Reisen in die Vergangenheit von Hessisch Oldendorf - Georg Schwedt - E-Book

Reisen in die Vergangenheit von Hessisch Oldendorf E-Book

Georg Schwedt

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Beschreibung

Ausgewählte Themen aus der Geschichte der Stadt Hessisch Oldendorf an der Weser werden anhand von zwei Merian-Kupferstichen - der Stadtansicht von 1647 und der Schlacht bei Oldendorf 1633 - als Anregung für eine Spurensuche und zu einer Reise in die Vergangenheit der im 13. Jahrhundert in der Grafschaft Schaumburg gegründeten Stadt ausführlich dargestellt.

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Vorwort

Die topographischen Ansichten der Kupferstecher-Familie MERIAN aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts sind durch Werbeprospekte, Ortschroniken, gedruckte Briefkarten und als Reproduktionen auch heute noch weit verbreitet. Sie vermitteln dem historisch Interessierten wertvolle bildhafte Dokumente zur Geschichte von Städten und Regionen.

Der Autor dieses Buches ist in Oldendorf an der Weser geboren und aufgewachsen. Schon während meiner Volksschul- und Gymnasialzeit in Oldendorf bzw. Rinteln habe ich mich, angeregt durch meinen Lehrer Bruno Wanke und die Ortschronik von Friedrich Kölling, mit der Geschichte der Stadt und der Region beschäftigt. Obwohl mich mein Beruf nicht in die Geschichtswissenschaft führte, so habe ich als Buchautor doch auch einige historische Werke verfasst, die mich wieder zu Merians Kupferstichen zurückführten.

Und so entstand auch dieses Buch als eine Reise in die Vergangenheit von Hessisch Oldendorf, als eine Spurensuche von den Wällen der mittelalterlichen Stadtbefestigung ausgehend und begehbar, wo ich in der Mittelstraße aufwuchs, bis zu erhaltenen Gebäuden wie der Kirche St. Marien, in der ich getauft und konfirmiert wurde, und dem Münchhausen-Herrenhaus, das mich als Bau der Weserrenaissance immer besonders interessierte. Dabei fand ich auch eine mir bisher nicht bekannte Spur meiner Familie, deren erforschte Chronik nur bis zu den Vorfahren in Schwerin reicht: 1801 kam mein direkter Vorfahr Jakob Wilhelm David Schwedt (geb. 1778) als Schuhmacher nach Oldendorf; aber schon 1563 wird als letzter Vikar der Familienstiftung von Büschen ein Gerdt Schwedt in Oldendorf genannt.

Mit Hilfe der bisher veröffentlichten Literatur – von Friedrich Köllings Arbeiten bis zu Einzelveröffentlichungen in den Berichten des Heimatbundes Hessisch Oldendorf – habe ich in zehn Kapiteln ausgewählte Themen aus der Geschichte der Stadt anhand von zwei Merian-Kupferstichen, dem Stadtbild von 1647 und der Darstellung der Schlacht bei Oldendorf von 1633, als Anregung für eine Spurensuche am Ort und zu einer Reise in die Vergangenheit vorgestellt.

Prof. Dr. Georg Schwedt Seesen am Harz im Mai 2000

Inhalt

Über die Entstehung der Merian-Kupferstiche zu Oldendorf

Die Schaumburg auf dem Nesselberg

Zur Gründungsgeschichte und Entwicklung der Stadt bis zum Dreißigjährigen Krieg

Die Brücken über die beiden Weserarme

Die Befestigungen der Stadt

Die Stadtkirche St. Marien und die Totenkirche zum Heiligen Kreuz

Das Augustinerinnen-Kloster Mariastede

Die Burgmannshöfe an der Südstraße

Das Münchhausen-Herrenhaus

Das Bild der Stadt zur Zeit der Schlacht 1633

Das Gymnasium und die Anfänge der Stadtschule

Literaturverzeichnis

1. Über die Entstehung der Merian-Kupferstiche zu Oldendorf

Die Künstlerfamilie Merian

Der Stammvater der Künstlerfamilie Merian, von denen bis in unsere Zeit vor allem Matthäus – Vater und Sohn – sowie Maria Sybilla bekannt sind, war Matthäus der Ältere. Er wurde am 22. September 1593 als Sohn eines wohlhabenden Ratsherrn in Basel geboren. Aufgrund seiner künstlerischen Neigungen und Begabung absolvierte er von 1609 bis 1613 eine Lehre bei dem damals bekannten Züricher Radierer Dietrich Meyer.

Matthäus Merian erwarb sich bereits in jungen Jahren den Ruf eines selbständig arbeitenden Künstlers. Aus Nancy erhielt er 1613 den Auftrag, den Leichenzug des Herzogs Heinrich II. von Lothringen in Kupfer zu stechen. Dort lernte er den französischen Kupferstecher Jacques Callot (1592-1635) kennen, der vor allem durch seine Radierungen „Misères de la guerre“ (1633/35 in zwei Folgen) berühmt wurde, welche die Greuel der Hugenottenkriege (von 1562 bis 1589) darstellen. Matthäus Merian wandte sich dann nach Paris, wo er einige Zeit mit offensichtlich großem künstlerischem und wirtschaftlichem Erfolg tätig war. Weitere Studienreisen führten ihn über Augsburg, Stuttgart und die Niederlande nach Frankfurt am Main. Ende 1616 lernte er dort den Verleger, Buchhändler und Kupferstecher Johann Theodor de Bry (1561-1623) aus Oppenheim kennen, der Merian für sein Unternehmen gewann. Merians Pläne, auch Italien zu besuchen, verhinderte die schöne Tochter de Brys, Maria Magdalena, die Merian am 17. Februar 1617 in Oppenheim heiratete. Mit ihr kehrte er 1620 zunächst nach Basel zurück. In dieser Zeit entstanden Ansichten von Heidelberg, Stuttgart und vom Badeort Schwalbach, die er als Radierungen herausgab, ebenso historische Folgen über die Taten Alexander des Großen, des Römers Scipio Africanus und Kaiser Karls des V. (1500-1558). Der Tod seines Schwiegervaters de Bry führte ihn 1625 nach Frankfurt zurück, wo er den Filialbetrieb seiner Schwiegermutter übernahm.

1625 bis 1627 entstand hier die reich illustrierte „Biblia sacra“ – heute Merian-Bilderbibel genannt. Die auf den vielen Reisen, zu Besuch von Jahrmärkten z. B. in Dresden, nach Basel und Prag, angefertigten Zeichnungen setzte er in Radierungen und Kupferstiche um: So entstanden seine Ansichten von Städten und Burgen. Mitten im Dreißigjährigen Krieg gab Merian ab 1635 das „Theatrum Europaeum“ heraus, ein Bilddokument der aktuellen Zeitgeschichte. Ab 1642 erschien die bis heute bekannte und berühmte „Topographia“ in Zusammenarbeit mit Martin Zeiller aus Ulm, der die Texte dazu schrieb. Die Topographia enthält mehr als 2000 Kupferstiche von Stadtansichten und –plänen, ein einzigartiges Dokument zur Erforschung der Architektur, aber auch der Geschichte von Städten und ganzen Regionen. Seine letzten Jahre verbrachte Merian in Bad Schwalbach im Taunus, wo er am 19. Juni 1650 gestorben ist. Sein Grab befindet sich in Frankfurt.

Seine Söhne Matthäus der Jüngere (geboren in Basel 1621, gestorben 1687) und Caspar (geboren 1627, Jahr des Todes unbekannt) setzten sein Werk fort. Schließlich ist aus der Familie Merian noch die Tochter Maria Sybilla zu nennen, die aus Matthäus Merians des Älteren zweiter Ehe mit Johanna Sibylla Heiny (nach dem Tod seiner ersten Frau Maria Magdalena 1645) stammt. Sie ist bis heute als deutsche Malerin und Naturforscherin bekannt. Am 2. April 1647 wurde sie in Frankfurt geboren. Sie starb am 13. Januar 1717 in Amsterdam. 1699 bis 1701 arbeitete sie im Auftrag der holländischen Regierung im südamerikanischen Surinam. Sie verfasste Bücher mit kolorierten Stichen über die Insekten Surinams, zur Botanik und über „Der Raupen wunderbare Verwandlung und sonderbahre Blumen-Nahrung“ (zwei Bände: 1679 und 1683).

Die Merian-Kupferstiche zu Oldendorf

Als Verleger gab Merian von 1629 bis 1634 eine Weltgeschichte von Johann Ludwig Gottfried mit zahlreichen Kupfern heraus. Als Fortsetzung dieses erfolgreichen, zunächst in Heften erschienenen Werkes (fünf Foliobände bis 1743) versuchte sich Merian an einem weiteren großen Unternehmen in der zeitgenössischen Geschichte – einer chronologischen Darstellung der aktuellen deutschen und europäischen Geschichte von 1629 bis zunächst 1633, zu der Johann Philipp Abelin (1600-1634), ein Historiker aus Straßburg, der seit 1625 in Frankfurt lebte, die Texte schrieb. Die zeitliche Lücke zwischen Gottfrieds Weltchronik und dem Beginn des neuen Werkes (1618 bis 1629) schloss Merian 1635 und nannte das bis zu seinem Tod in fünf Bänden vorliegende Werk Theatrum Europaeum – der 21. und letzte Band erschien 1738.

Dazu schrieb der Merian-Kenner Lucas Heinrich Wüthrich (1993): „Der historische Quellenwert des Theatrums ist umstritten. Es gibt aber keine gleich ausführliche, zusammenhängend vorgetragene zeitgenössische Geschichte über das 17. Jahrhundert aus deutschprotestantischer Sicht. Die zehn verschiedenen Autoren leisteten unterschiedliche Arbeit. Die beiden ersten Bände von Abelin, die den Zeitraum vom Beginn des Dreißigjährigen Kriegs bis zum Eingreifen Schwedens abdecken, werden nicht nur wegen Merians Bildtafeln, sondern auch wegen des Textes geschätzt. [...] Insgesamt 40 signierende Stecher beteiligten sich an der Herstellung der Kupferplatten. 30 Ingenieure und Zeichner gaben sich als Lieferanten von Bildvorlagen zu erkennen, eine wohl viel größere Zahl von ihnen blieb anonym.

Das verlegerische Mammutunternehmen des Theatrum wurde von Merians eigentlichem Hauptwerk, der Topographia, sowohl in bezug auf die Anzahl der Bände als auch der Kupfertafeln in den Schatten gestellt. [...] Die gemeinhin unter dem Titel Topographia Germaniae laufenden Folianten über das Deutsche Reich wurden zum eigentlichen Städteinventar Deutschlands und erwiesen sich schon zu Merians Lebzeiten als durchschlagender buchhändlerischer Erfolg. Bis in unsere Gegenwart denkt man bei alten Städtebildern, die den Zustand vor den Zerstörungen des Dreißigjährigen Kriegs dokumentieren, zuerst an Merians Kupferbilder.“

In beiden Werken Merians ist auch die Stadt Oldendorf vertreten. Der 3. Band des Theatrums Europaeum (erschienen 1644) enthält „zwey Kupffer“ zur „Schlacht bey Oldendorp“ – der Seite 85 des Folianten folgend, wie die „Anleytung vor den Buchbinder/wohin die beygelegte Kupfferstück gebunden werden sollen.“ ausweist. Hier wird Oldendorp aus der Vogelperspektive dargestellt.

1647 erschien als 10. Band der Topographia Germaniae die „Topographia Westphaliae“ – und in ihr befindet sich der zweite Kupferstich von Oldendorff. Als Reprint wurde dieser Band in der 4. Auflage noch 1984 wieder aufgelegt. In der einleitenden „Beschreibung der vornehmbsten und bekandtesten Stätte und Plätze in dem hochlöblichen Westphälischen Craisse“ werden unter den Territorien der Bischöfe, der Grafen und Herren sowie der Städte auch die Graffen und Herren von Schawenburg aufgeführt. Die Kupfertafeln dieses Bandes stammen mehrheitlich von Caspar Merian.

Vergleicht man die beiden perspektivisch unterschiedlichen Darstellungen, so fallen einige Unterschiede im Detail auf.

Die Brücke über den nördlichen Weserarm – hier bereits als Alte Weser bezeichnet – fehlt im Theatrum Europaeum (s. Kap. 3). Auch weist das Kirchenschiff von St. Marien die falsche Ausrichtung auf (Nord-Süd anstatt Ost-West). Die Darstellungen des Wehr- (Kirch)turms dagegen stimmen auf beiden Merianstichen gut überein. Das Herrenhaus der Familie von Münchhausen entspricht im Theatrum Europaeum nicht dem tatsächlichen Renaissancebau. Offensichtlich richtig wiedergegeben ist aus der Vogelschau aber der Verlauf der Langen Straße, des alten Heer- oder Hellwegs (s. Kap. 2 und 4) und der Grundriss (Kap. 4).

Zur „Bilddarstellung der Schlacht“ hat F. Kölling folgendes festgestellt: „Als Grundlage des Stiches diente eine Handzeichnung, die sich im Königl. Kriegsarchiv in Stockholm (Sveriges krig Oldendorf 1633, Slaget nr 1) befindet. Diese Zeichnung wurde von einem Teilnehmer der Schlacht, dem schwedischen Ingenieuroffizier David Portin, entworfen. Die Geländedarstellung und die Schlachtordnungen stimmen auf beiden Zeichnungen genau überein. [...] David Portin kannte als Teilnehmer das Gelände und hatte Einsichten in die Akten des Generals von Merode genommen. Seine Handzeichnung ist daher als erstrangige Quelle anzusehen...“

Über die Entstehung des Stiches von Oldendorf in der Topographia lassen sich keine genauen Angaben machen, im Unterschied zur Topographie der Herzogtums Braunschweig (s. dazu die Bücher des Autors über Seesen und über den Harz im Literaturverzeichnis). Auch der Text dazu ist sehr kurz. Er lautet im Original:

Oldendorff/Oldendorp/

Vom Cyriaco Spangenberg/ in der Schawenburgischen Chronic/ unnd auff Sächsisch; von Theils auch Aldendorff genannt/ ligt an der Weser/ zwischen Hameln/ unnd Rentelen/ in der Graffschafft Schawenburg/ allda ein Zoll ist: Und welches Stättlein/ Anno 1633. Im Junio/ wider die Keyserische/ beschützet worden; daselben auch darauff/ den 28. Junij/ das gewaltige Treffen fürgangen/ in welchem die Schwedischen das Feld erhalten haben. Aber Anno 1639. Im Octobri/ ist solches Stättlein Oldendorff/ von den Keyserischen außgeplündert worden.

Der Autor dieses Textes, der Ulmer Historiker Martin Zeiller (1589-1661) hat als Quelle ein Werk des lutherischen Theologen Cyriacus Spangenberg, geb. am 7. Juni 1528 in Nordhausen, gest. am 10. Februar 1604 in Straßburg, benutzt, so weit es Namen und Lage der Stadt betreffen. Die genannte Chronik ist mit weiteren 254 Werken Spangenbergs in der bedeutenden und berühmten Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel vorhanden. Spangenberg studierte ab 1542 u. a. bei Luther und Melanchthon Theologie in Wittenberg, erwarb dort 1550 den Titel eines Magisters und wurde dann Prediger in Eisleben. 1559 erhielt er das Generaldekanat der Grafschaft Mansfeld, über die er auch eine Chronik schrieb (Mansfeldische Chronik, Eisleben 1572) und welche er zu einer sächsischen Chronik erweiterte (Frankfurt 1583).

Das von Spangenberg handschriftlich hinterlassene Werk Chronicon, in welchem der hochgebornen uhralten Graffen zu Holstein, Schaumburgk, Sternberg und Gehmen ankunfft, wie sie Graffschafften bekommen, wie lange sie die, auch das Hertzogthumb Schleszwich innegehabt ... auch nahmen herkommen, genealogia ... aller Graffen leben, Friedes und Kriegshandlung Thaten denkwirige geschichte derselben Stifte Schlösser Stedte Flecken und Bergwerck aus bewerten und glaubwürdigen Scribenten Briefflichen Urkunde und von aletsr hero Zusammen gezogenen bericht gründt(lich) und deutlich beschrieben Durch M. CYRIACUM Spangenberg.