Zwei Berichte - Ferdinand Lassalle - E-Book

Zwei Berichte E-Book

Ferdinand Lassalle

0,0
3,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Diese zwei Berichte aus den Werken von Ferdinand Lasalle beinhalten zum einen seine Verteidigungsrede vor dem Berliner Kriminalgericht gegen die Anklage, die besitzlosen Klassen zum Hass und zur Verachtung gegen die Besitzenden öffentlich angereizt zu haben aus dem Januar 1863 unter der Thematik "Die Wissenschaft und die Arbeiter". Der zweite Bericht ist ein Vortrag des Autors über den besonderen Zusammenhang der gegenwärtigen Geschichtsperiode mit der Idee des Arbeiterstandes, gehalten am 12. April 1862 in Berlin im Handwerkerverein der Oranienburger Vorstadt, der unter dem Titel "Das Arbeiter-Programm" stand.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 146

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Ferdinand Lassalle

Zwei Berichte

Texte: © Copyright by Ferdinand Lassalle

Umschlag:© Copyright by Gunter Pirntke

Verlag:

Das historische Buch, Dresden / Brokatbookverlag

Gunter Pirntke

Mühlsdorfer Weg 25

01257 Dresden

[email protected]

Inhalt

Die Wissenschaft und die Arbeiter

Die Wissenschaft und die Arbeiter

Eine Vertheidigungsrede vor dem Berliner Kriminalgericht gegen die Anklage, die besitzlosen Klassen zum Haß und zur Verachtung gegen die Besitzenden öffentlich angereizt zu haben (Januar 1863)

Meine Herren Präsident und Räthe!

Ich muß damit beginnen, Ihre Nachsicht in Anspruch zu nehmen. Meine Vertheidigung wird eine eingehende sein. Sie wird eben deshalb eine nicht gerade kurze sein müssen. Aber ich halte mich hierzu berechtigt, einmal durch die Höhe des Strafmaßes, mit welchem mich der § 100 des Strafgesetzbuchs bedroht, ein Strafmaß, das in seinem Maximum nicht weniger als zwei Jahre Gefängniß beträgt, zweitens aber und besonders dadurch, daß es sich heute um noch etwas ganz anderes handelt als um eine Strafe und um einen Mann!

Erlauben Sie, daß ich sofort die Debatte aus dem Bereiche gewöhnlicher Prozeßroutine auf die Höhe und zu der Würde erhebe, welche ihr zukommen.

Die Anklage, die gegen mich erhoben worden ist, ist ein schlimmes und trauriges Zeichen der gegenwärtigen Lage der Dinge.

Sie verletzt nicht nur die gewöhnlichen Gesetze; sie bildet sogar einen entschiedenen Eingriff in die Verfassung, und dies ist das erste Vertheidigungsmittel, das ich ihr entgegenstelle.

I. Der Artikel 20 der Verfassung lautet:

„Die Wissenschaft und ihre Lehre ist frei.“

Was kann und soll dieses in der Verfassung proklamirte „ist frei“ bedeuten, wenn nicht dies, daß die Wissenschaft und ihre Lehre nicht an das allgemeine Strafgesetz gebunden sein soll?

Soll dies „die Wissenschaft und ihre Lehre ist frei“ vielleicht bedeuten, „frei innerhalb der Grenzen des allgemeinen Strafgesetzbuches“? Aber innerhalb dieser Grenzen ist jede Meinungsäußerung, durchaus nicht blos die Wissenschaft und die Lehre, vollkommen frei. Innerhalb der Grenzen des allgemeinen Strafgesetzbuches ist jeder Zeitungsschreiber und selbst jedes Hökerweib vollkommen frei, zu schreiben und zu sprechen, was sie wollen. Diese Freiheit, die jeder Art von Meinungsäußerung zusteht, brauchte und könnte dann nicht für „die Wissenschaft und ihre Lehre“ durch einen besonderen Verfassungsartikel verkündet werden.

Jenen Verfassungsartikel in diesem Sinne auslegen, hieße also nichts anderes, als ihn einfach fortleugnen, ihn dahinein interpretiren, daß er überhaupt nicht dastehe, – was freilich eine in unserer Zeit nicht unbeliebte Weise ist, die Verfassung in aller Stille zu beseitigen.

Kein Zweifel also, daß, da die erste Regel juristischer Interpretation die ist, eine Gesetzesbestimmung geschweige denn einen Verfassungsartikel, nicht ins Ueberflüssige und Absurde, nicht ins Nichtdastehen zu interpretiren – kein Zweifel also, sage ich, daß dieser Verfassungsartikel besagt, was er eben besagt: daß die Wissenschaft und ihre Lehre frei, an die Grenzen des gemeinen Strafgesetzes nicht gebunden sein sollen.

Und kein Zweifel auch, meine Herren, daß dies eben die Absicht dieser Verfassungsbestimmung war, der Wissenschaft das Vorrecht einzuräumen, nicht an die Beschränkungen, welche das gemeine Strafgesetz der gewöhnlichen Meinungsäußerung auferlegt, gebunden zu sein.

Es ist begreiflich, wenn die Gesetzgebung die Institutionen eines Landes zu schützen sucht. Es ist natürlich, wenn die Gesetze es verbieten, die Bürger dazu aufzufordern, sich gewaltsam gegen die bestehenden Einrichtungen zu erheben.

Es it bei Unterstellung gewisser Rechtsansichten auch noch erklärlich, wenn die Gesetze es verbieten, sich an die gedankenlose Leidenschaft zu wenden, Schmähungen und Verhöhnungen gegen die bestehenden Einrichtungen zu verbreiten, durch einen Appell an das leichtbewegliche unmittelbare Empfindungsvermögen der Menge die Gefühle des Hasses und der Verachtung zu entzünden.

Aber was ewig urfrei und in keine Schranken geschlagen dastehen muß, was für den Staat selbst wichtiger als jedes einzelne Gesetz, an kein einzelnes Gesetz als Grenze seiner freien Thätigkeit gebunden sein darf – das ist der Trieb wissenschaftlicher Erkenntniß!

Alle Zustände sind unvollkommen. Es kann sich treffen, daß Institutionen, welche wir für die unantastbaren und nothwendigen halten, die verderblichsten und veränderungsbedürftigsten sind.

Wer, dessen Blick die Veränderungen der Geschichte seit den Zeiten der Inder und Egypter, wer dessen Blick auch nur den beschränkten Zeitraum eines Jahrhunderts genau umfaßt, leugnete dies?

Der egyptische Fellah heizt den Herd seiner elenden Lehmhütte mit den Mumien der egyptischen Pharaonen, den allmächtigen Erbauern der ewigen Pyramiden. Sitten, Einrichtungen, Gesetzbücher, Königsgeschlechter, Staaten, Völker – sind im regen Wechsel verschwunden. Aber was mächtiger als sie alle, nie verschwunden, immer nur gewachsen ist, was sich seit den ältesten Zeiten jonischer Philosophie, alles andere überdauernd, immer nur in beständiger Zunahme entfaltet hat, von einem Staate dem andern, von einem Volke dem andern, von einer Zeit der andern in heiliger Ehrfurcht überliefert, das ist der stolz ragende Baum wissenschaftlicher Erkenntniß!

Und welches ist die Quelle aller unablässig fortschreitenden, aller unausgesetzt und unmerklich sich vermehrenden, aller friedlich sich vollziehenden Verbesserung in der Geschichte, wenn nicht die wissenschaftliche Erkenntniß? Sie muß darum walten ohne Schranken, für sie darf es kein Festes, das sie nicht in den Prozeß ihrer chemischen Untersuchungen zöge, kein Unberührbares, kein noli me tangere geben. Ohne die Freiheit der wissenschaftlichen Erkenntniß daher nur Stagnation, Versumpfung, Barbarei! Und wie sie die unausgesetzt fließende Quelle aller Vervollkommnung menschlicher Zustände ist, so ist sie und ihre die Ueberzeugungen langsam gewinnende Macht zugleich auch die einzige Garantie für eine friedliche Entwicklung. Wer daher diese Quelle verstopft, wer ihr in Bezug auf irgend welche Zustände, wer ihr an irgend welchen Punkten zu fließen verbietet, der hat nicht nur den Quell der Vervollkommnung abgeschnitten und Nacht und Barbarei heraufbeschworen – er hat den öffentlichen Frieden eingerissen und den Staat auf gewaltsamen Umsturz und Ruin gestellt! Denn er hat jenes Sicherheitsventil verschlossen, durch welches die Gesellschaft allmälig in sich aufnimmt, was ihrer unmerklich sich ändernden Lage entsprechend, durch die Kraft der Wissenschaft langsam herausgeboren, sicher, wenngleich allmälig, in Köpfe und Zustände übergeht. Er hat das Sicherheitsventil geschlossen und den Staat auf die Explosion gestellt! Er hat der Wissenschaft verboten, Wunde und Heilmittel aufzuzeigen und die aus der verborgen gehaltenen Wunde sich endlich ergebenden Konvulsionen des Todeskampfes an die Stelle der Krankheitserforschung und ihrer Heilung gesetzt.

Die unbeschränkte Freiheit der wissenschaftlichen Lehre ist daher nicht nur ein unnehmbares Recht des Individuums, sie ist vor allem und in noch höherem Grade die Lebensbedingung des Ganzen, das Lebensinteresse des Staates selbst.

Darum verkündet die Gesellschaft den Satz, „die Wissenschaft und ihre Lehre ist frei“, frei ohne Zusatz, ohne Bedingung, ohne Schranke, und darum setzt sie diesen Satz, um zu zeigen, daß er selbst dem Gesetzgeber unantastbar sein solle, selbst von ihm in keinem Momente verkannt und verletzt werden dürfe, weit über alle Gesetzgebung hinaus in die Verfassung, als das fröhliche Unterpfand der friedlichen Fortentwicklung des gesellschaftlichen Lebens bis in die spätesten Zeiten!

Aber wie, meine Herren? Stelle ich vielleicht hier eine nagelneue und unerhörte Theorie auf? Mißbrauche ich vielleicht den Wortlaut der Verfassung, um mir aus einer prozessualischen Verlegenheit zu helfen?

Nichts leichter statt dessen, als Ihnen den historischen Nachweis zu erbringen, daß diese Bestimmung der Verfassung nie anders aufgefaßt worden ist, daß diese Theorie seit je und Jahrhunderte lang vor der Verfassung durch Usus und Praxis unbestrittene Geltung bei uns hatte, daß sie ein traditioneller und charakteristischer Grundzug aller germanischen Nationen seit der frühesten Zeit ist.

Zur Zeit des Sokrates konnte man noch angeklagt werden, χαινούς ϑεούς, neue Götter, gelehrt zu haben, und Sokrates trank den Giftbecher unter dieser Anklage.

Im Alterthum war dies natürlich. Der antike Geist war so durch und durch identisch mit seinen staatlichen Zuständen – und die Religion gehörte zu den Grundlagen des Staates –, daß er sich in keiner Weise von denselben losschälen, sich nicht häuten konnte. Er mußte mit diesen Staatseinrichtungen stehen und fallen, und er fiel mit denselben! In einem solchen Volksgeiste war jede wissenschaftliche Lehre, welche eine Verneinung einer der Grundlagen des Staates enthielt, ein Angriff auf das Lebensprinzip dieses Volkes selbst und konnte als solcher behandelt werden.

Eine ganz andere Erscheinung tritt nach dem Untergang der antiken Welt mit den germanischen Nationen auf. Es sind dies Nationen, die sich schälen und häuten können, die in der Entwicklungsfähigkeit ihres Lebensprinzips, des subjektiven Geistes, die Biegsamkeit in sich tragen, die verschiedenartigsten Wandlungen in sich selbst durchzumachen; Nationen, welche die zahlreichsten und gewaltigsten dieser Wandlungen bereits durchgemacht haben und in ihnen statt Tod und Untergang immer nur die Grundlage höherer Entwicklung und höherer Blüthe fanden.

Das Mittel zur Vorbereitung und Durchführung dieser zu immer höherer Blüthe führenden Wandlungen, deren Element sie in sich tragen, haben diese Völker an dem Prinzip der unbeschränkten Freiheit der wissenschaftlichen Forschung und Lehre.

Früher daher, und weit früher, als man in der heutigen, gebildeten Welt, welche die Freiheit der Wissenschaft zu den modernen Errungenschaften zu zählen pflegt, in der Regel ahnt, weit früher, sage ich, bricht in diesen Völkern der Instinkt durch, daß die Freiheit der Wissenschaft weder an die Autorität einer Person, noch einer menschlichen Satzung gebunden sein dürfe, daß sie vielmehr die allen menschlichen Einrichtungen überlegene und ihnen vorgehende, sich auf ein göttliches Recht stützende Kraft sei.

„Quasi lignum vitae“, sagt Papst Alexander IV. in einer im Jahre 1255 an die Pariser Universität gerichteten Konstitution – denn wie im Mittelalter Alles nur korporative Existenz hat, so auch damals die Wissenschaft nur als Universität – „quasi lignum vitae in Paradiso Dei et quasi lucerna fulgoris in Domo Domini, est in Sancta Ecclesia Parisiensis Studii disciplina.“ „Wie der Baum des Lebens im Paradiese Gottes und wie das Leuchten des göttlichen Glanzes im hause des Herrn, so ist in der heiligen Kirche das Institut des Pariser Studiums.“

Und man würde sehr irren, zu glauben, daß auf diese und ähnliche päpstliche oder kaiserliche und königliche Konstitutionen die Universitäten des Mittelalters das Recht der wissenschaftlichen Zensur – der censura doctrinalis – stützen, das sie in einer merkwürdigen Ausdehnung in Anspruch nehmen. Nicht ex jure humano, sagt Petrus Alliacensis – ein Mann, den, 1381 zum Magnus Magister der Pariser Universität gewählt, der erzbischöfliche und dann der Kardinalshut bedeckte -, nicht ex jure humano, sagt Petrus Alliacensis, und alle späteren Scholastiker stimmen ihm bei, nicht aus menschlichem Recht, sondern ex jure divino, aus göttlichem Recht stamme der Wissenschaft die Befugniß, ihre Zensur zu üben, und die von Papsten, Kaisern und Königen ertheilten Privilegien und Konstitutionen seien nur die Anerkennung des ex jure divino oder, wie sie sich gleichfalls ausdrücken, ex jure naturali, aus dem Naturrecht für die Wissenschaft herfließenden Rechtes.

Wir sind gewohnt, meine Herren, auf das Mittelalter vornehm als auf eine Zeit der Nacht und Barbarei herabzublicken.

Aber in vielen Stücken mit hohem Unrecht, und in keiner Hinsicht mit größerem Unrecht, als in Bezug auf das damals durch die wiederholtesten und solennesten Fälle anerkannte Recht der Wissenschaft, ohne alle Rücksicht und gegen König und Papst ihre feierliche Stimme zu erheben.

Wir haben neulich einen Konflikt erlebt zwischen der Regierung und dem Abgeordnetenhause über die Bestreitung von Ausgaben, die von der Kammer nicht bewilligt worden. Man hat versucht, im Lande ich weiß nicht welche Meinung zu verbreiten über die maßlose Kühnheit und die wühlerischen Tendenzen des Abgeordnetenhauses, und gewiß hat es sogar Abgeordnete genug gegeben, die selbst über ihre eigene Kühnheit erstaunt und stolz auf sie waren.

Aber, meine Herren, im Februar 1412 erlaubt sich die Universität von Paris, welche keineswegs irgendwie mit der Finanzverwaltung des Landes oder mir ihrer Kontrolle betraut war, eine Adresse an den König von Frankreich, Karl VI., zu richten, wie sie selbst sagt, „pour la chose publique de vostre royaume,“ „für die öffentliche Sache des Königreiches,“ in der sie ganz besonders die Finanzverwaltung des Landes dann aber auch alle andern Zweige des Verwaltung der schärffsten Kritik unterwirft, das vernichtendste Verdammungsurtheil darüber ausspricht. Und zu welcher ganz andern Kühnheit der Sprache und der Forderungen, als die ist, zu der sich unser Abgeordnetenhaus erhoben hat oder erheben würde, schwingt sich in dieser Rémonstrance die Pariser Universität empor!

Sie weist dem König nach, daß die Staatseinkünfte nicht nach ihrer Bestimmung verwendet würden („on appert clairement, que les dictes finances ne sonst point employées à choses dessus edictes“ etc.) und schließt diese Nachweisungen mit dem peremtorischen Ausruf: „Item, et il fault savoir, où est cette finance.“ „Item und man muß wissen, wo dieses Geld geblieben ist.“ Sie schildert ihm seine gesammte Finanzverwaltung, und zwar seine höchsten Beamten, die Finanzminister, Gouverneurs und Schatzmeister der Krone vor allen, als eine Bande gesetzloser Missethäter, als eine Bande von miteinander zum Ruin des Landes verschwornen Spitzbuben ohne alle Ausnahme! Sie wirft dem König vor, wie er den obersten Gerichtshof, das Parlament von Paris besetzt und den Namen des Rechtes dadurch entweiht habe! Sie hält ihm vor, mit wie viel geringeren Summen seine Vorgänger regiert, „au quel temps estoit le royaume bien gouverné, autrement que maintenant,“ „zu welcher Zeit gleichwohl das Land gut regiert war, ganz anders als jetzt.“

Sie schildert ihm den Druck, der auf den Armen laste, dem durchaus abzuhelfen sei und zu dessen Abhilfe sie eine Zwangsanleihe auf die Reichen verlangt, und sie erklärt ihm, daß Alles, was sie ich ihrer langen Rémonstrance sage, doch nur höchst ungenügend sei; denn mehrere Tage würden nicht hinreichen, die Mißregierung des Landes wahrhaft auseinanderzusetzen.

Ihr Recht zu dieser sanglanten Rémonstrance stützt die Universität ausdrücklich auf nichts anderes als darauf, daß sie die Wissenschaft sei, von der Jedermann wisse, daß sie vollkommen uneigennützig sei, daß es nicht ihre Gewohnheit sei, die Aemter unter sich zu haben und die Profite, noch sich in irgend anderer Weise darum zu bekümmern als mit ihrem Studieum, eben deshalb aber sei es ihre Pflicht, zu sprechen, wo der Fall es erheische.

Und sie konkludirt nun auf nichts Geringeres als dahin: der König müsse ohne jeden Verzug (sans quelque dilacion) alle Gouverneure der Finanzen ohne alle Ausnahme (sans nul excepter) ihrer Aemter entsetzen, sie verhaften und ihre Güter vorläufig mit Sequester belegen lassen und unter der Strafe des Todes und der Vermögenskonfiskation verbieten, daß nicht einer der untern Finanzbeamten mit diesen Gouverneurs Rücksprache nehme.

Wenn Sie diese lange Rémonstrance lesen, meine Herren – Sie finden Sie in der Chronik jener Zeit von Enguerrand de Monstrelet (liv. I, c. 99 T. II, Pag. 307 sq., Ed. Douët-D’aroy) – so werden Sie sich nicht verhehlen können, daß, wenn diese Adresse in unsern Tagen, z. B. von der Berliner Universität erlassen worden wäre, es kaum ein Verbrechen des Strafkodex gäbe, welches der Staatsanwalt nicht darin gefunden hätte!

Verleumdung und Beleidigung von Beamten in Bezug auf ihr Amt, Schmähung und Verhöhnung der Einrichtungen des Staats und der Anordnungen der Obrigkeit, Majestätsbeleidigung, Anreizung der Angehörigen des Staats zum Haß und zur Verachtung – und ich weiß nicht wie viel Verbrechen noch würden unsere Staatsanwälte darin gefunden haben!

Hat man doch vor weniger als einem Jahre, wie die Zeitungen erzählten, eine Disziplinaruntersuchung wegen einer Adresse ganz anderer Art eingeleitet, mit welcher eine unserer Universitäten das an sie ergangene Wahlaufforderungsschreiben des Ministers ablehnte.

Aber damals, in der Nacht der Zeiten, war dies noch nicht üblich. Vielmehr wird, ganz wie es die Universität verlangt hatte, der Schatzmeister der Krone, Audry Griffart, mit vielen anderen der höchsten Finanzbeamten gefangen genommen, und andere entgingen diesem Schicksal nur dadurch, daß sie sofort in eine Kirche flohen, der das Asylrecht zustand.

Das war 1412. Aber schon achtzig Jahre vorher trug sich ein anderer vielleicht noch bedeutenderer Fall zu, den ich in größerer Kürze berühren kann.

Der Papst Johann XXII. Stellt eine neue Auffassung des Dogma von der visio beatifica auf und läßt sie in den Kirchen predigen. Die Universität von Paris – nec Pontificis reverentia prohibuit, sagt der Berichterstatter, quominus veritati insisterent; „nicht hielt sie die Ehrfurcht vor dem heiligen Vater zurück, der Wahrheit beizustehen“ – die Universität und obgleich es sich hier um einen Glaubensartikel handelte, ein Gebiet, in welchem die Kompetenz des Papstes nicht bezweifelt werden konnte, erläßt am 2. Januar 1332 ein Dekret, worin sie diese Auffassung des Dogma für einen Irrthum erklärt.

Der König Philipp VI. insinuirt dies Dekret dem zu Avignon befindlichen Papste mit der Erklärung, wenn er infolge desselben nicht widerrufe, werde er ihn als einen Ketzer verbrennen lassen, und der Papst widerruft wirklich, obwohl ohnehin auf dem Todtenbette liegend, wie Sie dies Alles bei Bulaeus in der Historia Universitatis parisiensis, Paris 1668 fol., To. IV, p. 235 sq. ausführlicher erzählt finden können.

Diese Beispiele, die übrigens beliebig vermehrt werden könnten, werden genügen, um zu zeigen, wie unbeschränkt und an keine strafrechtlichen Grenzen gebunden schon im frühen Mittelalter, sogar Papst und König gegenüber, die Freiheit der Wissenschaft war, die, ich wiederhole es, freilich im Mittelalter, wie Alles im Mittelalter, nur eine korporative Existenz hatte.

Die Theorie, die ich aufstelle, sie hat schon seit mehr als 500 Jahren selbst in katholischen Zeiten und bei romanischen Völkern ihre Praxis gehabt.

Kömmt der Protestantismus und errichtet die Staatsgebäude selbst, die er schafft auf dem Prinzip der freien Forschung! Dies Prinzip ist seitdem die Grundlage unserer ganzen staatlichen Existenz. Die protestantischen Staaten haben kein Recht zu existiren ohne dasselbe, haben keine Möglichkeit dazu! Wann wäre seitdem eine strafrechtliche Anklage wegen einer wissenschaftlichen Lehre in Preußen erhört gewesen?