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Ein leeres Grab im Tal der Könige, Papyrusfunde und die Legende über einen Fluch - mehr hat der junge Ägyptologe nicht als Grundlage für seine Suche nach dem Wesir Ptahotep. Aus alten und neuen Quellen versucht er, die Wanderung der verschollenen Mumie zu rekonstruieren. Erst Jahrzehnte später findet er unverhofft einen Hinweis auf Ptahoteps allerletzte Ruhestätte.
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Seitenzahl: 63
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Petra Hartmann
Ptahotep
Novelle aus den Notizen eines Ägyptologen
Dieses ebook wurde erstellt bei
Inhaltsverzeichnis
Titel
Ptahotep
Späte Nachschrift
Die Autorin
Impressum neobooks
I.
Vieles, Gutes wie Schlechtes, Erwartetes und Überraschendes, entsteigt den Menschen aus dem Meere. Auf und nieder fluten die Wellen im endlosen Wechsel des Mondes, kriechen hinauf auf das Land, bringen und nehmen mit sich fort. Auch der Fluss hat seine Zeiten. Im Frühjahr überflutet er beide Ufer der Welt, bringt fruchtbaren Nilschlamm mit sich für die Felder und erweckt die Wüste zum Leben, heute noch wie vor Jahrtausenden.
Und heute noch wie vor Jahrtausenden halten die löwenleibigen Sphinxen Wacht vor den Grabmalen der alten Könige, die dort an den Ufern des Flusses ihr ewiges, mumienhaftes Leben verträumen. Manchmal, in den warmen, südlichen Nächten, wenn die Mondsichel wie eine silberne Himmelsbarke durch das Sternenmeer gleitet, erzählen sie sich geheime Geschichten aus den alten Zeiten Ägyptens. Doch da sich heutzutage niemand mehr auf die verlorene Sprache der Sphinxen versteht, müssen wohl auch die meisten der ägyptischen Geschichten als verloren, auf ewige Zeiten verschollen gelten. In einigen wenigen, seltenen Fällen nur haben die Löwenleibigen Mitleid mit den rätselsuchenden Menschen und geben einen Teil ihres Wissens preis.
Die Geschichte des Wesirs Ptahotep ist ein solches Geschenk der Sphinxen. Was ich über ihn und sein seltsames Schicksal aus alten und neueren Dokumenten erfahren konnte, ist hier zusammengetragen und zum Teil erstmals in deutscher Sprache zugänglich gemacht. Die Geschichte hat sich aber folgendermaßen zugetragen:
II.
Im dritten Jahr der Herrschaft des Pharao Ramses war der Weise Ptahotep zum Wesir ernannt worden, und die Quellen berichten übereinstimmend, er habe das Land mit Umsicht und Gerechtigkeit verwaltet. Auch wird er als ein Muster an Ruhe und Selbstbeherrschung geschildert, und es heißt, nur ein einziges Mal in seiner langjährigen Amtszeit habe den Wesir der Zorn übermannt, als er über einen dreisten und durchaus gottlosen Menschen zu Gericht saß. Das Urteil aber sei ein vollkommen gerechtes und der Schwere des Vergehens angemessenes gewesen. Ein Protokoll dieser Gerichtsverhandlung wurde in Theben gefunden und befindet sich heute im Britischen National Museum in London.
An jenem Tag hatte Ptahotep bereits einige Stunden lang Recht gesprochen, und die Sonne brannte unbarmherzig heiß auf den Richter und die Gerichtsdiener nieder, obwohl man durch helle Zeltbahnen und die ewig auf und niederwiegenden Palmfächer den Gerichtsplatz ein wenig kühler zu halten suchte als die Umgebung. Eben hatte der Richter einen sehr komplizierten Erbschaftsstreit zur allgemeinen Zufriedenheit gelöst, und das Gericht wollte gerade auseinandergehen, als sich unter den Zuschauern ein unwilliges Gemurmel erhob. Die Unruhe in der Menge wurde größer, und nun sah auch der Richter Ptahotep, wie sich einige bewaffnete Wachleute durch die Menschenansammlung zu ihm herandrängten. Während zwei der Wachen einen gefesselten jungen Ägypter herbeiführten und ihn vor dem Richter niederwarfen, trat der Hauptmann zu Ptahotep heran und überreichte ihm mit einer ehrfürchtigen Verbeugung ein Papyrusblatt mit der Anklageschrift.
„Herr“, sagte er, „dieser Mann wurde soeben auf frischer Tat gefasst. Meine Männer und ich können alles bezeugen, was in dieser Schrift steht, ich selbst habe sie dem Schreiber diktiert.“
Ptahotep, der schon als Kind sowohl lesen als auch schreiben gelernt hatte, überflog die Hieroglyphen mit den Augen, und seine Nasenflügel bebten vor Zorn, als er las, welches ungeheuerliche Verbrechen man diesem Gefangenen zur Last legte. So groß war seine Erregung, dass er nicht, wie allgemein üblich, das Blatt zur öffentlichen Verlesung an seinen Sekretär weiterreichte, sondern selbst seine Stimme erhob:
„Sechmet der Steinmetzlehrling“, las er laut, „ist von den Wächtern der Totenstadt gefasst worden, als er dabei war, das Grab des Tutmosis zu plündern.“ Schreie der Empörung wurden laut. „Er hat mehrere Schmuckstücke an sich genommen sowie einen goldenen und mit Juwelen besetzten Sphinx. Doch damit nicht genug des Frevels. Nachdem er dies alles genommen hatte, öffnete er den Sarkophag des Pharaos und schnitt die Binden der Mumie auf, um ein kostbares Amulett zu rauben, das man dem Herrscher auf die Brust gelegt hatte. Als man ihn ergriff, war es schon zu spät, der Körper des Tutmosis ist bereits unwiederbringlich zerstört.“
Heulen und Wutschreie hatten die Verlesung der Anklageschrift begleitet. Doch als Ptahotep den letzten Satz gelesen hatte, herrschte Stille. Erschüttert standen die Menschen vor ihm, und niemand brachte auch nur ein Wort über die Lippen. Wenn die Seele des Pharao zurückkehrte, würde sein Leib verschwunden sein. Zerstört, unwiederbringlich verloren. Und sein Geist hat keine Stätte mehr unter den Sternen, zerfließt im endlosen Nichts der Ewigkeit, heimatlos, unbehaust. Der Pharao war getötet worden.
Während der Hauptmann der Wache seine Aussage machte, schaute der Angeklagte dem Wesir mit dreistem Blick ins Gesicht. Da kam auch schon unter Klagegesängen von der Totenstadt her der Zug der Priester herangezogen, die mit sich die geschändete Leiche des einstigen Herrschers führten. Diener sprengten Wasser und streuten Blumen, die Füße der heiligen Männer, die die Mumie herbeitrugen, sollten nichts Unreines, Ungeweihtes berühren.
„Hier bringen wir den Leib unseres großen Pharao Tutmosis“, verkündete der Oberpriester, als man die mit einem Leintuch bedeckte Mumie vor dem Richter niedergelegt hatte. „Diese Wunden sprechen lauter als jeder lebende Ankläger es könnte. Hebe das Tuch auf, o weiser Ptahotep, und sieh! Das ewige Leben des Tutmosis ist ausgelöscht, und dort steht sein Mörder. Siehe und sprich Recht, großer Wesir.“
Und Ptahotep trat heran und hob den Zipfel des Leintuchs auf. Entsetzt fuhr er zurück, als er die verstümmelten Überreste des ehemaligen Herrschers erblickte. Die Goldmaske, die die Gesichtszüge des Toten in alle Ewigkeit hätte bewahren sollen, war brutal heruntergerissen worden, und mit ihr Teile der Nase und der Wangen. Die aufgeschnittenen Mumienbinden hingen lose herab, wie verhöhnend grinste ihm der offene Brustkorb entgegen. Es war nur noch eine Frage weniger Stunden, wann der Leib des Pharao vollständig zu Staub zerfallen sein würde.
Ptahotep taumelte und ließ das Tuch herabsinken. Er wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn. Wahrhaftig, niemals wieder würden Seele und Persönlichkeit des großen Pharao in diesen zerstörten Leib zurückkehren können. Und noch immer lag eine Totenstille über dem Gerichtsplatz. An diesem Tage wurde der Wesir sich zum ersten Male seiner eigenen Vergänglichkeit bewusst, und mit ihm alle umstehenden Ägypter. Nur der Angeklagte schaute weiterhin dreist und frech ins Gesicht des Richters. Er hatte sein Leben verwirkt, und er wusste es.
„Und du, Sechmet der Steinmetzlehrling, der du allein von der Schwere deiner Tat nicht angerührt scheinst“, wandte sich endlich nach langem Schweigen der Wesir an den jungen Ägypter, „wie willst du dich rechtfertigen vor deinem Richter und vor den unsterblichen Göttern? Oder willst du etwa leugnen, dass dies alles dein Werk ist?“