Reise ins Nichts - Pyar Troll-Rauch - E-Book

Reise ins Nichts E-Book

Pyar Troll-Rauch

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Beschreibung

Pyar zeigt authentisch auf unterhaltsame und berührende Weise, dass spirituelle Entwicklung bis hin zur Selbstrealisation innerhalb eines tätigen Lebens in Europa möglich ist. Sie nimmt dich mit auf ihre Reise zu Frieden und Glück, ist Wegbegleiterin und Freundin. Sie erzählt in ihrer spirituellen Autobiografie von ihrer Reise aus ihrem alltäglichen Leben mit all seinen Herausforderungen und Mühen hin zu einem erfüllten glücklichen spirituellen und lichtvollen Leben, hin zur völligen Eins-Werdung mit dem Universum, mit dem Nichts wie sie es nennt, dem Nichts das alles ist und alles enthält. Dabei beschönigt sie nichts, schreibt auch über ihre Ängste und Zweifel, spannend wie ein Krimi und berührend wie eine Liebesgeschichte. Pyar führt weiterhin ein normales aktives Leben, sie arbeitete als Ärztin, ist glücklich verheiratet, und sie liebt es zu lachen. Sie erzählt überzeugend, liebevoll und humorvoll über ihr Erwachen. Dabei weist sie auch darauf hin, dass der Weg jedes Menschen individuell anders und unvergleichlich ist. Sie schreibt über ihre spirituellen Erkenntnisse und Erfahrungen, und betont wie wertvoll und wesentlich Meditationen sind, um immer wieder Glück, Glücklich-Sein zu erfahren. So gibt Pyar kein totes Wissen weiter, sondern erzählt lebendig, frisch und neu. "Erleuchtung, Selbstrealisation ist weit jenseits jeder Möglichkeit von Vorstellung und gedanklicher Erfassung. Es gibt keine Erfahrung von Erleuchtung, denn im Realisieren des Selbst verschwindet der Erfahrende, der Denkende, der Fühlende. Individuelles Bewusstsein und Leere fallen in eines zusammen. In der Wahrheit zu sein heißt niemand zu sein, heißt Präsenz zu sein ohne Person, ohne Ich und ohne Du, nur Sein. Und dieses pure reine Sein, dieses bewusste Ist so unaussprechlich wunderbar! Es ist vollkommen natürlich, es ist die Wahrheit unseres Seins, es ist DAS, was allein die Sehnsucht nach der Beendigung des Leidens und der Trennung, die Sehnsucht nach Frieden, nach Freiheit wirklich stillen kann, die im Herzen jedes Menschen brennt – Stille, überfließende Leere, das Unbenennbare, das doch so viele Namen hat." Pyar

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In tiefer wortloser Dankbarkeit an Osho und Samarpan, an die Stille, das Leben, die unendliche überfließende Leere, DAS.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort von Samarpan Golden

Intro

Gebrauchsanweisung

Kindheit

Hereinbrechen des Nichts – Sturz in die Leere

Liebe und Krieg

Heilen

Osho – Bhagwan

Hahnemann und Dheeraj

Mein geheimer Garten

Frieden mit meinem Vater und weitere Abenteuer

Begegnung mit Samarpan

Der Tag bricht an – ein erster Moment der Wahrheit

Hingabe an DAS

Tanz der Dämonen

Feuer

Tiefere Hingabe – bedingungslose Offenheit

Zweifel

Das Ende der Illusion

Zuhause – Frieden

Die Reise geht weiter

Grundlos glücklich

Dialog mit dem Selbst

Der Prozess des Schreibens

Glossar

Bibliographie

Vorwort

Für mich gibt es nichts Interessanteres und Aufregenderes als die Geschichte des Erwachens. Ich habe noch keine Geschichte über jemandes Reise zur Wahrheit gelesen, an der ich mich nicht vollkommen erfreut hätte. Die Geschichte des Erwachens ist deine Geschichte und meine Geschichte. Sie beginnt als persönliche Geschichte und endet als die Geschichte keiner Person.

Tatsächlich ist es das Ende einer Geschichte, die vor langer Zeit begann. Es ist die Geschichte von Adam und Eva, unseren Vorfahren, es ist die Geschichte der Menschheit. Sie beginnt mit einer falschen Identifikation und endet in der korrekten Identifizierung mit dem, wer man wirklich ist (und immer war, selbst während der Missidentifikation).

Mit dem Ende dieser Geschichte endet das Leiden, endet die Ursache aller Kriege und endet die Unmenschlichkeit des Menschen gegenüber dem Menschen. Das ist kein kleines Geschehen. Es ist monumental! Es ist revolutionär. Es ist der Anbruch des neuen Zeitalters, den wir in dieser einfachen Geschichte des Erwachens einer Person sehen.

SAMARPAN GOLDEN

Intro

„Der Fluss und seine Wellen sind eine Flut;

was ist der Unterschied zwischen dem Fluss und seinen Wellen?

Wenn eine Welle sich erhebt, ist sie das Wasser,

und wenn sie fällt,

ist sie wieder das gleiche Wasser.

So sagen Sie mir, mein Herr,

wo ist der Unterschied?

Nur, weil sie Welle genannt wird,

soll ich sie nicht mehr als Wasser betrachten?“

KABIR

Erleuchtung – Erwachen – Selbstrealisation sind Begriffe, die viel missbraucht und noch mehr missverstanden werden. Viele von uns streben danach (eigentlich streben wir alle danach, wenn auch oft verdeckt, versteckt unter dem Streben nach Glück und Zufriedenheit, die wir dann versuchen in Beziehung und in Dingen zu finden), und wir stellen uns dabei etwas oder noch öfter jemanden oder auch eine bestimmte Erfahrung wie Glückseligkeit und Ekstase vor. Dann messen wir Erleuchtung an dieser Vorstellung unseres eigenen Geistes, die natürlicherweise mit bestimmten Erwartungen an diese Erleuchtung und der Erwartung von bestimmten Eigenschaften und Nichteigenschaften des „Erleuchteten“ verknüpft ist. Einige Beispiele, die ich aus eigener Erfahrung gut kenne, sind: „Ein Mensch, der erleuchtet ist, ist ständig freundlich und nett. Er erlebt keine schlechten und unangenehmen Gefühle, ist Vegetarier und Nichtraucher, ganz bestimmt trinkt er nie Alkohol, ganz bestimmt erlebt er keine Angst.“ „Wenn ich erleuchtet wäre, befände ich mich in einem ständigen Zustand von Ekstase und es gäbe keine Probleme mehr.“ „Ein Erleuchteter hat keine Gedanken.“ Ich habe das über Jahre mit Osho, mit Buddha, mit Jesus getan. Die Wahrheit ist: Erleuchtung, das Hereinbrechen der Wahrheit, das Hereinbrechen der Unendlichkeit in die Endlichkeit, das Erkennen dessen, der man immer war, ist für jedes Individuum verschieden – es gibt keine zwei gleichen Buddhas. Ich hatte zahlreiche Vorstellungen von Erleuchtung, und alle waren falsch. Wenn du mich jetzt fragen würdest: „Was ist denn das: Erleuchtung?“, müsste ich antworten – „ich habe keine Ahnung, ich habe keine Vorstellung, keine Idee mehr davon.“ Sicher ist, sie ist, und sicher ist, sie hat absolut nichts mit irgendeiner Erfahrung zu tun.

Immer noch gibt es zu wenige Menschen, die über ihre Reise, ihren Weckruf, ihren Prozess des Erwachens berichten. Es ist gut und hilfreich, Gefährten auf dieser Reise zu haben. Ich hatte über lange Jahre einen geliebten Meister, Osho, dessen Essenz und Wahrheit ich erst jetzt so richtig verstehen kann, jedoch erst vor ca. eineinhalb Jahren begegnete ich zwei Gefährten, die mir schlagartig klar machen konnten, was schon lange geschehen war, aber nicht verstanden werden konnte und daher als Fehler interpretiert wurde, als falsche Abzweigung auf dem spirituellen Weg. Der eine von ihnen ist Samarpan, mein Meister und Freund, der mit einem Streich und wenigen Worten hunderttausend Vorstellungen köpfte. Er half mir auch in der Folge immer zur rechten Zeit in seinem Satsang durch Bestätigung und sanftes Berichtigen, durch Aufrütteln und Beruhigen weiter, vor allem aber durch ständiges Sprechen der Wahrheit, durch Sein in Stille und durch die immer wieder in unendlicher Geduld wiederholte Aufforderung, das anzunehmen, mich dem hinzugeben was ist, und dabei still und unbewegt zu bleiben. Die zweite Gefährtin – nicht weniger wichtig, obwohl ich sie nur über ihr Buch „Kollision mit der Unendlichkeit“ kennenlernte – ist Suzanne Segal, in deren Beschreibung ich so viel Ähnlichkeit zu dem fand, was mir widerfuhr, so viel Ähnlichkeit – natürlich nicht Gleichheit – in der Erfahrung und soviel Ähnlichkeit in jahrelangem Missverständnis, dass bei der ersten Lektüre Ströme von Tränen über mein Gesicht liefen, Tränen der Erleichterung und Tränen des Wiedererkennens, Tränen auch der jahrelangen Frustration und Angst, des jahrelangen Schmerzes. Dank Euch beiden Nicht-Personen von dieser Nicht- Person! Nun, da die dunkle Nacht der Seele der freudigen Erkenntnis, dem stillen Frieden, dem Gewahrsein der Unendlichkeit, die ich bin, der Verwirklichung des Selbst gewichen ist, besteht ein natürlicher Drang zu teilen, mitzuteilen, zu berichten. Und wieder sind es diese beiden Gefährten, die mich hierin bestärken – Samarpan, indem er mir sagte, ich solle schreiben, solle ein Buch schreiben, in dem ich über die Wahrheit und darüber berichte, wie sie sich in diesem Lebensstrom offenbarte und offenbart. Suzanne Segal ihrerseits in ihrem Buch, in dem ich heute zum ersten Mal seit über einem Jahr wieder las und gleich zu Beginn folgenden Satz fand: „Als Menschen aus dem Westen, auf der Suche nach spiritueller Transformation, müssen wir uns gegenseitig unterstützen, indem wir über unsere Erlebnisse berichten. Da sich unsere spirituellen Erfahrungen von denen der Menschen im Osten unterscheiden, wäre es hilfreich, unsere Berichte über die Transformation zu sammeln....“ Okay, hier ist er also, der Bericht.

Zuvor jedoch noch einige Anmerkungen, die zum Verständnis wichtig sind:

Alles was ich schreibe steigt aus eigener Erfahrung auf, kommt aus erster Hand. Es ist keine Abhandlung, keine philosophische Erörterung von Ideen. Es ist keine Wiedergabe von irgendetwas Gelesenem oder Gehörtem, sondern der Versuch zu teilen und mitzuteilen, zu berichten von dem was ist, zu berichten von Wegen und Umwegen, die diese Person unterwegs nahm. Nicht zuletzt ist es auch der Versuch, von der dunklen Nacht der Seele, von dem Schrecken und der Angst, von der Öde und Grauheit zu berichten, die immer wieder geschahen, seit ich vor vielen Jahren erstmals und dann immer wieder mein Ich verlor und in die Leere fiel, nicht erkennend was geschah, weshalb mein Verstand kämpfte, ablehnte, in Panik und Schmerz tobte, nach etwas anderem suchte und immer wieder die Ich-Vorstellung aufbaute. Vor allem aber ist da ein Bedürfnis zu singen – von der Wahrheit, der Stille, DEM was allein wirklich ist und in DEM alles erscheint, ist ein Drang da von DEM zu sprechen, was man nicht sprechen kann. Es ist der Bericht dieser Reise im Bewusstsein, und es ist auch die Geschichte dieses individuellen Lebensflusses – sehr persönlich und intim – , der schließlich ganz natürlich und ohne eigenes Zutun in den Ozean des Bewusstseins mündete. Es ist die Geschichte einer Welle, die sich schließlich erinnerte, dass sie schon immer der Ozean war. Und die Reise geht weiter, auch wenn da kein Reisender, kein Handelnder mehr ist. Es gibt keinen Endpunkt dieser Reise, dieses Erkennens. Kein Ziel, nichts zu erreichen, nichts zu wollen oder nicht zu wollen.

Jetzt, da kein Kampf, kein Suchen mehr ist, geschieht Verstehen, obwohl ich immer noch nichts weiß. Ich kann ES nicht halten oder behalten oder festhalten und daher weiß ich ES nicht. ES ist eine ständige, immer jetzt, immer wieder stattfindende und sich ständig vertiefende und erweiternde Offenbarung und Enthüllung. Ein Staunen und Wundern, das kein Ende hat. Es ist nicht möglich, es zu analysieren oder zu erinnern. Es ist nicht möglich, es auf ein Regal zu stellen oder im Tresor einzusperren. Es ist immer gefährlich und niemals sicher. Da ist kein Empfinden von „Ich habe ES“.

Was ich erzählen kann, ist die Geschichte um das Erwachen. Aber bitte erinnere dich, das ist nur die Geschichte – eine von Billionen möglicher Geschichten um Erwachen, und deine Geschichte ist auch eine davon. Die Geschichte ist bloß eine Geschichte, so wie sie dieser Form geschehen ist. Sie ist nicht wirklich die Wahrheit, aber vielleicht kann sie etwas anrühren, in Schwingung und zur Resonanz in deinem Herz bringen, kann schwingen in der Essenz und der Wahrheit eines anderen Wesens – und das ist dann wahr.

Das Beste und Schönste wäre, wenn auch du nicht versuchen würdest, dich an die Worte zu erinnern oder sie intellektuell zu verstehen. Ich würde es lieben, wenn diese kleinen Worte und diese kleine Geschichte deiner Schwester-Welle einfach in dich hinein und durch dich hindurchgingen, dann vergessen würden, ohne eine Spur, die man erinnern könnte, aber vielleicht eine Resonanz in deinem Herzen erzeugend, einen Geschmack von Wahrheit und Frieden und dem Ozean des Bewusstseins, der derselbe ist in mir und in dir. Wenn das passiert, dann bewahre deine Aufmerksamkeit auf diesem Frieden, dieser Stille, diesem Ozean, dieser unendlichen Weite, die du bist, die ich bin, die alles ist, was ist und war und sein wird – in der Zeit, vor der Zeit und nach der Zeit. Und sage „Ja“ zu jeder Erfahrung, die der Welle geschieht.

Diese Realisation der Wahrheit, des Selbst, dieses Ruhen in der Stille, dieser Tod des separaten Ich ändert die Welle nicht. Sie ist immer noch eine sehr gewöhnliche Welle mit allen möglichen welligen Unarten und lustigen Kräuselungen. Sie ist sogar noch gewöhnlicher geworden, weil in dieser Welle kein Bewusstsein individueller Wellen-Persönlichkeit mehr ist, kein Bewusstsein von „ich bin diese Welle“. Sie ist nichts geworden, nichts als der Ozean – nichts Spezielles mehr. Keine Trennung – nichts Spezielles. Deshalb muss auch nichts mehr geändert werden an der Welle oder dem was ihr geschieht.

Und übrigens gibt es sowieso keinen Unterschied zwischen den Wellen. Vielfalt ja – welch wunderschöne Vielfalt, aber es gibt keine guten und schlechten Wellen, keine Welle, die es verdienen oder nicht verdienen würde, der Ozean zu sein. Wir sind sowieso alle der Ozean! Aber es gibt Wellen, die denken, sie seien nur eine Welle, eine ganz bestimmte Welle, eine besonders gute oder besonders schlechte Welle oder eine Welle, die gerne eine andere Welle wäre, oder eine Welle, die noch nie vom Ozean gehört hat, oder eine Welle, die wohl vom Ozean gehört hat, aber denkt, sie könne nicht der Ozean sein, da sie dies oder das noch tun müsse, um der Ozean zu werden, oder dies oder das getan hat, was dem entgegenstünde, oder eine Welle, die denkt, sie sei eine separate Welle, während jene erleuchtete, auserwählte, gesegnete Welle dort drüben, die so schön leuchtet – ja diese Welle dort, die sei sicherlich der Ozean. Nun, diese Welle, deine Schwester-Welle und viele andere Wellen leben einfach in dem Bewusstsein und der Gewissheit, der Ozean zu sein, nichts zu sein, keine Person zu sein, sie leben in der Präsenz – das ist alles. Was für eine Freiheit!

Zitate, Texte, die ich gelegentlich an den Anfang eines Kapitels stelle, sind solche, die in meinem Herzen geschwungen haben, die mich über viele Jahre berührt und begleitet haben, viele davon, ohne dass ich sie wirklich verstehen konnte. Und dennoch, die Resonanz, die sie erzeugten, hat mich immer wieder berührt, hat immer wieder das Feuer genährt.

Und zuletzt eine Bemerkung zur Wortwahl. Um zu berichten, müssen die Wörter „ich“, „mir“, und „mein“ verwendet werden, das erfordert die Sprache. Es wäre schlecht lesbar und lächerlich, wenn da immer „diese Form“, oder „dieser Körperverstand“ stünde. Wenn „ich“ also ich schreibe, dann erinnere „dich“ bitte, dass dieses ich nicht auf eine Person hinweist, denn „ich“ als separate Person existiere nicht mehr und habe genau genommen nie existiert. Deshalb kann ich auch nicht sagen: „Ich bin erleuchtet“, aber genauso wenig „Ich bin nicht erleuchtet“.

Worte wie DAS, ES, Gott, Stille, das Göttliche, Leere, Raum, Ozean des Bewusstseins, Selbst werden verwendet. All diese Worte deuten auf DAS hin, was nicht aussprechbar ist und dennoch tausend Namen hat.

1. Gebrauchsanweisung

„Wer steht frühmorgens auf, um den Anfang des Lichts zu entdecken?

Wer findet Uns hier kreisend und wirbelnd wie Atome?

Wer kommt durstig zu einem Brunnen und sieht den Mond darin gespiegelt?

Wer wie Jakob, blind vor Kummer und Alter, riecht das Hemd seines verlorenen Sohnes und kann wieder sehen?

Wer lässt den Eimer herab und zieht einen geflohenen Propheten herauf?

Oder geht wie Moses, um nach Feuer zu suchen, und findet, was inmitten des Sonnenaufgangs brennt?

Jesus schlüpft in ein Haus, um den Feinden zu entkommen, und

öffnet die Tür zu einer anderen Welt.

Salomon schlitzt einen Fisch auf, und da ist ein goldener Ring.

Omar stürmt herein, um den Propheten zu töten, und verlässt das

Haus gesegnet.

Jage ein Reh und lande überall!

Eine Auster öffnet ihr Maul, um einen Tropfen zu trinken – jetzt ist da eine Perle.

Ein Vagabund wandert in leeren Ruinen. Plötzlich ist er reich.

Aber sei nicht zufrieden mit Geschichten, wie sich die Dinge für andere entwickelten.

Entfalte deinen eigenen Mythos, ohne komplizierte Erklärungen,

so dass jeder den Satz versteht: Wir haben dich geöffnet.

Mache dich auf, nach Shams zu wandern. Deine Beine werden schwer und müde werden. Dann kommt ein Moment, in dem du fühlst, dass die Schwingen, die dir gewachsen sind, dich erheben.”

JELALUDDIN RUMI

Bitte erinnere dich, dies ist die Geschichte, wie sie dieser Person widerfuhr – vergleiche sie nicht mit deiner! Jede Geschichte ist die richtige! Jede Geschichte jedes Wesens mündet schließlich in Erwachen, auch deine! Die Vielfalt der Geschichten, die Vielfalt der Individualitäten, auch die Vielfalt der Individualitäten, in denen sich Erleuchtung zeigt (eine Freundin sagte mir kürzlich: „Pyar wird immer pyariger“), diese Vielfalt, die im Ozean des Bewusstseins erscheint, der wir alle sind, ist einfach nur wunderschön. Sie bringt mich zum Staunen und zum Lachen – wie schade, dass man Lachen nicht schreiben kann, ich lache so viel und würde es dich gerne hören lassen. Jede Geschichte erscheint in DEM und jedes Wesen ist seinem Wesen nach DAS. Jede Welle wird sich erinnern... „und wann?“, fragst du nun. Spielt das wirklich eine Rolle? – eigentlich nicht, denn auch Zeit gibt es nicht! Und wenn es geschieht, wird es immer jetzt sein!

Notwendig ist, die Sehnsucht auszurichten, die Wahrheit selbst, die Freiheit selbst zu wollen und nicht ihre Ersatzstoffe. Diese Ersatzstoffe wie Geld, Macht, Ruhm, Beziehung, wie Gutsein, selbst ein Schwelgen in ekstatischen und himmlischen Zuständen können ja nicht wirklich und vor allem nicht dauerhaft befriedigen. Jetzt im Schreiben fällt mir Jesus ein, der sagte: „Sammelt euch aber Schätze im Himmel, wo weder Motten sie fressen und Diebe sie nicht stehlen. Denn wo euer Schatz ist, da ist auch euer Herz.“ Auch dies ist ein Satz, den ich erst jetzt verstehe. Erst jetzt verstehe ich, dass nichts, gar nichts gegen Geld, Beziehungen, und die schönen Dinge des Lebens einzuwenden ist. All dies sind Dinge, die genossen werden wollen, wenn sie vorhanden sind, man muss sie nicht wegwerfen, man soll sie nicht wegwerfen. Nicht diese Dinge hindern. Was hindert ist, wenn wir unser Herz daran hängen, unsere Sehnsucht danach ausrichten und darüber unsere eigentliche Sehnsucht vergessen.

Aber tausche nicht die Wahrheit für eine irgendgeartete Erfahrung ein und lehne sie nicht wegen einer irgendgearteten Erfahrung ab! Gib dich nicht zufrieden mit einer Vorstellung von Wahrheit und Freiheit, gib dich nicht mit dem Land der Glückseligen zufrieden. Und gib dich auch nicht mit mentalem Verstehen zufrieden, denn was man intellektuell verstehen kann, kann zwar sehr weit gehen – es kann genau bis an die Grenze der Transzendenz führen, kann uns sogar an diese Grenze treiben, kann uns bis an den Rand des Erkennens von Unendlichkeit leiten, aber dann muss sich das mentale Denken selbst ad absurdum führen, es muss erkennen, dass die eigentliche Realisation über Logik hinausgeht. Nun muss der Verstand seine Unfähigkeit weiterzugehen einsehen und sich der Erkenntnis der Wahrheit, die weit hinausgeht über alles Denkbare, beugen, er muss demütig werden und kann dann wissend, dass er nichts weiß, wissend, dass er nicht verstehen kann, im Dienst der Wahrheit stehen. Das macht dem Verstand übrigens viel Spaß!

Die Persönlichkeit, das Ego, das separate, scheindefinierte Ich („ich bin gut oder schlecht, ich bin der oder der, hier bin ich – dort ist die Welt, ich bin der Körper, ich bin die Seele, ich denke also bin ich, ich bin ich und du bist du“) muss an diesem Punkt sterben, um dann als Individualität, aber jetzt ohne ein Bewusstsein einer getrennten Person, eines Ego wieder aufzuerstehen.

Diese beiden, die Verbeugung des Verstandes und der Tod des separaten Ich müssen gemeinsam geschehen, denn wenn der Verstand erkennt, dass er nicht wissen kann, das Ego, das Ich aber bestehen bleibt, so bleibt die Illusion von Trennung, bleiben die Welt und der Traum, der Schlaf geht weiter. Wenn das Ego stirbt, aber keine Erkenntnis einsetzt, der Verstand in Ablehnung verharrt, folgen Verwirrung und Angst und die Tendenz des Geistes, sich wieder mit einer Ich-Vorstellung zu identifizieren. In beiden Fällen bleibt ein Schleier. Nötig ist die 100%ige Bereitschaft, beides geschehen zu lassen, ist bedingungslose Hingabe, vollkommene Ausrichtung auf DAS, auf die Stille, egal was passiert.

Wahrheit zu hören oder zu lesen oder im Zusammensein mit einem erwachten Wesen zu erleben ist hilfreich, aber nicht ausreichend. Es bleibt Stückwerk, allein schon deshalb, weil Wahrheit in Wirklichkeit nicht sprechbar, nicht denkbar, nicht ausdrückbar, nicht vermittelbar ist. Niemand kann sie dir schenken oder geben. Alles kann nur auf sie hinweisen, hindeuten. Du musst sie wollen, mehr als alles andere, mehr als Glück.

Zu wissen oder gehört zu haben von der Auferstehung hilft im Moment des Sterbens nicht. Zu hören von Ekstase oder Freude eines Erwachten hilft nicht in diesem Moment. Es ist ein Anreiz, um an die Grenze zu gehen, aber im Moment des Todes der Persönlichkeit, des Ich, ist dieser Tod echt und du weißt nicht, was geschehen wird. Du weißt nicht, ob jemals Glück und Freude erfahren werden, du weißt nicht, ob Auferstehung geschieht. Du weißt nichts mehr und du bist ganz allein.

Nachahmen und Vergleichen sind von Schaden. Es gibt keine zwei gleiche Buddhas – wie wunderbar! – und auch keine zwei gleiche Geschichten des Erwachens. Es bist immer genau du und genau deine Geschichte ist die richtige. Genau jetzt, genau hier, genauso wie du bist – mit allen Schwächen und Stärken deiner Persönlichkeit. Nichts kann Erwachen verhindern, nichts ist vorher zu erledigen oder zu ändern. Aber du bist frei, aufzuwachen oder noch ein wenig zu schlafen – auch das ist okay! Vielleicht hast du ja gerade einen wunderschönen Traum... und dann bist du einfach ein Buddha, der träumt...

Der Preis ist nicht hoch, es kostet einfach nur alles andere. Der Preis, der zu entrichten ist, ist die Aufgabe der ganzen Illusion von Welt, von ich, von mein, von gut und schlecht, von Wollen und Nicht-wollen. Die Währung heißt Hingabe, heißt Akzeptanz, heißt „Dein Wille geschehe, in Deine Hände befehle ich meinen Geist“, heißt Ja, es ist okay wie es ist, wie auch immer es ist, wie auch immer es sein mag – ich bin zufrieden, in Frieden. Der Gewinn ist unermessliches, übervolles, von Liebe überfließendes Nichts, Nichts – nicht getrennt von Allem.

Ich möchte dir meine Erfahrung mitteilen:

Das einzige, was meinem Aufwachen lange Jahre im Wege stand, waren Ideen, waren Vorstellungen. Es war nicht das Rauchen, das mich hinderte, nicht Alkohol, nicht Erfolg, nicht einmal Wissen und Intelligenz, nicht eine so oder so geartete Vergangenheit, nicht diese oder jene schlechte Eigenschaft, und es waren auch nicht die guten Eigenschaften, die mich aufwachen ließen. Was hinderte, waren nur meine Vorstellungen – die Vorstellung, Rauchen würde dem entgegenstehen, die Vorstellung, Erleuchtung müsste irgendwie aussehen wie bei Osho oder Jesus oder Buddha, die Vorstellung, Erleuchtung würde bedeuten, mit einem Schlag alles zu verstehen, die Vorstellung, man sei dann irgendwo angekommen, die Vorstellung, keine weitere Entwicklung, kein weiteres Lernen würde dann mehr geschehen, die Vorstellung, Erleuchtung würde bedeuten, dann keine Gefühle, vor allem keine unangenehmen mehr zu erfahren, die Vorstellung, ich sei nicht gut genug, die Vorstellung, ich müsste die Wahrheit, die Freiheit verdienen, die Vorstellung, Selbstrealisation sei zwangsläufig mit ständiger Erfahrung von Glückseligkeit und Ekstase verbunden, die Vorstellung, da wäre noch so viel schlechtes Karma abzuarbeiten und so weiter und so weiter. Und vor allem hinderte der Glaubenssatz, dass das was ist nicht in Ordnung und daher abzulehnen sei und etwas anderes erreicht werden müsse, was dann ersehnt wurde. Und unter und vor all dem die Vorstellung eines Ich, einer Person, die ich sei – das Ego. Das war das Hindernis – unsere Vorstellung. Es ist noch nicht einmal der Verstand selbst. Ich kann ihn nicht als Feind ansehen – und auch das hat mich lange verwirrt: „der böse, böse mind“. Der Verstand ist ein wunderbares göttliches Werkzeug, göttlich wie alles. Der Verstand steht genauso wenig im Gegensatz zu DEM wie eine Fliege oder eine Blume, er ist auch in DEM.

Es sind nur unsere Vorstellungen, die uns immer wieder binden, aus denen immer wieder Wünsche und Ziele und Abneigungen auftauchen, und aus diesen erwächst die Illusion von Ich und Welt, und da mache ich keinen Unterschied zwischen so genannten richtigen und so genannten falschen Vorstellungen, Konzepten und Ideen. Jede Vorstellung ist per se unreal. Keine Vorstellung kann im Jetzt existieren, alle weisen auf die Zukunft oder blicken in die Vergangenheit oder führen sogar direkt von der Vergangenheit in die Zukunft, die Gegenwart vollständig umgehend. Hier, genau jetzt, schau genau hin: Kann sich da irgendeine Idee halten?

Ist es nicht so, dass unsere Vorstellungen uns ständig auf Trab halten, uns hindern hier zu sein, still zu sein? Da müssen wir noch hin, das müssen wir noch erreichen, dies noch verändern, jenes besitzen, unsere Beziehungen klären, unsere Persönlichkeit noch verbessern, mehr meditieren sollten wir, Liebe müssen wir bekommen, die Vergangenheit aufarbeiten, glücklich müssen wir sein, jenes müssen wir noch abschaffen und dann... da gibt’s kein Ende! Wir können ewig so weitermachen, oder wir können innehalten und alle Vorstellungen, alle Ideen, alle Wünsche und Ablehnungen über Bord werfen und sehen, ob es dann noch etwas zu tun gibt.

Was Aufwachen letztlich geschehen ließ, war Gnade und nicht mein Verdienst, nicht „der Lohn meiner Arbeit“. Du fragst nun: „Was ist Gnade?“ Gnade ist überall. Gnade ist wie der Atem Gottes. Nur haben wir vor die Gnade Stellwände gestellt, haben uns mit Ideen umgeben, uns in unserer kleinen Welt mit ihren klaren Strukturen von richtig und falsch eingerichtet. Wir haben uns mit Zielen und Wünschen möbliert. Da war kein Platz mehr für die Gnade, kein Platz mehr für den Atem Gottes. Alles was wir tun können, ist Platz zu schaffen, und dennoch ist es dann Gnade, die geschieht. Wenn die Stellwände weggeräumt sind, muss nur noch der verschwinden, der sie weggeräumt hat. Und dann ist der Weg frei für die Gnade, dann ist nur noch Gnade da, und plötzlich siehst du, dass nie etwas anderes da war. Dann ist die Tür offen für Gott, für Wahrheit, für Freiheit. Die Gnade ist es dann, die wirkt, die erkennen lässt, denn du bist nicht mehr da. In den Armen des Geliebten liegst du aufgelöst und bist nicht mehr da. Wenn jemand sagen würde, er hätte ES erreicht, wenn jemand prahlen würde, er hätte ES durch seine Anstrengung verdient, so müsste ich ihn fragen: „Wer, wer hat ES erreicht? Wer, wer hat ES verdient? Ist denn da irgendjemand, der verdienen, der sich mühen könnte? Und falls da vielleicht mal einer war, ist denn der jetzt noch da, bist du noch da, ist der noch da, der sich da mühte? Und wenn nein, was hatte der dann von den Mühen, was war sein Gewinn? Und wenn ja, was hast du dann erreicht?“ So muss es also Gnade sein, die da geschieht. Den letzten Schritt tut Gott allein, denn du bist nicht mehr da.

Nähre das Feuer deiner Sehnsucht, vergrößere deinen Wunsch nach Freiheit, bis nichts anderes mehr übrig ist. Und sag ja, sag ja zu allem was geschieht, sei es angenehm oder unangenehm!

Du musst dich nicht verändern, sag auch Ja zu dir – du bist genauso gewollt wie du bist! Du bist ein Ausdruck des Göttlichen wie du bist – mit allen deinen Ecken und Kanten! Sag ja zu dir, denn du bist ein Ausdruck der Göttlichkeit – was für eine Blasphemie wäre es, dich nicht anzunehmen! Ich kann nichts anderes als Göttlichkeit in dir sehen. „Du kennst mich ja gar nicht!“, sagst du jetzt. Doch, ich kenne dich, denn du bist dasselbe Selbst, welches ich bin, und ich sehe Buddha in jedem Wesen. Warum sollte ich Ihn ausgerechnet in dir nicht sehen können?

Nur, was du verlieren wirst, ist jede Besonderheit, jedes Attribut – die schlechten und die guten Attribute, die lieb gewordenen und die lang gehassten. Du wirst niemand sein, Nichts sein und du wirst Alles sein – nein, du bist Nichts, du bist pures Sein, pures BIN, schon immer gewesen. Du hast es nur vergessen bei all den Dingen, die zu tun, zu erreichen, zu verändern waren, bei all den Vorstellungen von Gut und Böse, von Wollen und Nicht-Wollen. Du bist pures BIN, Göttlichkeit tanzend, sich ausdrückend in einer bestimmten individuellen Form, in allen Formen, in jedem Universum. Du bist BIN, sich jeden Augenblick natürlich entfaltend in unendlicher Vielfalt der Formen und Phänomene und sich gleichzeitig jeden Augenblick zurück in den Ozean des reinen, unberührten, unbewegten Bewusstseins, der alles ist was ist, auflösend.

Und sage die Wahrheit, so wie sie für dich ist. Verleugne nicht, was für dich in deiner Erfahrung dem Sein in der Stille, dem Frieden im Wege steht. Gib nicht vor, täusche nichts vor, sage die Wahrheit zu dir, gestehe sie dir ein, und dann akzeptiere es und schau, was bleibt.

Ich will dich nichts lehren, im Gegenteil, ich will dich der Lehren berauben. Ich sage dir keine Methode, sondern möchte dir alle Methoden nehmen. Ich entwerfe kein System, ich will dir auch alle Systeme wegnehmen. Bitte, bitte glaube mir nichts, denn auch Glauben will ich dir entreißen. Denn du musst am Ende selbst sehen, du musst selbst entdecken! Also, schau, schau selbst was übrig bleibt. Schau, was da ohne Lehre, ohne System, ohne Methode, ohne Zukunft, ohne Vergangenheit ist – schau, schau genau hin, genau jetzt!

Lass dich nicht täuschen und nicht betäuben, nicht einlullen. Die Wahrheit ist ganz anders, als du dir jemals vorgestellt hast. Sie ist auch ganz anders als sie dir irgendjemand mit Worten vermitteln könnte!

Ich werde dir auch von dieser Person, von ihren Kanten und Ecken, ihren „Trips“ berichten, einfach nur um dir zu sagen, dass all diese Kanten und Ecken und „Trips“ das Erwachen nicht verhindern können. Und um dich noch mehr zu ent-täuschen, sage ich dir gleich, dass diese Kanten und Ecken der Person und die Trips des Verstandes, die Gefühle der Seele auch mit dem Erwachen nicht aufhörten. Einiges änderte sich wohl, ganz langsam und ohne dass ich es ändern wollte. Aber diese Person ist nach wie vor weit entfernt von jeglicher Perfektion (Gott sei Dank, sonst hätte ich ja nichts mehr zu lachen!). Dieser Körper raucht nach wie vor, trinkt nach wie vor gern Wein und isst Fleisch, die Schulter schmerzt, der Verstand produziert gelegentlich abstruse Gedanken, Emotionen tauchen auf und verschwinden wieder. Nur – ich bin im Frieden, bin unbewegt und still bei alledem, bin Nichts, bin niemand, BIN und sonst nichts. Und all die Phänomene von Körper, Seele und Geist, die in aller ihnen eigenen Individualität geschehen, trüben nicht die Freude, stören nicht die Stille und den Frieden, die immer gegenwärtig sind – das ist der Unterschied.

Und wenn du jetzt immer noch weiterlesen willst, hier ist er also endlich, der Bericht über diese Reise:

2. Kindheit

„Stell dir das Leben vor, als ob du einen reißenden Fluss überquerst. Du springst von Stein zu Stein, bis du am anderen Ufer ankommst. Die Steine sind die Freuden, der reißende Fluss die Widrigkeiten und Schmerzen. Spring einfach von Stein zu Stein.“

MEINE MUTTER

Ein Streik kennzeichnete den Beginn dieses Lebens. Ich wurde sechs Wochen zu früh geboren und verweigerte jegliche Nahrungsaufnahme, so dass ich mittels Magensonde ernährt werden musste, was eine ziemlich unangenehme Erfahrung war – zumindest empfand ich das so, als ich mich viel später daran erinnerte. Meine Eltern hatten mich lange ersehnt und gewünscht, ich war das erste Kind, eine Tochter, und ich blieb das einzige Kind meiner Eltern. Meine frühe Kindheit war unspektakulär, zumindest für mich, denn es war ja die einzige Kindheit, die ich kannte. Mein Vater war ein Physiker, der sich gerade selbständig machte. Er war von Forscherdrang beseelt. Meine Mutter war Chemikerin, konnte jedoch seit dem Krieg nicht mehr arbeiten. Wir lebten in einem umgebauten Stall, in dem mein Vater auch seine Forschungsstation betrieb. Windräder, leise surrende Geräte und der Geruch von Ozon gehören zu meinen frühesten Erinnerungen. Wenn ich heute in eine Forschungsstation komme wie erst kürzlich in ein astronomisches Observatorium, in der derselbe typische Geruch und das selbe Geräusch wahrzunehmen sind, bekomme ich heimatliche Gefühle. Meine Eltern liebten mich wie sie nur konnten. Wohl aufgrund ihrer Erlebnisse im Konzentrationslager war meine Mutter jedoch überängstlich, sehr müde und von ständigen Skrupeln geplagt. Das bedeutete für mich, dass ich, bis ich zur Schule kam, keine Freunde hatte, andere Kinder kaum kannte, da ich keine Gelegenheithatte, unser Zuhause zu verlassen und auch sonst wenig menschlichen Kontakt erfuhr. Meine Eltern waren auch geschwisterlos, die Großeltern lebten in einer Großstadt 100 km entfernt. Mein Vater arbeitete viel, meine Mutter spielte so gut wie nie mit mir und beschäftigte sich auch sonst nicht viel mit mir. Sie konnte es einfach nicht. In meiner frühen Kindheit übernahm mein Vater die Mutterrolle zu weiten Teilen mit. Er machte mir Frühstück – und auch da gehört der Geruch seines Rasierwassers in Verbindung mit dem von Kakao zu den wunderschönen heimeligen Erinnerungen, genau wie die Erinnerung an gemeinsames Pilzesuchen mit ihm und vieles andere. Meine Mutter war immer sehr um meine Gesundheit besorgt und hielt viel frische Luft für notwendig. Daher verbrachte ich einen großen Teil meiner ersten zwei bis drei Jahre in einem Gitterbettchen, später in einem Laufstall vor unserer Haustür. Im Allgemeinen war ich recht glücklich so wie es war. Ich empfand keinen Mangel, mir war auch nicht langweilig. Ich kann mich allerdings erinnern, dass ich einmal mit etwa drei Jahren sehr verzweifelt und schmerzerfüllt in meinem Zimmer stand, das durch einige Stufen und - zu meiner Sicherheit – durch ein Gitter von der Wohnküche getrennt war, in der sich meine Mutter im Allgemeinen aufhielt, voller Sehnsucht, zu ihr zu gelangen, und vollkommen hilflos und unfähig, das Ziel meiner Sehnsucht zu erreichen. So war ich ein geliebtes Kind und dennoch isoliert. Meistens jedoch war ich sehr fröhlich und zufrieden, habe viel gesungen und gelacht, mir meine eigenen Spiele ausgedacht und sie alleine gespielt, ohne mich dabei einsam zu fühlen. Gerne habe ich auch stundenlang einfach nur geschaut oder mich in der Welt meiner Phantasie mit meinen Freunden vergnügt, gespielt und unterhalten, die für mich so wirklich und nah waren wie Freunde nur sein können. Meine Mutter war für mich wunderschön, liebevoll und doch fern wie eine Göttin, mein Vater war stark und groß und warm, der König meines Herzens, und dennoch fremd.

Mit etwa drei Jahren hatte ich ein einschneidendes Erlebnis, das erstmals und nachhaltigst meinen Glauben an die Realität der Welt, wie wir sie sehen und sie uns gegenseitig mitteilen, erschütterte. Mein Vater stand mit mir am Fenster – er hielt mich hoch, da in diesem umgebauten Stall die Fenster sehr hoch lagen. Wir schauten zusammen hinaus. In einiger Entfernung war ein braunes, vierbeiniges Tier zu sehen. Ich sagte, „Dackel“, und mein Vater korrigierte mich, „Nein, das ist eine Kuh“. Das war ein Schock für mich, denn ich konnte sprechen und wusste genau, was ein Dackel und was eine Kuh ist. Wie hätte ich noch an die Realität der Dinge glauben können, wenn dasselbe Ding von mir als Dackel und von meinem Vater als Kuh gesehen wurde. Ich war bis ins Tiefste schockiert, ich verstand meine kleine Welt nicht mehr. Diese Unsicherheit bezüglich der Welt um mich herum hat mich seither nie mehr verlassen. Mein Vater und meine Mutter schienen sich jedoch so sicher zu sein. Da gab es nichts zu bezweifeln. Also erkannte ich, dass mein Vater mächtig war und ich zumindest so tun musste, als sei alles klar und eine Kuh schlicht eine Kuh. Ich wusste, ich musste vorsichtig sein und lernte mich zu fügen, obwohl ich von da an nie mehr ganz an die Realität dieser Welt als eine feste, bestimmte, definierte, solide Realität glauben konnte. Seither hat mich die Frage: „Was ist real und was ist nicht real?“, die Frage „Was ist Wahrheit?“ nicht mehr losgelassen.

Erst später, als ich in die Schule kam und begann, mein Leben mit dem „normalen“ Familienleben anderer Kinder zu vergleichen, stellte sich Leiden an der Situation ein. Ich fing an, mir auch eine „normale“ Mutter zu wünschen, eine Mutter, die auch mal einen Kuchen bäckt (meine Mutter hatte zeitlebens Angst, ein Backrohr zu benutzen), die mit mir spielt oder auf den Spielplatz geht, eine Mutter, die nicht bei der kleinsten Entscheidung zaudert, ein Zuhause, in dem auch mal ein Kinderfest stattfindet, schwimmen gehen, ans Meer fahren, ein Picknick. Alle diese Dinge wünschte ich mir und fing an zu leiden, weil ich sie nicht hatte. Der Schock des Vergleichs meines Lebens mit dem anderer Kinder war gewaltig. Erst jetzt sah ich, in welcher Enklave und Klausur ich gelebt hatte. Ich war glücklich gewesen so wie es war, aber jetzt im Vergleich war ich nachträglich noch unglücklich. Auch konnte ich selbst zunächst nur schwer Kontakt zu anderen Kindern aufnehmen und blieb in den ersten Schuljahren ein Außenseiter. Ich hatte nicht gelernt mit Kindern zu sprechen, mit Kindern zu spielen. Die Dinge, über die sie sprachen (z.B. Fernsehen, Freunde, bestimmte Spiele, Sport) kannte ich nicht, und meine Welt kannten sie nicht. Das wurde natürlich auch dadurch nicht besser, dass ich immer die Beste in der Schule war, ohne mich dafür anstrengen zu müssen. Während der Volksschulzeit war ich sehr wütend auf meine Mutter und ließ sie das auch deutlich spüren, da ich annahm, sie wolle einfach nicht normal sein, sie enthielte mir etwas vor, was mir zustünde, und sie sei schuld, dass ich keine Freunde hätte. Ich stellte dann fest, dass meine Mutter mir Geschichten vorlas, sich viel mehr um mich kümmerte und mich in den Arm nahm, wenn ich krank war. Das ist wahrscheinlich der Grund dafür, dass ich während der Volksschulzeit jeden Monat eine Grippe mit hohem Fieber bekam. Ich genoss es. Ich muss gestehen, ich genoss es auch, dass meine Mutter sich dann Sorgen machte, als ob ich sie damit bestrafen könnte. Und natürlich nahm ich mir als kleines Mädchen vor, ich würde alles anders machen als meine Mutter. Ich würde bestimmt eine perfekte Hausfrau werden. Über die Geschichte meiner Mutter erfuhr ich erst kurz bevor sie starb – sie konnte nie darüber reden und wollte anscheinend auch nicht, dass mein Vater mir davon erzählte.

So entwickelte ich mich in diesen ersten Schuljahren zu einem zornigen, widerspenstigen, schrecklich gescheiten und frechen Mädchen und verlor den Kontakt zu der wundersamen inneren Welt meiner frühen Kindheit. In meinen starken, warmen Vater war ich aber immer noch verliebt.

Als ich etwa zehn Jahre alt war, begann eine neue Beziehung zu meiner Mutter. Jetzt konnten wir anders miteinander sprechen, wir waren gerne zusammen. Ich wurde langsam fähig, ihre Liebe wahrzunehmen, ihre Großzügigkeit, Klugheit und bedingungslose Wahrheitsliebe. Meine Mutter sagte mir später, dass sie so froh gewesen sei, als ich endlich etwas älter geworden war und sie, wie sie sich ausdrückte, „normal mit mir sprechen konnte“. Das habe sie sich immer gewünscht und ihr sei es selber schmerzlich gewesen, dass sie mit mir als kleinem Kind schwer umgehen konnte. Trotzdem hätte ich immer noch gerne selbst gebackenen Kuchen gehabt. Immer noch wünschte ich mir die Erfüllung meiner Kinderträume! Ich wurde aber wieder fröhlich und auch umgänglicher, ich genoss das Leben. Ich genoss es auch, endlich ins Gymnasium gehen zu dürfen. Ich liebte es zu lernen, ich wollte alles wissen, alles. Ich begann in diesem Leben Wurzeln zu schlagen, ich hatte jetzt Freundinnen und genoss das. Wir unternahmen jetzt auch erstmals Reisen, und meine Oma, die zu uns in unser neues Haus gezogen war, hatte einen Fernseher, ich genoss es. Es war eine wunderschöne, aufregende, unbeschwerte Kinderzeit.

Gleichzeitig regte sich auch wieder meine alte Frage: Was ist wahr? Was ist real und was nicht real? In den ersten Schuljahren war diese Frage in den Hintergrund meines großen Zorns getreten. Als wir die Geschichte von Jesus lasen, seinen Dialog mit Pilatus, war ich tief berührt. Pilatus fragte: „Was ist Wahrheit?“ und Jesus antwortete ihm nicht! Er fragte die Frage meines Lebens, und Jesus antwortete nicht. Warum, warum antwortete er nicht? So brannte die Frage wieder in mir. In dieser Zeit fing ich an zu beten oder auf eine Art zu meditieren. Jede Nacht wachte ich auf, setzte mich auf mein Bett und betete. Ich weiß kein anderes Wort dafür, ich weiß nicht, was ich da genau tat und woher dieser Impuls kam. Es waren nicht die Gebete, die ich gelernt hatte, meist geschah es wortlos oder ich stellte einfach stundenlang meine Frage „Was ist Wahrheit, was ist Wahrheit, was ist Wahrheit?“ und wartete stundenlang auf Antwort. Manchmal saß ich einfach nur still da, ohne Frage, ohne Worte, ohne Antwort. Das tat ich natürlich heimlich. Es war mir peinlich. Ich sprach mit meinen Eltern nicht darüber und erst recht nicht mit meinen Freundinnen. Ich genoss ja das Leben und wollte nicht wieder die Außenseiterin sein – auch dachte ich, dass das sowieso keinen interessieren würde.

Meine Erziehung war sehr katholisch, zu jeder Mahlzeit wurde gebetet. Sonntags gingen wir in die Kirche. Ich mochte die Zeremonien, mochte besonders die Gebete und Gesänge der Mönche in einer nahegelegenen Abtei, die wir regelmäßig besuchten. Ich fühlte mich aufgehoben und zu Hause in diesem Glauben, und dennoch, meine Frage wurde mir von ihm nicht beantwortet. Ein Jahr bevor meine Mutter starb – ich war 14 –wurde ich gefirmt. Ich hegte große Erwartungen an dieses Ereignis. Ich erwartete etwas Erleuchtendes, etwas Wichtiges musste passieren. Der Heilige Geist würde mir die Antwort auf meine Frage offenbaren – aber es geschah gar nichts... Ich war schrecklich enttäuscht und frustriert. Ich fühlte mich von der Kirche betrogen und kehrte ihr sofort den Rücken zu. Meine nächtlichen Gebete setzte ich jedoch fort. Jetzt fing ich an zu lesen, lesen, lesen. Ich las alles, dessen ich habhaft werden konnte, über Philosophie und verschiedene Religionen von den Griechen zu den Chinesen, von der Bhagavadgita zu Sartre, von Heidegger zu Lao-tzu, von Augustinus zu Descartes.

Als ich etwa zwölf Jahre alt war, wurde meine Mutter sehr krank; sie hatte Krebs. In den drei Jahren ihrer Krankheit wurde sie schwächer und schwächer, wurde immer wieder operiert und bestrahlt und chemotherapiert. Zwischendurch gab es Zeiten, in denen sie wieder strahlte, fast gesund war, wir nochmals Reisen unternehmen konnten und zusammen glücklich waren. Immer wieder schöpfte sie und schöpften wir Hoffnung, dass die Krankheit besiegt sei, und immer wieder brach sie aus. In den letzten Monaten war meine Mutter zu Hause, sie litt unter schrecklichen Schmerzen. Ich war in dieser Zeit viel bei ihr und wir führten viele Gespräche. Sie munterte mich mit einem Spruch auf, der lange ihr Leitspruch gewesen war und sie wohl auch durch viele Schwierigkeiten getragen hatte, dem Spruch, den ich an den Anfang dieses Kapitels gesetzt habe. Sie selbst drohte aber jetzt in den Strudeln des Flusses zu ertrinken. Sie konnte keinen Stein und auch kein Ufer mehr sehen. Sie verschwieg mir aber auch nicht ihre Angst. Meine Mutter war über alles wahrheitsliebend und ich bin ihr so dankbar dafür. Sie sagte mir auch einmal ziemlich gegen Ende: „Weißt du, mein Fehler war zu glauben, dass mir, nachdem ich im Konzentrationslager war, nichts Schlimmeres mehr widerfahren könne. Ich habe geglaubt, dass ich alles Schlimme, das einem Menschen widerfahren kann, hinter mir hätte. Das war meine Vorstellung von Gerechtigkeit. Ich glaubte, dass alles gut werden würde. Das war falsch, und aufgrund dieser falschen Annahme bin ich jetzt so verzweifelt.“ Einmal sagte sie auch: „Ich verstehe nicht, Jesus litt nur drei Tage und ich muss so lange leiden. Ich kann nicht verstehen, warum das so ist, ich kann nicht mehr verstehen und nicht akzeptieren, dass ich so sehr leide, ich kann nicht verstehen, dass ich jetzt schon sterben soll, ich kann nicht verstehen, dass ich dich nicht aufwachsen sehen darf, ich kann nicht verstehen, dass Gott so etwas tut.“ Ich liebte sie so sehr, ich spürte ihre Verzweiflung und konnte nichts für sie tun, nur da sein. Selbst jetzt kann ich nicht verhindern, dass mir Tränen kommen, während ich dies schreibe, es sind einfach Tränen des Schmerzes, der empfunden wird, wenn ich an diese übergroße Verzweiflung denke, die sie durchlitt.

An einem kalten, wunderschönen Februarmorgen, kurz vor meinem 15. Geburtstag, starb meine wunderschöne Mutter. Es war ein schwerer Tod, ein Tod voller Kampf und in Angst. Sie konnte sich bis zum Schluss nicht gehen lassen. Ich war dabei, starr vor Schreck, starr in meiner Hilflosigkeit, sah zu und konnte nichts tun.

Auch mein Vater war dabei – auch er starr vor Schreck und hilflos.

3. Hereinbrechen des Nichts – Sturz in die Leere

„Oh Sohn edler Familie,... was man den grundlegenden

Glanz des ersten Bardo nennt, wird dir erscheinen. Dies ist die

Dharmata, offen und leer wie der Raum, glänzende Leere,

reiner nackter Geist ohne Mittelpunkt oder Umfang.

Erkenne sodann und verweile in diesem Zustand ...

Oh Sohn edler Familie, höre! Nun strahlt der reine Glanz

der Dharmata vor dir; erkenne ihn! Oh Sohn edler Familie.

In diesem Augenblick ist dein Geisteszustand dem Wesen nach

reine Leere und hat keine besondere Eigenart, weder Substanz,

noch eine Eigenschaft wie Farbe, sondern ist reine Leere;

das ist Dharmata...

Dieser dein Geist ist untrennbar Glanz und Leere in der Form

einer Überfülle von Licht, er kennt nicht Geburt noch Tod.

Dies zu erkennen ist das einzig Nötige. Erkennst du dieses reine

Wesen deines Geistes als den Buddha, so ist das Schauen

deines Geistes das Ruhen im Buddha-Geist...

Wesentlich ist, mit Gewissheit zu erkennen, dass alles was

erscheint, wie erschreckend es auch sein mag, deine eigene

Projektion ist. ... also fürchte dich nicht und lasse dich nicht

beirren.”

BARDO THÖDOL, Das Totenbuch der Tibeter

Die ersten Tage nach dem Tod meiner Mutter vergingen, ohne dass ich es bemerkte, immer noch in Starre – zu starr war ich selbst für Tränen und Trauer. Was mich erstarren ließ, war nicht