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Kunstmanns nun in aktualisierter Auflage vorliegende Einführung bietet einen umfassenden Überblick über sämtliche Arbeitsfelder einer zeitgemäßen Religionspädagogik. Der Band behandelt die Grundfragen und traditionellen Themen des Faches, trägt aber auch neuesten Entwicklungen Rechnung, so der zunehmenden Hinwendung der Religionspädagogik zu Gegenwartsthemen wie der Individualisierung und Kulturbezogenheit von Religion, ferner zu ästhetischen Themen. Eine als strukturierend für alle klassischen Orte christlich-religiöser Erziehung, Sozialisation und Bildung ausgewiesene Religionsdidaktik ist ebenso in das Konzept integriert wie die Gemeindepädagogik. Das Buch ist somit ein unentbehrlicher Begleiter für Studium, Lehre und Gemeindearbeit.
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Seitenzahl: 941
Joachim Kunstmann
Religionspädagogik
Eine Einführung
Coverbild: © Joachim Kunstmann
© 2021 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KGDischingerweg 5 • D-72070 Tübingen
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetztes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Internet: www.narr.deeMail: [email protected]
Einbandgestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart
utb-Nr. 2500
ISBN 978-3-8252-5628-9 (Print)
ISBN 978-3-8463-5628-9 (ePub)
Religiöse Wahrheit will sinnbildende Evidenz erlangen
Hermann Timm
Die Religionspädagogik ist eine junge akademische Disziplin. Obwohl sie eine lange Vorgeschichte hat, nimmt sie am Schicksal jeder modernen Wissenschaft teil: Sie differenziert sich, tritt in Spezialgebiete auseinander und wird zunehmend zum Ort von Experten, die in der Gefahr stehen, den Überblick über das Ganze zu verlieren.
Die Religionspädagogik ist mehr als jede andere theologische Teildisziplin auf die Gegenwart bezogen und darum in ständiger Bewegung. Nicht immer ist klar, was die eigentlich wichtigen Fragen sind.
Der hier vorgelegte Band versucht ein umfassendes Porträt der Religionspädagogik zu zeichnen. Er will Einführung und Zusammenfassung sein für Studierende, Lehrende, Erziehende und alle, die sich für religiöses Lernen interessieren.
Eine Einführung muss sich neutral geben und den Stand der Forschung darlegen. Wo aber nach den Voraussetzungen und Möglichkeiten religiösen Lernens unter den Bedingungen der Gegenwart gefragt wird, da kann es nicht ausbleiben, dass bestimmte Betonungen gesetzt werden – etwa bei den Fragen nach der Plausibilität religiöser Gehalte, nach der Rolle der Phantasie in religiösen Lernprozessen und nach dem Wesen religiöser Erfahrung, oder bei der Betonung psychologischer Einsichten und der religiösen Bildung. Einen besonderen Stellenwert bekommen dann auch die Herausforderungen, die die pluralisierte und individualisierte Welt an das religiöse Lernen stellen.
So wie jedes Buch ist auch dieses ein Zusammenfluss von eigenen Erfahrungen, einsamer Arbeit, teilnehmender Geduld und inspirierenden Hilfen. Mein Dank gilt den Herren Prof. Dr. Rolf Schieder und Prof. Dr. Ulrich Schwab für erste Ideen und Perspektivierungen; Herrn Dr. Ingo Reuter für im besten Sinne kritisch-konstruktive Begleitung; Frau Renate und Herrn Thomas Peter für genaue Gegenlesung des Manuskripts; und nicht zuletzt Frau Kathrin Heyng vom Francke Verlag, die das Projekt ins Leben gerufen und seine Entstehung gewissenhaft begleitet hat.
München, im März 2004 Joachim Kunstmann
Die schnellen Veränderungen der religiösen Lage haben eine Überarbeitung des Buches nötig gemacht. Die zunehmende Religionsdistanz und der prekäre Traditionsbezug von Kirche und Theologie lassen die Frage nach der Relevanz religiösen Lernens immer dringender werden. Wozu Religion? Braucht man die religiöse Tradition, um religiös zu werden? Geschieht das nicht weit eher durch religiöses Erleben?
Weder die Kompetenzorientierung noch die traditionelle Texthermeneutik noch die zunehmende empirische Forschung im Fach geben hier plausible Antworten. Am ehesten dürfte die Ausweitung der Hermeneutik zur Lebenshermeneutik weiterführen und eine Orientierung an den Subjekten. Wenn Religion symbolische Lebensdeutung ist, muss die Religionspädagogik nicht vor allem religiöse Tradition vermitteln, sondern die Grunderfahrungen und -fragen des Lebens kennen.
Eingegangen sind daher nicht nur neuere Forschungsfelder wie z.B. das Theologisieren mit Kindern und die Subjektorientierung. Eingearbeitet ist auch vieles von dem, was bisher zuletzt unter „Perspektiven“ zusammengefasst wurde und sich inzwischen als notwendiges Fachwissen etabliert hat.
Religion ist ein hoch komplexes Phänomen. Kognitive, problemorientierte und funktionale Zugänge bekommen deren spezifische Eigenart nicht ausreichend in den Blick, und nicht alles lässt sich in angemessene Schubladen packen. Gelegentliche Wiederholungen sind deshalb gewollt; sie sind mit Verweisen auf die Kapitel versehen, in denen die Dinge ausführlicher behandelt werden.
Für die Neubearbeitung gilt mein herzlicher Dank Frau Dr. Gundula Rosenow, die mit ihrer einzigartigen Verbindung von fachlichem Wissen und praktischer Erfahrung in einem weitgehend säkularen Umfeld eine Gesprächspartnerin ist, wie man sie selten findet.
Weingarten, im März 2021 Joachim Kunstmann
„Wer einmal versucht, sich in die Perspektive eines Schülers hineinzuversetzen, der nicht von Kindesbeinen an mit christlichen Deutemustern und Riten in Berührung gekommen ist, wird schnell feststellen, wie voraussetzungsreich strukturierte religiöse BildungBildungsprozesse in SchuleSchule und Gemeinde sind. Geradezu durchgängig werden religiös geprägte Sprachspiele und mehr oder weniger zustimmende Positionierungen dazu vorausgesetzt.“ (Domsgen 2018, 417)
Religiöses Lernen geschieht heute nur noch zum sehr kleinen Teil in Form einer durch Autorität und Institutionen verbürgten Lehre. In einer pluralen Welt sind die Menschen längst ganz selbstverständlich persönliche AutonomieAutonomie und freie Auswahl gewohnt. Darum würden GlaubensGlaube, Glaubensinhalt-Erziehung und Glaubens-Unterweisung als ersetzbare Möglichkeiten des Lernens unter vielen anderen erscheinen. Didaktisch gesprochen käme das einem Verlust an PlausibilitätPlausibilität gleich, d.h. an offensichtlicher Einsicht in ihren SinnSinn, Sinnerfahrung, Sinnfrage und vor allem in ihre Notwendigkeit. Dazu aber ist religiöses LernenReligiöses Lernen für die Menschen ebenso wie für das Christentum viel zu bedeutsam und wertvoll. Es muss sich unter modernen Bedingungen also neu begründen und explizieren.
Die bloße Behauptung christlicher Gehalte, die selbstverständliche Voraussetzung ihrer Gültigkeit oder das Bekenntnis reichen also nicht mehr aus. Unter Bedingungen einer umfassenden Pluralität können sie religionspädagogisch sogar kontraproduktiv sein. Eine christliche Didaktik, die sich normativ gibt und deduktiv von angeblich voraussetzbaren „festen“ Wahrheiten ausgeht, verfehlt in der Regel sowohl die heutigen Menschen als auch den SinnSinn, Sinnerfahrung, Sinnfrage der christlichen Überlieferung selbst.
Die Religionspädagogik (RP) hat sich mit genau dieser Einsicht als wissenschaftliches theologisches Fach etabliert: Christentum, ReligionReligion überhaupt, sind für den modernen Menschen nicht mehr selbstverständlich, wenig verbindlich und manchmal kaum noch bekannt. Die RP fragt darum nach dem SinnSinn, Sinnerfahrung, Sinnfrage religiösen LernenReligiöses Lernens unter modernen Bedingungen und nach dem Rahmen, in dem dieses geschieht – nach Religion, KulturKultur, MedienMedien; nach den Erfahrungen und Bedürfnissen der Menschen heute – und nach einer entsprechend einleuchtenden Didaktik, die neue Erkenntnisse zu Lernen und BildungBildung aufnimmt. Schließlich fragt sie natürlich nach den Orten, an denen religiöses Lernen (vorrangig) geschieht: FamilieFamilie, SchuleSchule, Gemeinde, Öffentlichkeit.
Die vorliegende RP geht dezidiert davon aus, dass die Begrifflichkeiten ReligionReligion und religiöses LernenReligiöses Lernen grundsätzlich geklärt sein müssen, wenn auch christliche Gehalte plausibel vermittelt und überhaupt verstanden sein wollen. Religiöses Lernen bedeutet vor allem, Religion zu verstehen; und dafür ist deutlich mehr nötig als sachliche Information. Allzu lange ist man den umgekehrten Weg gegangen: von der christlichen Glaubenslehre (oder zumindest von der Beheimatung in einer christlichen KulturKultur) aus hat man versucht, die Menschen zu erreichen. Die Ergebnisse dieses Weges sind mehr als ernüchternd. Dennoch vermeidet die RP bisher ganz weitgehend eine Klärung des Phänomens Religion und betreibt unter der Hand eigentlich eine Christentumpädagogik, ohne wirklich deren PlausibilitätPlausibilität zu bedenken.
Wenn Menschen nach ReligionReligion, nach religiösem ErlebenErfahrung, Erleben, Erlebnis, auch religiöses und spiritueller Entwicklung fragen, von Religionspädagogen aber nur über einen historisch geformten GlaubenGlaube, Glaubensinhalt informiert werden, dann ist die Abwendung der Fragenden von Religion überhaupt schon vorprogrammiert. Die Weitergabe eines lehrbaren Glaubens ist in der späten Moderne kein sinnvoller Weg mehr.
Selbst ein so kluges und umfassendes Werk wie Bernd Schröders „Religionspädagogik“ beginnt mit dem Satz: „Die Weitergabe des christlichen GlaubensGlaube, Glaubensinhalt … gehört zu den grundlegenden Aufgaben und zum Selbstverständnis der KircheKirche(n)“ (Schröder 2012, 1). Damit liegt dann wenig mehr vor als eine Sichtung des (schnell kleiner werdenden) christlichen Bestands. Religiöses ErlebenErfahrung, Erleben, Erlebnis, auch religiöses, spirituelle Praxis und die DeutungDeutung existenzieller Fragen – also genau das, was moderne Menschen zu Recht mit ReligionReligion verbinden – kann da naheliegender Weise gar keinen Platz bekommen; und nicht einmal der Begriff „Religion“ wird zum Thema gemacht.
Die epochale Neubewertung der ReligionReligion als GefühlGefühl und tiefes ErlebenErfahrung, Erleben, Erlebnis, auch religiöses bei SchleiermacherSchleiermacher, Friedrich ist längst keine Position mehr, die man als Sache des theologischen Geschmacks abtun dürfte – obwohl das immer noch viel zu oft geschieht. Sie ist eine unverzichtbare Notwendigkeit im Verständnis von Religion und Christentum, deren Unkenntnis heute mit einem erheblichen Verlust an RelevanzRelevanz und PlausibilitätPlausibilität bezahlt wird.
ReligionReligion zu lehren und zu lernen ist deutlich mehr als das Begreifen einer bestimmten religiösen Traditionskultur. So wie man KunstKunst nur begreift, indem man über Kunstgeschichte und das Studium von Kunstwerken hinaus selbst künstlerisch produktiv wird, sich im besten Falle selbst als Künstler begreifen lernt, so hängt auch religiöses LernenReligiöses Lernen vor allem am eigenen Symbolisieren (→ 18.2); mehr noch, und im bezeichnenden Unterschied zu allen anderen Fächern: am Nachvollzug des religiösen ErlebensErfahrung, Erleben, Erlebnis, auch religiöses.
Wer heute von der Offenbarung GottesGott, Gottesbild, Gottesvorstellung in Christus redet, vom heiligen Wort der BibelBibel, von Jungfrauengeburt, Himmelfahrt, Jüngstem Gericht, generell: vom „christlichen GlaubenGlaube, Glaubensinhalt“, der muss sich klar machen, dass das als nicht überprüfbares, zum Teil auch schon als sehr seltsames Denken einer Binnengruppe verstanden wird, die offenbar den Anschluss ans moderne Leben verpasst hat – wenn diese Binnengruppe ihre Aussagen nicht als religiöse, d.h. als symbolische Aussagen einer auf das Leben bezogenen DeutungDeutung kenntlich macht. So freilich können sie gerade angesichts der wachsenden modernen Orientierungsunsicherheit neu interessant sein. Glaubensintern kann das schmerzvolle Abschiede von alten Gewissheiten und Gewohnheiten bedeuten; aber auch eine große Befreiung des Denkens und Lebens.
Die RP muss also den Lebensbezug der ReligionReligion verstehen. Sie muss die mögliche subjektive Betroffenheit durch Religion begreifen, also die Frage, welche religiösen Gehalte die Menschen wann und wie ansprechen. Sie muss ferner die Bedingungen der Einsichtigkeit, Übernehmbarkeit und möglichen Akzeptanz religiöser Gehalte und Formen kennen. Das sind für die RP immer noch recht neue Fragestellungen. Damit zeigt sie sowohl einen starken Gegenwartsbezug als auch eine Angewiesenheit auf andere wissenschaftliche Fächer: Kulturtheorie, Anthropologie, Biographieforschung, PädagogikPädagogik, Lerntheorie, Soziologie, Psychologie usw. RP ist notwendig interdisziplinär.
Mit der Abwendung vom deduktiven Denken ändert sich auch der Blick auf die Inhalte. Christliche Themen sind weit mehr und anderes als die Bestände katechetischer oder dogmatischer Lehre. Menschen lernen das Christentum (so wie ReligionReligion allgemein) faktisch in aller Regel über ganz andere Wege kennen als über kognitive Inhalte. Darum ist hier von religiösen „Gehalten“ die Rede, die die religiösen Gestaltungsformen (sakrale Räume, Symbole, Sprache, ErzählungenErzählung, GottesdienstGottesdienst, Bräuche, Personen, Bilder usw.) mit einbeziehen. Die RP fragt schließlich auch danach, wie die Logik religiöser Anschauungen und die Vollzugslogik religiöser Prozesse einsichtig gemacht und sinnvoll strukturiert werden können; hier hat vor allem die ReligionsdidaktikReligionsdidaktik ihre Aufgabe.
Der christliche Sprach-, Interpretations- und Ritualzusammenhang und dessen Lebensbedeutung ist grundlegender Bezugspunkt einer christlichen RP. Bezugspunkt – nicht unbedingt aber Ausgangspunkt. Da es sich hier um historische Niederschläge religiöser ErfahrungErfahrung, Erleben, Erlebnis, auch religiöses und religiöser Deutungen handelt, liegt es nahe, diese Erfahrung und DeutungDeutung selbst zum Thema zu machen. Nicht vorgegebene Inhalte also sind der „Stoff“ der RP, sondern eher die Vollzüge einer symbolischen LebensdeutungLebensdeutung, die sich im Rahmen einer durch das EvangeliumEvangelium / Kommunikation des E. begründete Perspektive auf das Leben vollzieht. Sie analysiert, profiliert und fördert die religiöse KommunikationKommunikation mit und in der christlichen Lebenstradition. Ihre Leitfrage ist: Wie geschieht religiöses LernenReligiöses Lernen heute, wozu ist es sinnvoll, wie soll und kann es angebahnt und gefördert werden?
Die Abwendung von einem traditionsorientierten Stoff-Lernen wird durch den Blick auf die veränderte religiöse Lage noch einmal dringlicher. Die RP findet hier ein sehr neues eigenes Aufgabenfeld vor, das sonst nur von der Praktischen TheologiePraktische Theologie bearbeitet wird. Es ist vor allem die fast durchgehende SäkularisierungSäkularisierung (→ 14) der Lebenswelt, die Vollzug und SinnSinn, Sinnerfahrung, Sinnfrage religiösen LernenReligiöses Lernens heute zu einer offenen Frage werden lässt.
Das Christentum erlebt derzeit den dramatischsten Bedeutungsverlust seiner 2000-jährigen Geschichte. Eine kulturelle Prägekraft der einstmals einzigen Kulturmacht ist heute nicht mehr auszumachen. Ein Blick in eine Fernsehzeitschrift, in die Popkultur oder eine Kunstausstellung belegt unmittelbar, dass christliche Themen nur noch am untersten Rand vorkommen. Die KirchenKirche leeren sich in schnellem Tempo, ohne dass hier irgendwelche ernst zu nehmenden Reaktionen erfolgt wären. Religionsdistanz (→ 14.5, sog. „Konfessionslose“) und religiöses Unwissen (religiöser „Analphabetismus“) sind innerhalb weniger Jahrzehnte von Randerscheinungen zur Normalform geworden.
Das Verstehen von Fakten unterliegt dem positivistischen naturwissenschaftlichen Denken, das ausschließlich Beweisbares für real hält. Auch für Gedanken, Ansichten, Deutungen hat sich das Verstehen massiv verändert. Es ist genetisch, perspektivisch und psychologisch geworden (→ 16.2), d.h. es denkt historische Entstehung, subjektive Standpunktgebundenheit, Interessen und veranlassende EmotionenEmotionGefühl automatisch mit. Gedanken sind also immer relativ, Ansichts- und Standortsache; vorgeblich allgemein gültige Wahrheiten werden nicht mehr akzeptiert und oft schon gar nicht mehr zur Kenntnis genommen – außer in Kreisen, die heute fundamentalistisch genannt werden.
Gleichzeitig ist eine deutliche Sehnsucht nach religiösem ErlebenErfahrung, Erleben, Erlebnis, auch religiöses und eine religiöse Sinnsuche auszumachen, die sich selbst oft gar nicht mehr als religiös versteht, sondern allenfalls dem Begriff SpiritualitätSpiritualität zuordnet. Bemerkenswert ist auch, dass das Thema ReligionReligion unter Soziologen, Philosophen und gehobenen Journalisten seit zwei Jahrzehnten wieder einen ausgesprochen hohen Stellenwert einnimmt. In einer „postsäkular“ (Jürgen Habermas) gewordenen Zeit, so wird hier argumentiert, hält die Religion ein unverzichtbares Orientierungswissen bereit. Aus der akademischen TheologieTheologie dagegen (→ 7.2) dringen kaum noch Impulse in die Öffentlichkeit.
In einer Zeit, die sich in Projekten, Erfolgsstreben und Selbstentfaltung (→ 14.1) nahezu ausschließlich an einer offenen Zukunft orientiert, scheinen KircheKirche und TheologieTheologie nur um alte TraditionenTradition zu kreisen (→ 16.1). Von außen gesehen sind diese Traditionen bestenfalls ein Insider-Wissen für Spezialisten, das mit dem konkreten Leben heute aber kaum noch etwas zu tun hat; oft gelten sie aber auch schon als überholte alte Märchen. Entsprechend erlahmt das Interesse am religiösen LernenReligiöses Lernen, das Christentum erscheint zunehmend als Museum.
Wer mit biblischen Geschichten, christlichen Festen und Gedanken aufgewachsen ist, wird sich aus verständlichen Gründen schwer damit tun, von der Innen- in die Außenperspektive zu wechseln. Die Außenperspektive auf das Christentum aber ist längst zur Normalperspektive geworden. Nicht nur für TheologieTheologie und KircheKirche, sondern auch für die Religionspädagogik wird diese Traditions- und Insiderorientierung immer mehr zum zentralen Problem.
„Auch wenn ein allgemeiner terminologischer Konsens derzeit nicht erreichbar ist, erweist sich ein umfassendes Verständnis von Religionspädagogik als auf ReligionReligion bezogene Theorie von Erziehung, BildungBildung, Sozialisation, Lernen und Entwicklung in KircheKirche, SchuleSchule und Gesellschaft doch als unverzichtbar für die wissenschaftstheoretische Konstitution eines zusammenhängenden Bereichs religionspädagogischer Theorie und Praxis“ – so schreibt Friedrich Schweitzer ganz zu Recht (NHRPG 47). Derzeit stehen in der Tat „Religionspädagogik“, KatechetikKatechetik, GemeindepädagogikGemeindepädagogik und ReligionsdidaktikReligionsdidaktik meist recht unverbunden nebeneinander. Nach wie vor gilt „RP“ oft als die Fachdidaktik des ReligionsunterrichtsReligionsunterricht (RU); das aber ist eine „Verkürzung“ (Grethlein 1998, 209), die durch neuere Veröffentlichungen im Fach auch bereits überschritten ist. Rudolf Englert bilanziert bereits 1995, „daß Religionspädagogik insgesamt mehr im Blick haben muß als nur Schule und Unterricht. So besteht heute weitgehend Konsens darüber, daß dieser nur ein Segment im Aufgabenspektrum der Religionspädagogik ausmacht, wenn auch ein nach wie vor besonders wichtiges“ (Ziebertz/Simon 1995, 156). RP geht ferner über intentionale, d.h. absichtlich gesteuerte religiöse Lernprozesse hinaus auch zu beiläufigem religiösem LernenReligiöses Lernen, das sich – so erstmals Ulrich Hemel – unter anderem auch in der „Öffentlichkeit“ vollzieht. Auch die Gemeindepädagogik braucht religionspädagogische und -didaktische Reflexion; und die RP kann sich heute nur verständlich machen, wenn sie über Schule und Gemeinde hinausgeht und Religion in der Öffentlichkeit ebenso reflektiert wie die Bedürfnisse, Denkweisen und das Lebensgefühl der Menschen.
KatecheseKatechese, GemeindepädagogikGemeindepädagogik und ReligionsdidaktikReligionsdidaktik sollen darum als Teil-Dimensionen der RP stehen. Keine von ihnen ist ersetzbar, und keine von ihnen ist unabhängig von den anderen denkbar. „Die RP versucht die Bestimmung ihres Gegenstandes … aufgrund solcher Kriterien, die in allen Praxisfeldern zur Geltung kommen“ (Angel in Weirer/Esterbauer 2000, 249).
So gilt zunächst für die KatechetikKatechetik (→ 2.1), dass sie Teil der RP bleiben muss. Auch wenn die Katechetik weitgehend von der GemeindepädagogikGemeindepädagogik beerbt und weitergeführt wird, muss die RP Auskunft geben können über die lehrende Weitergabe des GlaubensGlaube, Glaubensinhalt. Die KatecheseKatechese kann unter modernen Bedingungen freilich nicht mehr das Konzept der RP bestimmen.
Weiter gehören GemeindepädagogikGemeindepädagogik (→ 1.3, 8, 9) und schulbezogene RP aus prinzipiellen Gründen zusammen, obwohl sie fast durchgehend getrennt behandelt werden. Dafür aber kann es allenfalls pragmatische Gründe geben, sachlich ist eine Trennung kaum zu rechtfertigen. Ihre wichtigsten Handlungsfelder sind hier unter den „Orten“ zusammengestellt. Eine Aufteilung der RP in SchuleSchule und Gemeinde wäre auch insofern problematisch, als der gesamte (und heute besonders bedeutsame) Bereich der spirituellen Praxis (→ 11.6) ebenso aus dem Raster herausfällt wie die öffentlichen Orte religiösen LernenReligiöses Lernens (→ 7, 14, 15); Grundfragen religiösen Lernens (→ 13) und die religiöse BildungBildung (→ 17), die mit guten Gründen als Basis der RP überhaupt gelten kann, wären nicht konsistent zuzuordnen. Der vorliegende Band begreift darum Gemeinde als gewichtigen religionspädagogischen Raum neben anderen, mit eigenständigem Profil, Aufgaben und Möglichkeiten. In ihm müssen sich religionspädagogische Einsichten und Prinzipien ebenso bewähren wie andernorts.
Dasselbe gilt für die ReligionsdidaktikReligionsdidaktik (→ 10–13, 20), die – will sie unter modernen Bedingungen wirklich überzeugen – grundsätzlich für alle Bereiche religiösen LernenReligiöses Lernens gelten muss, keinesfalls nur für den RU an der SchuleSchule. Die Religionsdidaktik ist hier als begleitende Grundlage religionspädagogischer Arbeit verstanden und an keiner Stelle von dieser zu trennen. Wenn gefragt wird: Wie geschieht religiöses bzw. christliches Lernen heute, wozu ist es sinnvoll, wie soll es geschehen? – dann kann die Religionsdidaktik nicht abgetrennt von der RP behandelt werden, sondern muss deren integraler Bestandteil sein. Die religionsdidaktische Frage, wie und unter welchen Bedingungen christliches Lernen sinnvoll und plausibel gelingen kann, ist nur zu beantworten durch die religionspädagogische Ermittlung des Bezugsrahmens. Umgekehrt ist eine schlüssig begründete religiöse Didaktik der Prüfstein der RP. Über die häufige und missverständliche Einschränkung auf „Methodik“ hinaus muss die Religionsdidaktik die Bildungsbedeutung allen religiösen Lernens begründen und seine Strukturierung besorgen. Sie stellt darüber hinaus die gewichtige Frage nach einem religiösen Lernen, das sich vom allgemeinen Lernen in charakteristischer Weise unterscheidet – und unterscheiden muss, will es als eigenständiges und nicht ersetzbares erkennbar sein. Damit wird deutlich, dass Religionsdidaktik wesentlich eine religiöse Didaktik sein muss, die weder nur schulische Fachdidaktik (→ 12) ist noch nur „kritisch-problemorientiertes“ Bedenken religiöser Themen noch gar die „Anwendung“ theologischer Themenvorgaben. Das wichtige 13. Kapitel (Religiöses Lernen) fungiert darum als ein weiteres Grundlagenkapitel und dient in seinen Bezügen auf neue Forschungsbereiche als Scharnier und Übergang zu den folgenden „Kernproblemen“.
Die hier verhandelte RP ist die christliche. Sie setzt die klassischen Themen BibelBibel, JesusJesus von Nazareth, ein Wissen um die Geschichte der Christenheit im Abendland, die katechetische Lehrtradition usw. voraus. Die Klärung dieser Themenbestände ist Sache der einzelnen theologischen Disziplinen. RP fragt demgegenüber nach den Bedingungen ihrer sinnvollen Weitergabe unter veränderten Lebensumständen. Sie tut das so, dass manche dieser „Themenbestände“ ihr Gewicht gegenüber subjektiven religiösen Erfahrungen und religiösen Bildungsprozessen verlieren können. Ein entsprechend größeres Gewicht bekommen Evidenzen und bedeutsame Erfahrungen, bei denen zunehmend nachvollziehbar wird, dass sie die christlichen Urerfahrungen und Themen je neu zu generieren und so wirklich plausibel einsichtig und übernehmbar zu machen vermögen.
Zu den zentralen Fragen der RP werden darum: wie sind religiöse Erfahrungen möglich? Wie entstehen religiöse Sichtweisen und Identifikationen? Damit ist etwas deutlich anderes als die „Erfahrbarkeit“ christlicher oder gar theologischer Themenvorgaben gemeint (→ 10.7, 16.3). Es rücken tendenziell eher Orte, Bilder und Vollzüge religiöser Praxis in den Blick als theologische Denkweisen und katechetisch auflistbare Themenbestände.
RP ist Wissenschaft (→ 1.4), also Theorie – allerdings eine direkt auf gegenwärtige und mögliche Praxis bezogene. Sie benutzt (text- und verstehens-)hermeneutische, empirische, phänomenologische und andere Verfahren. Sie stellt Bezüge zu den KirchenKirche (→ 6.4), zu Gesellschaft und KulturKultur (→ 14), zu den Individuen und ihren Fragen, Lebensgewohnheiten und -einstellungen (→ 15, 16, 18) her. Sie verfährt normativ, d.h. sie ist an interne Standards gebunden, die sich aus der christlichen TraditionTradition ergeben, und die sie nach innen wie nach außen hin plausibel machen muss. Sie ist an angrenzenden Wissenschaften wie Lerntheorie (→ 10), ReligionspsychologieReligionspsychologie (→ 18.1), Neurowissenschaften (→ 13.5) und anderen interessiert, vor allem am GesprächGespräch mit der PädagogikPädagogik. Sie unterscheidet zwischen religiöser Erziehung (Einweisung und Einführung in das Christliche), Sozialisation (Einführung in den christlichen, d.h. kirchlichen, gemeindlichen, öffentlichen, aber auch privaten religiösen Lebenskontext) und BildungBildung (persönliche Entfaltung durch christlich angestoßene und erfahrene Religiosität, → 2).
Ihr angemessenstes theoretisches Leitbild ist religiöseBildungBildung (→ 17), verstanden als der offene Entfaltungsprozess einer Person, der durch Anstöße aus allen Bereichen des Lebens geschehen kann (Staat, Gesellschaft, KulturKultur, Menschen, Natur, MedienMedien, Arbeit usw.), in der ReligionReligion aber eines seiner bedeutendsten Reservoirs hat. Die Kernfrage der RP ist darum die nach der Bedeutung der Religion für die Ausgestaltung und Entwicklung einer „gesunden“, lebensfähigen, reifen und souveränen Persönlichkeit. Ihr Zielhorizont ist also nicht primär die Erziehung zum GlaubenGlaube, Glaubensinhalt oder die sozialisatorische Einweisung ins Christentum, sondern zunächst schlicht das „Interesse am Christentum“ eines Menschen (SchleiermacherSchleiermacher, Friedrich), das wiederum grundlegend verstehbar ist als religiöses Interesse. Die RP strebt darum religiöse KompetenzenKompetenz (→ 2, 10.2) vor einem christlichen Hintergrund und in christlichem Geist an. Leitende Annahme ist, dass die christliche Weltdeutung und Lebenssicht nach wie vor als menschlich angemessen gelten kann – wenn denn ihr provozierender Gehalt verstanden und wirklich gelebt wird. Sie ist solide reflektiert, achtet die Freiheit der Person und kann auch unter heutigen Bedingungen sinnvolle Lebensgrundlage sein. Damit orientiert sich die RP an der Idee und (immanenten) Logik des Christlichen. Sie betreibt keine direkte Anzielung christlicher Religion als integrales, Kirchlichkeit, TheologieTheologie, christliche Sitte umfassendes „Gesamtpaket“, sondern eher die „Kommunikation des EvangeliumsEvangelium / Kommunikation des E.“ (Ernst Lange), die in „Mitteilung und Darstellung“ (Schleiermacher) der Förderung von subjektiver Religiosität vor einem christlichen Hintergrund dient (→ 18), die Teil der persönlichen Bildung ist.
Als Leitbild ergibt sich:
RP ist die wissenschaftliche Analyse, Begründung und Strukturierung religiöser Lernprozesse in christlicher Verantwortung und im Interesse umfassender BildungBildung.
Die fünf Teile des Bandes gehen unter Grundlagen von grundsätzlichen Fragen wie der wissenschaftstheoretischen Einordnung der RP, ihrer Geschichte, grundlegenden Konzeptionsvorstellungen, Begründungsfragen, Lehrbarkeit der ReligionReligion und deren Bezug zum Lebenslauf aus. Unter Orte der RP werden die „klassischen“ Orte religiösen LernenReligiöses Lernens in FamilieFamilie, SchuleSchule (RU) und Gemeinde vorgestellt. Es schließt sich die ReligionsdidaktikReligionsdidaktik an, die neben der Fachdidaktik des RU allgemeine religionsdidaktische Modelle vorstellt und die grundsätzliche Frage nach dem Spezifikum religiösen Lernens in allen seinen Bereichen stellt. Unter Kernprobleme werden die massiven Veränderungen der modernen Lebenswelt behandelt, durch die Religion und Christentum nachhaltig betroffen sind: Plurale Gesellschaft, IndividualisierungIndividualisierung, SäkularisierungSäkularisierung, Traditionsverlust, Erlebnisorientierung usw. Schließlich werden Perspektiven vorgestellt, die die Herausforderungen der veränderten Welt durch den bildenden Grundvollzug der Religion darlegen: die symbolische DeutungDeutung existenziellen ErlebensErfahrung, Erleben, Erlebnis, auch religiöses und Fragens und deren KommunikationKommunikation.
Die Kapitel beginnen jeweils mit einer aktuellen Hinführung bzw. einführenden Frageformulierungen. Sie enden mit einer knappen Zusammenfassung. Die Literaturangaben sind weniger als einschlägige wissenschaftliche Werke, sondern eher als Einführungen zu verstehen, die sich für eine neue Orientierung in den jeweiligen Bereichen anbieten. Aus Gründen der Lesbarkeit werden inklusive Formen verwendet (Schüler, Lehrer – der Respekt vor den Frauen zeigt sich nicht in der eigenen Verwendung weiblicher Formen). Als Abkürzungen werden nur RP (Religionspädagogik) und RU (ReligionsunterrichtReligionsunterricht) verwendet. Die Literatur ist aus Platzgründen „amerikanisch“ zitiert, also nur mit Autor und Jahreszahl; häufig zitierte und abgekürzt angegebene Literatur ist zu Beginn des Literaturverzeichnisses zusammengestellt.
„Die Religionspädagogik … erweist sich als Antwort auf den sich in der AufklärungAufklärung zeitigenden Modernisierungsprozess, der mit einer normativ-deduktiven Vermittlung des ‚GlaubensGlaube, Glaubensinhalt‘ nicht in Einklang zu bringen war.“ (Wegenast in NHRPG 41)
Die RP ist die jüngste theologische Disziplin. Modernisierung kann in der Tat als Grund für ihre Entstehung angegeben werden. Denn unter modernen Bedingungen stößt die Weitergabe des christlichen GlaubensGlaube, Glaubensinhalt auf Schwierigkeiten durch massiv veränderte Verhältnisse der Lebenswelt.
Man stelle sich – um ein Schlaglicht auf diese Veränderungen zu werfen – einen JugendlichenJugendliche vor, der angesichts eines Sonnenunterganges am Meer von einer hohen Düne herunterläuft und ins Meer springt; ihm wird dieses ErlebnisErfahrung, Erleben, Erlebnis, auch religiöses zu einer Lebenswende, denn er hat das GefühlGefühl, in diesem Moment alles hinter sich zu lassen und die Welt in einem neuen Licht zu sehen. Auch wenn er dabei gar nicht an GottGott, Gottesbild, Gottesvorstellung denkt, so ist der Moment für ihn doch eine persönliche Offenbarung, die ihn im Innersten betrifft. Für die RP stellen sich da gewichtige Fragen: Handelt es sich hier um ReligionReligion, und wenn ja, inwiefern? Um christliche Religion? Kann man solche persönlichen Erfahrungen kommunizieren, und wie? Welchen SinnSinn, Sinnerfahrung, Sinnfrage kann für den Jugendlichen die Weitergabe christlicher Symbole haben, wie können sie ihn erreichen? Warum spielen Erlebnis-Sehnsüchte heute eine so große Rolle? Und wie verändern sie die Bedeutung der Religion?
Mit dieser Fragenpalette wird deutlich: RP muss weit mehr sein als die Frage nach den Weitergabebedingungen theologischer Wahrheiten. Sie fragt nach der Weitergabe (christlich-)religiöser Gehalte, Einstellungen und Vollzüge und nach deren PlausibilitätPlausibilität und Evidenz heute; darum fragt sie auch nach dem heutigen Menschen, seinen PrägungenPrägung, Bedürfnissen, Lebenseinstellungen und seiner KulturKultur; sie fragt nach den Orten, an denen christliches Lernen geschieht, nach der Bedeutung und dem Verständnis von ReligionReligion heute und nach einer sinnvollen religiösen Didaktik.
„Das Ringen um das rechte Verhältnis zwischen TraditionTradition und Situation, Offenbarung und ErfahrungErfahrung, Erleben, Erlebnis, auch religiöses, biblischem Anspruch und kindlicher Rezeption (durchzieht) die Geschichte der RP wie ein roter Faden.“ (Englert 2008, 81)
Seit der AufklärungAufklärung war es üblich geworden, das Christentum als „ReligionReligion“ neben anderen zu bezeichnen. Die „Religions-PädagogikPädagogik“ nimmt darauf Bezug. Der Begriff, der um 1900 eingeführt ist und sich heute durchgesetzt hat, spiegelt die massiven lebensweltlichen Veränderungen, die sich im 19. Jh. vollzogen: die Ausweitung der persönlichen Freiräume, Möglichkeiten, Sicherheiten und Reichweiten durch die Technisierung der Welt; ferner durch das Auseinandertreten von kirchlich gebundener Frömmigkeit und wissenschaftlichem Denken. Religiöse, gar kirchliche Zugehörigkeit war nicht mehr selbstverständlich. Die RP hat, wie das Eingangszitat zeigt, immer eine „korrelative Grundstruktur“ (Rudolf Englert), genau diese aber wird zunehmend zu ihrem zentralen Problem.
Die junge Disziplin nimmt psychologische Einsichten auf und orientiert sich in ganz moderner Weise am autonomen „Subjekt“. Sie tritt darum neben die KatecheseKatechese (→ 2.1), die kirchliche Glaubensunterweisung. Nach wie vor ist umstritten, ob sich die RP in ihrem Kern auf die Glaubensunterweisung bezieht, oder auf PädagogikPädagogik, auf Religionswissenschaft, auf Psychologie oder auf Bildungstheorie – oder auf mehrere von diesen zugleich. Auf jeden Fall ist die RP theologische Wissenschaft. Sie ist Teil der Praktischen TheologiePraktische Theologie, innerhalb derer sie sich am meisten von der ursprünglich pastoraltheologischen, d.h. auf die Pfarramtsführung bezogenen Aufgabe entfernt hat. Ulrich Hemel definiert RP darum umfassend als „Theorie religiöser Vermittlung“.
RP ist Theorie – aber in besonderem Maße Praxistheorie. Ihr Gegenstandsbereich sind alle religiösen Lern- und BildungBildungsprozesse im Kontext der Zeitsituation. Um diese zu verstehen und verbessern zu können, betreibt die RP die Analyse und Reflexion religiöser Vorstellungen und Vollzüge. Ihr Ausgangspunkt sind also nicht unbedingt die christlichen Traditionsbestände. RP muss in mindestens zwei Bereichen kompetent sein: in der Erschließung der christlichen TraditionTradition und in der genauen Kenntnis der Situation und des Blickwinkels, aus dem ReligionReligion heute gesehen, verstanden und angeeignet wird. Schließlich muss sie auch eine plausible und kompetente Didaktik entwerfen (→ 10, 18), die sich weniger als Brücke zwischen Tradition und Situation versteht, sondern die eher nach der Nachvollziehbarkeit der in der Tradition gespeicherten religiösen ErfahrungErfahrung, Erleben, Erlebnis, auch religiöses und einer religiösen Selbstauslegung fragt.
Die RP wird fachintern vor allem als Reflexion des RU an der SchuleSchule verstanden. Die Fachdidaktik ReligionReligion reflektiert dann dessen Faktoren: Auswahl und Begründung von Unterrichts-Inhalten, Schüler, Lehrer, Methoden usw. Eine Ausweitung über diesen Bezug hinaus nahm erstmals K.-E. NipkowNipkow, Karl-Ernst in seinen „Grundfragen der RP“ (1975ff.) vor, die pädagogische Handlungsfelder der KircheKirche einbeziehen und für die RP eine gleichgewichtige Einordnung zwischen TheologieTheologie und allgemeiner PädagogikPädagogik versuchen, faktisch allerdings einen theologischen Schwerpunkt erkennen lassen. Seither erfährt die RP eine starke Ausweitung durch Einbezug von Sozialwissenschaften und Handlungstheorie, seit den 1980er Jahren durch Symboltheorien, seit den 1990ern durch den Bezug zur Populären KulturKultur (→ 14.4) usw.
Die RP betreibt die Reflexion und Förderung religiöser BildungBildungim christlichen Geist – dazu braucht sie die Analyse aller Formen, Orte, Prozesse und Wege christlichen und religiösen LernenReligiöses Lernens, seiner möglichen Ziele und deren Begründung. Ihr Spezifikum ist ihr Gegenwartsbezug. Sie nimmt darum von allen theologischen Fächern am stärksten an den Veränderungen der modernen Lebenswelt teil. Sie beschreibt die zunehmende SäkularisierungSäkularisierung der Gesellschaft (→ 14) und die IndividualisierungIndividualisierung (→ 15) der Lebens-, Denk- und Haltungsmuster, die Veränderung der KommunikationKommunikation und des Lebensgefühls usw. Denn das Christentum und die ReligionReligion allgemein sind von allen diesen Veränderungen zutiefst betroffen. Religiöses Lernen kann sich nicht mehr an der fraglos-allgemeinen, alternativlosen und kulturprägenden christlichen Lehre früherer Zeiten orientieren. Darum braucht die RP die Kenntnis der geschichtlichen, gesellschaftlichen, kulturellen, wissenschaftlichen und der subjektiven, psychologischen Voraussetzungen und eine entsprechend bedingte Einschätzung der Religion. Wer nach dem Lebensbezug der Religion fragt, muss das Leben gut kennen.
Das aber heißt für die RP, dass sie nur interdisziplinär denkbar ist. Sie bezieht Erkenntnisse der Sozialwissenschaften (→ 14.1), der Kulturtheorie (→ 16.4), der ÄsthetikÄsthetik (→ 11.4, 17.4), der Bildungstheorie (→ 17), der Psychologie (→ 18.1) usw. in ihre Überlegungen mit ein. Mit dieser Interdisziplinarität und ihrem Gegenwartsbezug stellt sie eine unterschwellige Rückfrage an die anderen theologischen Fächer, vor allem an die Systematische TheologieTheologie, die keineswegs so eindeutig mehr ihre Bezugswissenschaft oder gar Rahmenvorgabe darstellt.
Derzeit tendiert die RP zur Beschreibung – sie versteht sich oft als Empirie und Phänomenologie (Wahrnehmungslehre). Sie kann aber nicht auf Normativität verzichten, wenn sie neben Beschreibungen sinnvolle und einsichtige Angebote machen will. Was also ist ihre interne Norm?
Wird der bekenntnisgebundene christliche GlaubeGlaube, Glaubensinhalt als Norm gesetzt, dann ist RP KatecheseKatechese, also Einweisung in den Bestand der christlichen Lehre. Das aber setzt eine Akzeptanz voraus, die nicht mehr allgemein gegeben ist. Der Glaube kann darum zumindest nicht die alleinige Norm sein. Vergleichbares gilt für den Bezug zur KircheKirche. Auch er ist ein wichtiger, aber nicht alleiniger Bestandteil religionspädagogischer Reflexion. Denn auch er würde auf Einweisung, autoritätsgeleitete Erziehung oder Sozialisation zielen, die unter heutigen Bedingungen zunächst Akzeptanz voraussetzen.
Auch der normative Bezug zu bestimmten Teilen der wissenschaftlichen TheologieTheologie, etwa der systematischen, wäre eine Engführung, da hier religiöses ErlebenErfahrung, Erleben, Erlebnis, auch religiöses, symbolisches Verstehen und religiöse KommunikationKommunikation, die für religiöses LernenReligiöses Lernen höchst bedeutsam sind, wenig bedacht werden (s.u. 4.). Zwar ist RP selbst Theologie, ja sie gehört sogar „in die Mitte der Theologie“ (Rothgangel / Thaidigsmann 2005, 7) und kann diese kritisch justieren. Denn eine (systematische) Theologie, die meint, in der Klärung von Lehrgehalten ihr Zentrum zu haben, betreibt ein Glasperlenspiel; sie übergeht die subjektiven Aneignungsinteressen der „Hörer“, also der Lernenden.
Sinnvoll erscheint darum der offene normative Bezug zum Christentum als religiöse Form und Praxis. GlaubenGlaube, Glaubensinhalt und KircheKirche sind darin Dimensionen unter anderen, etwa neben Gestaltungen, Haltungen, Vollzügen, Räumen, Bräuchen, SymbolenSymbol, Erfahrungen usw. SchleiermachersSchleiermacher, Friedrich weitherzige Bestimmung all derer als Christen, die „Interesse am Christentum“ haben, kann darum als Leitbild einer religionsfreundlichen RP stehen. Auch in diesen normativen Überlegungen verfährt die RP induktiv – sie begibt sich auf eine gemeinsame Suche und geht nicht von lehrbaren vorausliegenden Wahrheiten aus.
Bereits im Alten Testament ist die Überlieferung der Befreiungstat GottesGott, Gottesbild, Gottesvorstellung, seiner Selbstoffenbarung und seines Bundes mit seinem Volk der Grundbestand einer religiösen „PädagogikPädagogik“. Ihre Grundform ist die mündliche ErzählungErzählung, die erst später schriftlich niedergelegt wird. Dazu tritt die Weisheitslehre als eine Vorform erzieherischer Unterweisung. Auch das Neue Testament kennt „religionspädagogische“ Elemente. JesusJesus wird als Lehrer dargestellt (vor allem bei Matthäus, vgl. etwa die Bergpredigt Mt 5–7); er selbst verwendet in seinen Gleichnissen anschauliche, auf die ErfahrungErfahrung, Erleben, Erlebnis, auch religiöses der Hörer abgestimmte „didaktische“ Formen, die sich als Urform religiöser Symbolisierung verstehen lassen. Grundlegende Sichtweisen und Wahrnehmungsereignisse wie die Lehre vom Reich GottesReich Gottes brauchen derartige spontane Bilder mit fiktionalem Charakter. Der fundamentale formale wie inhaltliche Unterschied zwischen diesen Gleichnissen (und auch Jesu sehr eigenständigen religiösen Neuformulierungen) zu einer Glaubenslehre, wie sie sich später entwickelte, ist im Christentum kaum jemals bewusst geworden. Bereits in den neutestamentlichen Briefen wird ein zunehmend lehrhafter Ton spürbar, der die Erfahrungen und Erzählungen um Jesus sowie die ersten theologischen Deutungen als anvertraute „Überlieferung“ an die ersten Gemeinden weitergibt und später zu einer fixierbaren GlaubensGlaube, Glaubensinhalt-Lehre ausgebaut wird. Erst der Dramatiker LessingLessing, Gotthold Ephraim hat Jahrhunderte später einen markanten Unterschied zwischen der „christlichen ReligionReligion“ und der „Religion Christi“ gesehen.
In diesem Zusammenhang entwickelte sich bereits früh die katechetische Lehre (vgl. Tit 1,9 u.a.), die Grundbestände des christlichen GlaubensGlaube, Glaubensinhalt in kurzen, oft formelartigen Aussagen zusammenfasste. Gebraucht wurde sie vor allem bei der Aufnahme von (erwachsenen) Tauf-Bewerbern in die Gemeinden, die oft ein mehrere Jahre dauerndes Katechumenat durchlaufen mussten. Dadurch kam es zur Entstehung des wichtigsten christlichen Bekenntnisses, des apostolischen Glaubensbekenntnisses. Von hier aus begann auch die altkirchliche theologische Lehrentwicklung. Sie war neben ihrem Bezug zur Taufunterweisung Lehrpredigt, die Rechenschaft gegenüber einer heidnischen Umgebung zu geben versuchte. Die ersten großen Katechetenschulen in Antiochien, Alexandria und Caesarea übernahmen die antike Erziehungsidee der „paideia“ und hatten ausgearbeitete Katechismus-Entwürfe; diese wurden durch die Jahrhunderte weitertradiert und weiterentwickelt.
Mit Durchsetzung der Kindertaufe wurde die christliche Einweisung zum Teil Sache der Erziehung in den FamilienFamilie. Das christliche Wissen war allerdings bis lange ins Mittelalter hinein sehr begrenzt. Bekannt ist die Aussage Papst Gregors des Großen, der die Bilder in den KirchenKirche mit dem Argument verteidigte, sie seien die Lehre für diejenigen, die nicht lesen konnten – und das war der weit überwiegende Teil der Bevölkerung. Erst Karl der Große sorgte für eine umfassende, allerdings auf Fundamente wie etwa die Kenntnis des Vaterunsers beschränkte christliche Volkserziehung. Aufgrund der ganz anderen Lebenszusammenhänge konnte man „christlich“ sein, ohne genauer intellektuell zu begreifen, was das bedeutete; die Kirche, so dachte man, stand für den GlaubenGlaube, Glaubensinhalt ihrer Mitglieder ein.
Weitere Vorformen einer christlichen PädagogikPädagogik formierten sich dann in den Orden, den Domschulen (für die Klerikerausbildung) und den Klosterschulen (aus denen die ersten Stadtschulen hervorgingen), seit dem 13. Jh. dann vor allem in den neuen Universitäten; hier war die TheologieTheologie fraglos die erste Wissenschaft (→ 7.1). Einen großen Schub erhielt die christliche Erziehung durch die ReformationReformation. Martin LuthersLuther, Martin 1520 verfasste SchriftSchrift „An den Adel deutscher Nation: Von des christlichen Standes Besserung“ sorgte für eine starke Verbreitung der SchulenSchule und für eine wirksame Strukturierung der Glaubensunterweisung. Neben Luther betrieb sein Freund Philipp MelanchthonMelanchthon, Philipp den Ausbau und die Neustrukturierung der höheren Schulen und der Universitäten. Das entscheidende Argument lautete: Jeder Mensch sollte die BibelBibel lesen und verstehen können zur eigenen Verantwortung seines Heils. Das wirkte als starker Antrieb für die Entwicklung des deutschen Schulwesens. Bis zur Einführung der allgemeinen Schulpflicht im 19. Jh. und darüber hinaus dominierten im Schulbetrieb christliche Stoffe; die geistliche Schulaufsicht bestand sogar bis zur Weimarer Republik.
Höchst bedeutsam für die christliche Erziehung wurde der Kleine KatechismusKleiner KatechismusLuthersLuther, Martin (→ 2.1). Auch andere Katechismen, etwa solche der katholischen Gegenreformation, fanden weite Verbreitung. Hier spielte seit Mitte des 16. Jh. vor allem der Jesuitenorden eine gewichtige Rolle, der sich als straff organisiertes Werkzeug der KircheKirche verstand, und der als Erzieher im Geist des Humanismus und des katholischen Bekenntnisses unter anderem an vielen Fürstenhöfen tätig war und dadurch großen Einfluss hatte. Ein weiterer Meilenstein der christlichen PädagogikPädagogik war ComeniusComenius, Johann Amos (J.A. Komensky, 1592–1670). Mit seiner „Didactica magna“ schuf er ein überaus bedeutsames Erziehungsbuch, das zum letzten Mal die gesamte Welt als geschlossenes Schöpfungswerk GottesGott, Gottesbild, Gottesvorstellung begreift und „alle Menschen alles zu lehren“ beabsichtigte.
Die Aufklärungszeit des 18. Jh. brachte einen neuen und starken, am Ideal der selbsttätigen Vernunft orientierten Erziehungs-Impetus, die allmähliche Einführung der Schulpflicht und die Entstehung der modernen PädagogikPädagogik – die jetzt nicht mehr religiös, sondern erstmals säkular begründet war. RU gab es jetzt als eigenständiges, von anderen Stoffgebieten getrenntes schulisches Fach. Dennoch spielten die KirchenKirche aufgrund ihrer institutionellen Präsenz noch für sehr lange Zeit eine dominierende Rolle im Schulwesen (Geistliche Schulaufsicht; SchulenSchule waren fast durchgehend Konfessionsschulen; Kleriker als Schulmeister). Dadurch kam es zu einer „Verschulung“ auch der christlichen Erziehung.
Da die aufgeklärten Ideen von AutonomieAutonomie und Vernunft prinzipiell religionskritisch waren oder mit ReligionReligion wenig anfangen konnten, wurde die Religion vor allem mit der „Sittlichkeit“ (d.h. der EthikEthik) zusammengebunden. Die KatechetikKatechetik der Aufklärungszeit nahm wissenschaftliche Formen an und richtete sich entsprechend auf die sittliche Volkserziehung.
Vor diesem Hintergrund aufgeklärter Vernunft, Religions- und Kirchenkritik kam es zur Entstehung der RP im eigentlichen SinneSinn, Sinnerfahrung, Sinnfrage. Eine wichtige Rolle spielte der Aufstieg der modernen Geisteswissenschaften, vor allem der PädagogikPädagogik, auch wenn diese zunächst oft nur als Methodik aufgefasst wurde. RousseausRousseau, Jean Jacques Erziehungsroman „Émile“ (1762) und später Herbarts „Formalstufen“ des Unterrichtsablaufs (Klarheit, Assoziation, System, Methode) hatten nachhaltigen Einfluss auf die Herausbildung einer eigenständigen religiösen Pädagogik. Gefördert wurde diese auch durch die voranschreitende Industrialisierung; moderne Technik, Medizin, Verlängerung der Lebenserwartung führten zu einer starken Differenzierung der Lebensbereiche, in deren Zuge auch die ReligionReligion – und die Prinzipien ihrer Weitergabe – als eigenständige Aufgabe erkannt wurden. Deutlich wurde hier auch, dass Religion nicht umstandslos mit „Sittlichkeit“ zusammengespannt werden kann, sondern eine eigenständige und nicht ersetzbare Dimension des Lebens ist. Hier konnte man auf Friedrich SchleiermacherSchleiermacher, Friedrich zurückgreifen, den großen romantischen Theologen. Der hatte die Religion gerade nicht mit der aufgeklärten Vernunft, sondern mit Anschauung, GefühlGefühl und BildungBildung verbunden, also grundsätzlich vom Subjekt und seiner Religiosität aus gedacht.
Wenn ReligionReligion auf GefühlGefühl und Gesinnung gegründet ist, dann kann zu ihr nicht mehr bruchlos erzogen, ja sie kann nicht einmal mehr so einfach durch „Lehre“ weitergegeben und angestoßen werden!
„Zu jenem Endzweck [nämlich der BildungBildung zur ReligionReligion] kennt die Religion kein anderes Mittel, als nur dieses, daß sie sich frei äußert und mitteilt.“ (SchleiermacherSchleiermacher, Friedrich 1981, 291)
Mit diesem Gedanken wird SchleiermacherSchleiermacher, Friedrich zum eigentlichen Begründer einer wissenschaftlichen „RP“ (TRE 28, 705). Da er davon ausgeht, dass ReligionReligion Grundlage jeder BildungBildung ist, behandelt er die religiöse Erziehung jeweils im theologischen und pädagogischen Kontext. Anfangs lehnt er einen schulischen ReligionsunterrichtReligionsunterricht (RU) ab (→ 10.4). Religiöses Lernen kann nur gelingen, wenn es den Menschen ergreift; darum geschieht es grundlegend im GesprächGespräch, nicht im Vortrag – und überall dort, wo es zu innerer Beteiligung angesichts religiöser Gehalte und Vorstellungen kommt.
Der Begriff „RP“ findet sich erstmals beim Systematiker M. Reischle 1889. In dieser Zeit wird es auch bei Theologen üblich, nicht exklusiv von „KircheKirche“ oder „Christentum“ zu sprechen, sondern den umfassenderen Begriff „ReligionReligion“ zu benutzen; seit der Aufklärungszeit war die Existenz anderer Weltreligionen in den Blick gekommen.
Grundlegend für die neu getaufte Disziplin ist die Wendung von der exklusiv kirchlichen KatechetikKatechetik hin zu den Einsichten der modernen PädagogikPädagogik und Psychologie, d.h. zunächst die Wendung zum KindKind. Man will keine christliche Nische mehr kultivieren. Damit ist auch die Einlösung der immer wieder erhobenen Forderungen gegeben, pädagogisch zu denken. Maßgeblich an dieser Umformung sind die großen liberalen Religionspädagogen Richard KabischKabisch, Richard und Friedrich NiebergallNiebergall, Friedrich beteiligt, so dass man diese als Begründer der RP im engeren SinneSinn, Sinnerfahrung, Sinnfrage ansehen könnte. Ersterer stellt vor allem die Frage nach der Lehrbarkeit der ReligionReligion (→ 10.4), letzterer spannt die RP in eine übergreifende Erziehungstheorie ein, die öffentlich plausible Begründungen für ihr Tun angeben soll. Man will weg von einer reinen Stofforientierung. Die religiöse „Pädagogik vom Kinde aus“ wird bei Niebergall zunehmend ergänzt durch die Idee einer auf die KulturKultur und auf mündige Staatsbürgerschaft zielenden Charaktererziehung.
„Die RP hat sich als ‚undogmatische‘ Kulturwissenschaft gegenüber der kirchlichen KatechetikKatechetik selbständig gemacht.“ (TRE 28, 700) Diese Differenzierung bedeutet allerdings, dass neben der AufklärungAufklärung auch die Katechetik eine gewichtige Bedingung der RP abgibt; ohne diese und ihre moderne Entwicklung hätte die RP nicht entstehen können. In der Folge spricht man von „Katechetik“ bei der gemeindlichen Unterweisung etwa der Konfirmanden, von „RP“ beim schulischen RU.
Im 20. Jh. setzt eine geradezu stürmische Modell- und Gedankenentwicklung ein, die sich aus der schnell verändernden Welt und der immer schwieriger zu bestimmenden Rolle der christlichen ReligionReligion in der Öffentlichkeit (und dann auch im privaten Bereich) erklärt. Evangelische und katholische Entwicklung verlaufen weitgehend parallel; seit den 70er Jahren entsteht eine verstärkte ökumenische Kooperation. Für die katholische Seite kennzeichnend ist das Nebeneinander einer (allgemeinen) RP und einer auf kirchliches Glaubenslernen bezogenen, auch theologisch-wissenschaftlich geführten „KatechetikKatechetik“.
Eine erste Phase nach der Jahrhundertwende, die sog. Liberale RP (→ 3.1), ist geprägt durch Orientierung an den Lernenden und explizite Aufnahme von pädagogischen (Reformpädagogik u.a.) und vor allem psychologischen Einsichten, ferner durch eine Bemühung um eine plausible Vermittlung religiösen LernenReligiöses Lernens mit der gegenwärtigen KulturKultur. Nicht die KircheKirche, sondern die ReligionReligion des Menschen steht im Mittelpunkt. Auf katholischer Seite zeigt sich allerdings eine weitgehende Beibehaltung einer stark systematisch geordneten Lehr-KatecheseKatechese (sog. Reformkatechetik).
Seit den 20er Jahren setzt eine nachhaltige Veränderung des theologischen Denkens insgesamt ein. Die Orientierung gibt jetzt die sog. „Dialektische“ TheologieTheologie im Gefolge von Karl BarthBarth, Karl, Rudolf BultmannBultmann, Rudolf, Friedrich Gogarten, Paul Althaus u.a. vor. Daraus resultiert in der RP, die sich jetzt „Evangelische Unterweisung“ (→ 3.2) nennt, eine deutliche Abgrenzung vom Kulturbezug und vom Religionsbegriff der vorangegangenen Phase, ferner eine steile theologische – nicht pädagogische oder psychologische – Begründung aller christlichen Erziehung als „kirchliche Verkündigung des Wortes GottesGott, Gottesbild, Gottesvorstellung“. Diese Orientierung ist zusammen mit den restaurativen Bestrebungen nach dem Zweiten Weltkrieg trotz der massiven Modernisierung der Lebenswelt bis Anfang der 60er Jahre wirksam. Auf katholischer Seite zeigt sich die parallele Entwicklung der hier sog. „kerygmatischen (=verkündigenden) RP“ vor allem in J.A. Jungmanns Forderung einer „materialkerygmatischen Wende“: eine theologisch-deduktive KatechetikKatechetik, die von der vorausliegenden WahrheitWahrheit kirchlich dokumentierter christlicher Gehalte ausgeht.
Mit der steilen wirtschaftlichen Entwicklung nach dem Krieg verändert sich der gesellschaftliche Hintergrund nachhaltig. Wissenschaft und Technik, die modernen MedienMedien- und Kommunikationstechniken, aber auch der Verkehr, haben einen immer größeren Einfluss auf die Lebenswelt und gestalten die Lebensweise und die innere Einstellung der Menschen nachhaltig um. Die „hermeneutische“ (→ 3.3) und die „problemorientierte“ RP (→ 3.4) reagieren auf diesen fortwährenden Modernisierungsschub mit dem Versuch der Aufnahme moderner hermeneutischer, soziologischer und curricularer Einsichten sowie mit dem thematischen Bezug auf Problemstellungen, die sich aus der modernen Weltsituation ergeben. Auf katholischer Seite führt die Orientierung an der anthropologisch ausgerichteten TheologieTheologie Karl RahnersRahner, Karl, an der des evangelischen Theologen Paul Tillich und an der modernen ExegeseExegese zur Entwicklung neuer Bibeldidaktiken (H. HalbfasHalbfas, Hubertus, G. Stachel, → 11.1) und einer RP, die „TraditionTradition und Situation“, GlaubeGlaube, Glaubensinhalt und ErfahrungErfahrung, Erleben, Erlebnis, auch religiöses in der für lange Zeit gültigen „Korrelationsdidaktik“ (seit 1972) in gegenseitige Vermittlung bringt (G. Baudler, → 10.5).
Spätestens seit den 80er Jahren macht sich eine breite Wendung zu ästhetischen Themen (→ 17.4) wie etwa dem SymbolSymbol (Symboldidaktik seit etwa 1980, → 11.2), dem MythosMythos und dem SpielSpiel bemerkbar (Bibliodramabewegung, → 11.6). „ReligionReligion“ und ihre Eigenständigkeit werden als Thema wiederentdeckt, zumal die These der „SäkularisierungSäkularisierung“ der Welt durch die Moderne, d.h. die Annahme eines Aussterbens der Religion, als voreilig erkannt wird. Die ÄsthetikÄsthetik orientiert sich an religiösen Gestalten, Formen und Vollzügen und geht davon aus, dass Inhalte durch diese nicht nur nachhaltig mitbestimmt werden, sondern ohne Formen gar nicht existieren. Daneben kommt es zu einer Wendung zu konkreten Lebensfragen: IdentitätIdentität, Sinnsuche, sinnliche Erfahrbarkeit von Religion und deren „Nutzen“ im Leben, inzwischen auch nach dem Selbstwertgefühl, bilden neue Fragehorizonte. Auch hier verläuft die katholische Entwicklung weitgehend parallel. Kennzeichnend ist hier zwar die deutlich stärkere Betonung der offiziellen kirchlichen Glaubenslehre und des katechetischen Modells; gleichzeitig aber zeigt sich von Anfang an ein durchgehendes BewusstseinBewusstsein um die allgemein menschliche Bedeutung der Religion und um die Bedeutung ihrer Formen, Symbole und Atmosphären.
Es zeigt sich: im Abendland hatte das Christentum in allen Epochen einen nachhaltigen und maßgeblichen Einfluss auf die Erziehung, nicht nur auf die religiöse, sondern auch auf die allgemeine. Unzähligen Menschen hat sie Heimat und die Möglichkeit gegeben, sich selbst und die Welt zu verstehen. Die dunkle Seite der christlichen PädagogikPädagogik aber ist ihre oft asketische, strenge und moralisierende Grundhaltung, ferner ihre tendenzielle Verabsolutierung der (dogmatischen) Lehre zum unberührbaren Heiligtum. Speziell die Vorstellung GottesGott, Gottesbild, Gottesvorstellung als Richter wurde für viele zum drückenden „Über-Ich“. Dadurch wurden Weltflucht, Körperfeindlichkeit, Schuldgefühle und Angst vor Strafe begünstigt, die ihrerseits die allzu große weltliche Macht der KircheKirche abstützten. Bei kritischem Blick muss auffallen, dass die christliche Erziehung den abendländischen Menschen nicht friedfertiger und gelassener gemacht hat. Verständlich und ernst zu nehmen ist darum Sigmund FreudsFreud, Sigmund Kritik der ReligionReligion als infantile „Illusion“, die das vernünftige Erwachsenwerden blockiert – auch wenn sich diese Kritik im Einzelnen widerlegen lässt. Die Frage nach einer sinnvollen und vernünftigen RP ist mit diesen Überlegungen gerade neu eröffnet.
Die GemeindepädagogikGemeindepädagogik ist eine Aufgabe von grundlegender religionspädagogischer Bedeutung. Ihr bisher ungelöstes Theorieproblem ist ihre Isolierung neben und innerhalb der Erwachsenenbildung und der RP insgesamt. Faktisch wird RP derzeit mit dem fast ausschließlichen Blick auf den RU in der SchuleSchule betrieben, die Gemeindepädagogik mit Blick auf die pädagogischen Handlungsfelder in der Gemeinde. Diese Nebeneinanderstellung bleibt schon deshalb unzureichend, weil in beiden Bereichen grundlegend gleiche religionspädagogische Bedingungen sowie religionsdidaktische Prinzipien gelten bzw. gelten müssen (→ Einleitung).
„GemeindepädagogikGemeindepädagogik“ wurde erstmals 1973 von Enno Rosenboom angesichts didaktisch und konzeptionell unzulänglicher Gemeindearbeit programmatisch gefordert. Wichtigster Grund ihrer Entstehung war die Einsicht, dass das pädagogische Handeln in der Gemeinde faktisch auf den KonfirmandenunterrichtKonfirmandenunterricht beschränkt und dieser weitgehend ohne Kenntnis modernen pädagogischen Wissens und überhaupt fast ohne Theoriebildung geblieben war. Die sinnvolle und wirksame „Kommunikation des EvangeliumsEvangelium / Kommunikation des E.“ erfordert aber in allen ihren Bereichen pädagogische Einsichten. Die Gemeindepädagogik nimmt die alte „KatechetikKatechetik“ in neuer Weise in sich auf, reflektiert darüber hinaus insbesondere die in der Gemeinde handelnden Personen (vor allem die Mitarbeiter), die religiöse Erziehung in der FamilieFamilie, den kirchlichen Kindergarten, Kindergottesdienst, Konfirmanden- und Jugendarbeit, Evangelische Erwachsenenbildung und Altenarbeit. „Gemeindepädagogik“ ist also Überbegriff für alle Formen pädagogischer Aktivität im Bereich der Kirchengemeinde.
Von Anfang an sind die Erwartungen an die neue GemeindepädagogikGemeindepädagogik sehr unterschiedlich gewesen: Soll sie den Gemeindeaufbau vorantreiben? Ist sie zur pastoralen KompetenzKompetenz-Stärkung da? Soll sie die konzeptionelle Vernetzung der Gemeindearbeit reflektieren? Oder soll sie eine entsprechende gemeinde-spezifische religiöse Didaktik entwickeln? Die beiden letzteren Posten dürften zumindest als ihre Hauptaufgabe anzusprechen sein. Inzwischen hat sich allerdings auch die grundlegende und für die gesamte RP folgenreiche Einsicht etabliert, dass die Aktivitäten des Gemeindelebens – einschließlich des Gottesdienstes! – eine fundamental wichtige didaktische Komponente haben, also religionspädagogisch von unverzichtbarer Bedeutung sind. In ihnen wird christliche ReligionReligion erfahren, gelebt, und darum immer auch weitergegeben und grundlegend gelernt. Die bekannte Grundformel von Ernst Lange, Aufgabe der Gemeinde sei die „Kommunikation des EvangeliumsEvangelium / Kommunikation des E.“, versucht dieser Tatsache auf mehreren Ebenen Rechnung zu tragen.
Der Diskurs um die GemeindepädagogikGemeindepädagogik ist in der gesamten Praktischen TheologiePraktische Theologie eher am Rand geblieben. Grund dafür mag die schwierige und umstrittene, manchmal schlicht übergangene Zuordnung zur bzw. innerhalb der RP sein. Durch die Orientierung an den gemeindlichen Orten allein lässt sich kaum ein eigenständiges gemeindepädagogisches Konzept erkennen.
Inzwischen fordern manche Autoren, die GemeindepädagogikGemeindepädagogik weiter auszubauen. Klaus Wegenast und Godwin Lämmermann (1994) schlagen für eine theoretische Grundlegung vor, bei den „Alltagserfahrungen ihrer Adressaten“ anzusetzen. Altershomogene wie generationen-übergreifende Gruppen müssen in gleicher Weise im Blick sein. Die „Kommunikation des EvangeliumsEvangelium / Kommunikation des E.“ dient als Grundformel; Basis der Arbeit muss eine Erörterung des eigenen GlaubensGlaube, Glaubensinhalt der Menschen in den Gemeinden sein, jenseits einer kirchlich-theologischen „Behauptungskultur“, im pluralen (interkulturellen und interreligiösen) Kontext der Zeit und im Zusammenhang mit gegenwärtigen Problemen und Fragen. Dafür ist vor allem eine kritische KompetenzKompetenz im Umgang mit Informationen und MedienMedien nötig, ferner müssen vor allem neue Zugänge zur BibelBibel überlegt werden, die das heutige Autonomiebewusstsein der Menschen ernst nehmen.
Auch Christian Grethlein (1994) versteht die GemeindepädagogikGemeindepädagogik als die „Theorie der BildungBildung in der Gemeinde“, sieht sie theoretisch also lediglich durch einen spezifischen Ort zusammengehalten. Grethlein stellt jeweils historische Entwicklung, derzeitige Situation, kritische Beurteilung und Handlungsperspektiven der einzelnen Felder zusammen. Aufgenommen in seinen Entwurf ist vor allem der GottesdienstGottesdienst (Liturgik) als eigener Bereich, ferner sind die Mitarbeiter ausführlich reflektiert.
Erstmals zusammengespannt hatte den RU und die gemeindepädagogischen Felder Karl-Ernst NipkowNipkow, Karl-Ernst 1990 in seinem Band „BildungBildung als Lebensbegleitung und Erneuerung“ (21992), ohne dort allerdings die Begriffe RP und GemeindepädagogikGemeindepädagogik breiter zu reflektieren; der Band stellt eine Reihung religionspädagogischer Aktivitäten unter dem Stichwort „Bildung“ entlang des Lebenslaufes dar. Im ersten Teil wird die christliche „Bildungsverantwortung“ aus der Perspektive der KircheKirche, des neuzeitlichen Christentums und der Gesellschaft verhandelt. Im zweiten Teil des Buches begegnen die klassischen Felder religionspädagogischer Arbeit: FamilieFamilie, Kindergarten, Kindergottesdienst, Konfirmandenarbeit, RU, Erwachsenenbildung.
Die neueste gemeindepädagogische Entwicklung zeigt eine verstärkte Aufnahme des Bezugs zur Alltagswirklichkeit der Menschen in den Gemeinden: der Lebensweltbezug des christlichen GlaubensGlaube, Glaubensinhalt und Lebens scheint ein zentrales Thema zu werden. Die Gemeinde gilt dann weniger als Ziel, eher als Lern- und Lebens-Ort eines alltagsbezogenen Glaubens bzw. einer lebendigen christlichen Religiosität. Sinnvoll und notwendig scheint darüber hinaus eine Vernetzung der GemeindepädagogikGemeindepädagogik mit den weiteren Theoriefeldern innerhalb der RP.
Historisch steht die neuere RP im Zusammenhang mit der Praktischen TheologiePraktische Theologie. Diese verstand sich zunächst als Pastoraltheologie, d.h. als Reflexion der pfarramtlichen Tätigkeiten innerhalb der Gemeinde. Ihre wissenschaftliche Begründung hatte sie wiederum durch Friedrich SchleiermacherSchleiermacher, Friedrich erhalten. In der SchriftSchrift „Kurze Darstellung des theologischen Studiums“ wird sie als „Kirchenleitung“ bezeichnet, die die „Kunstregeln“ ermittelt, die zur „Verbesserung“ des kirchlichen Lebens beitragen; dieses wird als freier religiöser Austausch der Menschen im Rahmen der christlichen TraditionTradition verstanden.
Die RP ist von dieser Auffassung nachhaltig geprägt; ihre weitere Entwicklung vollzieht sich im Wesentlichen parallel zu der der Praktischen TheologiePraktische Theologie insgesamt. Ihr wissenschaftstheoretisches Selbstverständnis ist darum zunächst das einer Handlungswissenschaft, die Praxis reflektiert und verbessert. Die Handlungswissenschaft wird heute aber nicht mehr als durchgängiges Paradigma verstanden. Wichtige Bereiche wären nicht unter diesem Begriff zu fassen – etwa die Frage nach der Präsenz von ReligionReligion heute, die Frage nach dem Verhältnis von Religion und BildungBildung und von GlaubeGlaube, Glaubensinhalt und Lernen, die Frage nach der Besonderheit religiöser Lernprozesse, die wissenschaftstheoretische Zuordnung der RP zu Lerntheorie, ÄsthetikÄsthetik, Neurophysiologie usw.
Das wissenschaftliche Selbstverständnis der RP änderte sich bereits im zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit der „Problemorientierten“ Konzeption (→ 3.4) und dem Einbezug der Sozialwissenschaften zu einer Empirischen Wissenschaft. Klaus Wegenast sprach hier von der „empirischen Wende“ der RP. Allerdings kann Empirie allein die Fragen der RP ebenso wenig lösen wie die Handlungsorientierung; sie bleibt als Teil unverzichtbar, muss aber durch HermeneutikHermeneutik, d.h. Verstehen von Texten, aber auch durch Subjekt- und Lebenshermeneutik, also von Auffassungs- und Lebensweisen ergänzt werden (→ 16.4).
Seit den 1980er Jahren wird die klassische Texthermeneutik erweitert und ergänzt durch eine religiöse Kulturhermeneutik (→ 16.4). Religiöse Lernprozesse können nur gelingen, wenn die religiösen Kulturtraditionen, religiöse Dimensionen der Gegenwartskultur und religiöse Lebensmuster durchschaut und in ihrer Bedeutung für Menschen und Gesellschaft verstanden werden; religiöses LernenReligiöses Lernen lässt sich nicht unabhängig von der Lebenswelt und von persönlichen Bezügen und Verstehensweisen betreiben. Im Zusammenhang mit dieser Neuorientierung wurde oft auch von einer Wahrnehmungswissenschaft gesprochen. Wenn RP als „Theorie der Praxis christlicher Lern- und BildungBildungsprozesse“ (TRE 28, 702) verstanden wird, dann ist diese Praxis vor einem gesellschaftlichen, kulturellen, lebensweltlichen und kulturreligiösen Hintergrund verstanden.
RP ist der theologische Spezialfall interdisziplinären Arbeitens, da sie mehr als jedes andere theologische Fach auf Öffentlichkeit bezogen ist und die allgemeine PlausibilitätPlausibilität christlich-religiösen LernenReligiöses Lernens zur Frage hat. Das Interesse der RP richtet sich generell nicht nur auf die „Weitergabe“ christlicher Gehalte, sondern zugleich damit notwendigerweise auch auf die Frage nach deren Verstehbarkeit, nach deren Annehmbarkeit und ihrer nach Situation und Person verschiedenen Wirkung. Sie betreibt also religiöse KommunikationKommunikation vor einem christlichen Hintergrund und Interesse, und bereits aus der mehrperspektivischen Struktur der Kommunikation lässt sich die Verwiesenheit der RP auf andere Wissenschaften gut ablesen.
Welche Disziplinen sind gemeint? In der RP gilt die übliche Annahme, sie stünde vor allem zwischen christlicher TheologieTheologie und allgemeiner PädagogikPädagogik. Allerdings ist die RP weder ein Spezialfall der Pädagogik, die allgemeine pädagogische Strategien sozusagen mit theologischen Gehalten aufrüsten könnte – auch wenn die RP an manchen Hochschulen als Teilfach der Erziehungswissenschaften geführt ist und von religionspädagogischen Autoren wie Gert Otto, Günter R. Schmidt u.a wissenschaftstheoretisch so zugeordnet wurde; die ReligionReligion käme hier in ihrer umfassenden Bedeutung zu kurz, die eigenständige Herkunft und die sehr spezifische Fragestellung der RP wären unterbewertet. Noch ist sie eine Anwendung der Theologie; denn so müsste sie von der vorausliegenden WahrheitWahrheit und Gültigkeit theologischen Denkens ausgehen und könnte die religiösen Einstellungen, Bedürfnisse, Erfahrungen der Menschen immer nur als sekundär betrachten.
Unklar bleibt beim Rekurs auf die PädagogikPädagogik, warum nicht die weiteren Sozialwissenschaften (Psychologie, Soziologie usw.) oder die Religionswissenschaft den Bezugspartner abgeben könnten. Nicht gesehen wird meist auch, dass die TheologieTheologie in der Pädagogik faktisch kaum wahrgenommen wird. Der Bezug zur Pädagogik ist für die RP zwar konstitutiv, nicht aber als feststehender Verbund, sondern im SinneSinn, Sinnerfahrung, Sinnfrage gegenseitiger Gesprächspartner, deren Verhältnis kein exklusives sein kann. Der Begriff „Verbundwissenschaft“ ist darum eigentlich unglücklich. Eine sinnvolle Einschätzung wäre: RP ist eine empirisch, hermeneutisch und kulturwissenschaftlich arbeitende theologische Disziplin, die allerdings fundamental angewiesen ist auf Bezüge zu mehreren Nachbarwissenschaften. Die Betonung liegt also auf dem zwischen: RP nimmt grundlegende Einsichten von Pädagogik und anderen Wissenschaften in sich auf, allen voran die an der Entfaltung des Menschen interessierte Bildungstheorie; dennoch darf sie als eine theologische Disziplin gelten, die in christlichem Interesse alle Formen religiösen LernenReligiöses Lernens und Bildens untersucht.
Noch einmal komplizierter als die Einordnung der RP in den Zusammenhang der Wissenschaften ist ihre innertheologische Zuordnung. Die KatecheseKatechese konnte noch relativ leicht als Anwendungsdisziplin theologischen Sachwissens verstanden werden. RP aber hat es mit ReligionReligion (→ 2.2, 18) zu tun, die mehr ist als christlicher GlaubeGlaube, Glaubensinhalt. Geht es also um Religion oder ums Christliche? Oder um Glauben? Um dogmatisch bestimmte Lehre? Was sind die religionspädagogischen Inhalte? Muss Religion über TheologieTheologie verstanden werden oder umgekehrt? Die Zuordnung der RP zur Theologie ist also klärungsbedürftig, ähnlich wie ihr Bezug zu KircheKirche und Gemeinde. Sinnvoll scheint ein Bezug auf die übergeordnete Größe derchristlichen Religion, verstanden als eine Dimension der KulturKultur, die Theologie und Kirche in sich begreift.
Im katholischen Bereich lassen sich wiederum parallele Zuordnungen vornehmen. Allerdings muss eine terminologische Differenz beachtet werden: RP gilt hier oft als Teildisziplin der „KatechetikKatechetik“, die dann Überbegriff über alles religiöse LernenReligiöses Lernen ist.
Wenn RP als theologische Disziplin aufgefasst wird, dann stellt sich die Frage nach ihrer Bedeutung und ihrem Ort innerhalb des theologischen Fächergefüges (→ 7.2). Die RP ist zunächst Teil der Praktischen TheologiePraktische Theologie. Diese erforscht christliche Praxis, d.h. die christlichen Lebensvollzüge; sie analysiert diese Praxis und versucht sie anhand eigens reflektierter Kriterien zu fördern bzw. zu verbessern. Dazu ist der Blick auf „ReligionReligion“ auch außerhalb des Christlichen inzwischen unverzichtbar geworden. Die RP bedenkt darum das Vorkommen und die Bedeutung von „Religion“ auch ganz unabhängig von christlichen Einstellungen und Interessen – etwa in ihren Analysen zur Religion in der Populären