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Gibt es verschiedene Wirklichkeiten oder träumen wir unser Leben gar nur? Es gibt zwei Hauptprotagonisten in der Geschichte. Da ist Ramon, der meint er könne an Wahnvorstellungen leiden, weil er einer sprechenden Schlange begegnet ist. Und da ist der Psychater Dr. Kircher, den Ramon deshalb aufsucht. Zunehmend aber wird Ramons Geschichte zu der Dr. Kirchers, in der ihm selber nicht nur die Schlange sondern auch seine Geliebte begegnet, die ihn vor fünfundzwanzig Jahren schwanger verlassen hatte, ohne dass es ihm gelungen wäre, sie wieder zu finden. Schließlich muss er sich entscheiden, welche Wirklichkeit die seine sein soll.
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Seitenzahl: 94
Veröffentlichungsjahr: 2015
Wolf Döhner
Ramona
Wie wirklich ist die Wirklichkeit
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Inhaltsverzeichnis
Titel
Ramona
Vorgeschichte
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechstes Kapitel
Ramons Nachwort
Impressum neobooks
Wie wirklich ist die Wirklichkeit
Wolf Döhner
Bisher war ich mir sicher, dass es zwar Zufälle gibt aber nur in dem Sinne, wie wir zufällig etwas finden oder zufällig einen Lottogewinn haben können. Zufall ist für mich eine Größe innerhalb von Wahrscheinlichkeitsrechnungen, die sich relativ beliebig auf bestimmte Ereignisse beziehen.
Ich heiße Johannes Kircher und bin Arzt. Logik und nachvollziehbare Argumentationen gehören zu meinen Berufsvoraussetzungen. So versuche ich als Psychiater meine Patienten zum Beispiel von ihren verschiedenen Wahnvorstellungen oder krankhaften Reflexen zu befreien. Natürlich weiß ich, dass gerade bei meinen Klienten oft der Zugang über die logische Schiene versperrt ist. In solchen Fällen suche und finde ich jedoch Wege auf denen wir uns verständigen können.
Ich bin schon recht lange in meinem Beruf und habe schon die absonderlichsten Geschichten gehört. Es sind gerade die menschlichen Verwirrungen, die mich an meinem Beruf faszinieren. Besonders während meiner Zeit an den Unikliniken in Berlin war die Bandbreite der Fälle sehr groß. Während mich dort jedoch mehr die wissenschaftlichen Aspekte meiner Fälle beschäftigten, bin ich, nachdem ich seit kurzem in einer mittleren süddeutschen Stadt eine Praxis übernommen habe, sehr viel näher an dem praktischen Teil meiner Arbeit und versuche nun, die Fallgeschichten meiner Klienten der Realität anzupassen Dieser Ausgleich gelingt relativ häufig aber natürlich nicht immer. Doch bei Ramon war ich von Anfang an irgendwie irritiert und fasziniert gleichermaßen.
Der Patient, den ich kürzlich in meiner Sprechstunde empfing, war nämlich nichts Alltägliches.
Telefonisch hatte er gesagt, er leide an Wahnvorstellungen. Diese Feststellung war an sich schon bemerkenswert, denn normaler Weise stelle ich die Diagnose nach einer gründlichen Anamnese. Aber hier trat jemand ins Zimmer und brachte die Diagnose schon mit. Ohne meine ausgestreckte Hand zu ergreifen, setzte er sich auf den angebotenen Stuhl und sah mich erwartungsvoll an.
Nichts deutete darauf hin, dass da ein kranker Mensch vor mir sitzen könnte. Vielmehr nahm ich einen gut aussehenden, sportlichen jungen Mann von Mitte zwanzig wahr. Seine dichten schwarzen Haare und sein leicht brauner Teint gaben ihm ein etwas südländisches Aussehen. Aus dunkelbraunen Augen blickte er mich frei und ohne Scheu an. Erst beim näheren Hinsehen bemerkte ich einen leichten melancholischen Ausdruck in ihnen.
„Sie glauben also, dass Sie Wahnvorstellungen haben", begann ich das Gespräch vorsichtig. „Wie kommen Sie darauf?“
„Mein Vater meint das. Ich selber bin mir nicht so sicher. Aber ich weiß auch nicht, was es sonst sein könnte.“
In aller Kürze berichtete er dann von einer nächtlichen Begegnungen mit einer Schlange und einer darauf folgenden völligen Gedächtnislücke von mehreren Tage.
Da ich mir aus seinem kurzen Bericht keinen Reim machen konnte, bat ich ihn, mir alles und zwar auch eventuelle Vorgeschichten so genau wie möglich zu erzählen. Das tat er dann auch ohne Umschweifen. Und wie er das tat, war wiederum sehr bemerkenswert. Ramon war ein begnadeter Erzähler. Ohne zu stocken berichtete er über sich, sowie seine Selbstwahrnehmungen, seine Umwelt und seinen Alltag. Fast zwei Stunden lang erzählte er fast druckreif, während ich kaum mitkam, mir Notizen zu machen. Gott sei Dank hatten wir uns geeinigt, dass ich das Gespräch auf Band aufnehmen durfte.
Wenn ich nun im Folgenden versuche, seine Geschichte wieder zu geben, bin ich mir im Klaren, dass das nur ein unvollkommener Versuch sein kann, der Fülle und Dichte seines Berichtes gerecht zu werden. Ich will auch nicht verhehlen, dass ein erhebliches Quantum meiner subjektiven Wahrnehmungen in die Wiedergabe Ramons Erzählung eingeflossen ist, nachdem ich bemerkt hatte, wie sehr ich selber in seine Geschichte involviert war. Das ist auch der Grund, warum ich seine Aussagen nicht als sachlichen Bericht sondern als scheinbar subjektive Geschichte wiedergebe. Allerdings habe ich nichts an den sachlichen Informationen hinzugefügt oder ausgelassen.
Wir kennen das. Der Bleistift muss rechts neben uns auf dem Schreibtisch liegen, sonst finden wir ihn nicht.Und wenn die Zeitung mal nicht zum Frühstück ausgeliefert wurde, ist der ganze Tag versaut.
Was würde passieren, wenn wir die Klospülung mit der linken, statt mit der rechten Hand betätigen müssten? Und ob wir den linken oder den rechten Socken zuerst anziehen, ist keineswegs eine Kleinigkeit, sondern unter Umständen eine essentielle Tätigkeit, die Voraussetzung sein kann für einen gelungen Tag oder auch für eine zeitweilige Katastrophe. Und auch, wenn Gott sei Dank diese Voraussetzungen nicht für all unsere Mitmenschen gelten, so ist doch insgesamt nicht zu leugnen, dass wir alle dazu neigen, Gewohnheitstiere zu sein.
Ramon hatte sich allerdings nie über solche oder ähnliche Gedanken den Kopf zerbrochen. Er war mit sich und seinem Leben zufrieden.
Um sieben stand er auf, duschte kurz, während das Kaffeewasser kochte. Dann rasierte er sich beim Kaffee Aufbrühen und der kurzen Sichtung seines Tagesplanes, den er wie immer schon am Abend vorher aufgeschlagen am Frühstücksplatz deponiert hatte, um sich dann noch im Bademantel an den Tisch zu setzen, die Zeitung flüchtig durch zu blättern und dabei seinen Kaffee zu schlürfen. Um viertel vor acht verließ er das Haus. Dann begann sein Tag.
Dieser bestand darin, in einem großen Büro der Stadtverwaltung säumige Mitbürger auf ihre Steuerpflicht hinzuweisen und diese gegebenenfalls mit dem nötigen Nachdruck einzufordern. Das war eine durchaus gewissenhafte Arbeit, deren Wichtigkeit im sehr wohl bewusst war, allerdings ohne, dass er seine eigene Person dabei überschätzt hätte. Er war wichtig in einer Verwaltung, die ihrerseits wichtig war. Und er versuchte seine Arbeit so gut wie möglich zu verrichten.
Das war zwar nicht unbedingt das, was Ramon sich unter seinem Lebensinhalt oder gar Traumberuf vorgestellt hatte. Eigentlich hatte er Pilot werden wollen. Aber nach einem mäßigen Schulabschluss und der Erkenntnis, dass es ihm für höhere Weihen an Ehrgeiz fehlte, hatte er sich für den überschaubaren Weg eines Büromenschen entschieden.
Da wartete eine strukturierte Arbeit auf ihn und er hatte genügend Zeit für seine Hobbys.
So verbrachte er einen großen Teil seiner Freizeit draußen in der Natur. Zwar hatte er einige wenige Freunde, aber er zog es vor, meist alleine durch die Natur zu gehen.
Seine Wahrnehmungen der Umgebung waren nämlich oft anders als die seiner Freunde oder Bekannten.
Einmal war er mit einigen von ihnen durch die Wälder seiner näheren Heimat gewandert.
Vor einem Ameisenhaufen hatte er inne gehalten und sich auf den Boden gehockt. Die Freunde hatten die Gelegenheit genutzt, um eine Brotzeit auf einigen gefällten Baumstämmen zu machen. Ramon aber hockte vor dem Ameisenhaufen und beobachtete die emsig arbeitenden Tiere interessiert. Selbst einige scherzhaft dahin geworfene Bemerkungen der Freunde, er könne doch ein paar seiner neuen Bekannten mit zum Vespern bringen, vermochte Ramon nicht aus seinen Beobachtungen abzulenken.
Nach einer Weile brachen sie jedoch gemeinsam auf und zur allgemeinen Verwunderung der Freunde begann Ramon nach kurzer Pause ungefragt darüber zu berichten, was er denn so Interessantes bemerkt habe, dass er sogar das Vespern vergessen hatte.
„Es ist nämlich so,“ sagte er nach einer Weile, in der die Kameraden ihn erst gehänselt, dann aber, nachdem er beharrlich geschwiegen hatte, sich anderen Gesprächsthemen zugewendet hatten.
„Ameisen sind sehr fleißige, vor allem aber auch sehr soziale Lebewesen. Jedes hat das gleiche Ziel, wie alle anderen: Dem Gemeinwohl zu dienen. Bei den Menschen ist das Ziel keineswegs immer gleich. Viele wollen vor allem sich selber fördern und voranbringen.
Es liegt auf der Hand, dass sie dabei mit anderen Menschen, die ganz andere Vorstellungen haben, in Konflikt geraten können. Daher haben die Menschen Regeln und Gesetze aufgestellt, die das Zusammenleben unterschiedlicher Individuen erst möglich machen.
Bei den Ameisen ist es ganz anders. Nicht nur haben sie alle letztlich das gleiche Ziel. Sie achten sich auch mehr, als die Menschen sich untereinander achten.
Immer und zwar immer, wenn eine Ameise einer anderen begegnet, gibt es einen Körperkontakt.Und bei der Menge der Ameisen, die gemeinsam irgendwie tätig sind, gibt es eine Unmenge von diesen Berührungen. Ich habe die Vermutung, dass sie sich in diesem Augenblick gegenseitig der Sinnhaftigkeit ihrer Bemühungen vergegenwärtigen. Jedenfalls ist es etwas ganz anderes als das, was Menschen tun, wenn sie sich beim Begrüßen die Hand geben, umarmen oder gar küssen.“
Die Freunde hatten mit Verwunderung zugehört.
Einige scherzten, er wäre wohl als Ameise besser aufgehoben in der Welt, denn als Mensch. Menschen hätten ja wohl einen eigenen Willen und der wäre doch höher einzustufen, als die gewohnheitsmäßige, rituelle Bestätigung des eigenen Seins.
Ramon ließ sich jedoch nicht beirren.
„Es stimmt, Menschen haben einen eigenen Willen – oder zumindest meinen sie, sie hätten diesen. Aber vielfach verhalten sie sich nicht anders als Ameisen, allerdings ohne das zu bemerken. Aber in der Masse sind sie nicht anders als Ameisen – mit dem Unterschied, dass sie meinen Menschen zu sein."
Nun kam heftiger Widerspruch auf. Wenn Menschen nichts anderes als Ameisen wären, wie wären dann die kulturellen Errungenschaften der Menschen zu erklären, da sie doch offensichtlich in vielfältiger Form auch auf individuelle Eingebung, Erfindungen und so weiter beruhten?
Und überhaupt, hieß es nicht schon in der Bibel, der Mensch wäre die Krone der Schöpfung und solle sich diese untertan machen?
Kurzum, Ramons Ausführungen wurden in Bausch und Bogen abgelehnt. In der Folge wurde sein Freundeskreis noch kleiner.
All das aber störte Ramon in keiner Weise. Auch störte ihn nicht, dass seine Ausführungen in merkwürdigem Widerspruch zu seiner eigenen Arbeit standen. Schließlich bestand diese nicht zuletzt darin, immer wiederkehrende Vorgänge zu verwalten und war damit dem der Tätigkeit der Ameisen nicht ganz unähnlich. Denn wie diese hielt er ein System am Laufen, dass der Einzelne nicht überblickte und auch nicht überblicken musste.
Ramon war letztlich auch eine Ameise mit einem gravierenden Unterschied.
Im Gegensatz zu den Ameisen hatte Ramon kaum körperlichen Kontakt zu anderen Mitmenschen. Im Gegenteil. Er vermied solche Berührungen so weit es ihm möglich war. Während seiner Arbeit ergaben sich sowieso kaum Gelegenheiten dazu. Aber auch außerhalb derselben vermied er Körperberührungen, wo er nur konnte.
Bei Begrüßungen tat er oft so, als sehe er die ausgestreckte Hand nicht. Und ließ es sich doch einmal nicht vermeiden, die andere Hand zu ergreifen, so geschah das sehr kurz mit einer fast reflexartigen spontanen Rückwärtsbewegung seines ganzen Oberkörpers.
Umarmungen waren überhaupt nicht möglich. Seine wenigen Bekannten und Freunde hatten das schnell begriffen, wenn sie einmal miterlebt hatten, wie er geradezu in eine Art Schockstarre verfiel, wenn er umarmt wurde.
Es war daher auch nicht verwunderlich, dass er sich sportlich nur dort betätigte, wo Berührungen mit anderen weitgehend ausgeschlossen waren. Fahrradfahren oder Schwimmen gehörte dazu, vielleicht noch Bergsteigen. Allerdings war er da schon zu sehr auf andere und auf Hilfe angewiesen, als dass diese Sportart ihn wirklich auf Dauer hätte faszinieren können.
Am wohlsten fühlte er sich beim Angeln. An seinen Wochenenden ging er meist einen halben, manchmal auch einen ganzen Tag an seinen Flussabschnitt, für den er das Angelrecht besaß. Er verfügte über eine große Sammlung von selbst gefertigten Fliegen und war ein großer Könner in seinem Metier.
Seinen Fang verwertete er in der Regel selbst. Manchmal lud er auch Freunde zum Essen ein. Diese kamen nur zu gern, nicht nur weil Ramon ein exzellenter Koch war und sich immer neue Varianten der Zubereitung seiner Fische einfallen ließ.