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"RAF 3.0-4.0: Zerfall, Auflösung, Schwerkriminalität (1992-2017)" schildert anhand von RAF-Texten erstmalig spannend, wie es zur Auflösung der RAF kam. Der Staat konnte die RAF bis heute militärisch nicht besiegen. Wie kam es dennoch zum Untergang der RAF? Welchen Anteil hatte daran die Koordinierungsgruppe Terrorismus? Welche Rolle spielte der Geheimdienstler und Bundesjustiz-Minister Klaus Kinkel? War es der Verfassungsschutz-Spitzel Klaus Steinmetz, der der RAF den Todesstoß versetzte? Oder war es der RAF-interne Streit zwischen Reformern, Hardlinern und der RAF-Kommandoebene? Wieso gelingt es der Polizei bis heute nicht, die Reste-RAF auszuschalten, obwohl diese einen bewaffneten Raubüberfall nach dem anderen begeht? Wie kann das RAF-Trio Staub, Klette und Garweg bis heute trotz gestochen scharfer Fahndungsbilder im Untergrund agieren? Gibt es versteckte Verbindungen zwischen den Linksterroristen und deutschen Geheimdiensten?
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Seitenzahl: 179
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Stefan Schweizer
RAF 3.0 +:
Zerfall, Auflösung, Überfälle
(1992-2017)
STEFAN SCHWEIZER
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in derDeutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind imInternet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
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1. Auflage 2018
ISBN 978-3-946686-77-4
© 2018 swb media publishing, Gewerbestraße 2, 71332 WaiblingenTitelgestaltung: swb media publishing
Satz: swb media publishing
Druck, Verarbeitung: Rosch-Buch, Scheßlitz
Für den Druck des Buches wurde chlor- und säurefreies Papier verwendet.
www.suedwestbuch.de
»Die Revolution sagt: ich war ich bin ich werde sein«
RAF-Auflösungserklärung vom April 1998
Abkürzungsverzeichnis
1.Einleitung
1.1Linksterrorismus in Deutschland
1.2Weltgeschichte – Das Ende des Kalten Kriegs
1.3Die Linke nach der Wende
2.Die RAF nach 1989
3.Der Zerfall - Die Lager
3.1Die Hardliner
3.2Die Reformer
3.3Die RAF
3.4Gesellschaftspolitische Positionen
4.Die RAF in den Jahren 1994 bis 1998
4.1Erklärungen und Leserbriefe 1996
4.2Die Auflösungserklärung 1998
5.Schlussbemerkung
6.RAF und kein Ende: Das RAF-Phantom lebt! 3.0+oder 4.0?
Nachwort (Christof Wackernagel)
40 Jahre nach dem »Deutschen Herbst«:
Der Wunsch nach Vergeltung ist mir fremd
Zitierte Literatur
Personenverzeichnis
AD
Action Directe
AIZ
Antiimperialistische Zelle
APO
Außerparlamentarische Opposition
BR
Brigate Rosse
BR-PCC
Brigate Rosse Partito Comunista Combattante: Ableger der italienischen Brigate Rosse, der zusammen mit der RAF und den belgischen Cellules Communistes Combattantes die westeuropäische Front aufbauen wollte
BKA
Bundeskriminalamt
BAW
Bundesanwaltschaft
BRD
Bundesrepublik Deutschland
CCC
Cellules Communistes Combattantes
DDR
Deutsche Demokratische Republik
DNVP
Deutsche Nationale Volkspartei
EG
Europäische Gemeinschaft
EU
Europäische Union
FDP
Freie Demokratische Partei Deutschlands
G7
Gruppe der sieben führenden Industrienationen
GRAPO
Grupo de Resistencia Antifacista Primero de Octubre
GG
Grundgesetz
GSG 9
Grenzschutzgruppe 9 des Bundesgrenzschutzes für den Anti-Terrorkampf
ID
Identity Card
JVA
Justizvollzugsanstalt
K-Gruppen
Maoistisch orientierte Kaderparteien und Sammelbezeichnung für die zahlreichen kommunistischen Kleinparteien in Deutschland nach dem Verschwinden der APO
KGT
Koordinierungsgruppe Terrorismus
KPD
Kommunistische Partei Deutschlands
MfS
Ministerium für Staatssicherheit
MIK
Militärisch-Industrieller-Komplex
MLPD
Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands
NS
Nationalsozialismus
PDS
Partei des Demokratischen Sozialismus
PKK
Kommunistische Arbeiterpartei Kurdistans
NATO
North Atlantic Treaty Organization
RAF
Rote Armee Fraktion
RZ
Rote Zellen
SDI
Strategic Defense Initiative (ein von US-Präsident Ronald Reagan angekündigtes weltraumgestütztes Raketenabwehrsystem aus den 1980er Jahren)
SPD
Sozialdemokratische Partei Deutschlands SPK Sozialistisches Patientenkollektiv
Stasi
Staatssicherheit: Inlands- und Auslandsgeheimdienst der DDR
StPO
Strafprozessordnung
SWR
Südwestrundfunk
UDSSR
Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken
USA
Vereinigte Staaten von Amerika
VS
Verfassungsschutz
WTC
World Trade Center
ZVW
Zentralverwaltungswirtschaft
Die Schlachten zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Roten Armee Fraktion (RAF) sind geschlagen. Sie gehören der Geschichte an. Das Kapitel des linksradikalen Terrorismus’ ist dennoch für die deutsche Nachkriegsgeschichte von zentraler Bedeutung, denn es rief nachhaltige gesellschaftliche und politische Erschütterungen bis zum heutigen Tage hervor. Im Jahr 2016 wurde die Rest-Truppe der ehemaligen Kommandoebene der 3. RAF-Generation für mehrere Geldtransporter-Überfälle verantwortlich gemacht. Die Gentechnik lieferte anscheinend den Beweis, dass Ernst-Volker Staub, Daniela Klette und Burkhard Garweg sich für die Überfälle verantwortlich zeichnen. Dieses Trio gilt neben dem 1993 in Bad Kleinen Schussverletzungen erlegenen Wolfgang Grams und der gleichzeitig verhafteten Birgit Hogefeld als Kern der 3. RAF-Generation.
Radikale Linke fordern immer wieder eine Aufarbeitung der RAF-Geschichte. Die RAF nannte dies in ihrer Auflösungserklärung als eines der wichtigsten Ziele, die es nach ihrer Auflösung zu bewältigen gebe. Das Ziel lautet, aus den Erfahrungen der Vergangenheit für die Kämpfe der Zukunft zu lernen. Aber auch Historiker aus anderen als linksradikalen Zusammenhängen beginnen mit der genauen Untersuchung eines der stürmischsten Kapitel der deutschen Nachkriegsgeschichte. Die Linken werfen dann wertkonservativen Geschichtsschreibern vor, Erfüllungsgehilfen des Staatsschutzes zu sein. Das Ziel bestünde alleine darin, die RAF und ihren Kampf aus der Geschichte aus zu löschen. Damit solle im Bewusstsein der Bevölkerung jede Erinnerung an revolutionäre Bewegungen vernichtet werden. Neue revolutionäre Bewegungen würden so erst gar nicht mehr aufkommen.
Diese Unterstellungen gehen mit dem Vorwurf einher, dass die geschichtliche Untersuchung der RAF durch staatstreue, demokratische und die freiheitlich-demokratische Grundordnung verteidigende Personen im Ergebnis immer mit einer Kriminalisierung und Entpolitisierung der RAF ende. Hier wird ausdrücklich eine andere Meinung vertreten. Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der Geschichte der RAF hilft vor allem anderen, die Geschichte Nachkriegsdeutschlands besser zu verstehen und zu beurteilen. Viele Auswirkungen der RAF und ihrer Verbrechen spüren die Bürger unseres Landes bis heute. Was als Gesetz im Kampf gegen den Terrorismus – vermutlich zunächst einmal mit guten Absichten – verabschiedet wurde, beschneidet heute noch empfindlich die Freiheiten gesetzestreuer Menschen und ebnete den Weg in ein Regime, in dem der gläserne Mensch, die staatliche Kontrolle des Individuums und starke digital-elektronische Überwachungsmaßnahmen an der Tagesordnung sind. Natürlich werden heutige »Überwachungsmaßnahmen« insbesondere mit der Gefahr des islamistischen Terrorismus’ begründet. Die Gesetzesmaßnahmen, die aber im Zusammenhang mit der RAF erlassen wurden, bilden die Voraussetzung dafür, dass weitere staatliche Überwachungsmaßnahmen heute ohne nennenswerte Widerstände in der Bevölkerung durchgesetzt werden können.
Beschäftigt man sich mit Terrorismus, so stellt sich die Frage, was das ist. Eine einheitliche Auslegung ist nicht auszumachen, da der Begriff von verschiedenen Gruppen unterschiedlich benutzt wird. Im Folgenden wird – in Anlehnung an die Formulierung der Konferenz über Terrorismus in Jerusalem im Jahre 1979 – unter Terrorismus verstanden: Terrorismus bekämpft vorsätzlich und systematisch mit Waffengewalt das bestehende politische System, um eigene politische Ziele umzusetzen. Die Definition trifft in hohem Maße auf die RAF zu. Zwei Dinge sind bei einer geschichtlichen Untersuchung der RAF von besonderem Interesse, da sie Aufschluss über die Motivation und das Handeln der RAF-Kommandoebene geben:
-Welche Ideologie und Weltanschauung vertrat sie?
-Welche Strategie und Taktik benutzte sie, um diese Ideologie und Weltanschauung umsetzen zu können?
-Die Untersuchung der beiden Fragen ist bereits für die Zeit von 1970 bis 1992 mehrfach geleistet worden. Dabei habe ich jüngst in meinem Sachbuch »RAF 1.0-3.0: Ideologie, Strategie, Attentate« hinsichtlich der drei RAF-Generationen folgende Ergebnisse festgehalten:
-Die erste Generation der RAF hatte eine kommunistische Grundausrichtung, die sich vor allem am Maoismus und an anderen Konzepten der Befreiung der dritten Welt orientierte. Allerdings handelte es sich beim »Konzept Stadtguerilla« nicht um einen starren Parteikader-Kommunismus. Den Mitgliedern der ersten Generation der RAF war ein solches Denken fremd. Die RAF sah sich vielmehr als ein Teil des weltweit stattfindenden Befreiungskampfes gegen den Kapitalismus und den Imperialismus, ohne dabei an starren Parteikader-Organisationsformen Interesse zu besitzen.
-Die zweite Generation der RAF verstärkte die bereits während der ersten Generation im Kern vorhandene subjektivistische Wende, die sich insbesondere auf die Subjekt-Theorie der Frankfurter Schule bezog und Autoren wie Herbert Marcuse, Max Horkheimer und Theodor W. Adorno in den Mittelpunkt stellte. Die zweite Generation war im ideologischen und strategischen Bereich wenig erfindungsreich. Alle Aktionen und Überlegungen waren in erster Linie praktischer Natur. Es ging vor allem darum, wie die gefangenen Kader der RAF aus den Hochsicherheitstrakten der bundesdeutschen Gefängnisse befreit werden konnten.
-Die dritte RAF-Generation blieb ebenso wie die zweite Generation weitgehend Theorie feindlich. Begriffe wie »Selbstorganisierung« und »selbstbestimmtes Leben« dominierten die theoretischen Konstrukte. Die dritte Generation versuchte aber im Gegensatz zur zweiten Generation ansatzweise eigenständige ideologische und strategische Konzepte zu entwickeln, die dann die Taktik und die konkreten Attentatsdurchführungen definierten. Dabei baute sie zunächst auf dem sogenannten »Mai-Papier« der zweiten Generation (zu Beginn der 80er Jahre vermutlich maßgeblich von Helmut Pohl entworfen und 1982 »publiziert«) auf. Der dritten Generation war der Versuch wichtig, ihren Terrorismus auf die Basis einer internationalen Zusammenarbeit zu stellen. Sie arbeitete z. B. mit der französischen Action Directe (AD), einem Ableger der italienischen Brigate Rosse (BR-PCC) und den belgischen Cellules Communistes Combattantes (CCC) zusammen. Durch die Internationalisierung sollte eine wirkungsvolle gemeinsame Terror-Front in West-Europa entstehen, die den Sieg des kapitalistisch-imperialistischen Systems buchstäblich in letzter Minute noch aufhalten sollte.
Tote, Verletzte, Sachschaden in Millionenhöhe und zahlreiche Gesetze, welche die Bürgerrechte nach wie vor empfindlich einengen, rechtfertigen heute noch eine geschichtliche Auseinandersetzung mit der RAF. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage: Wie konnte die RAF ihr Tun vor sich selber und ihren Unterstützern rechtfertigen?
Diese Fragestellung berührt die weltanschauliche und ideologische Ausrichtung der RAF. Hinzu kommt der Gesichtspunkt, welche Strategien und Taktiken sich damit verbanden. Um diesen wesentlichen Fragen in der Auseinandersetzung mit der RAF-Geschichte auf den Grund gehen zu können, müssen die Erklärungen, Bekennerschreiben, Strategiepapiere, Leserbriefe sowie die Auflösungserklärung der RAF genau untersucht werden. Die genannten Texte sind allerdings Selbstzeugnisse der RAF und bedürfen deshalb einer besonders vorsichtigen Einschätzung und Interpretation. Von konservativer Seite aus wird nämlich häufig der Verdacht geäußert, dass die genannten RAF-Dokumente vornehmlich der Rechtfertigung von Terrortaten und der Verbreitung von Propaganda dienen und nicht die soziale Wirklichkeit beschreiben. Dennoch stellen Texte – egal welcher »zweifelhaften« Herkunft sie auch sein mögen – immer ein Interpretament dar, dem man zunächst eine gewisse Sinnhaftigkeit unterstellen muss, da jeder Autor eine kommunikative Absicht mit seinem Werk verfolgt. Insofern verdienen die RAF-Texte eine ernsthafte, hermeneutische Betrachtung und Analyse.
Die RAF gibt es seit ihrer Auflösungserklärung »Warum wir aufhören« vom April 1998 nach eigenem Bekunden nicht mehr. Insofern gehört die RAF unbestritten der Geschichte an. Die Gefahr des Linksterrorismus’ ist in Deutschland seitdem kaum mehr vorhanden. Heute besteht das Bedrohungs-Szenario im islamistischen Terrorismus à la Al Qaida und Islamischer Staat (IS). Das kurzzeitige Bestehen der antiimperialistischen Zelle (AIZ) wirkt wie ein seltsames Bindeglied zwischen Linksterrorismus und der globalen islamistischen Bedrohung. Die AIZ versuchte sowohl antiimperialistisches und kommunistisches als auch islamisches Gedankengut miteinander zu verbinden, was ihr massive Kritik aus dem linken Lager einbrachte. Geschichtliche Objektivität ist bei aller Wissenschaftlichkeit kaum zu leisten, denn geschichtliche Sachverhalte können immer aus unterschiedlichen Sichtweisen beurteilt werden. So hat die RAF in mehrfach versucht, das Terrorismus-Verhältnis umzudrehen. Sie beschuldigte die USA in Bezug auf den Vietnam-Krieg, Terrorismus gegenüber dem vietnamesischen Volk zu betreiben. Der deutsche Staat erhielt den Terrorismus-Vorwurf in Sachen Umgang mit politischen Gefangenen und Tötungsverdacht gegen Terroristen.
Folglich stellen sich hinsichtlich einer geschichtlichen Auseinandersetzung mit der RAF unter anderem die folgenden Fragen:
-Wie entsteht Geschichte?
-Wer schreibt Geschichte?
-Oder gibt es nur »Geschichten« über eine bestimmte zeitliche Periode?
-Geschichte wird von Menschen erzählt und derjenige, der die Geschichte erzählt, wählt die ihm wichtigen Ereignisse der Geschichte aus. Ein Geschichtsschreiber stellt also erst seine Geschichte her. Wer diese Geschichtsdarstellung dann liest, kann anschließend den Standpunkt des Autors offen legen. Geschichte ist nichts unumstößlich Wahres oder Objektives, das dürfte durch diese kurzen Ausführungen deutlich geworden sein. Dennoch kann Geschichtsschreibung eine Annäherung an die Geschichte bedeuten. Was sich in den Jahren nach 1989 weltgeschichtlich vollzog, ist bis heute schwierig nachzuvollziehen. In zahlreichen Staaten fand ein Systemwandel vom Kommunismus hin zur Demokratie und zum System des freien Unternehmertums (vormals: Kapitalismus) statt. In politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bereichen erfolgten Umstellungen, die das bisher Vorhandene vom Kopf auf die Füße stellten. Die Welt war nicht mehr dieselbe. Sogar zuversichtliche Analytiker westlicher Geheimdienste sahen den Zusammenbrach des Kommunismus’ in dieser Form und zu diesem Zeitpunkt nicht voraus und waren von den geschichtlichen Ereignissen überrascht. War der Zusammenbruch des Ostblocks eine Laune der Geschichte oder unausweichliche Notwendigkeit? Heute geht man von einer doppelten Ursache des Zerfalls des Ostblocks und kommunistischen Staatensystems aus:
-Zum einen waren die politischen Strukturen und Akteure des politischen Systems der kommunistischen Staaten nicht flexibel genug. Notwendige Änderungen und Kurskorrekturen konnten sich gegen den zähen Widerstand einer trägen Masse in Politik und Verwaltung kaum durchsetzen. Gesellschaftspolitische Hardliner bestimmten das politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Tagesgeschehen. Änderungs- und Reformwünsche galten per se als offener Angriff auf den Kommunismus und wurden von daher bereits im Keim erstickt. Dadurch wurde die für Gesellschaften notwendige Dynamik der Evolution im Ansatz abgewürgt. Gesellschaften müssen sich ständig verändern um den sich wandelnden Anforderungen gerecht zu werden.
-Zum anderen standen die kommunistischen Ostblockstaaten vor dem wirtschaftlichen Ruin. Offensichtlich war die dort herrschende Zentralverwaltungswirtschaft (ZVW) nicht in der Lage, effektiv, effizient und Gewinn bringend zu wirtschaften und angemessen die materiellen Bedürfnisse der Menschen zu berücksichtigen.
Die Gründe für die Niederlage des Ostblocks sind natürlich mehrschichtiger und zahlreicher als die zwei oben genannten. Manche sehen einen weiteren wesentlichen Grund für den Kollaps des kommunistischen Staatensystems in der »Hardliner«-Politik der USA unter Ronald Reagan und ihrer Verbündeten. Denn durch das ständige Wettrüsten und Pläne wie dem »Weltraumkrieg« (SDI) war es den USA schließlich gelungen, den Antagonisten UDSSR wirtschaftlich in die Knie zu zwingen, ohne dass eine offene Schlacht geschlagen werden musste, also der Kalte Krieg in eine heiße Phase eintrat. Der Kalte Krieg war nie wirklich heiß gewesen – auch wenn zahlreiche Stellvertreterkriege in Korea, Vietnam, Afghanistan und Ereignisse wie die Kuba-Krise diesen Anschein erweckten.
Die kommunistische Planwirtschaft erwies sich in der Gesamtheit als zu träge. Es fehlten zum Beispiel Leistungsanreize für den Einzelnen. Der Mensch scheint aus seiner anthropologischen Veranlagung heraus insbesondere aus eigennützigen Gründen zu verstärkten Arbeitsanstrengungen bereit zu sein. Bildliche und symbolische Belohnungen wie die Auszeichnung »Held der Arbeit« sind auf die Dauer wohl unzureichend. Mit einem Schlag änderte sich also Ende der 80er und Anfang der 90er Jahre des letzten Jahrtausends die geostrategische Situation. Der Ost-West-Konflikt gehörte auf einmal der Geschichte an. Die Systemalternative der kommunistischen Staaten verschwand fast vollständig von der Landkarte. Wenige Ausnahmen bestätigten die Regel. China, Kuba und Nordkorea blieben dem Kommunismus und der damit verbundenen Wirtschaftsform der Zentralverwaltungswirtschaft treu. Heute besitzen diese Länder immer noch kommunistische Regimes und Spielarten der Planwirtschaft. China ist auf dem besten Weg zur Supermacht, Kuba besitzt innerhalb des amerikanischen Kontinents das beste Bildungs- und Gesundheitssystem und Nordkorea konnte trotz internationaler Sanktionen und Proteste zur Atommacht aufsteigen, die inzwischen sogar das amerikanische Festland zu bedrohen in der Lage ist. Sprechen diese Merkmale vielleicht dafür, dass doch nicht alles schlecht war am Kommunismus? Zumindest belegen sie, dass kommunistische Staaten auch in der Welt des freien Unternehmertums weiter bestehen können, ohne dabei auf ein Netzwerk von Verbündeten und solidarischen Völkern zurückgreifen zu können.
Nach dem Ende des Ostblocks wurden die »One World« und das »Ende der Geschichte« verkündet. Dieser fromme Wunsch eines US-Präsidenten und die wissenschaftlich verkleidete Vermutung eines bekannten US-amerikanischen Wissenschaftlers bestätigten sich hingegen eher nicht, denn es traten immer neue Konflikte zu Tage. Heute kann man mit dem amerikanischen Politikwissenschaftler und ehemaligen CIA-Analysten Samuel Huntington durchaus von einem »Kampf der Kulturen« sprechen. Der radikale und militante Islamismus ist zu einer ernsthaften und umfassenden Bedrohung der westlichen Welt und ihrer Demokratien geworden. Dieser Terrorismus ist ein völlig anderer.
Der Linksterrorismus in Europa versuchte in den meisten Fällen, hochrangige politische, wirtschaftliche und militärische Vertreter des kapitalistischen Systems zu töten, aber zivile Opfer zu vermeiden. Es ging ihm also in erster Linie darum, berühmte Personen aus Politik, Wirtschaft und Militär, die stellvertretend für das kapitalistische System standen, anzugreifen. Ebenso wurden Angriffe auf militärische oder polizeiliche Ziele (wie Polizeistationen oder Militärflughäfen) durchgeführt. Al Qaida und noch stärker die selbsternannten Soldaten des Islamischen Staats (IS) zeigen in einer bis dato nicht gekannten Kompromisslosigkeit, wie Terrorismus noch viel brutaler und rücksichtsloser von statten gehen kann – etwas, das bis dahin undenkbar gewesen war. Bei Al Qaida und dem Islamischen Staat (IS) besteht das Ziel terroristischer Anschläge darin, möglichst viele Zivilisten zu töten und grenzenlosen Schrecken in der Bevölkerung hervorzurufen.
Am 9. September 2001 gelang es Al Qaida durch einen einzigen Anschlag auf das New Yorker World Trade Center (WTC) mehrere Tausend Menschen an einem Tag zu töten. Bereits die Anschläge auf die US-Botschaften in Afrika ein paar Jahre zuvor hatten hunderte von Menschenleben gefordert. Diese Opferdimensionen wurden in den Jahrzehnten des europäischen Linksterrorismus nicht einmal im Ansatz erreicht. Der Islamische Staat (IS) hat die Form der terroristischen Kriegsführung noch einmal entscheidend simplifiziert. Statt aufwändig synchronisierte Terroranschläge mit Flugzeugen oder komplizierten Bomben auf prominente Anschlagsziele zu orchestrieren, fordert der Islamische Staat (IS) seine Anhänger dazu auf, Terror-Attentate mit einfachsten Mitteln wie Autos, Messern und Steinen zu begehen. Entscheidend ist zudem, dass es in diesem Zusammenhang völlig ausreichend ist, wenn vor dem Attentat der Attentäter ein Treuebekenntnis zum Islamischen Staat ablegt, sodass quasi jeder Muslim von einer Sekunde auf die andere zu einem »Soldaten« des Islamischen Staats (IS) werden kann. Dennoch verbreiten die durch Autos in Paris, London, Barcelona und anderswo begangenen Attentate des islamischen Kalifats für Angst und Schrecken. In seinem eigenen Herrschaftsgebiet hat es der Islamische Staat noch mehr auf Abschreckung und schreckliche Bilder abgesehen. Er inszeniert mit viel Aufwand massenmedial perfekt in Szene gesetzte Einzel- und Massenhinrichtungen, wobei die grausigen Details wie zum Beispiel das Durchtrennen einer Kehle bewusst explizit dargestellt und festgehalten werden, um in der westlichen Bevölkerung für maximalen Schrecken zu sorgen.
Was bedeutete der Zusammenbruch des Ost-Blocks und Warschauer Pakts für die Linke in Deutschland? Der politisch legale und Staats bejahende Teil der Linken – das heißt vor allem die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) und die Gewerkschaften – lehnten den real existierenden Sozialismus und das Bündnis des Warschauer Pakts als politisch inopportun ab. Diese Aussage gilt, obwohl es der sozialdemokratische Bundeskanzler Willy Brandt war, dem die weitgehende Normalisierung der Beziehungen zur Deutschen Demokratischen Republik (DDR) und zur Volksrepublik Polen gelang. Brandts symbolischer Kniefall vor den Opfern des Aufstands im Warschauer Ghetto leitete eine neue Ära der Beziehungen zwischen West und Ost ein. Brandt sah sich wegen dieser Ost-Annäherung vor allem aus dem nationalkonservativen Lager massiven Anfeindungen ausgesetzt. Die SPD und die Gewerkschaften begrüßten dennoch beide den Untergang des Ost-Blocks. Geschichtlich gesehen hat diese anti-kommunistische Haltung der SPD ihren Ursprung im Bad Godesberger Parteitag im 19. Jahrhundert. Hier hatte die SPD eine Abkehr vom Marxismus beschlossen und sich fortan einen strikten Anti-Kommunismus auf die Fahnen geschrieben. Die Gewerkschaften in Deutschland können in der Summe als an den Arbeitnehmern ausgerichtet, sozialistisch orientiert und links beschrieben werden. Dennoch sind sie zugleich regierungsnah und wirtschaftsfreundlich. Den deutschen Nachkriegsgewerkschaften wohnt keine revolutionäre Sprengkraft inne.
Es geht nicht um die Umwälzung bestehender Wirtschaftsordnungen und die Umverteilung von Produktionsmitteln. Kommunistische Parteien wie die Deutsche Kommunistische Partei (DKP) und die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) wurden teilweise offen von der DDR finanziell unterstützt. Dasselbe gilt für manche der früher zahlreichen so genannten K-Gruppen. Es versteht sich, dass diese Gruppierungen nicht offiziell Position gegen ihre Finanziers einnehmen konnten und somit den politischen Kurs des Ostblocks und der dort herrschenden kommunistischen Parteien bejahten. Nach dem Wegfall des Ostblocks waren die K-Gruppen verschwunden und die meisten Mitglieder versuchten, sich so angenehm wie möglich in der kapitalistischen Heimat einzurichten. Die KPD und MLPD blieben zwar formal als Parteien bestehen, verschwanden aber nach dem Untergang ihrer finanziellen und ideologischen Unterstützer noch mehr in der Bedeutungslosigkeit als zuvor. Die Außerparlamentarische Opposition (APO) und diverse »Sponti-Gruppen« besaßen ein zwiespältiges Verhältnis zur UDSSR und zu ihren Satelliten-Staaten. Einerseits war es offensichtlich, dass der Kommunismus der Ostblock-Staaten vieles verkörperte, was von der APO und den »Sponti-Gruppen« abgelehnt wurde. Gerade Bürokratismus, stumpfsinniges Hierarchie- und Kaderdenken sowie eine starre Parteidisziplin waren in diesen Kreisen Westdeutschlands verpönt. Die APO und »Sponti-Gruppen« hatten sich aber bereits zum größten Teil vor dem Zusammenbruch der kommunistischen Staaten aufgelöst.
Die Rote Armee Fraktion und ihr Umfeld existierten 1989 hingegen noch. Wie war das Verhältnis der RAF, der gewaltbereiten Autonomen und des linksradikalen Umfelds zur Sowjetunion (UDSSR) und zur DDR? Auch hier gibt es keine eindeutige Antwort. Der real existierende Sozialismus war sicherlich nicht das Ideal einer Herrschafts-, Lebens- und Gesellschaftsform, das den RAF-Kämpfern vorschwebte, wobei die diesbezügliche Begründung ähnlich wie bei der APO und den Spontis lautet. Letztlich hatten die Kämpfer der 3. RAF-Generation recht postmaterialistische Lebensvorstellungen, welche die Bedeutung und Bedürfnisse des Einzelnen viel stärker als diejenigen der Gemeinschaft betonten. Ein strenger Kader-Sozialismus mit grauer Alltagstristesse passte da überhaupt nicht in die Vorstellungswelt der RAF-Kommandoebene. Recht schwierig ist bei diesen Erörterungen der Aspekt, dass sich die RAF nie wirklich dazu geäußert hat, welche Gesellschafts-, Herrschafts- und Lebensformen ihr denn konkret vorschwebten. Vieles deutete die RAF aber durch das Ausschlussverfahren an, indem sie zum Beispiel behauptete, dass eine Gesellschaft ohne Leistungsdruck und mit mehr Menschlichkeit ihr Ziel ist. Wie das menschliche Zusammenleben dann tatsächlich organisiert werden sollte, darüber verlor die RAF der 3. Generation kein Wort. Leere und abstrakte Worthülsen wie »selbstbestimmtes Leben«, »Leben ohne Herrschaft« und »Selbstorganisierung« geben wenige Anhaltspunkte über die Form des Zusammenlebens, das der RAF vorgeschwebt haben könnte.
Die RAF brauchte aber – trotz aller Vorbehalte – die DDR. Insbesondere die zweite RAF-Generation arbeitete mit der Staatssicherheit (Stasi) der DDR zusammen. So ist in diesem Zusammenhang zum Beispiel in dem Buch »Die RAF-Stasi-Connection« von Ausbildung an Waffen, logistischer und materieller Unterstützung die Rede. Inge Viett, die zuerst Mitglied bei der Westberliner bewaffneten Gruppe 2. Juni war, die sich später mit der RAF verband, spielte bei der Zusammenarbeit des ostdeutschen Geheimdienstes mit der westdeutschen Terrororganisation eine tragende Rolle, wie in ihrem autobiografisch inspirierten Buch »Nie war ich furchtloser« zu lesen ist. Sie war es, die die ersten Kontakte zum DDR-Ministerium für Staatssicherheit (MfS) besaß.
Andere Mitglieder der Terrorgruppe 2. Juni – wie Till Meyer – verfügten auch über gut ausgeprägte Kontakte zur Staatssicherheit. Fest steht, dass zahlreiche RAF-Aussteiger mit Hilfe des ostdeutschen Geheimdienstes in der DDR ein sicheres Exil fanden, bis ihre Vergangenheit sie mit der deutschen Wiedervereinigung einholte und sie sich für ihre Verantwortlichkeiten vor bundesdeutschen Gerichten verantworten mussten. Teilweise freundeten sich die ehemaligen RAF-Kämpfer mit dem Alltag in der DDR an. Inge Viett wurde zur Vorzeigearbeiterin und setzte sich stark im Kampf für den realexistierenden Sozialismus ein. Dies ging sogar so weit, dass das MfS Viett in ihrem Eifer bremsen musste, um nicht zu viel Aufmerksamkeit zu erregen.