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In diesem Buch leitet uns Pyar: zur Meditation, zu wahrer Stille, zu unzerstörbarem Glück. Jenseits von Glaubensvorstellungen und Konzepten spricht sie aus dem Herzen zum Herzen über Liebe, Hingabe, Wahrheit, über Frieden, Stille, Mensch-Sein, über Freude, Grundlegende Gutheit, Da-Sein. Diese deutsche Mystikerin lehrt die Essenz der Religionen - hier und heute. Sie spricht aus der inneren Autorität eines Wissens, das sich nicht zwischen zwei Buchdeckel einsperren lässt. Und doch ist dieses Buch eine Schatztruhe. Wer es aufschlägt, wird an der Hand genommen, um Frieden, Glück und Stille zu erfahren und im Alltag umzusetzen. In ihren Vorträgen und in Gesprächen mit Suchern und Schülern herrschen Klarheit, Wärme, absichtslose Kraft, Freude ohne Grund, und Liebe, die klar und mitfühlend, unbegrenzt und bodenständig ist. Dabei bezieht Pyar sich häufig auf Texte aus dem tibetischen Buddhismus, dem Zen, aus dem Sufismus und vielen weiteren Weisheitstraditionen. Legendäre Meister wie Tilopa und Milarepa, Sosan und Rinzai werden lebendig. Sehr ausführlich widmet sie sich in diesem Buch den fünf Dhyani-Buddhas oder Weisheits-Buddhas, die in der tibetischen Tradition als fünf Aspekte der einen Weisheit gesehen werden. "Stille und Leben, Spiritualität und Welt, Göttlichkeit und Menschlichkeit, Leere und Fülle sind nicht zu trennen. Das Mysterium ist unendlich, immer weiter und weiter und tiefer und tiefer."
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Seitenzahl: 419
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(Thangka im Besitz von Pyar Troll-Rauch Foto von Joachim Baader, München)
Vorwort
Intro
Poesie der Stille
1. Gesang der Stille
2. Das Tao ist nicht sichtbar
3. Bewusstheit
4. Glaube – Vertrauen und Gewissheit
5. Illusion
6. Was ist verlässlich – was bleibt?
Meditation
7. Das kleine Universum
8. Meditiere ohne Zweifel über die wahre Natur des Geistes
9. Meditation
10. Wer bin ich?
11. Gedanken
12. Der kurze und der lange Bambus
Der Weglose Weg
13. Wenn es heiß ist, sei vollkommen heiß, wenn es kalt ist, sei vollständig kalt
14. Das Ego ist wie ein Äffchen, das von Baum zu Baum hüpft
15. Zeit und Ewigkeit
16. Fluchtpunkt Spiritualität
17. Der Weg der Welt – der Weg der Buddhas
18. Hingabe und Großzügigkeit
19. Geduld – Ungeduld; Sehnsucht – Gier
20. Mitgefühl
21. Achtsamkeit – Wachsamkeit – Präsenz
22. Die Wurzel des Leidens, die vier edlen Wahrheiten und der achtfache Pfad
23. Wahrhaftigkeit und Aufrichtigkeit
24. Stolpersteine
Die fünf Dhyani-Buddhas und die fünf Aspekte der Weisheit
25. Weisheit und Mitgefühl – Om Mani Padme Hum.....
26. Aksobhya und die spiegelgleiche Weisheit
27. Form kommt und geht
28. Ratnasambhava und die Weisheit der Wesensgleichheit
29. Kein Verlass auf Empfindung und Erfolg
30. Amitabha und die Unterscheidende Weisheit
31. Gier und die Illusion der einordnenden Wahrnehmung
32. Amoghasiddhi und die allesvollendende Weisheit
33. Identifikaton mit Handeln und Leistung
34. Vairocana und die raumumfassende Weisheit
35. Ich und mein Bewusstsein
Tanz des Lebens
36. Selbstvertrauen und die grundlegende Gutheit
37. Spiritualität im Alltag
38. Vollkommen göttlich – vollkommen menschlich
39. Vision, Wunsch, Kreativität und Traum
40. Beziehung – Kommunikation
41. Vom Reagieren zur Freiheit – Wahl und Wahllosigkeit
42. Karma und Schuld
43. Ethik – jenseits von Regeln
44. Tanz der Existenz
Glossar
Bibliografie
„Immer hier, immer jetzt, ganz da sein, in Frieden sein, wo auch immer, kein Unterschied!“ Pyars Worte schwingen nach einem zwölftägigen Stille-Retreat mit ihr als Echo in mir.
Hundert Menschen waren zum Retreat gekommen. Sie stellten Fragen, teilten sich mit, zeigten sich offen wie wohl nirgendwo sonst. Sie saßen in Stille, sie lauschten Pyars Antworten in den Satsangs, den buddhistischen Texten, die sie vorlas und interpretierte, und dem Regen.
Dieses Buch basiert auf Mitschnitten solcher „Satsangs“. Das Sanskritwort Satsang bedeutet: in der Wahrheit zusammensein. Und genau das geschieht hier. Die gedruckten Worte geben einen Geschmack davon und können den Leser auch direkt in das Mysterium des Lebens und der Stille führen.
In ihrem ersten Buch „Reise ins Nichts“ beschrieb Pyar ihr Erwachen so berührend und aufrüttelnd, dass Hunderte von Lesern in ihre Satsangs kamen. Viele blieben dabei und sehen in Pyar ihre spirituelle Lehrerin. Sie ist stets sie selbst, ganz menschlich, natürlich, keinerlei Guru-Gehabe.
Ihre Bodenständigkeit und unkomplizierte, praktische Art tun sehr wohl, entspannen und schaffen Vertrauen. Doch was hier geschieht, reicht weit über Erdigkeit ins unerklärbare Mysterium des Seins hinaus. Es weht ein Wind der Gnade, des Friedens und der Liebe, wie von jenseits aller Meere, sehr frisch, fast herb, ganz klar und frei.
In den zwei Jahren, in denen ich Retreats und Satsangs mit Pyar besuche, habe ich miterlebt, wie sich die Menschen öffneten, wie sie immer authentischer, lebendiger, sensibler, wacher, mitfühlender und einfacher wurden und werden.
Pyar regt uns sehr praktisch und effektiv dazu an, in Frieden zu sein und jeden Augenblick des Alltags als göttliches Geheim nis und Geschenk zu erleben. Keinem Gefühl, keiner Situation ausweichen. Ganz annehmen, was jetzt ist: Unsicherheit, Angst, Stress am Arbeitsplatz oder privat, auch Stolz, Genugtuung, Lust und Gier. Sich selbst mit all den Unvollkommenheiten umarmen.
Was Pyar sagt und wie sie es sagt, fließt aus der unerschöpflichen Quelle jenseits aller Konzepte, Theorien oder überlieferten Schriften. „Jedes Urteilen, diese trügerische Sicherheit, die nur das in Wahrheit gar nicht existierende ‚Ich’ stärken soll, verhindert das direkte Erfahren dessen, was das Selbe ist in der Mitte von Spannung wie in der Mitte von Entspannung.“ Schon allein dieser eine Punkt, nämlich unser ständiges Urteilen in seiner Eigenart und Wirkung zu durchschauen, fordert viel Wachheit und Hingabe. Die Energie dazu wird in Pyars Satsangs und Retreats auf wundersame Weise spürbar geweckt. Der Verstand kann es nicht begreifen.
Keine Trennung – dafür steht die Lehre der Nichtdualität. Sie durchzieht in ihrer Essenz alle Weisheitslehren und Religionen. Pyar lebt sie vor und spricht aus der Einheit. Ihr neues Buch führt aus immer neuen Blickwinkeln und von unterschiedlichen spirituellen Traditionen her an diesen Kern heran. Keine Trennung. Ob verzweifelt oder ekstatisch – vorübergehende Zustände. Kein Unterschied für das alles wahrnehmende, alles zulassende wahre Selbst.
Zum eigenen Erfahren ist der Weg weder kurz noch lang, weder leicht noch schwer. Wozu überhaupt ein Weg? Einfach der Wahrheit lauschen und das Gehörte dann im eigenen Leben ausprobieren, testen. Einfach wahrnehmen und leben, sein – jetzt. Das geht. Sie werden es selbst merken, beim Lesen.
CHRISTIAN SALVESEN
(Journalist und Buchautor)
Es ist mir ein Herzensanliegen, euch sowohl den Gesang der Stille hören zu lassen als auch euch zu ermuntern, den Tanz des Lebens in aller Fülle und Wildheit zu tanzen. Und es ist mir ein Herzensbedürfnis, euch zu vermitteln, wie Spiritualität und Meditation im täglichen Leben verwirklicht werden können. Stille und Leben, Spiritualität und Welt, Göttlichkeit und Menschlichkeit, Leere und Fülle sind nicht zu trennen. Das Mysterium ist unendlich – immer weiter und weiter und tiefer und tiefer.
Dieses Buch entstand aus Mitschriften von Diskursen und Dialogen aus Satsangs der letzten neun Monate. Ich habe das Material völlig neu sortiert, thematisch geordnet, Teile neu geschrieben und ergänzt, Dialoge teilweise gekürzt, um die Möglichkeit einer Brücke zu schaffen. Ich möchte dich an der Hand nehmen vom ersten bis zum letzten Kapitel. Damit wurde aus einem ursprünglichen Satsang-Tagebuch ein Buch, das einen weiten Bogen vom Gesang der Stille über Meditation, den weglosen Weg und die fünf Aspekte der Weisheit hin zum Tanz der Existenz spannt und viele Aspekte des alltäglichen und des spirituellen Lebens berührt.
Einige meiner Wurzeln ruhen tief in der Lehre Buddhas, und so behandle ich auch Themenbereiche wie die vier edlen Wahrheiten, die fünf Dhyani-Buddhas (Tathagatas) und die fünf Aspekte der Weisheit. Jedes Mal wenn ich in Satsangs von Buddha spreche, glüht mein Herz, ebenso wie es glüht, wenn ich von Osho spreche.
Einige von euch werden wahrscheinlich das Buch ‚Reise ins Nichts’ gelesen haben und möchten jetzt gerne erfahren, wie es weiterging. Viel gibt es aber nicht zu berichten. Mein Leben ist still, überfließend, lebendig und freudig. Zeitgleich mit dem Schreiben des ersten Buches vor drei Jahren kamen immer mehr Menschen auf mich zu, die mich einluden und baten, ihnen für Satsang zur Verfügung zu stehen. So kam es, dass ich, ohne es je vorgehabt zu haben, immer häufiger an Wochenenden mit vielen Menschen in verschiedenen Städten in Stille und im Sprechen, das aus Stille heraus geschieht, beisammen sitze. Meinen eigentlichen Beruf übe ich neben viel Korrespondenz weiterhin aus, und auch die Pflanzen des Gartens fordern nach wie vor Aufmerksamkeit. So ist immer viel zu tun, und doch geschieht es in Stille, in Freude und ohne ein Gefühl, die Handelnde in all dem zu sein. Manchmal könnte man denken, all das wäre zu viel, wäre nicht zu schaffen, aber wundersamer Weise ist da nichts zu schaffen, und alles ergibt sich und fließt wie es fließen soll. All das stört die Stille nicht. Voll Freude, Liebe und Hingabe lasse ich die Existenz auf dieser Flöte spielen.
Gelegentlich ziehe ich mich mit Menschen für einige Tage in ein Retreat zurück. So nahm dieses Buch seinen Anfang, als mich Teilnehmer eines solchen Retreats baten: „Wir wollen das schriftlich – bitte bringe das als Buch heraus…“. In den folgenden Monaten reifte es in der Tiefe meines Herzens heran, während Maria, Neelam, Anna, Nora und Prashanto in unendlichem Fleiß Abschriften der Satsangs eines halben Jahres anfertigten. Vielen Dank!
Den Auftakt zum eigentlichen Beginn des Schreibens gab wieder einmal die Krähe (ihr erinnert euch, Crow-Crow, die Krähe, die mich vor Jahren als Führer-Tier in meinen schamanischen Abenteuern begleitete). Sie ließ mich eines fahlen Februar-Morgens im noch kahlen Kirschbaum zum ersten Mal seit einigen Jahren wieder ihr wunderschönes heiseres Lied hören. Das war der richtige Tag, um zu beginnen. Der Drucker warf 1200 Schriftenseiten aus und ich erschrak ob der Fülle des Materials. Erste Sichtungs- und Sortierungsversuche folgten in den nächsten Wochen, um dann wieder auf Eis gelegt zu werden. Ganz anders als der Fluss des ersten Buches, das in sechs Wochen fontänenartig heraussprudelte, ist der dieses Buches ein kurviger und doch genauso fließend. Drei Monate später saß ich auf einer wunderschönen Terrasse am Meer, wo mein Mann und ich einige Tage Urlaub machten – aber doch mit Notebook und allen Satsangmitschriften ausgerüstet. Und der Ozean half, die Möwen halfen, und das Ordnen und Schreiben nahm Form an.
Jetzt kam die Aufgabe, das gesprochene Wort in lesbares Deutsch zu verwandeln, die Mitschriften thematisch zu sortieren und schließlich, da es am Ende ein fünfhundert-Seiten-Buch geworden wäre, alles noch einmal zu kürzen. Ohne die Hilfe von Nirdoshi, Kranti, Christian, Werner und Dhyano, denen ich an dieser Stelle von Herzen danken möchte, wäre das alles nicht möglich gewesen.
Und ganz herzlichen Dank an Joachim Kamphausen, der trotz anfänglicher Zweifel, ob das Buch nicht immer noch zu dick sei, bereit war, es ungekürzt und in einem Band zu veröffentlichen!
Juni 2002
PYAR TROLL
„Es ist die Melodie der Existenz, die in deinem Herzen singt. Es ist der Rhythmus des Lebens, das sich aus sich selbst lebt. Nichts, was Zeit oder Ort unterliegt, kann diesen Gesang beenden. Er enthält die Flamme und den Samen allen Lebens. Dieser Gesang ist Stille selbst, und sein Echo hallt in der Stille. Bewege dich aus dieser Stille, erlaube diesem Gesang und seinem Echo, dich zu allem, was du werden kannst, zu leiten.“
EINE SCHAMANIN
Diese Worte stammen von einer Schamanin, deren Namen ich nicht einmal weiß. Ich finde sie wunderschön. So einfach.
Was hindert uns daran, zu hören, was von Anbeginn aller Zeiten zu hören ist – den Gesang in der Tiefe unserer Herzen, diesen Gesang der Existenz, den Tanz der Existenz, den Rhythmus des Lebens, der in jedem Wesen derselbe ist? Selbst der Lärm der Gedanken stört dabei nicht wirklich. Aber wenn man nur auf die Gedanken, ständig auf die Hoffnung und die Furcht hört, dann ist es schwierig, gleichzeitig den ewigen Gesang der Existenz wahrzunehmen. Der ewige Gesang der Existenz erklingt im Jetzt. Hoffnung und Furcht, Haben-wollen und Nicht-habenwollen aber zerstreuen dich in alle Winde, bringen dich weg von hier und lassen dich nicht hören, nicht sehen, nicht fühlen, riechen oder schmecken. Komm wieder hierher! Wie auch immer „hier“ gerade sein mag. Hör auf, dich permanent wie von einem Pendel von einer Seite auf die andere treiben zu lassen, von himmelhoch jauchzend zu zu Tode betrübt, von Hoffnung zu Angst, von Ekstase zu Panik und wieder zurück. Bleib da! Hör auf, weiter nichts!
Da-Sein ist einfach
Osho formulierte es einmal so: Es sei überhaupt kein Wunder, dass er, Buddha, Sosan oder Jesus die Realität erkennen und in der Realität, in der Wahrheit leben. Viel erstaunlicher und ein viel größeres Wunder sei es, dass so viele es nicht tun. Denn die Realität zu vermeiden ist sehr anstrengend und erfordert viel Technik, viel Wissen.
Es ist eigentlich schwierig, ständig woanders zu sein als hier. Es ist wirklich erstaunlich, wie wir das so lange über so viele Leben und fast permanent hingekriegt haben. Du kennst nämlich Momente, in denen du da bist, in denen du ganz präsent, ganz hier bist, und du weißt, wie einfach es ist, du vergisst es nur immer wieder.
Das Paradoxon ist: Wenn du ganz da bist, ohne Bedingung, ohne Wunsch, ohne Ablehnung, dann bleibt nur Präsenz ohne jemanden, der präsent ist. In dieser Präsenz ist alles enthalten, aber keine Trennung, keine Grenze. Die Dreifaltigkeit von Wahrnehmendem, Wahrnehmung und Wahrgenommenem gibt es da nicht mehr: Es ist eins, es wird zu einem, du bist eins mit allem, eins mit dem Göttlichen, völlig ungetrennt und ganz real. Was bleibt ist Sein in stiller Freude, in Hingabe und Mitgefühl. In DEM findet kein Gespräch statt, kein Dialog, kein Zwiegespräch in deinem Kopf. Wenn du ganz mit allem, was auch immer gerade ist, hier bist, dann gibt es kein Nachdenken mehr, sondern nur Sein.
Normalerweise jedoch entstehen im Verstand Interpretationen, Gedanken und Beschreibungen in Worten, fast noch bevor man sieht, riecht, hört oder tastet. Das läuft die ganze Zeit unbewusst wie eine Schallplatte ab, ohne dass du es merkst. Und das vergiftet. In ständigem innerem Dialog, ohne ihn überhaupt zu bemerken, ohne ihn zu wollen, ohne dass er überhaupt angebracht wäre, ist man nicht da. Denken ist fein, wenn man es gerade braucht. Aber man muss nicht dauernd denken, man muss nicht dauernd plappern.
Und stehe vor allem immer wieder an der offenen Tür! Deine eigene Haustür ist die Tür zum Himmel und du bist es, der sie aufmacht. Manchmal ist es auch nur so: Du stehst an deiner Haustür und willst sie so gerne öffnen, und du drückst und drückst und bemerkst nicht, dass sie nach innen aufgeht. Einfach da sein in aller Freude, in aller Liebe, in aller Einfachheit, nicht im Sinnieren, sondern in der Präsenz – das ist Meditation – ganz einfach, nichts Besonderes, und immer anwendbar.
Gott kämpft nicht gegen dich!
Gewalt ist nie eine Lösung, auch innen nicht. Es geht nicht darum, gegen das Ego zu kämpfen, sondern es zu durchschauen, zu verstehen, die Illusion davon zu entlarven und aufzuhören, es ständig aufzubauen. Dann verschwindet es wie die Wolken am Himmel, wenn die Sonne herauskommt, und die Konturen treten klar hervor. Heute sind die Wolken verschwunden, obwohl niemand gegen die Wolken gekämpft hat. Sie sind einfach verschwunden. Wenn das Licht kommt, ist das Licht ohne Kampf da. Sobald Kampf beginnt – im Außen wie im Innen – Kampf gegen das böse Ego, Kampf gegen den bösen Verstand, Kampf gegen dieses und jenes, erwächst daraus nur ein Zweitego oder ein Dritt- und Viert-Ego, das sehr kämpferisch und sehr gut ist – ein spirituelles Ego. Einfach nur aus der Stille, aus der Meditation, aus deinem Wesenskern heraus sehen, erfahren, fühlen, hören, schmecken – und die Konturen treten klar hervor. Und lachen, dann musst du lachen! So löst das Ego sich in Leichtigkeit auf. Schwierigkeiten treten auf, aber selbst die haben nicht wirklich etwas Schweres. Dazu braucht es Offenheit, Ehrlichkeit, Wachheit und die Bereitschaft, den Dingen ins Auge zu sehen. Gleichzeitig taucht genau dabei die Entdeckung und Erfahrung von Furchtlosigkeit auf. Es ist ein Lernprozess. Und das Gute daran ist, dass das Leben dich darin vollkommen unterstützt, wenn du bereit bist. Es gibt dir genau so viele Dämonen, genau so viel zu sehen und zu fühlen und genau so viel was in dir hochkommt, wie gerade gut ist. Es ist nie zu viel und nie zu wenig. Das Ganze, das Göttliche, das Große Eine ist vollkom men für dich. Gott kämpft nie gegen dich. Wenn du das sehen kannst, dann kannst du große Magie vollbringen. Das nennen die Tibeter „Gift in den Buddhaweg selbst zu verwandeln“. In der direkten Begegnung wächst die Gewissheit, dass alles seinem Wesen nach Buddhanatur ist. Das passiert nicht im Kopf, sondern praktisch, Tag für Tag im Leben, im Alltag. Und jede Situation ist genau richtig dafür.
In der Offenheit und Nacktheit der Begegnung und im gleichzeitigen Stillbleiben damit kannst du das erfahren. Du bewegst dich nicht, bist still und gleichzeitig ist da die Begegnung. Das ist kein Stillsein, das sich vor der Welt und dem was geschieht abschließt – das wäre Flucht – sondern es ist vollkommen still und friedlich hier, vollkommen offen und bereit und doch in einer Begegnung, die mehr und mehr zur Nichtbegegnung wird. Denn je tiefer du damit gehst, umso mehr verschwindest du im Ganzen, umso mehr löst sich die Illusion von Ich auf, und Trennung verschwindet. Offenheit, Nacktheit, Ehrlichkeit bleiben, aber die Begegnung wird zur Begegnung jenseits von Begegnung. Es ist immer eine Begegnung mit dir. Also nimm alles, was dir begegnet, als Chance, als Möglichkeit.
Nicht äußern, innern!
F: Ich scheue mich immer, über meine Sehnsucht nach Gott zu sprechen.
P: Ja, das ist etwas sehr Intimes. Viel intimer als Sex, viel tiefer, viel feiner, viel höher, es ist die innerste Liebe deines Herzens. Darüber redet man nicht beim Gemüsehändler. Ich würde generell nicht viel darüber reden, denn das ist eine Sache zwischen dir und dir. Lass es blühen. Lass es brennen. Lass es fließen. Die Blume der Hingabe und die Blume der Gottesliebe sind am Anfang noch sehr zart und brauchen ein bisschen Windschutz. So etwas Zartes trägt man nicht auf den Marktplatz. Da hast du ein ganz gesundes Gespür. Und, ich empfinde immer noch viel Scheu.
F: Ich habe auch Angst, dass das kaputt gemacht wird.
P: Die Essenz davon ist unzerstörbar, und trotzdem: Gehe damit um wie der kleine Prinz mit seiner Rose: Gelegentlich braucht sie einen Windschutz, einen Glassturz, und zur rechten Zeit nimmt man ihn wieder weg, so dass die Rose kräftig wird. Gehe behutsam und freudig damit um und lass wachsen und gedeihen.
F: Ich denke mir, ich muss das im alltäglichen Leben mehr leben und mehr äußern.
P: Leben, nicht äußern! Leben und innern! Mehr innern! Und das bedeutet, es zu leben, dem im Alltäglichen treu zu sein und nicht pharisäisch zu sein. Jesus drückt das so aus: „Bete in deiner Kammer und lebe die Liebe in der Welt.“ Wunderschön.
Kein Ziel, kein Ankommen
Franz von Assisi war so sehr einfach da wo er war, und so sehr bereit, allem ohne irgendeinen Schutz, ohne irgendeine Maske zu begegnen, und er war so maßlos in diesem Begegnen, dass er wirklich in allem nichts anderes finden konnte als den Geliebten. Und so konnte er nicht anders als singen und das Göttliche in der Sonne, im Mond, in den Bäumen, in der Erde, in den Menschen, in den Tieren und selbst im Tod sehen und loben. Er war so sehr ohne Trennung, dass er mit Tieren reden konnte, nicht als magischer Trick oder esoterisches „Blabla“, sondern aus der Tiefe des Herzens, ganz direkt, einfach in der Einheit des Göttlichen. Franziskus ist der Pendelbewegung des Verstandes nicht mehr gefolgt, er ist einfach dageblieben.
Ein Pendel kommt bei jedem Ausschlag – wenn auch kurz – an der Mitte vorbei. Dieser Punkt wird meistens verpasst. Aber es ist nur eine Frage der Wachheit, diese Mitte zu bemerken. Meist schwingt das Pendel zwischen Bedauern über die Vergangenheit oder Festhalten an ihr und der Furcht vor der Zukunft oder Hoffnung auf sie hin und her. Und das Jetzt, diese Grandiosität, Tiefe und Unendlichkeit des Jetzt wird völlig über sehen. Letzte Woche hat mir jemand geschrieben und sich ein bisschen beschwert: „Ich schreibe dir so oft von meiner Sehnsucht nach Erwachen, warum gehst du nie darauf ein?“ Ich gehe nicht darauf ein, weil damit die alte Hoffnung auf ein besseres Leben ausgedrückt wird, die sich nur ein neues Kleid übergeworfen hat. Das Kleid heißt jetzt Erwachen. Erwachen bedeutet aber tatsächlich da zu sein, wo man ist, so wie es ist. Jemand anderer hat mir von seinem „Angekommensein“ berichtet, auch so eine Illusion, eine ziemlich üble, die garantiert zu Frustration führt, wie es hier auch der Fall war. Es gibt kein Angekommensein in der Unendlichkeit, es geht immer weiter, weiter, tiefer, tiefer, es ist nicht auszuloten, nie ein Ende.
Genau an diesem Punkt, wo dieses vermeintliche Ich sich hingibt, aufgibt und das Pendel in der Mitte stehen bleibt, stellt sich die Frage von Ziel nicht mehr, stellt sich die Frage von Ankommen, von Innen oder Außen nicht. Hier ist einfach nur, aber dieses „ist“ in einem solchen Mysterium, in einer solchen Höhe und Tiefe und Weite – unmöglich zu halten, unmöglich irgendetwas zu greifen. Nichtgreifen, Nichthalten, dieses Realisieren der Offenheit des Raums, diese Begegnung und immer neue Begegnung mit der Offenheit, Schärfe und Istigkeit dessen, was ist – so gehen Buddhas auf dem weglosen Weg. Ganz direkt, ganz praktisch, ganz einfach, ohne Hoffnung, ohne Furcht, ohne Bedauern, ohne Sammeln, ohne Halten, unendlich. Ohne Anfang, ohne Ende. Ganz da und ganz begegnend, nichts versteckend, ganz offen und ehrlich, wie es einfach ist.
Das Ego hingegen will immer versteckt bleiben, will sich definieren und doch nicht definierbar sein. Es verstrickt sich in Widersprüche ohne Ende, in Leiden, in Hin und Her, Auf und Nieder, in Dies und Das. Es will dort sein, nie hier sein, will erleuchtet sein, will gestern sein oder morgen, nur nicht jetzt, will gesehen sein, aber nicht erkannt, all diese Dinge. Schmeckst du, was ich hier sage?
Ursprüngliche Unschuld
Ein Brief: „Habe ich es so richtig verstanden: DAS bleibt unberührt? Habe ich all das Ungute und Gute in Heiligkeit, Reinheit und Keuschheit getan? Gibt es keine Anklage, kein schuldig sein, keine Schuldzuweisung, keine Verurteilung und Beurteilung mehr?“
P: Ja! Richtig verstanden. Definitiv: DAS bleibt unberührt, ist immer unberührt gewesen und wird immer unberührt sein. Das ist die ursprüngliche Unschuld, jenseits von Schuld und Unschuld, jenseits von Belohnung und jenseits von Strafe.
F: Diese Wahrheit ist ungeheuerlich, wenn das wirklich Wahrheit ist.
P: Es ist wirklich Wahrheit, und es ist ungeheuerlich!
F: Dann würde ich mir nicht mehr so wehtun.
P: Genau, und den anderen Menschen auch nicht.
„Das Tao ist nicht, was kommt und geht.
Es ist immer und überall gegenwärtig, so wie der Himmel.
Aber wenn dein Gemüt umwölkt ist, siehst du es nicht.
Aber dies bedeutet nicht, dass es nicht da ist.
Kannst du von Worten und Ideen, von Erwartungen und Meinungen lassen?
Wenn du das kannst, wird das Tao sichtbar werden.
Kannst du still sein und in dich hineinschauen?
Wenn du das kannst, wirst du erkennen, dass die Wahrheit immer verfügbar ist. Immer zugänglich.“
LAO TSE
Die Kraft, die Wahrheit und die Unveränderlichkeit dessen was wir jenseits aller Phänomene in Wahrheit sind, besteht zugleich mit unserer Verletzlichkeit und Zartheit als Lebewesen und Mensch. Und glaube nicht, dass sich das ändert. Falls du die Vorstellung haben solltest, dass Verletzlichkeit, Zartheit oder Berührtheit mit dem Erwachen aufhören würden, irrst du dich. Das ist nicht der Fall! Zumindest ist es nicht meine Erfahrung. Mittendrin und vollkommen menschlich!
Eine Anekdote: Michelangelo war ein begnadeter Künstler und Bildhauer. Eines Tages ging er in Florenz spazieren und kam an einem Geschäft für Steinblöcke vorbei. Er schaute sich die Steinblöcke auf dem Hof an und entschied sich für einen bestimmten: „Diesen Block will ich kaufen.“ Der Marmorhändler erwiderte: „Dieser Block ist nicht gut. Er hat zuviel Maserung. Den kann ich nicht empfehlen.“ Michelangelo bestand aber darauf: „Nein, genau den will ich haben! Ich komme hinterher vorbei und zeige dir, was daraus geworden ist.“ Aus diesem Marmorblock schuf Michelangelo die Pietà, jene wunderschöne Skulptur, die heute im Petersdom in Rom steht. Sie zeigt Mutter Maria mit dem toten Jesus auf den Armen. Ein unglaubliches Kunstwerk, vor dem man einfach vollkommen berührt steht. Michelangelo zeigte die Pietà dem Steinhändler, der überrascht fragte: „Aus diesem Block hast du sie gemacht?“ Michelangelo erwiderte dem Steinmetz: „Nein, ich habe sie nicht gemacht. Sie war die ganze Zeit schon darin. Ich habe nur alles entfernt, was nicht dazu gehörte.“
So ist es auch hier. Die Pietà, die strahlende Schönheit deines Wesens ist die ganze Zeit da. Sie ist immer schon da gewesen. Da ist nichts zu machen oder neu zu erschaffen oder hinzuzufügen. Sie ist nur hinter ein bisschen Marmor verborgen. Und selbst wenn Marmor oder Spinnweben, Staub, Krusten oder Egoschichten sich über dein wahres Wesen gelegt haben mögen, ist trotzdem die ganze Zeit und seit Anbeginn der Zeit das Wesen, die Essenz deines Seins da, immer – in jedem Moment deines Lebens und davor und danach. In den schönen Momenten genauso wie in den schrecklichen. Kein Unterschied, was die Pietà angeht.
Das Tao ist nicht, was kommt und geht
Jetzt zu Lao-Tse: Er nennt die Pietà in der vorigen Geschichte Tao. Lao-Tse nennt es Tao, die Christen Gott, Moslems Allah, Anhänger des Advaita das Selbst oder Nichtzwei, immer dasselbe mit tausend Worten, aber nicht beschreibbar.
Lao-Tse: „Das Tao ist nicht, was kommt und geht. Es ist immer und überall gegenwärtig, so wie der Himmel. Aber wenn dein Gemüt umwölkt ist, siehst du es nicht. Doch dies bedeutet nicht, dass es nicht da ist.“
Wie die Pietà! Daran musst du dich einfach gelegentlich erinnern. Nur weil man etwas gerade nicht sieht, bedeutet das nicht, dass es nicht da ist.
„Kannst du von Worten und Ideen, von Erwartungen und Meinungen lassen? Wenn du das kannst, wird das Tao sichtbar werden. Kannst du still sein und in dich hineinschauen? Wenn du das kannst, wirst du erkennen, dass die Wahrheit immer verfügbar ist. Immer zugänglich.“
Das ist genau dasselbe wie in der Geschichte von Michelangelo. Er war einfach in der Lage, die Pietà zu sehen, auch wenn sie nicht sichtbar war. Das Tao ist nicht hörbar, weil es nicht vom Hören zu trennen ist. Es ist nicht sichtbar, weil es nicht vom Sehen zu trennen ist. Es ist zu nah, zu sehr überall, um es zu sehen. Es ist der ungeschlagene Ton. Es ist dein Angesicht vor deiner Geburt, nicht hörbar, nicht tastbar, nicht sehbar, doch immer da. Und gleichzeitig hält, schafft, umfasst, durchwirkt es alles, was es an Tastbarem, Hörbarem, Sehbarem, Fühlbarem gibt. Es gibt nichts ohne das. Was nicht heißt, dass es die hörbaren, sehbaren, tastbaren, fühlbaren, riechbaren Dinge nicht gäbe. Das wäre ein Missverständnis. Wenn die Meister sagen „die Phänomene sind leer“ oder „die Welt ist wie ein Traum“, heißt das nicht, dass sie im Jetzt nicht existieren. Die Phänomene sind leer, weil sie keinen Bestand haben, in ständiger Veränderung begriffen sind, und ihre Essenz ist Leere, ist Tao.
Jetzt bewegen wir uns vom Tao zur Ebene von Phänomenen, zum Spiel von Yin und Yang. Aus hell wird dunkel, aus dunkel wird hell. Aus Tag wird Nacht, aus Nacht wird Tag – in einem vollkommen natürlichen und real existierenden Spiel. Eins kommt nach dem anderen, und alles zu seiner Zeit. Babies werden geboren, Menschen sterben, es wird Frühjahr, es wird Herbst, man verliebt sich, man hat Liebeskummer, man ist jung, man wird alt. Kein Problem mit der Welt, so wie sie ist. Ein Problem bekommen wir nur dann, wenn wir dem Fluss, dem Tanz von Yin und Yang nicht folgen, wenn wir irgendwo anders sein wollen als da, wo wir gerade sind. Es ist gerade Nacht und ich bilde mir ein, die Sonne sollte jetzt scheinen. Dann habe ich ein Problem, kein wirkliches, nur ein hausgemachtes. Oder ich empfinde gerade Aggression und bilde mir ein, ich sollte jetzt freundlich sein. Wenn die Dinge jedoch sein dürfen was sie sind, ist es total einfach. Aber wenn wir das Tao, die grundlegende Gutheit vergessen haben, wenn wir uns nur dem Spiel von Yin und Yang hingeben und immer auf möglichst viel Helle und möglichst wenig Dunkel hoffen, dann ist unser Gemüt umwölkt, wie Laotse sagt. Dann sehen wir nicht mehr die Essenz, das Tao, sondern nur das Wechselspiel und wünschen uns eine Seite davon. Und wir kommen ins Greifen, Halten, Abwehren, kommen ins Leiden.
Woher kommt das Greifen, das Halten, das Abwehren? Es entsteht letztlich aus Angst, aus Unsicherheit. Und die Angst entsteht, weil wir die Pietà in diesem scheinbar so harten Block vergessen haben. Was nicht heißt, dass sie nicht da ist!
Tao und Yin/Yang
F: Einerseits ist alles genau richtig wie es ist, sonst wäre es ja anders. Aber gleichzeitig sagst du auch: Tut nicht dies, sondern tut das, und es ist besser zu meditieren als nicht zu meditieren. In diesem Zwiespalt stecke ich manchmal. Ich esse zu viele Süßigkeiten und schlafe zu wenig. Das muss ja richtig sein, sonst wäre es anders. Und trotzdem ist irgendetwas daran nicht richtig... kannst du dazu noch mal was sagen?
P: Dieses: „Es ist alles richtig, so wie es ist“ wird einfach sehr leicht zum Konzept und auch leicht zur Ausrede, wenn es aus dem Verstand kommt – und außerdem gilt „alles ist richtig, wie es ist“ nur auf der Ebene der absoluten Wahrheit. Auf der Ebene der Phänomene, zu der Süßigkeiten gehören, gibt’s durchaus „richtig“ und „nicht richtig“. Auf der Ebene der Phänomene ist zwei plus zwei vier und nicht fünf. Du kannst nicht sagen: „Jetzt habe ich 2+2=5 geschrieben – wird schon richtig sein so, sonst hätte ich es nicht geschrieben!“
F: Die Schwierigkeit ist, wahrzunehmen, welche der beiden Sichtweisen gerade dran ist.
P: Immer beide.
F: Das ist schon wieder „koan-mäßig“, da komme ich nicht mehr mit!
P: Es geht nicht anders. Es gibt hier kein „entweder – oder“, denn das wäre, als würdest du sagen: „Wann ist das Tao gül tig und wann sind Yin und Yang gültig?“ Das geht nicht! Und ganz praktisch eröffnet sich die Antwort immer genau im Moment. Also, du willst dir gerade das zehnte Mars reinschieben, und genau in dem Moment tut dir der Magen weh. Oder: es fühlt sich einfach nicht mehr wirklich gut an, dann weißt du, welche Sichtweise dran ist. Und in dem „alles ist richtig“ ist ja schließlich auch dein Instinkt eingeschlossen, ist dein rebellischer Magen eingeschlossen, nicht nur deine Gelüste.
Nagarjuna und der Dieb
Es gibt eine schöne Geschichte von Nagarjuna, einem buddhistischen Meister. Eines Tages kam ein Dieb zu ihm, der schon bei vielen Lehrern gewesen war, weil er sich nach der Wahrheit sehnte. Alle diese Lehrer hatten von ihm verlangt: „Zuerst musst du mit dem Stehlen aufhören, dann reden wir weiter.“ Nagarjuna sagte zu dem Dieb: „So ein Blödsinn. Anscheinend warst du noch bei keinem echten Meister.“ Der Dieb antwortete: „Verlange nicht von mir, mit dem Stehlen aufzuhören. Ich habe es probiert. Es geht nicht. Ich muss stehlen!“ Nagarjuna beruhigte ihn: „Kein Problem. Das verlange ich nicht von dir.“ „Alles andere ist gut“, erwiderte der Dieb, „ich bin bereit, alles andere auszuprobieren.“ Darauf sagte Nagarjuna: „Stiehl ruhig weiter! Das ist nicht meine Angelegenheit. Aber sei bewusst in allem, was du tust. Stehle, aber bleibe bewusst dabei. Probiere es aus, und in zwei Wochen treffen wir uns wieder.“ Der Dieb kam schon nach zehn Tagen ganz verzweifelt wieder zu Nagarjuna: „Ich kann nicht mehr stehlen. Es funktioniert nicht. Was hast du mit mir gemacht? Sobald ich bewusst bin, kann ich nicht stehlen. Sobald ich da bin, wach bin, funktioniert es nicht. Nur wenn ich unbewusst werde, kann ich stehlen. Aber ich habe dir versprochen, bewusst zu bleiben, und deshalb kann ich nicht mehr stehlen.“ Nagarjuna erwiderte: „Jetzt hast du die Wahl. Entweder du folgst deinem alten Muster, deiner alten Angewohnheit, oder du bleibst bewusst.“ Darauf der Dieb: „Die Bewusstheit kann ich nicht mehr aufgeben. Sie ist zu kostbar.“
Auf diese Art funktioniert das, nicht indem man sich vornimmt, nicht mehr zu stehlen, gut zu sein, anständig, pünktlich oder freundlich. Sei was du bist und stehe dazu! Und vor allem sei bewusst! Dann ist das „Gute“ automatisch da. Das ist ganz praktisch, was ich da erzähle, nicht abgehoben, nicht philoso phisch. Du kannst entdecken, dass die eigentliche Gutheit jenseits von dem ist, was wir normalerweise als gut oder schlecht bezeichnen.
So entdecken wir, dass das, was Chögyam Trungpa die grundlegende Gutheit nennt, die ganze Zeit vorhanden ist und immer und in allem vorhanden war. Es gibt keine Trennung. Du trennst dich, indem du die Bilder von dir, von anderen und von der Welt aufbaust, wie sie sein sollte oder nicht sein sollte, wie du sein solltest oder nicht sein solltest. Und du verpasst dabei das Leben. Einfach nur da zu sein ist so ein Fest!
Das Erfahren ist immer wieder verschieden: Hell und dunkel, Tag und Nacht, schönes Wetter, schlechtes Wetter, angenehme oder unangenehme Gefühle, viele Gedanken, wenige Gedanken, sehr lebendig, immer anders. Es gibt keine Konstanz im Erfahren und keine Notwendigkeit, dass im Erfahren Konstanz wäre. Das, was grundlegend ist, was immer da ist, ist das was du bist. Und das ist wirklich in allem. Keine Trennung zwischen DEM und der Welt.
Holz hacken
F: Wenn ich nichts tue, bin ich nicht wachsam. Dann bin ich nicht bei mir. Jetzt gerade bin ich wachsam, ich achte darauf. Also ist es bei mir kein Nichts-Tun.
P: Osho hat es einmal so ausgedrückt und, soviel ich weiß, stammt dieses Bild ursprünglich von einem Zen-Meister:
Erst ist es so, als wäre der Buddha irgendwo hinter dir. Das ist vielleicht deine Wahrnehmung im Moment. Da braucht es noch Übung, deshalb hast du ein Gefühl von „ich tue“ – ob du wirklich tust, steht auf einem anderen Blatt. Aber dein Wahrnehmen ist, als müsstest du ständig darauf achten, ob der Buddha tatsächlich noch hinter dir ist. So ist es zunächst. Und wenn du weiter achtsam bleibst und dich in Achtsamkeit übst, wirst du irgendwann das Gefühl haben, als ob – wupp! – der Buddha vor dir ist. Nun kannst du ihn fast nicht mehr aus den Augen verlieren, da müsstest du schon wegschauen, ja? Auf einmal würde die Nichtachtsamkeit zum Tun: Der Buddha ist vor dir, und du müsstest wegschauen.
F: Das wäre schön!
P: Ja, das geschieht garantiert mit zunehmender Tiefe, mit zunehmender Bewusstheit, mit zunehmender Wachsamkeit und Übung. Das ist der zweite Schritt. Kein Schritt, den du tust, sondern eine zwangsläufige Entwicklung. Und irgendwann ist der Buddha in dir, und du kannst keine Trennung zwischen dir und dem Buddha mehr wahrnehmen. Und du kannst keine Trennung mehr wahrnehmen zwischen erstens der Achtsamkeit, der Wachheit und zweitens dem, welcher wach ist und drittens dem, worauf sich die Wachsamkeit richtet. Alle drei fallen in eines zusammen. Und auch das stimmt nicht ganz, denn es waren in Wahrheit noch nie drei, sondern das war nur in deinem Erfahren so.
Das ist wichtig, denn sonst werden auch die Worte „Nicht-Handeln“, „Nicht-Handelnder“ und alle diese gängigen spirituellen und Advaita-Ausdrücke zur Farce, zum Konzept und damit letztlich wieder zu einem Hindernis. Denn dann denkst du: „Ach, ich darf ja nicht mal mehr achtsam sein, da wäre ich schon wieder der Handelnde, würde etwas tun“ und so weiter.
F: Hast du vor deinem Erwachen diese Achtsamkeitsübung gemacht, so wie du es eben beschrieben hast?
P: Immer wieder, immer wieder.
F: Hast du also auch gemacht. Ja, es wird halt immer gesagt, man müsse nichts tun, nicht? Man wäre schon da.
P: Das hängt davon ab, von wo du es siehst. Natürlich kann ich auch reines Advaita sprechen, aber dann spreche ich über euch hinweg. Wir müssen doch da anfangen, wo ihr seid.
Jedes Wesen ist Buddha. Das ist die Wahrheit. Die Mohnblume, ein Gummibaum, die Fliege an der Decke, jedes Wesen in jedem Universum zu jeder Zeit ist Buddhanatur selbst. Nur, das zu hören oder im Kopf verarbeiten zu wollen bringt überhaupt nichts, weil das Erfahren der meisten Wesen ein anderes ist.
Es geht nicht darum, neues Wissen anzusammeln, sondern darum, im Herz anzukommen. Und ganz sicher geht es nicht darum, dass man sich jeden Tag hundert Mal vorsagt: „Ich bin Buddha, ich bin Das, ich bin schon da“. Das bringt nichts. Diese spirituellen und „Advaita-Sätze“ entwickeln sich zum neuen Mantra, zu neuer Hypnose, eigentlich zu neuer Dumpfheit. Trotzdem sind sie letztlich wahr. Aber es geht ja darum, wie das Erfahren und vor allem das Leben ist. Deshalb muss man die Dinge von allen Seiten und in allen Situationen, die sich bieten, betrachten, fühlen und leben. Und jede Situation, jeder Augenblick deines Lebens ist der richtige Moment, um Achtsamkeit zu üben, Wachheit zu üben, Akzeptanz zu üben, um in Hingabe zu sein – von der Toilette am Morgen bis zum Einschlafen am Abend und darüber hinaus. Jeder einzelne Augenblick, sei er schön oder nicht so schön, die guten Tage und die schlechten Tage – jeder Moment ist der richtige, um Achtsamkeit zu üben. Achtsamkeit, Wachheit, Meditation, Da-Sein, Präsenz sind keine Angelegenheit einer halben Stunde am Tag, sondern sind permanent. Darunter geht’s nicht. In diesem Sinne habe ich geübt und übe auch jetzt immer.
F: Von Ramana Maharshi wird gesagt, dass er immer in dem erwachten Zustand war. Ist so was möglich?
P: Natürlich, klar.
F: Also vor dem Erwachen und nach dem Erwachen genau dasselbe zu tun, kein Unterschied, nein?
P: Na ja, schon die alten Zen-Leute sagten: „Vor der Erleuchtung Holz hacken und Wasser holen. Nach der Erleuchtung Holz hacken und Wasser holen.“
Jedoch ist die Qualität eine andere.
„Darum, oh Sariputra, liegt es an seiner Nicht-Errungenschaft, dass ein Bodhisattva, indem er sich auf die Vollkommenheit der Weisheit verließ, ohne Gedankenschleier bleibt.“
BUDDHA, HERZSUTRA
Glaube nichts!
Vergiss Glauben! Glaube bitte auch mir nichts! Es geht nicht um Glauben, sondern um Gewissheit. Und Gewissheit kommt aus Erfahren, aus eigenem tiefsten Erfahren, Erkennen, Sein. Wenn zum Beispiel Kraft in dir entsteht, musst du an diese Kraft glauben? Nein, sie ist da. Du kannst sie fühlen, beobachten, erfahren, dich daran erfreuen. Das ist Gewissheit, milliardenfach mehr wert als der tiefste Glaube, denn Glaube und Zweifel sind zwei Seiten einer Medaille. Jeder Glaube birgt einen Zweifel. Du glaubst zum Beispiel, dass da jemand vor dieser Stahltür steht. „Steht da wirklich wer?“ – „Ja, ich glaube schon, dass da jemand steht!“ – „Aber sicher kann man sich nicht sein.“ So geht das immer hin und her. Aber dein Erfahren im eigenen Herz, die eigene Kraft, die Liebe, die du in deinem Herzen hast, die Stille, in der du bist – daran gibt es keinen Zweifel. Osho nannte das „Knowing“. Echtes Wissen, Gewissheit. „Knowing“ würde ich am ehesten mit Gewissheit übersetzen. Wissen hingegen ist eigentlich nur Glauben, in Büchern gelesen und abgespeichert.
Toter Glaube – Glaubenssätze
„Ich bin so und so, und ich müsste so und so sein. Immer wieder werde ich unsicher, aber ich sollte doch perfekt sein.“ Das sind Glaubenssätze, eigentlich sogar Vorurteile. Natürlich gibt es Erfahrung. Man sollte nur einmal auf eine heiße Herdplatte fassen, dann weiß man: Wenn am Herd ein Licht brennt, ist die Platte heiß, und es wäre nicht gut, sie anzufassen. Das nennt man Lernen. Solches Wissen ist eigene Erfahrung, die man sich aneignet und damit Brandwunden vermeidet. So ist das ursprünglich gedacht, und das ist sehr praktisch. Nur, wenn dieser Geist sich mit Ego verbindet, dann entwickelt er etwas Hartes, Starres, Unfreies. Der Geist selbst ist unfrei und wendet dann das, was für Herdplatten und ähnliche Lernprozesse gilt, auf alles an. Aber so funktioniert es nicht, insbesondere nicht mit jeglicher Form menschlicher Beziehung, Beziehung nach innen zu uns selbst und nach außen zu unseren Brüdern und Schwestern, denn jede Situation der Begegnung ist neu. Trotzdem kommt dein Geist dann und sagt: „Letztes Mal war es so…“ – auch wenn das unterbewusst oder sehr subtil abläuft. Und schon sitzt du in der Falle. Die Freiheit des Moments ist nicht mehr da. Das sind Glaubenssätze, die nur behindern und dich hindern, den Vögeln zu folgen, die in Freiheit fliegen.
Es gibt Glaubenssätze wie: „Wenn ich gut bin, komme ich in den Himmel.“ Das klingt sehr primitiv, und trotzdem ist es tief in unserer Psyche verankert. „Wenn ich gut bin, kriege ich Schokolade, wenn ich böse bin, Fernsehverbot.“ Das sitzt in unseren Knochen, in unseren Zellen, in den tiefsten Strukturen dieses Systems – nicht erst seit der Erziehung dieses Lebens, sondern es ist viel, viel älter. Das geht über Generationen, immer weiter und weiter, und macht unfrei.
Wenn wir gut sind, um in den Himmel zu kommen – was für eine Güte ist das? Das ist billiger Handel. Güte muss um ihrer selbst willen aus sich selbst kommen, aus Liebe, nicht aus Regeln. Oder Glaubenssätze wie: „Engel werden mich retten.“ Nein, nur du selbst rettest dich. Die Göttlichkeit ist nicht irgendwo da draußen, sondern sie ist in dir, in jedem von euch. Die Glaubenssätze, die euch eurer Selbstständigkeit, eurer Freiheit, eurer Würde, eurer Menschlichkeit berauben, sind alle tot, sind eine Projektion nach Außen, sind der Versuch, das Heil nach außen oder nach oben zu projizieren. Das Heil ist hier, im Herzen, in jedem gleichermaßen.
Vertrauen hingegen ist einfach Offenheit, Begegnung mit dem Jetzt in Nicht-Wissen. Vertrauen ist nicht zukunftsorientiert, ist kein Handel, sondern die Offenheit des Herzens, ist das Erkennen dessen, was jetzt ist und ist das Ja dazu, ohne an der Vergangenheit zu kleben und ohne nach der Zukunft zu greifen. Vertrauen wächst mit Meditation. Vertrauen hat tiefe Wurzeln. Vertrauen heißt nicht: „Der Papa wird’s schon richten.“
Vertrauen hat viel mit Mut zu tun. Weiter Geist und offenes Herz im Vertrauen auf Jetzt. Vertrauen ist stetig und fragt nicht nach Gewinn oder Verlust.
Vertrauen und Gewissheit
Kannst du Vertrauen schmecken, und schmeckst du, wie anders der Geschmack von Glauben ist? Das ist wichtig, du musst schmecken. Das ist ganz praktisch, keine Theorie. Es liegt irgendwie auf der Zunge: nicht als Wort, sondern als Geschmack. Vertrauen ist im Herzen und ist ganz entspannt, wie Meditation entspannt ist. Vertrauen will nirgendwo hin, Vertrauen ist da. Es ist wie das Wasser, in dem der Fisch schwimmt. Und wenn Vertrauen wächst, was nichts mit irgend etwas im Außen zu tun hat, wenn die Blätter wachsen und die Knospen schwellen, dann wird Gewissheit daraus, ein inneres Wissen. Die Wurzeln werden tiefer und stärker, deine Selbstständigkeit wird größer. Du stehst auf deinen Wurzeln. Das ist Gewissheit: tiefstes inneres Wissen, nicht angeeignet, sondern immer schon da gewesen. Es wird nur von all den Schleiern befreit, die darum gewickelt waren und es verhüllt, eingeengt und versteckt haben. Es ist immer schon dein eigenstes, tiefstes Wissen, Weisheit, Gewissheit.
Die ersten großen Lehrreden, so wie sie von Buddha überliefert sind, sind zum Teil glaubensorientiert. Er sprach: „Nehmt einfach Zuflucht zu mir, zum Buddha, vertraut mir, nehmt Zuflucht zu dem, was ich sage, zur Wahrheit, nehmt Zuflucht zur Gemeinschaft, zur Sangha. Es wird etwas in euch bewirken.“ Viele Jahre später spricht er mit Sariputra, einem seiner engsten Schüler, ganz anders: „Darum, oh Sariputra, liegt es an seiner Nichterrungenschaft, dass ein Bodhisattva, indem er sich auf die Vollkommen heit der Weisheit verließ, ohne Gedankenschleier bleibt.“ Jetzt ist von Vertrauen auf die Vollkommenheit der Weisheit die Rede, einer Weisheit, die immer schon da war und nicht errungen werden kann. Er sagt nicht zu Sariputra: „Du bist so weit gekommen, weil du mir geglaubt hast“, sondern: „Dein Vertrauen, dein dich Verlassen auf die Vollkommenheit der Weisheit, die immer schon da war, hat dir die Einsicht gebracht.“
Jesus sprach zu Fischern am See Genezareth, wunderbar offenen Herzensmenschen, die genau das hören konnten: „Glaubt an mich!“ Wenn er zehn Jahre länger Zeit mit seinen Freunden gehabt hätte, hätte er vielleicht gesagt: „Ja, das war für den Anfang gut, aber jetzt vertraut euch. Vertraut der Weisheit selbst.“
Buddhas holen ihre Freunde immer da ab, wo sie stehen. Sie sprechen nicht zum Verstand, sondern zum Wesen, und benutzen die Sprache, die ihre Freunde in der Lage sind zu verstehen und die eine Öffnung zur Wahrheit hin ermöglicht. So ist die Sprache der Buddhas verschieden, scheint oft sogar widersprüchlich, weil sie zu verschiedenen Zeiten zu verschiedenen Menschen sprechen. Deshalb sagt Buddha zunächst „nehmt Zuflucht“, und später spricht er ganz anders.
Zufluchtnahme
F: Ich kenne die Zufluchtnahme aus der buddhistischen Tradition. Kann man sich wirklich mit denen verbinden, die ihre Göttlichkeit schon verwirklicht haben?
P: Ja – als Brücke. Aber es birgt eine Gefahr in sich. Ich finde Zufluchtnahme wunderschön, auch in der Form, wie sie praktiziert wird. Aber zugleich kann es passieren, dass du, wenn du da stecken bleibst, das Heil wieder nach außen projizierst. Und ich befürchte, dass das in buddhistischen Kreisen häufig vorkommt. Wird Zufluchtnahme zum Ritual, dann ist sie nicht mehr wahr, denn das Wesentliche der Zufluchtnahme wird dann vergessen, nämlich: die Weisheit in dir durch deine Verbindung mit der Buddhanatur im Buddha, im Dharma und in der Sangha in Schwingung und Resonanz zu bringen. Wenn das vergessen wird, bist du wieder das arme Würstchen, das darauf angewiesen ist, dass irgendjemand dich rettet. Aber das ist eigentlich schon Missbrauch dessen, was Buddha meinte.
Der alchemistische Prozess, in dem alles weggebrannt wird, kann durchaus mit Zufluchtnahme oder etwas dieser Art beginnen. Am Ende bleibt Hingabe ohne ein Gegenüber.
„Die Welt ist Illusion;
Nur Brahman (DAS) ist wirklich.
Die Welt ist Brahman.“
Leere Hände
Es ist Illusion, dass es Trennung gibt. Und Illusion ist, dass irgendetwas innerhalb der Welt der Phänomene Bestand haben könnte. Illusion ist, dass es irgendeine bleibende Befriedigung oder Freude innerhalb der Welt der Form, der Empfindung, der Wahrnehmung, des Handelns und des Bewusstseins geben könnte. Und das Ego, die Vorstellung einer getrennten Persönlichkeit, ist Illusion. Die Blumen, die Kerzen, das Licht, der Abend wie er jetzt ist, inklusive der Satellitenantennen sind keine Illusion. Und die Essenz all dessen ist nichts anderes als Buddhanatur. Die Schönheit eurer Wesen ist da – jetzt. Illusion ist zu denken, du seiest getrennt davon. Wenn du in der Liebe zum Göttlichen bist und immer tiefer und tiefer in diese Liebe sinkst, in diese Hingabe, die Stille, in das „Nicht-Zwei“, dann findest du mehr und mehr in allem das Göttliche: ganz real, ganz echt, alles sonnendurchglüht, gottdurchglüht. Nur du verschwindest dabei – nicht dein Wesen, noch nicht mal deine Individualität – der Gedanke von dir verschwindet. Vergangenheit und Zukunft verschwinden, und ohne Vergangenheit und Zukunft existiert diese Konstruktion, dieses Konzept des Ich nicht. Jegliche Sicherheit verschwindet – sie war aber sowieso nie da.
Es ist ein Tanz ohne Ende, ein Fließen ohne Ende, ein Weiter und Tiefer ohne Ende, ein wegloser Weg. Dann ist es so, wie Marlo Morgan schreibt: „Mit leeren Händen geboren, mit leeren Händen gestorben. Ich habe das Leben in seiner ganzen Fülle kennen gelernt, mit leeren Händen.“ Tanze so durchs Leben! Es ist ein ständiges Loslassen und Loslassen und Loslassen. Wie sonst willst du der Fülle begegnen? In geschlossenen Händen hat nichts Platz. Sobald du versuchst etwas zu halten, ist da Trennung. Selbst wenn du die Leere zu halten versuchst – Trennung. Der Versuch des Ego, spirituelle Erfahrung oder Leere wieder zu einem Ding zu machen und es zu halten, ist eine Falle, und zwar eine sehr tiefe, dunkle Falle. Dann ist da Totheit.
Gott hingegen ist vollkommen lebendig, vollkommen da, vollkommen sprühend, ganz präsent, ist in jedem Atom und zwischen den Atomen, in jeder Regung deines Herzens, bis in deine Haarspitzen und die Zehennägel, unter deinen Fußsohlen, über deinem Kopf, vor deinen Augen, hinter dir und in dir auch – Göttlichkeit, immer jetzt, jetzt, jetzt und hier, und wirklich in jedem einzelnen Moment so frisch und neu wie nie zuvor da gewesen. Ein Mysterium, eine Überraschung, ein Abenteuer in jedem Moment, auch beim U-Bahn-Fahren oder der Buchführung. In diesem Mysterium, in diesem Abenteuer ist alles möglich. Du kannst wirklich total im Leben stehen. „Zorba the Buddha“ hat Osho das genannt, total da, in den ganz normalen Tätigkeiten. Keine Ausreden und keine Flucht vor dem Leben! Schön da bleiben!
Die Illusion von Ich
Solange man glaubt, Jemand zu sein, wird dieser Jemand versuchen, sich in Sicherheit zu bringen. Dabei gibt es ihn gar nicht. Wenn du genau schaust und zum Beispiel an dich vor zwei Jahren denkst, dann erinnerst du dich: „Ich habe vor zwei Jahren geheiratet, oder ich habe vor zwei Jahren dies oder jenes...“, und du nimmst an, es sei dasselbe Ich, das du jetzt bist. Aber ist es dasselbe? Bist du derselbe? Oder du denkst: „Ich habe Schnupfen.“ Und du denkst, das sei ein Ich. Zu Schnupfen gehört aber vielerlei: eine schnupfende Nase, verstopfte Ohren, ein kratzender Hals – viele verschiedene Teile. So gäbe es ein Ich in der Vergangenheit, ein Ich jetzt, ein Ich morgen, ein Ich, das denkt es sei der Körper, ein Ich, das denkt, es sei Gefühl, ein Ich, das denkt, es sei Gedanke – kann denn das überhaupt sein? Das ist eine ganze Schar von Ichs, von Splittern. Du zerteilst dich in tausend Splitter.
Die Welt ist Brahman
F: Du sagst Traum, aber doch nicht Traum – könntest du das noch erläutern?
P: Du sitzt hier, jetzt, ganz real. Oder kannst du sagen, du sitzt nicht da?
F: Ich sitze hier.
P: Traum wird es durch Vorstellungen und Gedanken, die irgendwo in der Vergangenheit und in der Zukunft rumturnen, die an Wünschen und Nichtwünschen festhängen. Traum wird es durch diese eigenartigen Dinge, die im Geist passieren. Einfach sitzen, jetzt, ist sehr existentiell. Verstehst du? Du sitzt, und – egal was gerade ist – sei total in dem, was auch immer gerade ist, in Aktion und in Nichtaktion. Ist da irgendwo etwas anderes als Sitzen jetzt? Wenn du ganz dableibst mit allem, was in seiner Vielfältigkeit da ist, körperlich und im inneren Geschehen, ist dann eine Begrenzung enthalten? Nein. So ist das, wenn du ganz da bist, wo du bist: sehr wach, sehr präsent. Nicht gebunden an Form, an Ich oder Du. Und das ist immer möglich, zu jedem Zeitpunkt, aber es ist immer wieder deine Entscheidung. Ganz praktisch, keine Theorie, keine Philosophie.
F: Ja, aber noch mal zu Maya, dem Traum. Ich habe das so verstanden, dass die letztendliche Wirklichkeit, aus der alle Phänomene auftauchen, die einzige unumstößliche Realität ist.
P: Wie kann das, was auftaucht, verschieden sein von dem, woraus es auftaucht?
F: Es ist nicht verschieden, sondern nicht beständig! Ah ja, da ist das Missverständnis! Jetzt verstehe ich! Ich habe eine Bewertung, ein Urteil reingebracht.
P: Gott in Bewegung, Gott in Nicht-Bewegung. Die Wertung ist spiritueller Dualismus, „Advaita-Dualismus“. Advaita heißt Nicht-Zwei, ungetrennt. Und doch macht daraus der Verstand oft wieder ein Etwas, stellt zum Beispiel die Welt in Gegensatz zu DEM, zu Nicht-Zwei, stellt die letztendliche Wirklichkeit in Gegensatz zu den Phänomenen. Und das ist nicht die Wahrheit. Das nenne ich Advaita-Dualismus – das Wort habe ich gerade erfunden. Alles kommt und geht. Ja und? Es verändert sich alles, wunderbar. In hinduistischen Schriften heißt es: „Die Welt ist Traum. Nur Brahman ist wirklich. Die Welt ist Brahman.“
F: Bei mir war es so: Ich habe nur die ersten zwei Sätze gehört. Der dritte war mir dann zu abstrakt, weil er mir nicht gepasst hat, weil er mich in die Realität zurückgebracht hätte.