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Sechs humorvolle und freche Frauenromane von Brigitte Riebe im Paket zu einem unschlagbaren Preis! Freuen Sie sich auf: »Mann im Fleisch« »Her mit dem Zauberstab« »Wilde Engel« »Liebe macht dumm« »Macho, Macho« »Das Prachtstück«
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Seitenzahl: 1415
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Das Prachtstück
Her mit dem Zauberstab
Liebe macht dumm
Macho! Macho?
Mann im Fleisch
Wilde Engel
Frauenromane
Personen und Handlung sind frei erfunden.
Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen
sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
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Gmeiner Digital
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© 2013 – Gmeiner-Verlag GmbH
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Telefon 0 75 75/20 95-0
Alle Rechte vorbehalten
Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt
E-Book: Mirjam Hecht
Umschlagbild: © Fotolia.com
Umschlaggestaltung: Matthias Schatz
ISBN 978-3-7349-9230-8
Das Prachtstück
Her mit dem Zauberstab
Liebe macht dumm
Macho! Macho?
Mann im Fleisch
Wilde Engel
Märchenprinz statt Kröte
Die dazwischen können sich meinetwegen bis auf Weiteres noch bewerben
Für Daphne
Die Wohnung im obersten Stockwerk war hell, groß – und für ihre augenblickliche Verfassung entschieden zu leer. Linda Becker ging langsam von Raum zu Raum, scheinbar nachdenklich und voll ruhiger Gelassenheit, obwohl sie in Wirklichkeit vor Ungeduld am liebsten losgebrüllt hätte. Sie war es leid: die endlosen Besichtigungen, die doch zu nichts führten, die schlaflosen Nächte im Hotel, diese ganze verdammte Ungewissheit der vergangenen Tage! Sollte so vielleicht das neue Leben beginnen, dem sie so lange entgegengefiebert hatte?
Nebenan hörte sie Feli vergnügt quietschen und musste trotz allem lächeln. Die Kleine hatte soeben ein neues Malbuch nebst dicken Wachskreiden geschenkt bekommen und war hoffentlich nicht nur für die nächsten Minuten beschäftigt. Schließlich öffnete Linda die Balkontür und zündete sich im Freien eine Zigarette an, um die Nerven zu beruhigen. Sie mochte, was sie sah und spürte. Der Tag verabschiedete sich lau; Sommer lag in der Luft, und es war zum Glück noch immer hell. Über die Giebel zogen ein paar Wolkenfetzen. Unten im hübsch begrünten Hof über Mutti-Bänken und kindgerechtem Sandkasten, zu dem unter Garantie nur die Sprösslinge der Hausbewohner Zutritt hatten, veranstalteten zwei freche Schwalben ein waghalsiges Wettfliegen.
Nach zwei hastigen Zügen hatte sie bereits genug. Die Hände flatterten. Ihr Magen fühlte sich an wie nach einer Achterbahnfahrt. Lieber Himmel – sie war aufregt, daran ließ sich nun einmal beim besten Willen nichts ändern.
Der smarte Typ vom Maklerbüro Immocommerz räusperte sich dezent. »Lassen Sie sich ruhig Zeit, Frau Becker! Eine Wohnung ist schließlich kein T-Shirt, das man im Vorübergehen vom Wühltisch mitnimmt und einfach so überstreift. Sie muss passen wie ein maßgeschneidertes Kleidungsstück, um auf Dauer wirklich Freude zu bereiten. Wenn Sie wollen, warte ich solange draußen auf Sie. Natürlich können Sie mich jederzeit fragen. Alles.« Ein kurzes, schelmisches Grinsen. Er hatte blanke blaue Augen wie kostbares Porzellan und sah aus, als ob er auch privat gern lachen würde. »Sofern meine bescheidenen Kenntnisse ausreichen.«
Linda warf ihm einen dankbaren Blick zu. Nur nicht zu früh freuen! Das hatte sie in den letzten Tagen zur Genüge gelernt. Allerdings ließ sich die Sache hier gut an. Sehr gut sogar, wenn sie sich auf ihr Gefühl verließ. »Und die Miete war noch mal …«
»… achtzehnhundert warm.«
Das ging. Gerade noch zwar und im allerobersten Grenzbereich, aber immerhin. Sie mussten sich eben anderweitig einschränken. Oder es zumindest versuchen. Warum sollten Feli und sie nicht lernen, was andere auch konnten? – Lächerlich dieser Satz. Schließlich kann sie 1800 für Miete aufbringen!
Er hatte ihr Zögern bemerkt. »Kein Pappenstiel, ich weiß, aber durchaus im Rahmen für diese Lage. Wissen Sie, Haidhausen hat in den letzten Jahren einen enormen Aufschwung erlebt. Früher Kleinleuteviertel, heute begehrte Wohngegend. So schnell geht das manchmal.« Trotz aller Liebenswürdigkeit schien er sein Geschäft durchaus zu verstehen. Sein Tonfall hatte plötzlich etwas durch und durch Professionelles. »Und nur ein Katzensprung zur Innenstadt. Mit optimaler Verkehrsanbindung, versteht sich. Von der fantastischen Infrastruktur ganz zu schweigen.«
Linda hatte auf einmal den jahrzehntelang trainierten Verkaufston ihrer Schwiegermutter Marga im Ohr und wurde unwillkürlich eine Spur reservierter. Ihr Lächeln erlosch.
Seines auch. Ihr Gegenüber schien perfekt funktionierende Antennen zu besitzen.
»Das reicht dann wohl fürs erste.« Jetzt klang er wieder so nett wie zu Anfang, vom Scheitel bis zur Sohle der frische Junge von nebenan, dem man einfach nichts übel nehmen kann. »Keine Eile, wie schon gesagt. Sie rufen mich einfach, wenn Sie soweit sind, ja?«
Sein Gang war federnd, sein dunkles Haar im Nacken eine Spur zu lang. Wie früher bei Micha. Egal, was Marga und Hugo auch ständig daran zu mäkeln gehabt hatten.
Ach, Micha!
Kaum war der Makler draußen, holte sie als erstes das Foto im Silberrahmen aus ihrer Tasche, eines der wenigen ohne Lederkluft, das sie von Micha besaß, und stellte es auf den Boden. Ein Ritual, so oft vollzogen, dass es ihr mittlerweile bereits in Fleisch und Blut übergegangen war. Ungefähr hier würde ihr Himmelbett stehen, in dem sie seit ihrer Hochzeitsnacht schlief. Nein, ein bisschen weiter links.
Genau so! Vis-à-vis vom Fenster. Dann hatte sie selbst im Liegen einen wunderschönen Blick über Münchens Dächer.
Natürlich begann sie schon im nächsten Moment doch wieder zu weinen, heftig sogar, obwohl seit dem schrecklichen Unfall mehr als fünf Jahre vergangen waren. Seitdem hatte sie nie wieder ein Motorrad angefasst, geschweige denn gestartet. Manchmal wurde ihr schon übel, wenn sie die schnellen, tödlichen Maschinen nur ansehen musste, die ihr Micha für immer entrissen hatten.
Deshalb konnte sie nicht die Garage betreten, in der ihre Schwiegereltern seine auffrisierte Harley schon fast wie eine Reliquie hüteten.
Deshalb war sie vor zwei Wochen beinahe Hals über Kopf aus Bad Homburg nach München geflohen, fort aus dem liebevoll erdrückenden Dunstkreis von Foto-Becker und allem, was sie an diesen Abschnitt ihres Lebens erinnerte.
Beinahe allem.
Denn das Wichtigste, das, was sie auf immer und ewig mit Michael Becker verband, hörte bei guter Laune auf den Namen Felicitas Marie Viola, war letzte Woche fünf geworden und trug unter einem lockigen Karottenschopf Lindas staunende helle Augen und sein strahlendes Lächeln. Wie gern hätte sie ihm dieses prachtvolle Ergebnis ihrer Liebe in die Arme gelegt! Aber als ihre Kleine mit einem empörten Schrei das Licht dieser Welt erblickt hatte, war Micha schon mehr als vier Monate tot.
Es tat noch immer weh – so fürchterlich weh.
Und keine ihrer Gegenmaßnahmen änderte etwas daran: weder der Schutzwall aus Traurigkeit und Desinteresse, den sie um sich errichtet, noch die selbst gewählte Einsamkeit, in die sie sich wie ein verwundetes Tier zurückgezogen hatte. Micha fehlte ihr. Jeden Morgen, wenn sie die Augen aufschlug, jeden Abend, wenn sie sich schlafen legte, betrogen um ein Glück, dessen Reife sie niemals hatte genießen dürfen.
Draußen schrie ein kleines Kind nach seiner Mutter. Linda schreckte aus ihren Erinnerungen hoch und lauschte. Es war so still nebenan.
Verdächtig still.
»Feli?«, rief sie laut. »Wo steckt du denn? Was machst du gerade?«
Keine Antwort.
Alarmiert stand sie auf, ließ routinemäßig das Foto zurück in ihre Tasche gleiten und ging nach drüben. Verdutzt blieb sie auf der Schwelle stehen.
»Ach, Feli, nein!«
Das Malbuch lag vernachlässigt in einer Ecke. Was vorhin noch ein makellos gebohnertes, offenbar frisch abgezogenes Parkett gewesen war, war nun fast vollflächig mit dicken blauen, grünen und violetten Kringeln und einigen ungelenken Figuren bemalt. Wellen und Delfine, wie ihr geschultes Mutterauge sofort erkannte. Unter dem Fenster saß ihre Tochter, glühend vor Eifer, mit rosigen, erhitzten Wangen, Hände und Beine ebenfalls in allen Regenbogenfarben beschmiert.
»Schön, Mami, nicht? Das wird unser Aquariumzimmer. Mit ganz großen, dicken Fischen. Die fressen jeden, der uns was tun will. Und wenn es uns nicht mehr gefällt, malen wir einfach etwas Neues drüber. Urwald oder so. Gell, das machen wir?«
Felis Nase lief wie so oft in letzter Zeit, und sie strahlte, beinahe wie es Micha getan hatte, wenn er stundenlang mit durchaus unterschiedlichem Erfolg an seiner Maschine herumbastelte. Lindas Herz weitete sich in einer jähen Aufwallung von Mutterliebe.
In diesem Augenblick wurde die Wohnungstür geöffnet. Der Makler schien mittlerweile doch ungeduldig geworden zu sein.
»Was zum Teufel soll das denn …« Er erstarrte, als er die Bescherung erblickte.
»Das? Nur mein Feuerköpfchen Feli«, sagte Linda schnell, »im ungebremsten Schaffensrausch, wie Sie ja selber sehen. Wir nehmen die Wohnung übrigens. Machen Sie sich also bitte keine unnötigen Gedanken. Wegen des Bodens, meine ich. Geht schon klar.«
Er schwieg noch immer.
»Vier, fünf Stunden intensives Schrubben, also kaum der Rede wert für die geübte Hausfrau, und das Ganze sieht besser aus als neu. Glauben Sie mir! Sie haben keine Kinder, nehme ich an?«
»Nein. Leider.« Wenigstens schien er die Sprache wiedergefunden zu habe, wenngleich er bedeutend weniger forsch klang als zuvor. »Beziehungsweise Gott sei Dank.« Er schien echt verwirrt. »Ich meine, noch nicht.«
»Das kann ja noch werden.« Linda merkte vergnügt, dass sie dabei war, die Oberhand zu gewinnen. Das machte ihr Mut. Schließlich war es die erste Wohnung, die sie auf eigene Faust anzumieten versuchte. Und endlich ein Sieg nach all den Rückschlägen wäre mehr als wunderbar. »Geben Sie die Hoffnung bloß nicht auf!« Ihr Ton wurde dringlich. »Kann ich gleich anschließend den Vertrag unterzeichnen?«
»Jetzt?« Seine Augen weiteten sich. »Aber es ist Samstagabend!«
»Und wenn schon! Hören Sie, Herr …« Verflixt, wie unprofessionell. Jetzt hatte sie doch glatt seinen Namen vergessen!
»Häusler«, sagte er belegt. »Robert Häusler.«
»Also, lieber Herr Häusler, lassen Sie uns doch Nägel mit Köpfen machen! Hier und jetzt! Oder gibt es noch andere Interessenten?« Ihre Stimme wurde streng. Hoffte sie zumindest. »Etwa solche mit Vorrang? Kommen Sie, Herr Häusler, das können Sie mir nicht antun!«
»Ja«, sagte er. »Vielmehr nein. Allerdings …«
»Allerdings?«, wiederholte Linda spielerischer, als ihr wirklich zumute war. »Ich höre. Aber enttäuschen Sie mich bloß nicht!« Sie fasste ihn fest ins Auge. Inzwischen gab es keinen Zweifel mehr für sie. Das war ihr neues Leben!
Und ihr neues Glück?
Keine Ahnung, wenn sie ehrlich war. Inzwischen kam ihr alles, was sie anfasste, vage und flüchtig vor. Ohne Job und nur mit einer lächerlichen Witwenrente und erschreckend schnell schmelzenden Reserven in eine neue Stadt zu ziehen, in der sie keine Menschenseele kannte – natürlich klang das verrückt. Besonders wenn man wie Linda nicht nur für sich allein, sondern auch noch für ein kleines Mädchen verantwortlich war. Und trotzdem hielt sich das geradezu unvernünftig positive Gefühl hartnäckig, das sie beim Betreten dieser Wohnung überfallen hatte. Sie musste sie haben – selbst wenn es nur mit Bestechung ging!
Zu ihrer Überraschung errötete er. Er sah ausnehmend gut aus, wie sie feststellte, auf den zweiten Blick sogar noch besser. Ein schmales, markantes Gesicht, leicht gebräunt. Schwarze, glatte Haare. Dichte Brauen, dunkle, sanft geschwungene Wimpern. Kleine, elegante Ohren. Seine Zähne waren weiß und ebenmäßig, bis auf den rechten Schneidezahn, dem ein winziges Stückchen fehlte. Was kein bisschen störte, sondern ihm im Gegenteil Extravaganz verlieh, exakt die richtige Dosis Piratentum. Auch ohne Krummsäbel und weißes Flatterhemd war er der Typ Mann, vor dem Mütter ihre Töchter immer schon gewarnt hatten. Mit gutem Grund!
Linda unterdrückte ein Kichern. Wahrscheinlich war es ganz schön anstrengend für ihn, so herumzulaufen. Gewissermaßen als aufregende Erscheinung vom Dienst. Oder, wenn man es gemeiner ausdrücken wollte, als männliches Appetithäppchen auf zwei Beinen. Das verpflichtete! Ihn jetzt verlegen wie einen Schulbub dastehen zu sehen, rührte sie beinahe. Und machte ihn in ihren Augen sehr, sehr sympathisch.
»Mami, wo ist hier das Klo?«
Wie so oft holten Felis äußerst konkrete Wünsche sie ohne großes Federlesen in die Realität zurück.
»Nächste Tür links«, erklärte Robert Häusler, bevor sie etwas sagen konnte, und hüstelte mehrmals. »Weißt du denn schon, wo links ist?«
»Klar! Da, wo der Daumen rechts ist.« Feli verzog sich und kam schon bald sichtlich erleichtert wieder. »Wann ziehen wir hier ein, Mami? Mir gefällt die Wohnung nämlich. Und das Hotel ist total doof.«
»Da musst du schon Herrn Häusler fragen«, erwiderte Linda. »Der entscheidet das.«
Er stierte die Wand an, als käme die Antwort von dort. »Und? Kriegen wir sie?« Felicitas Marie Viola Becker kannte das Wort Hemmungen nicht.
»Ja«, murmelte er, »ich denke doch.«
»Dann kann ich den Vertrag also doch gleich unterschreiben? Ist ja super!« Besser, Linda blieb dicht am Ball.
»Übermorgen früh, Frau Becker«, sagte er ergeben. »Ich erwarte Sie ab zehn in unserem Büro. Sie haben die Adresse?«
»Habe ich, danke. Sagen Sie, geht es nicht doch ein bisschen früher?«
Feli hatte es in der Zwischenzeit geschafft, ihre linke Schmierhand zur Gänze auf der blütenweißen Tür abzudrücken. Voller Genugtuung betrachtete sie ihr Werk. Linda wusste schon, weshalb sie so drängte.
»Um neun«, sagte er schließlich mit leiser Resignation. »Wenn es unbedingt sein muss. Aber keine Sekunde eher. Und nur, wenn Sie frische Hörnchen zum Frühstück mitbringen. Außerdem sollten Sie Ihre Kleine …« Er streifte Feli kurz mit einem sorgenvollen Blick. »Mein Boss steht, ehrlich gesagt, nicht besonders auf Kinder. Und auf so quirlige wie Ihre Tochter bestimmt nicht. Vielleicht können Sie sie für die kurze Zeit irgendwo unterbringen? Wenn Ihr Gatte vielleicht freundlicherweise einspringen würde?«
»Ich bin Witwe, Herr Häusler. Mag Ihr Boss die vielleicht auch nicht?«
Er errötete abermals und deutlich tiefer als zuvor. »Verzeihen Sie bitte, ich wollte wirklich nicht …«
»Keine Ursache. Woher sollten Sie das auch wissen?« Linda brachte sogar ein Lächeln zustande. »Sie werden sich wundern, wie kinderlos ich wirken kann!« Vielleicht würde die nette Besitzerin der Blumenboutique im Hotel ja nach Feli schauen. Obwohl Linda beim Gedanken daran, was ihre Tochter binnen einer Stunde in dem penibel ausgestatteten Laden anrichten konnte, leicht schwummerig wurde. Sie gab sich trotzdem zuversichtlich. Nur nicht so kurz vor dem Ziel die Waffen strecken! »Also dann, Herr Häusler. Die Hörnchen und ich werden pünktlich sein.«
Sein Lächeln war wirklich umwerfend. Schade, dass sie schon viel zu lange so wenig empfänglich für derartige Bemühungen war.
»Bis Montag dann, Frau Becker!«
»Bis Montag. Ich freue mich!«
»Kommst du uns dann auch bald mal besuchen, Herr Häusler?«, fragte Feli treuherzig. »Mami und ich kennen hier nämlich niemanden.«
Jetzt konnte Linda keine Spur von Verlegenheit in dem gut geschnittenen Gesicht des Mannes feststellen. Seine Antwort kam glatt und leicht. Trotzdem brachte er das Kunststück fertig, durchaus glaubwürdig zu klingen, sogar ein bisschen freudig überrascht.
»Natürlich, Feli. Wenn ihr mich einladet – gern! Außerdem heiße ich Robert. Und Robbie für meine Freunde.« Er zwinkerte ihr zu.
»Machen wir, Mami, oder? Wir laden doch Robbie ein? Ganz bald?«
Linda blieb fürs erste die Antwort schuldig und sah lieber aus dem Fenster. Die beiden Schwalben von vorhin schienen genug von ihrem Spiel zu haben und schraubten sich Seite an Seite hinauf in den Abendhimmel, der sich allmählich rötete.
»Das soll ein Artikel sein? Etwas Sinn-, nein, Kunstvolles, von kundiger Menschenhand verfasst?«
Alarmstufe siebeneinhalb. Mindestens! Otto Wolfram Piller, der graumelierte Verleger von ALINA, lief wieder einmal zur Höchstform auf. Unschwer daran zu erkennen, dass er seine Lieblingsikone an die Brust drückte und die Stimme sich längst zum Stakkato gesteigert hatte. Irgendwann einmal in grauer Vorzeit war er fast zufällig in einen kurzen, leider ziemlich einseitigen Schriftverkehr mit dem blutjungen Thomas Bernhard getreten. Seitdem hütete er dessen einziges, aber kongeniales Antwortschreiben verbissener als den Schatz der Nibelungen und setzte es in Konfliktfällen als Banner ein gegen die Unwissenheit, Faulheit und Borniertheit seiner gesamten Redaktion.
»Dass ich nicht lache!«
Angewidert wies er auf ein Blatt Papier, soeben frisch dem Drucker entschlüpft und ihm ausnahmsweise zur Lektüre vorgelegt. Lumpi Wagner vom Ressort Reisen & Erleben versuchte sich unsichtbar zu machen, was bei seinen knapp eins neunzig und der entsprechenden Menge Kilos nur bedingt gelang.
Die anderen Umstehenden duckten sich. Pille, wie er allgemein genannt wurde, verfügte, wenn er sich nur ein bisschen Mühe gab, über handfeste Lamaqualitäten. Und wirklich, heute spuckte er treffsicherer um sich denn je.
»Geschreibsel wie dieses verdient, nicht einmal entfernt so genannt zu werden!« Hektisches, kurzatmiges Schnaufen. Er deutete auf die knappen, dank Dauergebrauchs bereits leicht verwischten Zeilen des inzwischen leider verstorbenen Großmeisters. »Das hier ist ein Text, jawohl. Das ist Literatur! Pure, reinste Kunst – und alles andere Schrott. Das atmet Genialität und sonst gar nichts!«
Bühnenreif sank er auf seinem Stuhl in sich zusammen und schlug die Hände vor das inzwischen vollere, aber immer noch attraktive Gesicht.
»Wieso bin ausgerechnet ich mit dieser Bande von Banausen geschlagen?«, flüsterte er verzweifelt. »Gütiger Herr im Himmel, tu mir die Liebe und verrat mir, weshalb nur!«
Nichts als Routine. Beinahe jede Woche das gleiche Spiel. Alle waren inzwischen an ihre Schreibtische zurückgekehrt in der Hoffnung, das Gewitter möge bald seinen Zenit erreicht haben. Sofie März wusste nicht, was ihr mehr auf den Geist ging: ihr hartnäckiges PMS oder Pilles sinnloses Getobe. Vielleicht war es doch ein Fehler, dachte sie, während sie brav das vorgeschriebene Quantum an garantiert pflanzlich-bekömmlichen Nachtschattenkapseln schluckte, um so lästige Phänomene wie Brustspannen, Sexmüdigkeit und allumfassenden Lebensüberdruss in den kritischen Tagen vor den Tagen zu bekämpfen, dass ich damals nicht die freie Stelle in der Hamburger Lifestyle-Redaktion angenommen habe. Italienische Korbmöbel, gewachste Olivenholzlandhaustische und javanische Ikats sind auf die Dauer vielleicht auch nicht das Wahre, aber sie können wenigstens nicht reden. Und mich mit Anrufen nerven.
Auf Wunsch der Chefredakteurin Bina Moll saß sie an einer Story über männliche Serienstars im Teenie-Alter und ihre weiblichen Fans. »Der Traumprinz der neunziger Jahre – und wer ihn garantiert alles nicht kriegt.«
Oder so ähnlich.
Klang zum Steinerweichen! Nicht einmal eine halbwegs pfiffige Headline fiel ihr zu diesem Unsinn ein. Von einem spannenden Aufmacher ganz zu schweigen. Sie war die Geschichte gründlich leid, bevor sie eigentlich richtig damit begonnen hatte. Die Mädchen, die sie interviewte, waren naiv und so unbedarft, dass ihr fast die Fragen ausgingen, die Möchtegern-Heroes altklug, dummdreist, aber dabei ganz und gar von sich überzeugt. Nichts als dünnste Allgemeinplätze, was sie geliefert bekam, abgedroschene Hoffnungsblasen, all der Quark, den ihre Freundinnen und sie schon vor fünfzehn Jahren in pubertären Gefühlsaufwallungen produziert hatten. Es bereitete ihr Mühe, aus den mitgeschnittenen Bändern auch nur ein paar brauchbare Sätze zu destillieren. Wahrscheinlich, weil sie sich permanent fragte, wozu eigentlich.
»Wollt ihr verbohrten Anfänger denn nun wirklich arbeiten, oder wollt ihr es nicht?« Bingo – da war sie endlich, Pilles unvermeidliche Frage, auf die alle schon gewartet hatten! Sie kannten ihn zur Genüge. Und wussten sofort, was dran war.
»Klar, wollen wir!«, schallte es im Chor zurück. »Und wie!«
»Na denn, Leinen los! Schiff ahoi!« Der Boss befand sich nach einem letzten vernichtenden Blick in Richtung Lumpi Wagner schon halb auf dem Rückzug in sein oberstes Stockwerk, die Landebrücke, von der aus er, wie er gern betonte, den Megaüberblick über das hatte, was in den Räumen unter ihm geschah. »Pille sieht alles, hört alles, weiß alles« – Hauptsache, wenigstens er glaubte daran!
Sofie März fühlte sich müde, klebrig, uninspiriert. Mehr als angefressen. Und sie wusste nur zu genau, weshalb. Der Job war im Moment das kleinere Übel, und der dämliche Artikel, über dem sie brütete, nicht mehr als das berühmte Tüpfelchen auf dem i. Was ihre Seele wirklich in Schieflage gebracht hatte, war selbstredend männlich, trug die blonden Haare zipfelig lang, tat, als ob sie eine Mischung aus Garderobenständer und Fernsehprogramm wäre, und flüchtete Tag und Nacht in Arbeit. Nicht einmal richtig streiten konnten sie noch miteinander. Dafür schwiegen sie sich an.
Was nur eines bedeuten konnte: Zwischen ihr und Hannes, ihrem Lebensgefährten, war die Luft gefährlich dünn geworden.
»Auch einen frischen Kaffee, Sofie?«
Lumpi Wagner, mit Abstand der netteste ihrer Kollegen, hatte den öffentlichen Anpfiff offenbar fast schon vergessen. Es schien ihm nichts auszumachen, dass kein Mensch ihn Ludwig nannte, Schnorrer ihn ständig anpumpten und alle Frauen in der Redaktion sich zwar regelmäßig an seiner breiten Schulter ausweinten, aber nicht im Traum daran dachten, jemals mit ihm ins Bett zu gehen. Zumindest, wenn man nicht zu genau hinsah. In Wahrheit war er ein Sensibelchen in Reinkultur, getarnt als freundlicher Pfundskerl, den nichts so leicht aus der Ruhe bringen konnte.
»Meinetwegen«, sagte sie seufzend und warf den dicken roten Zopf nach hinten. Vorn hatten sich die widerspenstigen Locken ohnehin schon längst aus der strengen Frisur gelöst und umschmeichelten ihr Gesicht wie eine feurige Aureole. »Auch wenn ich dann vermutlich so nervös werde, dass ich eine hektische Ganzkörperbefleckung bekomme und quasi aus dem Stand an die Decke springen kann.«
Lumpi kam mit zwei vollen Tassen und einem verführerisch duftenden Bienenstich zurück.
»Brauch’ ich jetzt einfach«, sagte er und säbelte das beeindruckende Kuchenstück fürsorglich in der Mitte durch. »Immer wenn ich von dem Alten eins auf die Rübe kriege, muss ich essen. Hilft sofort. Ehrlich!« Er hatte ihren gierigen Blick sehr wohl bemerkt. »Du auch? Komm schon, du darfst doch!«
Mandelguss, Teig und Creme verbanden sich auf der Zunge zu einem überwältigenden Ergebnis. Süß, weich und tröstlich, genau wie Lumpi es gesagt hatte. Ob sie Hannes doch auf seiner Station anrufen und sich bei ihm entschuldigen sollte?
Mit der Kraft kehrte allerdings auch der Trotz zurück. Wofür eigentlich? Dass sie doch tatsächlich die Unverschämtheit besaß, so etwas wie Ansprüche an ihn zu stellen? Und nach drei Jahren Beziehung wagte, an ein freies Wochenende mit ihm zu denken? Dass sie sich nach seiner Aufmerksamkeit sehnte? Dass sie ihn schließlich – leider das Schlimmste von allem – trotz all seiner Ticks noch immer von ganzem Herzen liebte?
Sofies Haselnussaugen waren beinahe schwarz geworden, wie immer, wenn sie sich ärgerte. Die Sommersprossen auf ihrem Nasenrücken zogen sich zu einer bräunlichen Milchstraße zusammen. Hoch empört! Vermutlich empfand ihr flüchtiger Doktor in spe es schon als Zumutung, dass sie überhaupt existierte. Viel zu lange war er schon daran gewöhnt, dass sie wie ein trauriges Hündchen zu Hause herumhockte und ihre Zeit mit Warten verbrachte, während ihn unaufschiebbare Pflichten an die verschiedensten Fronten riefen. Aber sie konnte auch anders!
»Was würdest du machen, wenn du mein Geliebter wärst, Lumpi? Und wir beide in einer Wohnung zusammenlebten?«
Er verschluckte sich auf der Stelle.
»Du meinst, wenn ich …«, brachte er schließlich hervor.
Sie nickte.
»Wöchentlich einmal auf den Knien zur Heiligen Jungfrau wallfahren! Ein sagenhaftes Opernlibretto verfassen! Den Quantensprung neu erfinden! Dir alle Sterne einzeln vom Himmel holen.« Sein Doppelkinn bebte emphatisch. Wasserblaue, fast kindliche Augen sahen sie melancholisch an. »Soll ich fortfahren?«
»Ich meine es ausnahmsweise ernst. Bitte!«
Aus ebenso unerfindlichen wie blödsinnigen Gründen war Sofie auf einmal ganz nah am Flennen. Was hieß nah? Sie weinte bereits und brachte es nicht über sich, länger in Lumpis liebes, besorgtes Gesicht zu schauen. Selber schuld! flüsterte das kleine Teufelchen in ihrem rechten Ohr. Wieso fragst du ihn auch! Ausgerechnet ihn! Weißt doch ganz genau, wie sehr er dich mag!
»Dein Hannes ist ein ausgemachter Idiot.« Lumpi klang auf einmal sehr ernst. »Borniert. Undankbar. Heillos bekloppt. Ist es das, was du von mir hören wolltest?« Er holte sein Taschentuch heraus und reichte es ihr. »Nichts wirklich Neues, oder? Wissen wir doch bereits.«
»Nein.« Sie schnäuzte sich. »Du hast recht. Wissen wir.«
»Na prima! Dann würde ich mir an deiner Stelle zur Abwechslung mal einen Kerl suchen, der nicht ständig wegrennen muss, sondern sich stattdessen freut, wenn er mit dir zusammensein darf. Schon mal daran gedacht? Es gibt solche Männer. Haufenweise sogar, wie ich behaupten möchte. Du musst nur die Augen aufmachen. Dafür allerdings, liebste Sofie, bist du ganz allein zuständig. Niemand kann dir diese Aufgabe abnehmen.«
Lumpi stand auf und ging an seinen Schreibtisch zurück. Schlurfend, mit hängenden Schultern. Sogar seinem fleischigen Rücken war anzusehen, wie sehr sie ihn gekränkt hatte.
Seufzend wandte Sofie sich wieder ihren Recherchen zu. Es würde Tage dauern, bis er wieder entleidigt war. Das bedeutete tödlich langweilige Mittagessen im Kreis der Kolleginnen ohne seine herzerfrischenden Zwischenbemerkungen, keine süßen Teilchen mehr am Nachmittag, wenn der Blutzuckerspiegel so sank, dass sie sich auf nichts mehr konzentrieren konnte, ganz zu schweigen von einem belebenden Gläschen Sekt am frühen Abend, bevor sie zum Endspurt ansetzte und in der Regel die besten Sätze in den Computer tippte. Nahm man es genau, konnte Lumpi mindestens ebenso empfindlich sein wie Hannes.
Männer!, dachte sie resigniert, bevor sie die Nummer des nächsten Bubi-Serienstars wählte, der angeblich bei seiner Agentin auf ihren Anruf wartete. Zum dritten Mal übrigens. Sie konnte nur hoffen, dass es heute endlich klappen würde. Die letzten beiden Versuche waren trotz gewissenhafter Vorbereitung von ihrer Seite doch noch im letzten Augenblick geplatzt.
Man muss Männer schon sehr lieben, um einen Mann zu lieben.
Ständig besetzt. Sie drückte unverdrossen die Wiederholtaste. Ihr Daumen fühlte sich schon ganz taub an. Wo hatte sie dies erst neulich gelesen?
Als endlich das Freizeichen ertönte und sich die nasale Stimme der chronisch unfreundlichen Agentursekretärin meldete, fiel es ihr wieder ein. Sofie März spulte ihr Sprüchlein ab.
Na-tür-lich würde sie dranbleiben! Und lie-bend ger-ne selbst-re-dend noch dazu.
Marguerite Duras, von der dieser Ausspruch stammt, dachte sie während der lästigen Wartezeit, die, wie sie genau registrierte, von Anruf zu Anruf immer noch länger wurde, muss sich wirklich verdammt gut mit euch Kerlen im allgemeinen und besonderen ausgekannt haben, um zu dieser weisen Erkenntnis zu gelangen!
Sie schlief schlecht in dieser ersten Nacht zwischen den zahllosen unausgepackten Umzugskisten und den Möbelstücken aus ihrer Zeit mit Micha, die in der großzügigen Altbauwohnung allerdings auf einmal ihre vertrauten Proportionen verloren hatten und fast schon mickrig wirkten. Aber sie liebte diese neuen Räume mit den hohen Decken und der Flügeltür, die ihr viel Platz zum Atmen und Träumen ließen. Dafür war der Küchentisch aus Bad Homburg für die wenigen Quadratmeter leider viel zu lang. Linda hatte ihn trotzdem aufgestellt. Ein schöner, solider Tisch, so ihre Erfahrung, war unweigerlich das Zentrum und damit Herz jedes Haushalts, fast wie in alten Zeiten das Herdfeuer, um das sich von jeher alle Müden, Hungrigen und Trostsuchenden geschart hatten. Außerdem kochte sie gern und liebte es, Freunde großzügig und abwechslungsreich zu bewirten. Sie musste nur so schnell wie möglich einen Schreiner in der Umgebung ausfindig machen, der den Tisch entsprechend kürzte.
Seit den Morgenstunden fiel starker Regen, und das Blechdach direkt über ihnen verstärkte das gleichmäßige Rauschen zu beeindruckendem Prasseln. Es war, als ob die Welt da draußen unaufhaltsam in Nässe versinke, während bei ihnen drinnen alles warm, trocken und sicher war. Feli neben ihr hatte sich ordentlich breitgemacht und beanspruchte fast zwei Drittel des Bettes. Sie schlief auf dem Rücken, beide Hände zu Fäusten geballt, die hohe, blasse Stirn gekraust wie bei einem Stück harter Arbeit. Im weichen Licht der einsetzenden Dämmerung hatten die Sommersprossen auf ihrem Nasenrücken Ähnlichkeit mit der Zeichnung von Marienkäfern. Ab und zu seufzte sie leise, dann drang ein gurgelnder Schnarchton aus ihrem halb geöffneten Mund: die leidigen Polypen, die ihr schon seit Babytagen zu schaffen machten!
Linda hätte den Routineeingriff eigentlich längst vornehmen lassen sollen. Aber die Vorstellung, ihre Kleine einem blitzenden OP anzuvertrauen, bereitete ihr Beklemmung und akutes Herzrasen. Seit Michas Unfall war alles, was auch nur entfernt mit Krankenhaus zu tun hatte, ein rotes Tuch für sie.
Zärtlich drehte sie Feli zur Seite, was die kleine Schläferin mit einem unwilligen Brummen kommentierte, und stand auf. Der Kühlschrank war leer bis auf zwei Packungen Milch, ein Stückchen Käse und ein paar Joghurts. Sie war gestern viel zu müde gewesen, um noch etwas einzukaufen, nachdem die Möbelpacker Stück für Stück hinauf in den vierten Stock geschleppt hatten. Linda beschloss, mit ihrer Tochter in eines der vielen Cafés zum Frühstücken zu gehen, die sie bei ihrem ersten Erkundungsgang im Viertel schon entdeckt hatte. Anschließend konnte sie sich dann mit neuer Kraft dem Auspacken widmen und dringend anstehende Probleme angehen, die sie schon seit Wochen ungelöst vor sich herschob.
Ihr Magen krampfte sich zusammen. Sie trank die Tüte aus, ritzte die zweite mit dem Fingernagel an und nahm noch einen kräftigen Schluck. Sie schüttelte sich. Es wurde eher schlimmer. Gegen Existenzsorgen, einen fehlenden Kindergartenplatz, Einsamkeit und Angst vor der eigenen Courage half eben nicht einmal kalte Milch!
»Mami! Mami, wo bist du?«
Es war lange her, dass Feli beim Aufwachen geweint hatte. Linda lief zurück und drückte den schlafwarmen, kleinen Körper fest an sich.
»Ein großer, großer See, und unser Boot hat fürchterlich geschaukelt«, schluchzte die Kleine. »Und eine Katze hat geweint, weil ihre Mami ertrunken ist. Und du, du warst am anderen Ende, ganz weit weg, und bist nicht gekommen. Obwohl ich ganz laut gerufen hab’. Die ganze lange Zeit!«
»Scht, scht, ganz ruhig. Ich bin ja da! Hier bei dir.« Linda wiegte sie behutsam. »Das war nur ein Traum, den du ganz schnell wieder vergisst.« Ihre Stimme wurde übertrieben streng. »Hau bloß ab, du blöder, gemeiner, unverschämter Traum und lass gefälligst mein kleines Mädchen in Ruhe! Sonst holen wir den dicken, fetten Traumfresser, und dann kannst du was erleben! Der putzt dich auf der Stelle weg, das sag’ ich dir!«
Selbsterfundene Zaubersprüche wie dieser halfen in der Regel, heute jedoch blieb die erwünschte Wirkung aus. »Aber ich bin noch immer traurig. Und ich mag München nicht. Nach Hause«, quengelte Feli weiter, »ich will nach Hause. Zu Popa und Moma. Und meinem lieben, lieben Garfield.«
Das letzte traf die Ursache ihres Kummers vermutlich am präzisesten. Hugo und Margas dicker roter Kater, der sich nun mal leider nicht die Bohne aus kleinen Kindern machte, war von Feli seit ihren ersten Lebenstagen ebenso hemmungslos wie vergeblich angebetet worden.
»Wir besuchen deinen Garfield ganz bald«, versuchte Linda sich aus der Affäre zu ziehen. »Versprochen! Außerdem kann ich Moma anrufen und sie bitten, dass sie ein neues Foto von ihm macht. Das stellst du dir an dein Bett. Und dann kann er immer ganz nah bei dir sein.«
»Morgen, Mami? Fahren wir gleich morgen zu ihm?«
Morgen bestimmt nicht!, dachte Linda, während sie Feli nach nebenan ins Bad trug. Die Tränen waren zum Glück versiegt, die Gemütslage jedoch noch immer instabil. Die Kleine spielte Baby, kuschelte sich an sie, wollte partout nicht laufen. Und übermorgen ebenso wenig! Linda ließ Wasser in die Wanne ein, gab ein bisschen Duschgel dazu und zog die rote Schwimmente auf, die fröhlich lospaddelte – alles unentbehrliche Utensilien, die sie ganz obenauf gepackt hatte, um sich unnötigen Stress zu ersparen. Dann knöpfte sie Felis Nachthemd auf. Ein runder, niedlicher Kinderbauch streckte sich ihr entgegen. Sie prustete darauf, und Feli kicherte entzückt.
Kein Junge, ganz offensichtlich, und somit auch kein vollwertiger Stammhalter und Erbe für Foto-Becker – aber immerhin ein lebendiges Enkelkind aus Fleisch und Blut. Marga und Hugo, Michas bis heute untröstliche Eltern, hatten keine Zeit verloren, um sich zu sichern, was ihrer Ansicht nach ihr gutes, angestammtes Recht war. Anfangs, gleich nach der Geburt, als Felis nächtliche Schreikrämpfe und ein zweistündiger Stillrhythmus Linda sehr bald an ihre Grenzen brachten, war es ihr nicht einmal unlieb gewesen. Wenigstens irgend jemand, hatte sie damals gedacht, gebeutelt von einem schier überwältigenden Gefühl des Verlassenseins, der sich um sie kümmerte und bestrebt war, ihr die Widrigkeiten des Alltags ein bisschen zu erleichtern. Ihr Vater war lange tot, und mit ihrer Mutter konnte sie bis auf weiteres nicht rechnen. Keine Geschwister, weder Onkel noch Tanten. Auf ihrer Seite gab es eigentlich nur Melita, die total verrückte Kusine aus dem Allgäu, seit Jahren voll auf dem Ökotrip, die sich seit neuestem sogar weigerte, Lederschuhe zu tragen, weil sie es für eine Sünde hielt, Tiere weiterhin derart hämisch auszubeuten. Vielleicht hatte sich Linda deshalb ohne Murren der Beckerschen Autorität unterstellt, im Bestreben, nach Michas tragischem Verlust mit ihrem Neugeborenen wenigstens zu einer Familie zu gehören. Und zu einer halbwegs normalen noch dazu.
Ein folgenschwerer Irrtum, wie sich alsbald herausstellen sollte.
Feli hatte trotz aller Vorsicht doch Seife in die Augen bekommen und kreischte los wie am Spieß. Linda musste eine neue Entenrunde einlegen, bevor die Kleine sich wieder einigermaßen beruhigte. Sie hob sie aus der Wanne, trocknete sie ab und wickelte sie in ein großes Badetuch. Dann musste Feli kurz den Fön ertragen und bekam anschließend den Walkman auf die Ohren für ein paar Minuten »Pumuckl«, bis Linda mit der eigenen Morgentoilette soweit war.
Marga hatte sich nach wenigen Wochen als eine zu allem entschlossene Diktatorin entpuppt; Hugo als ihr willfähriger Vollstreckungsgehilfe. Auf was die beiden auswaren, was einzig und allein in ihren Augen zählte, war das Kind, und Linda diente bei der ganzen Angelegenheit bestenfalls als notwendiges Mittel zum Zweck. Dabei stellten sie es durchaus raffiniert an, indem sie mit der ganz langen Leine begannen. Zunächst also die berühmte weiche Tour: Sach- wie Geldgaben flossen beinahe wie einst im berühmten Schlaraffenland, allerdings nur unter bestimmten Vorgaben.
Sie hatte ihre Blitzdusche beendet, sich abgetrocknet und im Schnellverfahren eingecremt. Ein kurzer, kritischer Blick in den Spiegel. In der Regel war sie nicht unzufrieden mit dem, was ihr da entgegenblickte. Heute allerdings bemerkte sie kritisch die dunklen Ringe unter den Augen und einen Pickel am Kinn, dem sie auf der Stelle zu Leibe rückte. Der Rest war in Ordnung. Schräge, je nach Lichteinfall mal graue, mal grüne Augen, gerade Nase, ein voller, ausdrucksvoller Mund, den sie am liebsten mit kräftigem Lippenrot betonte. Zum Glück wuchsen auch die honigblonden Haare wieder nach, die ein schwuler Friseur in Frankfurt vor ein paar Monaten in einem Anfall fehlgeleiteter Kreativität bis auf Streichholzlänge abgeraspelt hatte.
»Mami, auch Lippenstift!«
Manchmal klang Feli fast so gebieterisch wie Marga. Sie bekam trotzdem den gewünschten Hauch, ehe sie sich wieder befriedigt Pumuckls Streichen zuwandte.
Ob sie sie zu sehr verwöhnte? Und wenn schon! Schließlich musste sie versuchen, den fehlenden Vater irgendwie wettzumachen. Selbst wenn sie ganz genau wusste, dass dies trotz aller Bemühungen unmöglich war. Klar, erinnerte sich Linda, während sie in Jeans und eine helle Leinenbluse fuhr, dass sie und die Kleine binnen kurzem aus der gemütlichen Parterrewohnung zu Marga und Hugo ins extra ausgebaute Dachgeschoss übersiedelt waren. Dass von da an jeder Sonntag Popa-und-Moma-Tag war, von den mehrwöchigen gemeinsamen Jahresurlauben ganz zu schweigen, bei denen Linda immer weniger erwünscht war. Dass die beiden sich anmaßten, zu allem und jedem ihre Meinung zu äußern und mit Ratschlägen in Ernährungs- und Erziehungsfragen keineswegs hinter dem Berg hielten. Und dass sie schließlich von Linda erwarteten, sie würde zumindest stundenweise in einer der Foto-Becker-Filialen arbeiten, die sich dank der Tüchtigkeit ihrer Schwiegereltern fast pilzartig überall in Südhessen ausbreiteten. Denn wozu gab es schließlich Moma, die sich ohnehin besser als jeder andere Mensch auf diesem Planeten um Felicitas kümmern konnte?
Linda steckte Feli in ihre alte Oshkosh, einen geringelten Pulli und Baumwollsocken und versuchte, mit einer weichen Bürste die widerspenstigen Brandlöckchen zu entwirren. Was natürlich nicht ohne erhebliches Protestgeschrei abging. Bis zum heiß ersehnten Ferdeschwanz würde vermutlich noch eine ganze Weile ins Land gehen müssen.
Sie hatte sich den Schwiegereltern gefügt. Zähneknirschend. Und viel zu lange. Bis sie unter permanenten Rückenschmerzen litt, die keine Massage vertreiben konnte, und im Hals einen dicken Kloß spürte, der von Woche zu Woche unaufhaltsam wuchs. Zur längst fälligen Entladung kam es, als Hugo und Marga Feli vom Kindergarten abmeldeten. Spontan, wie sie beteuerten, und natürlich ohne es zuvor mit ihr abzusprechen. Es hatte vereinzelte Keuchhustenfälle in der Gruppe gegeben, und die beiden wollten ihre Enkelin um keinen Preis dieser gesundheitlichen Gefährdung aussetzen. So zumindest die offizielle Version. In Wirklichkeit haderten sie schon lange mit den ihnen fremden und damit suspekten Methoden einer jungen Erzieherin, die die Kinder bei schönem Wetter nackt herumplanschen ließ und nicht sofort hysterisch wurde, wenn ein paar männliche und weibliche Knirpse unter einem Tischtuch Onkel Doktor spielten.
Inzwischen war es Linda tatsächlich gelungen, Feli ohne Theater aus der Wohnung zu schleusen. In ihren Regenjacken stiegen sie gemeinsam die Stufen hinunter, so viele, dass Linda – nicht zum ersten Mal, wenn sie ehrlich war – mit leisem Grauen an die schweren Einkaufstüten dachte, die sie künftig in entgegengesetzter Richtung heraufschleppen musste.
Es goss noch immer. Sie trug dünne Lederslipper und Feli ihre blauen Erdbeerturnschuhe vom letzten Spanienurlaub. Nach ein paar Metern waren ihre Füße durchnässt und das richtige Café noch immer nicht in Sicht. Linda hatte keine Lust auf eine dieser Müslihochburgen, wo schon die Bestellung von Bohnenkaffee Bedienungen im Hanf-Look dazu brachte, vorwurfsvoll die Stirn zu runzeln. Mist – und die Eisdiele an der Ecke hatte auch noch zu!
Linda blieb nichts anderes übrig, als die widerstrebende Feli die ganze Straße entlang zu schleifen, bis zum Kulturzentrum, wo sie gegenüber ein paar freundliche Lichter blinken sah. Atlas, so nannte sich das Etablissement, und ganz ähnlich jenem griechischen Riesen, der das Himmelsgewölbe zu tragen hatte, fühlte sie sich im Augenblick auch.
Innen im Lokal war alles hypermodern, mit teuren Holztischen und dicken Polsterbänken in Knallrot. Aber die Karte weckte ihr Vertrauen, und als Feli endlich ihre Riesenschoko mit Sahne und sie ihren Milchkaffee bekommen hatte, sah der Morgen schon viel besser aus. Sie aßen sich beide satt an einem schier unerschöpflichen amerikanischen Frühstück. Linda bekam sogar die Chance, einen Blick in verschiedene Zeitungen zu werfen, und dass ein netter kleiner Junge lautstark Fangen mit Feli spielte, schien niemand im Atlas so richtig zu stören.
Günstige Gelegenheit für Linda, die Leute ringsumher zu beobachten. Viel junges Volk, mit glatten, nichtssagenden Gesichtern, modisch aufgemacht und damit in ihrer Uniformität fast schon wieder so bieder wie im heimischen Bad Homburg. Aber es gab auch interessante optische Ausrutscher: die hochdramatisch geschminkte Alte zum Beispiel, mit dem Fliederhut, groß wie ein Wagenrad, die an einem Pikkolo nippte und ab und zu lächelnd einen Satz zu ihrem unsichtbaren Tischnachbarn sagte. Oder die junge türkische Familie mit schreiendem Kleinkind, er im eisblauen Zweireiher, sie mit Kopftuch und langem Mantel, die sich offenbar hierher verirrt hatte und ein bisschen verschreckt in einer Ecke Limonade trank.
Lindas Blick wanderte ungeniert weiter. War das ihre neue Welt? Würde sie sich hier wohl fühlen können – zum ersten mal in ihrem Leben ganz auf sich allein gestellt?
Die Tür ging auf. Mit einem kühlen Windstoß, gefolgt von ein paar Regentropfen, betrat ein großer, schlanker Mann das Café: Robert Häusler. Er blinzelte ein bisschen kurzsichtig, dann steuerte er geradewegs auf den freien Tisch an der gegenüberliegenden Wand zu. Ausgiebig studierte er die Karte, bis er schließlich die Bedienung heranwinkte, um etwas zu bestellen. Anschließend hatte er nur Augen für sein mitgebrachtes Taschenbuch, das schon reichlich zerfleddert aussah.
Schwarze, verstrubbelte Haare. Er war unrasiert und sah aus, als habe er bereits die halbe Nacht gelesen. Oder bis zum Morgengrauen durchgemacht. Dunkelblauer Pulli, Jeans, abgewetzte Lederjacke. Keine Spur von dem schnieken Anzugstyp, als den sie ihn bislang kennengelernt hatte. Zwischendrin zog er ein großes Taschentuch hervor und schneuzte sich ausgiebig.
Sie musste einfach hinschauen. Beziehungsweise zur Tür. Wen erwartete er? Wie würde sie aussehen? Keine Frage, dass es sich nur um eine Sie handeln konnte!
Zwei bildhübsche junge Mädchen kamen hereingetänzelt und genossen das Aufsehen, das sie erregten. Hellblond, im scharfen Tigermini die eine, mit hüftlangem, schwarzem Lockenhaar die andere. Er jedoch würdigte die beiden keines Blickes, und Linda freute sich unwillkürlich darüber.
Oder war es die hochtoupierte Brünette mit dem hechelnden Retriever, der trotz all ihrer Überredungskünste doch draußen warten musste?
Abermals Fehlanzeige.
Er las seelenruhig weiter, löffelte seine Eier im Glas, trank seinen Tee. Schien ordentlich hungrig zu sein, weil er frische Croissants nachbestellte. Kein neuer Gast erschien; niemand verließ das Lokal. Erstaunlicherweise war er offensichtlich allein zum Frühstücken gekommen.
Weshalb dann noch länger warten? Linda setzte sich in Positur und räusperte sich. Bevor sie jedoch endlich den Mund aufmachen konnte, nahm Feli ihr das Heft aus der Hand.
»Da ist ja Robbie! Robbie, Mami, schau, dort drüben!« Schon war sie an seinem Tisch und setzte sich ohne Umstände auf den freien Stuhl neben ihm. Sie plapperte drauflos. Er antwortete mit ernstem Gesicht, freundlich und aufmerksam, als ob er sich mit einer Erwachsenen unterhalte – was Feli über alles liebte.
Robert Häusler scheint sich erstaunlich gut auf Kinderseelen zu verstehen, dachte Linda und lächelte.
Er hob den Kopf. Ihre Blicke trafen sich.
»Guten Morgen, Frau Becker!«
»Ach, Herr Häusler, guten Morgen.« Förmlicher hätte es kaum sein können!
»Alles in Ordnung? Ich meine, mit der Wohnung?« Er musterte sie warm und freundlich. Fast ein bisschen besorgt.
»Oh, ja. Denke schon. Bis auf den Umstand, dass es bei uns aussieht, als habe eine Bombe eingeschlagen. Die ganzen Kisten … Sie wissen ja …« Was sollte dieses Gestammel? Nur, weil sie ihren Makler zufällig beim Frühstücken getroffen hatte?
»Wenn ich Ihnen vielleicht helfen kann?« Da war es wieder, dieses schmelzende Lächeln! Für alle Fälle lugte Linda doch noch mal in Richtung Tür. Keine heiße Biene weit und breit. Er meinte tatsächlich sie. »Heute ist mein freier Tag, und da könnte ich doch wohl …«
»Tausend Dank, aber das kommt nun wirklich nicht in Frage!« Allein die Vorstellung, ihn in ihren privaten Sachen kramen zu lassen, trieb ihr schon den Schweiß auf die Stirn. Ihr war ohnehin sehr heiß geworden. Lag wohl an dem starken Kaffee, den sie soeben getrunken hatte. »Außerdem haben Sie sicherlich Besseres vor.«
Er beugte sich wieder rüber zu Feli. »Kennst du den Film ›Könige im Eis?‹ Mit den Robbenbabys und den Pinguinkindern, die unter der dicken Bauchfalte ihrer Eltern stecken, bis sie groß genug sind, um die Kälte zu ertragen?«
Hingerissen schüttelte Feli den Kopf.
»Sollen wir uns den vielleicht zusammen ansehen?«
»O ja! Mami, bitte!« Feli rannte zu ihr und umfing sie strahlend.
Robert Häusler erhob sich geschmeidig und kam an ihren Tisch.
»Bitte, setzen Sie sich doch!«, schlug Linda vor.
»Danke. Was halten Sie davon, wenn Feli und ich ins Kino gehen, anschließend im gleichen Gebäude eine kurze Runde im Deutschen Museum drehen und uns zu guter Letzt mit Pizza stärken? Gegen zwei haben Sie sie wieder zurück. Sicher und unversehrt. Und vermutlich so müde, dass Sie gleich mit voller Kraft weiterschuften können. Was ist? Vertrauen Sie mir Ihr Goldstück an?«
»Bitte, Mami, bitte!«
»Wieso machen Sie das?«, fragte Linda.
»Weil ich Feli mag. Und Abwechslung nun mal liebe. Ich bin ein ziemlich guter Babysitter, glauben Sie mir!« Sie zögerte noch immer. »Hören Sie, Frau Becker, das Kino ist nur ein paar Schritte weiter an der Isar. Und die Pizzeria gleich neben der Brücke. Feli ist bei mir also so sicher wie in Abrahams Schoß.«
»Das kenne ich!«, krähte Fräulein Vorlaut. »Das mit dem Schoß sagt meine Moma auch immer.«
Vielleicht war das das Stichwort. Plötzlich musste Linda daran denken, was Marga dazu sagen würde, wenn sie »ihr Enkelkind« einem Wildfremden anvertraute. Und wenn er noch so auf charmant und hilfsbereit machte!
»Heute nicht. Vielleicht ein anderes Mal. Trotzdem, danke! Ich kenne wenige Männer mit ähnlicher Einstellung.« Sie klang so reserviert, wie sie sich auf einmal fühlte. Wenn sie ehrlich war, hatte sie in den vergangenen fünf Jahren so gut wie überhaupt keine Männer kennengelernt. Aber das ging ihn schließlich nichts an. »So wenig Vertrauen?«
Feli zog einen dicken Flunsch, aber das würde sich bald wieder geben. Linda hatte ein paar unfehlbare Methoden in petto, um ihre Tochter fröhlich zu stimmen.
»So vorsichtig bin ich, ja. Ich habe es lieber, wenn alles ein bisschen langsamer geht. Das Kennenlernen. Und sogar das Babysitten. Ich bin so eine Art Auslaufmodell, verstehen Sie? Direkt aus der Kleinstadt. Romantisch. Spröde. Und in vielen Dingen geradezu hoffnungslos altmodisch.«
Sie hatte ihn nachdenklich gemacht. Er versuchte nicht einmal, es vor ihr zu verbergen.
»Ich wollte nicht mit der Tür ins Haus fallen, ehrlich nicht, Frau Becker! Ich dachte bloß, ich könnte mit Feli …«
»Können Sie doch auch. Nur eben ein bisschen mehr piano. In Ordnung? Lassen Sie mich mal kurz überlegen!« Sie zog die Stirn kraus. »Ja, ich denke, Ende nächster Woche sind wir wohl aus dem Gröbsten raus. Dann hängen die Bilder, wo sie hingehören, die Möbel haben alle ihren endgültigen Platz gefunden, und bis dahin müsste selbst unser verflixter Telefonanschluss endlich funktionieren. Die Nummer haben Sie doch bereits in Ihrem Büro?«
Er nickte schnell.
»Gut. Rufen Sie uns einfach an. Und wir machen etwas aus. Ist das ein Angebot?«
»Und dann gehen wir zu den Robbenbabys!«, schrie Feli.
»Und zwar alle drei!«
»Oder wir veranstalten ein tolles Einweihungsessen. Mögen Sie Nudeln, Herr Häusler?«
»Und ob. Ich könnte für Nudeln sterben. Ehrenwort!«
Für einen Augenblick war sie sich ganz sicher, dass er sie nur auf den Arm nehmen wollte. Aber als sie ihren ganzen Mut zusammen nahm und in seine blanken blauen Augen schaute, las sie darin etwas, das sie verunsicherte.
Hoffnung?
Vorfreude?
Sogar so etwas wie Schüchternheit?
Blödsinn! sagte sich Linda streng. Doch nicht bei einem Mann wie Robert Häusler! Sie nahm sich fest vor, keinesfalls länger darüber nachzudenken.
Aber es gelang ihr nur bedingt.
Alles genauso, wie sie es am Morgen verlassen hatte: der Frühstückstisch krümelübersät, mit den halbleer getrunkenen Tassen, der verschmierten Butterdose, einem Marmeladeglas ohne Deckel, der aufgeschlagenen Zeitung auf dem Holzstuhl. Nicht einmal die Kippen im Aschenbecher fehlten. Sofie März hängte ihren Mantel an die hübsche Garderobe, die sie erst vor zwei Monaten gekauft hatte, und atmete tief durch. Trotzdem stieg Wut in ihr hoch, echt, heiß, unverfälscht. Sie brauchte nicht lange zu suchen. Der unvermeidliche Zettel, fast schon niedlich an die Vase mit den vertrockneten Rosen gelehnt, fiel ihr schnell ins Auge.
»Wird heute wohl mal wieder spät«, stand da in seiner großzügigen, ein wenig liederlichen Schrift, die so mancher Apothekenhelferin noch zur Genüge Rätsel aufgeben würde, »und damit leider doch nichts aus Francas Party. Wieso vergnügst Du Dich nicht einfach ohne mich, mein Schatz? Dabei wünscht Dir Dein gemeiner, alter, langweiliger Hannes den nur denkbar allergrößten Spaß.«
Sie knüllte das Papier mit der lapidaren Botschaft zusammen und ging ins Badezimmer. Ließ fast automatisch die Wanne volllaufen. Die Kleider fielen auf den Boden, da, wo sie gerade stand. Sie stieg ins Wasser, sank tief in den duftenden Schaum. Am liebsten wäre sie für immer untergetaucht.
Irgendwann kam sie wieder nach oben, mittlerweile weniger zornig als vielmehr deprimiert. Wieder einmal. Viel zu oft in letzter Zeit. Wie lange würde es ihr in der Redaktion noch gelingen, die vergnügte, stets kompetente Fassade aufrechtzuerhalten, während ihr Privatleben in grauem, nichtssagendem Allerlei erstickte?
Werd bloß nicht so melodramatisch, Sofie M.! versuchte sie sich selber zur Ordnung zu rufen. Wenn es nicht mehr mit ihm geht, musst du eben die Konsequenzen ziehen und künftig allein leben. Ist ja schließlich nicht das erste Mal, oder? Du schaffst es. Du schaffst es bestimmt. Außerdem gibt es ja schließlich noch andere Kerle. Und zwar zur Genüge! Aber ihre innere Stimme klang klein und blass. Und das freche Teufelchen im rechten Ohr kicherte längst hämisch.
Sie trocknete sich ab, cremte sich nachlässig ein und schlüpfte ohne langes Nachdenken in ihren alten Indienfetzen, den Hannes partout nicht an ihr sehen konnte. Auf dem Weg in die Küche goss sie sich ein großes Glas Rotwein ein und durchsuchte die Kommode nach Knabbereien. Oder sollte sie sich vom indischen Homeservice ein paar knackige Samosas kommen lassen?
Sie hatte schon das Telefon in der Hand, um zu wählen, als sie plötzlich aufschaute. Und erschrak. Die schlanke Frau, die ihr aus dem Spiegel entgegenblickte, hatte einen frappierend resignierten Zug um den Mund, traurige Augen und eine Haltung, als werde sie von einer unsichtbare Last gebeugt. Das sollte Sofie März sein, der kesse Rotschopf mit der milchweißen Haut und den großen Haselnussaugen, die noch vor kurzem allen Männern den Kopf verdreht hatte?
Entschlossen zog sie sich das Handtuch vom Kopf, straffte sich, versuchte ein Lächeln. Nicht schlecht, aber auch noch nicht gerade umwerfend. Zweiter Versuch. Schon besser!
Jetzt wählte sie doch, allerdings Francas Nummer.
Beim dritten Anlauf war sie mit ihrem Spiegelbild halbwegs zufrieden. Sie reckte sich, hielt sich kerzengerade. Jetzt verschwand sogar der Hauch von Doppelkinn, der sie neuerdings immer wieder irritierte.
»Ja«, sagte sie und hob ihre Stimme, um den lauten Smokey-Song im Hintergrund zu übertönen. Offenbar stimmten sich die Gastgeber bereits musikalisch mit ein paar alten Schmachtfetzen ein. »Ich bin’s, Sofie. Klar komme ich. Aber es wird ein bisschen später.« Sie schnitt ihrem Spiegelbild eine Grimasse und spielte mit der überlangen, bereits wieder einmal rettungslos verzurrten Telefonschnur. Unpraktisch, natürlich, aber Hannes hatte nun einmal etwas gegen die ganzen modernen schnurlosen Teufelsgeräte, und wie sie mit all dem alten Zeug zurechtkam, war ihm ziemlich egal. »Und der Herr?« – »Was willst du damit sagen? Natürlich ohne Hannes, was denkst du denn! Unabkömmlich, wie immer. Tschüss, ihr Lieben, bis später dann!«
Hohe Hacken. Schwarze, knöchellange Etuihose. Ein tief dekolletierter Samtbody, der wie eine zweite Haut saß. Dazu das smaragdgrüne Paillettenbolero aus dem Secondhand-Designershop, das ihre zur Mähne gefönten Haare kupferner denn je wirken ließ. Ein paar ordentliche Spritzer Escape, platziert an strategisch entscheidenden Stellen.
Großer Auftritt also – und kein Schwein schaute richtig hin!
Und die, die doch schauten, waren zum Vergessen. Ein ältlicher Toni-Sailer-Verschnitt mit erloschenen Augen wollte sie in ein Gespräch über Managerfrust verwickeln. Einen weiteren aufgeblasenen Kerl, der selber einen verkniffenen Mund hatte, aber ständig von frischen Hasen schwafelte und behauptete, er sei nun mal der Typ mit ungeheuer viel Anima, würgte sie schließlich höflich, aber entschlossen ab. Frustriert stöckelte Sofie weiter in die Küche, falls man diesen perfekt durchgestylten Raum von der Größe eines durchschnittlichen Wohnzimmers überhaupt so bezeichnen konnte; Kochstudio oder besser noch Kreationswerkstatt für vergängliche Genüsse wären vermutlich weitaus passendere Bezeichnungen gewesen. Seit Franca im vergangenen Jahr ihre Großmutter beerbt hatte, schien es für das Ehepaar Littmann keine Limits mehr zu geben.
Selbstredend war auch das Buffet mächtig und vom Allerfeinsten. Und doch wollte keine rechte Stimmung aufkommen. Ein einsamer Esser hatte sich direkt vor die Süßspeisen platziert, als befürchte er, zu kurz zu kommen; drüben, an dem großen, rustikalen Tisch, der vermutlich aus Java oder einem anderen exotischen Fleck dieser Erde stammte, ödete sich ein junges Pärchen an.
Schon seltsam, dachte Sofie, während sie sich Entenparfait, Shrimpssalat auf Ruccola und Zuckerbohnen in Walnussöldressing auflud, früher gab es bei unseren Festen Nudelsalat, Wein vom Fass und Schmalzbrote, und alle waren ausgelassen und zufrieden! Warum war sie nicht auf die Idee gekommen, Lumpi Wagner mitzubringen? Dann hätte sie zumindest den passenden Partner gehabt, um die fade Truppe hier ausgiebig durchzuhecheln! Ob sie ihn noch anrufen sollte?
Kurz vor zehn. Er lag jetzt vermutlich schon wieder mit seinen beiden dicken Katzen und einer Familienpackung Smarties im Bett, zog sich Cool-Jazz oder ein Science-Fiction-Video nach dem anderen rein. Außerdem hasste er es, wenn ihn Frauen als Lückenbüßer missbrauchten. Erst recht sie. Nein, Lumpi wäre nicht die richtige Lösung! Sofie hatte keine Lust, ihre zarte Wiederannäherung erneut zu belasten.
Sie würde noch ein Glas trinken, ein nettes, unverbindliches Gesicht aufsetzen und sich dann in aller Stille verabschieden. Vermutlich würde es ohnehin niemandem auffallen. Sie entschied sich für einen samtigen Bordeaux, lehnte sich mit dem Rücken gegen die Tür, kostete den Wein genüsslich. Vielleicht hatte sie sogar für einen Moment die Augen ganz geschlossen. Trotzdem fühlte sie, dass jemand sie anschaute. Lange. Ganz und gar ungeniert. Natürlich musste sie wissen, wer.
Ein dunkelhaariger Mann mit einem frechen Grinsen. Gutaussehend. Verdammt attraktiv sogar.
Unwillkürlich errötete sie leicht. Was ihr schon seit Urzeiten nicht mehr passiert war.
»Schlafen Sie schon mal ein bisschen vor, Sofie? Und das auch noch im Stehen? So gelangweilt?« Seine Stimme war tief und sympathisch. »Kann ich allerdings gut verstehen bei dem famosen Auftrieb hier.«
»Sozusagen«, erwiderte sie spitzer als beabsichtigt, und sei es nur wegen seiner hellen Augen, die sie irgendwie aus der Fassung brachten. Den Mann sah sie garantiert zum ersten mal in ihrem Leben. Aber wer um alles in der Welt hatte ihm ihren Namen verraten?
»Das sollten wir ändern. Und zwar auf der Stelle.« Sein Lächeln wurde breiter. »Was dagegen?«
Sie schüttelte den Kopf. Das Teufelchen in ihrem Ohr setzte sich in Position: stumm, aber hellwach.
»Gut. Dann lassen Sie uns mit dem Nächstliegenden beginnen.« Eine kurze, effektvolle Pause folgte.
»Was wollen Sie von mir?«, fragte Sofie. Ihre Knie fühlten sich plötzlich wie Watte an. Lag wahrscheinlich an dem Wein, der in ihrem Kopf summte. An den
vielen Überstunden der letzten Zeit oder den unbequemen Pumps. Unauffällig äugte sie nach einer Sitzgelegenheit. »Und woher wissen Sie überhaupt, wer ich bin?«
»Wollen? Alles!« Er lächelte schmelzend. »Und wer Sie sind? Genau das möchte ich ja herauskriegen. Jetzt schaut sie mich ganz entsetzt mit ihren atemberaubenden braunen Scheinwerfern an! Haben Sie wenigstens ordentlich Angst bekommen, Sofie?«
Sie mochte, wie er ihren Namen sagte, und begann zu lachen. So ein Quatschkopf! Aber Charme hatte er, das musste sie ihm lassen. Und nicht zu knapp!
Ganz selbstverständlich nahm er ihren Arm und führte sie nach nebenan. Konnte er Gedanken lesen? Sanft, aber zielstrebig peilte er die große, schwarze Ledercouch an. Beide setzten sich. Er roch ganz schwach nach einem Männerduft, dessen Name ihr entfallen war. Aber der Duft gefiel ihr. Und regte sie an. So sehr, dass sich alle Härchen an ihrem Körper erwartungsvoll aufstellten und das verflixte Ohrteufelchen anzüglich zu flüstern begann.
»Pech gehabt! So schnell kriege ich keine Angst«, erwiderte sie. Nicht ganz wahr. Aber auch nicht ganz gelogen. »Wie heißen Sie überhaupt?«
»Ich?« Als gehe auf einmal ein Schatten über sein Gesicht. Sein Lächeln kam erst nach einem Augenblick wieder zurück. Dann allerdings noch eine Spur umwerfender als zuvor. »Ich bin der Fabian. Und ich möchte im Augenblick nur eins: dich kennenlernen.«
»Mich kennenlernen?« Sie lachte kehlig. »Weshalb?«
»Genau.« Er schaute ihr tief in die Augen. »Weil ich möglicherweise mein Leben lang auf dich gewartet habe.«
»Nett gelogen.« Plötzlich schien sogar die Musik leiser geworden zu sein. Sanfter Schwindel umfing sie. Sie sah nur noch sein Gesicht. Der Rest, das Zimmer, die anderen Menschen, alles verschwamm in weichem Nebel.
»Ich lüge nicht, Sofie.«
Ob er es wirklich ernst meinte?
Gute Güte, wenn er es wirklich ernst meinte!
Sie tanzten auf dem riesigen Balkon, eng umschlungen, bis die anderen Räume sich beinahe geleert hatten und die meisten Gäste nach Hause gegangen waren. Franca gähnte bereits seit einer Weile demonstrativ, ihr magerer Gatte Florian wirkte blasser und müder denn je. Sofie registrierte es nur aus den Augenwinkeln, um es schon im nächsten Moment sofort wieder zu vergessen. Im Augenblick war sie mit ganz anderen Wahrnehmungen beschäftigt.
Über ihnen glitzerten die Sterne, sie fühlte seinen heißen Atem an ihrem Hals, spürte seine Wärme. Sie flog. Träumte. Wusste nicht einmal, ob ihre Füße den Boden noch berührten. Der Mann, mit dem sie schon seit Stunden tanzte, bewegte sich leicht und beschwingt, als habe er sein Leben lang nichts anderes getan.
»Du bist wunderschön«, flüsterte er und sah ihr dabei tief in die Augen. »Eine stolze, rote Zauberfee. Voller Wunder. Geheimnisse. Und Überraschungen. Was machst du, Sofie, wenn ich dich nicht mehr loslasse?«
»Wie lieb von dir, das zu sagen«, murmelte sie zurück. Und vergrub ihr Gesicht an seinem Hals, damit er nicht sehen konnte, wie aufgeregt sie war. Das waren keine Schmetterlinge im Bauch, die sie spürte – das waren ganze Hubschraubergeschwader!
»Ich spaße nicht, Sofie. Ich bin es leid, zu warten. Und du?«
Sie sah ihn nur an.
»Also, gehen wir?« Er trat ein paar Schritte zurück und reichte ihr seine Hand.
Wie der Prinz im Märchen, dachte sie unwillkürlich, der Aschenputtel auf sein Schloss entführt. Sie gab ihm die ihre.
»Wohin?«, flüsterte sie und unterdrückte mit einiger Mühe ein nervöses Kichern. Ihre Augen strahlten. Wie dunkle Sterne, hatte er zuvor gesagt. Sie glaubte es ihm sogar. Und selbst wenn es doch eine Lüge gewesen sein sollte – keine Lust, jetzt vernünftig zu sein! Oder an Hannes zu denken. Sie war jung. Sie war lebendig. Sie spürte die Verliebtheit und den Sommer von den Zehen bis in die Haarspitzen. Dies war ihre Nacht! Und niemand, niemand würde sie darum bringen.
»Lass dich überraschen!«
Irgendwie brachten sie das Kunststück fertig, sich mit ein paar höflichen Entschuldigungen an den Gastgebern vorbeizudrücken. Lachend wie verspielte Kinder, rannten sie mit großen Sätzen die Treppen runter. Unten stand sein Fahrrad. Alt, fast schon klapprig, aber noch durchaus funktionstüchtig. Sogar das Licht war in Ordnung.
Wie in einem nostalgischen amerikanischen Kultwestern setzte er sie vor sich auf die rostige Stange und strampelte los. Die Stadt schlief schon tief. Nur wenige Autos begegneten ihnen. Vor einem großen, beeindruckenden Gebäude hielt er an. Viel Glas, eine kühne Stahlkonstruktion. Marmorfassade. Erst vor kurzem fertiggestellt. Sie hatte darüber gelesen und im Vorbeifahren das Fortschreiten des Baus immer wieder verfolgt.
»Da wohnst du?«
Er zog die Achseln hoch wie ein verlegener Harlekin und legte den Finger verschwörerisch auf die Lippen.
Sie küssten sich im Lift, bis er mit einem sanften Plopp im obersten Stockwerk hielt, und den ganzen Gang entlang, bis sie schließlich vor der Wohnung standen. Fabian hantierte mit einer Chipkarte, und die Tür sprang auf. Tausend Sterne beleuchteten die Diele, kleine, geschickt versenkte Halogenlampen bei näherem Hinsehen, die er mit einem Dimmer in geheimnisvolles Dämmerlicht verwandelte.
Ein riesiger Raum, sparsam, aber edel möbliert. Fensterfront mit Blick auf die dunkle Stadt. Auf einem Podest das große Bett, umringt von einem halben Dutzend großer Kandelaber. Mitten im Zimmer stand ein antiker Männertorso, auf dem das bleiche Mondlicht lag. Jetzt bereute Sofie, dass sie keine raschelnden Röcke trug, die sich malerisch im Zimmer hätten verteilen lassen. Sie war froh, als sie endlich aus ihrer engen Pelle befreit war und weiche Sommerluft ihren Leib streichelte.
Nackt war Fabian der schönste Mann, den sie je gesehen hatte. Seine Haut glatte Seide, unter der man die straffen Muskeln fühlte, Proportionen wie aus dem Bilderbuch. Lange, sehnige Beine, ein fester, runder Po. Einen Augenblick überfiel sie beinahe so etwas wie Scheu, als sie an ihren eigenen Körper dachte, an dem sie phasenweise immer wieder mal dies und das auszusetzen hatte, Fabians leidenschaftliche Liebkosungen aber ließen ihr keine Zeit dazu.
Er streichelte sie, küsste ihre Brüste, kitzelte mit seinen weichen dunklen Haaren ihren hellen Bauch. Wie Tag und Nacht, dachte sie noch, oder Yin und Yang.
Und dann, als er ihre Beine spreizte und ganz zu ihr kam, dachte sie gar nichts mehr.
Der Himmel färbte sich nach zartem Leuchten orangerot. Bläulich. Schließlich zartviolett. Dann stieg die Sonne langsam hinter den grauen Häusern empor. Sofie küsste behutsam Fabians feuchte Schläfe. Wie ein müder heidnischer Gott lag er in den Kissen, die Nase fest gegen den Untergrund gepresst.
Er atmete unruhig. Er schien zu träumen.
Sie war bereits wieder angezogen, frisch geduscht, aber innerlich wie äußerlich zerzaust. Ihren Brief legte sie auf das Laken neben seinem Kopfkissen. Sie hoffte, er würde ihn gleich nach dem Aufwachen lesen. Sie hoffte, sie würde ihn bald wiedersehen. Sie hoffte, es würde für mehr als eine Nacht sein …
Fa-bi-an: Wie ein magischer Dreiklang schwang dieser Name in ihrem Blut.
Sie küsste ihn abermals. Diesmal auf die Lider, die unter ihrer Berührung leicht flatterten. Dann verließ sie nach einem letzten Blick auf den Schlafenden die luxuriöse Wohnung.
Ziemliches Glück, dass sie so schnell ein vorbeifahrendes Taxi aufhalten konnte! Innen roch es penetrant nach Rauch und dem ungewaschenen Schopf ihres Chauffeurs, was sie halbwegs wieder in die Realität zurückbrachte. Trotzdem zitterten ihre Hände, als sie ihre Wohnung aufsperrte. Sie gab sich einen Ruck.
Besser jetzt als nie. Es würde leichter sein, wenn sie es erst einmal hinter sich gebracht hatte.
»Hannes!«, rief sie und ärgerte sich trotz allem, dass ihre Stimme so klein und schuldbewusst klang. »Ich bin’s! Schläfst du noch?«
Keine Antwort. Sie hatte auch keine erwartet, wenn sie ehrlich sein wollte.
Er war nicht in der Küche, nicht im Bad. Und auch nicht im Wohnzimmer. Die Tür zum Gästezimmer, von ihm als Büro zweckentfremdet, stand offen. Überall lagen Karteikarten herum, beredte Zeugnisse seiner Doktorarbeit, die ihre Beziehung seit langem vergiftete, weil es ihm partout nicht gelingen wollte, damit zu einem brauchbaren Ende zu kommen. Bücher, eng beschriebene Blätter. Der Bildschirm war schwarz, der Computer surrte auf Dauereinstellung.
Kein Hannes. Nirgendwo.
Nun denn!
Beherzt drückte sie die Klinke zum Schlafzimmer. Aber das breite Bett, in dem sie seit gut drei Jahren zusammen schliefen, war leer.
Mehrfaches, herrisches Läuten. Kurz hintereinander. Fast schon fanfarenartig. Eigentlich hätte sie gleich draufkommen können, wer da draußen sein musste. So schellte nämlich nur eine. Aber Feli hatte sich gerade die Hand eingeklemmt und musste mit einem dicken Verband und vielen, vielen Heilungsküsschen im Badezimmer verarztet werden. Vorsichtshalber weinte sie so lange weiter, bis sie auch noch einen Besuch im Tierpark herausgepresst hatte. Erst dann versiegte ihr Schluchzen.
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