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Die Fortsetzung zu "Revolver im Strumpfband: u.a. ein Liebesroman"! Seit einem halben Jahr genießen Puff-Security Nancy und ihre große Liebe Mike ihr gemeinsames Glück. Doch am St. Patrick's Day ziehen plötzlich dunkle Wolken auf: Die Polizei taucht unerwartet im Ruby's Rooms auf und stellt unangenehme Fragen. Gleichzeitig drängt sich Mikes attraktive Ex-Freundin wieder in sein Leben. Während Nancy gegen die Eifersucht ankämpft, gerät die Balance zwischen ihrem Leben im Rotlichtmilieu und ihrer Beziehung in eine lebensgefährliche Schieflage. Eine Geschichte über Angst und Hoffnung, Verlust und Neuanfang.
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Seitenzahl: 293
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However long the day, the evening will come
- Irisches Sprichwort
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44
Kapitel 45
Kapitel 46
Kapitel 47
Kapitel 48
Kapitel 49
Kapitel 50
Kapitel 51
Kapitel 52
Kapitel 53
Kapitel 54
Kapitel 55
Kapitel 56
Kapitel 57
Kapitel 58
Kapitel 59
Kapitel 60
Epilog
»Allmählich hab ich von der Farbe Grün die Schnauze voll«, sagte Nancy, während sie auf einer Leiter stand und versuchte, eine Kleeblatt-Girlande an der Wand anzubringen.
»Dann solltest du dir die Haare umfärben«, erwiderte Rosie mit einem Schmunzeln in der Stimme und reichte ihr ein Stück Klebeband.
»Dieses verfickte … « Nancy kämpfte mit einem der Streifen, der lieber an ihren Fingern klebte als dort, wo er sollte. »Kannst du mir bitte mal ein neues geben?«
Rosie reichte es ihr.
»Ich weiß eh nicht, was der Zirkus soll.« Nancy schaffte es endlich, ein Ende der Girlande zu befestigen. »Der ganze Aufwand für einen Abend, und dann ist es auch noch ein Donnerstag. Das macht sie doch nur wegen Angus.«
Nancy stieg von der Leiter, trat einen Schritt zurück und sah, dass die Girlande hängen blieb. Daraufhin stieß sie einen triumphierenden Laut aus.
»So was ist halt Ruby-Jeans Art, ihre Zuneigung auszudrücken«, sagte Rosie.
Nancy verrückte die Leiter ein Stück weiter nach links und stieg hinauf. »Mit einem Thementag im Puff?«, fragte sie, hielt der Bardame die Hand hin und gab ihr so zu verstehen, dass sie ihr Klebeband reichen sollte.
»Mike kommt doch auch aus Irland«, erwiderte Rosie.
Nancy korrigierte: »Nordirland.«
»Macht das einen Unterschied?«
»Allerdings.« Sie schlug mit der flachen Hand mehrmals auf das Klebeband, als würde es so besser haften. »Einen
gewaltigen sogar.«
»Wie dem auch sei. Seitdem du mit Mike zusammen bist, willst du immer irischen Whiskey in deine Cola. Also hat er dich da auch beeinflusst.«
Ehe Nancy etwas erwidern konnte, wurde ihre Unterhaltung unterbrochen.
»Entschuldigung, falls wir stören«, sagte eine Frau in schwarzer Stoffhose und hellblauer Bluse. Neben ihr stand ein Mann in braunem Anzug. »Ich bin Kommissarin Müller und das ist mein Kollege, Kommissar Engler. Wo können wir Frau Hartmann finden?«
»Die ist im Moment nicht da«, sagte Nancy, bemüht, sich ihre Verunsicherung nicht anmerken zu lassen. »Worum geht es denn?«
»Arbeiten Sie hier?«, fragte die Kommissarin. »Frau …«
»Armstrong. Und ja, ich arbeite hier.«
»Und was ist Ihre Tätigkeit?«
»Ich möchte nicht unhöflich sein, aber Sie haben mir schon eine Menge Fragen gestellt, meine einzige bisher aber nicht beantwortet.«
Kommissarin Müller lächelte freundlich. »Pardon. Wie unhöflich von mir. Wir ermitteln in einem Vermisstenfall. Eine fünfzehnjährige Schülerin wird seit gestern vermisst.«
»Also hier ist sie ganz sicher nicht«, sagte Rosie und verschränkte die Arme. »Und bevor Sie fragen müssen, mein Name ist Roswitha Schmidt. Und ich arbeite auch hier, ich bin die Barfrau.«
Kommissar Engler kritzelte alles zügig in sein Notizbuch.
»Da ich Ihre Frage beantwortet habe, Frau Armstrong, können Sie mir ja verraten, was Sie hier machen.«
»Dies und das«, erwiderte Nancy trocken und legte sich im Kopf die passenden Lügen zurecht.
»Dies und das?«, fragte die Kommissarin skeptisch, und der Kommissar sah von seinem Block auf.
»Kondome auffüllen, Bettwäsche waschen, Kaffee kochen und so weiter«, zählte sie auf. »Quasi Mädchen für alles. Ich bin keine Prostituierte oder Tänzerin, falls Sie das vermuten.«
Die Kommissarin lächelte wieder freundlich. Zu freundlich. »Armstrong ist ein ungewöhnlicher Name«, merkte sie an.
Nancy nickte stumm. Sie widerstand dem Impuls, zu erzählen, dass ihre Mutter US-Amerikanerin gewesen war. Weder wollte sie zu viele persönliche Informationen preisgeben, noch sich verdächtig verhalten. Sie spürte den Schweiß am Haaransatz.
»Nein, wir wollen keinem etwas unterstellen«, unterbrach die Kommissarin die Pause. »Wir gehen nur alle Möglichkeiten durch, wo das Mädchen untergekommen sein könnte. Hier steht niemand unter Verdacht, falls Sie das befürchten. Dies ist ein Foto der Vermissten.« Sie reichte Nancy einen Ausdruck. Vom Foto strahlte sie ein brünetter Teenager an.
»Falls Sie sie sehen oder Hinweise haben, rufen Sie bitte an.« Sie gab ihr eine Visitenkarte.
»Das werden wir«, versicherte Rosie lächelnd. »Ach, da ist ja Ruby-Jean. Also, Frau Hartmann.«
Ruby-Jean kam mit zwei Einkaufstüten in die Bar. Verwirrt sah sie alle an und stellte die Tüten auf dem Boden ab. »Was ist hier los?«
Nancy ging zu ihr, gab ihr das Foto und flüsterte ihr zu: »Polizei. Teenager wird vermisst.«
Ruby-Jeans Augen weiteten sich. »Ich mach das schon«, sagte sie leise zu Nancy und dann in normaler Lautstärke zu den Kommissaren: »So, Sie wollen mit mir sprechen? Wie wäre es, wenn wir dafür in mein Büro gehen? Kaffee? Kaffee. Rosie, setz mal welchen auf, bitte.«
Rosie tat, wie ihr geheißen, und Nancy fragte: »Werde ich noch gebraucht?«
»Nein, vielen Dank für Ihre Zeit«, erwiderte Müller und wurde im nächsten Moment von Ruby-Jean geradezu Richtung Büro geschoben.
»Gott sei Dank, sind die weg.« Nancy seufzte und Rosie nickte zustimmend. »Was ist eigentlich in den Tüten?«, fragte Nancy und sah hinein. »Leck mich doch am Arsch! Noch mehr dusselige Deko!«
In diesem Moment löste sich ein Ende der Girlande, welche Nancy mühevoll angebracht hatte. Kurz darauf auch das andere Ende, und die Girlande fiel zu Boden.
»Fuck!«
Nancy wollte eine weitere Begegnung mit Kommissarin Müller vermeiden. Sie ging hinaus und um die Ecke, stellte sich so hin, dass man sie vom Eingang aus nicht sehen konnte. Sie steckte sich einen Zigarillo an und stieß seufzend den Rauch aus. Es passte ihr nicht, dass die Polizei hier herumschnüffelte. Vor allem bei der Kommissarin hatte sie ein ungutes Gefühl, weil sie Nancy so misstrauisch beäugt hatte.
Kaum hatte Nancy aufgeraucht, hörte sie die beiden Kommissare die Bar verlassen.
»Armstrong …«, murmelte die Kommissarin. »Der Name kommt mir bekannt vor.«
»Ist ein geläufiger Nachname«, erwiderte der Kommissar.
»Ja, aber nicht in Deutschland. Gab es da nicht vor zwanzig Jahren einen Doppelmord?«
»Jetzt, wo Sie es sagen. War das nicht eine Frau, die aus Eifersucht zwei Menschen getötet hat?«
»Ich glaube, das war es. Kommt ja nicht so häufig vor, dass eine Frau ihren Partner tötet. Es ist meistens andersherum. Ob sie mit der Mörderin verwandt ist?«
»Gut möglich.«
Sie gingen zu ihrem Auto, und die weitere Unterhaltung war nicht mehr zu verstehen. Nancy holte aus ihrer Jackentasche ihr Smartphone – ein zu teures Geburtstagsgeschenk von Mike – und knipste unauffällig ein Foto vom silbernen BMW der Polizisten, ehe diese wegfuhren.
»Scheiße«, zischte sie.
Es wäre ein Leichtes für die Kommissarin, herauszufinden, dass sie die Tochter einer Doppelmörderin war. Andererseits war es nichts, womit sie sie hätte belasten können.
Ruby-Jean stand an der Theke und unterhielt sich mit Rosie.
»Und?«, fragte Nancy.
»Alles gut. Haben ein paar Fragen gestellt und ich habe mich so kooperativ gezeigt, dass sie uns hoffentlich ansonsten in Ruhe lassen.« Ruby-Jean klatschte in die Hände. »So, wird Zeit, hier fertig zu werden. Weit seid ihr ja nicht gekommen mit der Deko.«
Nancy sah zur Uhr. Es war fast Mittag und sie hatte Mike versprochen, ihm zu helfen, sobald sie hier fertig war. Obwohl sie sich fragte, wie weit man einen Irish Pub für den Saint Patrick’s Day zu dekorieren hatte. Eigentlich hatte sie ihm ihre Hilfe nur aufgedrängt, damit sie Zeit mit ihm verbringen konnte.
»Was ist los?«, fragte Ruby-Jean und packte die Einkaufstüten aus. »Hast du noch was vor oder warum guckst du ständig zur Uhr?«
»Also…ja, eigentlich schon«, druckste sie.
Ruby-Jean seufzte. »Mike, nicht wahr? Na los, geh schon.«
»Wirklich?«, erwiderte Nancy erstaunt.
»Ja, wirklich«, sagte sie, hob die herabgefallene Girlande vom Boden und hielt sie wie ein Beweisstück hoch. »Du bist eh keine Hilfe. Wenn ich dich machen lasse, dann sind wir vielleicht zum Saint Patrick’s Day in zwei Jahren fertig.«
»Danke, Mutti!«
Während der Busfahrt hörte Nancy über ihren MP3-Player das Lied Far Side of Nowhere von Social Distortion. Um sich von dem Gespräch mit der Polizei abzulenken, überlegte sie, was sie Mike zum Geburtstag schenken sollte. Zwar hatte sie noch zwei Monate Zeit, aber da er ihr das Handy geschenkt hatte, wollte sie sich revanchieren. Außerdem war es der erste Geburtstag, seit sie zusammen waren, darum sollte es etwas Besonderes werden.
Nancy erreichte das Rose in the Heather. Sie ging um das Gebäude herum zum Hintereingang und hielt inne, als sie Stimmen hörte. Neugierig lugte sie um die Ecke und sah, wie Mike sich mit jemandem unterhielt. Einer jungen Frau, etwa in ihrem Alter. Sie hatte lange, wellige, blonde Haare.
»Bitte«, flehte sie ihn an. »Ich weiß nicht, was ich sonst machen soll.«
Er zog an seiner Zigarette und seufzte. »Vergiss es, nach der Scheiße, die du gemacht hast.«
Sie faltete die Hände vor der Brust, die sie dadurch mit ihren Oberarmen zusammendrückte. »Es tut mir leid! Ich war jung und dumm, fast noch ein Kind. Und ich war einsam. Immer musstest du arbeiten…«
Nancys Innereien versackten und verknoteten sich ineinander. Allmählich verstand sie, wer die Frau war. Sie musterte sie genau. Die schlanke Figur, die großen Brüste, den runden Po. Sie war attraktiv und feminin. Nancy fühlte sich auf einmal klein, plump und pummelig. Zuvor hatte sie sich nie Gedanken über ihr Aussehen gemacht, oder besser gesagt, es hatte ihr deswegen nie an Selbstbewusstsein gemangelt. Sie hatte immer Wert auf ihr Äußeres gelegt, doch nicht im konventionellen Sinne. Neben der Frau kam sie sich vor, als würden sie nicht dem gleichen Geschlecht angehören.
»Außerdem kann ich das nicht entscheiden. Der Pub gehört immer noch meiner Mutter.« Mike trat die Zigarette aus.
»Komm schon, die Sache ist wie lange her, sieben Jahre?«, fragte sie, und Nancys Verdacht bestätigte sich. Fieberhaft überlegte sie, ob sie zu ihnen hingehen oder sie weiter beobachten sollte.
Mike seufzte ausgiebig und sagte: »Wir sind unterbesetzt. Aber ich weiß nicht, ob Mum davon begeistert sein wird, wenn du hier arbeitest.«
Die Blondine quietschte freudig. »Oh, Mike, du bist ein Schatz!« Dann warf sie sich ihm an den Hals. Nancy war kurz davor, hinüberzustürmen, ihr die Extensions aus dem Haar zu reißen und sie damit von hinten zu erwürgen.
Mike schob sie grob von sich. »Das reicht, Mareike. Versuch es nicht mal. Wir sind durch.«
Beleidigt schob sie die Unterlippe vor. »Hast du eigentlich eine Freundin?«
»Ja«, antwortete er prompt, und Nancy entschied, die Szene zu betreten. »Wenn man vom Teufel spricht«, sagte er lächelnd und drückte Nancy einen Kuss auf, den sie erwiderte. Aus dem Augenwinkel sah sie, dass Mareike das Gesicht verzog. Mike legte den Arm um Nancy. »Nancy, das ist Mareike. Eine … Bekannte von früher.«
»Hi, schön, dich kennenzulernen«, log Nancy freundlich.
Mareike erwiderte die gleiche Floskel im gleichen Tonfall. »Wegen des Jobs«, sagte sie, »wäre es gut, wenn wir Nummern austauschen. Gib mir dein Handy, dann speichere ich meine Nummer ein.« Mike zögerte einen Herzschlag lang, ehe er nickte und ihr sein Handy reichte. Flink tippte sie die Zahlen ein und rief sich selbst an. »Super, jetzt hab ich auch deine Nummer«, flötete sie.
Es fiel Nancy schwer, sich nicht anmerken zu lassen, wie ihr das Ganze missfiel. Bisher hatte Mike sich vorbildlich verhalten, trotzdem kroch etwas ihr den Nacken hinauf. Immerhin hatte er sie über sein Verhältnis zu Mareike belogen.
Selbst nachdem Mareike sich verabschiedet hatte und gegangen war, blieb etwas zurück. Nicht nur die Wolke ihres aufdringlichen Parfüms.
Was außerdem blieb, war Eifersucht.
Nancy verkniff es sich, Mike zu sagen, dass sie wusste, wer Mareike war. Dass sie wusste, dass sie eine Ex-Freundin war. Diejenige, die vor circa sieben Jahren mit ihm Schluss gemacht hatte, indem sie mit seinem damals besten Kumpel im Pub aufgetaucht war und vor Mike herumgeknutscht hatte. Woraufhin er sich mit ihm geprügelt und dabei einen Vorderzahn verloren hatte, der durch eine Metallkrone ersetzt worden war.
»Ich freu mich, dich zu sehen«, sagte Mike.
»Ich mich auch«, erwiderte Nancy lächelnd und der Knoten in ihrem Inneren löste sich. »Und, gibt es viel zu tun?«, fragte sie und setzte sich auf einen Hocker an der Theke.
»Was meinst du?« Er stellte Nancy einen Becher Kaffee hin.
»Na, dekorieren?«
Mike schmunzelte und nippte an seinem Kaffee. »Sieh dich doch um, die Einrichtung schreit ja förmlich Irland. Noch mehr Kitsch und Deko geht ja kaum.«
»Ich hab’s schon geahnt«, gab Nancy zu. »Ich hab ehrlich gesagt nur einen Vorwand gesucht, der grünen Hölle, die Ruby-Jean bei uns erschafft, zu entkommen. Meinst du, heute wird viel los sein?«
»Ich hoffe doch. Das Einzige, was mir Sorgen bereitet, ist, dass uns Personal fehlt.«
»Ging es vorhin darum?«
Mike nickte, drehte sich rasch herum, sodass Nancy sein Gesicht nicht mehr sehen konnte, und goss sich Kaffee nach. »Ich kann das aber nicht entscheiden, Mum hat bei so was das letzte Wort«, sagte er mit dem Rücken zu ihr und rührte lange in seinem Becher. Verdächtig lange, denn sie wusste, dass er seinen Kaffee nur mit Milch trank und man eigentlich gar nicht umrühren musste. Mit scharfen Krallen kletterte die Eifersucht Nancys Nacken hinauf und bohrte sich in ihre Wirbelsäule.
»Die Polizei war vorhin bei uns«, wechselte Nancy abrupt das Thema, um das Gefühl abzuschütteln.
Mike drehte sich um. »Was wollten die?«
»Eine Fünfzehnjährige wird vermisst und die wollten wissen, ob wir was wissen.«
»Und?«
»Ruby-Jean achtet darauf, dass alles korrekt ist. Die Prostituierten müssen ihren Ausweis vorzeigen und sie ist sehr penibel mit dem Papierkram. Also haben die nichts, um uns anzukacken, und falls das Mädchen bei uns auftaucht, dann merken wir das.« Sie trank einen Schluck Kaffee. Den Teil, dass die beiden Kommissare über Nancys Nachnamen gemutmaßt hatten, ließ sie bewusst aus.
»Ich hoffe, sie taucht wieder auf«, sagte Mike.
Nancy nickte. »Vielleicht ist sie auch nur ausgerissen, hängt bei ein paar Freunden ab, um ihren Eltern einen Schrecken einzujagen, und kommt ein paar Tage später nach Hause.«
»Hoffentlich«, erwiderte er und beugte sich zu Nancy vor. Sie sah ihm in die grauen Augen und konnte kaum glauben, was für ein Glück sie hatte. Und sie würde es sich nicht mehr nehmen lassen. Nancy würde es verteidigen. Sie näherte sich seinem Gesicht und sie küssten sich. Wie ein Stromstoß verteilte sich das Prickeln von ihren Lippen ausgehend im ganzen Körper.
»Wie lange musst du heute arbeiten?«, flüsterte sie in sein Ohr.
»Kommt darauf an, wie viel heute los ist«, erwiderte er und ging um die Theke herum zu ihr. Er umfasste ihre Taille und sie legte ihre Arme um seinen Hals. Sie sahen sich tief in die Augen und Mike fragte leise: »Warum?«
»Weil …«, antwortete Nancy, ließ ihre Hände in einer fließenden Bewegung seinen Rücken herabgleiten, seitlich an seinen Hüften entlang zu seinem Schritt. »Darum.«
Mike vergrub sein Gesicht an ihrem Hals und drückte ihren Körper an seinen. »Ach, deshalb«, raunte er und seine rechte Hand wanderte unter ihren Rock, massierte ihre Pobacke. »Genau, deshalb«, hauchte sie und ihr Unterleib drängte sich gegen seinen.
»Wird schwierig heute Abend«, sagte er zwischen zwei Küssen.
»Mhm«, erwiderte sie.
Dann ließ er von ihr ab und ging zur Tür, verriegelte sie und navigierte Nancy zu dem Billardtisch in der Ecke.
»Was ist mit deiner Mutter?«, fragte sie und sah herab zu Mike, der ihren Slip herunterzog.
»Bei Angus, die kommt erst heute Nachmittag«, antwortete Mike und tastete behutsam mit der Hand zwischen ihre Beine. Nancy lehnte sich an den Tisch und krallte sich fest. Mit sanftem Druck glitt sein Mittelfinger zwischen ihre Schamlippen. »Wir können auch erst heut Abend …«, feixte er.
Nancy atmete schwer. Sie öffnete den Reißverschluss seiner Jeans, griff hinein und sagte: »Als ob du es bis dahin aushältst.«
Er packte ihre Hüfte, half ihr, sich auf die Tischkante zu setzen, und fummelte sein Glied durch den Hosenstall. Mike drang in sie ein und Nancy stöhnte leise auf. Sie stützte sich mit den Armen ab und seine Bewegungen wurden allmählich schneller. Nancy überkreuzte ihre Beine um seine Hüfte und klammerte sich an ihn, vergrub ihr Gesicht an seinem Hals. Er keuchte leise direkt in ihr Ohr und sie krallte ihre Finger fester in sein T-Shirt, als würde ihr Leben davon abhängen. Nancy zog die Beine enger zusammen, wollte Mike in sich spüren, so tief es ging.
Sein Schambein drückte fest gegen ihre Klitoris und mit jeder Bewegung näherte sie sich dem Höhepunkt. Mike schlang die Arme um sie, presste sie fest an sich, während der Orgasmus durch ihren ganzen Körper fuhr und sie erzittern ließ.
Seine Bewegungen wurden langsamer, aber kräftiger. Für einen Augenblick verweilte er tief in ihr, jeder Muskel seines Körpers angespannt. Nancy löste ihren Griff und auch Mike entspannte sich.
»Ich glaube«, keuchte Mike, »das ist ein neuer Rekord.«
Schwer atmend lächelte Nancy und nickte. Sie befühlte ihre Wangen, die noch heiß von der Erregung und der Anstrengung waren. Mike küsste sie auf die Stirn und half ihr vom Billardtisch herab.
»Ich sollte mal aufschließen«, sagte er und sah auf seine Armbanduhr. »Und das Schild draußen hinstellen.«
»Ich komm mit nach vorne, eine rauchen«, sagte Nancy, nachdem sie sich ihren Slip hochgezogen und ihre sonstige Kleidung gerichtet hatte.
Mike schloss die Tür auf, nahm den Aufsteller, der danebenstand, und ging hinaus. Nancy folgte ihm. Draußen steckte sie sich einen Zigarillo an und sah Mike dabei zu, wie er den Aufsteller positionierte.
»Musst du heute eigentlich arbeiten?«, fragte er und zündete sich eine Zigarette an.
»Eigentlich schon«, antwortete Nancy.
»Und uneigentlich?«
»Ich weiß nicht, ob ich Lust habe, mir ansehen zu müssen, wie zu Whiskey in the jar gestrippt wird.« Nancy schüttelte sich. »Ach du Scheiße.« Er lachte. »Das klingt … interessant.«
»Ruby-Jean gibt sich große Mühe, deinen Onkel zu beeindrucken. Es ist schräg, aber auch irgendwie niedlich.«
Mike nickte und ehe er etwas sagen konnte, klingelte drinnen das Telefon. »Sorry«, sagte er, drückte die Zigarette in dem Standaschenbecher neben der Tür aus und ging hinein. Nancy sah ihm nach. Fast ein halbes Jahr waren sie und Mike zusammen. Es war immer noch ungewohnt für Nancy, dennoch fühlte es sich natürlich an.
Mike kam zurück, die miese Laune stand ihm ins Gesicht geschrieben.
»So eine Scheiße«, zischte er und zündete sich eine Zigarette an.
»Was ist los?«, fragte Nancy und drückte ihren aufgerauchten Zigarillo im Aschenbecher aus.
»Thorsten hat sich krankgemeldet. Hat sich das Handgelenk gebrochen. Das heißt, Mum und ich sind heute allein. Das kann ja heiter werden. Die Bude wird gerammelt voll sein. Ich hab auch niemanden, der einspringen kann. Franziska hat letzte Woche gekündigt und Simone ist im Urlaub.«
»Scheiße.«
»Kannst du laut sagen.« Mike seufzte und starrte für einen Moment ins Nichts.
Nancy kannte diesen Blick. Sie wusste, dass ihm gerade etwas bewusst wurde. Kaum merklich schüttelte er den Kopf, als würde er eine Idee aus seinem Gehirn werfen wollen. Nancy ahnte, was es für eine Idee war, und in ihrem Bauch bildete sich wieder ein schmerzhafter Knoten.
»Wird schon irgendwie gehen«, sagte Mike und zog an seiner Zigarette.
Nancy sagte dazu nichts. Sie hoffte nur, dass er nicht seine Ex anrief, um sie zu fragen, ob sie heute Abend einspringen könnte.
»Alles okay?«, fragte Mike und drückte seine Zigarette aus. »Du bist so still.«
»Ach, nichts«, erwiderte Nancy. »Ich werd langsam nach Hause und mal schauen, wie weit Ruby-Jean mit allem ist. Du hast ja heute auch noch einen stressigen Abend vor dir.«
Mike seufzte. »Allerdings.« Er trat einen Schritt auf Nancy zu und lächelte. Ihr Blick fiel auf die Metallkrone und sie spürte einen Stich in ihrer Brust. Sie versuchte, sich nichts anmerken zu lassen, und erinnerte sich daran, dass es keinen Grund gab, eifersüchtig zu werden. Schließlich liebte Mike sie.
»Schön, dass du gekommen bist«, raunte er in ihr Ohr, und Nancy schmunzelte über diese Doppeldeutigkeit.
Auf der Busfahrt ging Nancy die Begegnung mit Mareike nicht mehr aus dem Kopf. Zwar hatte Mike ihr damals von ihr erzählt, doch jetzt hatte Nancy nicht nur einen Namen, sondern auch ein Gesicht dazu. Und einen Körper. Einen verdammt attraktiven Körper. Aber Mike hatte so viel auf sich genommen, um mit Nancy zusammen zu sein, da würde er doch nicht bei solchen Oberflächlichkeiten schwach werden, oder? Außerdem hatte er sie deutlich abgewiesen, und das, obwohl er nicht einmal wusste, dass Nancy das alles mitbekommen hatte.
»Fuck«, flüsterte Nancy zu sich selbst. Ihr wurde bewusst, dass, wenn sie nicht per Zufall das Gespräch beobachtet hätte, sie absolut keine Ahnung hätte, dass sich Mareike wieder in sein Leben drängen wollte. Mike hatte Nancy praktisch angelogen.
Nancy wurde schlecht. Krampfhaft versuchte sie, sich vor Augen zu halten, dass Mike es nicht aus böser Absicht getan hatte. Er wollte sie nicht aufregen und die Situation war unangenehm. Wahrscheinlich hätte sie genauso gehandelt.
Trotzdem blieben Zweifel.
»Jesus«, murmelte Nancy, als sie die Bar betrat und sah, wie drei Tänzerinnen in knappen Matrosenuniformen ihre Choreografie zu Shipping up to Boston von Dropkick Murphys probten.
»Und, wie findest du es?«, fragte Ruby-Jean mit einem stolzen Lächeln.
»Es ist definitiv…was anderes«, sagte Nancy.
»Es braucht natürlich noch etwas Feinschliff. Aber ich bin so weit zufrieden. Und was sagst du zu der Deko?«
Nancy sah sich um. Sie verkniff sich zu sagen, dass es aussah, als wäre ein mit Kleeblättern und grünen Girlanden gefüllter Kobold explodiert und hätte seine Innereien verteilt. Wenn Ruby-Jean sich Mühe gab, dann richtig, das musste Nancy ihr lassen. »Es ist grün. Sehr grün.«
»Zu grün?«
»Grün genug.«
Ruby-Jean lächelte zufrieden und ging zu den Tänzerinnen, die gerade eine Pause machten. Seitdem sie mit Angus zusammen war, schwebte sie auf Wolke sieben. Nancy fragte sich, ob sie sich wegen Mike auch so verhielt. Sie steckte sich einen Zigarillo an, setzte sich in die Nähe der Bühne und spielte mit ihrem Smartphone herum. Sie überlegte, ob sie Mike über die Choreografien texten sollte.
»So, als Nächstes gehen wir Irish Rover durch«, sagte Ruby-Jean. »Wo ist Nina?«
Die Tänzerinnen sahen sich ratlos an, so als würden sie sich telepathisch absprechen wollen, wer als Erste etwas sagt. Schließlich brach eine das Schweigen. »Die sitzt in der Umkleide und heult.«
Nancy hielt inne und blickte auf.
»Sie versucht, ihr Veilchen mit Schminke zu verstecken, kriegt es aber nicht hin«, sagte eine andere Tänzerin.
Ruby-Jean fragte: »Veilchen? Was für ein Veilchen?«
Nancy stand auf und steckte ihr Smartphone in die Jackentasche.
»Ihr Freund hat sie verprügelt«, sagte die erste Tänzerin. Ruby-Jean drehte sich zu Nancy um. Das war ihr Zeichen. Sie nickte, drückte ihren Zigarillo aus und ging Richtung Umkleide, wo sie auf Ruby-Jean wartete. Diese wies die Tänzerinnen an, noch paar Minuten Pause zu machen und danach noch mal Shipping up to Boston zu proben. Dann kam sie zu Nancy.
Sachte klopfte Ruby-Jean an die Tür und öffnete sie langsam. »Hey, Nina«, sagte sie sanft, während sie hineinging. Nancy folgte ihr. Nina saß am Spiegeltisch und sah ihnen durch die Reflexion entgegen. »Es tut mir so leid«, wimmerte sie leise. »Egal, was ich mache, man sieht es trotzdem…«
Ruby-Jean setzte sich neben sie. Nancy blieb an der Tür stehen, um zu verhindern, dass jemand reinkam.
»Schätzchen, das braucht dir doch nicht leidzutun«, tröstete Ruby-Jean sie. »Sieh mich mal bitte an.«
Nina drehte das Gesicht zu ihr, und Ruby-Jean betrachtete es genau. Im Spiegel konnte Nancy einen dunkelblauen Bluterguss um Ninas linkes Auge erkennen.
»Ich habe es gekühlt wie bekloppt. Die Schwellung ist weg, aber egal wie viel Make-up ich auflege, es schimmert durch.«
Ruby-Jean stand auf und ging zu einer Kommode rechts vom Tisch. Sie durchsuchte die Schubladen. »Irgendwo hier muss es doch sein«, murmelte sie. »Ah, da ist es.« Sie zog einen Kulturbeutel heraus. »Das ist Theaterschminke. Ich verpasse dir eine weiße Grundierung, und darüber tragen wir das normale Make-up auf. Dann wird keiner mehr was sehen können.«
Schwach lächelte Nina und sagte leise: »Danke.«
Jemand versuchte, die Tür zu öffnen, und drückte Nancy die Klinke ins Kreuz. Sie drehte sich um und flüsterte durch den Spalt: »Jetzt nicht.«
Die abgewiesene Frau seufzte genervt und schloss die Tür wieder. Nancy rieb sich die schmerzende Stelle am Rücken und beobachtete, wie Ruby-Jean das Make-up auf Ninas Gesicht auftrug.
Sie machte es routiniert und flink. Kurz darauf konnte man tatsächlich nichts mehr vom Veilchen erkennen.
Ruby-Jean winkte Nancy zu sich heran. »Und?«, fragte sie und sah dabei Nancy an.
»Perfekt«, antwortete Nancy.
Nina begutachtete sich prüfend im Spiegel. »Man sieht wirklich nichts mehr. Vielen Dank!«
Zufrieden lächelte Ruby-Jean und fragte behutsam: »Was ist passiert?«
Nina senkte den Blick und sah traurig auf ihre Hände.
»Jemand hat uns gesagt, das war dein Freund«, fügte Nancy hinzu.
Zögerlich nickte Nina, ohne aufzusehen, und knetete ihre Finger. »Dieses Arschloch hat mir gestern eine verpasst«, sagte sie leise, fast flüsternd. Daraufhin seufzte sie und sprach allmählich lauter: »Er glaubt, ich gehe nach meiner Schicht nach oben, um mich zu prostituieren. Nur weil ich ein paarmal den Bus verpasst habe und später zu Hause war. Jetzt holt er mich immer nach der Arbeit ab. Als ich ihm sagte, dass das nicht nötig ist und ich gern noch mit ein paar Kolleginnen quatschen möchte, ist er ausgerastet. Ich hab die Schnauze voll von seinem Kontrollzwang und davon, dass er mich ständig als schäbige Hure bezeichnet. Und er hat mir gedroht.«
»Womit?«, fragte Ruby-Jean.
»Damit, dass er mir die Fresse zu Hackfleisch prügelt, falls ich ihn verlasse. Damit mich kein Mann mehr mit’m Arsch anguckt.«
»Ich kümmere mich darum«, sagte Nancy, und Ruby-Jean nickte.
»Danke«, sagte Nina und lächelte.
Nancy hätte den Saint Patrick’s Day gern mit Mike verbracht. Aber da er arbeiten musste, hätte es wenig Sinn gehabt, in den Pub zu gehen. Außerdem war die Burlesque-Bar des Ruby’s Rooms brechend voll. Sie hätte nicht gedacht, dass der Themenabend so viel Anklang fand. Wahrscheinlich waren viele neugierig darauf zu sehen, wie zu irischer Musik gestrippt wurde.
Nancy war sich sicher, dass der Pub ebenfalls voll mit Gästen war. Auf der einen Seite freute es sie, denn das bedeutete Umsatz. Auf der anderen tat ihr Mike leid, denn sie wusste, dass sie unterbesetzt waren.
Während Nancy an der Theke saß und an ihrem Whiskey Cola nippte, musste sie wieder an Mareike denken. Hoffentlich war Mike nicht auf die Idee gekommen, sie anzurufen und ihr einen Job anzubieten. Bei der Vorstellung, dass dieses Miststück bei ihm sein könnte, stachen tausend kleine Nadeln in ihren Bauch.
Sie starrte auf die Eiswürfel in ihrem Glas, als könnte sie sie allein durch ihren Blick zum Schmelzen bringen. Plötzlich fühlte sie eine Hand auf ihrer Schulter und fuhr erschrocken herum.
»Guten Abend, Nancy«, sagte Angus freundlich.
Nancy atmete erleichtert auf. »Meine Fresse. Hab ich mich erschrocken. Hi.«
Angus grinste breit und fuhr sich mit einer Hand durch den langen Bart.
»Was sagst du zu dem Aufgebot, das Ruby-Jean für dich veranstaltet?«, fragte sie und zündete sich einen Zigarillo an.
»Ich bin geschmeichelt«, erwiderte er aufrichtig und kramte seinen Tabak und Blättchen aus seiner Kutte. Er setzte sich neben Nancy und drehte sich eine Zigarette. »Und wie läuft’s?«, fragte er und steckte sich die Zigarette an.
»Es ist zwar viel los, aber bisher alles ruhig. Die Themenabende locken aber auch andere Klientel an als sonst. Mehr normale Leute.«
»Biste mit den Jungs zufrieden?«
Nancy nickte. Angus war das Oberhaupt eines Motorradclubs namens Sick Boys und stellte seit etwa einem halben Jahr einige seiner Rocker als Türsteher und Security. Nach einem Vorfall mit einem der Sick Boys – bei dem eine vermeintlich drogenabhängige Prostituierte und ihr Baby gestorben waren – hatte Angus gründlich aufgeräumt. Seine zuvor lockeren Aufnahmebedingungen waren verschärft worden und Zuhälterei wurde nicht mehr geduldet.
»Ich habe später noch einen Spezialauftrag«, sagte Nancy und drückte ihren Zigarillo aus. »Ich leih mir dafür mal Pulverfässchen aus.«
Angus schmunzelte. »Du nennst ihn immer noch so?«
Grinsend nickte Nancy. Pulverfässchen hieß eigentlich Christoph und war der erste Sick Boy, der im Ruby’s Rooms angefangen hatte. Nancy hatte ihm diesen Spitznamen bei der ersten Begegnung verpasst, denn er war klein und kräftig gebaut. Zudem hatte er ein irres Flackern in den Augen, so als würde er jeden Moment hochgehen.
Dabei war er einer der ruhigsten Menschen, die sie kannte. Selbst in den stressigsten Situationen blieb er entspannt. Wenn ihm jemals der Arsch platzen sollte, wollte Nancy nicht in der Nähe sein.
»Was habt ihr zwei denn vor?«, fragte Angus.
»Wir werden dem Freund einer Tänzerin erklären, dass sie sich von ihm trennt.«
Nancy wartete, nachdem Ninas Schicht zu Ende war, an der Umkleide auf sie. Pulverfässchen war draußen in Position.
Nina sah nervös aus, als sie herauskam.
»Alles okay?«, erkundigte sich Nancy auf dem Weg zum Ausgang.
Nina nickte. »Ich hab nur ein bisschen Angst. Was ist, wenn er hinterher durchdreht?«
»Wem gehört die Wohnung?«
»Der Mietvertrag läuft auf meinen Namen.«
»Sehr gut. Du brauchst keine Angst zu haben, wir kümmern uns um alles.«
Draußen wartete er bereits. Ein großer Kerl mit Lederjacke und Dreitagebart stürmte auf Nina und Nancy zu, kaum hatte er sie entdeckt.
»Da bist du ja!«, herrschte er Nina an und packte sie grob am Arm.
Nancy legte ihre Hand auf seinen Arm. »Finger weg«, sagte sie ruhig und starrte ihm in die Augen.
»Verpiss dich, das geht dich gar nichts an!«
Nancy stellte Blickkontakt mit Pulverfässchen her, der nickte und zu ihnen kam.
»O doch, das geht mich wohl was an«, erwiderte Nancy und fragte: »Wie heißt du?«
»Dennis«, antwortete Nina für ihn.
»Halt dein Maul, Schlampe«, zischte er und versuchte, sie wegzuziehen. Dabei stieß er gegen Pulverfässchen, der hinter ihm stand. »Was willst du Gartengnom hier?«, blaffte Dennis ihn an.
Nancy zog aus ihrem Oberschenkelholster ihren stupsnasigen Revolver und drückte ihn ihm in den Rücken. »Wir wollen nur reden«, sagte sie und spannte den Hahn. Bei dem Geräusch ließ Dennis Nina los. »Lass uns ein paar Schritte gehen.«
Pulverfässchen packte ihn am Arm und führte ihn um das Gebäude herum, abseits von den potenziellen Blicken der Gäste. Widerwillig ließ Dennis sich mitschleifen.
Als sie die Rückseite des Ruby’s Rooms erreicht hatten, drückte Pulverfässchen Dennis gegen die Wand. Er war zwar relativ klein, aber er hatte Kraft. Erfolglos versuchte Dennis, sich zu wehren, und als Nancy ihm den Revolver an die Schläfe drückte, gab er auf.
»So, Dennis«, raunte sie ihm ins Ohr. »Wir haben gehört, dass ihr Beziehungsprobleme habt. Darum bieten wir dir eine kostenlose Beratung an.« Nancy sah die Angst in seinen Augen und grinste zufrieden. »Du wirst Nina in Ruhe lassen, verstanden? Du wirst deinen Scheiß aus ihrer Wohnung holen, dich bei ihr entschuldigen und dich dann verpissen. Für immer. Ich schicke ein paar meiner Leute vorbei, die aufpassen, dass du dich benimmst. Verstanden?«
Zitternd nickte er.
»Und komm bloß nicht auf die Idee, dich Nina zu nähern. Ich habe Männer überall in der Stadt verteilt, die dich im Auge behalten werden. Höre ich nur einen Pieps von dir, dann komme ich höchstpersönlich und puste dir dein Hirn aus dem Schädel. Okay?«
Plötzlich hörte Nancy ein Tropfen, und der Geruch frischen Urins stieg auf. Eine kleine Pfütze bildete sich unterhalb von Dennis’ rechtem Hosenbein, auf dem sich deutlich eine Spur zeigte.
»Das werte ich mal als Zustimmung«, sagte sie amüsiert und senkte den Revolver. Sie entspannte den Hahn und wies Pulverfässchen an, die Pissnelke wegzubringen. »Ich sag Manni Bescheid, dass er mit euch mitfährt.«
Da Nina keinen Führerschein hatte, fuhr Manni, einer der Türsteher. Pulverfässchen hatte sich mit Dennis auf die Rückbank gesetzt.
»Danke«, sagte Nina auf dem Beifahrersitz durch die heruntergelassene Scheibe zu Nancy.
»Kein Problem, das ist mein Job.«
Nancy sah ihnen nach, während sie davonfuhren. Als Ruby-Jean ihr damals gesagt hatte, dass sie sich mit Angus zusammentun und Sick Boys einstellen würde, hatte Nancy befürchtet, dass sie ihren einzigen Job im Leben verlieren würde. Aber es hatte sich als Beförderung herausgestellt. Nancy war quasi jetzt die Chefin der Security, und obwohl es alles Männer waren und zum Teil bald doppelt so alt wie sie, respektierten und hörten sie auf Nancy.
Die Autorität fühlte sich gut an.
Am nächsten Morgen schrieb Nancy Mike eine Textnachricht und fragte, wie sein Abend gewesen war. An das Tippen auf einem Touchscreen gewöhnte sie sich nur langsam. Immer wieder erwischte sie auf der kleinen Tastatur die falschen Buchstaben. Auf ihrem alten Handy hatte sie blind die Zahlentasten wiederholt drücken können, bis sie die richtigen Buchstaben gehabt hatte.
Danach ging Nancy in die Küche. Angus saß am Tisch und las Zeitung. Er hatte die Nacht in ihrer und Ruby-Jeans Wohnung verbracht.
»Morgen«, sagte Nancy.
Er sah auf. »Morgen.«
Sie nahm sich aus dem Schrank einen Becher und goss sich Kaffee ein. »Auch noch welchen?«, fragte sie und hielt die Kanne hoch.
»Bevor ich mich schlagen lasse«, antwortete Angus und lächelte. Er faltete die Zeitung zusammen, legte sie beiseite und hielt Nancy seinen Becher hin.
»Und wie lief es gestern?«, fragte er, während sie ihm einschenkte.
»Gut. Sehr gut. Der hat sich im wahrsten Sinne des Wortes in die Hose gepisst.«
»Ruby-Jean hat mir erzählt, was er getan hat. Ich kann solche Feiglinge nicht ab, die Schwächere verprügeln. Und die, sobald sie an wen geraten, der mithalten kann, sich in die Hosen machen.«
Nancy setzte sich an den Tisch und nickte. »Manni und Pulverfässchen sind gestern mit und haben aufgepasst, während die Pissnelke seinen Scheiß aus der Wohnung geholt hat.«
Ruby-Jean betrat die Küche im Bademantel. Ihre langen, blonden Haare waren in ein Handtuch gewickelt und sie roch nach Duschgel und Parfüm. »Was sind das hier wieder für Themen am Frühstückstisch?«, fragte sie schmunzelnd und drückte Angus einen Kuss auf.
Nancy trank einen Schluck Kaffee und zündete sich einen Zigarillo an. Ruby-Jean war in den letzten sechs Jahren Nancy gegenüber schon immer sehr mütterlich gewesen, aber seit sie mit Angus zusammen war, hatte es zugenommen. Als wären sie eine kleine, seltsame Patchworkfamilie. Bei dem Gedanken grinste Nancy und verzog kurz darauf für einen Moment das Gesicht, als hätte sie auf etwas Bitteres gebissen. Denn Mike war Angus’ Neffe. Wären sie in der Konstellation nicht Cousin und Cousine? Dann wurde ihr wieder bewusst, dass Ruby-Jean ja nicht wirklich ihre Mutter war.
Nancys leibliche Mutter war letztes Jahr im September plötzlich über Nacht im Gefängnis gestorben.
»Ich muss endlich mal einen Stuhl kaufen«, sagte Ruby-Jean und trank ihren Kaffee im Stehen.
Nancy drückte ihren Zigarillo aus und stand auf. »Ich wollte eh in mein Zimmer. Kannst dich setzen.«
Dankend nahm Ruby-Jean das Angebot an, und Nancy ging mit ihrem Becher in ihr Zimmer.