RACHE - Der Informant - J. S. Frank - E-Book

RACHE - Der Informant E-Book

J. S. Frank

0,0
1,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Laura Stein ist eine Getriebene. Die junge Kommissarin ging als Jugendliche durch die Hölle und überlebte. Aber die Vergangenheit verfolgt sie bis heute. Unerbittlich jagt sie seit Jahren dem Gangsterboss Victor Hansen hinterher. Um ihn zu stellen, ist ihr jedes Mittel recht. Selbst wenn sie einen Mörder als V-Mann rekrutieren muss ...

Folge 1: Einunddreißig junge ukrainische Frauen verschwinden spurlos an der polnisch-deutschen Grenze. Jahre später meldet sich ein Kronzeuge bei Laura Stein - er ist bereit, gegen seinen Boss Victor Hansen auszusagen. Der einstige Unterwelt-Boss ist längst in der feinen Gesellschaft angelangt. Doch die Aktion misslingt. Laura muss auf Plan B zurückgreifen: Wolf Berger, Hansens ehemaliger Mann fürs Grobe, frisch aus der Haft entlassen ...

RACHE - die sechsteilige Thriller-Serie um Kommissarin Laura Stein und Ex-Gangster Wolf Berger. Knallhart, überraschend, nichts für schwache Nerven!

eBooks von beTHRILLED: Mörderisch gute Unterhaltung.


Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 169

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

CoverRACHE – Die SerieÜber diese FolgeÜber den AutorTitelImpressum1 WENN DU FRIEDEN WILLST …MITTWOCH, 16. SEPTEMBER, 18:27 UHR2 DEAD MAN FIGHTINGFREITAG, 23. OKTOBER3 DEAD MAN TALKINGMONTAG, 26. OKTOBER4 DER TEUFEL TRÄGT VIELE MASKENSAMSTAG, 31. OKTOBER5 MENSCHEN BRENNENMONTAG, 02. NOVEMBER6 EINE VERLORENE SCHLACHTMITTWOCH, 04. NOVEMBER7 EIN VERLORENER FREUNDDIENSTAG, 17. NOVEMBERMITTWOCH, 18. NOVEMBER8 ZWISCHEN HIMMEL UND HÖLLE9 EINE BLUTIGE PARTY10 … BEREITE DEN KRIEG VORDONNERSTAG, 19. NOVEMBERMONTAG, 23. NOVEMBERLeseprobe

RACHE – Die Serie

Laura Stein ist eine Getriebene. Die junge Kommissarin ging als Jugendliche durch die Hölle und überlebte. Aber die Vergangenheit verfolgt sie bis heute. Unerbittlich jagt sie seit Jahren dem Gangsterboss Victor Hansen hinterher. Um ihn zu stellen, ist ihr jedes Mittel recht. Selbst wenn sie einen Mörder als V-Mann rekrutieren muss …

Über diese Folge

Einunddreißig junge ukrainische Frauen verschwinden spurlos an der polnisch-deutschen Grenze. Jahre später meldet sich ein Kronzeuge bei Laura Stein – er ist bereit, gegen seinen Boss Victor Hansen auszusagen. Der einstige Unterwelt-Boss ist längst in der feinen Gesellschaft angelangt. Doch die Aktion misslingt. Laura muss auf Plan B zurückgreifen: Wolf Berger, Hansens ehemaliger Mann fürs Grobe, frisch aus der Haft entlassen …

Über den Autor

J. S. Frank hat nach seinem Germanistik-Studium mehr als zwanzig Jahre für ein internationales Medien-Unternehmen gearbeitet. Seit 2013 ist er freier Autor mit einem ungebrochenen Faible für die anglo-amerikanische und französische Literatur. J. S. Frank ist ein Pseudonym des Autors Joachim Speidel, der mit seinen Kurzgeschichten bereits zweimal für den Agatha-Christie-Krimipreis nominiert war. RACHE ist bereits seine zweite Thriller-Serie bei »be«.

DER INFORMANT

Folge 1

Originalausgabe

»be« – Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG

Copyright © 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln

Textredaktion: Uwe Voehl

Lektorat/Projektmanagement: Lukas Weidenbach

Covergestaltung: Massimo Peter-Bille unter Verwendung von Motiven von © Shutterstock: charnsitr | Nejron Photo | Steve Collender

eBook-Erstellung: hanseatenSatz-bremen, Bremen

ISBN 978-3-7325-8532-8

Dieses eBook enthält eine Leseprobe des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes »Cotton Reloaded: Nemesis – Folge 1: Verurteilt« von Gabriel Conroy und Timothy Stahl.

be-ebooks.de

lesejury.de

1 WENNDUFRIEDENWILLST …

MITTWOCH, 16. SEPTEMBER, 18:27 UHR

»Ich bin tot«, murmelte der Mann, der mit dem Rücken an der Wand auf dem fleckigen Bett saß.

Ganz langsam schob er sich den Lauf der Parabellum 08 in den Mund, während er die LKA-Beamtin Laura Stein mit weit aufgerissenen Augen anstarrte.

»Was soll der Bullshit?«, sagte Laura. »Was, verdammt noch mal, machst du da?« Ihre Dienstwaffe, die sie mit beiden Händen umfasst hielt, war auf ihn gerichtet.

Seine Kiefer und Lippen begannen zu arbeiten, aber er brachte nur ein undeutliches Gurgeln hervor.

»Ich versteh kein Wort!«, bellte sie ihn an. »Kein einziges beschissenes Wort!«

Nur das Summen der fetten Stubenfliegen war in dem stickigen Zimmer zu hören.

Im nächsten Moment fing der Mann wieder an zu gurgeln.

Er hatte eine fleckige, löchrige Unterhose an. Ansonsten war er nackt. Sein Körper ein speckig glänzender Fleischberg mit Blutergüssen und Schürfwunden. Das Bett, auf dem er saß, ein schiefes Metallgestell mit einer Matratze, die so aussah, als wäre sie durch einen Abwasserkanal gezogen worden.

Laura verfluchte sich schon, überhaupt hergekommen zu sein. In dieses Drecksloch.

Sie kannte den Mann. Slatan Mihajlowić. Serbe. Nach dem Krieg auf dem Balkan war er als junger Mann nach Deutschland gekommen. Hatte mit Drogen gedealt und irgendwann das Zeug, das er vertickte, auch selbst geschluckt, geraucht, gespritzt. Hatte schließlich einen erfolgreichen Entzug gemacht. Und im Alkohol seinen neuen Seelentröster gefunden. Der hatte ganze Arbeit geleistet. Der ehemals schlanke Slatan war zu einem wund gelegenen See-Elefanten mutiert.

Laura spürte, wie die Spannung in ihr langsam nachließ. Vor nicht mal einer Minute hatte sie mit ihrem Kollegen Dennis Thienemann die Wohnung betreten. Die Tür war offen gewesen. Als sie die sonderbaren Geräusche hörten, wussten sie, dass hier etwas nicht stimmte. Sie hatten sich mit gezückten Waffen Zimmer für Zimmer vorgearbeitet und waren schließlich hier gelandet. Hier in diesem nach Pisse und Scheiße riechenden Zimmer.

»Ist der irre?«, flüsterte ihr Dennis zu. Er war fast zwei Meter groß. Ein ehemaliger Landesmeister im Zehnkampf. Eine imposante Erscheinung. Türrahmenfüllend. So leicht durch nichts aus der Ruhe zu bringen. Außer durch Situationen, in denen er zur Waffe greifen musste. Dann wurde er zum Nervenbündel. Das wusste Laura nur zu gut.

Sie schüttelte den Kopf. Zu Slatan sagte sie: »Hör mal her, jetzt nimm mal ganz brav die Knarre aus deiner Futterluke und erzähl mir, was los ist. Einverstanden?«

Ein erneutes Gurgeln.

Laura verdrehte die Augen. »Falls du dich nicht mehr daran erinnern solltest, jetzt ganz langsam zum Mitschreiben: Du hast mich vorhin angerufen. Kurz vor meinem wohlverdienten Feierabend. Du wolltest mir was sagen. Was Dringendes. Also, was soll das Theater hier?«

Der Mann riss die wässrigen Augen auf, ließ sie von links nach rechts wandern, als müsste er sich erst vergewissern, dass nicht noch mehr Menschen hier im Zimmer standen, und klappte den Unterkiefer weit nach unten. Seine Hand zitterte, als er den Lauf der Parabellum aus dem Mund zog.

»Ich bin tot«, wiederholte er mit heiserer Stimme.

»Bist du nicht«, sagte Laura und schüttelte verärgert den Kopf. »Du siehst zwar aus wie eine verdammte Leiche, aber du bist nicht tot.«

»Doch«, sagte der Mann.

»Bist du nicht. Wenn du tot wärst, könntest du nicht reden, du Schwachkopf! Du bist nicht mal am Sterben. Du liegst hier nur in deinem eigenen Dreck und versuchst, mich zu verarschen.«

Sie wandte sich an Dennis und sagte: »Mach mal das Fenster auf. Hier stinkt es ja wie einem Schweinemastbetrieb.«

Dennis blickte stirnrunzelnd auf sie hinunter.

»Was ist?«, fragte Laura.

»Kennst du auch das Wörtchen ›bitte‹?«

Sie sah ihn stirnrunzelnd an. Atmete einmal tief durch und sagte: »Also gut, weil du’s bist: Machst du jetzt das Fenster auf? Bitte! Am besten heute noch.«

Dennis steckte seine Dienstwaffe weg und suchte sich einen Weg zum Fenster. Der Boden war übersät mit Müll. Mit leeren Dosen, Flaschen, Tetra-Paks, Pizzaschachteln, dreckigen Hosen, Unterwäsche, Laken, Essensresten.

Er öffnete das Fenster und putzte sich angewidert die Finger an seiner Hose ab. Es gab offensichtlich nichts in dieser Wohnung, was nicht dreckig oder schmierig war. Sie befand sich im elften Stock, der Feierabendverkehr war kaum zu hören, aber die abgasgeschwängerte Stadtluft drückte herein. Sie war immer noch besser als der abgestandene Mief hier im Zimmer. Er nahm einen tiefen Zug.

Die Sonne ging bald unter. Für Mitte September war es noch erstaunlich warm.

»Also, Slatan«, sagte Laura, die langsam ungeduldig wurde. »Jetzt mal raus mit der Sprache. Was hast du mir so Wichtiges zu erzählen.«

Slatan Mihajlowić starrte sie an, als müsste er erst mal in seiner Erinnerung graben, wer sie überhaupt war. Blut und Speichel liefen ihm am rechten Mundwinkel hinunter zu seinem Schwabbelkinn. Der Lauf der Waffe hatte seinen Gaumen aufgerissen oder ein Stück Zahnfleisch weggefetzt oder die Zunge aufgeritzt. »Ich … ich … ich glaube, ich wollte Sie sehen«, sagte er.

»Wen? Mich?«

Er nickte.

Laura knirschte mit den Zähnen. »Und jetzt hast du mich gesehen, Slatan. War’s das?«

»Ich wollte es Ihnen sagen. Die Sache mit den Stimmen.«

»Was für Stimmen?«

»Ich kann sie hören«, sagte Slatan. »Die Stimmen der Frauen.«

»Welche Frauen?«

»Die Frauen in dem Lastwagen.«

Laura Stein verkrampfte sich augenblicklich. Ihre Stimme war leise, als sie sagte: »Die Frauen – was sagen sie?«

»Sie rufen und schreien.«

»Was rufen sie und schreien sie?«

Er wollte ihr antworten, setzte immer wieder an. Jeder Atemzug war eine Anstrengung. Aber er brachte keinen Ton heraus. Ihm liefen auf einmal Tränen aus den Augen.

»Was rufen und schreien sie?«, wiederholte Laura.

»Sie haben Angst.«

»Wovor haben sie Angst?«

Slatans fetter, wabbliger Körper fing an zu wogen, als er zu schluchzen anfing. Er presste jedes Wort einzeln hervor: »Vor … dem … Tod.«

Laura steckte die Waffe weg und sagte diesmal mit mehr Nachdruck: »Was – sagen – die – Frauen?«

»Sie … ich weiß nicht. Ich will ihnen helfen. Aber ich kann nicht. Ihre Stimmen … ich höre immer ihre Stimmen … Tag und Nacht … ich halt’s nicht mehr aus.«

Dennis Thienemann trat neben Laura und blickte voller Verachtung auf Slatan hinab. »Dann haben wir ja was gemeinsam: Ich halte dein Geschwafel auch nicht mehr aus.«

»Dennis!«, fuhr Laura ihn an.

»Was ist?«

»Lass den Quatsch.«

Slatan starrte Dennis an, als hätte er ihn gerade eben zum ersten Mal in seinem Leben gesehen. »Wer … wer … ist das?«

»Mein Kollege, achte nicht auf ihn.«

»Mach nur weiter so«, fuhr Dennis Laura an. »Du wolltest vorhin doch, dass ich zu dem Arschloch hier mitkomme. Und jetzt bin ich hier, und es ist dir auch nicht recht.«

»Er soll gehen«, sagte Slatan zu Laura.

»Einen Scheiß tu ich«, sagte Dennis zu Slatan. »Du verdammter Wichser.«

»Geh«, sagte Laura.

Dennis schüttelte den Kopf. »Jetzt gibt der kleine Pisser schon Befehle. So weit kommt es noch.«

Laura sagte: »Bitte!«

Dennis verzog das Gesicht zu einem spöttischen Grinsen. Er deutete auf die Parabellum in Slatans Hand und sagte zu ihm: »Sag mal, Arschloch, funktioniert das Teil eigentlich noch, oder ist das nur ein Spielzeug?«

Slatan starrte Dennis mit tränennassem Gesicht an, hob die Waffe, steckte sich den Lauf in den Mund und drückte ab.

Die Kugel riss ihm den Hinterkopf weg, Knochenteile, Blut und Hirnmasse klatschten gegen die Wand über dem Bett und blieben dort als klumpiger roter Brei kleben.

Der Kopf fiel ihm auf die Brust. Die Hand sackte nach unten, der Lauf der Parabellum rutschte aus dem Mund, die Waffe landete in seinem Schoß.

Laura konnte einfach nicht glauben, was passiert war. Ihre Ohren dröhnten von dem Schuss. Korditgeruch vermischte sich mit dem Gestank im Zimmer.

Im nächsten Moment schrie sie: »Scheiße! Verdammte Scheiße!« Sie fuhr zu Dennis herum, stieß ihn an die Wand. Packte ihn am Kragen. Kam ganz nah an sein verblüfftes, erschrecktes Gesicht heran. Zischte ihn mit vor Wut zusammengebissenen Zähnen an: »Musste das sein?«

Dennis Thienemann sah zu ihr hinunter. Er war bleich geworden. Musste schlucken. Suchte nach Worten. Ihm fiel kein passendes ein.

Eine Stunde später. Die Sonne war gerade untergegangen.

Die Kripo hatte übernommen. Laura und Dennis machten ihre Aussagen und fuhren anschließend zurück ins Präsidium.

Lauras Hände hatten sich ins Lenkrad gekrallt, ihre Kiefermuskeln arbeiteten.

Sie fuhr unkonzentriert, sprunghaft. Beschleunigte rasant. Bremste schnell ab.

Als sie schließlich an einer roten Ampel halten musste, konnte sie nicht mehr an sich halten: »Was sollte das vorhin, verdammt noch mal?«, blaffte sie Dennis an. »Kannst du mir das sagen?«

»Was?«

»Was? Was? Was?«, äffte sie ihn nach.

»Machst du mir jetzt etwa Vorwürfe, weil der Arsch sich erschossen hat?«

Dennis sah sie abschätzig von der Seite aus an. »Hallo! Er hat sich die Waffe in den Mund gesteckt, als wir sein verdrecktes Zimmer betreten haben. Er wollte sich erschießen. Und jetzt hat er sich erschossen. Ich bin nicht schuld an seinem Tod.«

»Er wollte mir etwas sagen.«

»Dir? Wieso gerade dir?« Er schüttelte ungläubig den Kopf. Blickte dann demonstrativ zum Beifahrerfenster hinaus. »Wieso gerade dem LKA? Was hat so ein kleiner, heruntergekommener Pisser mit dem LKA zu tun? Was? Kannst du mir das vielleicht sagen?«

Sie nagte an der Unterlippe, starrte auf die Straße, wartete darauf, dass die Ampel umschaltete. Sie ließ sich mit der Antwort Zeit, sagte schließlich: »Slatan war Drogendealer, und als Drogendealer hat er auch eine Weile ziemlich dick im Drogenhandel mitgemischt. Hatte Verbindungen zur organisierten Kriminalität. Als er zum ersten Mal aufgeflogen ist, hat er gleich Deals mit der Polizei gemacht, so nach dem Motto: Ich erzähl euch was, wenn ihr das eine oder andere Auge zudrückt. So habe ich ihn kennengelernt. Irgendwann hat er auch mal erzählt, er wüsste was über die Mafia hier in Süddeutschland. Hat aber letztendlich nur Junkies und kleine Lichter verpfiffen.«

»Und deshalb hast du ihm deine Nummer gegeben?«

»Deshalb hatte er meine Nummer.«

Die Ampel schaltete auf Grün. Sie gab Gas, die Reifen quietschten. Dennis wurde in den Sitz gedrückt. Er sagte: »Und? Haben wir aufgrund seiner Aussagen irgendjemand Großes drangekriegt?«

»Nein.«

Dennis lachte abfällig. »Typisch. Der wollte dich verarschen. Dich ein letztes Mal übers Stöckchen springen lassen. Ich weiß was, Laura. Komm, Laura, spring! Sei ein braves Mädchen.«

»Es gibt niemanden, der mich über irgendein Stöckchen springen lässt«, entgegnete sie scharf.

Wieder eine rote Ampel, wieder bremste sie abrupt ab. Sie standen an einer großen Straßenkreuzung. Es ging hier vierspurig ins Stadtzentrum. Lauras Finger tanzten ungeduldig auf dem Lenkrad.

Als sie wieder anfuhr, sah Dennis zu ihr hinüber. Nachdem sie die Kreuzung überquert hatte, legte er seine große, breite Hand auf ihre Schulter. »Sorry, Laura, hab’s nicht so gemeint!«

Sie schüttelte seine Hand ab wie einen zappelnden Käfer, ein kurzer Blick in den Rückspiegel, dann riss sie das Lenkrad herum, kreuzte die Fahrspuren rechts von ihr. Ein wildes Gehupe setzte ein. Sie visierte die Parkbucht einer Bushaltestelle an, stieg dort aufs Bremspedal. »Fass mich noch einmal an, Dennis, und du kannst zu Fuß gehen!«

Drei Stunden später stand Dennis Thienemann im Hof der ehemaligen Nähmaschinenfabrik in der Nordstadt und drückte auf die Klingel zu Lauras Wohnung. Nichts.

Das alte Backsteingebäude war vor etwa zehn Jahren vollständig saniert worden. Im Erdgeschoss waren kleine Eigentumswohnungen entstanden, in den oberen Stockwerken großzügige Lofts. In einem davon wohnte Laura. Dennis trat von dem Eingangsbereich zurück und schaute an dem Gebäude hoch. Er wusste, wo sich ihre Wohnung befand. Die Fenster waren dunkel.

»Mist«, murmelte er, griff in seine Jeansjacke, holte sein Handy heraus und wählte ihre Nummer.

Er musste nicht lange warten. »Was ist, Dennis?«

Ein lauer Nachtwind zog durch den Hof der Nähmaschinenfabrik. »Wo bist du? Ich bin bei deiner Wohnung und …«

»Du bist wo?«

»Bei deiner Wohnung.« Er stockte, fuhr dann fort: »Die Sache heute Nachmittag … also, die Sache mit dem Selbstmörder lässt mir keine Ruhe.«

»Und deine Frau? Evelyn? Was ist mit deiner Frau?«

»Ich hab gesagt, dass ich noch was im Büro zu erledigen habe.«

»Lügner«, sagte sie.

»Wo bist du?«, fragte er.

»Im Büro«, antwortete sie.

Es war kurz vor Mitternacht. Das Präsidiumsgebäude war bis auf einen Putztrupp und ein paar einzelne übereifrige Kollegen leer

Als Dennis das Großraumbüro betrat, saß Laura vor ihrem Computer, ging Verbrecherdateien durch und trank Kaffee.

»Kann es sein, dass du vergessen hast, wie viel Uhr es ist?«, fragte Dennis vorwurfsvoll.

»Kann es sein, dass du etwas zu viel getrunken hast?«, konterte Laura, ohne sich auf dem Stuhl umzudrehen.

Er wusste nicht, wohin mit den Händen. Lauras Sporttasche stand neben ihrem Schreibtisch. Sie selbst trug ihr Fitnessoutfit: bunte Sportschuhe, schwarze Sport Tights, ein eng anliegendes graues Tank Top. Er steckte die Hände schließlich in die Hosentaschen und sagte: »Wieso?«

»Man hört es dir an, wenn du was getrunken hast«, sagte sie. »Bist du mit dem Wagen gekommen?« Sie beantwortete sich die Frage selbst. »Klar, bist du. Nicht gut, Dennis! Nicht gut!«

»Besondere Situationen erfordern besondere Maßnahmen«, sagte er. »Warst du beim Fitness?«

»Ich wollte«, sagte sie. »Hab mich schon mal umgezogen. Aber es ist mir immer was dazwischengekommen. Egal. Oben am Bahnhof gibt es einen Club, da geh ich nachher noch hin. Der hat rund um die Uhr auf.«

»Und was ist dir dazwischengekommen?«

»Unser Freund geht mir nicht aus dem Kopf. Slatan.«

Dennis zog die Jeansjacke aus, hängte sie an den Edelstahl-Kleiderständer und schlenderte zu ihr. »Dann geht es dir so wie mir.«

Sie sah zu ihm hoch. Mit dunklen Augen, die ihn distanziert musterten. Sie hatte ein hartes Gesicht: breite Wangenknochen, eine scharf geschnittene Nase, schmale Lippen, ein kräftiges Kinn. Für Dennis war es das schönste Gesicht, das er kannte.

Die halblangen blonden Haare hatte sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Sie strich sich eine widerspenstige Strähne aus dem Gesicht.

»Und was willst du jetzt hier?«, wollte sie wissen.

»Ich möchte mich entschuldigen«, sagte er.

Sie zog sarkastisch die Augenbrauen hoch. »Wofür?«

»Es tut mir leid wegen heute Nachmittag. Das war … das war einfach unprofessionell. Scheißunprofessionell.«

Laura nickte. »Das war es.«

Mit dem rechten Handrücken wischte er sich Schweiß von der Stirn. Ihm war heiß im Büro. »Aber fuck auch, ich hätte nie gedacht, dass sich der Arsch das Hirn wegpustet. Einfach so. Ich habe die Situation falsch eingeschätzt. Ich dachte, er macht nicht ernst. Macht auf dicke Hose. Oder auf Clown. Oder auf Jammerlappen, der sich einfach gern bemitleiden lässt.«

»Da hast du dich getäuscht, mein Lieber.« Laura drehte sich auf dem Bürostuhl, saß jetzt vor ihm, lehnte sich zurück und streckte die langen Beine aus.

Er sah auf sie hinab.

Sie hatte eine verdammt gute Figur.

Anders als seine Frau. Evelyn war eher der weiche Typ. Mit recht ansehnlichen Rundungen an den richtigen Stellen.

Laura hatte kräftige Schultern, kräftige Arme, eine passable Oberweite. Kein Gramm Fett auf den Rippen. Er wusste es. Sie war die erste Frau mit einem Sixpack, mit der er geschlafen hatte.

Aber er wusste auch, dass es einige Stellen an ihrem Körper gab, die nicht so schön aussahen.

Narben. Verdammt tiefe Narben.

Sie redete nicht darüber. Mit niemandem. Nicht mal mit ihm.

Ihr waren seine Blicke nicht entgangen. Sie sagte: »Was ist?«

Er sah zur Seite. »Was ich nicht ganz verstehe: Du kennst Slatan seit ein paar Jahren. Er hat dir immer mal wieder ein paar Infos gesteckt. In Ordnung. Aber du hast selbst gesagt, so richtig große Tiere hat er nie ans Messer geliefert. Warum hast du es dann so eilig mit ihm gehabt? Warum bist du gleich aufgesprungen, als er dich angerufen hat? Hätte das nicht Zeit gehabt? Er war doch nur ein kleiner Fisch.«

Laura drehte sich mit einem raschen Schwung wieder ihrem PC zu, beugte sich vor zur Tastatur. »Guck mal hier drauf«, sagte sie. Er stellte sich neben sie, blickte über ihre Schulter auf den Bildschirm.

Das Bild eines schmalgesichtigen Jungen mit großen Augen erschien. »Slatan, 1999«, sagte sie. »Kurz nachdem er nach Deutschland gekommen ist.«

Das nächste Bild. Das gleiche Gesicht. Es war etwas fülliger geworden. Die Nase war flach und breit. Offensichtlich gebrochen. »Slatan, 2006. Am Anfang seiner kriminellen Karriere.«

Ein Klick mit der Maus. Ein weiteres Bild. Slatan mit Backenknochen, so spitz, dass sie fast die Gesichtsknochen durchstachen. »2012«, sagte Laura. »Hat voll im Drogenhandel gesteckt. Ist zweigleisig gefahren. War damals schon kokain- und heroinabhängig. Hat immer wieder Jobs für die großen Bosse des organisierten Verbrechens gemacht und gleichzeitig als Spitzel gearbeitet.«

Ein weiterer Klick mit der Maus, und das bullige Gesicht eines Mannes mit hellen Haaren, hellwachen Augen, einer kurzen, kräftigen Nase und einem Dreitagebart erschien. »Victor Hansen. Du kannst dir Slatans kriminellen Lebenslauf ab 2006 vornehmen, du kannst auf jedes Jahr tippen und wirst auf Hansen stoßen. Immer wieder Hansen. Slatan hat richtig Geld verdient bei Hansen, aber er hatte auch Angst vor ihm. Ich war mir sicher, dass er früher oder später über Hansen auspacken würde.«

Dennis kratzte sich am Kopf, als würde es ihn auf einmal furchtbar jucken: »Hansen? Du hast gehofft, er würde über Hansen auspacken? Über den Victor Hansen? Das kann nicht dein Ernst sein!«

Sie sah zu ihm hoch. Nickte. »Das ist mein voller Ernst.«

»Sagt dir das Jahr 2015 etwas?«, fragte Laura. »In dem Jahr verschwanden einunddreißig ukrainische Frauen zwischen siebzehn und fünfundzwanzig Jahren spurlos an der polnisch-deutschen Grenze. Menschenhändler haben sie ihren Familien abgekauft oder mit Versprechungen über das paradiesische Deutschland aus ihrer Heimat weggelockt. Die Menschenhändler haben damals entweder mit Victor Hansen kooperiert oder direkt für ihn gearbeitet.«

Ein Klick mit der Maus, und auf dem Monitor erschien ein Victor Hansen in voller Größe und etliche Jahre jünger. Schwer, stämmig, Stiernacken, lange Haare, Vollbart und in der Kluft des Rockerclubs Hellraisers. Er stand breitbeinig und mit verschränkten Armen im Hof eines Etablissements. Über dem Eingang ein blauer Neon-Schriftzug: Blue Velvet.

Laura sagte: »Victor Hansen hat damals in Deutschland mehrere Laufhäuser kontrolliert und sie mit sogenanntem Frischfleisch versorgt. Man geht davon aus, dass er damit Millionen verdient hat. Wir haben von den ukrainischen und polnischen Behörden Hinweise erhalten, was die Aktion mit den einunddreißig Frauen betrifft. Das LKA war vorbereitet. Irgendwann hieß es, sie würden mit einem Lastwagen über die Grenze kommen. Aber es kam nie ein Lastwagen mit Frauen an. Damals hat das LKA