RAF 1.0 - 3.0 - Stefan Schweizer - E-Book

RAF 1.0 - 3.0 E-Book

Stefan Schweizer

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Beschreibung

Wieso sollte man etwas lesen, was bereits hundert Mal erzählt worden ist? Bei Stefan Schweizers „RAF 1.0-3.0 – Ideologie und Strategie“ liegt das anders. Die Geschichte der RAF ist oft geschrieben worden. Das Besondere an Schweizers Werk liegt in der Vorgehensweise und Fragestellung. Schweizer analysiert anhand der Originaldokumente zunächst die Ideologie, dann die daraus abgeleitete Strategie und zu guter Letzt die eng damit verbundenen militärisch-strategischen Attentate der RAF. Im Gegensatz zu anderen vergleichbaren Werken argumentiert Schweizer eng an den Bekennerschreiben, Strategiepapieren und anderen Dokumenten und nimmt auf dieser Grundlage eine kritische Analyse der Ideologie und Strategie vor. Der Text ist angesichts der hochkomplexen und schwierigen Materie sehr lesefreundlich, spannend und fördert neue Erkenntnisse zu Tage, welche die Motivation und das Agieren der RAF kritisch beleuchten.

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STEFAN SCHWEIZER

RAF 1.0 - 3.0

Ideologie

Strategie

Attentate

RAF 1.0 - 3.0

Ideologie – Strategie – Attentate

STEFAN SCHWEIZER

SWB MEDIA PUBLISHING | SACHBUCH

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die über die Grenzen des Urheberrechtsgesetzes hinausgeht, ist unzulässig und strafbar.

Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen sowie die Speicherung in elektronischen Systemen.

1. Auflage 2017

ISBN 978-3-946686-21-7

© 2017 swb media publishing, Gewerbestraße 2, 71332 Waiblingen

Titelgestaltung: swb media publishing

Titelfoto: © dpa

Satz: swb media publishing

Druck, Verarbeitung: Rosch-Buch, Scheßlitz

Für den Druck des Buches wurde chlor- und säurefreies Papier verwendet.

www.swb-verlag.de

Für Adina und Constantin

Inhalt

1.Einleitung

2.Rote Armee Fraktion (RAF) und Demokratie

3.Ideologien und Strategien der RAF

3.1Die Ideologie der ersten Generation

3.2Die Ideologie der zweiten Generation

3.3Die Ideologie der dritten Generation

3.4Jahre der Transformation (1989 bis 1992)

4.Fazit

Literatur

1.Einleitung

In unseren westlichen Demokratien ist es eine Selbstverständlichkeit, dass jeder mit legalen Mitteln für politische Veränderungen kämpfen darf. Was unter keinen Umständen geht, ist Gewalt als Mittel einzusetzen, um politische Ziele zu erreichen. Dennoch gibt es nach wie vor politische Gewalttäter. Themen, die mit Terrorismus zu tun haben, laufen in der Regel gut. Sex, Crime and Politics interessieren die Menschen heute mehr denn je. Es ist aber nicht selbstverständlich, dass der deutsche Linksterrorismus auch heute noch nachgefragt wird, da er bereits mit dem würdigen Staub geschichtlicher Geschehnisse bedeckt ist. Abgesehen von wenigen, in der politischen Gemengelage eher unwichtigen, autonomen Gruppierungen und linksradikalen Splittergruppen wie den Revolutionären Aktionszellen (RAZ) aus Berlin, hat sich das Phänomen des Linksextremismus in Deutschland erledigt und gehört bis auf weiteres der Geschichte an. Worin besteht dann aber der Bezug zur Gegenwart, wenn man sich mit dem terroristischen Linksextremismus beschäftigt? Erschüttern nicht vielmehr brandaktuelle Ereignisse wie islamistischer Terrorismus à la Islamischer Staat (IS), rechtsradikaler Terrorismus des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) und Cyberterrorismus das tagespolitische Geschehen? Und genau hierin liegt ein Grund, der es lohnenswert macht, sich mit der Geschichte der Roten Armee Fraktion (RAF) zu beschäftigen. Vielleicht gelingt es uns, daraus Lehren zu ziehen, die es uns ermöglichen, den Bedrohungen unserer heutigen Demokratie besser zu begegnen und in der Vergangenheit begangene Fehler zu vermeiden, aber auch altbewährte Vorgehensweisen noch einmal zu verwenden.

Es gibt gute Gründe, über das oben Gesagte hinaus zu denken. Was macht also nach wie vor die Faszination an den Themenkomplexen Linksterrorismus und RAF aus? Warum beschäftigen sich auch junge Menschen, deren Jugend und Leben nicht von den Terrortaten der RAF überschattet wurde, mit der Geschichte des linksextremistischen Terrorismus in Deutschland? Antworten auf diese Fragen sind nicht einfach zu finden, dennoch soll im Folgenden ein kurzer Versuch der Klärung unternommen werden. Die RAF besitzt bis heute einen starken gesellschaftspolitischen und popkulturellen Einfluss. Gesetze, die jeden von uns täglich betreffen, wurden als Reaktion des Staates auf die RAF und ihren unerbittlich geführten Kampf gegen die freiheitlich-demokratische Gesellschaft verabschiedet. Arrivierte Fernsehköche machen T-Shirts mit Aufschriften wie Rote-Gourmet-Fraktion populär und vereinnahmen so endgültig den ohnehin zweifelhaften politischen Gehalt der RAF für die Mitte der Gesellschaft und ziehen zugleich eventuell tatsächlich vorhandene ernsthafte politische Intentionen der RAF ins Lächerliche, indem sie das Ganze aufs Essen und harmlose Fernsehformate zur Prime-Time reduzieren. Die RAF wird außerdem in Filmen, Fernseh- und Hörsendungen, Seminaren, Büchern und Zeitungsartikeln immer wieder thematisiert. Die äußerst populäre ZDF-Sendung Aktenzeichen XY überschlägt sich in zwei aufeinanderfolgenden Sendungen im Jahr 2016, wenn sie ketzerisch die Frage stellt, ob die 3. Generation der RAF wieder aktiv sei und an eine Neuaufnahme des bewaffneten Kampfs denke, da die drei mutmaßlichen Terroristen Volker Staub, Burkhard Garweg und Daniela Klette Überfälle auf Geldtransporter durchgeführt haben sollen. Als Täterschafts-Beweis dient die – anscheinend nicht ernsthaft in Frage zu stellende – Gentechnik. Da ist dann schnell vom militärischem Know-How, Geldbeschaffungsmaßnahmen für neue Terroranschläge, mörderischen Taten und Tätern sowie hochkonspirativem Vorgehen die Rede. Von dem mittlerweile über 60 Jahre alten Staub wird ein aktuelles Fahndungsfoto gezeigt, das einen gut gelaunten, körperlich fitten Mann zeigt. Woher dieses Bild einer Überwachungskamera stammt und woher die Behörden wissen wollen, dass es sich bei dem abgebildeten Mann tatsächlich um den mutmaßlichen Terroristen handelt, bleibt – wie so vieles im Bereich der Geheimdienst- und Geheimpolizei-Ermittlungen – im Dunklen. Die RAF ist tot – lang lebe die RAF, denn sie sorgt noch immer für brillante Einschaltquoten, weites Interesse und nicht zuletzt reichlich Absatz und Werbeeinnahmen. „Jubiläen“ wie die Gründung der RAF, die Mai-Offensive 1972 oder der Deutsche Herbst 1977 bieten ständig Anlass zu neuen Wortmeldungen.

Schließlich steht die Geschichte der RAF für so etwas wie die ewige Menschheitsgeschichte. Die Jungen lehnen sich gegen die Alten auf und Neues rebelliert oder in diesem Fall müsste man eher sagen: revoltiert gegen das Bestehende. Solche Geschichten finden sich bereits in der Bibel und sprechen jeden an – je nach Standpunkt und Lebensalter natürlich von einem unterschiedlichen Standpunkt aus. Das Morden und Bomben der RAF wandte sich nicht nur gegen die Demokratie und die freiheitlich-demokratische Grundordnung, sondern auch gegen die Generation der Eltern, die das 3. Reich, Hitler und Ausschwitz mit zu verantworten hatten. Die Schlachten zwischen der Bundesrepublik Deutschland (BRD) und der RAF sind endgültig geschlagen – da spielen mutmaßliche Überfälle ehemaliger RAF-Mitglieder auf Geldtransporter keine Rolle. Die Kämpfe von einst gehören der Geschichte an. Aber das Kapitel des linksradikalen Terrorismus ist für die deutsche Nachkriegsgeschichte nach wie vor von zentraler Bedeutung, denn es rief nachhaltige gesellschaftliche und politische Erschütterungen hervor. Einer der wesentlichen Protagonisten des RAF-Terrors der ersten Stunde war Andras Baader, der vor 40 Jahren unter mysteriösen – manche behaupten nach wie vor ungeklärten – Umständen im Hochsicherheitstrakt der Justizvollzugsanstalt (JVA) Stuttgart-Stammheim starb. Es gibt wenige Charaktere der deutschen Nachkriegsgeschichte, die bis auf den heutigen Tag so stark polarisieren wie Baader. Um Baader ranken sich zudem legendenumwobene Mythen und zahlreiche sprichwörtlich sagenhafte Geschichten, sodass es aus heutiger Sicht nicht mehr klar auszumachen ist, was davon einen Wahrheitskern besitzt und was nicht. Sahen die einen in ihm eine Art deutschen Che Guevara, so stellte er für die anderen nach dem sowjetischen Feind im Osten die größte Bedrohung für die junge Demokratie der Bundesrepublik Deutschland dar. Er galt zu der Zeit, die er als seine Blütezeit erlebt haben dürfte, als der Staatsfeind Nummer eins, das ist unumstritten. Gravierende Unterschiede gibt es aber in der Bewertung der politischen Dimension. Während die politisch Linke ihn als gerechten Freiheitskämpfer feiert, sieht die gesellschaftliche Mitte in ihm einen außergewöhnlichen, höchstens noch politisch irregeleiteten Schwerverbrecher, auf dessen Konto zahllose Morde, Bombenanschläge, Entführungen, Raube und weitere schwere Straftaten gehen.

Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks hat sich eine neue Stufe der Baader- und RAF-Rezeption ergeben. Heute gilt Baader vielen als fester Bestandteil einer Art Popkultur, die das politisch-Widerständige in den gesellschaftlichen Mainstream integriert hat, um damit Kasse zu machen und um dem eigenen Selbst, Tun und Handeln den Stempel des Exotischen und des Besonderen zu verleihen. So ziert das Emblem der ehemaligen Terrorgruppe heute viele T-Shirts, deren Aufdrucke von 0711-Club bis Rote Gourmet Fraktion zahlreiche Varianten umfassen. Baader und die RAF verübten unzählige schwere Verbrechen – vom Mord bis hin zum Versuch des Umsturzes der freiheitlich-demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland (BRD).

Den meisten jungen Leserinnen und Lesern ist die RAF kein Begriff mehr. Aber auch Menschen, die die Zeit des RAF-Linksterrorismus hautnah erlebt haben, vergessen zusehends die Ereignisse und geopolitischen Konstellationen von damals. Die radikale Linke fordert immer wieder eine geschichtliche Aufarbeitung der RAF. Das Ziel lautet, aus den Erfahrungen der Vergangenheit für die Kämpfe der Zukunft zu lernen. Aber auch Historiker aus anderen als linksradikalen Zusammenhängen beginnen mit der Untersuchung eines der stürmischsten Kapitel der deutschen Nachkriegsgeschichte. Die Linken werfen dann wertkonservativen Geschichtsschreibern vor, Erfüllungsgehilfen des Staatsschutzes zu sein. Das Ziel dieser Geschichtsschreiber bestünde darin, die RAF und ihren Kampf aus der Geschichte zu löschen. Damit solle im Bewusstsein der Bevölkerung jede Erinnerung an erfolgreiche revolutionäre Bewegungen vernichtet werden. Neue revolutionäre Bewegungen würden so erst gar nicht aufkommen. Diese Unterstellungen gehen mit dem Vorwurf einher, dass die geschichtliche Untersuchung der RAF durch staatstreue, demokratische und die freiheitlich-demokratische Grundordnung verteidigende Personen im Ergebnis immer mit einer Kriminalisierung und Entpolitisierung der RAF ende. Hier wird ausdrücklich die Meinung vertreten, dass eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der Geschichte der RAF hilft, die Geschichte Nachkriegsdeutschlands besser zu verstehen. Beschäftigt man sich mit dem Phänomen des Terrorismus‘, so stellt sich die Frage, was das überhaupt ist. Eine einheitliche Auslegung ist nicht auszumachen, da der Begriff von verschiedenen Gruppen unterschiedlich benutzt wird. Im Folgenden wird – in Anlehnung an die Formulierung der Konferenz über Terrorismus in Jerusalem im Jahre 1979 – unter Terrorismus verstanden: Terrorismus bekämpft vorsätzlich und systematisch mit Waffengewalt das bestehende politische System, um eigene politische Ziele umsetzen zu können. Diese Definition trifft in besonderem Maße auf die RAF zu. Bei der Untersuchung der RAF interessieren folgende Fragen:

-Welche Weltanschauung und Ideologie vertrat sie?

-Welche Strategie und Taktik benutzte sie?

-Wie wirkten sich die Strategie und die Taktik auf die Attentate aus?

Für die erste Generation der RAF gilt, dass sie eine kommunistische Grundausrichtung besaß, die sich vor allem am Maoismus und anderen Befreiungskonzepten der dritten Welt orientierten. Allerdings handelte es sich beim Konzept Stadtguerilla nicht um einen starren Parteikader-Kommunismus. Baader und den Mitgliedern der 1. Generation der RAF war solches Denken fremd. Die RAF sah sich vielmehr als ein Teil des weltweit stattfindenden Befreiungskampfes gegen den Kapitalismus und Imperialismus.

Die zweite Generation der RAF verstärkte die bereits während der ersten Generation im Kern vorhandene subjektivistische Wende, die sich auf die Subjekt-Theorie der Frankfurter Schule bezog und Autoren wie Herbert Marcuse und Theodor W. Adorno in den Mittelpunkt stellte. Die zweite Generation war im ideologischen und strategischen Bereich wenig erfindungsreich. Alle Aktionen und Überlegungen waren in erster Linie praktischer Natur. Es ging insbesondere darum, wie die gefangenen Kader der ersten RAF-Generation aus den Gefängnissen befreit werden konnten.

Die dritte RAF-Generation blieb ebenso wie die zweite Generation Theorie feindlich. Begriffe wie Selbstorganisation und selbstbestimmtes Leben rückten in den Vordergrund. Die dritte Generation versuchte im Gegensatz zur zweiten Generation eigenständige ideologische und strategische Konzepte zu entwickeln. Dabei baute sie zunächst auf das Mai-Papier der zweiten Generation, das zu Beginn der 80er Jahre erschien, auf. Der dritten Generation war insbesondere der Versuch wichtig, ihren Terrorismus auf eine internationale, das heißt vor allem europäische Zusammenarbeit zu stellen. Sie arbeitete zum Beispiel mit der französischen Action Directe (AD), einem Ableger der italienischen Brigate Rosse (BR) und den belgischen Cellules Communistes Combattantes (CCC) zusammen. So sollte eine wirkungsvolle gemeinsame Terror-Front in West-Europa entstehen. Zahlreiche Tote, Verletzte, Sachschaden in Millionenhöhe und Gesetze, welche die Bürgerrechte empfindlich einengen, rechtfertigen auch heute noch eine geschichtliche Auseinandersetzung mit der RAF. Die RAF gibt es seit ihrer Auflösungserklärung „Warum wir aufhören“ vom April 1998 nach eigenem Bekunden nicht mehr. Insofern gehört die RAF unbestritten der Geschichte an.

Was ist Geschichte? Etwas Objektives, unumstößlich Vorgegebenes? Geschichtliche Objektivität ist kaum zu leisten, denn geschichtliche Sachverhalte können immer aus unterschiedlichen Sichtweisen beurteilt werden. So hat die RAF in ihrer Geschichte zum Beispiel mehrfach versucht, das Terrorismus-Verhältnis umzudrehen. Sie beschuldigte die USA in Bezug auf den Vietnam-Krieg, Terrorismus gegenüber dem vietnamesischen Volk zu betreiben. Der deutsche Staat erhielt den Terrorismus-Vorwurf in Sachen Umgang mit politischen Gefangenen und bezüglich des Tötungsverdachts gegenüber Terroristen. Finaler Rettungsschuss und Kill-Fahndung lauten nur zwei diesbezügliche Stichworte.

Der Umgang mit Geschichte wirft grundsätzlich die folgenden Fragen auf:

-Wie entsteht Geschichte?

-Wer schreibt Geschichte?

-Oder gibt es nur „Geschichten“ über eine bestimmte zeitliche Periode?

Geschichte wird von Menschen erzählt und derjenige, der die Geschichte erzählt, wählt die ihm wichtigen Ereignisse der Geschichte aus. Ein Geschichtsschreiber stellt also Geschichte durch eine Auswahl bestimmter Punkte aus der Vergangenheit her (Rekonstruktion). Wer die Geschichtsdarstellung dann liest, kann anschließend den Standpunkt des Autors offen legen (Dekonstruktion). Geschichte ist folgerichtig nichts unumstößlich Wahres oder Objektives, das dürfte durch diese kurzen Ausführungen deutlich geworden sein.

2.Rote Armee Fraktion (RAF) und Demokratie

Die Auseinandersetzungen und Schlachten zwischen dem Staat und der selbsternannten bewaffneten Fundamentalopposition beziehungsweise Guerilla und Befreiungsbewegung der Roten Armee Fraktion sind geschlagen und gehören der Geschichte an. Es ist nicht übertrieben, dass das Kapitel des linksradikalen Terrorismus eines der interessantesten der bundesrepublikanischen Nachkriegsgeschichte darstellt. Eine seriöse Auseinandersetzung mit der Geschichte der RAF hilft, die bundesrepublikanische Geschichte treffend und gehaltvoll zu analysieren, denn nur ein Blick darauf, wie ein Staat und ein Gemeinwesen mit extremen Situationen und Herausforderungen umgeht, öffnet den Blick für den Zustand oder die Verfassung einer Gesellschaft. In der heutigen, zeitlich nachgeordneten Sichtweise fällt das Fazit positiv aus, allerdings beweist der Blick auf die historischen Ereignisse, dass der Teufel oft im Detail steckt und der Umgang mit dem linksradikalen Terrorismus die Bevölkerung viele Freiheiten gekostet hat: jeden von uns und auch heute noch.

Ein wesentlicher Bestandteil der Geschichte der RAF ist ihre ideologische und ideengeschichtliche Ausrichtung, die sich mit ihrer taktisch-strategischen Grundausrichtung sowie der konkreten Ausübung der Attentate verbindet. Der RAF wirft man zum einen absolute Theoriefeindlichkeit vor und bezeichnet die RAF-Mitglieder Desperados. Dann wiederum heißt es von anderer Seite vorwurfsvoll, die RAF sei nicht marxistisch-leninistisch, sondern an der Frankfurter Schule ausgerichtet, wobei die Soziologen Horkheimer und Adorno den theoretisch-analytischen Überbau und der Philosoph Marcuse die strategische Grundausrichtung geliefert hätte. Es fällt auf, dass vor allem der Sozialdemokratie nahe stehende Autoren der RAF absolute Freiheit von jeglicher Ideologie vorwerfen und die Mitglieder der RAF somit in den Rang normaler Schwerstkrimineller rücken. Konservative Autoren hingegen erkennen an, dass die RAF eine ideologische Fundierung besaß, wenngleich diese ideenpolitischen Konzepte natürlich diametral denjenigen der konservativen Politiker entgegen stehen und natürlich auf das Schwerste zu verurteilen waren. Das Fazit der RAF-Verurteilung ist somit bei den christlich Konservativen und den Sozialdemokraten einhellig, unterschiedlich sind jedoch die Begründungen. Ich gehe – ganz unabhängig von meinem eigenen politischen Standpunkt – von einer ideologisch fundierten Ausrichtung der RAF aus. Diese Ideologie findet sich meistens in die taktischen und strategischen Erörterungen der Bekennerschreiben, Strategiepapiere oder ähnliche RAF-Wortmeldungen eingebettet.

Um die ideologische und strategische Grundausrichtung der RAF bestimmen, analysieren und interpretieren zu können ist – wie bei jeglicher geschichtlichen Arbeit – ein sorgfältiges Quellenstudium nötig. Diese Grundlage besteht also in den theoretischen Schriften, Bekennerschreiben, Strategiepapieren, Briefen, Erklärungen und Aufsätzen der RAF.

Die RAF durchlief verschiedene Phasen, in denen sich die ideologische, taktisch-strategische Ausrichtung und die Durchführung der Attentate fundamental geändert haben. Die chronologische Einteilung dieser ideologischen Phasen ergibt sich vor allem aus den verschiedenen grundlegenden Strategiepapieren der RAF. Die Strategiepapiere waren oft durch externe Faktoren (wie zum Beispiel Attentate anderer Terrororganisationen: Schwarzer September bei den Olympischen Spielen 1972 in München) oder durch Verhaftungswellen in den eigenen Reihen (wie 1984) bedingt. Manchmal stellten sie aber auch den Ausfluss eines langwierigen Selbstreflexionsprozesses dar, in welche Richtung sich der bewaffnete Kampf zu entwickeln habe. Die ideologische Grundausrichtung der RAF hat sich also mehrfach gewandelt. Vier grundlegende Phasen sind dabei zu unterscheiden:

1.Im Zusammenhang mit der ersten Generation die Gründungs- und Anfangszeit der RAF mit einer kommunistischen Grundausrichtung, die sich am Maoismus und anderen Befreiungskonzepten der dritten Welt orientierte.

2.Im Zusammenhang mit der zweiten Generation die verstärkte subjektive Wende, die auf die Subjekt-Theorie der Frankfurter Schule rekurrierte und Autoren wie Marcuse und Adorno in den Mittelpunkt stellte.

3.Im Zusammenhang mit der dritten Generation eine zunehmende Theoriefeindlichkeit, wobei Begriffe wie Selbstorganisierung und selbstbestimmtes Leben in den Vordergrund rückten, ohne dabei den theoretischen Überbau zu benennen.

4.Die ideologischen Grabenkämpfe, die im Zuge der „Kinkel-Initiative“ zwischen einem Teil der Gefangenen und der RAF sowie dem Großteil der Gefangenen ausgetragen wurden.

Dieses Buch berücksichtigt insbesondere die ersten drei Phasen. Die Rekonstruktion basiert auf meiner Kenntnis der gesammelten Schriften der RAF und des größten Teils der vorhandenen Sekundärliteratur.

Bereits oben wurde angedeutet, dass es so etwas wie historische Objektivität nicht geben kann. Es wird deshalb ausdrücklich darauf hingewiesen, dass bei allen historischen Sachverhalten das Merkmal der Multiperspektivität einschlägig ist. Das bedeutet in unserem Kontext, dass ein- und dieselbe Gruppe je nach Standpunkt Freiheitskämpfer oder Terroristen sein kann. Es mangelt auch nicht an Beispielen, in denen die RAF versucht hat, das Terrorismus-Verhältnis umzudrehen, indem sie die USA (in Bezug auf den Vietnam-Krieg), aber auch die BRD (hinsichtlich des Ausmerz-Verhältnisses zur RAF und der Isolationshaft) des Staatsterrorismus bezichtige. Im Falle der USA wurde dies ausführlich damit begründet, dass diese im Vietnamkrieg vorsätzlich Terror in Form der Zerstörung von Infrastruktur, zivilen Objekten etc. gegen die vietnamesische Bevölkerung betrieben hätten.

Zahlreiche Tote, Verletzte, Sachschaden in Millionenhöhe und Gesetze, welche die Bürgerrechte empfindlich einengen, rechtfertigen die Frage, wie die RAF diese Terrortaten ideologisch und strategisch gerechtfertigt hat. Die vorhandenen Dokumente sind Selbstzeugnisse der RAF und bedürfen aus diesem Grund einer sensiblen Einschätzung und Interpretation. Die RAF versuchte ihre grausamen Verbrechen durch Erklärungen, Bekennerschreiben und Strategiepapiere zu rechtfertigen.