Reden und Schriften - Ferdinand Lassalle - E-Book

Reden und Schriften E-Book

Ferdinand Lassalle

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Beschreibung

Ferdinand Lassalle war ein Schriftsteller und genossenschaftlich orientierter sozialistischer Politiker im Deutschen Bund. Als einer der Wortführer der frühen deutschen Arbeiterbewegung und in seiner Eigenschaft als Hauptinitiator und Präsident der ersten sozialdemokratischen Parteiorganisation im deutschen Sprachraum, dem 1863 gegründeten Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein (ADAV), gilt er als einer der Gründerväter der 26 Jahre nach seinem Tod aus dem ADAV und der Sozialdemokratische Arbeiterpartei (Deutschland) (SDAP) hervorgegangenen heutigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD). Dieser Band beinhaltet seine wichtigsten Schriften: Meine Assisen-Rede Über Verfassungswesen Was nun? Zweiter Vortrag über das Verfassungswesen Macht und Recht Arbeiterprogramm Offenes Antwortschreiben an das Zentralkomitee zur Berufung eines allgemeinen deutschen Arbeiterkongresses zu Leipzig Zur Arbeiterfrage Rheinische Rede An die Arbeiter Berlins Ronsdorfer Rede

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Reden und Schriften

Ferdinand Lassalle

Inhalt:

Ferdinand Lassalle – Biografie und Bibliografie

Meine Assisen-Rede

Über Verfassungswesen

Was nun? Zweiter Vortrag über das Verfassungswesen

Macht und Recht

Arbeiterprogramm

Offenes Antwortschreiben an das Zentralkomitee zur Berufung eines allgemeinen deutschen Arbeiterkongresses zu Leipzig

Zur Arbeiterfrage

Rheinische Rede

An die Arbeiter Berlins

Ronsdorfer Rede

Reden und Schriften, F. Lassalle

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

Loschberg 9

86450 Altenmünster

ISBN: 9783849630263

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

Ferdinand Lassalle – Biografie und Bibliografie

Gelehrter und Begründer der Sozialdemokratie in Deutschland, geb. 11. April 1825 in Breslau, gest. 31. Aug. 1864, Sohn eines reichen israelitischen Seidenhändlers, Lassal (Ferdinand L. schrieb sich »Lassalle« erst nach einem Pariser Aufenthalt im J. 1846), der ihn für den Handelsstand bestimmt hatte und deshalb auf die Leipziger Handelsschule schickte. Aber L., der keine Neigung für den kaufmännischen Beruf hatte, verließ im Sommer 1841 heimlich Leipzig, machte das Abiturientenexamen und studierte nun auf den Universitäten Breslau und Berlin Philosophie, Philologie und Archäologie. Schon während seiner Universitätszeit begann er sein Werk über Heraklit, das ihm die akademische Laufbahn eröffnen sollte. Früh trat er in freundschaftliche Beziehungen zu hervorragenden Gelehrten, so namentlich in Berlin zu A. Böckh, A. v. Humboldt u.a. 1844 ging er auf Reisen und hielt sich einige Zeit in Paris auf. Nach Deutschland zurückgekehrt, lernte er im Winter 1844/45 in Berlin die Gräfin Sophie Hatzfeldt kennen, die mit ihrem Manne im Ehescheidungsprozess lebte (s. Hatzfeldt 3). Gerührt von dem Unglück der schönen, von ihren Verwandten verlassenen Frau, bot er derselben sein Vermögen und seine Dienste an, begab sich mit ihr nach der Rheinprovinz und führte nun fast 10 Jahre ihre Prozesse mit dem Grafen, die er schließlich auch gewann. L. und die Gräfin lebten dann bis zu seinem Tode fortwährend an denselben Orten und in dem engsten freundschaftlichen Verkehr. In jenem Rechtsstreit wurde L. auch in einen Kriminalprozess, der seinerzeit viel Aufsehen machte, verwickelt, indem er als intellektueller Urheber des Diebstahls einer Kassette der Mätresse des Grafen, der Baronin von Meyendorff, in der ein für den Fortgang des Prozesses wichtiger Kontrakt aufbewahrt war, angeklagt, aber nach einer glänzenden Verteidigungsrede freigesprochen wurde. 1848 stürzte L. sich in die politische Agitation. Seine Anschauungen waren die der radikalen Demokratie. Unter deren Führern nahm er sofort neben Marx, Freiligrath, Becker etc. einen hervorragenden Platz ein, durch den Verkehr mit Marx wurde er auch zum Sozialisten. Wegen einer zu Neuss gehaltenen Rede 22. Nov. 1848 verhaftet und angeklagt, die Bürger zur Bewaffnung gegen die königliche Gewalt aufgereizt zu haben, wurde er nach sechsmonatiger Untersuchungshaft 3. Mai 1849 von den Geschwornen zu Düsseldorf freigesprochen. Die »berühmte« Assisenrede (»Meine Assisenrede etc.«, Düsseld. 1849) ist von L. nicht gehalten worden. Trotz der Freisprechung wurde aber L. nicht aus dem Gefängnis entlassen, sondern jetzt wegen derselben Rede eines geringeren Vergehens, die Bürgerwehr zur Widersetzlichkeit gegen die Beamten aufgefordert zu haben, angeklagt und vom Korrektionstribunal 5. Juli 1849 zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt. Nach Beendigung der Hatzfeldtschen Prozesse (1854) nahm L., zuerst in Düsseldorf, dann in Berlin, wohin er 1857 übersiedelte, seine wissenschaftlichen Studien wieder auf, vollendete sein Buch über »Die Philosophie Herakleitos' des Dunklen von Ephesos« (Berl. 1858, 2 Bde.) und schrieb »Das System der erworbenen Rechte, eine Versöhnung des positiven Rechts und der Rechtsphilosophie« (Leipz. 1860, 2 Bde.; 2. Aufl. 1880), zwei Werke, die ihm wegen ihrer Originalität einen geachteten Namen in der Gelehrtenwelt verschafften. Zwischendurch erschien auch sein historisches Trauerspiel »Franz von Sickingen« (Berl. 1859), ein Werk voll kühner, genialer Gedanken trotz aller Schwächen in ästhetischer und formaler Beziehung und von hohem Interesse durch die deutschnationale Gesinnung des Dichters, eines begeisterten Anhängers des deutschen Einheitsstaates. Diese Gesinnung tritt noch stärker hervor in der während des italienischen Krieges erschienenen Broschüre »Der italienische Krieg und die Aufgabe Preußens« (Berl. 1859), in der er die preußische Neutralität Frankreich gegenüber billigte, aber riet, Preußen solle den günstigen Augenblick der Beschäftigung seiner Gegner benutzen, um den Dualismus in Deutschland zu beseitigen und die deutschen Stämme mit Ausschluss Österreichs unter einer nationalen demokratischen Regierung zu einigen, ebenso in der Abhandlung »Fichtes politisches Vermächtnis und die neueste Gegenwart« (in Walesrodes »Demokratischen Studien«, Hamb. 1860) und in seiner Festrede auf Fichte 19. Mai 1862. »Die Philosophie Fichtes und die Bedeutung des deutschen Volksgeistes« (Berl. 1862). Im März 1862 erschien als eignes Buch eine Kritik der Julian Schmidtschen Literaturgeschichte, zu dem auch der L. nahe befreundete Lothar Bucher als »Das Setzerweib« Beiträge geliefert hat (»Herr Julian Schmidt, der Literarhistoriker«, Berl. 1862). In der Konfliktszeit versuchte L. die Fortschrittspartei zum passiven Widerstand, zur Niederlegung des Mandats in Masse, zu bewegen und hielt auch in diesem Sinne öffentliche Vorträge: »Über Verfassungswesen« (Berl. 1862), »Was nun?« (das. 1862). Da die Fortschrittspartei diese Politik verwarf, glaubte L. die Zeit gekommen, eine eigne demokratische Partei bilden zu können. Er versprach sich einen Erfolg aber nur bei einem Programm, das zugleich Vorschläge über die Lösung der sozialen Frage enthielte. Zu diesem Zweck hielt er 12. April 1862 in einer großen Arbeiterversammlung einen Vortrag: »Über den besonderen Zusammenhang der gegenwärtigen Geschichtsperiode mit der Idee des Arbeiterstandes« (gedruckt u. d. T.: »Arbeiterprogramm«, Berl. 1862). Auf Grund dieses Vortrags wurde L. wegen Gefährdung des öffentlichen Friedens durch öffentliche Anreizung der Angehörigen des Staates zum Hass gegeneinander angeklagt und 16. Jan. 1863 zu vier Monaten Gefängnis verurteilt, aber in zweiter Instanz freigesprochen. Anlässlich dieses Prozesses veröffentlichte L. folgende Schriften: seine Verteidigungsrede »Die Wissenschaft und die Arbeiter« (Zürich 1863), »Der Lassallesche Kriminalprozess« (das. 1863), »Die indirekte Steuer und die Lage der arbeitenden Klassen« (das. 1863). Sein Auftreten für die Arbeiterklasse veranlasste 10. Febr. 1863 ein Arbeiterkomitee in Leipzig, das damals einen allgemeinen deutschen Arbeiterkongreß berufen wollte, sich an L. zu wenden und seine Ansicht über den Kongress und über die Arbeiterfrage zu erbitten. L. antwortete nach 14 Tagen in einer Broschüre: »Offenes Antwortschreiben an das Zentralkomitee etc.« (Zürich 1863), in der er sein sozialistisches Programm entwickelte. Er riet dem Komitee, dies Programm, dessen Hauptpunkt die Gründung von Produktivgenossenschaften mit Hilfe des Staatskredits war, anzunehmen, den Kongress nicht zu halten, aber einen allgemeinen deutschen Arbeiterverein zu gründen, der sich zunächst nur die eine Aufgabe stelle, für das allgemeine gleiche direkte Wahlrecht mit geheimer Abstimmung zu agitieren, um, wenn dies erreicht sei, mit Hilfe des Stimmrechts die Macht im Staat für den Arbeiterstand zu erlangen und dann das sozialistische Programm durchzuführen. Das Komitee folgte dem Rat, L. wurde von ihm veranlasst, in Leipzig 16. April (Lassalles Rede »Zur Arbeiterfrage«), in Frankfurt 17. und 19. Mai (»Arbeiterlesebuch«, Frankf. a. M.) und andern Orten zu sprechen; am 23. Mai 1863 wurde der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein in Leipzig mit etwa 600 Mitgliedern gegründet und L. zum Präsidenten gewählt. In dieser Stellung entfaltete er eine umfassende agitatorische Tätigkeit, aber seine Erfolge waren sehr gering. Kaum einige tausend Arbeiter gelang es ihm zu gewinnen. Sein Hauptkampf war gegen Bourgeoisie und Liberalismus gerichtet. Dieser Kampf verwickelte L. in eine Reihe von Kriminalprozessen, schließlich sogar in einen Hochverratsprozeß auf Grund einer gedruckten Ansprache: »An die Arbeiter Berlins« (Berl. 1863), in der er ausführte, dass die oktroyierte preußische Verfassung nicht zu Recht bestehe, und die Arbeiter aufforderte, in den Verein zu treten, um diese Verfassung zu stürzen. Er wurde in diesem Prozess 12. März 1864 freigesprochen, aber in andern verurteilt. Die Agitation hatte Lassalles Gesundheit zerrüttet. Um sich zu stärken, ging er, nachdem er noch im Mai 1864 am Rhein in den ihm ergebenen Arbeiterdistrikten einen Triumphzug gehalten, im Juni 1864 nach der Schweiz. L. traf dort mit Helene v. Dönniges, der Tochter eines bayrischen Diplomaten, zusammen, die, ihm selbst schon von früher her bekannt, damals mit einem Walachen, Janko von Rakowitz, verlobt war. Sein Verhältnis zu dieser Dame führte zu einem Pistolenduell zwischen L. und Rakowitz in Genf 28. Aug. 1864, in dem L. tödlich verwundet wurde. – Die gegenwärtige Sozialdemokratie hat die Ideen Lassalles für veraltet erklärt, und sie musste dies nach der Entwickelung, die sie genommen, tun; denn die moderne Sozialdemokratie ist international und staatsfeindlich geworden, während der Sozialismus Lassalles durchaus national war. Aber das ändert nichts an der historischen Bedeutung dieses Mannes, die darin liegt, dass er es verstanden hat, in Deutschland zuerst eine nachhaltige Arbeiterbewegung ins Leben zu rufen und den Arbeiterstand für seine eignen Interessen zu begeistern. Sein Bildnis s. Porträttafel »Sozialisten II«. – Außer den erwähnten Agitationsschriften erschienen noch: »Macht und Recht« (Zürich 1863); »Die Feste, die Presse und der Frankfurter Abgeordnetentag« (Düsseld. 1863); »Der Hochverratsprozeß wider Ferdinand L. etc.« (Berl. 1864); »Die Agitation des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins« etc., Lassalles letzte Rede (das. 1864) und Lassalles letztes wissenschaftliches Werk: »Herr Bastiat-Schulze von Delitzsch, der ökonomische Julian, oder Kapital und Arbeit« (das. 1864), eine Polemik gegen die manchesterlichen Anschauungen über die soziale Frage und der Versuch, seinen sozialistischen Standpunkt wissenschaftlich zu begründen. Eine Gesamtausgabe seiner »Reden und Schriften« besorgte im Auftrage des Vorstands der sozialdemokratischen Partei E. Bernstein (Berl. 1891–94, 3 Bde.). Eine neue Ausgabe seiner »Gesamtwerke« (Bd. 1–4, Leipz. 1899–1901) besorgte E. Blum; sein »Tagebuch« (aus der Jugendzeit) gab P. Lindau (Bresl. 1891) heraus. Von Lassalles Briefen sind erschienen: »Briefe an Hans v. Bülow 1862–1864« (Dresd. 1885 u. ö.), an R. Rodbertus (Berl. 1878), an G. Herwegh (Zürich 1896), an Karl Marx und Friedrich Engels (Stuttg. 1902). Vgl. B. Becker, Geschichte der Arbeiteragitation F. Lassalles (Braunschw. 1874); G. Brandes, Ferdinand L. (deutsch, 4. Aufl., Leipz. 1900); A. Aaberg, Ferdinand L. (das. 1883); E. v. Plener, L. (das. 1884); Diehl, Artikel »Lassalle« im »Handwörterbuch der Staatswissenschaft«, Bd. 5 (2. Aufl., Jena 1900); G. Mayer, L. als Sozialökonom (Berl. 1894); Brandt, F. Lassalles sozialökonomische Anschauungen und praktische Vorschläge (Jena 1895); H. Oncken, L. (Stuttg. 1904); E. Bernstein, Ferd. L. und seine Bedeutung für die Arbeiterklasse (Berl. 1904); Seillière, Études sur Ferd. L. (Par. 1897).

Meine Assisen-Rede

gehalten vor den Geschwornen zu Düsseldorf am 3. Mai 1849 gegen die Anklage die Bürger zur Bewaffnung gegen die Königliche Gewalt aufgereizt zu haben

Meine Herren!

Mein Rechtsbeistand hat vorzugsweise den ersten Teil der Verteidigung, die Verteidigung als solche, geführt; erlauben Sie, daß ich nunmehr zu dem zweiten Teil derselben, zu der Anklage, übergehe, zu der Anklage, die ich der gegen mich gerichteten Anklage entgegenschleudern muß. Denn hier, wie oft, ist Recht und Unrecht der streitenden Parteien so ineinander gewoben, daß das eine von dem andern nicht zu trennen ist. Des Staatsanwalts Recht ist mein Unrecht; mein Recht ist sein Verbrechen. Es ist nicht möglich, diese Verteidigung zu führen, – und wenn es möglich wäre, so bin ich vor dem Richterstuhle freier Männer dessen nicht benötigt, – es ist nicht möglich, diese Anklage zu widerlegen, ohne das Verbrechen aufzuzeigen, dessen corpus delicti der Anklageakt bildet.

Zuvor eine Erklärung. Der Anklageakt erlaubt sich, es gleichsam als eine Belastung Ihnen zu insinuieren, daß ich erklärt habe, ein Revolutionär aus Prinzip zu sein. Der Anklageakt hat kein Recht, dies zu bemerken, Ihn kümmern nur meine Handlungen, nicht meine Prinzipien, meine Gesinnungen, die mich nicht verteidigen, nicht belasten können. Ich hätte nicht geglaubt, daß der Anklageakt mit so großer Naivität eingestehen werde, daß es sich heute um nichts als um einen Tendenzprozeß, um eine Gesinnungsverfolgung handelt. Ich aber, meine Herren, werde Ihnen stets mit Freuden bekennen, daß ich meiner inneren Überzeugung nach auf durchaus revolutionärem Standpunkt stehe, daß ich meiner inneren Überzeugung nach ein entschiedener Anhänger der sozialen demokratischen Republik zu sein die Ehre habe.

Dennoch werde ich mich heute bei meiner Verteidigung nicht auf diesen Boden stellen; dem öffentlichen Ministerium nicht mit Argumenten entgegentreten, welche demselben entlehnt sind. Denn wie leicht es auch wäre, meine Verteidigung von diesem Standpunkt herab mit Erfolg zu führen, ich würde den Angriff nicht mit seiner ganzen Schärfe führen können. Denn das öffentliche Ministerium erkennt diesen Standpunkt nicht an und braucht ihn nicht anzuerkennen, es steht faktisch und gesetzlich auf einem ganz anderen Boden. Man kann aber keinen Gegner ernsthaft treffen und verwunden, wenn man auf wesentlich verschiedenem Standpunkt mit ihm steht. Die Waffen erreichen sich dann nicht und jeder ficht ins Leere. Man kann einen Gegner von diametral verschiednem Standpunkt aus wohl widerlegen, indem man die Unwahrheit seiner Grundprinzipien aufzeigt; aber man kann ihn dann nicht beschämen, ihm keine Inkonsequenz, keinen Verrat an den Prinzipien nachweisen, zu denen er sich selbst bekennt oder scheinbar doch bekennen muß.

Im Interesse des Angriffs also und seiner schneidenden Schärfe will ich mich herbeilassen, auf den Standpunkt herabzusteigen, auf welchem selbst zu stehen der Staatsprokurator als Behörde in einem konstitutionellen Staat mindestens äußerlich behaupten muß, auf den streng konstitutionellen Standpunkt, und meine Verteidigung rein von diesem Boden aus zu führen.

Ich bin angeklagt, meine Herren, die Bürger zur Bewaffnung gegen die königliche Gewalt aufgereizt zu haben. So lautet die Kategorie des Artikel 87, gegen welche ich verbrochen haben soll. Die Tatsache selbst, die man mir zur Last legt und von der man behauptet, daß sie unter die Kategorie des Artikel 87 falle, ist dem Anklageakt zufolge die, daß ich im November zu Neuß in einer Volksversammlung die politische Lage des Staats auseinandergesetzt und aufgefordert habe, sich bereitzuhalten, die Nationalversammlung auf ihren Aufruf mit den Waffen in der Hand zu unterstützen; das heißt also, daß ich in jenen Novembertagen, als infolge unerhörter Ereignisse das ganze Land sich in zwei große Lager teilte, als das Land am Rand des Bürgerkrieges schwebte und jeder sich um das Banner scharte, wo seiner Überzeugung nach das Recht zu wohnen schien, auch meinerseits Partei ergriffen habe.

In solchen Fällen überhaupt Partei zu ergreifen und Gut und Blut für seines Herzens Wollen in die Schanze zu schlagen, das, meine Herren, ist an sich des Mannes erste Pflicht. Schon Solon, der weiseste Gesetzgeber des Altertums, hatte ein Gesetz erlassen, daß derjenige Bürger als ein Verräter des Vaterlandes zu betrachten sei, der in einer solchen Spaltung des Staates nicht Partei ergreife.

Nicht Partei ergreifen, das heißt: keine Überzeugung haben oder sie verleugnen. Nicht Partei ergreifen, das heißt, in einer schmachvollen Gleichgültigkeit gegen die höchsten Interessen, welche das Herz der Menschheit durchzucken, die eigene Ruhe und Behaglichkeit den gewaltigen Fragen vorziehen, von denen das Wohl und Wehe des Vaterlandes abhängt, und so die Pflichten verraten, welche wir dem Vaterlande schulden. Die Geschichte hat Verzeihung für alle Irrtümer, für alle Überzeugungen, sie hat keine für Überzeugungslosigkeit. Auch ich erfüllte diese Bürgerpflicht, oder auch ich beging dies Verbrechen nach der Logik des Staatsanwalts, Partei zu ergreifen. Sehen wir, wie beschaffen der Rechtstitel der Partei war, zu der ich mich geschlagen habe.

Am 18. März hatte das Volk von Berlin eine Revolution vollbracht. Bis dahin war der preußische Staat ein absoluter Staat gewesen, das heißt, die Privatdomäne eines einzelnen, wo nur der Wille dieses einzelnen herrscht. Ein absoluter Staat unterscheidet sich dem Prinzip nach in nichts von einer asiatischen Despotie, nur daß faktisch die Zivilisation eine mildere Praxis des Absolutismus in Europa herbeigeführt hatte. Es ist gleichwohl nur eine schöne Humanität, keine rechtliche Notwendigkeit des absoluten Herrn, wenn er die Gesetze, die er gab, bestehen lassen, sich selbst danach bequemen will. Am 18. März erkämpfte das Volk von Berlin den konstitutionellen Staat.

Das Grundprinzip des konstitutionellen Staats ist, daß in ihm nicht mehr der Wille des Monarchen herrsche, daß er vielmehr der Ausdruck des allgemeinen Geistes, des gesamten Volkswillens sei, der sich durch die Volksrepräsentation zur Geltung zu bringen habe.

Demgemäß wurde der siegreichen Berliner Bevölkerung versprochen, eine Nationalversammlung einzuberufen, welche die Verfassung festzustellen habe.

Aufgrund des Wahlgesetzes vom 8. April trat diese konstituierende Versammlung zusammen.

Diese Versammlung war, als sie zusammentrat, ihres revolutionären Ursprungs, wie bekannt, sehr uneingedenk. Die Linke zählte kaum 40 Mitglieder.

Das erste Wesentliche, womit das Ministerium Camphausen debütierte, war, daß man eine Theorie unterschob, wodurch man die ganze Frucht des Märzkampfes reinweg eskamotierte ; ich meine die Vereinbarungstheorie.

Das Ministerium Camphausen trat mit der Behauptung vor, daß die Versammlung die Verfassung nicht festzustellen, sondern mit der Krone zu vereinbaren habe.

Dieser Vereinbarungsstandpunkt war, wie auf der Hand liegt, von vornherein nichts anderes, als die prinzipielle Wiedereinschwärzung des Absolutismus in den konstitutionellen Staat.

Es war durch dieselbe dem König von vornherein ein absolutes Veto vorbehalten. Er konnte die Verfassung annehmen und auch ablehnen.

Wenn in vielen konstitutionellen Staaten der Krone ein Veto zusteht, so ist dies in einem einmal konstituierten Staat etwas durchaus Verschiedenes, denn teils ist das königliche Veto in solchen Staaten beschränkt und nicht absolut; es erlischt, wenn die Volksvertretung in einigen Sitzungsperioden das Gesetz wiederholt; teils stützt sich jenes Veto in jenen Staaten auf die Verfassung selbst, welche die Krone damit bekleidet, während bei uns nicht abzusehen war, worauf die Krone diesen Rechtsanspruch stützen wollte, da keine Verfassung da war, die ihr denselben verlieh, die Verfassung vielmehr erst durch jene Volksrepräsentation geschaffen werden sollte.

Endlich ist ein Veto wohl möglich einer konstituierten Versammlung gegenüber; einer konstituierenden Versammlung gegenüber ist es ein Unding. Zwei Souveräne existieren nicht in einem Staat, so wenig, wie zwei Sonnen am Himmel. Das Widersinnige des Vereinbarungsstandpunktes liegt auf der Hand. Der König brauchte also nur immer und immer wieder die von der Versammlung beschlossenen Gesetze zu verwerfen, um damit das Zustandekommen der Konstitution für ewige Zeiten zu verhindern, um Preußen für ewige Zeit de facto in dem Zustande eines absoluten Staates zu erhalten.

Die Vereinbarungstheorie hat nur solange einen oberflächlichen Anschein von Menschenverstand, als man annimmt, die beiden Kontrahenten würden auch in der Tat die Gemütlichkeit haben, sich zu verständigen und übereinstimmenden Willens sein. Aber in dem Worte »Vereinbarung« selbst liegt auch die Möglichkeit des entgegengesetzten Falles, die Möglichkeit der Nichtvereinigung. Wenn man diesen Fall setzt, kommt der Unsinn des Vereinbarungsprinzips zutage. Denn im Falle der Uneinigkeit, wer sollte dann rechtlich entscheiden zwischen Krone und Versammlung? Einen Obmann zwischen beiden gab es nicht. Die Versammlung war vielmehr selbst schon sozusagen der Obmann zwischen Krone und Volk. Wer also, frage ich, sollte dann entscheiden? Also die Gewalt! Wenn aber die Gewalt entscheiden sollte, so mußte der Märzkampf wieder beginnen; die ganze Frucht der Märzrevolution war also verloren, sie selbst umsonst gewesen, der Friedensschluß am 19. März von einem Frieden zu einem Waffenstillstand herabgesetzt! Die Vereinbarungstheorie war auch ein Betrug. Die Berliner Bevölkerung legte am 19. März, als sie unter Waffen stand, die Waffen weg, weil ihr die Erfüllung ihrer Forderungen verheißen war.

Hätte die Krone einen Vereinbarungsanspruch behalten wollen, so hätte der König, statt jenes Versprechen abzulegen, dem Volke damals sagen müssen: Legt eure Waffen weg, ich will's mit euch versuchen, will eine Vertretung aus euch berufen und sehen, ob ich mich mit ihr vereinbaren kann. Ich werde unterdes Regimenter herziehen, die Besatzungen verstärken, mich tüchtig vorbereiten, und kommt die Vereinbarung nicht zustande, so wollen wir dann, wenn ich also gerüstet, wieder anfangen, wo wir heute stehengeblieben.

Dann aber, meine Herren, Sie werden es mir zugeben, – auf solchen Vorschlag hin hätte das Berliner Volk die Waffen nicht abgelegt; es hätte den Augenblick benutzt und festgehalten. Es glaubte, einen Frieden zu schließen, und schloß nur einen Waffenstillstand, den der Feind nach beßrer Rüstung und ohne Aufkündigung zu brechen von vornherein gesonnen war.

Die Vereinbarungstheorie des Ministeriums Camphausen schwärzte also von vornherein das absolute Recht der Krone wieder ein in den konstitutionellen Staat. Sie war nur die theoretische Vorbereitung dessen, was wir später praktisch erleben sollten.

Die Versammlung, wie gesagt, damals noch äußerst schwach und unentschieden, ließ sich diese Eskamotage des prinzipiellen Standpunktes, auf dem sie stand, ruhig gefallen, sie war von da an eine Vereinbarerversammlung.

Urteilen Sie, meine Herren, wieviel reaktionäre Übergriffe, wie dreistes Zurschautragen konterrevolutionärer Absichten erforderlich sein mußten, um die Majorität selbst dieser Versammlung gleichsam gegen ihren eigenen Willen zu zwingen, sich mälig mehr und mehr zur Linken zu schlagen. Das Ministerium Camphausen stürzt und das Ministerium Hansemann kommt an die Reihe.

Ich will Sie nicht, meine Herren, mit einer langen Darstellung unserer kurzen konstitutionellen Geschichte aufhalten, welche nichts war als die schrittweise Vorbereitung der Kontrerevolution.

Nur auf einen schneidenden Kontrast will ich Sie aufmerksam machen, der unerhört und ohne Beispiel dasteht in der parlamentarischen Geschichte konstitutioneller Länder. In konstitutionellen Ländern muß das Ministerium bekanntlich der Ausdruck der Majorität der Versammlung sein, wie diese wiederum dafür gehalten wird, den Ausdruck des Volkswillens zu bilden. Ein Ministerium, welches nicht der Kammermajorität entspricht, hat keine Möglichkeit der Existenz.

Je mehr nun aber die Nationalversammlung auf die Linke rückt, desto entschiedener tritt die Krone mehr und mehr auf die äußerste Rechte. Seltsame Progression! Die Linke, in der Majorität geblieben, stürzt ein Ministerium – und statt nun wenigstens ein aus dem Zentrum gegriffenes Ministerium zu bilden – tritt an seine Stelle ein Ministerium, stets unendlich mehr der Rechten angehörend als sein Vorgänger. Dieser Hohn, mit dem es bei uns der Krone beliebte, allen konstitutionellen Prinzipien ins Angesicht zu schlagen, findet sich bei jedem Ministerwechsel von neuem bestätigt.

Auf Camphausen folgt Hansemann, insofern allerdings, wie es sich nannte, ein Ministerium der Tat, als es während seiner kurzen Verwaltung tatsächlich die Grundlagen zur Kontrerevolution legte, die sein Vorgänger theoretisch vorbereitet hatte.

Wie lange vorher prämeditiert der spätere Staatsstreich war, wie wenig er aus späteren, aktuellen Veranlassungen, entsprang, wie sehr er vielmehr die Frucht eines sorgfältigen Kalküls gewesen, zeigt außer dieser ganzen Handlungsweise der Krone die Äußerung eines Mitgliedes der äußersten Rechten der gegenwärtigen Kammer, die Äußerung des Oberstleutnants v. Griesheim, welche von den öffentlichen Blättern berichtet wurde, man habe den Malmöer Waffenstillstand mit Dänemark abgeschlossen, um Wrangel und seine Truppen nach Berlin ziehen und sie für die Nationalversammlung disponibel machen zu können. Und das war noch unter Hansemann!

So verriet man schon damals an den Marken des Reichs die Ehre Deutschlands, um die Truppen gegen den gesetzgebenden Körper führen zu können!

Das Ministerium Hansemann wurde, wie Sie wissen, wiederum von der Linken gestürzt, bei Gelegenheit des Schulze-Steinschen Antrages, den reaktionären Gesinnungen im Heere entgegenwirken zu wollen.

Die Krone ließ das Ministerium Hansemann ihrerseits gern fallen.

So reaktionär sich dieses Ministerium auch erwiesen hatte, so war es in einem einzigen Punkte doch seinem revolutionärem bürgerlichen Ursprung treu geblieben. Es begünstigte die Interessen der Industrie auf Kosten des großen Grundbesitzes. Ein bäuerliches Ablösungsgesetz, wie es uns das Ministerium Manteuffel für Schlesien gebracht hat, welches den kleinen bäuerlichen Besitzer mit gebundenen Händen den großen Grundherren überantwortet, ein Ablösungsgesetz für die ganze Monarchie, wie man es eben jetzt durch die Partei Kleist-Retzow in der zweiten Kammer vorlegen zu lassen gedenkt, und durch welches neben den Interessen des kleinen Grundbesitzes auch noch die der Industrie und des Kapitals an den großen aristokratischen Grundbesitz verraten werden, wären unter jenem Ministerium eine Unmöglichkeit gewesen. Ein solches Ministerium konnte die Kamarilla nicht brauchen und so ließ man es gerne fallen.

Die Linke hatte das Ministerium Hansemann gestürzt, und an seine Stelle trat ein Ministerium Pfuel, Eichmahn, Dönhoff! Schon damals ging ein Schrei des Unwillens durch das ganze Land, Männer jetzt am Ministertisch zu sehen, bekannt wegen ihrer streng reaktionären Richtung, Männer, welche die Grundpfeiler der alten Bürokratie und des abgetanen Absolutismus gewesen waren. Die Nationalversammlung ergriff ein Gefühl der Verwunderung ob dieses Spottes, den man öffentlich mit ihr trieb. Sie erinnern sich, wie gleichzeitig eine neue bedeutungsvolle Militärwürde geschaffen, wie Wrangel zum Oberbefehlshaber aller Truppen in den Marken ernannt wird, wie er mitten in der Hauptstadt des Landes, als stände er dem Feinde gegenüber, in einer Anrede an die Soldaten von seinen haarscharf geschliffenen Schwertern, von der Kugel in dem Lauf spricht, wie er die Truppen zum Blutdurst harangiert! Dem Präsidenten der Nationalversammlung, Grabow, der an der Spitze einer Deputation der Kammer dem König zu seinem Wiegenfest gratuliert, antwortet derselbe die rätselhaften Worte: »Behalten Sie einen starken Kopf, denn ich habe einen starken Arm!« Worte, die deutlich genug auf die bevorstehende unheilschwangere Katastrophe hinwiesen.

Gleichzeitig hatte die Nationalversammlung das bekannte Jagdgesetz erlassen und war dadurch einem der dringendsten Bedürfnisse des Bauernstandes gerecht geworden, hatte aber dadurch zugleich auf eine empfindliche Weise den Säckel der Herren und Junker geschmälert. Die Kamarilla schrie Zeter! Schon da sprach man von einer Verweigerung der königlichen Sanktion für das Jagdgesetz. Aber ein Wunder ereignet sich, Pfuel, der alte preußische General, meinte es in seiner Weise ehrlich mit dem Konstitutionalismus. Er will seine Hand zu keinem Staatsstreiche, zu keiner Kammerauflösung, zu keinem Verbrechen hergeben.

In der Kammer erfolgt eine dringende Interpellation über das Ausbleiben der Sanktion des Jagdgesetzes: Ein entsprechender Antrag wird zum Beschluß erhoben. Es gibt keine Zeit zum Aufschub; das Jagdgesetz wird genehmigt.

Da begeht die Versammlung auch noch das große Verbrechen, zu beschließen, daß Adel und Orden abgeschafft sein sollen. Das wollte die Krone nimmer genehmigen. Lieber sollte der Bürgerkrieg über das Land hereinbrechen, lieber die Revolution von neuem entfesselt, lieber die erst erlassene gesetzliche Ordnung der Dinge, der Rechtszustand des ganzen Volkes eingestoßen werden, als die Säule des absoluten Thrones, den Adel, als das große Korruptionsmittel, die Titel und Orden, verlieren! In Wien ist unmittelbar die Kontrerevolution geglückt, Wien ist erobert, der Sitz des Reichstages verlegt, Galgen und Standrecht aufgerichtet, der Belagerungszustand verhängt; man beschloß, von dem großen Lehrmeister Windischgrätz zu lernen.

Pfuel will, wie gesagt, seine Hand zu keinem Verbrechen leihen; er ist ehrlich genug, in der Kammer dafür zu stimmen, Wien durch Vermittlung der Reichsgewalt Hilfe zu bringen. Er muß seine Entlassung geben. Das Portefeuille wird in bereitwilligere Hände gelegt; ein natürlicher Sohn eines früheren Königs, General Brandenburg, wird zur Ministerpräsidentur berufen.

Sie wissen, meine Herren, welche Aufregung, welche Bestürzung diese Wahl vermöge der Persönlichkeit, auf die sie fiel, im Lande, wie in der konstitutionellen Versammlung hervorbrachte, hervorbringen mußte. Diese Wahl war nichts anders als ein offen der Versammlung hingeworfener Fehdehandschuh, der trotzige Degen des Kriegers in die Waagschale des Rechts und des gesetzlichen Volkswillens geschleudert!

Die Kammer votiert eine Adresse an den König; sie schickt eine Deputation aus ihrer Mitte an ihn, um ihn zu beschwören, von dieser Wahl abzustehen, welche Thron und Land mit Gefahr bedrohe.

Man hat diesen Schritt für unkonstitutionell finden, man hat in ihm eine Überhebung ihrer konstitutionellen Befugnisse, die Verletzung des Grundsatzes finden wollen, daß die Krone in der Wahl ihrer Minister formell unbeschränkt ist. Meine Herren, gleichviel, ob dieser Schritt der konstitutionellen Praxis entspricht oder nicht, das steht jedenfalls fest, daß die Versammlung durch diesen Schritt nur ihre Schonung, ihre Rücksicht, ihre weichliche Sentimentalität für die Krone in einem größeren Maße selbst vielleicht bekundete, als sich mit ihrer Würde vertrug.

Eine gesetzgebende Versammlung, der ein Ministerium nicht ansteht, in einem wahrhaft konstitutionellen Staate, wo der durch die gesetzlich gewählten Repräsentanten sich aussprechende Volkswille Gesetz ist – in einem solchen Staate, sage ich, zerbricht eine gesetzgebende Versammlung ein Ministerium, das ihr nicht ansteht, mit einem einzigen Votum! Ohne sich zu einer Bitte herabzulassen, ohne sich von ihrem kurulischen Stuhl zu erheben, schleudert sie es durch die Wucht einer Abstimmung in das Nichts zurück!

Aber die Berliner Versammlung wollte dem königlichen Herzen nicht wehe tun. Sie wollte nicht durch einen brüsken Sturz des Ministeriums die Empfindlichkeit des Monarchen wecken. Es war ihr vor allem, und mehr als um die eigene Würde, um die entente dordiale, um das gemütliche Einverständnis mit dem königlichen Herzen zu tun. Im schwarzen Frack und mit der Supplikantenmiene begab sie sich in das königliche Schloß. Sie bat, wo sie verfassungsmäßig hätte entscheiden können. Gewiß, meine Herren, welchen Vorwurf man auch der verblichenen Nationalversammlung machen mag, der Vorwurf trifft sie sicher nicht, daß sie verletzend und herb, anmaßend und unversöhnlich gewesen sei. Die Geschichte wird ihr wahrhalten, daß sie alle Mittel, alle Möglichkeiten der Versöhnung weit über das Maß erschöpft hat.

Nur jenen andern Vorwurf wird ihr das Volk, wird ihr die Geschichte in alle Ewigkeit zu machen haben, daß sie in übertriebener Versöhnungslust, in schwächlicher Gemütlichkeit, in unselbständigen Vereinbarungsgelüsten allzulange verharrte, daß sie erst zur Hälfte aus ihrem Schlummer erwachte, als es zu spät war, als die Kontrerevolution bereits geharnischt und gerüstet dastand, und daß sie so durch passive Komplizität das Unheil verschuldete, welches jetzt über das Vaterland heraufgeführt ist.

Jene Deputation hatte indes keinen Erfolg. Schonungslos stieß die Krone die nochmals zur Versöhnung dargereichte Hand zurück. Es war beschlossen, die Würfel sollten geworfen werden, Graf Brandenburg blieb.

Wenn ich, meine Herren, diese kurze Rekapitulation der Hauptmomente in der parlamentarischen Geschichte Preußens Ihnen vorgetragen habe, so geschah es, um Ihnen zu zeigen, wie lange und planmäßig vorbereitet, wie mit den Haaren herbeigezogen die folgenden Ereignisse waren. Die kommenden Greuel sind nicht das Resultat einer plötzlichen Kollision, die nicht zu vermeiden war, sie entschuldigen sich durch keine Macht der Umstände, durch kein letztes Recht der Notwehr von seiten der Krone, durch kein Äußerstes, zu dem man unversöhnlich sie gezwungen.

Louis XVI., der von seinem Volk streng gerichtet worden, kann die Geschichte vieles vergeben.

Durch eine revolutionäre Versammlung zur Verzweiflung getrieben, unerbittlich und ohne Schonung zum Äußersten gedrängt, tat er manchen Schritt, welcher das Äußerste entschuldigt und den im nächsten Augenblick er schon bereute. Selbst seine Feindseligkeiten gegen das Volk waren mehr die Konsequenzen seiner Lage als die Verbrechen seines Willens. Ganz andres, weit Schwärzres liegt in Preußen vor.

Ein freiwilliges, ein sorgsam ausgesponnenes, monatelang Schritt vor Schritt vorbereitetes Komplott ist es gewesen, welches die Freiheit des Landes vernichtet hat. Ohne Not, durch keinen Angriff jener ehrerbietigen Versammlung provoziert, riß die Krone den Degen aus der Scheide und zwang uns in die entsetzliche Alternative, den Bürgerkrieg zu wagen, die unbewehrte Brust den Feuerschlünden preiszugeben, oder aber das Schmachvollste zu dulden.

Eine elende Konspiration war es, deren Opfer Sie, ich, wir alle wurden!

Hätte die Versammlung ihrerseits je eine Feindseligkeit gegen die Krone beabsichtigt, einen Konflikt mit derselben herbeiführen wollen, sie hätte ganz anders gerüstet, unbezwinglich dagestanden. Dann hätte die Versammlung in jener Zeit, wo sie die Macht hatte, statt jenes bürokratischen Bürgerwehrgesetzes, welches die Volksbewaffnung zum Kindergespött macht eine wirkliche Bürgerwehr geschaffen; sie hätte 60 000 Proletariern und Kleinbürgern der Kapitale die Flinte in die Hand gedrückt und sich so eine reelle Macht geschaffen, imposant genug, jeden Angriff, jeden Gedanken eines Angriffs im Keime zu ertöten.

Die Krone also, sage ich, war unwankend entschlossen. Die Deputation der Versammlung wird ohne Resultat entlassen. Graf Brandenburg erhält das Ministerportefeuille und eröffnet die Kammersitzung damit, daß er einen Kabinettsbefehl vorlegt, nach welchem die konstituierende Versammlung hiermit verlegt und vertagt sei.

Sie wissen, man nahm für diesen ganz unerhörten Handstreich zum Vorwand, die Versammlung sei nicht frei und stehe unter der Herrschaft des Berliner Pöbels, der das Haus umlagere. Es war ein elender Vorwand, sage ich, denn gerade an jenem Beispiele, das man für denselben anführte, am Beispiele des 30. Oktober, hatte sich das Gegenteil bewährt. Am 30. Oktober hatte sich bei Gelegenheit der Abstimmung über den Antrag, Wien zu Hilfe zu eilen, die Berliner Bevölkerung in Masse vor dem Schauspielhaus eingefunden und legte da ihr hohes Interesse für den Antrag kund. Wie wenig aber die, Versammlung in ihrer Abstimmung von diesem äußern Einfluß irgend gerührt war, zeigt sich daran, daß sie gerade damals den Antrag der Linken verwarf und nur für eine ohnmächtige Fürsprache für Wien bei der noch ohnmächtigeren Zentralgewalt zu stimmen sich nicht scheute.

Vor allem aber hatte die Krone das Recht nicht, die Versammlung gegen ihren Willen zu vertagen und zu verlegen. Dieser Versuch steht ohne Beispiel da in der Geschichte! In wirklich konstitutionellen Ländern, in Frankreich selbst unter Louis Philipp, in England, seitdem ein Parlament dort existiert, würde ein solcher Kabinettsbefehl der Krone, der die Kammer aus Paris oder London in irgendeine Winkelstadt jagen will, nicht die Sturmglocken haben ertönen lassen. Nein, man hätte die Sache nicht ernsthaft genommen, unter einem unsterblichen Gelächter hätte man die Minister nach Charenton oder Bedlam zur Kur geschickt.

Vollends einer konstituierenden Versammlung aber gegenüber war dieser Befehl ein Akt des Wahnsinns! Woher nahm die Krone das Recht, der Versammlung überhaupt zu befehlen? Wenn die Krone überhaupt der Versammlung befehlen konnte, wo endete dieses Recht, wo fand es seine Grenzen? Wenn die Versammlung unter dem absoluten Befehl der Krone stand, wie sollte sie da einen gesellschaftlichen Kontrakt in freier Vereinigung mit ihr zustande bringen; die Abschließung eines solchen setzt die Selbständigkeit beider Teile voraus. Entweder die Versammlung war allein souverän und die Krone mußte schweigend abwarten, welche Rechte ihr die Versammlung in der Verfassung übertragen würde – oder aber die Versammlung war nach der Theorie der Krone eine bloße Vereinbarerversammlung. Aber auch dann war sie mindestens die Mitinhaberin der Souveränität, die sie mit der Krone teilte; als freier Kontrahent mit ihr war sie gleichberechtigt mit der Krone.

Zwei vereinbarende Kontrahenten sind notwendig unabhängig voneinander und selbständig gegeneinander, sonst ist das freie Vereinbaren zu Ende, und der Gehorsam herrscht und der Befehl. Die Krone konnte selbst vom Vereinbarungsstandpunkte aus die Versammlung so wenig suspendieren und verlegen, wie die Versammlung den anderen gleichberechtigten Kontrahenten, die Krone, vertagen und verlegen konnte. Wohin hätte es in seinen Konsequenzen auch führen sollen, wenn die Krone ein solches Recht gehabt? Vom Rechtsboden aus muß man konsequent sein, meine Herren, oder man heuchelt.

Hatte die Krone das Recht, die Versammlung zu vertagen und zu verlegen, so hatte sie dies Recht auch unbeschränkt; denn es gab kein Gesetz, welches dasselbe auf gewisse Grenzen beschränkte, zeitlich und örtlich einengte; die Krone also hätte dann die Versammlung auf ein Jahrhundert auf einmal, oder stets von 14 Tagen zu 14 Tagen vertagen und das Zustandekommen der Verfassung so unmöglich machen können, ohne das Recht zu verletzen. Die Krone hätte die Versammlung von Berlin nach Brandenburg, da angelangt, nach Elberfeld, von da nach Danzig etc. verlegen, und von da endlich sie eine permanente und lehrreiche Reise von einer preußischen Festung in die andere anstellen lassen können, ohne das Recht zu verletzen?

Das alles, meine Herren, ist schon hunderttausendmal von andern ausgesprochen worden; das alles sind sicherlich sehr triviale Konsequenzen, aber so trivial sie sind, so wahr sind sie.

Endlich, meine Herren, es ließ sich das den Herren vom Rechtsboden auch schwarz auf weiß durch ein positives Pergament nachweisen.

In dem Wahlgesetz vom 8. April ist zwar Berlin nicht ausdrücklich als Sitz der Vereinbarungsversammlung bestimmt, aber in dem § 13 des Wahlgesetzes vom 8. April heißt es ausdrücklich, daß die Vereinbarungsversammlung außer dem Beruf, die Verfassung festzustellen, auch noch die seitherigen rechtsständischen Befugnisse etc., die Befugnisse des Vereinigten Landtages ausüben sollte und mit den Rechten desselben intermistisch bekleidet sei.

Für den Vereinigten Landtag aber war durch das Patent vom 3. Februar 1847 Berlin ausdrücklich und gesetzlich als Sitzungsort bestimmt.

Vermöge gesetzlicher Notwendigkeit war also für die Vereinbarungsversammlung, also für den Nachfolger und Vertreter des Vereinigten Landtags, die außer ihren höheren Rechten und ihrer bevorzugteren Stellung auch alle die kleineren Rechte ihres Vorgängers nach ausdrücklicher gesetzlicher Bestimmung mit übernahm, Berlin die Residenz geworden. Ein Gesetz, wie Sie wissen werden, kann nur durch ein anderes Gesetz entkräftet und abgeändert werden, nie durch einen Kabinettsbefehl, zu einem solchen neuen Gesetz aber war nach § 6 des Gesetzes vom 6. April die Zustimmung ebendieser Vereinbarungsversammlung nötig, die man unbefragt vertagen und verlegen wollte.

Jener Kabinettsbefehl, durch welchen die Versammlung suspendiert und nach Brandenburg verbannt werden sollte, war also eine flagrante und insolente Rechtsverletzung.

Was wird mir der Mann in der Robe dort, der Staatsprokurator, der offizielle Wächter des Gesetzes, auf alles dies zu entgegnen wissen? Ich denke, gar nichts!

Da erwachte das Ehr- und Rechtsgefühl in der Versammlung. Mit einer ungeheuren Majorität erklärt sie die Krone hierzu nicht berechtigt, erklärt sie, daß das Ministerium der Krone einen schlechten Rat erteilt, sie tagt weiter. Mit einer einzigen Schwenkung tritt das gesamte Zentrum auf die Linke Seite, Männer aus der Rechten selbst, Männer wie Bornemann, der frühere Justizminister, wie Grabow, Harassowitz, Gierke, schließen sich der Erklärung an, eine Masse der höchsten richterlichen Beamten, Gerichtspräsidenten, sogar Verwaltungsbeamte, Land- und Regierungsräte verwandeln sich in Brutusse und treten pflichtgemäß der Krone gegenüber!

Jetzt erteilt das Ministerium der Bürgerwehr Berlins den Befehl, die Nationalversammlung gewaltsam aufzulösen. Dieser Akt ist so beispiellos in der Geschichte Europas, er ist so voll von einem so schneidenden, so preußischen Hohne, daß er wohl einen Augenblick betrachtet zu werden verdient. Man hat auch anderwärts schon, wie Zum Beispiel in Wien, königliche Truppen gegen die Nationalversammlung geführt. Gut, das ist ein Verbrechen; es ist kein Hohn; man weiß, die Soldateska ist gewohnt, nichts zu verehren als das Kommando ihrer Generale.

Aber die Bürgerwehr, meine Herren, war, wie die Nationalversammlung selbst, das Produkt der Märzrevolution und ihr Ausdruck. Im konstitutionellen Staat wird, weil man weiß, wie wenig auf Fürstenwort zu bauen ist, in der Nationalgarde, in der Bürgerwehr, eine bewaffnete Garantie für die errungene Freiheit geschaffen. So hatte auch unsere Bürgerwehr vermöge des Gesetzes vom 17. Oktober hauptsächlich die Bestimmung, die bestehende gesetzliche Freiheit, das heißt also die im März erkämpften Gesetze und Verheißungen zu schützen. Wie aber die Bürgerwehr ein notwendiges Produkt und Ausdruck der Märzrevolution, so war die Nationalversammlung ihrerseits die oberste und lebendige Personifikation der Märzrevolution. Sie war der höchste gesetzliche Ausdruck derselben, die Quelle selbst aller Gesetze und bestehenden Freiheit. Bürgerwehr und Nationalversammlung, das ist identisch, das ist nur der doppelte Ausdruck eines und desselben Gedankens, das ist wie Hand und Seele eines Körpers. Und nun befahl man – gestehen Sie, es war ein genialer Einfall – der Bürgerwehr selbst, mörderisch die eigne Hand gegen die eigne Brust zu zücken!

Wenn in Frankreich zur Zeit der ärgsten Erniedrigung, unter den besten Jahren Louis Philipps, der Pariser Nationalgarde ein solcher Befehl erteilt worden wäre, bei Gott, ich glaube, der verstockteste Epicier, der friedlichste Tütendreher wäre zum Löwen geworden und hätte geschworen, daß nur Blut solche Beleidigung abwäscht!

Ich kenne nur eine Parallele hierfür. In der Türkei, wie Sie wissen, wenn ein Mann dem Sultan unbequem geworden ist und dies mit seinem Leben büßen soll, wird er nicht etwa hingerichtet. Der Sultan schickt dem Manne die seidne Schnur mit dem Befehl, sich selber zu erdrosseln, und im angestammten Gehorsam schreitet er sofort zur Selbstentleibung.

Also man geruhte der Berliner Bürgerwehr den Befehl zu erteilen, sich selber zu entleiben!

Aber Rimpler, der Chef der Berliner Bürgerwehr, und die versammelten Führer der Bürgerwehr erklären einstimmig, daß sie nur bereit wären, ihre Bajonette für, nie gegen die Nationalversammlung zu verwenden. Verbrecher waren es, meine Herren, nach dem Anklageakt! Welch großer Verbrecherhaufe, diese Berliner Bürgerwehr! Die Bürgerwehr weigert sich? Das wars, was man gewollt, weshalb man jenen Befehl ihr erteilt hat. Sofort wird die Bürgerwehr, weil sie sich nicht zu dem schmachvollsten Selbstmord hatte gebrauchen lassen wollen, durch königliche Kabinettsordre aufgelöst. So wurde das zweite Hauptinstitut konstitutioneller Freiheit ohne jedes Gesetz und Recht zu Boden gerannt. Der § 3 des Bürgerwehrgesetzes vom 17. Oktober gab der Krone das Recht, die Bürgerwehr aufzulösen, aber, wie es ausdrücklich in diesem § 3 heißt, nur aus »wichtigen, in der Auflösungsordre anzugebenden Gründen«. Jetzt wurde als solcher wichtiger Grund im Sinne dieses Gesetzes angegeben, daß die Bürgerwehr sich geweigert, ein Attentat gegen die Nationalversammlung zu begehen. Vergebend fragt man sich, mein Gott, warum zu soviel Gewalt noch soviel Heuchelei? Man wollte und mußte die Bürgerwehr auflösen, es war klar; man konnte die Waffen nicht in den Händen eines Volkes lassen, welchem man das Ärgste zuzufügen im Begriff war.

Gut, warum, da man doch entschlossen war, das Recht einzig und allein aus den Kanonenmündungen zu schöpfen, warum löste man die Bürgerwehr nicht einfach ohne Angabe jedes weitren Grundes auf? Warum ließ man sich zu dieser elenden Komödie herab, ihr einen Befehl zu erteilen, zu dem man kein Recht hatte, einen Befehl, den zu erfüllen ein Verbrechen gewesen wäre und in ihrer Weigerung einen gesetzlichen Rechtsgrund finden zu wollen? Warum diese elende Farce, die jedes Kind durchschaut? Warum, warum, frage ich, warum zu soviel Gewalt noch soviel Heuchelei? Doch das ist preußisch. Viele Regierungen haben Gewalt geübt, doch während man uns das Schwert in die Brust stößt, dabei noch ausrufen: »Und das von Rechts wegen!« das ist preußisch!

Weiter! weiter! Legen wir immer tiefer die Finger in die blutigen Wundmale, in den zuckenden Leichnam des Vaterlandes! Durchglühen wir uns zu heiligem patriotischem Haß durch das Angedenken daran. Vergessen wir nichts, nie, niemals! Vergißt je ein Sohn den, der seine Mutter geschändet? Von der gewesenen Freiheit sind jene schrecklichen Erinnerungen alles, was uns geblieben, die einzigen blutigen Reliquien!

Bewahren wir sie auf, diese Erinnerungen, sorgfältig auf, wie die Gebeine gemordeter Eltern, deren einziges Erbe ist der Racheschwur, der sich an diese Knochen knüpft!

Der Belagerungszustand wird über Berlin ausgesprochen. Die Preßfreiheit und das freie Vereinigungsrecht, für immer garantiert durch das Gesetz vom 6. April, diese Grundrechte des Volks, werden aufgehoben. Die gesetzliche Freiheit ist damit von Grund aus konfisziert.

Mit welchem Recht, meine Herren, konnte man diese Grundrechte aufheben? Die Gesetze aufheben, die sie garantieren? Ein Gesetz läßt sich, wenn das Gegenteil nicht durch es selbst ausdrücklich bestimmt ist, nur wieder durch ein Gesetz aufheben. Seit wann war General Wrangel Gesetzgeber Preußens geworden? Wie ist ein General befugt zu einem Akte, zu welchem Krone samt Staatsministerium ohne die Zustimmung der Volksrepräsentanten nicht befugt ist?

Alle Welt wurde es unumwunden für eine sanglante Rechtsverletzung und also – denn die Verletzung des öffentlichen Rechts ist nach dem Gesetz ein Kriminalverbrechen – für ein Verbrechen erklären, wenn man, ohne den Belagerungszustand auszusprechen, Gesetze aufheben wollte. Was in aller Welt aber ändert der Belagerungszustand gesetzlich hieran? Zunächst, was ist der Belagerungszustand selbst in gesetzlicher Hinsicht? Auf welcher gesetzlichen Grundlage beruht er? Kann der Staatsprokurator mir ein Gesetz zeigen, auf welches man ihn gründen kann? Ich würde ihm für diese Erweiterung meiner gesetzlichen Kenntnisse sehr dankbar sein. Ich glaube, es wird ihm nicht gelingen.

Das Staatsministerium war vor kurzem genötigt, den Berliner Belagerungszustand vor der gegenwärtigen zweiten Kammer rechtfertigen zu sollen. Es hat zu diesem Zweck der Kammer eine Denkschrift überreicht, von der Sie also leicht annehmen können, daß sie alles enthält, was irgend zur juristischen Begründung des Belagerungszustandes gesagt werden kann. Und wie rechtfertigt diese Denkschrift gesetzlich den Belagerungszustand? Durch Bezugnahme auf die oktroyierte Verfassung vom 5. Dezember, worin er erwähnt wird. Wie kann man aber eine Handlung, die im November vollbracht worden, durch ein Gesetz vom 5. Dezember rechtfertigen wollen?

Und was sagt endlich diese oktroyierte Verfassung über den Belagerungszustand? Sie sagt, daß es in bezug auf den Belagerungszustand bei den bisheran bestehenden gesetzlichen Bestimmungen verbleibe. Welches sind aber diese bisheran bestehenden gesetzlichen Bestimmungen? Es gibt keine. Es ist Lüge, nackte Lüge.

Die ministerielle Denkschrift sagt sehr naiv: Die bestehenden gesetzlichen Bestimmungen über den Belagerungszustand finden sich im § 9 der Einleitung zum Militärstrafgesetzbuch und im § 18 der Militärstrafgerichtsordnung. So? Und was findet sich da? Der § 9 der Einleitung zum Militärstrafgesetzbuch lautet: »Die in diesem Gesetzbuch für den Kriegszustand erteilten Vorschriften sollen auch in Friedenszeiten Anwendung finden, wenn bei außerordentlichen Vorfällen der kommandierende Offizier bei Trommelschlag oder Trompetenschall hat bekanntmachen lassen, daß diese Vorschriften für die Dauer des eingetretenen außerordentlichen Zustandes angewendet werden würden.«

Also der Offizier kann, wenn er trommeln läßt, die im Militärstrafgesetzbuch für Kriegszeiten erteilten Vorschriften auch im Frieden anwenden, aber nur seinen Soldaten gegenüber, wie außer dem § 9 selbst noch der § 1 des Militärstrafgesetzbuch zeigt, der ausdrücklich besagt: »Die Vorschriften des Militärstrafgesetzbuches finden nur auf solche Personen Anwendung, welche der Militärgerichtsbarkeit unterworfen sind, das heißt Soldaten, Militärbeamte, pensionierte Offiziere etc.« Also über die Soldaten kann der Offizier den sogenannten Belagerungszustand verhängen, aber wo sehen Sie in diesem Paragraphen irgend etwas davon, daß er über die Bürger, daß er über eine ganze Stadt verhängt werden kann? – Der andere Paragraph, auf den sich die ministerielle Denkschrift beruft, § 18 der Militärstrafgerichtsordnung, besagt nur, daß in Kriegszeit – aber nicht im Falle von Aufruhr – auch diejenigen Bürger dem Militärgerichtsstand unterworfen sein sollen, welche auf dem Kriegsschauplatze den preußischen Truppen durch eine verräterische Handlung Gefahr oder Nachteil bereiten. Aber abgesehen davon, daß das nur für Kriegszeit gilt, daß weder Berlin noch Düsseldorf ein Kriegsschauplatz war, abgesehen davon, daß diese Bestimmung durch die §§ 5 und 8 der Habeas-Korpus-Akte ausdrücklich aboliert ist, würde also hierdurch nur eine Änderung in dem Gerichtsstand einzelner eines Vergehens beschuldigter Personen eintreten. Aber steht in diesen Paragraphen ein Wort davon, daß man ein Recht zu dem habe, was man bei uns unter Belagerungszustand versteht? Daß man eine ganze Stadt außer dem Gesetz erklären kann, daß man alle Bürger entwaffnen, daß man alle Gesetze suspendieren, daß man das freie Vereinigungsrecht und die Preßfreiheit aufheben, die Zeitungen unterdrücken, die Bürgerwehr auflösen darf?

Die Unmöglichkeit, meine Herren, den Belagerungszustand auf irgendein Gesetz gründen zu wollen, ist so kolossal, daß selbst die Rechte sie hat anerkennen müssen, daß im Zentralausschuß der gegenwärtig aufgelösten zweiten Kammer selbst die Rechte, sag ich, obwohl sie seltsam genug für die Fortdauer des Belagerungszustandes als einer Maßregel zur Selbsterhaltung stimmte, einstimmig hat erklären müssen, daß der Belagerungszustand eine durch kein Gesetz erlaubte Gewaltmaßregel sei.

Der Belagerungszustand ist also, weit entfernt, durch irgendein Ausnahmegesetz begründet zu sein, nichts anders als die prinzipielle Verhöhnung der Gesetze, als die prinzipielle Proklamierung des Faustrechts. Seine bloße Proklamierung ist ein Verbrechen.

Es ist bekanntlich ein Plagiat, das man den Franzosen entlehnt. Im Jahre 1831 wurde in Paris der Belagerungszustand ausgesprochen; aber der Kassationshof in Paris kassierte ihn als ungesetzlich. Im Junikampfe vorigen Jahres proklamierte ihn Cavaignac. Aber die konstituierende Versammlung Frankreichs hatte damals, wie Sie wissen, eine Diktatur in die Hände Cavaignacs gelegt.

So war also unter der einzigen Bedingung der Verantwortlichkeit sein Wille allerdings Gesetz. Wer aber hatte bei uns dem General Wrangel, wer dem Hohenzoller eine Diktatur übertragen?!

Endlich, wenn der Belagerungszustand an sich gesetzlich gerechtfertigt wäre, wie er es nicht ist, woher soll ihm juristisch die Wirkung kommen, alle möglichen Gesetze beliebig aufheben zu können? Ich wiederhole es, ein Gesetz kann nur durch ein Gesetz aufgehoben werden, wenn der Fall nicht ausdrücklich im Gesetz anders bestimmt ist. So enthält zum Beispiel die Habeas-Korpus-Akte vom 24. September, welche zur Sicherung der persönlichen Freiheit erlassen ist, im § 8 die Bestimmung: »Im Falle eines Krieges oder Aufruhrs (das heißt also eben in den Fällen, in welchen man den Belagerungszustand erlassen zu können vermeint) kann, wenn die Volksvertretung nicht versammelt ist, durch Beschluß und unter Verantwortlichkeit des Staatsministeriums die zeit- und distriktweise Suspendierung der §§ 1 und 6 des gegenwärtigen Gesetzes ausgesprochen werden.«

Das ist also klar, die §§ 1 und 6 jenes Gesetzes können im Falle von Krieg und Aufruhr suspendiert werden, aber auch nur durch Beschluß des Gesamtstaatsministeriums, nicht durch Proklamation eines Generals.

Aber eben weil das Gesetz sagt, die §§ 1 und 6 können im Falle eines Krieges und Aufruhrs suspendiert werden, so ist dadurch erwiesen, daß die übrigen Paragraphen jenes Gesetzes selbst im Falle eines Krieges und Aufruhrs nicht suspendiert werden können. Unter diesen übrigen Paragraphen befindet sich auch ein § 5, welcher lautet: »Niemand darf von einem andern, als dem im Gesetz bezeichneten Richter gerichtet werden. – Ausnahmsgerichte und außerordentliche Kommissionen sind unstatthaft. Keine Strafe darf angedroht oder verhängt werden, als in Gemäßheit des Gesetzes.«

Dieser § 5 ist also, wie das Gesetz selbst sagt, selbst im Falle eines Kriegs und Aufruhrs nicht zu suspendieren. Die Proklamation des Belagerungszustandes in Berlin durch Wrangel, wie auch die hierorts erlebte durch Drygalski, verordnete aber die Niedersetzung von Kriegsgerichten für Zivilpersonen; also von Ausnahmegerichten, die selbst für Aufruhr und Kriegszeit ausdrücklich untersagt sind.

Die Habeas-Korpus-Akte ist also das dritte Bollwerk gesetzlicher Freiheit, das man offen mit Füßen trat, ohne die geringste Möglichkeit irgendeiner juristischen Beschönigung. Auch noch in anderer Weise wurde sie verletzt. Die §§ 1 und 6, von denen der erste bestimmt, daß eine Verhaftung, der andere, daß eine Haussuchung nur infolge eines richterlichen Befehls zulässig sei, hätten können suspendiert werden durch Beschluß und unter Gesamtverantwortlichkeit des Staatsministeriums. Sie wurden es aber nicht, weil man sonst demselben § 8 zufolge, der es gestattete, die Volksvertretung sofort hätte wieder versammeln müssen. Da sie nicht suspendiert waren, durfte keine Verhaftung und Haussuchung ohne richterlichen Befehl stattfinden. Oder weiß es der Staatsanwalt anders, so mag er uns darüber belehren.

Nichtsdestoweniger wurden täglich in Berlin, wie bekannt, die massenhaften Verhaftungen, Haussuchungen nach Waffen Haus für Haus durch Militär und Polizei, ohne jeden richterlichen Befehl vorgenommen.

Das erbitterte selbst Männer der entschiedensten Rechten. Milde, der frühere Minister, erklärte in öffentlicher Zuschrift dem Ministerium, es sei eine Schmach, die Habeas-Korpus-Akte so öffentlich mit Füßen getreten zu sehen. Das Ministerium antwortete ihm, es sei nicht seine Schuld, sondern die des General Wrangel, der dafür verantwortlich sei.

Militärhaussuchungen und Verhaftungen dauerten indes täglich fort, und es ist mir nichts von einer Kriminaluntersuchung bekanntgeworden, welche das Ministerium gegen den General Wrangel in dem konstitutionellen Rechtsstaat Preußen wegen jener eingestandenen Verbrechen, die sich täglich wiederholten, eingeleitet hätte. Die Nationalversammlung hatte den Belagerungszustand für ungesetzlich und wirkungslos erklärt. Die Gerichte selbst schlossen sich dem damals, als es noch ungewiß war, wer Sieger bleiben würde, an. Der Instruktionssenat des Kammergerichts gab alle diejenigen, welche wegen Zuwiderhandlung gegen den Belagerungszustand verhaftet worden waren, frei, weil der Belagerungszustand ungesetzlich und ungültig sei.

Der vierte Grundpfeiler der Freiheit, unantastbarer als jeder andere, war die Preßfreiheit. Durch das Gesetz vom 17. März war die Zensur für ewige Zeiten abgeschworen worden. Was tat man jetzt? Man führte die Zensur zunächst nicht wieder ein, aber man tat Schlimmeres, man unterdrückte die Zeitungen im ganzen. Was war die Zensur, meine Herren? Die teilweise Unterdrückung des Rechtes, seine Meinung frei zu äußern. Der Zensor strich den Zeitungen diese oder jene Aufsätze halb oder ganz. Diese teilweise Unterdrückung des freien Meinungsrechtes also war für immer und ohne Ausnahme abgeschafft. Jetzt unterdrückte man die Zeitungen im ganzen. Statt der teilweisen Repression des freien Wortes die totale Zensur, die Zensur auf ihre höchste, terroristische Spitze getrieben, die radikale Wegrasierung aller mißfälligen Zeitungen.

So hielt die Krone ihr eigenes Anathem gegen die Zensur, so verstand man die konstitutionelle Freiheit! Welch herrlicher Fortschritt des konstitutionellen Staates gegen den absoluten! Später wurde übrigens die Zensur auch formell wieder eingeführt. In Düsseldorf hat sie der General von Drygalski auf einige Tage ins Leben gerufen. In Erfurt aber und in Kreuzburg hat sie monatelang bis vor kurzem bestanden!

Ein fünftes unantastbares Lebensrecht eines freien Volkes war das freie Vereinigungsrecht, feierlich gewährt durch das Gesetz vom 6. April.

Aufgrund des Belagerungszustandes, das heißt, wie wir gesehen haben, aufgrund der gesetzlosen Willkür, aufgrund des proklamierten Faustrechts schloß man auch dies Asyl der Freiheit. Der Belagerungszustand, wie gezeigt, beruht auf keinem Gesetz. Beruhte er auf einem solchen, so hätte er doch nicht die Wirkung haben können, gesetzlich anerkannte Rechte, wie das der Vereinigung, aufzuheben, da ihm diese Wirkung durch kein Gesetz zugesprochen. Wäre ihm diese Wirkung aber auch durch ein früheres Gesetz zugesprochen gewesen, so war sie durch das Gesetz vom 6. April aufgehoben. Denn dies verordnet in seinem § 4: »Alle das freie Vereinigungsrecht beschränkenden, noch bestehenden gesetzlichen Bestimmungen werden hiermit aufgehoben.«

Trotz dieser dreifachen und sechsfachen gesetzlichen Unmöglichkeit wird überall, wo die moderne Schreckensherrschaft, genannt Belagerungszustand, proklamiert wird, das Vereinigungsrecht vernichtet, Versammlungen, Klubs, Assoziationen geschlossen und, wo 10 Menschen beieinander stehen, die wilde Jagd auf sie eröffnet. Unterdes ist die Kunde der unerhörten Vorfälle in die Provinzen gedrungen. Die Vertreter der Städte eilen nach Berlin, das königliche Herz zu beschwören und werden wie die Gassenbuben abgewiesen. Ein Adressensturm erhebt sich durch das ganze Land.

Nicht nur Volksversammlungen, nicht nur die friedlichen konstitutionellen Vereine, selbst die Gemeindevorsteher, Magistrate, Stadtverordneten, Kollegien aller Städte erlassen Beifalls- und Huldigungsadressen an die Nationalversammlung. Die städtischen Kollegien von Berlin, Breslau, Königsberg, Köln, Düsseldorf, aus jeder großen und kleinen Stadt, aus jedem Winkel Preußens, sprechen der Versammlung ihren Dank aus für die Wahrung der Volksrechte, fordern sie auf, ihrer ruhmvollen Entschließung treu zu bleiben. Verbrecher, moralische Verbrecher, sind es, meine Herren, nach der Logik des Anklageaktes, diese städtischen Behörden von nah und fern, diese Gemeindevertreter Ihrer eigenen Stadt!

Die Bürgerwehren aller Städte versammeln sich und votieren begeisterte Adressen an die Nationalversammlung. Alle diese Adressen wiederholen stereotyp die Erklärung: Die Nationalversammlung sei die einzige Behörde, welche auf gesetzlichem Boden geblieben sei und die daher allein auf gesetzliche Geltung Anspruch machen könne; alle diese Adressen schließen stereotyp mit dem feierlichen Schwur, ihrer Pflicht eingedenk, mit starker Hand, mit Gut und Blut der Nationalversammlung beistehen zu wollen. Alle diese Bürgerwehren, die besitzende Klasse der Nation, friedliche Männer, Gewerbe- und Handeltreibende, die Ruhe liebend, welche der Besitz erfordern, sie ließen damals – das Ehrgefühl wog vor – so kriegerischen Ruf ertönen; Verbrecher sind sie vor den Augen und nach der Logik des Staatsanwalts. –

Zu einem einzigen Verbrecherhaufen ist vor den Augen des einzigen Gerechten, unserer gottbegnadeten Regierung, die ganze Bevölkerung geworden, und es ist nur konsequent, wenn demzufolge die Regierung das ganze Land in ein Gefängnis umgestaltet hat. Nie hatte sich der Wille des Landes so imposant, so einmütig ausgesprochen. Umsonst, die Regierung war entschlossen, taub zu bleiben gegen die Stimme des Landes, taub, bis sie sich in Flintenschüssen dereinst Luft macht. Sie wissen, was sich indes in Berlin des weiteren zugetragen. Mit Kanonen und Bajonetten umlagert General Wrangel das Schauspielhaus.

In feierlicher Prozession begibt sich die Nationalversammlung an ihr Lokal und findet es verschlossen und von Militär besetzt. Sie erklärt, daß ihr rohe Gewalt widerfahren. Sie tagt in andern Lokalen, die ihr die städtischen Behörden Berlins zur Disposition stellen. Man wagt selbst das Unerhörte, sie durch Waffengewalt auseinandertreiben zu lassen! Die gesetzliche Volksvertretung gesprengt durch die Bajonette, das heißt, meine Herren: der Hochverrat in seinem letzten fürchterlichsten Grad, der Hochverrat in seiner höchsten denkbaren Vollendung! Der Major, der das getan, verflucht sich selbst und wird zur Strafe für diese Sentimentalität auf eine Festung geschickt.

Da schleudert die Nationalversammlung die Anklage des Hochverrats, die Anklage des gewaltsamen Verfassungsumsturzes gegen die Minister. Es erheitert fast, meine Herren, mitten unter diesen Erinnerungen einen Blick auf die Illusionen zu werfen, welche jene Herren sich damals machten.

In der Sitzung der Nationalversammlung, in welcher die Anklage gegen das Ministerium beschlossen wurde, äußerte man das Bedauern, daß noch kein Gesetz existiere, welches das in konstitutionellen Staaten gewöhnliche exzeptionelle Verfahren gegen die Minister, wonach die Volksvertretung sie selber richtet, regle, denn in Ermanglung dieser Exzeptionsgesetze war das allgemeine Landrecht und die königlichen Gerichte der zuständige Richter.

Harassowitz, der Präsident des Berliner Kriminalgerichts, ein Mann der entschiedenen Rechten, der aber gleichfalls bei jenem Konflikt der Krone gegenübergetreten und für die Anklage gegen das Ministerium stimmte, erhob sich erzürnt über diesen Zweifel, den man in die Unparteilichkeit preußischer Gerichte zu setzen wagte.

Seien Sie überzeugt, meine Herren, sagte er, die preußischen Gerichte werden diesem Hochverrate gegenüber ihre Schuldigkeit zu tun wissen. Der gute Mann! Es zeigte sich sehr bald, wie preußische Gerichte ihre Schuldigkeit verstehen!

Die Nationalversammlung schickte dem Berliner Staatsanwalt die Anklage mit der Aufförderung, seine Pflicht zu tun. Der Berliner Staatsanwalt, Herr Sethe, ergriff die Ausflucht – als wenn der § 91 des Allgemeinen Landrechts nicht vorhanden gewesen wäre – der Nationalversammlung zurückzuschreiben, es sei noch kein Gesetz vorhanden, welches den Hochverrat von Ministern, den Quellen aller Gnaden und Gehalte, bestrafe.

Kurze Zeit darauf sahen wir denselben Staatsanwalt eifrig beschäftigt, Requisitorien gegen die gesetzgebende Nationalversammlung wegen des Steuerverweigerungsbeschlusses auszuarbeiten, obwohl bekanntlich Deputierte wegen ihrer Voten gesetzlich unangreifbar!

Oh, über die Staatsanwälte, meine Herren!

Das Berliner Stadtverordnetenkollegium denunzierte bei demselben Staatsanwalt den General Wrangel, weil er, obgleich die Habeas-Korpus-Akte nicht suspendiert worden, gegen den § 6 dieses Gesetzes ohne richterlichen Befehl täglich gewaltsame Haussuchungen bei Berliner Bürgern und selbst Stadtverordneten vornehmen ließ. Das Stadtverordnetenkollegium verlangte die Einleitung der Kriminaluntersuchung. Der Staatsanwalt Sethe antwortete diesmal, zu derselben sei die Erlaubnis der dem General vorgesetzten Behörde, also des Ministeriums, nötig. Aber der § 9 der Habeas-Korpus-Akte bestimmt ausdrücklich, es sei keine vorgängige Genehmigung der Behörden nötig, um öffentliche Zivil- und Militärbeamte wegen Verletzung der Habeas-Korpus-Akte zu verfolgen.

Oh, über die Staatsanwälte, meine Herren!

So fingen die Justizbeamten schon damals an, den Stiefel der Gewalthaber zu küssen und, dem Beispiele der Krone folgend, alle Gesetze offen mit Füßen zu treten. – Es sollte bald noch besser kommen!

Indessen wird in Berlin die Versammlung noch dreimal durch Militärgewalt auseinander getrieben und faßt nun endlich den Steuerverweigerungsbeschluß. Daß die Versammlung hierzu gesetzlich berechtigt war, geht, abgesehen von allem andern, aus dem § 6 des Gesetzes vom 6. April hervor, worin es heißt, daß den Vertretern des Volks die Zustimmung zu allen Gesetzen sowie zur Festsetzung des Staatshaushaltsetats und das Steuerbewilligungsrecht zustehe. Es folgt endlich die Berechtigung und Notwendigkeit dieses Beschlusses schon einfach aus dem früheren, nach welchem das Ministerium des Hochverrats für schuldig erklärt worden.

Einem hochverräterischen Ministerium, welches den Bürgerkrieg provozierte, um sich aufrechtzuhalten, zu steuern, ihm die Mittel zur Existenz, zum Bürgerkrieg, zur Unterdrückung der Gesetze zu liefern, das hieß an und für sich, sich selbst im juristischen Sinne zum Komplizen des Hochverrats machen!

»Was die Zweckmäßigkeit der Steuerverweigerung betrifft«, sagt in jener Sitzung der Berichterstatter der Nationalversammlung, der Oberlandesgerichtspräsident Kirchmann, der noch vor wenigen Tagen gegen jene Maßregel gestimmt hatte, »so bin ich jetzt der Ansicht, daß die Handlungen und Maßregeln der Regierung zu einem solchen Extrem von Gewalt, List und Ungerechtigkeit vorgeschritten sind, daß wir mit einem solchen Netz von Gewalt und Hinterlist umstrickt sind, daß uns in diesem Augenblick nichts übrigbleibt, als zu diesem äußersten Mittel zu greifen, selbst für den Fall, daß wir die Anarchie in das Land werfen sollten.«

Kurz darauf wird, um mit diesem Sündenregister zu Ende zu kommen, nachdem die Rechte zu Brandenburg zu tagen begonnen hatte und gerade in dem Augenblicke, als die Linke sich bereit erklärt hatte, sich nach Brandenburg zu begeben, die Vereinbarungsversammlung für aufgelöst erklärt.

Daß man zu dieser Auflösung auch nicht den leisesten Anschein eines Rechtes hatte, das, meine Herren, geht unwiderleglich aus dem Wahlgesetz vom 8. April hervor, in dessen letztem Paragraph es heißt: »Die aufgrund des gegenwärtigen Wahlgesetzes zusammentretende Versammlung ist dazu berufen, die künftige Staatsverfassung durch Vereinbarung mit der Krone festzustellen.« Also diese aufgrund des Gesetzes vom 8. April von Ihnen gewählte, diese und keine andere Versammlung war unabänderlich und allein zu der Vereinbarung der Verfassung berufen.

Gleichwohl löste man die Versammlung auf, ja statt eine neue aufgrund desselben Wahlgesetzes zusammentreten zu lassen, oktroyierte man eine Verfassung, das heißt man kassierte den ganzen öffentlichen Rechtszustand mit einem Strich, man war es müde, den Rechtsorganismus des Landes langsam zu rädern, indem man ihm ein Glied nach dem andern, Gesetz für Gesetz in Stücke brach. Mit einem Griff warf man ihn in die Rumpelkammer und setzte offen an seine Stelle das sic volo sic jubeo und die Beredsamkeit der Bajonette. Meine Herren, es handelt sich bei der Aburteilung dieser Dinge und heute besonders um das Recht, das geschriebene Recht. Nach dem § 6 des Gesetzes vom 6. April durfte und konnte ausdrücklich die Krone kein Gesetz erlassen ohne die Zustimmung der Volksvertreter; ja schon lange vor der Märzrevolution, nach dem Patent vom 3. Februar 1847, durfte die Krone kein Gesetz mehr erlassen, ohne es dem vereinigten Landtag vorgelegt zu haben, an dessen Zustimmung sie zwar nicht gebunden, aber zu dessen Anhörung sie verpflichtet war.

Was kümmerte dieser ganze elende Rechtsbodenstandpunkt die Krone? Hatte man kein Recht, so hatte man Besseres als das. Man hatte in Berlin den Belagerungszustand, Wrangel, 60 000 Mann Soldaten und soundso viel hundert Kanonen. Man hatte in Breslau, Magdeburg, Köln, Düsseldorf, soundso viel Soldaten, soundso viel Kanonen. Das sind Gründe, eindringliche, die jeder begreift!

Und sollte der Rechtsbruch ja zu einigen Verwirrungen führen, einige Konsequenzen und selbst für spätere Zeiten einige Ungelegenheiten erzeugen, so hatte man ja seine Gerichte, seine Gerichte und seine Staatsanwälte, die alles schon ins rechte Gleis bringen würden!

Meine Herren! Als die Nachricht von allen diesen Verbrechen, von der zahllosen Reihe dieser Attentate auf unsere Gesetze in die Provinzen drang, von dem ungesetzlichen Belagerungszustand, von dem Bruch der Gesetze über die Bürgerwehr, über die Preßfreiheit, über die freie Vereinigung, von dem Bruch der Habeas-Korpus-Akte, von der Sprengung der Nationalversammlung durch die Bajonette – was, meine Herren, was konnte und mußte das Land da tun? Ich frage Sie, wohlgemerkt, nicht von dem Standpunkte der Volkssouveränität und der Menschenrechte, nicht einmal vom Standpunkte der Ehre aus, nein vom Rechtsbodenstandpunkt, vom streng juristischen Standpunkt des geschriebenen Rechts aus, was anders war das heiligste Recht, die höchste Pflicht des Landes, als die Sturmglocke ertönen zu lassen, die Flinte von der Wand zu reißen und die Barrikade zu besteigen?