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Am Vorabend der Staatsgründung des modernen Griechenlands unternahm Urquhart eine längere Reise, die ihn von der Peloponnes über Makedonien in das heutige Albanien führte. Offiziell war er als Privatmann unterwegs, inoffiziell jedoch statte er regelmäßig Berichte nach London über die politische Situation und die sozialen Verhältnisse im Land ab, da England nicht an einer massiven Schwächung des osmanischen Staates und an einem weiteren Vordringen Russlands im Orient interessiert war. Insbesondere die russischen Aktivitäten im heutigen Nordgriechenland beobachtete man in England mit großer Sorge. Sein Tagebuch über seine Reise des Jahres 1830 veröffentliche David Urquhart im Jahr 1838 unter dem englischen Titel The Spirit of the East (dt. Der Geiste des Orients). Eine deutsche Übersetzung erschien bereits im selben Jahr, was die große Bedeutung Urquharts als Politiker und Literat in seiner Zeit unterstreicht. In dem ganzen Bericht scheint seine Skepsis gegenüber dem neuen Griechentum durch, das seiner Meinung nach mit dem der Antike nicht mehr viel zu tun habe. Überall begegnet man schlechtem Benehmen, Betrügereien und Überfällen der allgegenwärtigen "Klephthen", also räuberischer Diebesbanden, während man in dem türkisch dominierten Norden weit sicherer unterwegs wäre, da dort noch eine staatliche Ordnung existiere. Auch seien die Menschen dort, vor allem natürlich in den größeren Städten, angenehmer und weit gebildeter als im griechischen Süden. Bereits die englische Originalausgabe erschien in zwei Bänden. Die ursprüngliche Aufteilung wird in dieser Neuausgabe beibehalten. Der erste Band reicht von der Peloponnes bis zum Berg Olymp in Mittelgriechenland, behandelt also jenes Gebiet, in dem sich der größte Teil des neugriechischen Staates bis zum Ende des Ersten Weltkriegs befand.
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Seitenzahl: 564
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Dr. Lars Hoffmann, Studium der Evangelischen Theologie in Erlangen und Münster sowie der Byzantinistik, der Geschichte und der Gräzistik in Münster und Wien. Ab 1988 Mitarbeiter am Projekt »Lexikon der Byzantinischen Gräzität« der Österreichischen Akademie der Wissenschaften sowie zusätzlich ab 1990 Mitarbeiter bei der Neuausgabe der Predigten des Gregor von Nazianz für das Corpus Christianorum. Seit 1996 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Mainz. Seit 2001 Sekretär der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Byzantinische Studien.
Zum Buch
1830 am Vorabend der Staatsgründung des modernen Griechenlands unternahm David Urquhart eine Reise, die ihn vom Peloponnes über Makedonien in das heutige Albanien führte. Das Tagebuch über seine Reise veröffentlichte Urquhart 1838. In dem ganzen Bericht scheint seine Skepsis gegenüber dem neuen Griechentum durch, das seiner Meinung nach mit dem der Antike nicht mehr viel zu tun hat.
Der hier vorliegende erste Band reicht vom Peloponnes bis zum Berg Olymp in Mittelgriechenland, behandelt also jenes Gebiet, in dem sich der größte Teil des neugriechischen Staates bis zum Ende des Ersten Weltkrieges befand.
Eine der zugleich faszinierendsten wie auch zwielichtigsten Gestalten aus der großen Gruppe der europäischen Reisenden des 19. Jahrhunderts ist der Schotte David Urquhart (1805-1877), der viele Jahre seines Lebens fern der Heimat verbrachte. Er wurde im Jahr 1805 auf dem schottischen Braelangwell Castle unweit der Stadt Inverness geboren, das seine Familie im Jahr 1790 neu hatte errichten lassen. Die schulische Ausbildung erhielt er in der Schweiz, in Frankreich und in Spanien. Nach seiner Rückkehr in die Heimat ließ er sich zunächst zum Agronomen ausbilden, bevor er zum Studium der Altertumswissenschaften an das St. John’s College in Cambridge wechselte.
Wie zahlreiche seiner Zeitgenossen, war auch David Urquhart vom griechischen Unabhängigkeitskampf begeistert. Deswegen ging er 1827 mit dem in Großbritannien in Ungnade gefallenen Admiral Thomas Cochrane in den Orient, der dort eine griechische Flotte aufzubauen versuchte. Allerdings scheiterte er mit diesem Unternehmen an der Disziplinlosigkeit und den mangelnden militärischen Fähigkeiten der Griechen. David Urquhart sollte jedoch für die kommenden zehn Jahre im Orient bleiben und entwickelte in dieser Zeit seine große Sympathie für die osmanischtürkische Kultur und Lebensweise.
ALTE ABENTEUERLICHE REISEBERICHTE
David Urquhart (1805 - 1877)
David Urquhart
REISEN UNTEROSMANEN UNDGRIECHEN
Vom Peloponnes zum Olympin einer ereignisreichen Zeit
um 1830
Herausgegeben und eingeleitetvon Lars Martin Hoffmann
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Copyright © by marixverlag GmbH, Wiesbaden 2013
Der Text basiert auf der Ausgabe Edition Erdmann, Wiesbaden 2008
Redaktionelle Mitarbeit: Gudrun Kolb-Rothermel, Lenningen
Covergestaltung: Nele Schütz Design, München
Bildnachweis: Bild-Collage Nele Schütz Design
u. Verw. e. Gemäldes v. Martinus Rorb
eBook-Bearbeitung: Bookwire GmbH, Frankfurt am Main
ISBN: 978-3-8438-0351-9
www.marixverlag.de
VORWORT DES HERAUSGEBERS
EINLEITUNG
ERSTES KAPITEL
ZWEITES KAPITEL: Zustand des griechischen Landvolks im Jahr 1830 – Militärische und politische Wichtigkeit der Bucht von Korinth – Vorfall im Befreiungskrieg – Seegefecht in der Bay von Salona
DRITTES KAPITEL: Patras – Türkische und griechische Flaggen
VIERTES KAPITEL: Das westliche Griechenland – Griechische Meinungen vom Herzog von Wellington – Messolonghi – Das Füllhorn – Schlacht von Lepanto
FÜNFTES KAPITEL: Anatolikó – Trigardon – Moor von Lezini – Schwimmen nach einem Kloster – Senkung der Küste von Akarnanien und Epirus
SECHSTES KAPITEL: Europäische Politik und türkisches Verfahren – Vergleichung der türkischen und römischen Eroberung – Von den Türken eingeführte Verwaltung
SIEBTES KAPITEL: Flüchtlinge im See von Vrachóri – Altertümliche Forschungen und Unfälle – Einfluss des Schießpulvers auf Regierungen und Völker – Kultur und Trümmer von Alyzea – Eine malerische Szene
ACHTES KAPITEL: Veränderungen unter den Palikaren – Die Vlachen, Hirten, Soldaten – Pouqueville’s Irrtümer – Festlichkeiten auf dem Makronoros – Eberjagd – Ankunft in Albanien
NEUNTES KAPITEL: Das Protokoll
ZEHNTES KAPITEL: Die drei Kommissarien – Abreise von Preveza – Aussicht auf Zerrüttung in Albanien – Die Ebene von Arta
ELFTES KAPITEL: Politische, gesellschaftliche und diplomatische Erörterungen mit einem Gouverneur, einem Edelmann und einem Kadi
ZWÖLFTES KAPITEL: Stand der Parteien, Einleitungen zur Eröffnung des Feldzugs
DREIZEHNTES KAPITEL: Stadt Arta – Abreise nach und Ankunft in Jannena – Zustand des Landes – Weibliche Tracht und Schönheit – Häuslicher Gewerbfleiß – Verteilung der Truppen – Plötzlicher Schrecken und Zurüstungen zu einem Feldzuge
VIERZEHNTES KAPITEL: Skipetaren – Zug nach dem Pindos
FÜNFZEHNTES KAPITEL: Zusammentreffen der Lager – Konferenz zwischen den Anführern – Neue Besorgnisse
SECHZEHNTES KAPITEL: Eindrücke, die das Skipetarenlager auf uns machte – Frühere Lage und zukünftige Aussichten Albaniens – Vergleichende Charakterzüge des Aufstandes in der Türkei und in Europa
SIEBZEHNTES KAPITEL: Abreise aus dem Lager – Abenteuer auf dem Pindos – Aufwinden in ein Kloster – Meteora – Entdeckung seltsamer Intrigen – Der radikale Gouverneur von Trikala – Ankunft in Lárissa
ACHTZEHNTES KAPITEL: Thessalien
NEUNZEHNTES KAPITEL: Aufnahme der albanesischen Beys aus Monastir
ZWANZIGSTES KAPITEL: Ausflüge in Thessalien – Politische Stellung Englands – Abenteuer in Thermopylä – Feld von Pharsalia – Ver fassung und Wohlstand der Städter in Magnesia – Túrnovo – Einführung der Künste aus Kleinasien – Geschichte Turkhan Beys
EINUNDZWANZIGSTES KAPITEL: Ein Rückblick – Mohammed IV. und seine Zeiten – Diplomatischer Verkehr – Gegenseitiges National-Unrecht – Dragomans im Orient – Handelsbe schränkungen im Abendlande
ZWEIUNDZWANZIGSTES KAPITEL: Geselliger Verkehr mit den Türken
DREIUNDZWANZIGSTES KAPITEL: Eigentümlichkeiten eines orientalischen und eines antiken Zimmers – Erscheinen eines Europäers in morgenländischer Gesellschaft
VIERUNDZWANZIGSTES KAPITEL: Streifereien auf dem Olymp und Ersteigen des Gipfels
FÜNFUNZWANZIGSTES KAPITEL: Gerichtsverwaltung und auswärtige Angelegenheiten eines Bergräuber-Königs – Organische Überreste des trojanischen Krieges
Vom ausgehenden 17. Jahrhundert an gehörten Reiseberichte zu den meistgelesenen Werken in der schönen Literatur. Verglichen mit den Büchern unserer Tage, hätte so manche Publikation ihren Weg in die heute verbreiteten Bestsellerlisten gefunden - und dort auch, wie ein moderner Roman, einen Platz für längere Zeit gehalten. Um so mehr galt dies natürlich für Berichte, die Auskunft über Länder und Menschen gaben, an deren Schicksal halb Europa Anteil nahm. Ein sehr gutes Beispiel dafür ist das Osmanische Reich, das nicht zuletzt durch den Einfluss der europäischen Großmächte aus den Fugen zu geraten schien. Insbesondere an den Rändern dieses riesigen Reichs, das in seiner größten Ausdehnung das Römische um ein Vielfaches übertroffen hatte, entstanden oft aus einer Unzufriedenheit mit den allgemeinen politischen Verhältnissen heraus Unabhängigkeitsbewegungen - so auch im Gebiet des modernen Griechenlands. In Mittel- und Westeuropa nahm man daran großen Anteil. Zum einen verband man das neue Griechentum jener Zeit mit der klassischen Antike, für deren Ideale man sich insbesondere seit der Französischen Revolution wieder neu begeistert hatte, zum anderen hielt man in den eigenen Ländern den Begriff der politisch-bürgerlichen Freiheit hoch, die man nunmehr auch auf andere Weltgegenden übertrug. Überall in Europa entstanden daher die sogenannten Philhellenischen Gesellschaften und Vereine, deren Ziel es war, den Griechen zu einem eigenen Staat zu verhelfen. Vor diesem Hintergrund waren Reiseberichte aus dem westlichen Osmanischen Reich und den griechischen Territorien hochgeschätzt - und verschafften Verlegern wie auch Buchhändlern steigende Umsätze.
Natürlich setzte sich der osmanische Staat gegen eine solche mögliche Verkleinerung seines Territoriums zur Wehr, ein Staat freilich, der einen tiefen inneren Wandel durchmachte und der von den europäischen Großmächten des frühen 19. Jahrhunderts intensiv beobachtet wurde. Das waren in erster Linie Russland, Frankreich und England, während sich Österreich, das Interessen in erster Linie auf dem Balkan wahrnahm, aus dem sich abzeichnenden internationalen Konflikt zunächst noch heraushielt. Die Positionen waren klar. Frankreich unterstützte den Unabhängigkeitskampf der Griechen auf eigene Rechnung, um damit den Einfluss der Osmanen im Mittelmeerraum zu mindern und engagierte sich eher im südlichen Griechenland. Russland, das ja auch im Kaukasus gemeinsame Grenzen mit den Osmanen hatte, strebte eher die Errichtung eines panslavischen Staates unter seiner Führung an, womit man an das alte Byzantinische Reich und die eigene Tradition des sogenannten Dritten Roms anknüpfte. Man hätte auf diese Weise eine große orthodoxe Region unter Einschluss von Rumänien, Bulgarien und Serbien aufbauen können. England dagegen stand trotz eines Lord Byron, der für Griechenland fiel, solchen Ideen skeptisch gegenüber, da man einen Zuwachs der französischen und russischen Macht zu Lasten der eigenen Interessen befürchtete. Von daher unterstützte man mal die eine, mal die andere Seite, um sich unter dem Deckmantel einer scheinbaren politischen Neutralität den türkischen Sultan gewogen zu halten und eher dafür einzutreten, dass man wohl einen kleinen, innenpolitisch autonomen griechischen Staat schafft, ohne dass dabei die Osmanen entscheidend geschwächt und der russische Einfluss in Europa zu sehr gestärkt worden wäre. So hätte man in London keinesfalls darunter gelitten, hätte sich an den politischen Konstellationen nichts geändert und wäre alles beim Alten geblieben.
Deswegen verwundert es kaum, dass am Ende der 20er-Jahre des 19. Jahrhunderts, nachdem die heftigsten Kämpfe zwischen Türken und Griechen abgeflaut waren und man - ähnlich wie heute im Kosovo - nnnach einer diplomatische Lösung suchte, zahlreiche Reisende in dem zum Teil stark zerstörten Land unterwegs waren. Zu ihnen gehörte David Urquhart, ein bekennender Freund der Osmanen, von dem aber nicht ganz klar ist, welche Zwecke er eigentlich mit seiner Reise verfolgte.
Urquhart wurde 1805 auf Braelangwell Castle unweit der schottischen Stadt Inverness geboren. Er besuchte Internate in der Schweiz, in Frankreich und in Spanien, um nach seiner Rückkehr am St. John’s College in Cambridge Altertumskunde zu studieren. Während dieser Zeit starb sein Vater, was dazu führte, dass er sein Studium abbrechen und sich um den elterlichen Besitz kümmern musste. Im Jahr 1827 jedoch ging er zusammen mit Admiral Thomas Cochrane, der aus dem Dienst der englischen Flotte entlassen worden war, nach Griechenland, um an dem dortigen Unabhängigkeitskampf teilzunehmen. Ob nun auf Anforderung oder nicht, jedenfalls berichtete Urquhart der britischen Regierung regelmäßig über die Kämpfe, die bis zum Jahr 1829 zur Ruhe gekommen waren und in deren Verlauf die südlichen Teile des modernen Griechenlands hatten befreit werden können. Nach dem sogenannten Juli-Traktat des Jahres 1830, das in London beschlossen worden war, sollten die Griechen jedoch einige der von ihnen eroberten Gebiete wieder räumen, was auf breiten Widerstand in der griechischsprachigen Bevölkerung stieß. Unumstritten waren Attika, die südlichen Teile Thessaliens und auch der Peloponnes. Das mittelgriechische Bergland hingegen, das nördlich einer Linie von Preveza bzw. Arta nach Volos lag, sollte im Osmanischen Reich verbleiben. Urquharts ursprünglicher Plan war es, bereits 1829 nach dem Ende der Kämpfe wieder nach London zurückzukehren. Aus seinem Bericht geht nun nicht eindeutig hervor, warum er in Griechenland blieb und seine mehrmonatige Reise auf sich nahm, die ihn zunächst nach Arta und Jannena und dann in etwa entlang der neu vereinbarten Demarkationslinie nach Thessalien und weiter in den Norden brachte. Vieles spricht dafür, dass er ein Doppelleben führte. Denn zum einen war er als Reisender unterwegs, der sich für Landschaften, geologische Formationen, Altertümer sowie für Sitten und Gebräuche interessierte, zum anderen fällt auf, dass ihm auf den Wegen, die er ging, eine Spur des Todes und der Verwüstung folgte. In Nordgriechenland hatten nämlich verschiedene albanische Gruppen die Gelegenheit genutzt, ihren eigenen Einfluss geltend zu machen, und je nach politischer Lage für die Griechen oder für die Türken gekämpft. Eines ihrer Zentren war die Gebirgsregion nördlich von Jannena, wo wenige Jahre zuvor der albanischstämmige Ali Pascha ein eigenständiges Herrschaftsgebiet errichtet hatte, das die Osmanen nur mühsam hatten zurückgewinnen können. Urquhart besuchte nun Jannena, das bald darauf ein weiteres Mal vom türkischen Heer zerstört wurde. Daraufhin traf er sich im Pindos-Gebirge mit den beiden wichtigsten albanischen Stammesführern, die nicht allzu viel später mitsamt ihren Einheiten regelrecht abgeschlachtet wurden - weil ihre Gegner entscheidende Informationen über deren Stärke und Vorgehensweise besaßen. Dabei hatte Urquhart die Gastfreundschaft beider genossen - nachdem er sich ihnen zuvor mehr oder weniger aufgedrängt hatte. Über Mittelund Nordgriechenland sowie über den Berg Athos, Gebiete, die bis nach 1922 bei der Türkei verblieben, reiste Urquhart schließlich nach Skutari/Skodar in Albanien und danach über Konstantinopel zurück nach England. Eine weitere Reise brachte ihn Anfang der 30er-Jahre des 19. Jahrhunderts erneut in die Türkei, die er daraufhin als wichtigsten und verlässlichsten Bündnispartner Englands anpries. Überhaupt wurde Russland in der Folgezeit sein Lieblingsfeind, das er während und nach seiner kurzen Zeit als Botschaftssekretär in Konstantinopel (1835-1836) heftig bekämpfte. Politische Kompromisse lehnte er ab, weswegen sich Urquhart nunmehr gegen seinen früheren Förderer Lord Palmerston stellte.
Heftige Angriffe auf seinen Gegner prägten auch seine Zeit als Abgeordneter im britischen Unterhaus, dem er von 1847 bis 1852 angehörte. Sein barsches Auftreten, insbesondere nach der Montenegro-Krise des Jahres 1853, verhinderte jedoch, dass er 1854 erneut in das Parlament gewählt wurde. Seine politischen Ambitionen musste Urquhart von da an aufgeben, nicht aber seine ausgedehnte Reisetätigkeit, die ihn immer wieder in das Osmanische Reich, aber auch nach Frankreich, Spanien und Nordafrika bringen sollte. So verwundert es nicht weiter, dass er nicht in seiner Heimat starb, sondern am 16. Mai 1877 in Neapel. Was er seit seinem ersten Aufenthalt in den osmanischen Gebieten beförderte, waren einerseits die politischen und wirtschaftlichen Interessen Großbritanniens, und damit verbunden eine starke Türkei als unabdingbares Gegengewicht zu einem immer einflussreicheren Russland. Dessen enormes wirtschaftliches Potenzial, das auch England hätte gefährlich werden können, war ihm nicht verborgen geblieben. Andererseits waren Urquharts Methoden mitunter rücksichtslos, da er auch in dem von ihm so geschätzten Osmanischen Reich Aufstände anzettelte, wenn ihm dies geboten erschien.
Daneben zeigte er sich von den seiner Meinung nach ursprünglichen orientalischen Lebensformen begeistert, und es gelang ihm sogar, sein persönliches Umfeld dafür zu gewinnen. So war er im Jahr 1850 einer der Initiatoren für den Bau des ersten türkischen Bades in London, das großen Anklang finden sollte. Auch im vorliegenden Reisebericht, der im Jahr 1839 unter dem Titel „The Spirit of the East” erschien und der noch im selben Jahr ins Deutsche übersetzt wurde, finden sich zahlreiche Elogien auf die Welt des Orients. Die Menschen lebten dort noch der Natur näher, sie gestalteten sich ihre Umwelt so, wie es ihren Bedürfnissen entspricht, Herr und Diener könnten an demselben Tisch essen, und vor allem sei es die Landschaft, die auch die Wesenszüge derjenigen präge, die in ihr leben. Eindrucksvoll beschreibt er den Idealtyp des orientalischen Hauses, in dem man sich allem Anschein nach frei bewegen kann - wenn man nur die unausgesprochenen Regeln versteht, die ein geordnetes Zusammenleben überhaupt erst gewährleisten. Aber man muss sich nicht über diese Dinge verständigen, sondern alles liegt klar vor Augen, und jeder weiß, wie er sich zu benehmen hat. Urquhart steht damit in der Tradition der Romantik, einer stark zurückgewandten freilich, die in jedem Fortschritt zugleich die Zerstörung eines alten, vertrauten Wertes sieht.
Vor diesem Hintergrund will Urquhart - wie er es in seinem Vorwort ausdrückt - einen unverfälschten Einblick in die Dinge vermitteln, um sich auf diese Weise von seinen zahlreichen literarischen Mitbewerbern zu unterscheiden, die über ihre Reiseberichte eher die eigenen politischen Überzeugungen vermittelten. Im Gegensatz zu ihm selbst fehle diesen Autoren nämlich die Bereitschaft, sich wirklich auf die geschilderte Kultur einzulassen und dieser nicht von vornherein mit dem Bewusstsein zu begegnen, dass man aus einer in jeder Beziehung überlegenen Position heraus schreibe und urteile. Er werde jedoch anders vorgehen, um damit als einziger dem Gegenstand gerecht zu werden, über den er berichten will.
Wie sich dabei schon recht bald zeigt, interessiert ihn der von den ionischen Inseln und Epiros ausgehende Kampf um die staatliche Unabhängigkeit Griechenlands wenig. Urquhart sieht darin nur einen Prozess des Verfalls, der eine bis dahin bestehende gute politische und soziale Ordnung durcheinander bringt. So besuchte er während seiner Reise insbesondere die noch umkämpften Gebiete, um festzustellen, dass dort anstelle der früheren wirtschaftlichen Prosperität nur noch Armut herrscht, dass Dörfer und Städte zerstört sind und dass deren Einwohnerschaft ganz erheblich zusammengeschrumpft ist. Dies sei das ernüchternde Ergebnis eines zehnjährigen Kampfes, der aus Urquharts Sicht hätte vermieden werden können. Dass es so weit gekommen sei, liege aber nicht nur am griechischen Aufstand und den daran teilnehmenden, untereinander zum Teil verfeindeten Gruppen, sondern auch an den Türken selbst, die sich seit dem 19. Jahrhundert mehr und mehr dem schädlichen westlichen Einfluss geöffnet hätten, um westeuropäische Institutionen und Umgangsformen nachzuahmen. Und in der Tat war das 19. Jahrhundert für das Osmanische Reich ein Jahrhundert der Reformen, in dem man zahlreiche, aus Westeuropa stammende Elemente übernahm - und die nicht zuletzt in der weiteren politischen Entwicklung den aus Thessalonike stammenden Kemal Atatürk dazu bewogen, das Zentrum der politischen Macht von Europa weg nach Asien zu verlegen. Bis heute verbindet man in der Türkei den Zusammenbruch des Osmanischen Reiches und die Einbuße der politischen Macht vor allem mit dem westeuropäischen Einfluss jener Zeit - und vor diesem Hintergrund begegnet man Europa nach wie vor mit großen Vorbehalten.
Die Naivität, mit der Urquhart seine persönlichen Überzeugungen vorträgt, ist bisweilen aber grenzenlos. Von den Osmanen fordert er, dass sie an ihren alten Werten festhalten und damit zugleich ein Agrarstaat bleiben sollen - der sich freilich für die Produkte der rasch wachsenden englischen Industrie zu öffnen habe. Der Islam sei eine tolerante, friedfertige Religion, aber von den Greueltaten der Sultane und Wesire gegen die christliche Bevölkerung insbesondere in den europäischen Teilen des Osmanischen Reiches und der in Konstantinopel begünstigten kulturellen Gleichmacherei schreibt oder weiß er nichts. England sei die einzige politisch unschuldige Weltmacht dieser Zeit, die keine territoriale Ausdehnung anstrebe, und daher der natürliche Verbündete der Türkei, die ähnliche Prinzipien verfolge. Der britische Kolonialismus hingegen wird reichlich beschönigt. Dass Urquhart mit seinen Überzeugungen auf Dauer jedoch allein stehen sollte, beweist das unvermittelte Ende seiner politischen Laufbahn nach 1852: Man hörte ihn zwar nach wie vor an, man las seine Bücher, aber seine Sicht der Welt hatte mit den politischen Realitäten jener Tage nicht mehr viel zu tun.
Urquharts Reisebericht wird damit auch zu einem Dokument jener tiefen politischen Veränderung, die ganz Europa und das Osmanische Reich im 19. Jahrhundert ergriff. Er selbst wehrt sich dagegen und will das verteidigen, was er für die alten Ideale hält, die allein den Fortbestand einer Gesellschaft sichern könnten. Mit diesen Vorstellungen ist er vertraut, sein eigenes Wohlbefinden hängt davon ab, und daher möchte er sie um keinen Preis verlieren. So erklärt sich auch die innere Struktur seiner Texte, denn in die Abfolge einzelner Episoden und Erlebnisse fügt er immer wieder allgemeine Erwägungen ein, mit denen er seine persönlichen Überzeugungen zu erkennen gibt. Einer seiner sehr begierigen Leser in Deutschland war übrigens Karl May, der Urquharts Weltsicht mehr oder weniger übernahm - und auch in formaler Hinsicht ganz ähnlich schrieb.
Mitunter fällt es dem Leser ein wenig schwer, nicht doch die Geduld mit dem Autor zu verlieren, dessen politische Absichten man rasch durchschaut. Den einen oder anderen Exkurs, der von den unmittelbaren Erlebnissen ablenkt, hätte man sich vielleicht gerne erspart. Andererseits erweist er sich damit jedoch wieder als sehr belesen, und es beeindruckt durchaus, dass er die wichtigsten Bücher zur osmanischen Geschichte kennt und verarbeitet, die in seiner Zeit erhältlich waren. Dies spricht für Urquhart und zeigt, dass er immerhin dazu bereit war, auch andere Sichtweisen zur Kenntnis zu nehmen und sich damit auseinander zu setzen.
Der vorliegende Band enthält nun die erste Hälfte seiner Reise, die ihn vom Peloponnes zum Berg Olymp in Thessalien brachte - und damit aus griechischem in türkisches Territorium. Die deutsche Übersetzung des 19. Jahrhunderts, die Urquharts mitunter altertümliches Englisch nachahmt, wurde zum Teil sprachlich angepasst, zum Teil aber auch verbessert, wo offensichtliche Verständnisfehler vorlagen. Neben Urquharts eigenen Erläuterungen hatte bereits der Übersetzer einige Begriffe oder auch Vorgänge mit eigenen Anmerkungen versehen. Diese wurden - sofern zutreffend - beibehalten und entsprechend gekennzeichnet. Viele Namen und Ereignisse, die man um 1840 noch als allgemein bekannt voraussetzen konnte, sind heute jedoch nicht mehr ohne Weiteres nachvollziehbar. Um aber das Verständnis des Textes zu gewährleisten, mussten nunmehr eine ganze Reihe neuer Erklärungen ergänzt werden. Ein Name oder Begriff wird dabei beim ersten Auftreten kurz erläutert, da anderenfalls der größere Sinnzusammenhang verlorenginge. Urquhart selbst hatte eine ganze Reihe griechischer Zitate in seinen Text aufgenommen - und diese mit einer Ausnahme auch richtig wiedergegeben. Um der besseren Lesbarkeit willen, wurden diese Passagen nun jedoch unter den Text gesetzt, zumal Urquhart selbst diese zu einem großen Teil schon übertragen hatte. Doch wie eingangs bereits angedeutet: Solche Reiseberichte wurden - bevor Kulturwissenschaftler und Historiker sie für sich in Anspruch nahmen - als Werke der schönen Literatur verfasst und von ihrem Publikum auch als solche verstanden. Und von daher sollten sie in erster Linie auch gut lesbar sein.
Weiterführende Literatur:
D. BREWER, THE FLAME OF FREEDOM. THE GREEK WAR OF INDIPENDENCE, 1821-1833. LONDON 2001.
P. N. TZERMIAS, NEUGRIECHISCHE GESCHICHTE. EINE EINFÜHRUNG. 3., ÜBERARBEITETE UND ERWEITERTE AUFL. TÜBINGEN 1999.
R. HEYDENREUTHER (HRG.), DIE ERTRÄUMTE NATION. GRIECHENLANDS WIEDERGEBURT IM 19. JAHRHUNDERT. 2. AUFL. MÜNCHEN 1995.
TH. C. PROUSIS, RUSSIAN SOCIETY AND GREEK REVOLUTION. DEKALB, ILL., 1994.
G. HERING, DIE POLITISCHEN PARTEIEN IN GRIECHENLAND, 1821-1936. BAND 1. MÜNCHEN 1992.
G. ROBINSON, DAVID URQUHART. BOSTON 1920.
(Titel der deutschen Originalausgabe)
erläutert in einem Tagebuch
über
Reisen durch Rumili
während einer ereignisreichen Zeit.
Von
D. Urquhart, Esq.
Verfasser der Schriften: „Die Türkei und ihre Hilfsquellen“ -„England, Frankreich, Russland und die Türkei“ u.s.w.
Aus dem Englischen übersetzt von F. Georg Buck, b.R. Dr. Hamburg
(Motto: Nicht durch Tatsachen, sondern durch Ansichten über Tatsachen lassen sich die Menschen leiten. Epiktet.)
Erster Band
Stuttgart und Tübingen, Verlag der J.G. Cotta’schen Buchhandlung 1839.
Dem Andenken Wilhelms IV. gewidmet.
Jeder Reisende, der dem Publikum ein Werk vorlegt, setzt voraus, dass er neue Tatsachen oder Ideen mitzuteilen oder irrige Angaben oder Meinungen in den Werken seiner Vorgänger zu berichtigen habe. Ist das richtig in Beziehung auf uns nahe liegende Länder, mit deren Sprache, Einrichtungen und Gebräuchen wir völlig vertraut sind, so muss es noch viel anwendbarer auf ferne Länder sein, deren Sitten und Einrichtungen den unsrigen unähnlich, mit deren Sprache wir nun einmal nicht bekannt sind, von deren Literatur wir nichts wissen, mit deren Gesellschaft wir nie zusammenkommen, zwischen deren Bewohnern und unseren Landsleuten selten oder nie Freundschaft besteht. Wer zufällig in solch ein Land reist, muss, da es ihm unmöglich ist, genau zu beobachten, eine Menge oberflächlicher Eindrücke in sich aufnehmen, die er dann bei seiner Heimkehr eben so leicht und bunt verbreitet, wie er eben sie empfangen. Nicht sowohl in dem Glauben daher, dass vieles zu berichtigen sei in den Meinungen, die aus solchen Nachrichten in Bezug auf die Länder entstanden sind, von denen diese Bände handeln, sondern in der Überzeugung, dass man gar nichts davon weiß, übergebe ich diese Bände meinen Landsleuten. Mit den Sitten eines Volkes geht es, wie mit seiner Sprache: Keines von beiden kann genau beschrieben, keine Stelle kann richtig angewendet werden, wenn nicht der Geist der Volkssitten, wie die Grammatik der Volkssprache fleißig studiert und vollkommen begriffen ist.
Die Ansprüche, die ich aufweisen kann, um mein Selbstvertrauen oder das Vertrauen anderer zu begründen, sind -zehn Jahre, die ich unablässig anwendete, die nötige Belehrung zu erlangen, um über die Länder zu urteilen, die ich hier zum Teil beschreibe. Während dieses Zeitraumes, wo kein anderer Zweck mich beschäftigte, habe ich meine Zeit gänzlich dazu gewidmet, im einzelnen oder im ganzen zu erforschen und zu studieren, was sich in gegenseitiger Verbindung auf die Gesetze, die Geschichte, den Handel, die politische und diplomatische Lage des Orients und besonders der Türkei bezog. Obgleich sich diese Untersuchungen über weite und mannigfache Felder verbreiteten, wurden sie doch systematisch auf die Aufklärung einer einzelnen Frage geleitet, der Frage nämlich, welche die Interessen und vielleicht das politische Dasein Großbritanniens zunächst berührt.
Während meiner früheren Reisen, eingebunden, wie ich ursprünglich war, in den Krieg zwischen Griechenland und der Türkei, kam ich zu den ungünstigsten Schlüssen über den Charakter der orientalischen Länder und besonders der türkischen Regierung und des türkischen Volkes. Erst nach dreijährigen fleißigen Forschungen in der Statistik1 begann ich einzusehen, dass es doch wirklich Institutionen gebe, die mit dem Orient verknüpft sind. Von dem Augenblick an, wo ich das Vorhandensein besonderer, obgleich noch unklarer Grundsätze bemerkte, erwachte in meiner Seele ein hohes Interesse, und ich machte mich an eine Sammlung finanzieller Details, in der Absicht, die Regeln kennenzulernen, auf welche diese gegründet waren. Ich darf wohl sagen, dass ich abermalige drei Jahre in dieser Ungewissheit zubrachte, und ich sammelte und notierte die Verwaltung von zweihundertfünfzig Städten und Dörfern, bevor mir die gemeinsamen Grundsätze auffielen, welche diese Verwaltung leiteten.
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