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Unveränderte Neuauflage 2024 Mit einem Vorwort von Abt Petrus Höhensteiger OSB Ein packendes und alltagstaugliches Buch über die universelle Botschaft Jesu. Pyar befreit unser Jesus-Bild von allem alten Ballast und lässt diesen großen Weisheitslehrer der Menschheit in genau der Schlichtheit, Geradlinigkeit und Radikalität auftreten, die seine ursprüngliche Lehre ausmachen. Diese Liebe, diese Hingabe, diese Achtsamkeit, dieses Leben aus und in der Gegenwart Gottes ist auch für uns möglich - heute in unserem Alltag. Anhand der Bergpredigt zeigt Pyar die Universalität von Jesu Botschaft auf, die Sanftmut nicht als weich, abgehoben und verklärt darstellt, sondern als große innere Stärke, die eine wahre Revolution in uns und unserem Leben auslösen kann. Ein weiteres zentrales Thema dieses Buches sind Schlüssel, die Jesus uns an die Hand gibt, um Entfremdung mit uns selbst, mit der Natur, mit Mitmenschen und mit Gott zu heilen und Frieden zu schließen. Das Feuer, das Jesus auf die Welt geworfen hat, zu hüten, ist Pyars Anliegen, dem sie mit diesem Buch mehr als gerecht wird. Immer wieder wurde Pyar von Schülern gebeten, Seminare über Jesus zu geben und endlich mit den vielen Missverständnissen bezüglich seiner Person und seiner Lehre aufzuräumen. Dieses Buch entstand aus den Mitschriften zweier Retreats, die daraufhin stattfanden und dokumentiert Pyars unvergleichliche Art, Jesus für uns "zurückzuholen", ihn wieder in unser Leben zu integrieren und uns nicht von klerikalen Dogmen in die Irre führen zu lassen. "Jesus ist ein einziges Ja, ein großes, großes Ja. Und es ist ein jubelndes Ja, ein Ja zur Liebe, zum Leben, zur Erde, zu allen Wesen auf der Erde oder sonst wo, ein Ja auch zu sich selbst und ein tiefes Ja zum Göttlichen. Und er versucht, andere Menschen mit diesem Ja-Virus, mit dieser Liebe anzustecken." - Pyar
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Seitenzahl: 433
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Möge dieses Buch auf den starken Flügeln der Weisheit und des Mitgefühls fliegen und den Lesern hilfreich sein.
Möge es beitragen zu Frieden und Freundlichkeit, zu Freude und Dankbarkeit, zu Respekt und Verständigung unter uns Menschen.
VORWORT von ABT PETRUS HÖHENSTEIGER OSB
INTRO – Hören und Sprechen
I. TEIL: VON DER UNBEWUSSTEN UNSCHULD DER NATUR ZUR BEWUSSTEN UNSCHULD EINES BUDDHA
1. Anfang: Jungfrauengeburt
2. Anfang: Der Stammbaum – Jesus, der Sohn des Josef
3. Anfang: Paradies, Erbsünde, Bewusstwerdung und Evolution des Geistes
4. Anfang: Am Anfang war das Wort – Einheit und Vielheit
5. Anfang: Johannes der Täufer – der Zeuge an der Schwelle eines Bewusstseinssprungs
6. Anfang: Die Taufe Jesu – Erleuchtung
II. TEIL: JESUS UND DIE KIRCHE
III. TEIL: ENTFREMDUNG ÜBERWINDEN UND FREUNDSCHAFT SCHLIESSEN
Grundlegende Schlüssel
1. Schlüssel: Hören
2. Schlüssel: Widerstehen – Treue
3. Schlüssel: Totalität
4. Schlüssel: Bereitschaft zu Sterben – Furcht überwinden
Die Entfremdung gegenüber der Existenz überwinden
5. Schlüssel: Lilien auf dem Felde – Sich nicht sorgen – Freundschaft mit der Existenz schließen
Die Entfremdung sich selbst gegenüber beenden – Freundschaft mit sich schließen
6. Schlüssel: Sich annehmen und nackt zeigen
7. Schlüssel: Nicht „Sein wie Gott“, sondern Gott selbst sein
8. Schlüssel: Umkehr, Reue und Vergebung
9. Schlüssel: Integrität
Die Entfremdung gegenüber Anderen überwinden
10. Schlüssel: Freundschaft mit den Menschen schließen – Liebe und Verzeihen
Die Entfremdung gegenüber Gott überwinden – Frieden mit Gott schließen
11. Schlüssel: Lobpreisen und das Reich Gottes ausgebreitet sehen
12. Schlüssel: Sich mit den Augen Gottes sehen – Nicht den Mut verlieren
13. Schlüssel: Gebet
14. Schlüssel: Gott erst genügt
15. Schlüssel: Seid Liebe – die große Umwandlung
16. Schlüssel: Glaube und Vertrauen
17. Schlüssel: Die Möglichkeit des Einschlafens und des Verrats macht wachsam
18. Schlüssel: Geradheit und Verbeugung – Hingabe in Aufrichtigkeit
19. Schlüssel: Die Lücke zulassen
20. Schlüssel: Sieg inmitten des äußeren Scheiterns – In deine Hände befehle ich meinen Geist
21. Schlüssel: Hütet das Feuer
IV. TEIL: DIE BERGPREDIGT – LEITFADEN ZUR TRANSFORMATION
1. Über das Gesetz hinausgehen
2. Vergebung
3. Geburt aus dem Geist
4. Die Liebe
5. Wachsamkeit
6. Gebet
7. Alltag
LITERATURVERZEICHNIS
GLOSSAR
Ich bin Pyar Rauch zuerst durch die Lektüre von zwei Büchern begegnet: „Reise ins Nichts. Geschichte eines Erwachens“, was ihre spirituelle Autobiografie beinhaltet, und das vorliegende - jetzt glücklicherweise in einer Neuauflage wieder zugängliche Buch - „Hütet das Feuer! Jesus als radikalen Weisheitslehrer entdecken.“ Ich war beim Lesen sofort begeistert. Pyars „Hütet das Feuer“ eröffnet einen recht ungewöhnlichen aber m.E. äußerst stimmigen Zugang zu den großen Themen, die Jesus von Nazareth bewegt haben, über die er gesprochen hat und die sein Leben bestimmt haben. Was Jesus und Pyar – als spirituelle Lehrer – verbindet, ist ihre unmittelbare Wahrhaftigkeit und Aufrichtigkeit. Man könnte mit einem heutigen Modewort auch sagen: Ihre Authentizität. Das habe ich besonders erfahren, als ich Pyar schließlich persönlich begegnet bin. Ihr Kreisen um die großen existenziellen Fragen wie etwa „Gott“, „Liebe“, „Was ist das Bleibende?“, „Wer bin ich?“, „Was ist der Sinn von allem?“ etc. teilt sie mit ihren Hörerinnen und Hörern und sucht aus ihrer spirituellen Erfahrung und mit mitfühlendem Herzen Menschen in Lebenskrisen beizustehen und ihnen Mut zu machen, ihre jeweilige Situation als Chance zur Wandlung zu begreifen.
Das vorliegende Buch nähert sich den zentralen Fragen des menschlichen und des spirituellen Lebens aus der Perspektive und der Vorgehensweise des Jesus von Nazareth. Es setzt voraus, dass die Strategie Jesu „radikal“, also grundschürfend ist. Und dass seine „Weisheit“ nichts Ästhetisierendes oder Schönrednerisches hat, sondern direkt ins Zentrum zielt, ohne religiöse Spekulation oder metaphysische Wichtigtuerei. Der Ansatz von Jesus ist radikal, weil er unbedingt aufrichtig ist; er ist weise, weil es ihm ums Ganze geht. Jesu Anliegen ist unabweisbar existenziell. Als Mensch hat er sich seinen eigenen Ängsten, Zweifeln und Fragen gestellt und ist ihnen nicht ausgewichen. Als Lehrer hat er sich niemals mit vorgestanzten oder ideologisierten Antworten zufriedengegeben. Es ist ihm egal, was die Leute über ihn reden und denken. Seine bohrende Frage richtet sich direkt an seine Jünger: „Ihr aber, für wen haltet ihr mich?“ (Mt 16,15). Ein Ausweichen ist nicht möglich.
Jesu radikaler Ansatz zwingt seine Zuhörer, Position zu beziehen und nicht davonzulaufen. Er zielt immer auf den innersten Kern.
Hier wird bereits ein Grundanliegen dieses Buches sichtbar. Es handelt sich hierbei weder um eine dogmatische Annäherung an Jesus noch um eine historisch-kritische Untersuchung. Auch religiöse Erbauung oder der Erweis der absolut gesetzten Einzigartigkeit Jesu sind nicht das Anliegen.
Jesus wird als Türöffner zu einem gelingenden Leben und als Schlüssel zur Freiheit gezeigt. In ihm manifestiert sich erleuchtetes Menschsein, das uns hilft, unser göttliches und menschliches Potenzial zu entfalten. Jesu Herz und Bewusstsein sind ganz geöffnet und können so das Herz und Bewusstsein seiner Schülerinnen und Schüler, seiner Hörerinnen und Hörer öffnen.
Das wird möglich, weil Jesus sich nicht blind an überlieferte Traditionen hält, sondern kreativ und provokativ in Anschlag bringt, was Menschen hilft, Weite und Freiheit in ihrem Leben zu entdecken und sich von unnötigem psychischem und religiösem Ballast zu entledigen. Jesus ist ein Meister der Grenzüberschreitung. Er zeigt darin Mut und Selbstbewusstsein. Er tut das aber nicht als Selbstzweck, sondern immer, um innere Fesseln zu lösen. Das Ziel ist Transformation. „Jesus ist grenzenlos, er hat jede Grenze verloren. Und aus dieser Grenzenlosigkeit heraus ist es ihm möglich, in der Kraft der Verwandlung ansteckend zu sein. Und das über den Zeitraum von 2.000 Jahren“, so schreibt Pyar. Und sie knüpft daran an: „Das ist unglaublich, ist ein großes Wunder. Und obwohl vieles seiner Essenz, seiner Botschaft und der Wahrheit, die er gesprochen und vor allem gelebt hat, immer wieder verfälscht und verschüttet wurde, ist es nie gelungen, diesen Christus zu töten, seinen Geist zu töten. Deshalb ist diese Kraft immer noch da, und ihr spürt sie.“ An anderer Stelle schreibt sie: „Jesus ist ein Verwandlungskünstler. Er verwandelt Tote in Lebendige, er verwandelt Brot in sich selbst, verwandelt wenig Brot in viel Brot, Wasser in Wein, er kennt keine Grenzen im Verwandeln und Transformieren.“
Wie Pyar das Wesen Jesu, seine Essenz, beschreibt und ihn charakterisiert, ist faszinierend, anrührend und trifft den Nagel auf den Kopf:
„Jesus ist ein einziges Ja, ein großes, großes Ja. Und es ist ein jubelndes Ja, ein Ja zur Liebe, zum Leben, zur Erde, zu allen Wesen auf der Erde oder sonst wo, ein Ja auch zu sich selbst und ein tiefes Ja zum Göttlichen. Und er versucht, andere Menschen mit diesem Ja-Virus, mit dieser Liebe anzustecken. (…) Jesu Liebe ist sehr stark, sehr wild und sehr gerade und – ich kann es nicht anders sagen – sehr radikal. Sie geht an die Wurzeln, kommt aus den Wurzeln. In dieser Liebe, die einfach sein Wesen ist – er ist wie Mensch gewordene Liebe – wankt er nicht, egal was passiert. Auch in seinem Vertrauen wankt er nicht.“
Es geht darum, das kleine, angstbesetzte Ego zu überschreiten, um in ein großes, weites Ganzes einzutreten, das die Erfahrung innerer Freiheit und der Einheit mit Gott und allem, was ist, zu ermöglichen. Herz und Bewusstsein sollen geöffnet werden. Damit geht die Entfaltung wahrer, reifer Menschlichkeit einher. Und das ist der reinste Ausdruck dessen, was wir Liebe nennen. Jesus hat dieses Ziel als spiritueller Lehrer, als Mensch und als Manifestation Gottes vermittelt und gelebt. Genau das ist gemeint, wenn er von sich sagt: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben“ (Joh 14,6).
Und an anderer Stelle: „Ich bin gekommen, dass sie das Leben haben und es in Fülle haben“ (Joh 10,10). Diese Fülle des Lebens will Jesus radikal vermitteln und aufschließen. Das ist sein Auftrag und seine Berufung. Es handelt sich dabei nicht einfach um ein Wort, das vor 2000 Jahren gesprochen wurde, und das in der Vergangenheit verhallt. Es ist heute genauso aktuell wie eh und je. Und es meint genau uns. Jeden und jede von uns. Es ist eine Einladung zu gelingendem und erfülltem Leben, die Jesus ausspricht und an die uns Pyar erinnern will. Und mehr noch: Sie will uns – wie es auch stets die Absicht Jesu war – wachrütteln und aufwecken. Man kann es nicht oft genug sagen: Es geht nicht um Adaption, sondern um Transformation. Lapidar bemerkt sie in ihrem Buch: „Das Feuer muss in lebendigen Menschen brennen.“
Die Quellen, aus denen Pyar für ihr Jesusbuch schöpft, sind im Wesentlichen: Das Thomasevangelium, das eine 114 Logien umfassende Sammlung von Aussprüchen ist, die Jesus zugeschrieben werden. Dieser Text gilt als apokryph und hat keinen Eingang in den Kanon des Neuen Testamentes gefunden. Gleichwohl zeigen sich darin zahlreiche Parallelen zu den Evangelien. Datiert wird er in frühchristlicher Zeit. Daneben zitiert sie aus dem Matthäus-Evangelium, in dem uns die Bergpredigt als zentrale Botschaft Jesu vermittelt wird. Ebenso berücksichtigt sie das Johannesevangelium, dessen Prolog die kosmische Dimension und Bedeutung Jesu aufzeigt. Auch die christliche Mystik (z.B. Teresa von Avila) findet Erwähnung.
Neben diesen christlichen Quellen bedient sich Pyar für ihre Ausführungen immer wieder der Tradition östlicher Weisheitslehren, die eine ganzheitliche Perspektive aufzeigen und das Wirken und Lehren Jesu in den umfassenden Schatz menschheitlicher Erkenntnis – über Raum und Zeit hinweg – einbinden.
Ein paar Worte sollen noch zu Pyars grundsätzlichem Zugang zu Jesus und zu den wichtigsten Themen gesagt werden, die dieses Buch anspricht. Pyars Herangehensweise ist lebendig und nicht theoretisch. Sie ist nicht interessiert an philosophischer oder theologischer Spekulation. Ihre Annäherung an Jesus ist unkonventionell, mutig, forsch und appellativ. Ihre Worte regen zum Nachdenken über das eigene Leben an und dringen direkt ins Herz. Hierbei ist es wichtig zu betonen, dass das vorliegende Buch nicht am Schreibtisch verfasst worden ist, sondern aus Vorträgen und - damit verbunden - aus konkreten und spontanen Fragen der Zuhörerinnen und Zuhörer entstanden ist.
Das macht die Lektüre zu einem lebendigen und existenziell relevanten Erlebnis, in dem sich die Leserinnen und Leser mit ihrem heutigen Lebenskontext wiederfinden. Von besonderer Bedeutung sind Pyars Mitgefühl und ihre Empathie. Sensibel und nüchtern erkennt sie „des Pudels Kern“ in den (sehr persönlichen) Fragen und Problemen, die an sie herangetragen werden, und bietet Hilfestellungen an, die durch einen Perspektivwechsel und durch Loslassen (bzw. überhaupt erst einmal Zulassen) einen Weg aus der Krise weisen. Wege im Wegelosen. Viele Menschen sind ihr begegnet, die durch ihre religiöse Erziehung verletzt und verunsichert worden sind, und die mit einem Zerrbild von Jesus, mit Angst und schlechtem Gewissen bedroht und geschädigt worden sind. Pyar legt hier den durch Vereinnahmung und restriktive Interpretation verschütteten Jesus frei: Jesus, der die Menschen entlasten, befreien, zur Entfaltung ihres vollen menschlichen und göttlichen Potenzials führen will. Jesus, der Verletzungen und Wunden heilen will.
In diesem Kontext stehen auch die großen Themen dieses Buches: Die Einheit von allem, das Einssein mit dem Göttlichen, die Überwindung des Leides, das durch rechthaberisches Festhalten am dualistischen Denken verursacht wird, die zentrale Bedeutung von Liebe und Vertrauen, die Kunst der Transformation, der Sieg im Scheitern (- es finden sich erhellende und überraschende Hinweise zum Kreuz und zum Leiden im Leben Jesu). Besonders begeistern mich Pyars Überlegungen zu Vergebung und Versöhnung und zum Gebet, das trotz der Einheit von allem die Erfahrung Gottes als das große DU nicht ausschließt.
All diese Themen werden nicht um ihrer selbst behandelt, sondern zielen auf Wandlung, auf Öffnung, auf Heilung bei den Hörenden und Lesenden ab. Sie sind von eminent praktischer Bedeutung.
Es ist vermutlich nicht nötig zu erwähnen, dass Pyars Gedanken keinem System folgen. Die Wahrheit und das, was für unseren spirituellen Weg vonnöten ist, kann nicht in logische Abfolgen gezwängt werden. Das Paradoxon hat hier essentielle Bedeutung. Es geht ja immer um das „Heilige Trotzdem“, wie Pyar oft sagt. Oder anders ausgedrückt: Bei Jesus geht es nicht um Technik, sondern um Liebe. Vorschriften spielen hier keine Rolle: Wir dürfen alles weglassen, was inneres Wachstum, Heimkommen, Freiheit, Bewusstheit hindert. Das ist ein sehr individueller und – wenn man so will – einsamer Weg. Damit wir einander beistehen und helfen, hat Jesus Gemeinschaft und Zusammenhalt gefördert, dagegen aber Herdenmentalität strikt abgelehnt.
Jesus macht uns Mut, den Weg in die Weite anzutreten, Grenzen zu überwinden, Angst und Ressentiments abzulegen, das Herz zu öffnen und Gott zu entdecken. In uns und überall. Und aufzuatmen. Und zu realisieren: Es ist alles da. Hier und Jetzt. Schon immer.
Meister Eckhart hat einmal gesagt: „Alle Dinge schmecken nach Gott“. Das ist es letztlich, was Jesus uns als radikaler Lehrer einer radikalen Liebe ins Herz schreiben möchte. Und das ist es, worum es auch Pyar geht: „Das ganze Leben gebetdurchwoben, freudegetränkt, liebedurchlodert und stilledurchflutet sein lassen.“ Ich finde, das ist eine treffende Zusammenfassung von Jesu Lehren und Wirken. Und von dem, worum es Pyar in ihrer Arbeit als spirituelle Lehrerin geht, wenn sie uns Jesus aus einer ganz frischen und ungewohnten Perspektive vorstellt. Das in sich aufzunehmen und es im eigenen Inneren fruchtbar werden zu lassen, ist das Ziel dieses Buches. Ich wünsche dieser Neuauflage zahlreiche Leserinnen und Leser. Es gibt viel darin zu entdecken. Und viele Schätze zu heben. Und wenn wir offen dafür sind, kann es eine Fahrkarte für eine aufregende Reise dorthin werden, wo Gott und Mensch eins sind. Wo „Leben in Fülle“ ist. Und Liebe. Und Weite.
Kloster Schäftlarn, 2. Februar 2024
In meinen Satsangs und Büchern benutze ich oft Texte von Jesus, Buddha oder anderen Meistern. Sie sind hilfreich, aber was ich spreche, spreche ich aus meiner eigenen Autorität und meinem Erfahren und Erkennen. Ich bin keine Gesandte von Jesus oder sonst jemandem, und ich bin keine Prophetin. Ich drücke mich aus, so gut ich kann – und das ist nie genügend – aus meinem Herzen, aus meinem Erkennen, aus meiner eigenen Autorität. Und meine Art ist eine pyarige Art, sie ist kein Wiederholen oder Nachsprechen, sondern einzigartig. Gleichzeitig spreche ich aus derselben Wahrheit und Liebe wie Jesus und meine anderen Buddha-Freunde. Mir ist es auch ein Anliegen, manche dieser Freunde wieder bei euch einzuführen. Ob sie Atisha, Jesus oder Milarepa heißen, ich möchte diese Freunde ins 21. Jahrhundert einladen, weil sie alle so lebendig und so hilfreich sind. Was hier geschieht, ist keine Auslegung der Bibel. Es geht mir um euch.
Natürlich nehme ich die Wunden wahr, die bei euch vorhanden sind. Einiges in eurer Seele, aber auch einiges in eurem Geist bezüglich Jesus, bedarf der Heilung. Manche von euch sind da relativ unbelastet, einige haben positive wie negative Vorurteile. Einige von euch haben eine wunderschöne Liebesgeschichte mit Jesus. Es ist sehr verschieden für euch. Aber ich habe den Eindruck, dass das Bild oder der Geschmack von Jesus, der sich manchen in den Geist eingegraben hat, einfach nicht ganz korrekt ist.
Jesus selbst ist kein heikles Thema, aber durch all die Vergiftungen, die seine Worte über die lange Zeit erfahren haben, und auch durch all das, was viele von uns als Kinder oder Jugendliche an falsch verstandenem Jesus vorgesetzt bekommen haben, wurde er zum heiklen Thema. Ich habe den Eindruck, dass vieles, was euch und Jesus betrifft, zu heilen ist, und das macht ihm sicher Spaß, denn er hat ja gerne geheilt, womit er sich im Übrigen absolut einig ist mit Buddha, der sich als Arzt bezeichnet hat.
Und ganz wichtig ist die Qualität des Hörens – ja, so wie Maria gehört hat. Und das Annehmen, so dass das Hören ins Herz geht und nicht so sehr in den Verstand. Erinnert ihr euch an das Gedicht von Rilke?
„Höre, mein Herz, wie sonst nur Heilige hörten: dass sie der riesige Ruf aufhob vom Boden; sie aber knieten, Unmögliche, weiter und achtetens nicht: So waren sie hörend.“
Dieses Buch ist aus Audio-Aufnahmen mündlicher Vorträge entstanden, deren spontaner Charakter bei der schriftlichen Bearbeitung weitgehend erhalten blieb.
Als Biblische Quellen wurden die Lutherbibel Standardausgabe © 1999, Deutsche Bibelgesellschaft Stuttgart, sowie das Thomas-Evangelium in der Übersetzung von Christoph Greiner, © Genius Verlag, Oberstaufen, 1998, genutzt
Lasst uns mit dem Anfang beginnen, denn es ist unser Anfang, der Anfang der Entwicklung unseres Bewusstseins.
Die Evangelien überliefern uns mehrere Anfänge der Biografie von Jesus, und natürlich gibt es den Anfang des Anfangs in der Schöpfungsgeschichte und der Geschichte vom Paradies. All dies hängt zusammen, und wir werden über einige dieser Anfänge sprechen.
Jesus wurde vor circa 2.000 Jahren in Palästina, einem kleinen Land am Rande des Mittelmeeres, geboren. Wo genau, ob in Nazareth oder in Bethlehem, ist nicht ganz erwiesen. Gelernt haben wir, es sei in Bethlehem geschehen, aber es wäre auch möglich, dass das als Kunstgriff erst später eingefügt wurde, da Bethlehem in der jüdischen Überlieferung ein wesentlich größeres Gewicht hat als Nazareth. Aus Nazareth, sagten die Menschen damals, kommt nichts Bedeutendes. Auf jeden Fall wurde Jesus geboren, soviel steht fest. Darüber sind sich alle einig. Auch in einigen römischen Quellen wird darüber berichtet. Ein Geschichtsschreiber namens Josef fand diesen Mann immerhin so bedeutsam, dass er ihn erwähnte, was an sich bereits ungewöhnlich ist, denn Propheten und Sektierer haben die Römer eigentlich nicht so sehr interessiert.
Nun existieren ja all diese Geschichten von der Jungfrauengeburt, die im Übrigen selbst in den herkömmlichen vier Evangelien nicht durchgängig so beschrieben ist. Dazu kommen wir noch. Diese Jungfrauengeburt stößt auf große Ablehnung. Ich frage: Warum stoßen wir uns eigentlich so sehr daran? Kein Mensch ärgert sich darüber, dass Padmasambhava, der große buddhistische Meister, der den Buddhismus nach Tibet brachte, siebenjährig ohne Mutter und ohne Vater in einer Lotusblüte geboren wurde – als fertiger Bodhisattva! Das löst seltsamerweise nicht solchen Widerwillen aus. Aber bei Jesus haben wir etwas dagegen. Vielleicht liegt das an der Färbung, die im Nachhinein hereinkam, vielleicht sind wir aber auch einfach weniger kritisch, sobald es sich um eine andere, exotischere Religion handelt. Warum können wir hier eine schöne Geschichte nicht auch wie eine symbolische Geschichte behandeln?
Mit der Jungfrauengeburt wird einfach ausgedrückt, dass ein Mensch in großer Reinheit geboren wurde, genauso wie Padmasambhava in der Lotusblüte. Die Lotusblüte ist ein Symbol der Reinheit, der Klarheit, des Buddha-Geistes. Da wird ein Mensch in dieser Reinheit, mit einem großen Maß an Klarheit geboren. Ähnliches wird in Jesu Geschichte der Jungfauengeburt ausgedrückt. Ob das jetzt tatsächlich so geschah oder nicht, ist unerheblich. Sehr schön finde ich die Art, wie Maria erfahren hat, was passieren wird: Ein Engel kam zu ihr und sagte, dass sie schwanger werden würde. Ich habe irgendwo einmal ein wunderschönes altes, gotisches Bild gesehen: Darauf führt eine Art Leitung von Marias Ohr direkt zu der Taube im Himmel, die den heiligen Geist darstellt. Und das Baby Jesus rutscht durch diese Leitung hindurch. Die Empfängnis über das Ohr. Das ist wunderwunderschön! Das Hören, das offene Hören macht uns empfänglich. Männer und Frauen gleichermaßen.
Das Matthäusevangelium hingegen beginnt mit dem Stammbaum Jesu. Das mag langweilig klingen, aber es ist sehr interessant, und diesen Text habe ich bezeichnender Weise in der Kirche nicht so oft gehört. Hier steht ganz einfach:
„Dies ist das Evangelium nach Matthäus: Dies ist das Buch von der Geschichte Jesu Christi, des Sohnes Davids, des Sohnes Abrahams. Abraham zeugte Isaak. Isaak zeugte Jakob. Jakob zeugte Juda und seine Brüder. Juda zeugte Perez und Serach mit der Tamar. Perez zeugte Hezron. Hezron zeugte Ram. Ram zeugte Amminadab. Amminadab zeugte Nachschon. Nachschon zeugte Salmon. Salmon zeugte Boas mit Rahab. Boas zeugte Obed mit der Rut. Obed zeugte Isai. Isai zeugte den König David. David zeugte Salomo mit der Frau des Uria. Salomo zeugte Rehabeam. Rehabeam zeugte Abija. Abija zeugte Asa. Asa zeugte Joschafat. Joschafat zeugte Joram. Joram zeugte Usija. Usija zeugte Jotam. Jotam zeugte Ahas. Ahas zeugte Hiskia. Hiskia zeugte Manasse. Manasse zeugte Amon. Amon zeugte Josia. Josia zeugte Jojachin und seine Brüder um die Zeit der babylonischen Gefangenschaft. Nach der babylonischen Gefangenschaft zeugte Jojachin Schealtiel. Schealtiel zeugte Serubbabel. Serubbabel zeugte Abihud. Abihud zeugte Eljakim. Eljakim zeugte Asor. Asor zeugte Zadok. Zadok zeugte Achim. Achim zeugte Eliud. Eliud zeugte Eleasar. Eleasar zeugte Mattan. Mattan zeugte Jakob. Jakob zeugte Josef, den Mann der Maria, von der geboren ist Jesus, der da heißt Christus. Alle Glieder von Abraham bis zu David sind 14 Glieder. Von David bis zur babylonischen Gefangenschaft sind 14 Glieder. Von der babylonischen Gefangenschaft bis zu Christus sind 14 Glieder.“ (Mt 1,1-17)
Aus dieser Textstelle des Evangeliums geht für mich hervor, dass Jesus ganz einfach der Sohn des Josef war – welchen Sinn hätte es sonst, am Anfang den gesamten Stammbaum Josefs aufzuzählen?
Und dann steht gleich danach: „Die Geburt Jesu Christi geschah aber so: Als Maria, seine Mutter, dem Josef vertraut war, fand es sich, ehe er sie heimholte, dass sie schwanger war vom heiligen Geist.“ Wir finden also bereits auf der ersten Seite einen Widerspruch.
In Matthäus 13,53 wird eine spätere Szene beschrieben, in der Jesus wieder eindeutig als Sohn Josefs deklariert wird. Er ist inzwischen erwachsen und beginnt zu lehren: „Und es begab sich, als Jesus diese Gleichnisse vollendet hatte, dass er davon ging und kam in seine Vaterstadt und lehrte sie in ihrer Synagoge, so dass sie sich entsetzten und fragten: Woher hat dieser solche Weisheit und solche Taten? Ist er nicht der Sohn des Zimmermanns? Heißt nicht seine Mutter Maria und seine Brüder Jacobus und Josef und Simon und Judas? Und seine Schwestern, sind sie nicht alle bei uns? Woher kommt ihm denn das alles? Und sie ärgerten sich an ihm. Jesus aber sprach zu ihnen: ‚Ein Prophet gilt nirgends weniger als in seinem Vaterland und in seinem Hause.’ Und er tat dort nicht viele Zeichen wegen ihres Unglaubens.“
Also war damals eigentlich jedem, zumindest den Leuten in Nazareth, klar, dass Jesus der Sohn von Josef und Maria war. Trotzdem finde ich die Geschichte der Jungfrauengeburt so schön – einfach in ihrem übertragenen und symbolischen Sinn.
Jetzt müssen wir noch weiter zurück. Um den Anfang der Geschichte zu finden, müssen wir zurückgehen zum Paradies und zu dem, was als Erbsünde bezeichnet wird. Dieses Thema ist mir sehr wichtig, denn ich weiß, dass gerade hier sehr viel Missverständnis herrscht und eure Seelen gerade hier sehr verletzt sind.
In 1.Mose 2,15-17 steht: „Gott, der Herr, nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, dass er ihn bebaute und bewahrte. Und Gott gebot dem Menschen und sprach: ‚Du darfst essen von allen Bäumen im Garten, aber vom Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen sollst du nicht essen. Denn an dem Tage, an dem du von ihm isst, musst du des Todes sterben… ’“ und weiter in 1.Mose 3,1-14: „Aber die Schlange war listiger als alle Tiere auf dem Felde, die Gott, der Herr, gemacht hatte, und sprach zu der Frau: ‚Ja, sollte Gott gesagt haben, Ihr sollt nicht essen von allen Bäumen im Garten?’ Da sprach die Frau zu der Schlange: ‚Wir essen von den Früchten der Bäume im Garten, aber von den Früchten des Baumes mitten im Garten hat Gott gesagt, esset nicht davon. Rühret sie auch nicht an, dass Ihr nicht sterbet.’ Da sprach die Schlange zur Frau: ‚Ihr werdet keineswegs des Todes sterben, sondern Gott weiß, an dem Tage, an dem Ihr davon esst, werden eure Augen aufgetan und Ihr werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist.’ Und die Frau sah, dass von dem Baum gut zu essen wäre und dass er eine Lust für die Augen wäre und verlockend, weil er klug machte. Und sie nahm von der Frucht und aß und gab ihrem Mann, der bei ihr war, auch davon, und er aß. Da wurden ihnen beiden die Augen aufgetan. Und sie wurden gewahr, dass sie nackt waren und flochten Feigenblätter zusammen und machten sich Schurze. Sie hörten Gott, den Herrn, wie er im Garten ging, als der Tag kühl geworden war. Und Adam versteckte sich mit seiner Frau vor dem Angesicht Gottes unter den Bäumen im Garten. Und Gott, der Herr, rief Adam und sprach zu ihm: ‚Wo bist du?’ Und er sprach: ‚Ich hörte dich im Garten und fürchtete mich, denn ich bin nackt, darum versteckte ich mich.’ Und er sprach: ‚Wer hat dir gesagt, dass du nackt bist? Hast du gegessen von dem Baum, von dem ich dir gebot, du solltest nicht davon essen?’ Da sprach Adam: ‚Die Frau, die du mir zugesellt hast, gab mir von dem Baum und ich aß.’ Da sprach Gott, der Herr, zur Frau: ‚Warum hast du das getan?’ Die Frau sprach: ‚Die Schlange betrog mich, so dass ich aß.’ Da sprach Gott, der Herr, zu der Schlange: ‚Weil du das getan hast, seiest du verflucht. Verstoßen aus allem Vieh und allen Tieren auf dem Felde. Auf deinem Bauche sollst du kriechen und Erde fressen dein Leben lang.’“
Und dann werden Adam und Eva aus dem Paradies vertrieben.
Das ist eine schöne Geschichte. Es war notwendig, von diesem Baum der Erkenntnis zu essen. Mit dem Essen vom Baum der Erkenntnis kam das Bewusstsein von Gut und Böse in unseren Geist, kam die Dualität in unseren Geist, was natürlich zunächst zu Leiden führt. Aber ohne diesen ersten Schritt hinein in die Bewusstheit mitsamt der damit verbundenen Trennung ist wahre Weisheit nicht möglich, ist die Transzendenz von Gut und Böse, von Dualität nicht möglich, ist es nicht möglich, zur Blüte des Menschseins zu gelangen.
Der Baum der Erkenntnis stellt in Wahrheit den Moment in der Evolution dar, wo der Affe zum Menschen wird – und damit natürlich seine unbewusste Unschuld verliert. Ich erinnere mich, dass Osho einmal in diesem Zusammenhang davon sprach, dass der Weg von der unbewussten Unschuld der Natur zur bewussten Unschuld eines Buddha führe, und dass auf diesem Weg die Erfahrungen von Dunkel, Sünde und Unglück notwendig seien, bis der Kreis sich schließt und man wie Buddha wieder heimkehrt – aber jetzt in einer bewussten Unschuld. Er sagte, auf diese Weise sei Buddhas Unschuld die Unschuld eines gereiften Menschen, eines gewachsenen Menschen.
So liegt also zwischen der unbewussten Unschuld der Natur oder eines Babys, die zwar unschuldig, aber weder frei noch bewusst ist, und der bewussten Unschuld eines Buddha der Weg vom Baum der Erkenntnis über die Vertreibung aus dem Paradies, all die Wege in der Welt, all das Stolpern und Fallen und Lernen, all das Bemühen, all das Loslassen, all das Üben bis zur letztendlichen Heimkehr. Diese Heimkehr ist jedoch keine Rückkehr ins Alte, ist kein Zurückfallen in kindliche unbewusste Unschuld, sondern ist tiefe Transformation, ist Hinausgehen über all die Dualität. Diese Heimkehr ist kein Zurückgehen in einen präkognitiven Zustand, sondern ist ein über den Verstand hinausgehen. Ich mag in diesem Zusammenhang gar nicht von Erbsünde reden, sondern von Beginn, von Herausforderung, von Potenzial. Ohne die Schlange, ohne die Frau und ohne Adam gäbe es keinen Buddha und keinen Christus auf der Erde. In dem Prozess der Bewusstwerdung – von der unbewussten Unschuld der Tiere und Pflanzen zu einer bewussten Unschuld eines Christus oder eines Buddha – ist dieser Schritt, vom Baum der Erkenntnis zu essen, absolut notwendig.
Trotzdem hat Gott natürlich recht, wenn er sagt: „Denn an dem Tage, an dem du von ihm isst, musst du des Todes sterben.“ Das löst Angst aus, aber was heißt es wirklich? Der Tod selbst ist nicht durch Adam und Eva oder durch das Essen der Frucht eingeführt worden, sondern die Bewusstheit der eigenen Sterblichkeit. Auch vorher gab es in der Schöpfung Vergänglichkeit. Auch vorher starben Tiere und Pflanzen und Menschen. Denn bereits vorher war die Schöpfung inklusive Adam und Eva ein Phänomen, in dem alles irgendwann einen Anfang hat und daher auch ein Ende. Was mit dem Essen der Frucht vom Baum der Erkenntnis geschieht, ist also keine Todesstrafe, sondern die auftauchende, beginnende Bewusstheit über die Tatsache der Vergänglichkeit, die Tatsache der Sterblichkeit. Das heißt: „Ihr wisst jetzt, dass Ihr sterbt.“ Und das macht uns Menschen oft ein Problem. Wir wissen schon ziemlich früh um diese Tatsache. Als Kinder erfahren wir irgendwann, dass es Tod und Vergänglichkeit gibt, und wir bekommen Angst, vielleicht sogar Panik.
Auch die Nacktheit wurde nicht durch das Essen der verbotenen Frucht hervorgerufen. Adam und Eva waren auch vorher schon nackt. Doch jetzt stellen sie es fest: „Hey, Moment mal, wir schauen ja verschieden aus. Wir sind ein Mann und eine Frau.“ Die Augen wurden ihnen aufgetan. Und das ist erst einmal erschreckend. Ja, es gibt einen paradiesischen Zustand des Nichtwissens... Ihr kennt das vielleicht, dass man manchmal sagt: „Ach, hätte ich das bloß nicht gehört, dann hätte ich das nicht gewusst. Hättest du mir das bloß nicht gesagt.“ Da habt Ihr jedes Mal das Paradies des Nichtwissens verlassen. Eigentlich ist es ein sehr kindliches Paradies des Nichtwissens, das Adam und Eva da verlassen müssen. Und ich finde dieses Verlassen ist den Preis wert. Gleichzeitig wird durch die Bewusstwerdung dann auch klar, was gut ist und was nicht gut ist usw. Und das dialektische und diskursive, dualistische Denken beginnt in der Evolution. Und damit beginnt viel Leiden. Was Gott an dieser Stelle sagt, ist völlig richtig. Vielleicht dachte er, es wäre für die Menschen einfacher. Nur in dieser Art von Einfach wäre das Potenzial des Menschseins, wäre die Möglichkeit von wahrer Bewusstheit, die Möglichkeit von bewusster Unschuld vollkommen verschüttet geblieben.
Deshalb muss ich sagen: Die Schlange hat uns einen Dienst erwiesen. Das Potenzial, das durch sie überhaupt erst möglich wird, ist letztendlich wunderbar. Ohne Adam hätte es keinen Jesus geben können, und ohne die Schlange auch nicht. Das heißt also, was man als Erbsünde oder Sündenfall bezeichnet, und was als ganz großer Stachel den christlich geprägten oder aufgewachsenen Menschen im Fleisch steckt, ist einerseits der Beginn von Leiden, gleichzeitig aber der Beginn der Bewusstwerdung, die nicht anders entsteht als über das Dualistische und über die Ratio. Am Ende steht die Möglichkeit für jeden, in neu gewonnener Bewusstheit und Unschuld zu Gott heimzukommen.
Ihr kommt nicht heim als dieselben dummen unwissenden Kinder, sondern Ihr kommt heim mit der ganzen Erfahrung und mit dem ganzen Potenzial des Fühlens. Ihr verliert auch nicht die Möglichkeit des diskursiven Denkens, sondern es ist ein Mithineinnehmen von allem. Das eigentlich wollte Jesus zeigen.
Es gibt noch so eine schöne Stelle ganz am Anfang der Bibel, die ich euch nicht vorenthalten möchte: „Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Und die Erde war wüst und leer. Und es war finster auf der Tiefe. Und der Geist Gottes schwebte über dem Wasser.“ (1. Mose 1,1-2) Ist das nicht schön?
Für mein Empfinden ist die Sache mit dem Sündenfall, mit der Bewusstwerdung der Dualität und der Sterblichkeit im Alten Testament so wichtig und so wunderschön. Eigentlich wird hier schon so vieles klar, was dann von Jesus gesprochen wird oder was seine und die Antwort aller Buddhas auf genau dieses Essen vom Baum der Erkenntnis ist. Wir haben alle vom Baum der Erkenntnis gegessen – alle Menschen –, und da gibt es kein zurück mehr. Wir können nicht zurück. Wir können nur entweder im Rad von Samsara – wie die Buddhisten sagen würden – oder in der Sünde, wie Jesus oder Johannes es vielleicht ausdrücken würden, bleiben, oder aber darüber hinaus gehen. Wir können nicht zurück in diese Form der Unbewusstheit, in der wir nichts wissen. Das geht nicht. In dieses Paradies von damals geht es nicht mehr zurück, aber das ist oft die geheime Sehnsucht. Die Psychologen sprechen dann vielleicht von der Sehnsucht in den Mutterleib zurückkehren zu wollen, aber das geht ja auch nicht. Rückwärts geht nicht.
Und Menschen wie Jesus sagen dann: „Okay, wir haben jetzt zum Beispiel eine Bewusstheit unserer Sterblichkeit. Wir müssen darüber hinausgehen – durch den Tod hindurch.“ Er sagt auch, noch bevor er eine Ahnung hat, dass er früh sterben wird: „Nur wer sein Leben verliert, wird es gewinnen." (Mt 10,39) Das ist die Antwort. Das Kleine, das Begrenzte muss sterben. Und dann seht ihr, dass der Tod keinen Stachel hat. Wenn Jesus ewiges Leben verspricht, heißt das nicht, dass man als Mensch nicht mehr sterblich wäre. Er ist ja selbst gestorben. Es bedeutet vielmehr, dass diese Irritation oder diese Panik oder dieser Stachel ob der Sterblichkeit verschwindet und dass man sich dessen bewusst ist, was nicht stirbt, was bleibt und was immer war und immer sein wird. Deshalb kann ich mir auch nicht vorstellen, dass für Johannes die Taufe bedeutet hat, Menschen von dieser „Erbsünde" rein zu waschen oder sie von dieser Tatsache des „Vom-Baum-der-Erkenntnis-gegessen-habens“ zu befreien, denn dann müssten nach der Taufe Blumenkohlköpfe dem Jordan entstiegen sein. Das war aber nicht der Fall. Es geht hier um eine tiefe Transformation, und nicht um den simplen Gedanken, etwas rückgängig zu machen, etwas ungeschehen zu machen, etwas wegzuwischen. Es geht um eine Umwandlung, um Transzendenz, nicht um Regression. Und das reicht viel, viel tiefer. Und so kann Jesus Sünden wegwaschen, umwandeln, verwandeln, transformieren. Und darauf weist er hin, genau wie alle anderen Buddhas. Und wenn dieses Hinweisen gelegentlich erfolgreich ist... oh ja, „happy day“... Das enthebt niemanden seiner eigenen Verantwortlichkeit, seiner eigenen Freiheit und seiner eigenen Würde.
Frage: Ich habe das immer so verstanden, dass wir in der Vollkommenheit, im Paradies waren, und durch Evas Tat in die Unwissenheit, in die Verblendung gefallen sind. Wir sind doch dadurch von Gott getrennt worden. Und jetzt suchen wir.
Pyar: Hat es dich nie gewundert, dass dieser Baum nicht Baum der Sünde heißt, sondern Baum der Erkenntnis? Wir sind aus einer scheinbaren Vollkommenheit gefallen, die aber mit Unbewusstheit verbunden war – oder sagen wir es mal so: Mit noch mehr Unbewusstheit. Wenn wir im Paradies wirklich mit Gott vereint gewesen wären, wie hätten wir dann etwas gegen seinen Willen tun können? Da muss schon eine Lücke gewesen sein, durch die die Schlange hereinkommen konnte, ein noch so kleiner Spalt. Wir waren bereits in der Trennung, nur wussten wir es nicht.
F: Und jetzt versuchen wir, diese Trennung wieder aufzuheben?
P: Nicht, indem wir zurückgehen, sondern indem wir darüber hinausgehen. Nicht, indem wir uns unterhalb der Stufe der menschlichen Intelligenz oder des menschlichen Potenzials begeben, sondern indem wir darüber hinausgehen.
F: Und war die Vollkommenheit vorher gar nicht da?
P: Das war alles ganz hübsch, das ist schon richtig. Lesen wir mal: „Es war zu der Zeit, da Gott der Herr Erde und Himmel machte und alle die Sträucher auf dem Felde waren noch nicht auf Erden und all das Kraut auf dem Felde war noch nicht gewachsen, denn Gott der Herr hatte noch nicht regnen lassen auf Erden, und kein Mensch war da, der das Land bebaute. Aber ein Nebel stieg auf von der Erde und feuchtete alles Land. Da machte Gott der Herr den Menschen aus Erde vom Acker und blies ihm den Odem des Lebens in seine Nase. Und so ward der Mensch ein lebendiges Wesen. Und Gott der Herr pflanzte einen Garten in Eden, gegen Osten hin, und setzte den Menschen hinein, den er gemacht hatte. Und Gott der Herr ließ aufwachsen aus der Erde allerlei Bäume, verlockend anzusehen und gut zu essen. Und den Baum des Lebens mitten im Garten und den Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen. Und es ging aus von Eden ein Strom, den Garten zu bewässern und teilte sich von da in vier Hauptarme. Der erste hieß Pischon, der fließt um das ganze Land Hewila, und dort findet man Gold und das Gold des Landes ist kostbar. Auch findet man da Bedolachharz und den Edelstein Schoham. Der zweite Strom heißt Gihon, der fließt um das ganze Land Kusch. Der dritte Strom heißt Tigris, der fließt östlich von Assyrien. Der vierte Strom ist der Euphrat. Und Gott der Herr nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, dass er ihn bebaute und bewahrte." (1.Mose 2,4-15)
So hat das Paradies ausgesehen.
F: Und die Schlange?
P: Das ist ein wenig verwirrend, denn es gibt noch eine andere Geschichte der Schlange: Die Schlange ist eine Verkörperung von Luzifer, dem Lichtträger. Er war ein mächtiger Engel und hatte die Aufgabe, das göttliche Licht zu tragen. Dies ließ ihn jedoch etwas arrogant werden, und er dachte, er wüsste alles besser. Luzifer ist der kleine Geist, der irgendwann zu denken anfing, er könnte der große Geist sein. Und natürlich – und das ist eine andere Ebene derselben Geschichte – verführt er den Menschen dazu, in die Dualität zu gehen. Er hat viele Taktiken. Dass der Mensch über sich selbst hinausgeht, in Transzendenz und in eine letztendliche Vereinigung mit dem Göttlichen, das gefällt dem kleinen Geist nicht so sehr. Da wäre es ihm eher noch lieber, wir würden in das alte Paradies zurückgehen, zurück ins Nichtwissen. Da könnte er leichter seine Spiele spielen. Aber eigentlich ist er der Lichtträger. Das ist die Schlange.
Frage: Ich habe bei der Konfirmation nur das halbe Glaubensbekenntnis mitgesprochen, denn ich wollte nicht lügen. Insbesondere den Satz „er wird wiederkommen zu richten die Lebendigen und die Toten“, konnte ich nicht mitsprechen. Entweder ist Gott Liebe, oder er richtet. Beides zusammen geht nicht. Mich schockierte am meisten dieses ganze Leiden und diese Schwere, und dass ich dafür mitverantwortlich sein sollte.
Pyar: Diese Aussagen über das Richten stimmen so nicht. Das beginnt schon damit, dass sie im Glaubensbekenntnis in die Zukunft vertagt werden. Das Reich Gottes aber ist nicht irgendwann und nicht irgendwo, sondern es ist hier. Das hat Jesus auch so gesagt. Es ist nicht nur nah, sondern näher als nah: „Das Königreich des Vaters ist ausgebreitet über die Erde, und die Menschen sehen es nicht.“ (Thomas, Spruch 113) Insofern muss auch das Gericht sofort stattfinden. Und das tut es auch. Damit bekommt es auch eine ganz andere Schärfe. Selbst das Jüngste Gericht kann man nicht auf den Jüngsten Tag verschieben. Wenn man es so betrachtet, gibt es keinen Widerspruch zwischen Liebe und Gerechtigkeit.
Jesus benutzt Begriffe wie „Reich Gottes“, „Vater“, „Himmelreich“ für dasselbe, was Buddha „Nirvana“, „Shunyata“ oder „die klare Natur des Geistes“ nennt. In Palästina trifft Jesus auf Menschen, die vom jüdischen Glauben geprägt sind. Es ist sowieso schon eine unlösbare Aufgabe, über das zu sprechen, was jenseits der Worte ist. Aber zu diesen Menschen zu sprechen, die an einen Gott glauben, der eine Person ist, und zwar eine ziemlich egoistische, rachsüchtige Person, zornig und parteiisch, manchmal aber auch beschützend – je nachdem –, ist sehr schwierig. Dieses geistige Umfeld betritt dieser Mensch Jesus nach seiner Erleuchtung und versucht, diesen Menschen Liebe, Großzügigkeit, Geduld und das Himmelreich Gottes zu zeigen oder davon zu erzählen. Ziemlich aussichtslos.
Er muss einer Wand von Glaubensvorstellungen begegnet sein. Deshalb musste Jesus zumindest den Wortschatz dieser Menschen benutzen, und er hat es ganz einfach gemacht mit Fischen und Samen und so weiter, aber er hat natürlich auch die philosophischen oder religiösen Begriffe der Menschen dieser Zeit benutzt. Anders hätte Jesus überhaupt nicht mit ihnen kommunizieren können. Manche Bilder, die er benutzte, muss man in diesem Kontext sehen. Ich könnte mir vorstellen, dass er tatsächlich gesagt hat: „Ich sitze zur Rechten des Vaters.“ Das klingt für mich echt. Aber er meint damit nicht, dass da dieser egoistische, zornige, eifersüchtige alttestamentarische Gott auf einem großen Stuhl sitzt, und rechts davon Jesus als sein Sohn auf einem kleinen Stuhl. Und darüber schwebt die Taube. Jesus hat sich überhaupt nicht als von Gott getrennt erfahren. Er sagt ja auch: „Ich und der Vater sind eins.“ (Joh 10,30) Trotzdem benutzt er solche Bilder und Begriffe, um den Leuten etwas zu sagen. Osho fomulierte: „Wenn ich sterbe, dann löse ich mich in die Existenz auf.“ Das war für Oshos Sannyasins der adäquate Ausdruck, um ihnen zu sagen: „Ja, ihr werdet mich nicht mehr sehen, und trotzdem bin ich da. Wo auch immer ihr seid, ihr könnt mich atmen. Und ich bin da.“ Und Jesus sagt: „Ich sitze zur Rechten Gottes.“ Das ist ein Platz, den sich ein Mensch im Palästina vor 2.000 Jahren vorstellen konnte: „Oh ja, darauf kann man sich verlassen.“ Der ist da. Nur, ein Mensch 2.000 Jahre später kann möglicherweise gar nichts damit anfangen.
Frage: Du hast gerade von der Erbsünde gesprochen. Ich bin katholisch erzogen worden und mir wurde beigebracht, dass ich durch die Taufe von meiner Erbsünde befreit bin. So, wie ich es heute verstehe, bedeutet die Taufe, dass ich dadurch die Möglichkeit zur Transformation habe, indem ich die christliche Lehre praktiziere. Kann ich das so verstehen? Und es ist nicht so, dass mir die Erbsünde durch den Akt der Taufe weggewaschen wird?
Pyar: Ich habe gelesen: Johannes hat getauft, Jesus dagegen gar nicht. Das bedeutet, die Kirche hat das Taufen mehr von Johannes dem Täufer übernommen. Eigentlich ist die Taufe eine Initiation, der Anfang eines Weges – und zwar genau des Weges zur Transformation, wie du sagst.
F: Als ich meine Kinder nicht taufen ließ, sagte meine Mutter immer wieder, sie seien nun Heiden...
P: Es ist nichts gegen Heiden einzuwenden.
F: Für eine katholische Mutter bestimmt!
P: Ja, ich weiß. Aber das sind alles Vergiftungen. Und ich weiß, dieses Gift sitzt tief.
F: Meine Kinder sollten das später selbst entscheiden. Man muss sich nur taufen lassen, und damit ist alles sozusagen weggewischt. Solch ein Kinderglauben wurde uns vermittelt.
P: Ja, das halte ich für Kinderglauben. Wie hat Johannes das gemacht? Johannes war ein wilder Kerl, der in der Wüste nahe dem Jordan lebte und predigte. Übrigens für nicht sehr lange Zeit, denn er wurde ziemlich bald geköpft. Johannes predigte ständig: „Kehrt um, denn das Himmelreich ist nahe“, (Mt 3,2) und er fügte hinzu: „Ich taufe euch mit Wasser zur Buße.“ Dann spricht er von Jesus: „Der nach mir kommt, ist stärker als ich. Und ich bin nicht wert, ihm die Schuhe zu tragen. Er wird euch mit dem heiligen Geist und mit Feuer taufen.“ (Mt 3,11) Diese Feuertaufe hat die Kirche nicht übernommen, sondern die Tradition von Johannes dem Täufer, mit Wasser zur Buße zu taufen. Bei Johannes war die Taufe also keine automatische Waschmaschine, sondern Zeichen der freiwilligen Umkehr hin zur Transformation.
F: Da die Kinder Heiden waren, hat meine Mutter immer zu mir gesagt: „Ja, und dann trete ich vor dir an des Himmels Pforte, und da wird Gott zu mir sagen: ‚Monika, was hast du mit deinen Kindern gemacht? Du hast sie nicht dazu erzogen, dass sie ihre Kinder taufen lassen!’“ Das konnte sie sehr theatralisch vermitteln. Das sind schon Worte, die tief sitzen, und an die ich mich sehr gut erinnere: Das Jüngste Gericht, Rechenschaft darüber ablegen, welchen Weg man im Leben eingeschlagen hat, was man alles Gutes gemacht hat.
P: Dieses Bild ist ein Archetyp. Du findest es in fast allen Kulturen, auch im Tibetischen, zum Beispiel im Totenbuch, dem Bardo Thödol: Wenn du gestorben bist, begegnest du irgendwann dem Herrn des Todes. Dann sammelt das Gewissen in dir all deine guten Taten und zählt sie mit weißen Kieselsteinen, und sammelt all deine schlechten Taten und zählt sie mit schwarzen Kieselsteinen. Du wirst versucht sein zu lügen und zu sagen „Ich habe nicht gesündigt“. Daraufhin wird der Herr des Todes in den Spiegel des Karmas sehen und all deine Sünden und Tugenden werden klar und deutlich erscheinen. Und du betrachtest dein Leben und siehst, was gut und was böse war. Wir haben vom Baum der Erkenntnis gegessen. Wir kommen nicht zurück ins Paradies, indem wir sagen, dass es Gut und Böse nicht gibt. Wir haben von diesem Baum gegessen, und das ist okay. Das beinhaltet natürlich auch Verantwortlichkeit, die mit dem Tod dieses Körpers nicht aufhört. Gute Ursachen haben gute Folgen, schlechte Ursachen haben schlechte Folgen.
Wie man das dann formuliert oder in welche Bilder man das kleidet, ist verschieden. Wir entkommen dem nicht, und das ist auch gar nicht nötig. Und selbst wenn es so etwas wie Karma nicht geben sollte, also nichts nach deinem Tod auf dich zurückfällt – deine Taten wirken länger als du lebst!
Jesus sagt wie Johannes immer wieder: „Kehrt um!“ Das heißt, etwas ist nicht in Ordnung in eurem Leben. Das nennt man „Sünde“. Und die beiden sagen: „Kehrt um!“ Dieses Umkehren wird mit „Reue“ übersetzt. Das ist große Medizin. Johannes sagt: „Tut Buße, kehrt um! Bereut! Kommt zurück! Schaut, was wirklich wesentlich ist!“ – und in diesem Kontext tauft er, als ein Zeichen der Umkehr. Das ist dasselbe, was ich die Kleine-180-Grad-Wendung nenne. Das heißt: Nicht das Überschütten mit Wasser aus einem heiligen Fluss – weder Ganges noch Jordan – bewirkt etwas, sondern die Reinigung im Geist mit einem ganz anderen Wasser – und mit Feuer!
Frage: Ich merke, dass ich die Geschichten von Buddha gut annehmen kann, sie aber aus einem fremden Kulturkreis stammen. So kehre ich immer wieder zu Jesus zurück, fühle mich dann aber schuldig, als ob ich ihn verraten hätte, weil ich mich mit Buddhismus beschäftige. Jesus – so habe ich gelernt – kann man nicht häppchenweise nehmen. Du kannst dir nicht dieses und jenes aus der Bibel aussuchen, sondern nur das ganze Paket oder gar nicht.
Pyar: Das gilt auch für Buddha und für Osho.
F: Ich wünsche mir, dass du es unter einen Hut bringst, dass ich mich nicht zwischen diesen Meistern entscheiden muss, sondern dass ich sie zusammen bekommen kann.
P: Ich weiß, dass viele dieses Gefühl haben. Ich hatte das nie. Als ich von Buddha und von anderen gelesen habe, die jetzt alle meine Freunde sind, war ich total begeistert, von Buddha genauso wie von Kabhir oder Atisha. Und ich hatte nie das Gefühl, dass Jesus jetzt eifersüchtig sein könnte. Es mögen vielleicht die Wege oder die Seiten des Berges verschieden sein, über die der eine oder der andere Weg führt. Aber zumindest was den Gipfel angeht, ist sich alle einig. „Alle Dharmas stimmen in einem Punkt überein“, sagt Atisha. Dieser eine Punkt, in dem sich alle Lehren einig sind, ist die Wahrheit, die Essenz, der Gipfel. Über den Weg und die Methode kann man unterschiedlicher Meinung sein.
„Am Anfang war das Wort. Und das Wort war bei Gott. Und Gott war das Wort. Dasselbe war im Anfang bei Gott. Alle Dinge sind durch dasselbe gemacht und ohne dasselbe ist nichts gemacht, was gemacht ist. In ihm war das Leben und das Leben war das Licht der Menschen. Und das Licht scheint in der Finsternis und die Finsternis hat's nicht ergriffen. Es war ein Mensch, von Gott gesandt, der hieß Johannes. Der kam zum Zeugnis, um von dem Licht zu zeugen, damit sie alle durch ihn glaubten. Er war nicht das Licht, sondern er sollte zeugen von dem Licht. Er aber kam in sein Eigentum und die seinen nahmen ihn nicht auf. Welche ihn aber aufnahmen, denen gab er Macht, Gottes Kinder zu werden. Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns und wir sahen seine Herrlichkeit. Eine Herrlichkeit, als des eingeborenen Sohnes vom Vater voller Gnade und Wahrheit. Und von seiner Fülle haben wir alle genommen Gnade um Gnade, denn das Gesetz ist durch Moses gegeben, die Gnade und Wahrheit ist durch Jesus Christus geworden.“ (Joh 1,1 - 8; 11 - 12; 14; 16)
Das ist eine meiner Lieblingsstellen in der Bibel. Das Neue Testament wurde in griechischer Sprache geschrieben, und Logos bedeutet „das Wort", aber mit „Wort" ist Logos eigentlich nicht zu übersetzen. Logos ist ein so schönes Wort, und ich würde sagen, seine Bedeutung entspricht ungefähr der des Wortes „Tao". Logos heißt: Der Sinn, das Wort, das Sein, das Leben, die Logik – ein vielschichtiges Wort. „Am Anfang war der Logos“ – das klingt schon so schön: Logos. „Und der Logos war bei Gott und Gott war der Logos.“ Kein Unterschied. Das ist Dharmakaya.
„Alle Dinge sind durch dasselbe gemacht und ohne dasselbe ist nichts gemacht, was gemacht ist.“ Hier darf man die kleine Textstelle, die wir vorhin schon gelesen haben, und die sinngemäß hierher gehört, nicht vergessen: „Und der Geist schwebte über den Wassern.“ Dieser Geist, der über den Wassern schwebt, ist der Geist Gottes – ist die Freude des Göttlichen, die nicht anders kann als schöpfen. In der buddhistischen Terminologie wird dies mit Sambogakaya bezeichnet. „Alle Dinge sind durch dasselbe gemacht und ohne dasselbe ist nichts gemacht, was gemacht ist.“ Jetzt geschieht die Manifestation – Nirmanakaya. Alles was wir sehen, alles was wir fühlen, alles was wir hören, alles was wir schmecken und ertasten oder in unserem Inneren erfahren oder auch nicht erfahren, weil es außerhalb unseres Erfahrungsbereiches existiert, all das besteht aus dem Logos, der dasselbe ist wie Gott. Bei Gott und in Gott und dasselbe wie das Göttliche. Und davon ist wirklich nichts ausgenommen. Und im Übrigen: „Alle Dinge sind durch dasselbe gemacht“ steht hier in der Gegenwart. Das heißt, der Geist schwebt immer noch über den Wassern, und immer noch und ständig ist alles durch den Logos gemacht – in jedem Moment. Nicht einst in der Vergangenheit, sondern jetzt, permanent. „In ihm war das Leben und das Leben war das Licht der Menschen.“ Gott ist Leben. Der Evangelist Johannes lässt so schön eins aus dem anderen tropfen. Und es ist haargenau dasselbe wie in den Upanishaden oder in den buddhistischen Sutras, es ist genau dieselbe Wahrheit. „Alle Dharmas stimmen in einem Punkt überein.“, sagt Atisha. „Und das Leben war das Licht der Menschen. Und das Licht scheint in der Finsternis.“ Da haben wir jetzt in der Manifestation schon einen gewissen Verfestigungsgrad erreicht, die Dinge sind fest geworden, Form geworden. Das sind die Haufen, die Skandhas, die Avalokiteshvara betrachtet, als er die Bahnen der transzendenten Weisheit zieht, wie es im Herz-Sutra beschrieben wird. 1 Und in diesen Haufen, mag es finster aussehen, wenn man kopfüber drin steckt. Die „Haufen“, die Skandhas, aus denen unsere Welt besteht, sind einfach Form, Gefühle, Handlungen, Bewusstseinsinhalte, Impulse. Viele solche Häuflein, aus denen die Welt der Phänomene und die Welt unserer Erfahrungen besteht, die in ihrer eigentlichen Essenz natürlich auch nichts anderes sind als Logos. Das ist das Wunder der Vielfalt in der Einheit und der Einheit in der Vielfalt, ohne das eine oder das andere zu leugnen.
Das ist die Schilderung des ständigen Geschehens, wie die reine Natur des Geistes, wie der Logos über den Weg des Heiligen Geistes Manifestation, Schöpfung hervorbringt. Gottvater, der Heilige Geist und der Sohn. Ganz einfach.