Psychosomatische Rehabilitation und psychosoziale Medizin - Philipp Martius - E-Book

Psychosomatische Rehabilitation und psychosoziale Medizin E-Book

Philipp Martius

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Beschreibung

Die psychosomatische Rehabilitation weist gegenüber der Akut-Psychosomatik Besonderheiten auf, insbesondere ihre Nähe zur Sozial-, Arbeits- und Betriebsmedizin und ihre Ausrichtung auf den funktionellen Gesundheitsbegriff der ICF. Dies wird in der bisherigen Literatur nicht berücksichtigt. Dieses Werk stellt erstmals die Grundlagen und Schnittstellen der psychosomatischen Rehabilitation systematisch dar. Versorgungsstrukturen, Setting, Krankheitsbilder und therapeutische Prinzipien sowie Ergebnisse der Versorgungsforschung werden aus dem Blickwinkel der Rehabilitations-Praxis geschildert. Dabei wird deutlich, dass die psychosomatische Rehabilitation eine psychosoziale Medizin entwirft, die den Menschen als Subjekt in seiner Lebens- und Arbeitswelt zum Gegenstand seiner therapeutischen Bemühungen nimmt.

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Philipp Martius

Psychosomatische Rehabilitation und psychosoziale Medizin

Ein praxisbezogenes Lehrbuch

Verlag W. Kohlhammer

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Die Wiedergabe von Warenbezeichnungen, Handelsnamen und sonstigen Kennzeichen in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme, dass diese von jedermann frei benutzt werden dürfen. Vielmehr kann es sich auch dann um eingetragene Warenzeichen oder sonstige geschützte Kennzeichen handeln, wenn sie nicht eigens als solche gekennzeichnet sind.

 

 

1. Auflage 2015

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-021754-6

E-Book-Formate:

pdf:       ISBN 978-3-17-028383-1

epub:    ISBN 978-3-17-028384-8

mobi:    ISBN 978-3-17-028385-5

Für den Inhalt abgedruckter oder verlinkter Websites ist ausschließlich der jeweilige Betreiber verantwortlich. Die W. Kohlhammer GmbH hat keinen Einfluss auf die verknüpften Seiten und übernimmt hierfür keinerlei Haftung.

Inhalt

 

 

Abkürzungsverzeichnis

Vorwort

1

Grundlagen

1.1 Psychosoziale Perspektiven: das biopsychosoziale Modell und chronische Krankheit

1.2 Menschenbilder

1.2.1 Klinische Fallgeschichten

1.2.2 Die psychische Struktur und Beziehungsdynamik

1.2.3 Der psychotherapeutische Prozess

1.3 Funktionale Gesundheit: ICF statt ICD-10

1.4 Weitere Grundlagen der psychosomatischen Rehabilitation

1.4.1 Embodiment

1.4.2 Placebo- und Nocebo-Effekte

1.5 Strukturelle Rahmenbedingungen der Rehabilitation

1.5.1 Rehabilitation in der Rentenversicherung

1.5.2 Leistungen zur Rehabilitation und Teilhabe

1.5.3 Die medizinische Rehabilitation

1.5.4 Berufliche Rehabilitation und LTA

1.5.5 Leistungsbilanz

1.5.6 Arbeitsunfähigkeit, Erwerbsminderung und Berentung

1.5.7 Prävention als Aufgabe der Rehabilitation

1.6 Psychosomatische Rehabilitation

1.7 Gesundheitswissenschaften – Bevölkerungsmedizin: Politik, Gleichheit, Bildung

1.7.1 Gesundheitswissenschaften – ein kurzer Überblick

1.7.2 Begriffe der Gesundheitswissenschaften: Verwirklichungschancen

1.7.3 Gesundheitsökonomie: Kosten-Nutzen-Forschung

1.7.4 »Besser reich und gesund als arm und krank« – Einkommen und Gesundheit

1.7.5 Gesundheitswissenschaftliche Perspektive der psychischen Störungen

1.7.6 Chronische Erkrankung und Lebensqualität

2

Schnittstellen zu weiteren medizinischen und nichtmedizinischen Fachbereichen

2.1 Sozialmedizin

2.1.1 Die Begutachtung in der Rehabilitation

2.2 Arbeitsmedizin

2.2.1 Arbeitsmedizinische Grundlagen

2.2.2 Stigmatisierung – die »doppelte Krankheit« und ihre Folgen

2.2.3 Arbeitsbelastung und psychische Störung: Macht Arbeit psychisch krank?

2.2.4 Positive und negative Leistungsprofile im Zusammenhang mit psychischen Störungen

2.2.5 Prävention am Arbeitsplatz

2.3 Soziale Arbeit

2.3.1 Grundlagen der Sozialen Arbeit

2.3.2 Aufgaben der Sozialen Arbeit in der Rehabilitation

2.3.3 Case Management (Fallbegleitung)

2.3.4 Exkurs: Psychische Gesundheit, Arbeit und CM

2.4 Akutmedizin

2.4.1 Medizinische Fächer

2.5 Adjuvante Therapieformen

2.5.1 Entspannungsverfahren

2.5.2 Ergotherapie

2.5.3 Körperpsychotherapie

2.5.4 Künstlerische Therapien

2.5.5 Epilog: Der Künstler als gesellschaftlicher Aufklärer

2.6 Psychotherapeutischer Konsil- und Liaisondienst: der sog. Psychologische Dienst (PCLS)

3

Arbeitsfeld Psychosomatische Rehabilitation

3.1 Psychische Krankheitsbilder nach ICD-10 unter rehabilitativen Gesichtspunkten

3.1.1 Klinische Fallgeschichten

3.2 Syndrome und Störungen von Krankheitswert

3.2.1 Suizidalität

3.2.2. Erschöpfungssyndrome: Krankheitsbilder ohne Krankheitswert? Das Beispiel Burnout

3.3 Therapieresistenz und Widerstand – zur Rolle des sekundären Krankheitsgewinns

3.4 Psychotherapeutische Konzepte in der Rehabilitation

3.4.1 Einleitung

3.4.2 Fokus Empowerment

3.4.3 Fokus Verhaltenstherapie

3.4.4 Psychodynamischer Fokus

3.4.5 Fokus Berufsbezogene Psychotherapie

3.4.6 Fokus Gruppe und Team

3.4.7 Supervision und Balint-Arbeit

3.4.8 Pharmakotherapie

3.5 Nachsorge

3.5.1 Grundlagen

3.5.2 Nachsorgemodelle

3.5.3 Ergebnisse der Nachsorgekonzepte

3.5.4 ZINA – neue Modelle für eine differenzierte psychosomatische Reha-Nachsorge

3.5.5 Klinische Fallgeschichten

4

Forschungsbedarf und offene Fragen

4.1 Ziele der Reha-Forschung

4.2 Versorgungsforschung

4.2.1 Patientenzufriedenheit

4.2.2 Sozialmedizinischer Verlauf nach der Rehabilitation

4.3 Behandlungsdauer, Behandlungsintensität und Behandlungserfolg

4.4 Kosten-Nutzen-Analysen – die Prognos-Studie

Literatur

Stichwortverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

 

 

AG

Aktiengesellschaft

ALG

Arbeitslosengeld

APSN

Ambulante Psychosomatische Nachsorge

BKK

Betriebskrankenkasse

BMW

Bayerische Motorenwerke

CM

Case Management

DRV

Deutsche Rentenversicherung

EDV

Elektronische Datenverarbeitung

GdB

Grad der Behinderung

gGmbH

gemeinnützige Gesellschaft mit beschränkter Haftung

ICF

Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit

ICIDH

Internationale Klassifikation der Schädigungen, Fähigkeitsstörungen und Beeinträchtigungen

IPN

Individuelle Psychosoziale Nachsorge

KBT

Konzentrative Bewegungstherapie

LTA

Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben

LTLG

Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft

MI

Motivierende Gesprächsführung (Motivational Interviewing)

NASW

National Association of Social Workers (Organisation zur Ethik Sozialer Arbeit)

PD

Psychodrama

PRN

Psychosomatische Rehabilitationsnachsorge

RCT

Randomized controlled trial/randomisierte kontrollierte Studie

RV

Rentenversicherung

SGB

Sozialgesetzbuch

StWE

Stufenweise Wiedereingliederung (LTA-Maßnahme)

WHO

Weltgesundheitsorganisation

ZIGNA

Zielorientierte Gruppennachsorge

ZINA

Zielorientierte Nachsorge

Vorwort

 

 

Liebe Leserin und lieber Leser,

bitte stellen Sie sich folgende Kontaktanzeige vor:

»Nicht Frau, Alter keinesfalls unter 35, beruflich mäßig erfolgreich aber finanziell krisensicher, fischt gerne im Ungefähren, interessiert sich auch ein wenig für aktuelles medizinisches Wissen, überprüft seine Fitness und Gesundheit regelmäßig anhand der Länge seiner Achselhaare, wünscht Austausch mit Verwandten, ohne allzu viel von seiner Bequemlichkeit hergeben zu müssen.

Bei Interesse bitte angepasste Bewerbungen gemäß Formblatt K001 an Chiffre DRV…«

Nun, fühlen Sie sich »angemacht«? Nein? Schade, denn eigentlich verbirgt sich hinter der Anzeige ein interessanter (beruflicher) Partner. Aber tatsächlich, in etwa so präsentiert sich heutzutage die medizinische Rehabilitation. Und wundert sich, dass sie kaum Liebhaber findet.

Ich danke daher dem Verlag und insbesondere Herrn Dr. Ruprecht Poensgen sehr herzlich, dass sie mir das Angebot gemacht haben, ausgehend von einem Seminar anlässlich der Lindauer Psychotherapiewochen ein kleines Lehrbuch zu verfassen. Dass ich dieses Angebot nicht ausgeschlagen habe, hat folgende Gründe:

•  Psychische Störungen nehmen deutlich zu und bilden die zweitgrößte Diagnosegruppe in der Rehabilitation. Entsprechend besteht ein deutlich erhöhter Kompetenz- und Versorgungsbedarf in der psychosomatischen Rehabilitation.

•  Es gibt bisher kaum Bücher, die das für die psychosomatische Rehabilitation notwendige klinische Wissen gebündelt und aktuell zur Verfügung stellen.

•  Unter dem Gesichtspunkt der Qualitätssicherung besteht die Notwendigkeit, das eigene Tun transparent und systematisch darzustellen, auch wenn die stabilen institutionellen Strukturen den im System Tätigen manchmal etwas anderes suggerieren mögen.

•  Es besteht eine bisher nicht bewältigte Herausforderung, die Schnittstellen zur Akutmedizin, insbesondere der Akut-Psychosomatik und Akut-Psychiatrie, zur Arbeits- und Sozialmedizin, zur Rentenversicherung sowie zu den Betrieben und Unternehmen unter klinischen Gesichtspunkten zu beschreiben und zu diskutieren.

•  Der unbestrittenen Ressourcenknappheit der Rehabilitationseinrichtungen muss der Verweis auf die trotzdem geleistete Arbeit entgegengesetzt werden. Gleichzeitig bedarf es eines Einsatzes für eine vernünftige Verwendung der Mittel, wenn man die Erfolgsgeschichte der medizinischen Rehabilitation unter den sich wandelnden Arbeits- und demographischen Bedingungen fortschreiben möchte.

•  Die psychosomatische Rehabilitation besitzt durch die Betonung und Ausgestaltung des biopsychosozialen Anspruchs ein potenzielles Alleinstellungsmerkmal. Dem gilt es Profil zu verleihen.

Ich hoffe sehr, durch dieses kleine Werk glaubhaft vermitteln zu können, dass die medizinische psychosomatische Rehabilitation ein interessantes, abwechslungsreiches und gut strukturiertes Arbeitsfeld mit vielfältigen Perspektiven bietet. Das Buch möge – um auf die eingangs aufgeführte fiktive Stellenanzeige zurück zu kommen – zum Verständnis beitragen, dass die medizinische psychosomatische Rehabilitation doch nicht wenig Sexappeal hat und für Liebhaber attraktiv sein kann.

Das Buch stellt gleichzeitig auch einen ersten Entwurf für eine Psychosoziale Medizin dar. Psychosozial gedachte Medizin ist dabei ähnlich der psychosomatischen Medizin im Grunde ein Querschnitts-, besser noch Grundlagenfach. Ihre gedanklichen Fundamente sind nicht ganz neu und waren v. a. in den 1970er Jahren und infolge der Psychiatrie-Enquête schon einmal modern. Die anhaltende Zunahme der chronischen Erkrankungen aber bedeutet, dass ein psychosozialer medizinischer Ansatz heute ein erneut notwendiges und zukunftsträchtiges Arbeitsgebiet der Medizin darstellt.

Zu meiner Arbeitsmethode: Dieses Buch ist kein Original, aber auch kein Plagiat. Die Rehabilitation muss zwangsläufig vorhandenes und fundiertes Wissen integrieren und für die eigenen Zwecke und Ziele anpassen. Ich habe mich daher darum bemüht, als Quellengrundlagen v. a. leicht erreichbare und allgemein verfügbare Standardwerke zu verwenden. Nur in Einzelfällen habe ich auch Spezialliteratur verwendet.

Es ist mir ein Bedürfnis, meinen Mitarbeitern Dank zu sagen für ihre Unterstützung. Teile meiner Überlegungen habe ich in klinikinterne Fortbildungsveranstaltungen eingebracht und mit meinen Mitarbeitern kritisch diskutieren dürfen. Ich bin insbesondere den Oberärztinnen und Oberärzten der Klinik, meinem Stellvertreter Dr. Thomas Leitz, den Oberärztinnen und Oberärzten Dr. Astrid Werner, Dr. Martina Korthals Altes und Dr. Daniel Gerlach, sowie dem Leitenden Psychologen der Klinik Dipl.-Psych. Reinhard Weber zutiefst zu Dank verpflichtet. Aber auch die Fragen und Anregungen der ärztlichen und psychologischen Assistentinnen und Assistenten, der Bewegungs- und der Kunsttherapeuten, der Pflegenden und der Sozialarbeiter haben mir geholfen, meine Positionen zu reflektieren und zu klären.

Die Geschäftsführung der Klinik, zunächst Achim Schäfer und später Robert Zucker, die Kollegen Dr. Christa Bongarth und Dr. Thomas Gottfried und ihre Vorgänger Prof. Dr. Gernot Klein, Prof. Dr. Bernhard Schwaab und Prof. Dr. Wolfgang Beyer haben mich immer ebenfalls dankenswerter Weise wohlwollend unterstützt.

Die Geschäftsführung der Deutschen Rentenversicherung Bayern Süd in den Personen der Direktorinnen und Direktoren Egon Mahn, Manfred Burmeister, Elisabeth Häusler und Gerhard Witthöft sowie dem Leiter der Abteilung Kliniken Michael Zellner ebenso wie der Aufsichtsrat der Klinik Höhenried gGmbH mit ihren alternierenden Vorsitzenden Dr. Rainer Will und Fritz Schösser, Hubertus Räde und Klaus Pauli, Dr. Claudia Wöhler und Christiane Berger sowie Ivor Pavarnov und Dr. Verena di Pasquale waren immer für meine Anliegen aufgeschlossen. Auch ihnen gilt mein herzlicher Dank. Schließlich habe ich von Kolleginnen und Kollegen sowie Studentinnen der Hochschule München vieles lernen dürfen. Stellvertretend seien hier Dipl.-Soz.Päd. Magdalena Hahn-Ritzkat, Astrid Orban, B. A., und Prof. Dr. Peter Buttner genannt.

Von den Kollegen, die mich seit vielen Jahren beruflich begleiten und denen ich viel zu verdanken habe, möchte ich an dieser Stelle Prof. Dr. Peter Buchheim, Tutzing, Prof. Dr. Hans Lauter, München, dem leider kürzlich verstorbenen Prof. Dr. Michael von Rad, München, Prof. Dr. Otto F. Kernberg, New York, Prof. Flora von Spreti, München, Prof. Dr. Hans Förstl und Prof. Dr. Peter Henningsen, München, Prof. Dr. Thomas Löw, Regensburg, sowie besonders alle meine Kolleginnen und Kollegen des TFP-Instituts in München (Dipl.-Psych. Brigitte Blanke, Prof. Dr. Susanne Hörz-Sagstetter, Dipl.-Psych. Petra Holler, Dr. Mathias Lohmer, Dr. Michael Rentrop, Dr. Agnes Schneider-Heine, Anne Seybold) nennen.

Der Mut und die unendliche Geduld des Kohlhammer Verlags haben dieses Buch erst möglich gemacht, und ich hoffe daher, dass es den Erfolg haben wird, den der Verlag ihm zugedacht hat. Herr Dr. Ruprecht Poensgen und im Schlussspurt Frau Anita Brutler waren immer für mich zu sprechen und stets freundliche »Antreiber«. Frau Margita Degenheit danke ich für einige umfangreiche Schreibarbeiten.

Besonders aber hat mich das Schicksal der Patienten und Versicherten in unserer Klinik immer wieder beschäftigt und dabei angespornt, nach Möglichkeiten zu suchen, ihre Betroffenheit und Bedürfnisse sinnvoll aufzunehmen und ihre Ressourcen und Rehabilitationsmöglichkeiten nachhaltig zu fördern. Deshalb gilt ihnen mein Respekt und Dank. Um sie zu schützen, habe ich die im Buch geschilderten Fallgeschichten unter Aufrechterhaltung der klinischen Aussagen durch Veränderung der Fakten so abgewandelt, dass eine konkrete Identifizierung einer Person nicht möglich ist.

Aus Gründen der Lesbarkeit bin ich oft im männlichen Sprachgebrauch geblieben, auch wenn Frauen und Männer gemeint sind; dafür bitte ich v. a. die Leserinnen um Verständnis.

Bernried, im Oktober 2014

Philipp Martius

1         Grundlagen

1.1        Psychosoziale Perspektiven: das biopsychosoziale Modell und chronische Krankheit

Die Rentenversicherung als Träger der medizinischen Rehabilitation verpflichtet sich in ihrem Ansatz einer biopsychosozialen Medizin in Anlehnung an die ICF-Klassifikation (DIMDI 2010, Schuntermann 2008). Dieser Ansatz leitet sich aus dem bekannten umfassenden Gesundheitsbegriff der WHO (1948) ab, der Gesundheit mit »vollkommenem körperlichem, seelisch-geistigem und sozialem Wohlbefinden« gleich setzt. Es ist kritisch anzumerken, dass dieses Konzept gewissermaßen wohlfeil und damit wieder unverbindlich ist. Unter diesen Rettungsschirm passt jeder! Das heißt aber noch lange nicht, dass dadurch eine bessere Medizin oder Rehabilitation geschieht.

Was ist also dann das Machbare und was das Wünschenswerte an diesem Modell?

Bio: Der Anspruch auf eine biologische Begründung der Medizin bezieht sich auf die medizinisch-naturwissenschaftlichen Kompetenzen. Durch die strikte medizinische Ausrichtung der Rehabilitation ist dieser Bereich hinreichend abgedeckt. Die Strukturvorgaben der Rentenversicherung (Bernhard 2008) sehen z. B. fachärztliche Standards in der Leitung und Bemessungsgrundlagen für Ärzte (wie für Psychologen, künstlerische und Bewegungstherapeuten sowie Pflege) vor. Außerdem muss bald nach Aufnahme eine frühzeitige Sicht der Versicherten durch einen Facharzt erfolgen. Die medizinische Versorgung soll auf hohem Niveau gesichert werden. Gleichzeitig haben Rehabilitations-Einrichtungen enge Grenzen bezüglich einer umfassenden Diagnostik oder medizinischen Therapie. Insofern wird die biologisch-medizinische Kompetenz auch dafür benötigt, die Grenzen des Reha-Settings für eine medizinische Behandlungsbedürftigkeit von klinischen Störungen rechtzeitig festzustellen.

Psycho: Der Einsatz psychologischer Behandlungsmethoden definiert die Psychosomatik und rechtfertigt damit die Wortwahl. Im Rahmen dieses Buches kann die aktuelle Psychotherapie-Debatte über die Wirkung allgemeiner und/oder spezifischer Faktoren nicht nachgezeichnet werden. Auf entsprechende Literatur wie Wampolds spannende »Great Psychotherapy Debate« (2001) wird verwiesen. Definitiv hat sich in den Reha-Kliniken eine hoch kompetente und auf den eigenen Arbeitsbereich spezialisierte psychotherapeutische Kompetenz entwickelt. Kritisch ist anzumerken, dass die eingesetzten Psychotherapie-Verfahren unter Reha-Bedingungen bisher nur rudimentär evaluiert worden sind (z. B. Arbeitskonflikt-bezogene Psychotherapie: Hillert, Koch und Edlund 2007). Vergleichsstudien oder randomisierte klinische Studien als methodischer Goldstandard fehlen. So sind zwar die großen Psychotherapieschulen in der Rehabilitation vertreten, aber ihre kontextbezogene Wirksamkeit müssen wir erst noch nachweisen. Die qualitätssichernden Maßnahmen der Rentenversicherung helfen dabei nicht, weil sie nur die Erfüllung der Strukturen, nicht aber die Umsetzung der Inhalte belegen. Hier wäre zu wünschen, dass die Rentenversicherung als Träger und Motor der Rehabilitationswissenschaften mehr steuernde Funktionen übernimmt. Als Charakteristika der Reha-spezifischen Konzepte könnte man ohne Anspruch auf Vollständigkeit nennen:

•  Kompetenz im Einsatz psychotherapeutischer Techniken bei bildungs- und psychotherapiefernen Schichten und im Umgang mit primär nicht introspektions- und verbalisierungsfähigen oder -willigen Patienten: Menschen, die mit ihren persönlichen Voraussetzungen und Herausforderungen in keiner psychosomatischen Akutklinik aufgenommen würden;

•  die Ausrichtung auf die Arbeitswelt und die Integration der sozialmedizinischen Perspektive in den psychotherapeutischen Prozess;

•  indikative Gruppenkonzepte, die sowohl störungsspezifisch als auch bezogen auf berufliche Herausforderungen entwickelt wurden;

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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