse aus psychologischer Perspektive zu betrachten. Wie Menschen über Gesundheit informiert werden, welche Anlaufstellen sie für Gesundheitsfragen haben, welche Standards und etablierten Versorgungsstrukturen existieren und welche Entscheidungs- und Verhaltensregeln im sozialen Kontext als angemessen erachtet werden, bestimmen das Erleben und Verhalten des einzelnen Menschen in hohem Maße mit. Das Wechselspiel zwischen Individuum, medialem und sozialem Umfeld und den gesundheitlichen Versorgungsstrukturen ist somit von zentraler Bedeutung für die psychologische Sichtweise auf die Gesundheit und Gesundheitsförderung.

Bevor in den folgenden Kapiteln die psychologische Perspektive auf die Gesundheitsförderung multiperspektivisch dargestellt und konkretisiert wird, sollen einige grundlegende und übergreifende Aspekte hervorgehoben werden.

Gesundheit

Dem Begriff der Gesundheit kann man sich einerseits kontrastierend in Bezug auf den negativen Aspekt „Krankheit“ nähern. Dass keine diagnostizierbaren Krankheiten vorliegen, kann als negatives Minimalkriterium dafür, ob ein Mensch als gesund gelten kann, aufgefasst werden. Dies korrespondiert unmittelbar mit einer pathogenetischen Sicht auf die Gesundheit und die Gesundheitsförderung, da Gesunderhaltung entsprechend primär der Vermeidung der Krankheitsentstehung oder der Verringerung von Krankheitssymptomen dient (Jerusalem, 2017).

Ausgehend von den Standards der Weltgesundheitsorganisation hat sich aber ein anspruchsvolleres, krankheitsunabhängigeres Verständnis etabliert, das als positives Maximalkriterium für Gesundheit aufgefasst werden kann.

Gemäß der Weltgesundheitsorganisation (WHO, 1948) ist Gesundheit ein Zustand vollkommenen körperlichen, psychischen und sozialen Wohlbefindens und nicht allein das Freisein von Krankheit und Gebrechen.

Diese Definition betont unter anderem folgende Aspekte:

Gesundheit als positives Konstrukt: Die Gesundheitsdefinition fokussiert Aspekte, die den Menschen in seinem Leben bereichern. In diesem Sinne wird Gesundheit zu einem Ziel der persönlichen Weiterentwicklung und des persönlichen Wachstums. Gesundheit als multidimensionales Konstrukt: Gesundheit ist durch mehrere Teilaspekte gekennzeichnet: Sowohl körperliche, psychische als auch soziale Aspekte sind essenzielle Komponenten der Gesundheit (bio-psycho-soziales Modell).Gesundheit als Idealzustand: Gesundheit wird als Idealzustand („vollkommen“) definiert, dessen Erreichung angestrebt werden kann, der in seiner umfassenden Form aber kaum erreichbar ist. Das Streben nach Gesundheit wird damit zu einer anspruchsvollen und dauerhaften Zielstellung für jeden Menschen.Gesundheit als subjektive Realität: Die Bedeutung des Konstrukts Wohlbefinden wird in den Mittelpunkt gestellt. Das psychologische Konstrukt „Wohlbefinden“ betont die rezeptive Erlebenskomponente der Menschen. Als wesentliche Facetten des Wohlbefindens gelten insbesondere die Möglichkeit und Fähigkeit selbstbestimmt zu handeln, persönlich wertgeschätzte Ziele zu verfolgen, persönliches Wachstum zu erleben, positive soziale Beziehungen zu pflegen, Sinn im Leben zu erkennen und sich selbst zu akzeptieren (Eid & Larsen, 2008; Kap. II.3).

Diese von der WHO formulierte, grundlegende und normative Definition des Gesundheitsbegriffs hat die Bedeutung psychologischer und soziologischer Themen in der Gesundheitswissenschaft enorm befördert. So wurden vielfältige gesundheitsbezogene Konstrukte (z.B. Selbstwirksamkeit, Empowerment, Lebensqualität, Stress- und Stressbewältigung, Selbstregulation oder Soziale Unterstützung, Kap. II.1 bis Kap.II.8) als bedeutsam identifiziert und Modelle und Methoden der Gesundheit und des Gesundheitsverhaltens (Kap. III.1 bis Kap. III.5) entwickelt, die Gesundheit in diesem umfassenden und anspruchsvollen Sinne begreifen. Durch die Klärung gesundheitsbezogener Konstrukte und Modellvorstellungen wird dieses Gesundheitsverständnis erläutert und für das gesundheitsfördernde Handeln sowie die empirische Forschung konkretisiert und nutzbar gemacht. Dabei ist der salutogenetische Ansatz (Kap. I.5) hervorzuheben, der die gesundheitserhaltenden Kompetenzen und Bedingungen (z.B. Resilienz, individuelle und soziale Ressourcen) in den Mittelpunkt stellt.

Die Bedeutung des bio-psycho-sozialen Modells der Gesundheit wird zudem durch die Veränderung der Altersstruktur („alternde Gesellschaft“) und des Erkrankungsspektrums in der Bevölkerung befördert. Gemäß der Angaben des Statistischen Bundesamts (2016) war die Lebenserwartung 1970 mit 70,5 Jahren um über 10 Jahre geringer als 2015 mit 80,6 Jahren. Der Anteil der ab 60-Jährigen an der Gesamtbevölkerung wuchs in dieser Zeitspanne von 20,0% auf 27,5%. Vor allem aufgrund des medizinischen Fortschritts (insb. Prävention und Behandlung von Infektionskrankheiten) und der besseren medizinischen Versorgungsstandards hat sich die gesundheitliche Situation stetig verbessert. Die Verlängerung des Lebens führt dazu, dass chronische Erkrankungen (z.B. Diabetes mellitus, Demenz, onkologische Erkrankungen, Depression), deren Prävalenz mit dem Alter ansteigt, das Erkrankungsspektrum zunehmend bestimmen. Chronische Erkrankungen sind dadurch gekennzeichnet, dass diese langfristig bestehen, sich die Symptomatik häufig mit der Zeit verschlechtert (phasenhafter, progredienter Verlauf) und in der Regel eine vollständige Gesundung nicht möglich ist beziehungsweise nicht das primäre, kurz- oder mittelfristige Behandlungsziel darstellt (Wirtz & Bengel, 2011). Es wird die bestmögliche gesundheitsbezogene Lebensqualität trotz erkrankungsbedingter Einschränkungen angestrebt. Um den besonderen Merkmalen chronischer Krankheiten gerecht werden zu können, hat die WHO (2001) – ausgehend vom Krankheitsfolgenmodell der WHO (1980) – in der „Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit“ (ICF) betont, dass die FunktionsfähigkeitimAlltag und die TeilhabeamgesellschaftlichenLeben (Partizipation; Kap. IV.8) als Kernbestandteile der Gesundheit betrachtet werden müssen. Der Mensch soll befähigt werden, trotz erkrankungsbedingter körperlicher und psychischer Einschränkungen der Körperstrukturen und -funktionen selbstständig Aktivitäten ausführen zu können. Dies sind Voraussetzungen einer bestmöglichen, umfassend gesunden Lebenssituation, in dem Sinne, dass der Mensch am Gesellschaftsleben aktiv partizipiert, also im alltäglichen Leben sozial eingebunden ist und soziale Rollenfunktionen (z.B. in Partnerschaft, Familie, Beruf) adäquat ausfüllen kann.

Die bio-psycho-soziale Modellvorstellung ist geeignet, die Gesundheitssituation umfassend zu beschreiben – unabhängig davon, ob ein Mensch durch Erkrankungen beeinträchtigt ist oder nicht. Sie betont den engen Zusammenhang gesundheitlicher Aspekte und der gesamten Lebenssituation. Neben biologischen und medizinischen Aspekten wird die Rolle des Individuums als Rezipient und selbstverantwortlicher Akteur der eigenen Gesundheitssituation sowie die Bedeutung seines Verhaltens und seiner Rollenfunktionen im sozialen und gesellschaftlichen Umfeld hervorgehoben.

Prävention und Gesundheitsförderung

Prävention und Gesundheitsförderung sind eng verwandt und weisen in der Anwendung große Schnittmengen auf. Trotzdem ist es wichtig, diese Begriffe zu unterscheiden, da sie die Gesundheits- vs. Krankheitsorientierung reflektieren und dies unterschiedliche Formen der Handlungspraxis zur Folge hat (Hurrelmann, Klotz & Haisch, 2014).

Der Begriff „Prävention“ entstammt einer sozialmedizinischen Tradition und ist mit einer pathogenetischen Sichtweise assoziiert, die die Krankheitsentstehung und die Bekämpfung von Krankheitsursachen fokussiert. „Prävention“ meint somit Krankheitsvorbeugung oder Krankheitsvorsorge. Präventive Maßnahmen sind prophylaktische Maßnahmen, die der Vorbeugung von Erkrankungen sowie von Belastungen oder negativen Konsequenzen durch Erkrankungen dienen. Bedingungen und Risiken, die die Krankheitsentstehung oder -verschlechterung begünstigen, sollen bestmöglich eliminiert werden. Als Risikofaktoren können genetische oder altersbedingte physiologische Merkmale (z.B. genetische Faktoren, die die Entstehung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen begünstigen; degenerative physiologische Prozesse, die die Entstehung von Demenz begünstigen) und psychische Dispositionen (z.B. genetische Faktoren in Kombination mit Erfahrungen in der Entwicklung, die die Entstehung von Depression begünstigen) sowie gesundheitsschädigende Verhaltensweisen (z.B. Bewegungsmangel, Tabakkonsum) und gesundheitsschädigende Umwelteinflüsse (z.B. Feinstaubbelastung am Arbeitsplatz) Gegenstand präventiver Maßnahmen sein (Hurrelmann et al., 2014).

Primäre Prävention zielt darauf ab, die Gesundheit zu erhalten und das erstmalige Auftreten einer Erkrankung zu verhindern (z.B. Impfungen, allgemeine Aufklärung zu Erkrankungsrisiken).

Sekundäre Prävention dient der frühzeitigen Erkennung von Erkrankungen, um frühzeitig behandeln beziehungsweise die Krankheitsentwicklung positiv beeinflussen zu können (z.B. Krebsscreenings, Vorsorgeuntersuchungen).

Tertiäre Prävention zielt darauf ab, die Auswirkung einer bereits manifesten Erkrankung positiv beeinflussen zu können (z.B. Vermeidung von Progredienz, Chronifizierung oder der Entwicklung komorbider Störungen, Rückfallprophylaxe).

Präventionsmaßnahmen können in Abhängigkeit von der Zielgruppe, die erreicht werden soll, einem universellen oder zielgruppenspezifischen Ansatz folgen (Leppin, 2014):

Universelle Präventionsmaßnahmen sind bevölkerungsgruppenübergreifend.Zielgruppenspezifische Prävention richtet sich an bestimmte Gruppen (z.B. Jugendliche).Selektive Präventionsmaßnahmen zielen auf Personen ab, die bestimmte Risikofaktoren aufweisen, aber noch keinen gesundheitlichen Schaden erlitten haben (z.B. regelmäßige Mammographien bei Frauen über 50).Indizierte Prävention richtet sich an Personen, die bereits Vorstufen einer Erkrankung aufweisen (z.B. erhöhter Blutdruck).

Der Begriff „Gesundheitsförderung“ repräsentiert hingegen eine salutogenetische Sichtweise, die mit den positiven Anteilen des Gesundheitsbegriffs sowie den vorhandenen Fähigkeiten und der Resilienz (Schutzfaktoren; Kap. II.5) des Menschen assoziiert ist.

Gesundheitsfördernde Maßnahmen dienen dem Erhalt und der Stärkung der Gesundheit und der gesundheitlichen Ressourcen des Menschen. Gemäß der Ottawa-Charta der Weltgesundheitsorganisation (WHO, 1986) umfasst Gesundheitsförderung die Anwendung aller systematischen Maßnahmen, die das psychische, soziale und körperliche Wohlbefinden stärken.

In der WHO-Charta wird umfassende Gesundheitsförderung als individuelle und gesellschaftliche Entwicklungsaufgabe gesehen, die einen langfristigen und zielgerichteten gesellschaftlichen und politischen Entwicklungsprozess voraussetzt (WHO, 1986, S. 1):

„Gesundheitsförderung zielt auf einen Prozess, allen Menschen ein höheres Maß an Selbstbestimmung über ihre Gesundheit zu ermöglichen und sie damit zur Stärkung ihrer Gesundheit zu befähigen.“Es ist notwendig, „dass sowohl einzelne als auch Gruppen ihre Bedürfnisse befriedigen, ihre Wünsche und Hoffnungen wahrnehmen und verwirklichen sowie ihre Umwelt meistern bzw. verändern können.“Gesundheit und Gesundheitsförderung ist „als ein wesentlicher Bestandteil des alltäglichen Lebens zu verstehen“. Der einzelne Mensch muss befähigt sein, reflektiert und verantwortungsbewusst gesundheitsorientiert zu entscheiden und zu handeln.

Strategische Maßnahmen zur Stärkung der Gesundheitsorientierung

Mit „Gesundheit21“ schaute die WHO Ende des 20. Jahrhunderts in die Zukunft und beschloss insgesamt 21 Ziele, die bis 2020 in der europäischen Region der WHO angestrebt werden (WHO, 1999). Dazu gehören beispielsweise Forschung und Wissen zur Förderung der Gesundheit oder die Mobilisierung für gesundheitliche Belange (angestrebt im Jahr 2005), die Qualifizierung von Fachkräften für gesundheitliche Aufgaben (2010), die Etablierung der Gesundheitsförderung in Settings wie Wohnort, Schule und Betrieb (2015), die Realisierung gesundheitlicher Chancengleichheit oder die multisektorale Verantwortung für die Gesundheit (2020). Mit dem letzten Punkt ist gemeint, dass alle Sektoren der Gesellschaft für die gesundheitlichen Auswirkungen ihrer Politik und Programme Verantwortung übernehmen und sie einer Gesundheitsverträglichkeitsprüfung unterziehen. Für das Ziel der Qualifizierung von Fachkräften sind mit der Entwicklung eines Fachqualifikationsrahmens für die Studienbereiche Gesundheitswissenschaften/Public Health und Gesundheitsförderung in Deutschland (Baumgarten, Blättner, Dadaczynski & Hartmann, 2015) oder eines Rahmencurriculums für Gesundheitspsychologie (Vögele et al., 2014) wichtige Schritte getan worden. Die Stärkung des Settingansatzes ist mit dem 2015 in Kraft getretenen Präventionsgesetz (Sozialgesetzbuch V § 20a–f) insofern erfolgt, als bei Verdoppelung des bisher zur Verfügung stehenden Finanzvolumens der Lebensweltansatz und die betriebliche Gesundheitsförderung gestärkt wurden (Hartmann, Baumgarten & Dadaczynski, 2016). Auch der Leitfaden Prävention in stationären Pflegeeinrichtungen nach § 5 SGB XI (GKV-Spitzenverband, 2016) betont ausdrücklich den Gesundheitsförderungsprozess in der stationären Pflege.

Für die Prävention und die Gesundheitsförderung stellt der Public-Health-Action-Zyklus (Gesundheitspolitischer Aktionszyklus; Kolip & Müller, 2009; vgl. auch PDCA-Zyklus Kap. IX.2) einen strukturierenden Organisations- und Handlungsrahmen dar. Dabei werden vier Phasen unterschieden, die sukzessive und zyklisch durchlaufen werden sollten.

Phase I: Problembestimmung: Explizite Klärung und Definition der zu bearbeitenden Problemstellung.

Phase II: Maßnahmenbestimmung/Strategieformulierung: Identifikation und Vereinbarung einer geeigneten Maßnahme oder eines Maßnahmenbündels.

Phase III: Maßnahmenumsetzung: Praktische Durchführung der Maßnahmen.

Phase IV: Effekt-/Wirkungsbewertung: Empirische Bestimmung und Bewertung der Maßnahmeneffekte.

Nach Abschluss der letzten Phase wird die Problemsituation erneut eingeschätzt (Phase I) und weitere oder alternative Maßnahmen werden identifiziert (Phase II), umgesetzt (Phase III) und bewertet (Phase IV). Von dieser idealen Struktur kann bei Bedarf abgewichen werden (z.B. Neudefinition des Problems nach Reflexion potentieller Maßnahmen), jedoch ist es wichtig, alle Phasen explizit zu berücksichtigen und sich an der Grundstruktur des zyklischen Rahmenmodells zu orientieren.

Zur Klärung der Inhalte der Gesundheitsförderung und Prävention ist es hilfreich, diese von therapeutischen, rehabilitativen und pflegerischen Maßnahmen abzugrenzen, die unmittelbar der Behandlung einer manifesten Erkrankung und deren Folgen dienen (Hurrelmann et al., 2014). Therapie strebt primär die Heilung von Erkrankungen oder die Beseitigung von Erkrankungssymptomen an. Rehabilitation dient der Wiedereingliederung der Behandelten durch entsprechende Maßnahmen. Die Pflege versorgt kranke, behinderte und sterbende Menschen mit dem Schwerpunkt der Eindämmung von Beeinträchtigung und der Stärkung vorhandener Gesundheitsressourcen. In der Therapie, Rehabilitation und Pflege sind gesundheitsfördernde und insbesondere tertiär-präventive Maßnahmen stets als begleitende Elemente mit zu berücksichtigen. In Therapie, Rehabilitation und Pflege hat sich die salutogenetische, gesundheitsorientierte Sichtweise zunehmend etabliert und das Selbstverständnis der in diesen Handlungsfeldern tätigen Berufsgruppen verändert und bereichert (Bengel & Mittag, 2016; Bengel, Strittmatter & Willmann, 2001; Pfaff, Neugebauer, Glaeske & Schrappe, 2017):

Die für Prävention wichtige Unterscheidung in primäre, sekundäre und tertiäre Anwendungen ist in dieser Form für die Gesundheitsförderung nicht übertragbar. In ähnlicher Weise ist für die Gesundheitsförderung aber eine Unterscheidung zwischen proaktiven und reaktiven Maßnahmen hilfreich. Proaktive Maßnahmen fördern Gesundheit unabhängig davon, ob Personen oder Zielgruppen besondere Gesundheitseinschränkungen aufweisen oder aufgrund von spezifischen Risikoindikatoren mit erhöhter Wahrscheinlichkeit erwartet werden müssen (z.B. Maßnahme zur Erhöhung des Gemüse- und Obstkonsums in Schulen). Reaktive Gesundheitsförderung erfolgt, wenn aufgrund bedeutsamer Risikofaktoren das Eintreten einer Gesundheitseinschränkung befürchtet werden muss oder eine Erkrankung bereits eingetreten ist: Hier müssen die Maßnahmen, wie bei der selektiven und indizierten Prävention, maßgeschneidert auf die Problemsituation des Einzelnen oder der Zielgruppen abgestimmt sein (z.B. Entwicklung eines gesundheitsbewussten Lebensstils nach Herzinfarkt).

Gesundheitsförderung kann als eine in allen gesundheitswissenschaftlichen Anwendungsbereichen wesentliche Sichtweise zur Unterstützung der Gesundheit von Menschen verstanden werden. Dieses Lehrbuch zielt entsprechend darauf ab, zu verdeutlichen, wie die psychologischen Ideen und Konzepte zur Gesundheitsförderung im vielfältigen Spektrum der Gesundheitsversorgung angemessen berücksichtigt und umgesetzt werden können.

Gesundheitsförderung als multi-, inter- und transdisziplinäres Handlungsfeld

Für alle an der Gesundheitsförderung beteiligten Professionen stellt die bestmögliche Gesundheit des Menschen das zentrale Ziel dar. Aus dieser thematischen Schnittmenge ergibt sich die Notwendigkeit, die Konzepte und das Handeln aller Professionen bestmöglich aufeinander abzustimmen. Nicht die disziplinäre Sichtweise, sondern der zu erwartende bestmögliche Nutzen für die Gesundheit des Menschen sollte das Handeln begründen. Die psychologische Perspektive auf die Gesundheit sollte in allen Disziplinen bestmöglich mit berücksichtigt und integriert werden.

Die breite und integrative bio-psycho-soziale Sichtweise auf die Gesundheit korrespondiert damit, dass viele Professionen mit unterschiedlichen Schwerpunksetzungen an der Gestaltung von Gesundheitsförderung beteiligt sind. Die Medizin entwickelt insbesondere Grundlagenwissen und Behandlungsmaßnahmen, die die Voraussetzungen für eine effektive Gesundheitsförderung, Prävention und Therapie darstellen. Die Medizinische Psychologie als fester Bestandteil des Medizinstudiums fokussiert dabei die Bedeutung psychologischer Fragestellungen. Die Klinische Psychologie legt den Schwerpunkt auf die Erforschung, Prävention und Therapie psychischer Störungen aus psychologischer Perspektive. Die Gesundheitspsychologie ist die Wissenschaft vom menschlichen Erleben und Verhalten in Bezug auf die Gesundheit, Gesundheitsgefährdungen und Krankheit. Sie untersucht die Bedingungen von gesundheitsförderndem und -gefährdendem Verhalten sowie Möglichkeiten der Veränderung dieses Verhaltens (zu Abgrenzungen und Überschneidungen s. Bengel & Jerusalem, 2009; Lohaus, Jerusalem & Kohlmann, 2003; Schwarzer, 1990). Darüber hinaus behandeln die Sozialpädagogik und Soziale Arbeit soziale und gesellschaftliche Einflüsse, die die Gesundheit bedingen, sowie die Konsequenzen von Gesundheit und Krankheit im gesellschaftlichen Kontext. In der Sozialmedizin und in Public Health hat sich zunehmend eine gesundheitsorientierte Sichtweise etabliert, nachdem diese ursprünglich vor allem die Bekämpfung von Epidemien und Infektionskrankheiten zum Inhalt hatten. In den Rehabilitationswissenschaften wurde eine gesundheitsorientierte interdisziplinäre Sichtweise insbesondere durch die Orientierung an der ICF der WHO (Kap. VI.4) befördert. In den Pflegewissenschaften bildet insbesondere die tertiäre Prävention einen wesentlichen Inhalts- und Forschungsschwerpunkt (Kap. VII.2).

Neben diesen traditionellen Disziplinen haben sich neue gesundheitswissenschaftliche Schwerpunkte, Studiengänge und Berufsprofile etabliert, die in besonderem Maße multiprofessionell und interdisziplinär geprägt sind. Hier steht die praktische Versorgungssituation besonders im Fokus: Wie kann es gelingen, Gesundheitsförderung umfassend und in allen Lebensbereichen (insbesondere individuell, familiär, privat, sozial, beruflich) bestmöglich zu realisieren? Aus der medizinischen Tradition kann die Versorgungsforschung stellvertretend genannt werden, die gesundheitsbezogene Versorgungsstrukturen und -prozesse und deren Auswirkungen auf die gesundheitsbezogene Lebensqualität fokussiert. In der sozialwissenschaftlichen Tradition sind Studienprogramme wie Gesundheitsförderung, Gesundheitspädagogik oder Gesundheitsmanagement entstanden. Diese Studienprogramme und Berufsfelder sehen sich in besonderer Weise einem interdisziplinären Gesamtkonzept verpflichtet, sodass vor allem medizinische, psychologische, pädagogische, soziologische und sozialpädagogische Inhalte integrativ im Kompetenzprofil abgebildet sind.

Für eine gelingende Gesundheitsförderung ist es wesentlich, dass diese disziplinären Konzepte und Zugänge in der Praxis der Gesundheitsförderung aufeinander abgestimmt sind. Hier ist folgende Unterscheidung hilfreich:

Multidisziplinäres Handeln: Obwohl eine Vorstellung zugrunde liegt, welches Maßnahmenbündel insgesamt sinnvoll ist, wird jede disziplinär geprägte Maßnahme weitestgehend isoliert appliziert. Dies wäre beispielsweise der Fall, wenn im Rahmen des Betrieblichen Gesundheitsmangements medizinische, psychologische und arbeitswissenschaftliche Angebote gemacht werden, ohne dass sich die Professionen bei der Maßnahmengestaltung spezifisch aufeinander abstimmen und somit jeweils nur die einzelnen disziplinären Prägungen maßgebend sind.Interdisziplinäres Handeln liegt vor, wenn sich verschiedene Professionen in ihrem Handeln austauschen und sich so aufeinander abstimmen, dass die Maßnahmengestaltung aufgrund der integrativ verwerteten Informationen aus den anderen Disziplinen beeinflusst wird. Vereinbaren beispielsweise Fachvertreter und -vertreterinnen aus Medizin, Ergotherapie und Arbeitswissenschaft untereinander, wie die Einzelmaßnahmen angepasst und aufeinander abgestimmt werden können, sodass bestmögliche Synergieeffekte erwartet werden können, so würde eine interdisziplinäre Perspektive realisiert.Transdisziplinäres Handeln erfordert zusätzlich zur Interdisziplinarität, dass die Perspektiven und Konzepte der Bezugsdisziplinen aktiv reflektiert und adaptiert werden und dies zu einer Veränderung des disziplinären Handelns führt. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn sich die Sichtweise eines Psychologen auf ein Handlungsfeld aufgrund der Zusammenarbeit mit einer Medizinerin oder einem Pädagogen verändert.

Multidisziplinarität impliziert, dass sich Effekte additiv ergeben sollten (Baukastenprinzip). Interdisziplinarität impliziert, dass sich Einzeleffekte dadurch optimieren lassen, dass die Gestaltung der applizierten Maßnahmen abgestimmt erfolgt. Transdiziplinarität impliziert, dass die angestrebten Effekte nur durch das Überschreiten disziplinärer Grenzen und eine Adaptation des disziplinär geprägten Denkens optimal erreicht werden können.

In allen Studiengängen, die Gesundheitsförderung zum Inhalt haben, ist die Ausbildung psychologischer Kompetenz curricular verankert. In der beruflichen Anwendungspraxis sind psychologische Inhalte wesentlicher Bestandteil der täglichen Arbeit mit den Menschen. Das vorliegende Lehrbuch verdeutlicht die psychologische Perspektive auf die Gesundheitsförderung für alle in der Gesundheitsförderung Tätigen sowie mittelbar mit Fragen der Gesundheitsförderung beschäftigten Berufsgruppen (z.B. Lehrer und Lehrerinnen, die im schulischen Handlungsfeld Gesundheitsfragen im Blick haben müssen; Angestellte im betrieblichen Personalwesen, die für Fragen der Mitarbeitergesundheit zuständig sind). Hierdurch soll die Professionalisierung von mit Gesundheitsfragen beschäftigten Personen unterstützt werden, da psychologisches Basiswissen und psychologische Basiskompetenzen in den vielfältigen Anwendungsbereichen von Gesundheitsförderung als festes Grundelement der Arbeit unerlässlich sind.

Bei der Editierung wurde großer Wert darauf gelegt, dass die Inhalte verständlich aufbereitet werden, um Leserinnen und Lesern ohne Psychologiestudium einen verständlichen Einstieg zu ermöglichen. Die disziplinübergreifende, praxisbezogene Relevanz wird insbesondere mit integrierten Anwendungsbeispielen betont.

Dieses Lehrbuch kann von Angehörigen psychologischer Bezugsdisziplinen in allen drei disziplinübergreifenden Varianten genutzt werden: Die Inhalte verdeutlichen, was Psychologinnen und Psychologen üblicherweise tun würden (multidisziplinär), wie andere Berufsgruppen mit Kolleginnen und Kollegen aus der Psychologie in der Alltagspraxis optimal abgestimmt zusammenarbeiten können (interdisziplinär) und wie Angehörige aller Berufsgruppen eine eigene psychologische Sichtweise entwickeln können, die ihr eigenes Handeln bereichert und qualitativ verändert (transdisziplinär).

Aufbereitung der Inhalte zur psychologischen Perspektive in der Gesundheitsförderung

Um den Leserinnen und Lesern einen gut verständlichen Einstieg in das komplexe Inhalts- und Themenspektrum der Gesundheitsförderung zu ermöglichen, wurden bei der Gestaltung der Einzelkapitel und bei der Kapitelzusammenstellung didaktische Prinzipien sowie Strukturierungs- und Ordnungsprinzipien berücksichtigt.

Alle Kapitel (außer den Kurzkapiteln des Bereichs VIII) beginnen mit einem Advance Organizer, in dem die Thematik prägnant benannt und leitende Fragen an das Kapitel formuliert werden. Anschließend werden die zentralen Inhalte erläutert und praxisbezogen veranschaulicht. Definitionen, Schwerpunkte und Praxisbeispiele werden in Boxen hervorgehoben. Alle zentralen Inhalte werden auch im Fließtext durch Nennung von Anwendungsbeispielen sowie vertiefender Literatur ergänzt. Im Anschluss an den Haupttext wird gewöhnlich ein übergreifendes Anwendungsbeispiel dargestellt, das die Relevanz der Kapitelinhalte für die Anwendung in der Praxis der Gesundheitsförderung zusammenfassend verdeutlicht. Jedes Kapitel schließt mit der Nennung von Kernaussagen und kommentierten Literaturangaben, die eine optimale Vertiefung ermöglichen.

Bei der Aufbereitung der Inhalte wurden verschiedene Schwerpunktsetzungen und Ordnungsprinzipien berücksichtigt. Im ersten Inhaltsbereich wird das oben bereits kurz skizzierte „Verständnis von Gesundheit“ in sieben Unterkapiteln differenziert und vertieft. Abbildung 1 veranschaulicht das Ordnungsprinzip der Inhaltsbereiche II bis VIII. Zunächst erfolgt in Teil II die Klärung zentraler Begriffe und Konstrukte der Gesundheitsförderung. Aufbauend hierauf werden in Inhaltsbereich III Modelle, die die Beziehung der Begriffe und Konstrukte explizieren, und grundlegende Methoden für das gesundheitsfördernde Handeln präsentiert. Diese systematischen Beziehungs- und Wirkungsmodelle des Gesundheitsverhaltens und grundlegender Methoden liegen wiederum den in Inhaltsbereich IV präsentierten „Maßnahmen zur Förderung des Gesundheitsverhaltens“ zugrunde. Dieser gestufte Aufbau wird in der Abbildung 1 in den Zeilen abgebildet. Zunächst wird also geklärt, was Konstrukte wie beispielsweise Gesundheitskompetenz, Motivation für gesundheitsförderliches Verhalten oder Selbstwirksamkeit charakterisiert, bevor in Modellen die Einflüsse auf die Konstruktausprägungen und Konsequenzen der Konstruktausprägungen für Folgemerkmale beschrieben werden. Diese Modellvorstellungen können dann genutzt werden, um Interventionen zu konzipieren, die gezielt zu Verbesserungen der Zielkonstrukte (z.B. Gesundheitszustand) führen sollten.

Abbildung 1: Würfelmodell der Inhaltsstruktur der Gesundheitsförderung

Als nächstes wesentliches Ordnungskriterium wird das Lebensalter über die gesamte Lebensspanne mit den damit verbundenen Settings berücksichtigt. Inhalte und Maßnahmen der Gesundheitsförderung in der Kindheit und Jugend („V. Gesund aufwachsen“), im Erwachsenenalter („VI. Gesund leben und arbeiten“) und im höheren Alter („VII. Gesund im Alter“) weisen unterschiedliche Charakteristika auf und bedürfen spezifischer Betrachtungsweisen.

Die Ordnung in den Spalten gemäß Allgemeine Gesundheitsförderung, Gesundheitsförderung bei Vorliegen spezifischer Risikofaktoren und Gesundheitsförderung bei Vorliegen einer Erkrankung spiegelt sich zwar nicht in der Kapitelstruktur wider, sollte bei der Rezeption der Lehrbuchinhalte jedoch stets mitbedacht werden. Zudem sollten alle Inhalte unter bio-psycho-sozialer Perspektive betrachtet werden und der Unterschied proaktiver und reaktiver Gesundheitsförderung zur Einordnung und zum Verständnis der praktischen Bedeutung und Umsetzung mit bedacht werden. Die Inhalte der knappen Einführungen in „Psychologische Aspekte der Prävention und Gesundheitsförderung bei ausgewählten Krankheits- und Störungsbildern sowie in Anwendungsfeldern“ in Inhaltsbereich VIII korrespondieren insbesondere zur dritten Spalte „Gesundheitsförderung bei Vorliegen einer Erkrankung“.

Das Quadermodell sollte keineswegs so verstanden werden, dass die Zellen als unabhängig voneinander zu betrachten sind. Alle Inhalte stehen in Bezug zueinander oder erfordern eine vernetzte Betrachtung: So sollten sich Interventionen immer auf ein Modell beziehen, dessen Einzelkonstrukte geklärt sein müssen. Der Nutzen dieser visualisierten Struktur liegt vielmehr darin, Kernunterscheidungsmerkmale transparent und in ihrem Bezug zueinander zu verdeutlichen, die als Ordnungs- und Strukturierungsmerkmale für die Gestaltung dieses Lehrbuchs berücksichtigt wurden.

Den Methoden des Erkenntnisgewinns und der Qualitätssicherung widmet sich abschließend der Inhaltsbereich „IX. Evidenzbasierung, Evaluation und Qualitätssicherung, Forschungspraxis“.

Zusammenfassung der inhaltlichen Leitideen

In diesem Kapitel wurden Grundlagen zur psychologischen Perspektive der Gesundheitsförderung dargestellt. Entsprechend dienten folgende Leitideen als Orientierung bei der Aufbereitung der Inhalte des Lehrbuchs:

Gesundheitsförderung basiert auf einem konsequent positiven Gesundheitsverständnis: Gesundheit, Wohlbefinden und Lebensqualität sind Grundelemente eines erfüllten Lebens. Die gesundheitsorientierte, salutogenetische Sicht rückt die Bedeutung individueller gesundheitsbezogener Kompetenzen und Ressourcen in den Mittelpunkt und fasst die Entwicklungs- und Entfaltungspotentiale des Menschen als Kernmerkmale einer gesunden Lebenssituation auf.Gesundheitsförderung fußt auf einem ganzheitlichen, umfassenden Gesundheitsverständnis: Das bio-psycho-soziale Modell der Gesundheit ermöglicht ein umfassendes Verständnis der Gesundheit: Körperliche Unversehrtheit, psychisches Wohlbefinden und Eingebundenheit in das soziale Umfeld kennzeichnen Gesundheit. Wichtige, den Alltag des Menschen betreffende Phänome, wie z.B. Stress und der Umgang mit Stress, Selbstbestimmung, Wohlbefinden oder soziale Unterstützung lassen sich durch die bio-psycho-soziale Perspektive integrativ verstehen und liefern die Basis für eine adäquate Förderung der Gesundheit.Gesundheitsförderung setzt ein psychologisch fundiertes Verständnis menschlichen Erlebens undVerhaltensvoraus: Menschliches Verhalten allgemein und gesundheitsbezogenes Verhalten im Speziellen wird nicht nur von kontrollierten, sondern auch von automatisierten Prozessen gesteuert (Marteau, Hollands & Fletcher, 2012). Dabei spielen neurobiologische, emotionale und kognitive Regulationsprozesse ebenso eine wichtige Rolle wie erlernte Verhaltensweisen und Verhaltensroutinen.Gesundheitsförderung berücksichtigt das Individuum in seiner Lebenswelt: Das bio-psycho-soziale Modell betont die Wichtigkeit der Eingebundenheit des Menschen in seinen sozialen Kontext und die Fähigkeit des Menschen, am gesellschaftlichen Leben zu partizipieren und Rollenfunktionen (z.B. in Familie und Beruf) adäquat ausfüllen zu können. Der Settingansatz fokussiert die Bedeutung sozialer Bezugssysteme, die individuelle Einstellungen, Werte und Präferenzen prägen. Soziale Aspekte des Lebens sind Teil der Gesundheit und Gesundheit determiniert wesentlich das soziale Leben und die Möglichkeiten zur sozialen Teilhabe. Umweltfaktoren bilden wichtige Rahmenbedingungen der Gesundheit und eines gesundheitsbewussten Lebensstils.Gesundheitsorientierung betont die individuelle Selbstverantwortung für die eigene Gesundheit: Jeder Mensch sollte sich für seine eigene Gesundheit mit verantwortlich fühlen. Er sollte den Erhalt der Gesundheit als individuell wichtiges Ziel sehen, dessen Erreichen er durch aktives gesundheitsförderndes Handeln zielgerichtet unterstützen kann. Um angemessene Entscheidungen treffen zu können, bedarf es insbesondere angemessener Informationsgrundlagen und Gesundheitskompetenzen. Auch im professionellen Versorgungsumfeld sollten selbstverantwortliche Entscheidungen und selbstverantwortliches Verhalten der Betroffenen bestmöglich unterstützt werden.Gesundheitsbewusstsein und gesundheitsbezogenes Verhalten bedeuten keineswegs maximale Fixierung des eigenen Denkens und Verhaltens auf die eigene Gesundheit: Beim Aufbau von Gesundheitsbewusstsein und -verhalten sollte auf ein angemessenes Maß der Orientierung auf die Gesundheit geachtet werden, da die Gefahr des „Über-das-Ziel-Hinausschießens“ besteht. Unter Stichwörtern wie „Gesundheitshysterie“ und „Healthismus“ werden negative Folgen und Gefahren einer Fixierung auf die eigene Gesundheit behandelt, die vom dysfunktionalen Empfinden einer von der Umwelt als gewünscht empfundenen Verpflichtung zur gesundheitlichen Selbstoptimierung bis zum Aufbau dysfunktionaler Verhaltensrituale oder -zwänge reichen (Schröder, 2009). Nicht optimale Leistungs- und Verhaltensdaten (im Sinne einer sich selbst und der Gesellschaft gegenüber empfundenen Verpflichtung zur stetigen Selbstoptimierung), sondern das eigene kurz-, mittel- und langfristige Wohlbefinden werden als Maßstab gesundheitsbezogenen Verhaltens angesehen. Ein gelassener, aber verantwortungsbewusster Umgang mit der eigenen Gesundheit ist das Ziel der Gesundheitsförderung.Gesundheitsförderung ist über die gesamte Lebensspanne von Bedeutung: Der Gesundheit sollte nicht erst dann Aufmerksamkeit zukommen, wenn sie gefährdet oder eingeschränkt ist. Ein gesunder Lebensstil kann somit als kontinuierliche Entwicklungsaufgabe angesehen werden, insbesondere weil sich Einstellungen, Überzeugungen und Verhalten langfristig gesundheitsbezogen auswirken und etabliertes, „routinisiertes“ Denken und Verhalten sich oft als ziemlich veränderungsresistent erweisen. Die WHO fordert unter dem Stichwort „Multisektorale Verantwortung“, dass alle öffentlichen Institutionen – insbesondere Einrichtungen der frühkindlichen Bildung, Schulen, Hochschulen und Betriebe – und Entscheidungsträger Verantwortung für die Gesundheit übernehmen und diese mit geeigneten Maßnahmen nachhaltig fördern. Eine besondere Rolle kommt dabei der partizipativen Gesundheitsförderung in den einzelnen Settings zu.Gesundheitsförderungerfordertmehrperspektivisches Denken und Handeln: Gesundheitsförderung gelingt durch die Kooperation verschiedener Disziplinen. Psychologische Erkenntnisse leisten in multi-, inter- und transdisziplinären Handlungsfeldern der Gesundheitsförderung einen wesentlichen Beitrag zum Verständnis gesundheitsbezogener Einstellungen sowie grundlegender Prozesse des Gesundheitsverhaltens. Im Sinne des Ziels der bestmöglichen Förderung der Gesundheit des Menschen ist die stete Reflexion und Optimierung der disziplinübergreifenden Koordination und Kooperation als wichtige Herausforderung anzusehen.Gesundheitsförderndes Handeln muss begründet erfolgen: In der Gesundheitsförderung angewandtes psychologisches Wissen muss wissenschaftlich solide und empirisch gesichert sein. Gleichzeitig muss berücksichtigt werden, dass psychologische Erkenntnisse wie alle anderen wissenschaftlichen Erkenntnisse stets Gegenstand kritischer Betrachtung sind und einer ständigen Weiterentwicklung unterliegen („Geltung bis auf Weiteres“). Insofern stellt die Beschäftigung mit den theoretischen Entwicklungen, den wissenschaftlichen Standards und deren Weiterentwicklung einen wesentlichen Aspekt der Tätigkeit in der Gesundheitsförderung dar. Wissenschaftliche Orientierung – im Sinne von expliziter und reflektierter Theorie- und Erfahrungs- bzw. Evidenzbasierung – sichert Qualität, Transparenz und Reflexion der Praxis der Gesundheitsförderung.

Informationsquellen zur Gesundheitsförderung im Internet

Ergänzend zu den Inhalten dieses Lehrbuch sei auf einige öffentliche Informationsquellen zur Gesundheit und Gesundheitsförderung hingewiesen. Diese bieten vielfältige und qualifizierte Informationen zu Standards, Schwerpunkten und aktuellen Entwicklungen:

bzga.de: Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) nennt auf der Homepage als Ziele der eigenen Arbeit: „Erarbeitung von Grundsätzen und Richtlinien für Inhalte und Methoden der praktischen Gesundheitserziehung; Ausbildung und Fortbildung der auf dem Gebiet der Gesundheitserziehung und -aufklärung tätigen Personen; Koordinierung und Verstärkung der gesundheitlichen Aufklärung und Gesundheitserziehung …“gesundheitliche-chancengleichheit.de: Informationsangebot eines von der BZgA initiierten Verbunds, der die Verbesserung der gesundheitlichen Chancengleichheit und die Unterstützung der Gesundheitsförderung in sozial benachteiligten Gruppen anstrebt.gesundheitsziele.de: Zitat auf der Homepage: „gesundheitsziele.de ist der Kooperationsverbund zur Weiterentwicklung des nationalen Gesundheitszieleprozesses … Unter Beteiligung von Bund, Ländern und Akteuren … des Gesundheitswesens entwickeln wir Gesundheitsziele und empfehlen Maßnahmen zur Zielerreichung. Gemeinsam setzen wir uns dafür ein, dass Prozesse und Aktivitäten an Gesundheitszielen ausgerichtet werden und zielführende Maßnahmen umgesetzt werden.“gesundheitsinformation.de: Informationsangebot des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) zu einem breiten gesundheitsbezogenen Themenspektrum.gesundheitsfoerderung.ch: Schweizerisches Informationsangebot mit den Schwerpunkten „Kantonale Aktionsprogramme“, „Prävention in der Gesundheitsversorgung“ und „Betriebliches Gesundheitsmangement“.fgoe.org: Der Fonds Gesundes Österreich „… fördert nicht nur praxisorientierte und wissenschaftliche Projekte, sondern entwickelt auch Aktivitäten und Kampagnen, um gesunde Lebensweisen und gesunde Lebenswelten … erreichbar zu machen und regt Kooperationen im Bereich der Gesundheitsförderung und Prävention an“ [Zitat auf der Homepage].seelischegesundheit.net: Informationsangebot eines durch das Bundesministerium für Gesundheit geförderten Aktionsbündnisses, das sich an psychisch erkrankte Personen und deren Angehörige richtet.

Literatur

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Teil IVerständnis von Gesundheit

Die Gesundheit des Menschen wird gemäß der Standards der Weltgesundheitsorganisation als ein Zustand vollkommenen körperlichen, psychischen und sozialen Wohlbefindens und nicht allein als das Freisein von Krankheit und Gebrechen verstanden. Dass Menschen ihre eigene Gesundheitssituation bewusst wahrnehmen und selbstverantwortlich im sozialen und gesellschaftlichen Umfeld im Sinne des Erhalts oder der Wiederherstellung des bestmöglichen Gesundheitszustands agieren können, wird als wichtiges individuelles und gesellschaftliches Entwicklungsziel angesehen. Gesundheit stellt somit einen positiven Idealzustand dar, der vielfältige individuelle Erlebens- und Verhaltensfacetten und soziale Aspekte umfasst.

Die psychologische Perspektive auf Gesundheit fokussiert das individuelle Verständnis von Gesundheit, die subjektive Wahrnehmung und Verarbeitung gesundheitsbezogener Informationen sowie gesundheitsbezogene Einstellungen und Überzeugungen. Dies beinhaltet auch die Verarbeitung und Wahrnehmung körperinterner Signale und den Umgang mit primär körperlichen Aspekten des Gesundheitszustands. Zudem sind Merkmale, Determinanten und die Steuerung individuellen gesundheitsbezogenen Verhaltens bedeutsam. Fundiertes Wissen zu Gesundheitsmotivation, Gesundheitszielen und Gesundheitskompetenzen ist wesentlich, um Gesundheitsverhalten verstehen und gezielt fördern zu können. Die übergreifende salutogenetische Perspektive stellt gesundheitserhaltende Bedingungen, Kompetenzen sowie individuelle und soziale Ressourcen in den Mittelpunkt der Gesundheitsförderung.

I.1Gesundheitsbezogenes Verhalten

Christel Salewski & Mareile Opwis

Gesundheitsbezogenes Verhalten ist der zentrale Gegenstand psychologischer Gesundheitsförderung und schließt alle Handlungen ein, durch die der eigene Gesundheitszustand direkt oder indirekt beeinflusst wird: zum Beispiel das Ausüben regelmäßiger körperlicher Bewegung zur Steigerung des Wohlbefindens, die Einhaltung der ärztlich verordneten Behandlungsvorschriften bei einer chronischen Erkrankung, die Gestaltung einer möglichst vielseitigen und nährstoffreichen Ernährung, aber auch der Aufbau funktionaler sozialer Beziehungen oder die Nutzung eines Regenschirms bei schlechtem Wetter.

Das gesundheitsbezogene Verhalten wird dabei von vielen Faktoren beeinflusst, wie den Einstellungen und Überzeugungen gegenüber der Gesundheit (Kap. I.2), der Gesundheitskompetenz (Kap. I.3) oder den Gesundheitszielen (Kap. I.4). Auch die eigene körperliche und psychische Verfassung, zum Beispiel das Vorliegen einer akuten oder chronischen Erkrankung, kann Einfluss darauf nehmen, ob und welches Verhalten gezeigt wird. Daneben haben weitere, weniger veränderbare Variablen wie zum Beispiel das Geschlecht (Kap. II.6) oder die Persönlichkeit (Kap. II.5) ebenso Auswirkungen auf das gesundheitsbezogene Verhalten. In verschiedenen theoretischen Modellen zur Vorhersage von Gesundheitsverhalten (Kap. III.1) wird jeweils eine spezifische Auswahl von Einflussfaktoren und deren Assoziation mit dem Gesundheitsverhalten als Wirkgefüge angenommen, um gesundheitsrelevantes Verhalten zu erklären und vorherzusagen. Damit werden in diesen Modellen Stellschrauben identifiziert, mittels derer ein bestimmtes gesundheitsbezogenes Verhalten durch theoriebasierte Interventionen hervorgerufen (z.B. mit dem Joggen zu beginnen), verändert (z.B. häufigere Dentalpflege) oder abgebaut werden kann (z.B. Tabakkonsum). Bereits diese kurz skizzierte Einordnung veranschaulicht, dass sich gesundheitsbezogenes Verhalten auf verschiedene Inhaltsbereiche bezieht sowie hinsichtlich seiner Konkretheit und Komplexität variiert. In diesem Kapitel werden folgende sehr grundsätzliche Fragen adressiert:

Welche Erkenntnisse zum Zusammenhang von bestimmten Verhaltensweisen mit Gesundheit und Krankheit liegen vor?Welche Definitionen gesundheitsbezogenen Verhaltens wurden bisher vorgeschlagen?Was sind zentrale Merkmale verschiedener gesundheitsbezogener Verhaltensweisen und wie lassen sich diese Merkmale systematisieren?Welche gesundheitsbezogenen Verhaltensweisen werden häufig gemeinsam praktiziert? Was sind gesundheitsbezogene Lebensstile?

I.1.1Verhalten und seine gesundheitlichen Folgen

Die meisten der bisher angeführten Beispiele gesundheitsbezogenen Verhaltens sind Gegenstand aktueller (gesundheits-)psychologischer Forschung und Interventionsentwicklung. Nicht immer waren die Erkenntnisse über den Zusammenhang zwischen Verhalten und Gesundheit so umfassend, detailliert und allgemein bekannt wie heutzutage. So wurde etwa erst 1964 durch den vom US-amerikanischen Senat in Auftrag gegebenen Terry-Report der empirisch gesicherte Zusammenhang zwischen Tabakrauchen und einer deutlich erhöhten Sterblichkeit in die öffentliche Diskussion eingebracht (United States Public Health Service, 1964). In den Jahrzehnten davor war von der US-amerikanischen Tabakindustrie die Unschädlichkeit des Rauchens in offensiven Werbekampagnen propagiert worden, die ihre Aussagen mit Hinweisen auf die Beliebtheit bestimmter Marken bei Ärztinnen und Ärzten und die scheinbare wissenschaftliche Absicherung der gesundheitlichen Unbedenklichkeit von Tabak untermauerten (Gardner & Brandt, 2006; Abb. I.1.1).

Abbildung I.1.1: Zigarettenwerbung der US-amerikanischen Tabakindustrie vor 1960. (Links: Werbekampagne „More Doctors Smoke Camels“ aus dem Jahr 1952. Rechts: Werbekampagne „20.679 Physicians“ aus dem Jahr 1930). Aus Stanford Research Into the Impact of Advertising (SRITA). Verfügbar unter http://tobacco.stanford.edu

Dieses Beispiel zeigt sehr anschaulich, dass nicht nur die wissenschaftliche Datenlage, sondern auch die Interessen von Akteuren wie Regierungsorganisationen oder Industriekonzernen Einfluss auf gesellschaftliche Normen in Bezug auf ein spezifisches (gesundheitsrelevantes) Verhalten nehmen können (Anderson, 2010).

Mittlerweile ist die Annahme, dass Gesundheit nicht schicksalhaft oder genetisch vorbestimmt ist, sondern durch das Wechselspiel zwischen Prädisposition und individuellem Verhalten bedingt wird, vielfältig bestätigt worden. Dies geht mit einer intensiven Beschäftigung mit der hierbei veränderbaren Komponente, dem Verhalten, einher (Kaplan, 1990). Dabei wurde anfänglich das Augenmerk überwiegend auf Verhalten gelegt, das für die Betroffenen und die Gesellschaft deutlich spürbare materielle und nicht materielle Kosten (im Sinne von Gesundheitsbeeinträchtigungen, krankheitsbezogenen Behandlungskosten, Einbußen an Lebensqualität, Fehltagen etc.) nach sich ziehen kann. Ebenso wurde in den Blick genommen, welche positiven Konsequenzen das Unterlassen von potentiell gefährdendem Verhalten haben kann.

In einer frühen und oft zitierten Arbeit von Belloc und Breslow (1972) wurde mit den Daten der Alameda County Study, einer über mehrere Jahrzehnte durchgeführten Längsschnittstudie, der Zusammenhang zwischen einer Reihe von gesundheitsbezogenen Verhaltensweisen und dem Gesundheitszustand von Menschen in einer Gemeinde in Kalifornien überprüft. Hier stellten sich folgende sieben Verhaltensweisen (die „Alameda seven“) als relevant für einen guten Gesundheitszustand heraus: genügend Schlaf, Nichtrauchen, geringer Alkoholkonsum, regelmäßige körperliche Betätigung, regelmäßiges Frühstück, Verzicht auf Zwischenmahlzeiten und Normalgewicht. Jedes einzelne Verhalten zeigte Zusammenhänge mit einem über verschiedene Indikatoren hinweg gemittelten Gesundheitswert. Darüber hinaus waren die Effekte auch additiv: Personen, die alle sieben Verhaltensweisen praktizierten, hatten einen annähernd doppelt so guten Gesundheitswert im Vergleich zu Personen, die keines der Verhaltensweisen zeigten.

Eine neuere, ebenfalls längsschnittlich angelegte Studie mit mehr als 20.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern, die sich über einen Zeitraum von elf Jahren erstreckte, untersuchte den Zusammenhang zwischen kardiovaskulären Erkrankungen und Krebserkrankungen auf der einen Seite und Nichtrauchen, ausreichender Bewegung, moderatem Alkoholkonsum und gesunder Ernährung (fünfmal am Tag Verzehr von Obst oder Gemüse) auf der anderen Seite. Personen, die jede dieser vier gesundheitsförderlichen Verhaltensweisen ausführten, hatten im Vergleich zu Personen, die keine dieser Verhaltensweisen praktizierten, ein Viertel des Sterblichkeitsrisikos, was einem Unterschied von 14 Jahren bezogen auf die Lebenserwartung entsprach (Khaw et al., 2008). Die World Health Organization (WHO) veröffentlichte 2009 eine Studie über globale Risikofaktoren und deren Zusammenhänge mit Erkrankungshäufigkeiten und Sterblichkeit. Die Ergebnisse dieser Untersuchung zeigten unter anderem, dass weltweit acht Risikofaktoren, die unmittelbar verhaltensbezogen sind oder durch Verhalten verursacht werden, für 61% der tödlich verlaufenden kardiovaskulären Erkrankungen während des Studienzeitraums verantwortlich waren: Alkoholkonsum, Tabakrauchen, hoher Blutdruck, hoher Body-Mass-Index, hohe Cholesterinwerte, hoher Blutzucker, geringer Obst- und Gemüseverzehr und körperliche Inaktivität. Auch die häufigsten Todesursachen in Europa – Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebserkrankungen und Diabetes mellitus – werden maßgeblich durch Verhaltensweisen wie ungesunde Ernährung, mangelnde Bewegung oder den Konsum bestimmter Genussmittel beeinflusst (Organisation for Economic Co-operation and Development/European Union, 2016).

Die Resultate der genannten und weiterer Studien zeigen, dass es heute belastbare, da durch Empirie erhärtete, Hinweise dafür gibt, dass spezifische Verhaltensweisen – vor allem Rauchen, übermäßiger Alkoholkonsum, Fehlernährung und Bewegungsarmut – in einem deutlichen Zusammenhang mit Erkrankungen und potentiellen langfristigen Einschränkungen der Gesundheit stehen. Diese Verhaltensweisen sind daher als gesundheitsbezogenes Verhalten einzustufen, das aufgrund seiner negativen Konsequenzen individuell und gesamtgesellschaftlich bedeutsam ist.

I.1.2Begriffsbestimmungen: Was genau ist eigentlich gesundheitsbezogenes Verhalten?

Die meisten Menschen – Laien wie Fachleute – werden darin übereinstimmen, dass Zähneputzen, das Anlegen von Sicherheitsgurten, regelmäßige Bewegung oder der häufige Konsum von Obst und Gemüse ebenfalls gesundheitsbezogen sind, und zwar in einem explizit gesundheitsförderlichen Sinn. Es lassen sich somit zwei wesentliche grundlegende Funktionen gesundheitsbezogenen Verhaltens unterscheiden: Gesundheitsschädigung (oder -gefährdung) und Gesundheitsförderung (oder -erhaltung). Gesundheitsschädigungen oder -gefährdungen können durch das Praktizieren von Risikoverhalten oder das Unterlassen von gesundheitsförderlichem Verhalten entstehen. Gesundheitsförderung oder -erhaltung wird durch das Ausüben von Verhalten ermöglicht, das gezielt zur Verbesserung der Gesundheit eingesetzt wird, oder aber durch das Unterlassen von gesundheitsschädigendem Verhalten.

Der Blick in einschlägige Begriffsbestimmungen zeigt, dass diese beiden grundsätzlichen Funktionen gesundheitsbezogenen Verhaltens jeweils unterschiedlich fokussiert werden. So definieren etwa Connor und Norman (2015) gesundheitsbezogenes Verhalten als jede Aktivität, die mit dem Ziel ausgeführt wird, Krankheit zu verhindern, rechtzeitig zu entdecken oder die Gesundheit und das Wohlbefinden im Allgemeinen zu verbessern. Dies legt den Schwerpunkt vor allem auf gesundheitsförderliches Verhalten. Bei Scholz und Schwarzer (2005) werden dagegen sowohl gesundheitsfördernde als auch -schädigende Aspekte explizit benannt:

Unter Gesundheitsverhalten versteht man eine präventive Lebensweise, die Schäden fernhält, die Fitness fördert und somit auch die Lebenserwartung verlängern kann. Körperliche Aktivität, präventive Ernährung, Kondombenutzung bei neuen Sexualpartnern, Anlegen von Sicherheitsgurten und Zahnpflege sind Beispiele dafür. Risikoverhaltensweisen wie Rauchen, Alkohol- und Drogenkonsum oder rücksichtsloses Autofahren sind das Gegenteil davon. Die Unterlassung eines Risikoverhaltens wird auch als Gesundheitsverhalten verstanden. (Scholz & Schwarzer, 2005, S. 389)

Diese Einteilung ist für explizit benannte, umschriebene Verhaltensweisen (Rauchen oder Wassertrinken) meist recht eindeutig, kann aber speziell für übergeordnete Kategorien wie Ernährung oder Bewegung/Sport definitorische Schwierigkeiten mit sich bringen und macht daher eine Benennung der konkreten Ausgestaltung notwendig (z.B. Gesundheitsförderung durch regelmäßige körperliche Betätigung, Gesundheitsgefährdung durch Extremsport). Ebenso kann dasselbe Verhalten nicht immer eindeutig als förderlich oder schädigend eingestuft werden (so führt eine vegane Ernährungsweise meist zu Gewichtsstabilisation und einem hohen Konsum an Obst und Gemüse, begünstigt jedoch auch Mangelerscheinungen). In einigen Fällen kann ein bestimmtes Verhalten mit der Absicht ausgeübt werden, gesundheitsförderlich zu sein, ist jedoch in der Summe gesundheitsschädigend, etwa bei der Einnahme zu vieler Nahrungsergänzungsmittel.

Neben der Ausrichtung an den grundlegenden gesundheitsförderlichen oder -schädigenden Wirkungen oder Zielen kann gesundheitsbezogenes Verhalten auch mit Blick auf bestimmte Personengruppen definiert werden. Eine solche, bereits seit vielen Jahren gebräuchliche Unterscheidung stammt von Kasl und Cobb (1966a, 1966b), die spezifizieren, ob ein gesundheitsförderliches Verhalten von gesunden (oder sich gesund fühlenden) Personen, von sich als krank wahrnehmenden Personen oder manifest Erkrankten ausgeübt wird (im letztgenannten Fall als Krankenrollenverhalten).

Gesunde Personen führen Gesundheitsverhalten aus, welches den Zweck hat, Krankheiten zu vermeiden oder in einem sehr frühen Stadium zu erkennen. Krankheitsverhalten wird von Personen praktiziert, die sich krank fühlen und dabei Hilfe von Verwandten, Freunden und/oder medizinisch ausgebildeten Personen suchen. Das Krankenrollenverhalten umfasst Maßnahmen zur Wiederherstellung oder Verbesserung des Gesundheitszustands durch entsprechende Behandlung (Kasl & Cobb, 1966a, 1966b).

Dasselbe gesundheitsbezogene Verhalten (z.B. ein Arztbesuch) kann nach diesem Ansatz in Abhängigkeit von dem subjektiven oder objektiven Gesundheitszustand der ausführenden Person unterschiedliche Funktionen haben. Neben dem Gesundheitszustand gibt es weitere Merkmale von Personengruppen, die bei der Bewertung von Verhalten als gesundheitsförderlich, -schädigend oder auch als irrelevant für Gesundheit und Krankheit bedeutsam sein können. So kann die Verwendung eines Sonnenschutzpräparats mit lediglich geringem Lichtschutzfaktor je nach Hauttyp gesundheitsgefährdend oder eher weniger bedenklich sein.

Die Unterscheidung von Personen dahingehend, ob sie krank oder gesund sind, ist im Kontext der Definition gesundheitsbezogenen Verhaltens besonders relevant. Einerseits können verschiedenartige Konsequenzen, die gesundheitsförderndes, aber auch gesundheitsschädigendes Verhalten bei Gesunden und Kranken haben kann, berücksichtigt werden (Rauchen hat beispielsweise bei asthmakranken Jugendlichen auch kurzfristig schwerwiegendere Auswirkungen als bei gesunden Jugendlichen), und es wird außerdem Verhalten eingeschlossen, das ausschließlich im Fall einer Erkrankung als gesundheitsbezogenes Verhalten wirksam werden kann (z.B. regelmäßige Medikamenteneinnahme oder Vermeidung glutenhaltiger Lebensmittel bei einer Stoffwechselerkrankung).

Die Wirkrichtung von gesundheitsbezogenem Verhalten jenseits der globalen Funktionen Gesundheitsförderung oder -schädigung steht im Mittelpunkt anderer Definitionsansätze. So schlagen Rothman, Bartels, Wlaschin und Salovey (2006) vor, präventives, aufdeckendes und kurativesVerhalten zu unterscheiden. Präventives Verhalten liegt zum Beispiel bei dem Gebrauch von Kondomen zur Verhinderung sexuell übertragbarer Infektionskrankheiten vor, die Wahrnehmung von Vorsorgeterminen zur Früherkennung von Hautkrebs ist ein aufdeckendes Verhalten und die Adhärenz bei einer Chemotherapie im Rahmen einer Krebsbehandlung ist nach dieser Definition ein kuratives Verhalten. Dieser Zugang betont die Implikationen, die mit der Abschätzung von Risiken bei der Ausübung von Verhalten verbunden sein können. Aufdeckendes Verhalten, wie Vorsorgeuntersuchungen, kann als eher unangenehm, da mit dem Risiko der Erkennung einer Krankheit behaftet, wahrgenommen werden. Interventionen, die aufdeckendes Verhalten unterstützen sollen, müssten daher anders gestaltet sein als solche, durch die präventives oder kuratives Verhalten gefördert wird (Kap. III.3, Kap. IV.3).

Zusammenfassend gibt es eine Reihe von unterschiedlichen Schwerpunkten bei der Definition gesundheitsbezogenen Verhaltens. Alle bisher aufgeführten Teilbereiche der Begriffsbestimmung gesundheitsbezogenen Verhaltens erscheinen jedoch im Hinblick auf gesundheitsfördernde Maßnahmen wesentlich.

Eine allgemeine und umfassende Begriffsbestimmung gesundheitsbezogenen Verhaltens sollte alle Verhaltensweisen einschließen, die

nachgewiesen gesundheitsförderlich sindnachgewiesen gesundheitsschädigend sindje nach Ausgestaltung entweder gesundheitsförderlich oder -schädigend sein könnendazu dienen, Krankheit zu verhindern oder frühzeitig zu entdeckennur im Fall einer chronischen oder akuten Krankheit gesundheitsrelevant sindnur bei bestimmten Personengruppen gesundheitsrelevant sind.

I.1.3Weitere Beschreibungsmerkmale gesundheitsbezogenen Verhaltens

Die meisten der angeführten Definitionen gesundheitsbezogenen Verhaltens basieren auf Merkmalen, die als besonders zentral angesehen werden (wie gesundheitsschädigend/-fördernd, präventiv, aufdeckend, kurativ). Im Kontext gesundheitsfördernder Maßnahmen gibt es darüber hinaus weitere Merkmale, anhand derer sich gesundheitsbezogenes Verhalten charakterisieren lässt. Vergleicht man etwa zwei prinzipiell gesundheitsförderliche Verhaltensweisen, wie das Anlegen eines Sicherheitsgurts und die regelmäßige jährliche Wahrnehmung von Gesundheits-Check-ups, dann werden einige Unterscheidungsmerkmale unmittelbar ersichtlich: Das Anlegen eines Sicherheitsgurts ist ein für viele Menschen häufiges und regelmäßiges Verhalten, das üblicherweise stark automatisiert erfolgt, mit wenig Aufwand verbunden, aber auch gesetzlich vorgeschrieben ist. Regelmäßige Check-ups erfolgen in größeren Abständen, erfordern Aufwand (z.B. Terminvereinbarung), Zeit sowie die Infrastruktur einer ärztlichen Praxis und sind unabhängig von gesetzlichen Vorschriften. Maßnahmen zur Förderung entweder des Gebrauchs von Sicherheitsgurten oder der regelmäßigen Kontrolle des Gesundheitszustands durch Check-ups sollten daher auch unter Kenntnis und Berücksichtigung zentraler Charakteristika des jeweiligen Verhaltens erfolgen, um erfolgreich zu sein. Die Sammlung und Systematisierungen potentiell relevanter Merkmale sind somit sowohl anwendungs- als auch forschungsrelevant, da sie ein Gerüst zur Beschreibung der Vielzahl gesundheitsbezogener Verhaltensweisen bieten und sich darauf aufbauend Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen gesundheitsbezogenen Verhaltensweisen identifizieren lassen, die, wie oben skizziert, gerade auch bei der Planung von Interventionen berücksichtigt werden sollten (Vickers, Conway & Hervig, 1990).

Die Festlegung aussagekräftiger Merkmale gesundheitsbezogenen Verhaltens wird jedoch dadurch erschwert, dass auch aufgrund des breiten Spektrums gesundheitsbezogenen Verhaltens eine nahezu unerschöpfliche Liste möglicher Beschreibungsdimensionen existiert. Eine Auswahl – zum Beispiel anhand von Plausibilitätsüberlegungen – findet zwar in der Praxis häufig statt, kann aber nicht gewährleisten, dass tatsächlich zentrale Merkmale berücksichtigt werden. Um genau solche zentralen und empirisch begründeten Merkmale aufzudecken, haben McEachan, Lawton und Conner (2010) ein besonders aufwändiges mehrstufiges, sowohl qualitatives als auch quantitatives Vorgehen zur Merkmalsanalyse gewählt. Sie gaben zunächst keine Beschreibungsmerkmale vor, sondern baten Personen mit unterschiedlich starkem professionellem Bezug zu Gesundheitsthemen (z.B. Angehörige von Gesundheitsberufen, Menschen aus der allgemeinen Bevölkerung) darum, verschiedene Gesundheitsverhaltensweisen zu beschreiben und hinsichtlich ihrer Ähnlichkeiten und Unterschiede einzuordnen. Die daraus abgeleiteten besonders häufig genannten Merkmale wurden als Fragebogen weiteren Personengruppen zur Bewertung von gesundheitsbezogenen Verhaltensweisen vorgelegt und auf diese Weise ihre Stichhaltigkeit geprüft. Als Resultat dieses Prozesses ließen sich elf Merkmale spezifizieren (Tab. I.1.1).

In der dritten Spalte von Tabelle I.1.1 sind beispielhaft gesundheitsbezogene Verhaltensweisen angeführt, die die Extremausprägungen der elf Merkmalsdimensionen veranschaulichen sollen. Bei Betrachtung der Beispiele wird deutlich, dass auch dieses Beschreibungssystem in Bezug auf die Zuordnung von Merkmalen zu einzelnen Verhaltensweisen nicht immer eindeutig ist und je nach den konkreten Rahmenbedingungen unterschiedlich ausfallen kann. Das Tragen eines Fahrradhelms etwa wird als Beispiel eines unfallpräventiven Verhaltens angeführt, das durch eine niedrige Ausprägung des Merkmals „Emotionalität“ gekennzeichnet ist. Ob dies tatsächlich zutrifft, kann vom Lebensalter beziehungsweise dem Entwicklungsstand abhängen: Für die meisten kleineren Kinder wird das Aufsetzen eines Fahrradhelms kaum Auswirkungen auf die Gefühlslage haben; dies stellt sich bei Jugendlichen oftmals anders dar, wenn sie das Tragen eines „uncoolen“ Fahrradhelms möglichst zu vermeiden suchen. Für einige Gesundheitsverhaltensweisen sind die Merkmale zudem nicht diskriminierend. So hat das Unterlassen von Sonnenschutzverhalten sowohl kurzfristige, sichtbare Folgen (Sonnenbrand) und zugleich langfristige, nicht direkt sichtbare Folgen (erhöhte Wahrscheinlichkeit für Hautkrebs). Weiterhin sind die Merkmalskategorien vermutlich nicht immer unabhängig voneinander. So kann die Häufigkeit des Ausübens eines Verhaltens die Gewohnheitsbildung begünstigen, zum Beispiel, wenn bei einer Ernährungsumstellung nach einer gewissen Zeit bei der Wahl der Nachspeise regelmäßig zum Obst anstatt zum Pudding gegriffen wird, ohne dass diese Wahl jedes Mal durch aufwändige Entscheidungsprozesse vorbereitet werden muss. Ein Verhalten, das selten ausgeübt wird (z.B. in einen Erholungsurlaub an die See oder in die Berge fahren), dürfte im Allgemeinen wiederum eine geringere Wahrscheinlichkeit aufweisen, zur Gewohnheit zu werden.

Trotz dieser Einschränkungen ermöglichen die von McEachan et al. (2010) empirisch gewonnenen Merkmalsdimensionen die Charakterisierung von Verhalten auf einem mittleren bis hohen Abstraktionsniveau und sind dadurch für sehr viele unterschiedliche gesundheitsbezogene Verhaltensweisen anwendbar.

I.1.4Klassen gesundheitsbezogener Verhaltensweisen