Reise nach Mar del Plata - Josef Rupp - E-Book

Reise nach Mar del Plata E-Book

Josef Rupp

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Beschreibung

Ist es notwendig, dass ein österreichischer Legehennenspezialist nach Argentinien fliegt und sich dort die Hühnerhaltung ansieht? Weil der Peso wieder einmal so niedrig ist, dass sich die halbe Welt um argentinisches Eipulver prügelt? Nein, das ist es nicht. Und davon, dass am Ende tatsächlich drei Schiffscontainer getrocknetes Ei nach Europa geliefert werden, handelt das Ganze hier auch nicht. Nein, es handelt von den wirklch wichtigen Dingen im Leben. Es geht um Mate, Tango und Liebe. Letztere ist, so heißt es in den überlieferten Geschichten Südamerikas, blind und wird von der Verrücktheit geleitet. Und davon handelt diese Geschichte auch: davon, blind und verrückt und glücklich zu sein.

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Inhalt

Einleitung

Auf Kontrollreise nach Argentinien (1. Teil)

3. Tag

4. Tag (30.12.2017)

5. Tag (31.12.2017)

Neujahrstag (zugleich 6. Tag)

7. Tag (2.1.2018)

8. Tag

9. Tag

10. und 11. Tag (5. und 6. Jänner)

Argentinien (Teil 2)

Ein paar Erklärungen zu Begriffen, welche Dir lieber Leser nicht so geläufig sein könnten

Einleitung

Eigentlich bin ich ein langweiliger Mensch, der gerne ein langweiliges Leben führen möchte. Wünschen würde ich mir für mein Leben so ein »Kuh-auf-der-Weide-Glück«. Alle Versuche in diese Richtung gingen sowohl beruflich als auch privat in die Hose. Über die Ursache der privaten Katastrophen rätsle ich nach wie vor. Bei den beruflichen Turbulenzen, die ja nicht so sehr mit Emotion belegt sind, ist das Verstehen von alldem, das sogenannte »Nachvollziehen«, warum etwas genauso gekommen ist, für mich schon leichter geworden.

Allein, als ich am Telefon während des Autofahrens gefragt wurde, ob ich in Argentinien kontrollieren möchte, und ich antworten wollte: »Ja, also … also … Was müsste ich denn da tun? Ich meine, welche Produkte, welche Standards? Geht’s da um Tiere oder Obst oder Gemüse? Und überhaupt wann und wie lange …?«

Diese Fragen wurden auf der anderen Seite der Leitung nicht mehr gehört. Die Verbindung war nach dem »Ja« weg. Das Nächste, das ich mitbekam, war, dass sich die Fachbetreuer in der Firma darüber unterhalten haben, dass der Josef »Argentinien« macht. Das haben sie nicht einmal hinter meinem Rücken getan. Ich stand bei dem Gespräch daneben. Jedoch, man hat mich nicht gesehen.

So geht das bei mir und dadurch bin ich, nicht wie die meisten meiner Kollegen, bei denen die Kontrollen bloß im an ihren Wohnort angrenzenden Ausland stattfinden, in ganz Europa bzw. auch Argentinien tätig.

Ich möchte bloß antworten: »Ja, so grundsätzlich habe ich ja nichts gegen. Lass mich mal darüber nachdenken …«

Bevor ich mit dem Denken fertig bin, sitze ich schon im Flieger nach Buenos Aires – dann im Flieger denke ich mir: Wie bin ich denn da nur hineingeraten? Ich bin ja das alles nicht. Aber Du wirst sagen: Reichlich spät, diese Erkenntnis.

Also worum geht es?

Es geht um Kontrollen (manchmal sagen wir Audits) von Lebensmittelstandards privater Standardhalter. Wenn ein österreichischer Importeur albanische Bio-Himbeeren auf dem österreichischen Markt platzieren möchte, kann es sein, dass die Handelskette bei der Agroinspecta (da arbeite ich) anfragt, ob jemand nach Albanien fahren kann und die Produktion dort kontrolliert. Da fällt dann einem Fachbetreuer ein: Wir haben ja den Josef. Bevor der zum Antworten geschweige denn zum Nachdenken über Bio-Himbeeren (oder sind es Erdbeeren, ist ja egal – er wird schon draufkommen) kommt, sitzt er schon im Flieger nach Tirana.

Nun, warum schreibe ich über meine Erlebnisse? Ich könnte es ja auch erzählen.

Das kann ich nicht.

Es gibt Menschen, die haben ein Auftreten. Eine »Präsenz« nennt man das, und alle lauschen. Ich habe mehr eine »Absenz«. Ja, das gibt es. Wenn bei den Schulungen keine Anwesenheitslisten durchgereicht werden würden, müsste ich einige Schulungen mehrmals besuchen.

War der Josef eigentlich da? Wo ist denn die Anwesenheitsliste? Ah ja, da ist die Unterschrift.

Ich bin schon gut beim Geschichtenerzählen, z. B. wenn kleine Kinder in der Nacht nicht einschlafen können. Das habe bei meinem Buben, als er noch klein war, nur ich gemacht.

Jetzt ist er schon größer und interessiert sich nicht mehr für meine Einschlafgeschichten.

Es begann auf dem Rückweg der ersten »Argentinien-Kontrolltour«. Da saß ich ca. sieben Stunden in Frankfurt und wartete auf den Anschlussflug nach Wien. Überprüfte meine Kontrollberichte (ca. 80 Seiten) und fing aus Langeweile an, das in Argentinien Erlebte niederzuschreiben.

Genannt habe ich es damals »Alternativer Kontrollbericht« und mailte es ein paar Freunden innerhalb der Firma.

Der Bericht hat die Runde gemacht. Und als diesen Winter wieder eine Kontrolltour nach Argentinien notwendig war, wurde ein weiterer »Alternativer Kontrollbericht« gleich mitbestellt.

Und so ging es weiter.

Aktuell bin ich in der Covid-Zeit in Italien, trotz der Reisebeschränkungen. Irland, Slowenien, Tschechien, Polen und jetzt Italien waren die Länder bisher, neben Argentinien. Belgien, Niederlande, Frankreich, Deutschland. Griechenland und Spanien sind aus Pandemiegründen ausgeblieben. Ich bin wohl ein Herumtreiber.

In Österreich kontrolliere ich viel in der Biobranche. Immer wieder fragt man mich bezüglich Missständen, Bioschmäh usw. Es findet sich sehr wenig darüber in den folgenden Zeilen. Natürlich habe ich schon viel gesehen und nicht alles war super. Aber zu 95 % halten sich die Betriebe an den jeweils zu kontrollierenden Standard (im In- und Ausland). Auch wenn manches für den Laien oder Außenstehenden nicht in Ordnung erscheint, ist es bei näherer Betrachtung doch gut.

Was mich bisweilen aufregt, das sind die praxisfremden Vorgaben in den Richtlinien. Die wirklichen Experten sind immer noch diejenigen, die tagtäglich ihre Tiere in den Ställen betreuen, auf den Feldern stehen oder den Käse, Fruchtsaft, was auch immer, herstellen.

Gut, dass das jetzt schon raus ist (musste sein).

Aber jetzt zu dem, was nach dem ersten Mal in Argentinien geschah.

Auf Kontrollreise nach Argentinien (1. Teil)

Am 20. Dezember wird mir mitgeteilt, dass fünf Tage später (zu Weihnachten) der Flug über Frankfurt nach Buenos Aires und die darauffolgenden Tage eine Geflügelkontrolle in der Stadt Pilhar in der Pampa ca. zwei Autostunden westlich von Buenos Aires angelegt sei. Der Rückflug sei mit Ankunft zu Silvester um 23 Uhr in Wien fixiert. Auf meine Rückfrage, ob es sich um das Pilhar in der Nähe von Buenos Aires, der Hauptstadt Argentiniens, und meines Wissens zweitgrößten Stadt von Südamerika handle, wird mir das teilweise bestätigt.

Die zweitgrößte Stadt in Südamerika sei Pilar jedoch nicht. Wieso ich denn darauf komme. Ich antwortete, dass ich mit der zweitgrößten Stadt ja auch Buenos Aires meine, worauf mein Vorgesetzter meinte, dass ich das doch bitte selbst klären solle, weil darum könne er sich nicht auch noch kümmern. Was soll ich sagen, das ist eben Kommunikation in Österreich.

Nun erkläre ich Dir, was ich dort überhaupt machen sollte. Es gibt eine Handelskette, die will in ihren Produkten kein Flüssigei oder Eipulver von Hühnern aus Käfighaltung haben.

Weil ein Ei, wenn es verpulvert wird, nahezu zwei Jahre haltbar ist, werden Übermengen in der Produktion (die Hühner legen die Eier leider nicht entsprechend den Erfordernissen des freien Marktes) verpulvert und dann in alle möglichen Produkte hineingemischt. In all den Kuchen-, Torten-, Knabber- und Eiernudelprodukten ist Käfigeipulver enthalten. Weltweit leben 90 bis 95 % der Legehennen in Käfigen.

Einige Leute in dieser Handelskette scheinen mit der Diagnose »Übermotivation« gut beschrieben zu sein. Du kannst Dir sicher denken, wie glücklich die Vertreter der Geflügelbranche über derartige Vorstellungen sind, aber nichtsdestotrotz, es wird versucht, und ich bin in der Situation, weltweit Hühner und deren Haltungsform zu überprüfen, da es in unserer Firma wenig Geflügelkontrollore gibt.

Den Vorinformationen zufolge handelt es sich in Pilar um ca. 20 Geflügelställe und ein Eipulverwerk.

Von den Ställen gibt es Fotos.

Vom Aufschlagwerk gibt es etwas mehr, sogar eine Betriebsbeschreibung. Die reine Kontrollzeit bei einem einfachen Stall bei einer z.B. Tierschutz – Kontrolle beträgt üblicherweise zwei Stunden. Ist der Stall zu vermessen und neu aufzunehmen, kann man das Doppelte an Zeit rechnen.

Die Zeit werde ich wohl brauchen. Auf meine Frage, wie weit die Ställe voneinander entfernt lägen, bekam ich die Antwort: Mitunter mehr als 100 km und wir müssen eventuell die letzten 30 km in einen Geländewagen umsteigen, weil … Nun ja, ich sähe es dann schon.

Frohen Mutes mache ich mich am ersten Weihnachtsfeiertag mit den nötigen Kontrollunterlagen und den vermutlich notwendigen Dingen (Sonnenschutz, ein paar Euro, 100 Notfall-US-Dollar usw.) um 15 Uhr auf den Weg nach Wien-Schwechat. Es ist alles gut.

Eng ist’s halt im Flieger nach Frankfurt, aber zwei Stunden – das geht schon. Hinein in den nächsten »Autobus der Lüfte«. Boah, ist das eng! Nein, ich bin nicht so dick geworden. Vor 20 Jahren hatte man noch Platz.

Wo früher fünf Sitze waren, bringt man heute zehn unter, erklärt mir die Sitznachbarin, Lehrerin an der deutschen Schule in Buenos Aires. Ich fliege bei meinen Kontrolltouren eher wenig. Wenn möglich, mache ich alles mit dem Auto, auch aus dem Grund, dass es im Flugzeug immer eng ist.

Mein Gott, es sind ja eh bloß 15 Stunden Flugzeit, und Du bist ja noch jung – bald 51 (an Jahren). Die 15 Stunden gehen vorüber ohne nennenswerte Vorkommnisse. Die Gedanken und Gefühle in dieser Zeit können bei Gott als nicht nennenswert bezeichnet werden.

Irgendwann kommt Buenos Aires, die Suche nach dem Fahrer und die Fahrt ins Hotel. Zwei Stunden erholen, duschen, Kaffee trinken. Das Hotel ist ein »5-Sterne-Ding« im Zentrum von Buenos Aires. Hier bin ich zum ersten Mal in meinem Leben. Als »Berglerbub« aus der SO-Steiermark bin ich sowas nicht wirklich gewohnt.

Wenn Du nicht weißt, was ein »Berglerbub« ist, lies es bitte nicht beim Heimatdichter aus Riegersburg nach.

Die alten Nazis und deren Verlage wollen wir nicht fördern. Frag mich oder ein paar alte Bauern oder »Bergler«.

Um 13 Uhr werde ich abgeholt und ins Aufschlagwerk gefahren.

Es folgt das Kennenlernen von Veronica und Juan. Das sind die ersten Menschen außer der Concierge, welche Englisch sprechen. Gut, wir besprechen die Vorgehensweise und besuchen zwei Standorte.

Beim ersten, Los Cardales, gibt es drei Bodenhaltungsställe und sechs mit Käfighaltung; die für den Standard kompatiblen sind leer. Die Käfighaltung wird im kommenden Jahr beendet werden. Gut, kommt so in den Bericht. Beim zweiten Standort, Capilla del Senor, sind es vier Stallungen. Überall Hennen. Es hat 39 Grad. Ein ziemlicher Sprung von den Minusgraden daheim. Und wie lange habe ich schon nicht geschlafen? Zu dem Zeitpunkt waren es 30 Stunden.

Wurscht, sage ich mir, bin ja noch jung. Hinein in die Ställe und vermessen. Grundsätzlich gut. Gute Luft. Kein Überbesatz. Was ist denn das? Nur Hühnerscheiße in den Futtertrögen. In einer Reihe ca. 120 Rundfutterautomaten ohne Futter.

Ok, der Motor für die Futteranlieferung ist am Vortag eingegangen. Es gab ein Gewitter. Da sollte man eventuell manuell die Becher befüllen, bis der Motor repariert ist. Vor allem habt ihr heute Kontrolle! Noch was: Die Eier werden nicht geprintet. Es gibt eine Ausnahme, nämlich wenn sie bepinselt werden. Und wo ist die Farbe? Nun die ist ausgegangen.

Es wird ein bisschen verspannt, das Ganze.

Das trifft sich aber gut beim Audit. Ja, ist blöd.

Ok, wir haben zwei gröbere Mängel.

Aber die Hühner sind schön. Es gibt wenige Tiere pro Quadratmeter. Gefühlt würde ich sagen, fünf bis sechs Tiere pro Quadratmeter. In der Biohaltung sind sogar sechs oder sieben erlaubt, je nach Auslegung.

Wenn Du es wissen willst: In Österreich sieben Hennen pro m2, in der restlichen EU sechs, denn wir sind ja so streng in Österreich (oder bloß streng mit den Hühnern). Die im Ausland dürfen nämlich alles (sagen ja alle).

Und in Argentinien. Eine gute Stalleinrichtung, alles Einzellegenester und auch davon mehr als genug, weil kaum Eier am Boden liegen.

Beim Berechnen des genauen Stallbesatzes waren es nicht mal fünf Tiere pro m2. Den Tieren geht es gut. Es ist Abend. Wir fahren zurück.

Wir reden übers Geschäft, über die Branche, über die Agrarpolitik, über Argentinien, die spezielle Kultur hier. Wir reden über den Tango, die Bingohallen, über Gabriela Sabatini – ist untergetaucht und vermutlich lesbisch. Über Maradona – nein, über den reden wir nicht, über Mercedes Sosa, Leon Gieco, Pablo Milanes, Astor Piazzolla, Jorge Luis Borges … Der Austriaco (bin kein Gringo!!) kennt »La Voz America Latina« und ja, das mit den Malvinas weiß er auch und vieles mehr.

Dann reicht es Juan: »Wenn Dich das alles so interessiert, warum hängst Du nicht ein paar Tage an für Vacaciones, che?«

»Du bist gut, das war mit dem Eipulverimporteur nach Austria nicht koordinierbar. Ich hätte für den Rückflug um die 1300 Euro aus eigener Tasche aufbringen müssen.« Juan meint (sinngemäß): »So ein Blödsinn.« Er schaut sich das an.

Aber der Tag ist noch nicht zu Ende. Jetzt machen wir noch Abendessen. Juan zeigt mir vorher noch den Rio de la Plata.

Nun bin ich zum ersten Mal froh, hier zu sein. Es ist nicht das einzige Mal.

Die argentinischen Steaks sind die besten der Welt. Was die charakterlichen Stärken von Juan betrifft, kann man sagen, dass er mehr auf der lebensbejahenden Seite steht. Er erzählt mir von seiner Arbeit, seinen Verhandlungen mit den Russen, den Japanern und Chinesen.

Er meint, dass ich ihn zwar nicht beim Essen, aber beim Trinken an die Russen erinnere. Ich erkläre ihm, dass die Freiheit Österreichs nach dem Zweiten Weltkrieg ausschließlich auf die Trinkfestigkeit einer unserer damaligen Außenpolitiker zurückzuführen sei. (Vor kurzem las ich, dass es eine Initiative gäbe, welche ihn vom Papst heiligsprechen lassen will).