Rabenherz und das Schwert von Glanzenberg - Carole Enz - E-Book

Rabenherz und das Schwert von Glanzenberg E-Book

Carole Enz

0,0

Beschreibung

Die Freunde Margarethe, Seraina und Rudy stranden auf der Heimfahrt in einer unbekannten Grossstadt namens Glanzenberg - ihre Heimatstadt Zürich ist spurlos verschwunden! Spurlos? Nicht ganz, denn die drei Fünfzehnjährigen finden nach und nach heraus, dass jemand aus dem 13. Jahrhundert den Verlauf der Geschichte verändert haben muss - nicht Glanzenberg verschwand, sondern Zürich. Die geschockten Teenager setzen alles daran, ihre Heimatstadt zurückzuholen aus der Asche der Vergangenheit. Dazu müssen sie zurückreisen ins Jahr 1267. Dabei treffen sie auf einen diabolischen Hexenmeister, überhebliche Ratsherren, mutige Frauen und eine Menge Abenteuer mit Rabe und Schwert...

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 210

Veröffentlichungsjahr: 2020

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhaltsverzeichnis

Prolog

1 Vom Römerkastell zum Kloster

2 Das Schwert von Glanzenberg

3 Zu viele Türme

4 Die Stadtherrin von Zürich

5 Das Jahr 1267

6 Im Burgverlies

7 Der verhexte Weg zurück

8 Plonk gegen Helleborus

9 Zurück in Zürich

10 Drei Tage Stadtluft

11 Das Duell

12 Die Falle

13 Die List der Zürcherinnen

14 In Ketten

15 Die Befreiung

Epilog

Anhang

(Dank, Autorinnen-Portrait,

Literaturverzeichnis)

für die wackere Désirée, die so gern mit dem Lichtschwert kämpft, von Mama

für die findige Lisa, die selber gerne Geschichten erfindet, von deinem Gotti

Prolog

«Liebe Fahrgäste, wir treffen demnächst…» – «… in Zürich ein!», brüllen Margarethe, Seraina und Rudy wie aus einem Mund, doch aus den Lautsprechern heisst es: «… in Glanzenberg ein.» – Die drei Teenager schauen sich verdutzt an. «Zum Geier! Jetzt kommt der Hauptbahnhof Zürich, was redet der für einen glänzenden Schwachsinn», grunzt Rudy. Seraina kichert. Margarethe jedoch kommt ins Grübeln. Das gemeinsame Abenteuer auf der Bechburg und bei den Kelten ist nun schon mehr als zwei Jahre her. Margarethe hat wieder das dumpfe Gefühl, dass gerade jetzt etwas Unerklärliches passiert. Ihr ist ziemlich mulmig zumute, doch Rudy und Seraina sind im Moment noch guten Mutes, dass sich die Situation irgendwie klärt.

«Hey Sie, sorry», wendet sich Rudy an einen Fahrgast im Nebenabteil. Der Geschäftsmann schaut leicht genervt von seinem iFlat auf. Rudy räuspert sich: «Sorry, jetzt kommt doch der HB, oder?» – «Hauptbahnhof, ja, was denn sonst, junger Mann?» – Rudy seufzt erleichtert. Der Geschäftsmann fügt grübelnd hinzu: «Zumindest hoff ich dass es Glanzenberg ist und ich nicht wieder im falschen Zug sitze wie vor einem Monat.» – Überrascht bleibt den drei Teenagern der Mund sperrangelweit offen. «Glanzenberg? Sie auch?», fragt Seraina mit leiser Stimme, «Wo liegt denn das? Wir dachten, wir seien im Intercity nach Zürich.» – Der Geschäftsmann wirkt jetzt etwas genervt, und mit einer gereizten Stimme antwortet er: «Zürech? Zürick? Was soll das sein? Eine Haltestelle? Haltet ihr mich für blöd, oder was?» – Die Teenager schweigen verwirrt.

Margarethe wispert: «Psst, wir gehen in den nächsten Wagen, der hier will uns einen Bären aufbinden.» Und sogleich stehen die drei auf, packen ihre Rucksäcke und entfernen sich in Fahrtrichtung.

Seraina geht auf eine ältere Dame zu, Margarethe fragt einen Bärtigen, und Rudy wendet sich an einen Gleichaltrigen, der seine Baseballkappe verkehrt auf dem Kopf trägt. Die Antworten verschlagen den dreien die Sprache: «Glanzenberg, junges Fräulein», raunt die Seniorin. – «Jetzt kommt Glanzenberg, Hauptbahnhof, gopfertelli nomal», grummelt der Bärtige. – «Ey Mann, kommt Glanzenberg, klar doch, Mann!», ruft der Gleichaltrige aus.

Margarethe, Seraina und Rudy beschliessen, auszusteigen und nach dem Rechten zu sehen. Da stehen sie nun auf dem Perron, in einer fremden Stadt. Zögerlich gehen sie ein paar Schritte. Der Geschäftsmann eilt an ihnen vorbei, ohne sie eines Blickes zu würdigen.

Rudy zückt sein Smartphone. «Ha, wär doch gelacht, wenn mein Smartiefon uns nicht weiterhilft!» Schnell öffnet er die Navigations-App und tippt Zürich ein – «nicht gefunden» heisst es. Rudy tippt Glanzenberg ein, und siehe da, ein roter Punkt erscheint. «Da!», jubelt Rudy, «Da ist der Zürichsee, hey, aber zum Geier, der heisst jetzt Glanzenberger See! Was ist denn da los, zum Kuckuck?»

Margarethe kommt es so unangenehm bekannt vor: Plötzlich ist nichts, wie es einmal war, und niemandem ausser ihr und ihren besten Freunden fällt das auf. Als wären sie durch eine Zeitpforte getreten in ein Paralleluniversum, in welchem andere Gesetzmässigkeiten herrschen. Schockiert ist das Mädchen von der Selbstverständlichkeit, mit denen alle ihre Mitfahrgäste die Ungeheuerlichkeit hinnehmen: Die Stadt Zürich ist verschwunden!

1

Vom Römerkastell zum Kloster

Margarethe, Rudy und Seraina geniessen die Sommerferien. Fast täglich unternehmen sie einen Ausflug miteinander oder gehen schwimmen. Heute haben sie den Basler Zolli besucht, weil es ein Giraffen-Baby zu bestaunen gibt. Alles hat so harmlos angefangen. Nur das Wetter hat nicht gehalten, was die Wetter-App versprochen hat. Zum Glück haben alle je einen Pullover und eine Jacke im Rucksack. Diese können sie nun gut gebrauchen.

Nach dem Zoobesuch eine kleine Runde in Basel – dann ab nach Hause. Im Zug haben sie ein witziges Kartenspiel gespielt. Doch jetzt, im Hauptbahnhof angelangt, ist keinem der Freunde mehr zum Lachen zumute.

Obwohl um sie herum Hunderte von Menschen vorbeieilen, die drei Teenager fühlen sich so einsam wie noch nie in ihrem bisherigen Leben – drei Zürcher ohne Heimat. Und Zürich scheint sich in Luft aufgelöst zu haben. Stattdessen erhebt sich eine andere, prunkvollere Stadt vor jenem Alpenpanorama mit See, das den drei Freunden bestens vertraut ist. Die drei Freunde sehen sich stumm an, ihre Augen aber sprechen Bände – deren Ausdruck reicht von Entsetzen bis Ratlosigkeit. Zumindest etwas Beruhigendes ist am Ganzen: Geografisch und zeitlich gesehen sind sie am richtigen Ort, doch irgendetwas stimmt mit der Stadt nicht. Am schnellsten hat Seraina die Fassung zurückerlangt. Sie, die ihre Eltern verloren hat, kennt das Gefühl des plötzlichen Verlassenseins und kann heute damit umgehen. Während die andern beiden noch im Schockzustand sind, spricht Seraina langsam und ehrfurchtsvoll: «Jemand hat… die Vergangenheit… verändert und Zürich ausgelöscht. Wir müssen es… rückgängig machen.»

Rudy schaut hoch und bemerkt eine Reklame-Tafel. «Glanzenberg Versicherung – immer für Sie da!» steht dort drauf, und ein glückliches Plakat-Gesicht strahlt herab. Und auf einem Kiosk prangen die Schlagzeilen einer Zeitung, die sich «Neue Glanzenberger Zeitung» nennt: Glanzenberg soll Hauptstadt werden. Doch was ist mit Zürich passiert?

Zürich – Turicum: Aus dem Geschichtsunterricht wissen die Teenager, dass auf dem heutigen Lindenhof früher ein römisches Kastell stand. Sie hatten die unterirdischen Mauern mit der Geschichtslehrerin besucht und fanden es unglaublich spannend, in den Untergrund vorzudringen unter dem beliebten Aussichtspunkt und Picknickplatz für Touristen und Einheimische. Die Geschichte der Stadt, die sie bis jetzt unter dem Namen Zürich kannten, reicht zurück in die vorchristliche Zeit. Rudy erinnert sich an eine Geschichtslektion zu diesem Thema: «15 vor Christus unterwarfen Drusus und Tiberius die Räter.» – «Das waren die Stiefsöhne des Kaisers Augustus, nicht wahr?», wirft Seraina ein. «Ja, genau», bestätigt Rudy und fährt fort: «Dann errichteten sie sogenannte Drusus-Kastelle zur Sicherung der Strasse von Gallien an den Bodensee, und dazu gehörte auch der Lindenhof.» Wie beim Ping-Pong-Spiel ist Seraina wieder am Ball: «Und dann entstand die neue Provinz Raetia, und dieser wurden auch die Kelten im Wallis und die Leo- oder wie auch immer die hiessen, glaube Lepontier, angeschlossen. Sie sind gleichzeitig unterworfen worden wie die Räter. Die ganze Schweiz wurde römisch.» – «Ja, man kann sagen, dass 15 v. Chr. die eigentliche Römerzeit in der Schweiz begann», fügt Rudy hinzu. «Es gab ja dann noch die Helvetier und Rauriker, deren Gebiet zur Provinz Gallia Belgica gehörte, später zu Obergermanien.»

Margarethe wird hellwach: «Rauriker? Erinnert ihr euch an unsere Schulreise nach Augusta Raurica, in die wunderbaren Römerruinen, auf denen wir herumgeklettert sind? In dem grossen Theater, das sie wiederaufgebaut haben, fühlt man sich in der Zeit zurückversetzt. Wir konnten sogar durch eine Kloake laufen.» – «Igitt», macht Seraina und rümpft die Nase. «Ich finde Abwasserkanäle nicht so inspirierend.» – «Wir waren in der Primarschule in Vindonissa; das war das Legionslager, das als südöstlicher Eckpfeiler der Rheinlinie strategisch und verkehrsgeographisch hervorragend lag als vorgeschobener Stützpunkt zur Sicherung des Rheinübergangs», führt Rudy aus. – «Du tönst wie ein Geschichtsbuch», lacht Seraina. «Hast du das wortwörtlich auswendig gelernt?» – «Egal», wehrt Rudy errötend ab. «Das tut ja jetzt hier auch nichts zur Sache. Jedenfalls war Turicum in erster Linie eine Zollstation, und damit fing die Geschichte der Stadt Zürich an.»

Margarethe sucht krampfhaft in ihren Erinnerungen, kann aber weder Daten noch Ereignisse abrufen. Sie findet Geschichte im Grunde genommen spannend, aber nur erlebbare Geschichte, nicht lediglich das Auswendiglernen von Jahreszahlen und kriegerischen Ereignissen. «Ich habe mich viel zu wenig mit der Geschichte meiner Heimatstadt befasst», gibt sie zerknirscht zu. – «Ist das wohl jetzt die Strafe dafür: dass Zürich verschwunden ist?», fügt Seraina sarkastisch hinzu. – «Du bist ja Spezialistin darin, an der Zeitmaschine zu drehen, wie die Vergangenheit gezeigt hat», grinst Rudy, «Und du hast immerhin einen Teil der Stadtgeschichte live miterlebt im 16. Jahrhundert. Diese Logenplätze hatten wir nicht.»

Margarethe reagiert ungeduldig, während sie eine Sitzgelegenheit auf dem Bahnsteig sucht: «Also, erstens war das nicht so lustig und entspannt, und zweitens geht es jetzt doch darum, nachzuweisen, dass es Zürich gibt und seit wann. Also seit über 2000 Jahren sicher; meine Mutter erinnert sich noch an die Jubiläumsfeierlichkeiten in den 1980er Jahren. Dabei bezieht man sich aber auf die römische Besiedlung, denn: Die Römer sind die Ersten, die schriftliche Spuren hinterlassen haben.» – «Was aber nicht ausschliesst, dass bereits die Kelten ihre Kultplätze an diesem Ort hatten», gibt Seraina zu bedenken und wischt angeekelt zerknüllte Papiere von der Sitzbank, bevor sie sich darauf niederlässt. – «Ja, schon, aber das lässt sich wie gesagt nicht zuverlässig nachweisen», fällt ihr Rudy eifrig ins Wort und setzt sich beinahe auf einen Kaugummi, bevor ihn Seraina am Ärmel von dem klebrigen Ding wegzieht und bemerkt: «Der hingegen liesse sich auf deiner Hose gut nachweisen. Trotz unserer lebhaften Erfahrungen mit den Kelten haben wir leider wenig Beweise.» – «Was wirklich schade ist, da ich die Kelten viel spannender finde als die Römer», erwidert Margarethe seufzend. – «Und die Glanzenberger sind genau solche Dreckschweine wie die Zürcher!», flucht Seraina, als sie ihre Hand am Rand der Bank abstützt und in einen Kaugummi fasst.

«Die nächste Jahreszahl, die mir in Bezug auf Zürich einfällt, ist im 9. Jahrhundert, aber ich weiss es nicht mehr so genau», gibt Rudy zerknirscht zu und nimmt sein Smartphone zu Hilfe. Dank einer App für Historiker kann er problemlos das Jahr nachschlagen: «853 war es, als die Fraumünsterabtei durch König Ludwig den Deutschen gestiftet wurde.» – «Was war der Ludwig schon wieder für einer?», möchte Margarethe wissen. «Ich dachte, Karl der Grosse sei für die Stadt Zürich so wichtig, darum sitzt er ja auch überlebensgross auf dem Grossmünsterturm.» Sie erinnert sich an die Statue, die die Limmat überblickt, deren Original jedoch in der Krypta der Kirche haust. – «Ja, aber der Kerl, ich meine, der Karl hatte doch auch irgendwie die Finger im Spiel», weiss Rudy. «War der nicht verwandt mit dem Ludwig?» Seine App weiss mehr: «Richtig, der Ludwig war sein Enkel, und der wollte seine Tochter Hildegard ins Kloster stecken und schrieb diese Schenkungsurkunde.»

«Das finde ich voll daneben, dass er seine Tochter einfach einsperren wollte», ereifert sich Seraina. Margarethe, die seit ihrer ersten Erfahrung mit Zeitreisen auch mehr über das Klosterleben weiss, widerspricht: «Im Kloster hatten Frauen Freiräume, konnten Wissen erwerben, Bücher lesen, studieren. Das war für einige sogar eine Befreiung, weil sie sich nicht mit Kinderkriegen und Haushalt herumschlagen mussten. Vielleicht wollte die Hildegard ja lieber im Kloster leben, in Ruhe.» – «Da steht etwas von einem bestehenden Kloster im Dorfe Zürich – in vico Turicum», erfährt Rudy in seiner App. «Damals gab es offenbar bereits ein Kloster, und Zürich war ein Dorf, na so was! Jedenfalls ist die Schenkungsurkunde vom 21. Juli 853 die älteste schriftliche Urkunde der Stadt Zürich.»

«Vielleicht sollten wir ins Landesmuseum gehen und nachsehen; die müsste eigentlich dort sein», schlägt Margarethe vor. – «Aber wenn es Zürich nicht gibt, wie sollen wir dann das Landesmuseum finden?», fragt Seraina nachdenklich.

Die Teenager wählen wie selbstverständlich den flussseitigen Ausgang des Hauptbahnhofs und sehen schon das schlossähnliche Gebäude, welches das Landesmuseum ist. Sie sind überrascht, dass es am gleichen Ort steht, wie gewohnt, obwohl ja die Stadt nicht mehr stimmt. «Seht ihr, da ist ja eine interessante Ausstellung», weist Margarethe die andern beiden auf grosse Plakate am Eingang hin, die alte Ansichten des Lindenhofs zeigen. «Wow, stimmt, da hatte ich mal etwas in der Zeitung gelesen», erinnert sich Rudy. «Sie haben sogar Szenen rekonstruiert, wie es damals ausgesehen haben könnte.»

An der Kasse verlangt eine etwas gestresste Dame fünfzehn Euro Eintritt pro Person. «Euro?», fährt es aus den drei Freunden heraus. – «Was denn sonst?», grummelt die Kassiererin schlecht gelaunt, «Schliesslich wird Glanzenberg bald Hauptstadt von Europa!» – «Geil!», entfährt es Rudy, der die Schweiz gerne im Europäischen Staatenbund sähe. Seraina prustet los: «Hauptstadt von Europa, soll das ein Witz sein? Zürich ist ja nicht mal Hauptstadt der Schweiz…» – Margarethe knufft sie in die Seite und flüstert: «Glanzenberg, nicht Zürich.» – Seraina guckt sie verwirrt an, begreift aber sogleich ihren Fauxpas: «Die Macht der Gewohnheit, sorry.» – «Rudys Eltern wären da aber nicht so begeistert», stellt Margarethe fest, «die sind ja schon immer gegen einen Beitritt der Schweiz zum Euro-Staatenbund gewesen, puh, politisch muss das ganz schön krachen im Gebälk der Familie von Arx!» – Seraina seufzt und fügt hinzu: «Schade, dass Politik sogar eine Familie entzweien kann!» – «Geld kann das auch», grummelt Margarethe und denkt daran zurück, wie es in ihrer Familie kriselte, als ihre Mutter zur Bankdirektorin befördert wurde. Mittlerweile ist ihr Vater der einflussreiche Präsident einer globalen Naturschutzorganisation, und ihre Mutter hat nachhaltige Geld-Anlagestrategien auf ihre Fahnen geschrieben. Das hat beide wieder auf die gleiche Wellenlänge gebracht.

«Hee, Mädels, was träumt ihr da, hat eine von euch Euros in der Tasche?», meldet sich Rudy. – «Du bist doch der Euro-Turbo! Hast du keinen Treibstoff mehr?», nimmt ihn Seraina hoch. Überhaupt necken sich die beiden in letzter Zeit sehr gerne und immer öfter. Margarethe bemerkt dies mit Belustigung. Sie muss sich eine Hand vor den Mund halten, um ein Grinsen zu kaschieren. «45 Euro! Ey Mann, so viel habe ich doch nicht!», entgegnet Rudy genervt. – «Ich Frau, nicht Mann, du blindes Huhn, äh, Hahn», kontert Seraina mit hochgezogener Augenbraue. Rudy schnauft, grinst dann aber. Doch da fällt es ihm wie Schuppen von den Augen, und er ruft aus: «Jemand hat ein Schwert gestohlen, ich hab einen Typ gesehen, der ist mit einem Schwert rausmarschiert!» – «Unmöglich, was schwafelst du da!», entgegnet die Kassiererin, und ihre Stimme beginnt im Ton zu steigen, was darauf hindeutet, dass sie demnächst den Direktor oder einen Kurator holt – und genau das bezweckt Rudy. Seraina hat es blitzschnell begriffen und stimmt ihm energisch zu: «Und der Typ ist zum Zü… äh Glanzenberger See gerannt! Wir müssen die Polizei verständigen! Ich rufe gleich die Polizei mit meinem Smartiefon.» – Die Kassiererin verwirft die Hände und greift nach dem Telefon: «Ueli, komm sofort, drei Schüler machen mich wahnsinnig!»

Während Rudy und Seraina unter Margarethes staunendem Blick weiter auf die Kassiererin einreden, steuert kurz darauf ein Herr mittleren Alters auf die Gruppe zu. – «Ueli, übernimm diese Bande, sonst krieg ich noch Zustände.» Der Angesprochene blickt die Anwesenden aus einem rundlichen, glattrasierten Gesicht an. Seine Augen schreiben Fragezeichen in die Luft. Als Rudy seinen falschen Verdacht nochmals äussert, meint der Mann namens Ueli kurz und knapp: «Kommt, ich zeig euch das Schwert und beweise euch, dass es nicht gestohlen wurde.» Die drei Freunde trotten dem Kurator hinterher. Seraina und Rudy klatschen ein «Gimme-Five» hinter dem Rücken des Kurators. Als dieser sich beim Geräusch der Hände umdreht, verstecken beide ihre Hände rasch hinter dem Rücken und schauen drein, als hätten sie Heiligenscheine bekommen. Margarethe muss sich ein Lachen verkneifen. Sobald der Mann seinen Kopf aber wieder nach vorne gerichtet hat, verschwinden die drei Teenager in den verwinkelten Gängen des Museums.

Die Teenager gehen durch die Ausstellung «Zürich 1218 – die Stadt, die vor Glanzenberg das Land beherrschte» und reisen durch die letzten 800 Jahre Stadtgeschichte. «Hier geht es aber noch um Zürich, gell?», fragt Seraina. «Ich bin ganz durcheinander, was jetzt eigentlich gilt.» – «Doch, ich habe in der Zürcher Zeitung über die Ausstellung gelesen, das war vor ein paar Wochen, also muss es wirklich um Zürich gehen», meint Rudy. «Die war zwar nicht im Landesmuseum, aber es scheint das Gleiche zu sein. Und wieso sollte nicht die Geschichte thematisiert werden, die sich hier vor 800 Jahren abgespielt hat?»

«Sieht irre eindrücklich aus – so lebensecht», findet Seraina, als sie vor einem riesigen Foto stehen: Die computergenerierte Rekonstruktion zeigt das römische Kastell, das auf dem Zürcher Lindenhof stand. Im Hintergrund sieht man die St. Peterskirche, wie sie mit dem romanischen Turm ausgesehen haben könnte. «Abgefahren, wie der St. Peter aussah mit dem dicken Turm!», staunt Rudy. – «Ja, wirkt ganz anders als heute, und das Ziffernblatt war noch gar nicht vorhanden», stellt Seraina fest. – «Aber seht mal hier, 878, da sah das Pfalzgebäude aber nicht besonders spannend aus, und von der Kirche war noch keine Spur», bemerkt Margarethe, wird aber von Rudy korrigiert: «Lies doch mal richtig: Die Kirche war schon da, aber ohne Turm, schau doch.» – Margarethe kennt zwar Rudys schulmeisterlichen Ton, wenn es um Fakten geht, doch sie fühlt sich jedes Mal ein bisschen von oben herab behandelt. Deshalb hält sie sich in solchen Momenten eine Zeit lang aus der Diskussion heraus. Seraina bemerkt Margarethes Verstimmung nicht. «Und den guten Peter gabs also schon im 8. Jahrhundert», staunt sie. – «Also, ich finde den Bau von 1055 viel monumentaler», bemerkt Rudy und deutet auf ein weiteres Bild, welches ein massives, zweigeschössiges Gebäude zeigt. – «Süss sind ja die Fischerhütten an der Limmat», begeistert sich Seraina. – «Na ja, ich finde die Enten im Vordergrund süsser», mischt sich Margarethe mit einem Seitenhieb wieder in die Diskussion ein. – «Enten? Ihr seid dumme Gänse!», ruft Rudy aus. Nun schauen Margarethe und Seraina finster drein. «Rudy, du Superhirn, das war doch witzig gemeint! Wenn es um Fakten geht, kann dir keiner das Wasser reichen. Aber die besten Querschläger kommen immer noch von Mäggy», kontert Seraina schlagfertig. Rudy guckt etwas verblüfft aus der Wäsche, grinst dann aber verlegen. Margarethe schaut dankbar zu Seraina, die in solchen Situationen einfach souverän eine Situation bereinigen kann.

In der Ausstellung geht es aber nicht nur um die Visualisierung der Stadtfestung, sondern auch um die menschliche Seite: Rührend finden die Jugendlichen die Grabinschrift eines eineinhalbjährigen Jungen, der von seinem Vater, der Zollvorsteher war, betrauert wird als «süssester Sohn». Dies wird auf 200 nach Christus datiert und ist der älteste schriftliche Beleg, in welchem die Stadt «Turicum» genannt wurde. Im 9. Jahrhundert war die Pfalz der Karolinger bereits verändert, bis ins 11. Jahrhundert war ein grösserer Neubau gefolgt, wie die computergenerierten Bilder zeigen. «Ist schon toll, wie man solche lebensechten Bilder der Vergangenheit anfertigen kann», schwärmt Margarethe. «So kann man sich genau vorstellen, wie es ausgesehen hat.» – «Wobei das ja nur auf Vermutungen basiert anhand von Funden», gibt Rudy zu bedenken. «Aber stimmt, eindrücklich ist es schon.» – «Was war schon wieder eine Pfalz?», möchte Seraina wissen, worauf Rudy entgegnet: «Hier steht’s doch: Eine Pfalz ist ein Palastbau, der Königen und Kaisern als temporäre Residenz diente.» – «Und der Saal für Empfänge und politische Geschäfte war offenbar besonders wichtig», fügt Margarethe nach einem Blick auf die Infotafel hinzu. «Zum Beispiel die Verlobung des Sohnes von Heinrich dem III, der war ja erst fünf, der arme kleine Junge!» – «Und die Braut war vier, eine kleine italienische Prinzessin», liest Seraina. «Kinderehen sind ja zum Glück heute verboten in der Schweiz. Aber in anderen Ländern stellen sie ein riesiges Problem dar, immer noch.» – «Wieso haben die damals so früh geheiratet?», fragt sich Margarethe. Rudy doziert weiter: «Wie immer ging es um die Festigung der Macht durch die Verbindung einflussreicher Familien.»

«Schauen wir doch mal weiter, was da noch steht über die Lenzburger und Zähringer», drängt Seraina. Die Teenager erfahren, dass die Pfalz später zur Stadtburg umgebaut wurde, wo die genannten Fürstengeschlechter als Vögte über Zürich herrschten. Ein Burggraben wurde um die nunmehr mit einem Tor versehene Pfalz gezogen, der sich an die Stadtmauer anschloss. Das war 1217. Rudy liest laut: «Das Zentrum der Macht thronte auf dem Lindenhof bis zum Wendepunkt 1218, als der letzte Zähringer starb: der arme Berthold V. Dadurch entstand in Zürich ein Machtvakuum.» – «Warum das denn?», fragt Margarethe. – «Vermutlich weil keine der Bürgerfamilien die Nachfolge der Zähringer antreten konnte, da sie wohl nicht wichtig genug waren.» – «Der war offenbar nicht besonders zäh, der Ringer!», flachst Seraina und erntet einen finsteren Blick von Rudy, welcher fortfährt: «Zürich wird königliche Reichsstadt, und damit ist die Zeit der Räte gekommen.» – «Und die Politik wird noch komplizierter», fügt Margarethe seufzend hinzu, worauf Rudy wie aus der Pistole geschossen hinzufügt: «Was verstehst du schon…» Bevor er seinen Satz beendet, bemerkt er diesmal seinen Fauxpas und beeilt sich, die Situation zu glätten: «Äh, … ich meine, was verstehen wir schon von der damaligen Politik? … die haben ganz anders gedacht als wir heute!» Er bemerkt, wie Seraina grinst, doch er ist einfach froh, dass Margarethe diesmal nicht eingeschnappt ist.

Das Schicksalsjahr 1218 wird in der Ausstellung als wahrscheinlicher Zeitpunkt der Zerstörung der Bebauung des Lindenhofs benannt. Ab 1300 wurde im «Richtebrief» verlangt, dass der Platz auf dem Hügel freigehalten wird und kein Herrscher dort thronen solle.

Dann ergriffen nämlich die Bürgerfamilien die Gelegenheit, Selbstbestimmung zu beanspruchen. Seraina liest weiter: «Sie gründeten den Zürcher Rat, und die Abteien des Gross- und Fraumünsters spielten im Machtgefüge auch eine wichtige Rolle. 1262 erhielt die Reichsstadt Zürich alle Rechte bestätigt, wie diese Urkunden zeigen.» – «Und hier seht ihr Münzen und Siegel, das waren Herrschaftszeichen», weist Rudy seine Begleiterinnen auf Exponate hin, die als 3-D-Repliken vorliegen. «Die Fraumünsteräbtissin hatte schon seit 1050 das Münzrecht; sie durfte also eigene Münzen prägen», liest Seraina. – «Das würde mir auch so passen, mein Antlitz auf einer Münze», grinst Rudy.

«Hey, da ist ja der Exuperantius», bemerkt Margarethe. – «War das der Dritte im Bunde?», fragt Seraina. «Ich meine bei den Kopflosen.» – «Ja. das waren doch die Stadtheiligen, Felix und Regula, aus der Legende, und ihr Diener wurde auch geköpft. Der hiess Häxebränz, auf Lateinisch Exuperantius. Der tauchte dann später plötzlich im Siegel der Bürger von Zürich auf, obwohl man ihn früher nicht so wichtig fand», weiss Rudy. – «Aller guten Dinge sind drei, wirkt einfach besser als nur zwei Köpfe», bemerkt Margarethe und fügt hinzu: «Und wir sind ja auch drei und ein starkes Team.»

«Oje, lest das mal!», ruft Margarethe entsetzt. Rudy und Seraina eilen herbei. Alle drei starren auf die Tafel, auf der steht: 1267 – Die Glanzenberger zerstören Zürich und übernehmen die Macht an der Limmat!

2

Das Schwert von Glanzenberg

«Schon wieder!», schluchzt Margarethe, und ihr kommen die Tränen, «Hört das denn nie auf?» Die Fünfzehnjährige lässt sich auf eine Sitzbank fallen. Wie ein Häufchen Elend sitzt sie da und weint. Seraina gesellt sich neben sie und umarmt sie wortlos.

«Gopfridstutz nomal, F…» – «Rudy, fluchen hilft auch nicht weiter!», meldet sich Seraina besonnen zu Wort, «Wir sollten lieber mal herausfinden, was passiert ist, weshalb Zürich ausgelöscht worden ist? So könnten wir es vielleicht rückgängig machen. Was weisst du über Glanzenberg, Rudy?» – Margarethe atmet schwer, doch zumindest muss sie nicht mehr weinen. Rudy murmelt: «Das ist eine Haltestelle, im Westen von Zürich.» – «Hmm», macht Seraina, «schon mal ein Anhaltspunkt, im wahrsten Sinne des Wortes. Aber warum heisst die Haltestelle Glanzenberg?» – «Das sind doch diese Ruinen, ich meine, die Haltestelle heisst so wegen der Ruinen», grübelt Rudy in seinem Gedächtnis, «ja, da gibt es eine verschwundene Stadt am Rande von Zürich, …» – «Na ja, wenn das stimmt», ergänzt Seraina zuversichtlich, dann hat jemand statt Glanzenberg nun Zürich zum Verschwinden gebracht.» – «Ein jemand mit einer verfluchten Zeitmaschine!», entrüstet sich Rudy und setzt ironisch hinzu: «Und meine Zeitmaschine liegt natürlich in der Werkstatt, die Ersatz-Superzündkerzen müssen erst noch von Japan importiert werden, Mann, das kann dauern!» – Seraina grinst und antwortet ebenfalls ironisch: «Ausserdem steht deine Werkstatt im verschwundenen Zürich! Siehst du, ein bisschen Humor und es geht dir schon besser!» – «Galgenhumor!», grummelt Rudy entnervt. Da flüstert Margarethe: «Hee…» Und sie zeigt mit der rechten Hand auf einen Durchgang zu einem weiteren Ausstellungsraum.

Darauf prangt die Inschrift «Sonderausstellung – Das Schwert von Glanzenberg».

«Schon wieder ein Schwert! Warum können diese Dinger nicht einfach nur aus normalem Metall sein, wieso müssen die immer zaubern, alles verändern oder rückgängig machen…?», beschwert sich Rudy, als Margarethe und Seraina wie aus einem Mund jauchzen: «Das Schwert, genau! Das brauchen wir!» Beide haben sich daran erinnert, dass ihnen damals auf Schloss Neu-Bechburg ein Kelten-Schwert sehr nützlich gewesen war. – «Aber», stutzt Margarethe, «kein Schwertzauber ohne Rabe. So ein Mist, …» – «Der Rabe… äh Reiher, ich meine: Der Reihe nach!», unterbricht Rudy sie, «Da ist ein Schwert, das mit Glanzenberg zu tun hat. Gut! Gehen wir hin und schauen uns das mal an. Wo kein Plonk ist kann ja noch einer kommen, bei den Kelten war’s ja auch so, dass das Schwert schliesslich den Raben herbeigerufen hat. Los! Solange es noch drei Zürcher gibt zeigen wir’s den Glanzenbergern! Auf sie mit Gebrüll!» – «Du meinst mit Gebrill», unkt Seraina und deutet auf Rudys Brille. Dieser grinst, und beide lachen herzhaft. Langsam hat sich auch Margarethe aus ihrem Schockzustand herausgearbeitet.