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Kinder werden heute schneller "groß" als noch vor einer Generation. Die ersten dunklen Wolken des heraufziehenden Sturms Pubertät können sich schon bemerkbar machen, wenn die Kinder gerade mal im zweiten Schuljahr sind. Das Alter zwischen 9 und 13 gilt als die "übersehenen Jahre" – Zeiten, in denen Kinder noch als pflegeleicht gelten und keine allzu großen Erziehungsbemühungen herausfordern. Hatten wir gedacht. Für Kinder sind diese "Lückenjahre" eine herausfordernde Zeit. Denn sie bewegen sich in einem Zwischenland zwischen der Geborgenheit der Kindheit und der verlockenden, aber auch verunsichernden Welt der Heranwachsenden. Unvorhergesehene Stimmungsausraster oder Zickigkeiten können da schon mal vorkommen. Handystress, Mobbing in der Schule, Diskussionen über Outfit und Freizeitaktivitäten … Das kann auch Eltern verunsichern. Wie können Sie als Eltern Ihr Kind in dieser herausfordernden Zeit verstehen und gut begleiten? Wie können Sie Gelassenheit bewahren, auch wenn schon mal die Fetzen fliegen oder Ihr Kind sich vor Ihnen verschließt? Dieses Buch setzt auf den Beziehungsfaktor. Und verrät, wie Sie Ihrem Kind die nötige Geborgenheit und die nötige Freiheit geben, damit es den Übergang ins Jugendalter selbstbewusst meistert.
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Seitenzahl: 299
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Claudia und David Arp
Pubertät in Sicht
So begleiten Sie Ihr Kind zwischen 9 und 13
Deutsch von Renate Hübsch
Englischer Originaltitel: Getting Ready for the Cactus Years
Copyright © 2017 by Claudia und David Arp.
Alle Rechte vorbehalten.
© 2017 Brunnen Verlag Gießen
Umschlagfoto: mauritius images/Image Source/Christine Schneider
Umschlaggestaltung: Jonathan Maul
Satz: Uhl + Massopust, Aalen
ISBN Buch 978-3-7655-0983-4
ISBN E-Book 978-3-7655-7484-9www.brunnen-verlag.de
Stimmen zum Buch
Was für ein wichtiges Buch! Hier finden Eltern umsetzbare Antworten auf die großen Herausforderungen für ihre Kinder unmittelbar vor der Pubertät: Handys und Computer, Selbstannahme, Schule und Gruppendruck, Freundschaften, Werte und Überzeugungen.
Die Autoren sind Praktiker, das merkt man auf jeder Seite. Und sie setzen nicht nur auf ihre Erfahrung, sondern haben ihre praxisnahen Tipps wissenschaftlich abgesichert. Das Buch schließt eine klaffende Lücke bei den Erziehungsratgebern – und das mit genialen Inhalten.
Susanne & Marcus Mockler,
Paar- und Familienberaterin
Journalist und Kommunikationstrainer
Eltern von acht Kindern
Mit viel Fingerspitzengefühl haben die bekannten Autoren von „Und plötzlich sind sie 13“ und „Mit dem Kopf durch die Wand“ eine wichtige zeitliche Lücke in der Erziehungsthematik geschlossen. In ihrem neuen Buch „Pubertät in Sicht“ geben sie uns Eltern konkrete und praktische Hilfestellung, um vorbereitet zu sein auf das, was unweigerlich kommt: die Pubertät! Und das geschieht heutzutage sehr oft früher als erwartet. Um schmerzlichen Überraschungen vorzubeugen, führen uns David und Claudia Arp in diese Umbruchphase ein, damit wir unsere Kinder gut und altersgerecht begleiten können. Ein wirklich wichtiges Buch für alle Eltern!
Francine Smalley
Lic. theol., Mentorin, Coach
Mutter von drei Kindern
Claudia und David Arp ist ein leicht lesbares Basisbuch für Eltern gelungen. Mit fundiertem Wissen und jeder Menge anschaulicher und ermutigender Beispiele zeigen sie, was Pre-Teens und auch was Eltern heute brauchen, damit die Beziehung stark bleibt – trotz notwendiger Selbstständigkeit und Ablösung. Mit viel Extra-Wissen über den Umgang mit den neuen Medien! Man hört nicht auf zu lesen … Ein Elternbuch, das es so bisher nicht gab!
Friederike Klenk
Referentin, Seelsorgerin, Pädagogin, Mentorin
In vielen Fällen muss man nicht warten, bis es zu einer schweren Beziehungskrise kommt. Man kann vorbeugen oder die frühe Krise als Familie entschärfen. Die Arps sind bewährte Meister in dieser Art der Präventionsarbeit und ihr neues praktisches Buch wird sicher von betroffenen Eltern gerne gelesen werden
Dr. Arne Hofmann
Arzt für psychosomatische Medizin und Psychotherapie
Leiter des EMDR-Instituts Deuschland
Inhalt
Stimmen zum Buch
Ein paar Worte zuvor von Claudia und David
Kapitel 1 Die „Lücke“ vor der Pubertät
Teil 1: Auf dem Weg zur Pubertät
Kapitel 2 Was Sie wissen müssen, bevor die Pubertät zuschlägt
Kapitel 3 Mädchen sind Mädchen und Jungs sind Jungs
Kapitel 4 Jedes Kind ist anders
Kapitel 5 Ein Blick auf die Eltern
Teil 2: Beziehungsstrategien für die Pre-Teen-Zeit
Kapitel 6 Wie Sie reden müssen, damit Ihr Kind zuhört
Kapitel 7 Machtkämpfe vermeiden – verhandeln lernen
Kapitel 8 Wie geht’s in der Schule weiter?
Kapitel 9 Freunde, Gruppendruck, Mobbing (und andere verstörende Dinge)
Kapitel 10 Die digitale Welt und ihre Gefahren
Kapitel 11 Werte, Überzeugungen und Entscheidungen
Teil 3: Sechs Gespräche, die Sie jetzt führen sollten
Talk 1: Du veränderst dich
Talk 2: Schule und so weiter
Talk 3: Freunde und andere Zeitgenossen
Talk 4: Smartphones, Tablets und die digitale Welt
Talk 5: Was soll in deinem Leben wichtig sein?
Bonus Talk 6: Countdown in die Teenie-Zeit
Bonus-Kapitel Das „Teen Prep“-Projekt
Und noch ein Extra zum Schluss: Hilfreiche Strategien für die nächsten Jahre
Danksagung
Anmerkungen
Ein paar Worte zuvor von Claudia und David
Etwas verändert sich. Haben Sie es schon bemerkt? Kinder werden heute schneller groß als in früheren Generationen. Und die Welt, in der sie leben, ist eine ganz andere als die, die Kindern noch vor zehn Jahren vertraut war. Kinder aufzuziehen war noch nie einfach. Aber in der Welt von heute mit ihrem Dauerstress und der Fülle an technischen Möglichkeiten wird das Elternsein regelrecht zu einer Herausforderung.
Wir begleiten und unterstützen Eltern nun seit vielen Jahren. Unser Buch Und plötzlich sind sie 13 oder Die Kunst, einen Kaktus zu umarmen hat sich zum etablierten Ratgeber entwickelt, der Eltern hilft, sich auf die stacheligen Teenagerjahre vorzubereiten und ihre Kinder gut durch die schwierige Pubertätszeit zu begleiten. Das „Kaktusbuch“ hat zahllosen Eltern, die ihren Teenager-Kaktus umarmen möchten, wertvolle Hinweise gegeben, wie die Pubertät für alle Beteiligten gut zu überstehen ist. Aber Eltern von jüngeren Kindern, bei denen sich die Pubertät erst langsam ankündigt, wollen wissen, wie sie ihr Kind gut auf die anstehenden Veränderungen vorbereiten können, bevor es Stacheln entwickelt. Für sie ist dieses Buch geschrieben. Es ist ein Wegweiser, der Eltern und Kindern einen möglichst reibungsarmen Übergang in die Pubertät ermöglicht. Mit Pubertät in Sicht und Und plötzlich sind sie 13 sind Sie bestens gerüstet für die aufregenden, nervenzehrenden, abenteuerlichen, stacheligen, herzerwärmenden, kostbaren Jahre, die vor Ihnen und Ihrem Kind liegen.
Alles wird anders
Vielleicht sehen Sie gerade Licht am Ende des Tunnels und atmen erleichtert auf – bis Sie merken, dass es die Lichter des Zuges sind, der sich Pubertät nennt und direkt auf Sie zubraust! Damit stehen erhebliche Veränderungen ins Haus. Noch deuten sie sich nur an, aber manchmal sind die ersten Vorzeichen schon geeignet, düstere Befürchtungen im Blick auf die kommenden Jahre zu wecken. Dazu gibt es allerdings keinen Grund. Im Gegenteil: Jetzt ist die beste Zeit, eine gute Grundlage für die „Kaktusjahre“ zu legen. Noch sind Sie sozusagen im Auge des Sturms, der mit der Pubertät hereinbrechen wird, und da herrscht relative Ruhe. Nutzen Sie diese Zeit, um sich auf die Teenagerjahre vorzubereiten. Das kann man kaum früh genug tun. Die Vorpubertät beginnt heute schon mit acht oder neun Jahren.
Auf den folgenden Seiten berichten wir von unseren eigenen Erfahrungen. Viele Eltern, die heute Teenager oder Kinder in der Vorpubertät haben, kommen zu Wort. Sie finden Informationen und Hinweise von Pädagogen, die mit Eltern von Kindern im entsprechenden Alter arbeiten. Wir stellen Ihnen Möglichkeiten vor, wie Sie über schwierige, aber wichtige Themen mit Ihrem Kind ins Gespräch kommen können. Kurz: Sie erhalten die nötigen Werkzeuge, um Ihr Kind gut auf die wichtige Lebensphase Pubertät vorzubereiten.
Und nun blättern Sie weiter und erfahren Sie, warum wir die Jahre zwischen neun und zwölf die „Vorkaktuszeit“ oder auch die „Lückenjahre“ nennen.
Claudia & David Arp
Kapitel 1 Die „Lücke“ vor der Pubertät
In der Welt von heute endet die „goldene Kindheit“ allem Anschein nach immer früher. Gerade noch war Ihr Kind ein richtiger Wonneproppen, aber bevor Sie sich versehen, ist die unbeschwerte Kinderzeit vorbei. Ihr Kind ist zwar noch kein Teenie, aber ein Kind ist es auch nicht mehr. Es hat das Niemandsland erreicht, in dem es für den Spielplatz oder den Hort zu alt ist, aber für die Jugendgruppe oder den Jugendklub noch zu jung. Dieses Niemandsland kann schon mit neun Jahren beginnen und bis zum zwölften Lebensjahr dauern. Kinder in diesem Alter werden auch „Lückekinder“ genannt – sie sind „nicht mehr“ ganz Kind und „noch nicht“ Jugendliche. In gewisser Weise sind sie eine übersehene Gruppe. Zur Erziehung von Kleinkindern gibt es reichlich Literatur, ebenso zum Thema Pubertät. Aber die Zeit dazwischen wird in der pädagogischen Literatur vernachlässigt. Dabei ist gerade sie eine wichtige und entscheidende Übergangszeit, in der die Weichen dafür gestellt werden, wie Ihr Kind (und Sie) die Adoleszenzjahre (die Kaktuszeit) erleben werden. Dieses Buch hilft Ihnen, sich selbst und Ihr Kind auf diesen Übergang so vorzubereiten, dass alle Beteiligten die Herausforderungen der Pubertät erfolgreich bestehen.
Warum Eltern Hilfe brauchen
In den letzten zehn bis fünfzehn Jahren hat sich unsere Welt auf eine Weise verändert, die die „Lückenjahre“ zu einer schwierigeren Zeit machen. Die Allgegenwart von sozialen Medien ist dafür nur ein augenfälliges Beispiel. Wo Kinder dieses Alters früher Kinder-CDs auf dem CD-Player im Wohnzimmer gehört haben, laufen sie heute mit Smartphone und Ohrstöpseln herum, hören Rap mit gewaltverherrlichenden oder sexuell anzüglichen Texten oder sehen entsprechende Videos auf YouTube. Statt sich mit gleichaltrigen Freunden zu treffen, sind sie bei Facebook, Twitter, Snapchat oder anderweitig im Internet unterwegs und damit der Gefahr ausgesetzt, Opfer von Cybermobbing zu werden.
Mobbing und Gruppendruck sind in diesem Alter nicht selten auch in der Schule ein Problem. Mit dem Ende der Grundschulzeit wächst auch der schulische Druck, wenn die Empfehlung fürs Gymnasium erreicht werden muss. Und auch mit Drogen und Alkohol machen Kinder immer früher Bekanntschaft. Kein Wunder, dass Eltern nervös werden.
Was ist nur aus meiner unbeschwerten, hilfsbereiten Tochter geworden? Plötzlich entwickelt sie sich zur Dramaqueen – sie ist launisch, hört nicht auf mich und stellt alles infrage!
Wer ist dieser Alien im Körper meines Sohnes? Mit zehn war er so leicht lenkbar und wirklich geschickt. Aber seit Neuestem ist er unordentlich, unbeholfen und wenn ich ihn vom Fußballtraining abhole, benimmt er sich, als wüsste er nicht, wer ich bin – es könnte ihn ja jemand mit seiner Mutter sehen!*
Vielleicht sprechen diese Eltern Ihnen aus der Seele. Vielleicht ist Ihre 10-jährige Tochter aber auch wonnig und unkompliziert oder der 11-jährige Sohn ein absolut pflegeleichter Sonnenschein. Veränderungen? Bei meinem Kind? Vielleicht gibt es sie nicht. Oder noch nicht. Die anstrengenden Kleinkinderjahre sind vorbei und Sie genießen Ihre derzeit pflegeleichten Sprösslinge, die Jahre, in denen es Freude macht, Mutter bzw. Vater zu sein. Die Sturmwolken der Pubertät sind am Horizont noch kaum zu erkennen. Und natürlich gibt es auch Kinder, auf die das Bild vom Kaktus nicht zutrifft – Kinder, die sensibel und gewissenhaft sind, Kinder mit verborgenen Ängsten oder solche, die bereits in diesem Alter überfordert sind – nicht selten von den zunehmenden schulischen Anforderungen. Aber auch sie sind auf dem Weg in die Adoleszenz.
Wenn das Ihre Situation ist, legen Sie das Buch trotzdem nicht aus der Hand. Jetzt, in den Lückejahren, ist die Zeit, um Ihr Kind auf die Pubertät vorzubereiten – jetzt, wo Ihr Kind noch auf Sie hört und Sie akzeptiert. Jetzt ist die Zeit, in die Beziehung zu Ihrem Kind zu investieren. Denn die Beziehung entscheidet maßgeblich darüber, wie Ihr Kind die Pubertätsjahre erleben wird – und Sie ebenfalls.
Wie die „Kaktusjahre“ aussehen, wird sehr davon abhängen, wie offen und stabil die Beziehung zu Ihrem Kind sich in den Jahren davor gestaltet. Stellen Sie sich allmählich darauf ein, dass Ihre Aufgabe sich ändert. Bisher haben Sie Ihrem Kind Anweisungen gegeben. Sie hatten das Sagen. Diese Rolle muss sich wandeln. Vom „Kommandeur“ werden Sie mehr und mehr zum Berater und Vertrauten Ihres Kindes. Wie können Sie gegenseitigen Respekt und eine Haltung des Miteinanders in der Beziehung zu Ihrem Kind verankern? Wie gelingt es, die Klippen in der Kommunikation zu umschiffen und das Gespräch zwischen Ihnen und Ihrem Kind nicht abreißen zu lassen? Wir möchten Ihnen Wege zeigen, wie das gelingen kann.
Die herannahende Pubertät kann Sie ziemlich fordern. Aber die Lückenjahre können auch sehr viel Positives beinhalten. Eine Mutter, die Kinder zwischen neun und sechzehn hat, hat es so erlebt:
Meiner Erfahrung nach wird es in den Teenagerjahren schwieriger – Gefühlsausbrüche, aberwitzige endlose Diskussionen und ein astronomisches Maß an Aufsässigkeit! Wirklich nicht einfach! Aber es ist auch eine besondere Zeit. Ich genieße meine Teenager ebenso wie die jüngeren Kinder. Sie können witzig und scharfsinnig sein. Und unsere Gespräche gewinnen an Tiefe. Das schweißt uns enger zusammen.
Sie entwickeln mehr Mitgefühl für andere (obwohl sie natürlich auch egoistisch sein können und obwohl es da dieses „unsichtbare Publikum“ gibt, von dem sie sich auf Schritt und Tritt beobachtet glauben). Aber wir können auch zusammen herumalbern. Und sie haben alle einen ganz eigenen Sinn für Humor. Es ist eine ganz besondere Freude, mitzuerleben, wie jedes meiner Kinder sich zu einer ganz eigenständigen Persönlichkeit entwickelt. Sie strengen sich mehr an als früher (nicht unbedingt aus eigenem Antrieb – aber sie können es und sie tun es) und sie helfen mehr mit.
Natürlich ist nicht alles rosig. Manchmal sind sie wie Geier, die nur darauf lauern, dass ich etwas tue, was dem, was ich sage, widerspricht. Das macht mich rasend. Das Lieblingswort meiner 12-jährigen Tochter ist derzeit „scheinheilig“, dicht gefolgt von: „Das ist nicht fair!“
Aber offen gestanden möchte ich es gar nicht anders haben. Ich will ja nicht, dass sie Kopien von mir werden. Und wenn sie eigenständige Persönlichkeiten werden sollen, müssen sie ihre wachsende Urteilsfähigkeit auch ausprobieren dürfen, selbst wenn sie sie dazu verwenden, alles, was ich sage, infrage zu stellen. Schon meine 10-Jährige ist darin Expertin. Aber es ist für sie sehr wichtig, dass ich jede kleine Meinungsverschiedenheit, die wir haben, mit ihr ausdiskutiere – sie möchte nur, dass man ihr zuhört und sie versteht.
Natürlich gibt es Grenzen, wie weit sie gehen dürfen, und sie testen diese Grenzen ständig neu aus. Aber ich würde sagen, etwa die Hälfte der Zeit kommen wir gut miteinander aus, 25 Prozent geht mit Diskussionen drauf und das restliche Viertel verziehen sie sich maulend in ihr Zimmer oder wollen einfach in Ruhe gelassen werden.
Tja, die Freuden (und der Frust) der Pubertät! Stellen Sie sich darauf ein: Es wird etliche Kämpfe geben – aber auch oft genug wirklich gute Zeiten.
Und los geht’s!
Auf den folgenden Seiten teilen wir unsere eigenen Erfahrungen als Eltern von (inzwischen erwachsenen) Kindern mit Ihnen. Aber auch Eltern, die heute Kinder in der Vorpubertät haben, kommen zu Wort, außerdem Pädagogen, die sich besonders mit den Herausforderungen der Adoleszenz auskennen. Gemeinsam werden wir aufzeigen, wie Sie die Pre-Teen-Jahre nutzen können, um Ihrem Kind eine gute Basis für eine möglichst unbelastete Pubertätszeit zu geben.
Jetzt, bevor nur noch die Hormone regieren, können Sie Ihrem Kind helfen, gute Entscheidungen im Blick auf die herausfordernde Zeit zu treffen, auf die es zugeht. Kinder zwischen acht und elf sind in der Regel wissbegierig – sie saugen alles auf, was sie an Neuem erfahren können. Sie sind auch in der Lage, eigene Entscheidungen zu treffen. Sie wollen von den Eltern ernst genommen werden und in der Regel reden sie gern über „Erwachsenensachen“. Jetzt ist der geeignete Zeitpunkt, um über ein paar schwierige Themen zu sprechen, die im Blick auf die Pubertät wichtig sind. Es hilft Ihrem Kind, wenn es versteht, welche Veränderungen bevorstehen und welche Herausforderungen die Teeniezeit mit sich bringen kann. Noch sind Ihre Kinder empfänglich für das, was die Eltern sagen – ganz sicher mehr als mitten im Sturm der Pubertät.
Der Weg in die Adoleszenz
Zunächst werden wir die einzelnen Phasen der Adoleszenz darstellen, beginnend mit der Vorpubertät. Je besser Sie selbst im Bilde sind, worauf Sie zugehen, umso besser können Sie Ihrem Kind helfen, gut und sicher durch die manchmal holperigen Pubertätsjahre zu kommen. Wir werden auch darauf eingehen, inwiefern diese Zeit sich für Jungen und Mädchen unterscheidet.
Anschließend werden wir uns mit unterschiedlichen Persönlichkeitstypen beschäftigen – im Blick auf Ihr Kind und auch auf Sie – und mit der Frage, wie das Ihre Beziehung beeinflusst. Sie werden Gelegenheit haben, sich Ihren Erziehungsstil genau anzusehen und eventuell daran etwas zu verändern.
Beziehungsbausteine für die Pre-Teen-Zeit
Wie können Sie die Beziehung zu Ihrem Kind stärken, das auf diese verrückte Lebensphase zugeht? Wie können Sie mitten in allen Veränderungen und Verunsicherungen den Familienzusammenhalt fördern und die Verbindung zu Ihrem Kind aufrechterhalten? Wir werden aufzeigen, wie Sie mit Konfliktsituationen umgehen können. Vielleicht müssen Sie ja nicht bei allem, was Ihnen wichtig ist, Ihren Standpunkt durchsetzen oder zum Frontalangriff übergehen. Vielleicht können Sie lernen, gut auszuwählen, wofür sich eine Auseinandersetzung lohnt, und an anderen Stellen fünf gerade sein zu lassen. Ihr Kind ist in einem Alter, in dem es instinktiv auf Konfrontationskurs geht, wenn Sie zu hartnäckig sind. Wir haben zum Beispiel Eltern erlebt, die aus Sorge, ihre Kinder könnten sich zu früh auf Sex einlassen, zu Totalüberwachern wurden, und das führte dazu, dass die Kinder gerade das taten, was die Eltern unbedingt verhindern wollten – nur um der elterlichen Kontrolle zu entkommen.
Gesellschaftliche Veränderungen verstehen
Wir werden uns ansehen, welchen Einfluss unsere Gesellschaft auf unsere Kinder hat, und dabei auch in die digitale Welt eintauchen, die sich rasant weiterentwickelt und fast täglich verwirrender und komplizierter wird. Die digitale Invasion hat drastischen Einfluss darauf, wie Jugendliche heute die Adoleszenz erleben. Je mehr Sie selbst wissen, umso besser können Sie Ihrem Kind helfen, in dieser digitalisierten Welt zu überleben.
Die digitale Welt bestimmt heute beispielsweise extrem stark das Selbstwertgefühl von Jugendlichen. Wie viele Freunde liken mein Profil bei Facebook, Instagram oder Snapchat? Wer whatsappt mit mir? Wer reagiert auf meine Posts? Wie können Sie Ihrem Kind bereits jetzt gute Leitlinien für den Umgang mit elektronischen Medien mitgeben, die ihm später helfen werden, gute Entscheidungen darüber zu treffen, wie viel Zeit und Raum es der digitalen Welt in seinem Leben einräumen will. Wenn Sie jetzt, im noch prägbaren Alter, klare Regeln für die Nutzung der modernen Medien etablieren, wird Ihr Kind später leichter verstehen, worum es Ihnen dabei geht, weil die Regeln bereits längere Zeit gelten. Und jüngere Geschwister gewöhnen sich von Anfang an daran, weil sie sehen, dass für die älteren bestimmte Richtlinien gelten und einzuhalten sind. Dann bedeuten Regeln für sie nicht mehr, dass Sie als Eltern kein Vertrauen haben; es geht dann einfach darum, sich an das zu halten, was in der Familie gilt.
Und dann die Schule, Freunde und das Problem von Mobbing und Gruppendruck. Wie können Sie Ihr Kind davor schützen? Je älter es wird, umso geringer wird Ihr Einfluss. Wie können Sie Ihrem Kind gute, tragfähige Werte und Orientierungsmaßstäbe vermitteln, die ihm helfen, verantwortungsbewusst zu handeln und gute Entscheidungen zu treffen? Ein Schlüssel zum Erfolg ist die Frage, wie Sie in kontrollierter Weise immer mehr Kontrolle abgeben können und Ihrem Kind auch Fehler zugestehen (oder zumuten), aus denen es lernen kann, solange die Konsequenzen noch harmlos sind.
Sechs Gespräche, die Sie führen sollten
Zu sechs wichtigen Themen werden wir Ihnen Gesprächsvorlagen anbieten. Sie wollen es Ihnen erleichtern, mit Ihrem Kind über die bevorstehenden Veränderungen so zu sprechen, dass es im Hinblick auf die nächsten Lebensjahre einige gute Richtlinien und Verhaltensweisen für sich findet und selbstbewusst in die Welt der Teenies aufbrechen kann.
Manche Kinder mögen es, wenn Sie sich ganz offiziell für „wichtige Gespräche“ verabreden. Bei anderen muss man die Gelegenheiten nutzen, die sich spontan bieten, um diese Themen anzusprechen. Wie auch immer Sie vorgehen, wichtig ist, dass Ihr Kind gute Entscheidungen trifft – aber vor allem, dass es seine eigenen Entscheidungen sind, nicht Ihre. Für Jugendliche ist es viel leichter, sich an Richtlinien zu halten, die sie selbst beschlossen haben, als an solche, die ihnen vorgegeben werden.
Am Ende dieser Gesprächsvorschläge haben wir noch ein wunderbares Extra für Sie. Für den Übergang von der Vorpubertät in die Pubertät haben wir in unserem „Kaktusbuch“ das „Teen Prep“-Projekt entwickelt. Es ist ein sehr praktischer Vorschlag, wie Sie Ihr Kind so auf die Pubertät vorbereiten können, dass es diesen Lebensabschnitt mit dem Gefühl beginnt, einen wichtigen Meilenstein im Leben schon gemeistert zu haben.
Wo finde ich sonst noch Unterstützung?
Im letzten Abschnitt des Buches geht es dann einmal nicht um Ihr Kind, sondern nur um Sie selbst. Wir möchten Sie ermutigen, sich ein Netzwerk zu schaffen, das Sie in Ihrer Aufgabe als Eltern unterstützt. Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, sich mit anderen Eltern zusammenzutun, Erfahrungen auszutauschen und sich gegenseitig zu unterstützen. Und auch dazu, gut für sich selbst zu sorgen. Sie brauchen Schlaf, Bewegung und eine gute Ernährung. Das nützt nicht nur Ihnen, sondern gibt auch Ihrem Kind ein gutes Beispiel.
* In den typografisch abgesetzten Texten kommen in diesem Buch Mütter und Väter von Pre-Teens mit ihren Erfahrungen zu Wort.
Teil 1: Auf dem Weg zur Pubertät
Kapitel 2 Was Sie wissen müssen, bevor die Pubertät zuschlägt
Mia, 11, meinte es todernst: „Wenn ich eine eigene Wohnung und eine Kreditkarte hätte, könnte ich allein leben. Ich brauche euch wirklich nicht mehr.“ Wir kannten Mia, seit sie ein Baby war. Was war mit diesem süßen, verschmusten Mädchen passiert, dass sie jetzt ihre Eltern loswerden wollte? Nichts Ungewöhnliches. Sie kommt allmählich in die Kaktusjahre. Mit Mama kuscheln? Brauche ich nicht mehr. Zum Glück ist Mia noch kein ausgewachsener Kaktus und ihrer Mutter bleibt noch ein wenig Zeit, sich ihren eigenen Spielplan zurechtzulegen und Mia auf die nahende Teenagerzeit vorzubereiten.
Wenn sich die ersten Anzeichen der nahenden Pubertät zeigen, müssen Eltern vor allem eines wissen: Kinder sind auf Unabhängigkeit programmiert. Das Kind hat die Aufgabe, sich von den Eltern zu lösen und eine eigenständige Persönlichkeit zu werden. Wir wollen ja nicht, dass sie mit 30 oder 35 immer noch im Keller wohnen und keinen Job haben, oder? Als Eltern haben wir die Aufgabe, die Kinder loszulassen und sie auf dem Weg in ihr eigenes Leben so zu begleiten, dass sie keinen Schaden nehmen. Eine Mutter klagte mir (Claudia) frustriert: „Ich habe das Gefühl, dass ich die Kontrolle verliere.“ Und ich habe ihr geantwortet: „Genauso ist es. Aber wie du das tust, hast du selbst in der Hand. Du musst dich darauf einstellen, was kommt, und dir überlegen, wie du anfangen kannst, deine Tochter loszulassen.“
Es ist wirklich eine paradoxe Situation: Wir müssen mehr und mehr Kontrolle abgeben, aber das sollten wir so kontrolliert wie möglich tun! Kein Wunder, dass Eltern gestresst sind. Wie findet man denn dieses Gleichgewicht zwischen zu viel Kontrolle und zu wenig Begleitung? Alle Eltern, die ihr Kind lieben, suchen eine Antwort auf diese Frage.
Wir haben eine Zeit lang in Inzlingen gelebt, einer Kleinstadt an der deutsch-schweizerischen Grenze. Freunde hatten uns für ein Wochenende eine Ferienwohnung in Engelberg zur Verfügung gestellt. Der Winter war lang und eisig gewesen, aber jetzt zeigten sich erste Anzeichen von Frühling. Wir freuten uns auf diesen Kurzurlaub und darauf, die ersten Frühlingssonnenstrahlen zu genießen. Wir beluden den Wagen mit Lebensmitteln, dem nötigen Krimskrams und unseren drei Söhnen und fuhren in die Schweizer Alpen.
Am ersten Morgen brachen wir alle fünf auf zu einer Tageswanderung. Die Kulisse war faszinierend. Majestätische, schneebedeckte Berge umgaben das enge Tal, durch das wir liefen. Der Weg schlängelte sich an einem Bergbach entlang. Die ersten Frühlingsblumen steckten die Köpfe aus dem tauenden Schnee. Nirgendwo plärrte ein Gettoblaster. Das Smartphone musste erst noch erfunden werden. Kein Lärm von Autos oder Eisenbahn, einfach paradiesische Stille. Nur unsere lebhaften Jungs konnte man natürlich hören. Es war einer dieser Bilderbuchmomente in unserer Familiengeschichte.
Dann geschah das Unwahrscheinliche. Wir hörten ein Grollen, etwas wie einen Donner. Aber es war kein Gewitter. Es war … eine Lawine. Im ersten Moment waren wir starr vor Schreck. Wir kannten genügend Geschichten von Lawinenunfällen in den Alpen. Aber es war das erste Mal, dass wir selbst einen erlebten. Dann schnappten wir unsere Jungs und kletterten in Höchstgeschwindigkeit den Berghang hinauf. Okay, nicht gerade die beste Idee, werden Sie sagen – wir würden nur früher und weiter oben unter den Schneemassen begraben werden. Aber wir mussten einfach etwas tun. Dann beobachteten wir höchst erleichtert, wie die Lawine auf der anderen Seite des Tals hinabdonnerte.
Kinder zu erziehen ähnelt dieser Lawinenerfahrung. Lange Zeit läuft alles reibungslos und man genießt die gemeinsame Wanderung, aber plötzlich bricht die Katastrophe los. Ihre Tochter hat nur noch Widerworte, schleudert Ihnen ins Gesicht, dass Sie ihr Leben ruinieren und endet mit: „Ich hasse dich!“ Oder Ihr Sohn schafft die Versetzung nicht oder Sie müssen feststellen, dass er im Internet auf Pornoseiten herumsurft. Wenn die Pubertät sich ankündigt, können Eltern leicht den Eindruck bekommen, dass auf allen Seiten Lawinen lauern, die nur darauf warten, sich auf sie zu stürzen.
Aber wir müssen nicht tatenlos warten, ob die nächste Lawine uns trifft. Von der Lawinenforschung können wir etwas lernen. Die Lawinenforscher beobachten die Wetterlage und erzeugen, wenn nötig, durch kleine kontrollierte Sprengungen überschaubare Lawinen, damit sich die Schneemassen gar nicht erst auf ein Level aufhäufen, das zu einem unkontrollierten Lawinenabgang führen könnte.
Als Eltern von vorpubertären Kindern haben wir eine ähnliche Aufgabe. Wir müssen Wege finden, unseren Kindern nach und nach immer mehr eigene Verantwortung zu geben, und wir müssen dafür sorgen, dass sie sicher und in die richtige Richtung unterwegs sind. Es leuchtet ein: Kinder, denen ein gewisses Maß an Unabhängigkeit und Freiheit zugestanden wird, werden sich weniger gedrängt fühlen, gegen die Eltern zu rebellieren. Überlegen Sie sich also: In welchen Bereichen kann ich meinem Kind Freiheit geben, damit es erlebt, dass es ein eigener Mensch ist, der selbst entscheiden kann und darin erfolgreich ist? Natürlich wird es auch Fehlschläge geben. Aber wenn es dabei nicht um Lebensentscheidendes geht, ist das eine wichtige Lernerfahrung. Scheitern kann etwas Gutes haben. Und es ist besser, jetzt aus kleinen Fehlern zu lernen als später aus großen. Jetzt, wenn die Kindheit zu Ende geht, können Sie Ihrem Kind helfen, gute Entscheidungen zu treffen – eine Fähigkeit, die für das ganze weitere Leben unentbehrlich ist.
Was Experten sagen
Erinnern Sie sich an das alte Sprichwort: Wenn sie klein sind, gib ihnen Wurzeln, wenn sie größer werden, gib ihnen Flügel. Will sagen: Geben Sie Ihrem Kind Schritt für Schritt immer mehr Verantwortung für das, was es tut. Und behalten Sie dabei eines im Blick: Ihr Kind muss immer wissen, dass es zu Hause immer sicher ist – egal, was passiert.
Die fünf Phasen der Adoleszenz
Dieses Buch befasst sich zwar im Wesentlichen nur mit der Vorpubertät. Dennoch ist es wichtig, einen Überblick über die gesamte Adoleszenz zu haben, um zu wissen, auf welche Herausforderungen wir unsere Kinder vorbereiten. Vier Aspekte dabei wollen wir näher betrachten, und zwar die körperliche, die emotionale, die geistige und die soziale Entwicklung während der Adoleszenz.
Altersstufe 8 bis 10 – Vorpubertät (bevor die Hormone verrücktspielen)
Das Alter zwischen acht und zehn ist meist eine ruhige Zeit, die Eltern genießen. Endlich haben Sie den Eindruck, Sie hätten die Sache mit der Erziehung jetzt im Griff. Die geistigen Fähigkeiten von Kindern in diesem Alter sind so weit entwickelt, dass sie logisch und konkret argumentieren können. Der Wissensdurst in diesem Alter ist sprichwörtlich; das kognitive Denken ist spürbar weiter entwickelt als bei jüngeren Kindern. Mädchen sind den Jungen in diesem Alter meist ein wenig voraus.
Bereits in diesem Alter kann die Hormonumstellung beginnen, die bei Mädchen meist einen Wachstumsschub auslöst. Bei Jungen erfolgt dieser in der Regel später. Die meisten Kinder in diesem Alter wollen sich selbst ausprobieren und orientieren sich an ihren Eltern – eine gute Zeit für Eltern, ihre Kinder in gelassener Atmosphäre auf die Pubertät vorzubereiten.
Altersstufe 10 bis 12 – Präadoleszenz (Lückenjahre)
Die Hormonumstellung macht sich deutlicher körperlich bemerkbar. Bei manchen Kindern geschieht die Veränderung scheinbar über Nacht, bei anderen vollzieht sie sich langsamer. Das körperliche Wachstum und die körperliche Entwicklung der einzelnen Kinder und auch zwischen Mädchen und Jungen sind extrem unterschiedlich und individuell.
Mädchen dieses Alters haben fast ihre endgültige Körper- und Schuhgröße erreicht, Jungen sehen oft noch aus wie Drittklässler. Mädchen wachsen in dieser Zeit am stärksten.
Altersstufe 12 bis 14 – Frühadoleszenz
In der Frühadoleszenz sollten Sie sich darauf gefasst machen, dass die Hormone verrücktspielen. Die Emotionen liegen blank. Besonders Mädchen können launisch und extrem empfindlich sein – schon die kleinste Unstimmigkeit verletzt sie. Jetzt wird für Mädchen das eigene Äußere wichtig. Jungen wachsen in dieser Zeit am stärksten – im Durchschnitt zehn Zentimeter im Jahr.
Das soziale Umfeld spielt eine enorm große Rolle, Gleichaltrige, Freunde und Mitschüler haben maßgeblichen Einfluss auf Jugendliche dieses Alters; Eltern, Lehrer und andere Autoritätsfiguren werden dagegen infrage gestellt. Die gute Nachricht ist: Eine gute Freundesclique kann unsere Kinder sehr positiv beeinflussen.
Altersstufe 14 bis 18 – mittlere Adoleszenz
Etwa mit 14 Jahren erreicht die geistige Entwicklung ihren Höhepunkt. Jugendliche können in diesem Alter rational denken, wenn auch nicht unbedingt rational handeln. Wie erklärt sich das? Bei Erwachsenen, die Emotionen verarbeiten, ist die Aktivität im Frontallappen des Gehirns größer als bei Jugendlichen, die Aktivität der Amygdala dagegen geringer. (Im Frontallappen des Hirns erfolgt die Impulskontrolle – erst denken, dann handeln; die Amygdala steuert unser impulsives Handeln – erst handeln, dann denken.) In diesen Jahren experimentieren Jugendliche mit allem Möglichen – was Eltern durchaus schlaflose Nächte bereiten kann!
Altersstufe 18 bis ca. 25 – Spätadoleszenz
Körperlich sind Jugendliche jetzt erwachsen; aber nicht unbedingt schon auf das Erwachsenenleben vorbereitet. Sie wollen eigene Entscheidungen treffen, brauchen aber noch hin und wieder die Unterstützung durch Erwachsene. Sie sehen sich selbst als „junge Erwachsene“ und wollen auch so behandelt werden. Die meisten 18-Jährigen sind weitgehend selbstständig, aber die Hirnentwicklung ist erst mit 25 Jahren abgeschlossen, bei Männern sogar noch bis in die Dreißigerjahre. Manchmal werden Eltern dadurch überrascht, dass ihr Sohn, der mit 20 noch ausgeflippt und wenig zielstrebig war, doch noch zu einem „normalen“, verantwortungsbewussten, liebevollen und sehr liebenswerten Erwachsenen mutiert.
Was auf Ihr Kind zukommt
Viel kann getan werden, um die bevorstehende Pubertätszeit gut zu bewältigen. Das gilt sowohl für Sie als Eltern als auch für den baldigen Teenager. Zunächst einmal sollten alle verstehen, was geschehen wird (oder bereits geschieht), wenn die Hormone ins Spiel kommen. Werfen wir einen Blick auf die Veränderungen, die auf Ihr Kind zukommen. Und vergessen wir dabei nicht: Jedes Kind ist einzigartig und entwickelt sich nach seinem ganz eigenen Zeitplan.
Was Experten sagen
Die Gefühlslage von Jugendlichen in der Pubertät und Adoleszenz kann stark schwanken – Stolz, Scham, Angst und andere Gefühle sind im Spiel. Je mehr Selbstvertrauen ein Kind hat und je besser das kommunikative Umfeld – besonders die Kommunikation mit den Eltern – ist, umso einfacher ist es für das Kind, den ungewohnten und vielleicht beängstigenden Veränderungen gelassen entgegenzusehen.
Körperliche Veränderungen
Die körperlichen Veränderungen, die mit der Hormonumstellung einhergehen, sind am offensichtlichsten. Der Körper ihres Kindes entwickelt sich zu einem Erwachsenenkörper. Bei Mädchen kann das bereits mit neun Jahren beginnen oder auch erst mit dreizehn oder vierzehn. Bei Jungen setzt diese Entwicklung mit zwölf oder auch später ein.
Interessanterweise vollzieht sich das Wachstum bei Jungen wie Mädchen von außen nach innen: Füße, Hände, Arme und Beine wachsen früher als der Rest des Körpers (daher die schlaksige Gestalt und die unbeholfenen Bewegungen bei manchen Jugendlichen). Es ist wichtig, dass Ihr Kind weiß, dass dieser Zustand relativ rasch vorbeigeht und der Körper wieder „normal“ und gut proportioniert sein wird.
Zu den ersten Anzeichen der Hormonumstellung gehört das Wachsen von Schamhaar. Bei Jungen entwickelt sich der Penis, bei Mädchen die Brüste. Die Schweißdrüsen sind vermehrt aktiv und für manche Jugendliche ist es eine Herausforderung, ihre Körperpflege auf diesen Umstand abzustimmen.
Es war einer der glücklicheren Tagen meines Lebens, als meine 12-jährige Tochter verkündete, dass sie ab jetzt jeden Tag duschen würde, weil sie nicht mit fettigen Haaren herumlaufen wolle. Von da an musste ich sie nie mehr daran erinnern. Ganz anders bei meinem Sohn (14). Der braucht immer wieder einmal eine Erinnerung, manchmal sogar eine Anordnung! Selbst meine 10-jährige Tochter muss man nicht erinnern, dass sie duschen soll. Es muss doch eine Frauensache sein!
Mit der Pubertät setzt bei Jungen der Stimmbruch ein. Die Muskeln wachsen stark, daher haben Jungen oft vermehrt das Bedürfnis nach körperlicher Aktivität.
Bei Mädchen gibt es kein so ausgeprägtes Muskelwachstum; der Körper setzt aber in der Regel mehr Fett an, das Becken wird breiter.
Kinder an der Schwelle zur Pubertät haben oft eine sehr wache sinnliche Wahrnehmung. Weil das limbische System (das die Endorphine ausschüttet, die „Glückshormone“) hoch aktiv ist, werden Gerüche, Geräusche, Berührungen als sehr angenehm erlebt. Die Hormonumstellung kann auch Auswirkungen auf das Schlafverhalten haben.
Mein Sohn ist erst zehn, aber seit Kurzem geht er abends später zu Bett und schläft morgens länger. Die Schule nimmt natürlich keine Rücksicht auf seinen Biorhythmus, deshalb lasse ich ihn an Wochenenden und in den Ferien länger schlafen.
Auf weitere Unterschiede in der körperlichen Entwicklung bei Jungen und Mädchen gehen wir im nächsten Kapitel ausführlicher ein.
Emotionale Veränderungen
Nicht nur der Körper verändert sich, sondern auch die Emotionen. Die Tränen sitzen plötzlich recht locker. Das folgende Gespräch zwischen zwei Mädchen im Teeniealter haben wir in einem Einkaufszentrum mitbekommen:
„Ich weiß nicht, was heute mit mir los ist. Wenn mich nur jemand angesprochen hat, egal, weswegen, hätte ich ihm den Kopf abreißen können“, klagte die eine.
„Oh, das kenn ich“, war die Antwort. „Das ist nur die Pubertät.“ Beide brachen in Gekicher aus.
Pre-Teens sind oft emotional unausgeglichen und man weiß nie, wie sie im nächsten Moment reagieren. Jugendliche scheinen sich auf einer emotionalen Achterbahn zu befinden, auf der sie von einem Moment zum anderen von „himmelhoch jauchzend“ auf „zu Tode betrübt“ umschalten. Anders als die beiden Mädchen im Beispiel haben sie allerdings meist keine Ahnung, was gerade mit ihnen los ist.
Meine Tochter, 12, ist ein klassisches Beispiel für diese Gefühlsachterbahn. Mehr als einmal kam sie an und hat gesagt: „Mir ist echt zum Heulen. Ich weiß nicht mal, warum ich heulen muss!“ Wenn ich dann nachfrage, was sie so traurig stimmt, sagt sie. „Ich weiß es nicht, Mama. Ich bin eben traurig, okay?“ Wenn sie das sagt, weiß ich, dass ich sie in Ruhe lassen muss. Sie muss sich dann einfach ausweinen und hinterher ist alles wieder gut.
Jugendliche, die selbst häufige emotionale Wechselbäder erleben, tun sich dagegen manchmal schwer, die Gefühle anderer zu verstehen (z.B. zwischen Ärger und Angst zu unterscheiden). Zu dem weiten Bereich der emotionalen Veränderungen während der Adoleszenz gehören weitere mögliche Problemfelder:
• ein negatives Bild vom eigenen Körper (häufig in der frühen Adoleszenz)
• ein Körperideal, das sich an Filmgrößen orientiert
• Rückzug von den Eltern
• sexuelle Aktivität oder Experimente
• exzessive Beschäftigung mit sozialen Medien, Computerspielen oder elektronischen Medien
• das Risiko, Opfer von Cybermobbing zu werden
• erhöhtes Risiko, eine Essstörung zu entwickeln
Um sich emotional gesund entwickeln zu können, brauchen Jugendliche engagierte Eltern, die bereit sind, sie in guter Weise zu begleiten, zu beraten und zu führen – Eltern, die den Gesprächsfaden zu ihrem Kind nicht abreißen lassen.
Als ich vierzehn war, war mein Vater so unwissend, dass ich den Mann kaum ertragen konnte. Aber mit einundzwanzig war ich überrascht, wie viel er in den sieben Jahren gelernt hatte.(Mark Twain)
Soziale Veränderungen
Mit den emotionalen Veränderungen hängen auch die sozialen Veränderungen zusammen. Jugendliche in der Vorpubertät und Pubertät orientieren sich vor allem an Gleichaltrigen. Gruppendruck spielt zunehmend eine Rolle, es ist ungeheuer wichtig, dazuzugehören; die Bedeutung der Eltern als „Spiegel“ tritt zurück. Eltern (und besonders Mütter) fürchten häufig, dass sie jetzt im Leben ihres Kindes eine kleinere Rolle spielen. Das müssen sie nicht. Jugendliche zeigen es zwar nicht, aber die Eltern sind noch immer extrem wichtig für sie.
Aber gleichzeitig müssen Teenager mehr und mehr selbstständig werden und ihre eigene Identität finden. Sie müssen ihre eigenen Gedanken denken, ihre eigenen Entscheidungen treffen und ihre eigenen Meinungen entwickeln. In diesem Prozess orientieren sie sich eher an ihren Freunden als an den Eltern. Und das ist ein wichtiger Schritt. Anstelle der Familie, von der sie sich langsam lösen, bietet der Freundeskreis nun ein soziales Netzwerk, in dem sie Halt finden. Dennoch ist ihnen die Familie weiterhin wichtig, auch wenn sie das nicht zeigen. Jugendliche, die ein gutes Verhältnis zu ihren Eltern haben, setzen viel dafür ein, dass es so bleibt. Irgendwo tief innen sehnen wir uns alle danach, dass unsere Eltern uns so lieben und akzeptieren, wie wir sind. Und das gilt auch für Jugendliche. Nur können sie diese Sehnsucht gelegentlich sehr gut verbergen.
Für mich als Mutter ist es schon eine ziemlich harte Veränderung. Ich habe mich immer viel um meine Kinder gekümmert. Aber jetzt will mein Sohn, 11, lieber mit seinen Freunden zusammen sein als mit mir. Neulich hat er am Freitag bei einem Freund übernachtet. Als ich am Morgen anrief und fragte, wann ich ihn abholen sollte, war die Antwort: „Jetzt noch nicht, Mama. Es ist viel zu früh.“ Mittags habe ich wieder angerufen und gesagt, es sei jetzt Zeit, nach Hause zu kommen. Aber er hat nur protestiert: „Mama, das ist zu früh. Warum kann ich nicht länger bleiben?“ Wenn es um seine Freunde geht, ist es anscheinend nie lang genug.
Geistige Veränderungen – Hormone und ihre Auswirkungen auf das Gehirn
Ihr Sohn ist auf einmal vergesslich? Ihre Tochter ist unordentlich und unorganisiert? Das hat einen Grund. Das Gehirn entwickelt sich in der frühen Adoleszenz in einem Maß, der einem Generalumbau eines Gebäudekomplexes gleichkommt. Es ist fast so, als ginge das rationale Denken für zwei Jahre auf Tauchstation. Die gute Nachricht daran ist: Wenn es sich zurückmeldet, dann mit ganz neuen, erweiterten Fähigkeiten.