Ring of Fire – June Carter & Johnny Cash - Sylvia Frank - E-Book
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Ring of Fire – June Carter & Johnny Cash E-Book

Sylvia Frank

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Beschreibung

Die große Liebe zweier Legenden der Musik. 

Nashville, 1956: »Du und ich, wir werden eines Tages heiraten«, ist sich Johnny Cash sicher, als er June Carter kennenlernt. Doch bis dahin wird es dauern: Sie gehen zusammen auf Tournee und verlieben sich unsterblich ineinander. Aber beide sind verheiratet, und eine Scheidung kommt in diesen Zeiten nicht infrage. In ihrem Kummer schreibt June das Stück »Ring of Fire«. Dann nimmt Johnny den Song auf, und er wird ein Welthit. Und bald darauf kämpfen Johnny und June nicht länger gegen ihre Gefühle, sondern für ihre Liebe ...     

Ein mitreißender Roman über eine Liebe gegen alle Widerstände und ein faszinierender Einblick in die Musikgeschichte der sechziger Jahre.

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Seitenzahl: 309

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Über das Buch

»Ich bin June Carter.« Johnny lächelte breit. »Ich weiß. Ich habe dich zum ersten Mal im Radio gehört, da war ich sechs. Und später habe ich dich hier in der Opry gesehen. Da war ich siebzehn. Ich wollte mir ein Autogramm von dir holen, aber ich saß ganz oben im Rang …«

Ihre Stimme kennt Johnny Cash seit Jahren, denn June stand von klein auf mit der Carter-Family auf den bedeutenden Country-Bühnen Amerikas. Als June und Johnny sich schließlich kennenlernen und zusammen auftreten, wird das das Leben beider Ausnahmemusiker für immer verändern ...

Über Sylvia Frank

Sylvia Frank ist das Pseudonym eines erfolgreichen deutschen Schriftstellerehepaares, das auf der Insel Rügen lebt. Sylvia Vandermeer, geboren 1968, studierte Biologie, Psychologie und Bildende Kunst. Heute ist sie freiberuflich als Schriftstellerin und Malerin tätig. Frank Meierewert, geboren 1967, ist promovierter Ethnologe und seit 2016 als freier Autor tätig.

Im Aufbau Taschenbuch ist von ihnen lieferbar: »Das Haus der Winde. Asta Nielsen und ein Sommer auf Hiddensee«, »Gala und Dalí – Die Unzertrennlichen«, »So long, Marianne – Leonard Cohen und seine große Liebe« sowie der Kriminalroman »Rügentod«.

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Sylvia Frank

Ring of Fire – June Carter & Johnny Cash

Roman

Übersicht

Cover

Titel

Inhaltsverzeichnis

Impressum

Inhaltsverzeichnis

Titelinformationen

Informationen zum Buch

Newsletter

Erster Teil

Kapitel 1 — Virginia, 1934

Kapitel 2 — Arkansas, 1936

Kapitel 3

Kapitel 4 — Dyess, 1940

Kapitel 5 — Dyess 1944

Kapitel 6 — WNOX, Knoxville, 1948

Kapitel 7 — Dyess, 1949

Kapitel 8 — Nashville, 1950

Kapitel 9 — Nashville, 1951

Kapitel 10 — San Antonio 1951

Kapitel 11 — Landsberg, Deutschland, 1954

Zweiter Teil

Kapitel 12 — Memphis, 1954

Kapitel 13 — Clinch Mountain, 1956

Kapitel 14 — Memphis, Tennessee, 1955/1956

Kapitel 15 — New York, 1956

Kapitel 16 — Nashville, 1956

Kapitel 17 — Madison, Nashville, 1957

Kapitel 18 — Des Moines, Iowa, 1957

Kapitel 19 — Memphis, 1958

Kapitel 20 — Dyess/Memphis 1960

Dritter Teil

Kapitel 21 — North Bay, Ontario, Kanada 1961

Kapitel 22 — Seattle, 1962

Kapitel 23 — Nashville, 1962

Kapitel 24 — Nashville, 1962

Kapitel 25 — Kalifornien, Virginia 1963

Kapitel 26 — Casitas Springs, 1963

Kapitel 27 — Toronto, Kanada, 1964

Kapitel 28 — El Paso, Texas, 1965

Kapitel 29 — Nashville, 1966

Kapitel 30 — LaFayette, Georgia, 1967

Kapitel 31 — Nashville, 1967

Kapitel 32 — Ontario, Kanada, 22. Februar 1968

Danksagung

Impressum

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Erster Teil

Kapitel 1

Virginia, 1934

June schmiegte sich eng an den Rücken des Vaters und nahm den vertrauten Geruch seiner Lederjacke wahr.

Sie liebte es, wenn die schwere Harley Davidson über die Schotterpiste donnerte, Steine zur Seite spritzten und Staub hinter ihnen aufwirbelte.

Ihr Vater Ezra war für seinen rasanten Fahrstil bekannt und während sie sich an ihn festklammerte, kam es der fünfjährigen June vor, als würde sie auf einem wilden Mustang durch das Tal reiten. Der warme Fahrtwind riss an ihren Haaren und fuhr ihr unter die Jacke.

In der Ferne tauchten das erste Haus von Maces Springs auf.

Jetzt war es nicht mehr weit.

Sie legten sich in die Kurve, doch plötzlich bremste der Vater und riss im gleichen Moment den Lenker herum. Die Harley Davidson schlingerte gefährlich; June konnte sich kaum festhalten. Sie sah eine getigerte Katze, die mit langen Sätzen seitlich im Gras verschwand, und dann kam das Motorrad von der Piste ab, schlitterte über einen Streifen rissiger Erde und knallte mit dem Vorderrad gegen einen Stein.

Das Nächste, woran sich June erinnern konnte, war, dass sie sich in einer Strohmiete wiederfand.

Das Heu schlug über ihr zusammen, verschluckte sie regelrecht. Sie versuchte, sich aufzurappeln, sich aus dem Heuhaufen hinauszukämpfen, rief nach ihrem Vater.

Sofort war Ezra bei ihr. Ihn hatte die Harley Davidson nicht so einfach abschütteln können. »Geht es dir gut?«, fragte er und musterte sie besorgt.

»Mir geht es gut, Dad«, antwortete June, der wirklich nichts weh tat. Indessen suchten ihre Augen nach dem Motorrad, das noch im Gras lag. »Das war lustig. Können wir das noch mal machen?«

Ezra lächelte. »Das ist mein Mädchen«, sagte er stolz, strubbelte ihr durch die Haare und zog einen Halm heraus.

»Aber Mother sagen wir lieber nichts davon. Das sollte unser kleines Geheimnis bleiben.«

June nickte ernst.

Nie wäre es ihr in den Sinn kommen, der Mutter oder ihren Schwestern etwas von den Ausflügen mit ihrem Vater zu erzählen. Dafür liebte sie die wenigen Stunden, die sie mit ihm allein haben durfte, viel zu sehr.

Nebeneinander gingen sie zum Motorrad zurück. Ezra richtete es auf und suchte es nach eventuellen Schäden ab.

»Fährst du morgen wieder fort?«, fragte June währenddessen.

»Ja, Schatz, die Leute warten auf ihre Briefe und Päckchen.

Da kann ich doch nicht zu Hause bleiben.«

»Schade.«

Ezra bemerkte die Enttäuschung in ihrem Gesicht.

»Ich fahre nach Chicago«, sagte er. »Soll ich dir was Schönes mitbringen?«

»Ein Buch.«

Er lächelte wieder. Das war June. Die beiden anderen Mädchen hätten sich wahrscheinlich ein neues Haarband oder eine Schleife gewünscht. Nicht aber June. Obwohl sie noch klein war und erst ein paar Buchstaben kannte, wünschte sie sich ein Buch. Er wusste schon jetzt, dass er ihr den Wunsch erfüllen würde. Bücher waren gute Begleiter. Sie steigerten die Neugier auf die Welt da draußen. Das ist wichtig, dachte er. Erst recht, wenn man in einem so abgelegenen Tal wohnte.

Sie erreichten das Motorrad, kurz darauf sprang es bullernd an.

Ezra packte mit beiden Händen den Lenker und June schob sich die Motorradbrille zurück auf die Nase, bevor sie ohne Scheu hinter ihm auf die Sitzbank kletterte.

Kapitel 2

Arkansas, 1936

J. R. war fünf, als er an der Hand seiner Mutter Carrie durch Dyess lief und sich neugierig umblickte. Die Kolonie hatte sich für den hohen Besuch herausgeputzt. Überall vor den Holzhäusern waren die Sandwege sauber geharkt, die Kirche und das Rathaus hatten einen neuen Anstrich erhalten, und Girlanden in den Farben Blau, Weiß und Rot zierten die Fensterbänke.

Als sie über die Hauptstraße schlenderten, begegneten ihnen andere Familien, die sie höflich begrüßten und die, wie sie selbst, dem Anlass entsprechend ihre Alltagskleidung gegen ein geblümtes Kleid oder ein frisch gestärktes Hemd getauscht hatten.

In der Kolonie lebten mehrere Hundert Menschen, und J. R. stellte fest, dass beinahe alle Einwohner dem Ortszentrum entgegenstrebten, wo heute das neue Verwaltungsgebäude eingeweiht werden sollte.

Er spürte die erwartungsfrohe Stimmung, die um sie herum herrschte. Die Mutter summte einen Gospel, sein Bruder Jack unterhielt sich angeregt mit einem der Nachbarkinder und selbst das Gesicht des Vaters zeigte Milde.

J. R. summte die Melodie leise mit. Dabei hob er den Kopf und sah die Mutter an. Ihre Blicke trafen sich, und sie lächelte.

J. R. lächelte zurück. In diesem Moment fühlte er sich geborgen.

Gemeinsam erreichten sie die Ortsmitte von Dyess, eine halbmondförmig geschotterte Fläche, deren einziger Schmuck in einem Rasenrondell bestand, das von hellen Kantensteinen eingefasst wurde und auf dem sich Laubbäume erhoben.

Zumindest war es bisher so gewesen.

Nun säumten zwei neue Gebäude den Rand des Platzes und verliehen ihm etwas unerwartet Urbanes. Während die Architektur des Theaters, das kleinere der beiden Häuser, die sichelförmige Form des Platzes aufnahm und einer aufgestellten weißen Muschel mit zwei Eingängen glich, entsprach das Erscheinungsbild des neuen Verwaltungsgebäudes dem eines Herrenhauses im Süden. Ein zweistöckiger massiver Bau mit einem beeindruckenden Mittelportal, dessen Giebel auf vier hohen Säulen ruhte. Eine dreistufige Treppe führte zum Eingang hinauf. Zu beiden Seiten des Haupthauses schlossen sich weitere, einstöckige Anbauten an, deren Flachdächer von schmiedeeisernen Geländern umrahmt wurden und als Terrassen dienten. An einem Fahnenmast flatterte ein Sternenbanner vor dem blassblauen Himmel.

J. R. erkannte ein breites rotes Band, dass zwischen den beiden mittleren Säulen gespannt war und den Zutritt ins Haus verwehrte.

Er fragte sich, was das zu bedeuten hatte, als vier Polizeimotorräder knatternd in seinem Blickfeld erschienen. Sie bildeten die Eskorte für eine schwarze Limousine. Der Konvoi hielt vor dem Verwaltungsgebäude, und eine Dame stieg aus dem Wagen.

Mister Williams, ein hagerer Mann, der in Dyess eigenes Land besaß und sich auch sonst um die Belange der Kolonie kümmerte, begrüßte die Frau zuvorkommend und führte sie hinauf auf die Veranda, wo sie sich an das Mikrofon stellte. Schlagartig wurde es auf dem Platz ruhig.

J. R., der sich auf die Zehenspitzen stellte, spürte plötzlich die derben Hände des Vaters, die ihn hochhoben und auf seine Schultern setzten.

J. R. hielt sich an seinen Ohren fest und erblickte jetzt eine Frau in einem dunkelblauen Reisekostüm, die ein Hütchen auf der in Wellen fallenden Frisur trug. An ihm war die Blüte einer Sonnenblume befestigt. Langsam näherte sie sich dem Mikrofon.

»Guten Tag«, hallte ihre Stimme über den Platz. »Mein Name ist Eleanor Roosevelt, und ich möchte mich herzlich für die Einladung bedanken, heute zusammen mit ihnen die Einweihung des prachtvollen Gebäudes hinter mir zu feiern. Aber zuerst gestatten Sie mir, dass ich Ihnen Grüße meines Mannes, des Präsidenten Franklin D. Roosevelt, übermittele.«

Applaus brandete auf, legte sich aber schnell wieder.

Dafür richteten sich wieder aufmerksame Blicke auf die improvisierte Bühne.

Eleanor Roosevelt machte eine kleine Pause.

Wie leicht hätte sie die Erwartungen der Menschen zunichtemachen können. Sie hätte herablassend oder selbstzufrieden wirken oder, sei es durch ihre Haltung oder Gestik, andeuten können, dass sie die Leute von Dyess bemitleidete, oder gar auf ihr alltägliches hartes Dasein herabblickte.

Aber allein der Klang ihrer Stimme verriet, wie wichtig ihr der heutige Auftritt in Dyess war. Jedes ihrer Worte war gut gewählt und erreichte direkt die Herzen der Menschen.

»Wissen Sie, als ich heute durch Arkansas fuhr, wurde mir wieder klar, dass es die Pioniere waren, die Amerika groß werden ließen. Männer und Frauen wie Sie, die mutig und entschlossen jede sich bietende Gelegenheit beim Schopfe gepackt haben, um etwas Neues zu erschaffen. Einen jedem von uns sind die Folgen der verheerenden Weltwirtschaftskrise bekannt, aber es war der ›New Deal‹ des Präsidenten, der Millionen Menschen neue Hoffnung gab und weiterhin gibt.

Ihre Kolonie ist eine der ersten, die mit den staatlichen Fördergeldern errichtet werden konnte. Fünfhundert Häuser wurden gebaut, und zu jedem gehören Ackerland, eine Scheune, ein Hühnerstall und ein Maultier.«

J. R. spürte, wie die Bartstoppeln des Vaters an seinen Waden rieben, wenn er zustimmend nickte, und das tat er während der Ansprache häufig.

»Jede Familie erhielt ein Grundstück, ein Haus mit fünf Zimmern und genügend Geld, um mit der Bewirtschaftung des Landes zu beginnen, mit der Rodung der Bäume und dem Anbau von Getreide oder Baumwolle. Weiter komplettieren Schulen, ein Theater ein Gemeindezentrum und nun dieses neue Verwaltungsgebäude ihre kleine Gemeinde.« Mister Williams trat stumm neben sie und reichte ihr eine Schere. »Es ist mir eine Ehre«, sagte sie weiter, und ihr Blick glitt über die Menge, »heute dieses Gebäude an die Kooperative zu übergeben. Ich bin zutiefst der Überzeugung, dass jede Familie in Dyess ihre ganze Kraft einsetzen wird, um die Chance, zu der ihnen die Regierung der Vereinigten Staaten verholfen hat, zu nutzen. Der Mensch gewinnt an Mut und Selbstvertrauen mit jeder Erfahrung, durch die er innehalten und dem Leben ins Gesicht schauen muss. Ihrem Leben! Möge der Herr mit Ihnen sein.«

Dann durchtrennte die Präsidentengattin das rote Band. Das Geräusch der Blitzlichter zerschnitt die Stille auf dem Platz, bevor der Applaus einsetzte.

Eleanor Roosevelt verließ die Veranda über der Treppe. Ohne Scheu begab sie sich in die Menge und schüttelte geduldig die Hände, die ihr entgegengestreckt wurden. Dabei vermittelte sie eine Zuversicht und Unerschütterlichkeit, die der beruhigenden Ausstrahlung ihres Mannes in nichts nachstand. Als sie sich schließlich der Familie Cash näherte, hob der Vater J. R. von den Schultern, damit er sich vor Eleanor Roosevelt verbeugen konnte.

»Guten Tag«, sagte sie.

»Guten Tag«, erwiderte Ray. »Das ist meine Familie, Mam. Ray Cash. Wir bewirtschaften die Farm 266, West Country Road.«

Mrs Roosevelt nickte zustimmend und strich J. R. über den Kopf, bevor sie sich den Eltern zuwandte und sich nach dem Wohlergehen der Familie erkundigte. Als Ray antwortete, erkannte jeder, wie viel ihm die unerwartete Begegnung bedeutete, ebenso wie das stille Versprechen, das er ihr in diesem Moment gab, stets seine Pflicht dem Land und dem Präsidenten gegenüber zu erfüllen und die in ihn gesetzten Erwartungen niemals zu enttäuschen.

J. R. hatte noch keine Lust nach Hause zu gehen. Vielmehr wollte er Eleanor Roosevelt beobachten, die jetzt in einem Café zu Abend aß, bevor sie die Rückreise antreten würde.

Schließlich hatte seine Mutter eingewilligt und ihn mit der eindringlichen Ermahnung zurückgelassen, nicht wegzulaufen. Aber das hatte er ohnehin nicht vor.

Wieder richtete er den Blick auf die Scheibe, hinter der er das Profil der Frau erkennen konnte.

Nach dem Zusammentreffen mit der Gattin des Präsidenten hatte er der Mutter unzählige Fragen gestellt und von ihr erfahren, dass es an der Ostküste der Vereinigten Staaten einen Ort gab, der Washington D. C. hieß. Dort arbeitete und wohnte der Präsident mit seiner Frau in einem weißen Haus.

J. R. legte die Stirn in Falten.

Da der Mann so viel für das Land getan hatte, stellte er sich das Präsidentenhaus wie die Kirche in Dyess vor. Natürlich viel größer, auch ansehnlicher und möglicherweise ohne einen Glockenturm, überlegte er und wandte den Kopf zum Eingang, vor dem zwei Polizisten standen. Am liebsten wäre er hineingegangen und hätte sich bei ihr danach erkundigt, aber er traute sich nicht.

Unschlüssig lief er vor dem Café auf und ab.

Heute war ein aufregender Tag und auf einmal hatte J. R. das Gefühl, dass er nichts von dem, was er in den letzten Stunden erlebt hatte, jemals wieder vergessen würde.

Genauso wenig wie das alte »Shotgun House« in Kingsland, ein windschiefes Holzhaus, in dem sie vor zwei Jahren noch gewohnt hatten und das auf einem Streifen Ödland eingekeilt zwischen den Bahngleisen und dem Wald stand.

Diesem ungastlichen Ort verdankte er seine erste wahrhafte Kindheitserinnerung – das Rollen und Stampfen der Güterzüge.

Das rhythmische Schlagen der Eisenräder auf den Schienenstößen war Tag und Nacht durch die mit Jutesäcken verhängten Fenster gedrungen. Ebenso wie das Stampfen der Lokomotiven, das Pulsieren der Dampfkolben und der Ausstoß von dichten Rauchwolken, die sich wie Nebel über das Haus senkten.

Sooft es ihm möglich war, war J. R. auf einen Holzstapel geklettert, um die Lokomotiven zu beobachten, die nicht weit vom Haus entfernt ihr Tempo verringerten, weil gleich hinter der Kurve der Bahnhof lag. Kurz vor Erreichen der Bahnstation sprangen die Männer vom Zug ab. Oftmals war auch sein Vater dabei. J. R. wusste, dass die Männer so die Ticketkontrollen umgingen. Später erfuhr er, dass sein Vater überall dorthin gefahren war, wo er mit harter Arbeit ein paar Dollar verdienen konnte. Selbstverständlich konnte er es sich nicht leisten, das Geld für ein Zugticket auszugeben. Vielmehr kletterte er mit den anderen Männern in der Nacht unter die Güterwagen und harrte tagelang auf den Verstrebungen über den Achsen aus, bis der Zug die Kurve neben ihrem Haus erreichte.

Und dann, eines Tages, war plötzlich der Vater mit einer Mappe in der Hand durch die Tür ins Haus gestürmt.

J. R. schaute die Straße hinunter, konnte seine Mutter aber nirgends entdecken. Einer der Polizisten zündete sich eine Zigarette an und ließ das Streichholz fallen.

Er erinnerte sich, wie sie auf dem Boden saßen und spielten, während die Mutter am Küchentisch stand und Maiskolben puhlte.

»Carrie«, rief sein Vater laut und winkte aufgeregt mit einem Schriftstück. »Wir wurden ausgewählt.«

J. R. erinnerte sich, wie seine Mutter langsam das Messer aus der Hand legte und Ray ungläubig ansah.

»Ja, es ist wahr. Sie haben mich ausgewählt. Steht alles hier drin. Die von der Kommission haben gesagt, sie nehmen mich, weil ich Soldat war, mir nie was zu Schulden kommen lassen habe und weil ich ein guter Amerikaner bin.«

Die Mutter wischte die Hände an ihrer Schürze ab und trat vor ihm hin. Ihre großen Augen wanderten fragend zwischen seinem Gesicht und dem Schriftstück in seinen Händen hin und her.

»Und wir bleiben in Arkansas«, fuhr der Vater fort und deutete auf eine Seite in dem Papier. »Nur weiter oben im Norden. Sie sind bereit, uns dort ein Haus und ein Stück Land zu geben.« Ray versagte auf einmal die Stimme. Er rang um Fassung, dann räusperte er sich. »Steht alles hier drin, Carrie«, fuhr er mit belegter Stimme fort. »Gott hat unsere Gebete erhört. Wir werden Baumwollfarmer.«

Zwei Wochen später hockte J. R. mit seinen Brüdern Roy und Jack unter einer Plane auf der Ladefläche eines Lastwagens. Die Mutter saß mit den beiden Schwestern vorn beim Vater im Fahrerhaus. Ein kleines Fenster in der Rückwand stellte die einzige Verbindung dar.

Es war Ende März, und J. R. hatte schon beim Aufladen der wenigen Habseligkeiten gefroren. Zu allem Übel begann es am Nachmittag auch noch zu regnen. Als sie schließlich losfuhren und über die Bahngleise rumpelten, blickte er lange zurück. Doch das alte »Shotgun House« hüllte sich in graue Regenschleier.

Und das Wetter wurde nicht besser.

Unablässig trommelte der Platzregen auf die Plane, und mühsam bahnten sie sich ihren Weg über die mit Schlaglöchern übersäten Schotterpisten in Richtung Norden. Zwei endlose Tage lagen vor ihnen und obwohl der Vater ihnen Decken nach hinten gegeben hatte, drangen bald Schmutz und Feuchtigkeit durch die Fugen des Pritschenwagens. Die andauernde Nässe ließ den Stoff klamm werden und die drei Brüder kauerten sich noch enger aneinander, um sich gegenseitig zu wärmen.

»Jack?«, murmelte J. R., den die beiden Älteren zwischen sich genommen hatten.

»Ja?«

»Gibt es dort, wo wir hinfahren einen Zug?«

Wieder krachte der Lastwagen in ein Schlagloch, die Achse ächzte und es vergingen einige Sekunden, bis der älteste Bruder Roy ihm anstelle von Jack antwortete.

»Soweit ich weiß, J. R., besitzt Dyess keinen Bahnhof. Aber ich denke, wir werden dafür dort viele andere schöne Sachen vorfinden, du wirst schon sehen.«

Zu seiner eigenen Überraschung war er von der Aussage nicht enttäuscht.

Züge gab es überall, dachte er, aber wie wundervoll musste das Leben an diesem neuen Ort sein, zu dem die Familie nun zog und für den sie eine so strapaziöse Reise auf sich nahm, ohne, dass sich jemand beklagte.

Selbst jetzt, als sich der erste Tag neigte und sich der Horizont rot färbte.

»Wir werden dort viele andere schöne Sachen vorfinden«, hatte Roy gesagt, und J. R. glaubte ihm.

Und als hätte die Mutter ihr Gespräch verfolgt, stimmte sie im Fahrerhaus die alte Hymne an: »I am bound for the Promised Land«. Unverkennbar drang ihre Stimme durch das kleine Fenster in der Rückwand zu ihnen hinaus.

J. R. blickte zu Jack, dieser zu Roy und gemeinsam fielen sie in den Refrain ein: »Oh, wer wird kommen, und mit mir gehen? Ich bin unterwegs ins Gelobte Land.«

Kapitel 3

Die gesamte Familie versammelte sich vor dem ihr zugewiesenen Haus, um mit einem kurzen Rundgang ihr ›Gelobtes Land‹ in Besitz zu nehmen.

»Das sind ja viele Bäume«, sagte J. R. zu Jack, der vor ihm lief.

»Ja, ein richtiger Dschungel.«

Zu beiden Seiten ragten, soweit das Auge reichte Pappeln in die Höhe, dazu Ulmen, Eschen, Hickorybäume, Buscheichen und Zypressen. An manchen Stellen bildeten Kletterpflanzen und Büsche ein solches Dickicht, dass es kein Durchkommen mehr gab.

Ray ging voran, während er mit der Machete einen Weg freischlug, der sie auf eine Hügelkuppe hinaufführte.

»Wie viel Land haben wir?«, fragte Roy, als sie oben waren.

Der Vater beschattete die Augen mit der flachen Hand und deutete auf einen unbestimmten Punkt in der Ferne. »Drei Hektar. So, wie es aussieht, ist es Schwemmland.«

»Ist das gut?«, wollte Carrie wissen.

»Es wurde noch nie etwas darauf angebaut. Das ist gut. Aber wie du siehst, steht ein Teil unter Wasser. Ich nehme an, der Tyronza River im Nordwesten ist durch die Schneeschmelze über die Ufer getreten. Aber bis zur Aussaat in einem Monat ist das Land abgetrocknet, ebenso der Teil dort hinten, der mir sehr schlammig erscheint.«

Ray verstummte.

Die Wangenmuskeln in seinem Gesicht traten jetzt deutlich hervor. Mattgelbes Tageslicht streifte die Baumkronen, so dass selbst dieses zugewucherte Land friedlich und verwunschen wirkte. Schräg fiel die Sonne auf die ersten Spitzen frischen Grüns und der schwarze Schlamm schimmerte wie Obsidian.

So weit hatte es Ray also gebracht. Er hatte die Hoffnung nie aufgegeben, war sich nie zu schade gewesen, für Gelegenheitsjobs kreuz und quer durchs Land zu fahren, bis sich ihm endlich diese Chance bot, die er bereit war zu ergreifen.

Trotzdem gab er sich keinen Illusionen hin. Die Regierung wollte ihre Darlehen zurückgezahlt wissen, und dieser Ort war kein Paradiesgarten. Die Gegend war abgelegen, der Boden schwer zu roden, und die Bewirtschaftung der drei Hektar Land würde eine ständige Herausforderung darstellen. Noch wusste er nicht, ob es ihnen gelingen würde, erfolgreich Baumwolle anzubauen. Aber selbst in solchen Augenblicken, beschlich ihn das Gefühl, dass er Teil einer sich entfaltenden Zukunft war. Dafür war er dankbar. Ob sie am Ende auch aussichtsreich für die Familie sein würde, das lag ganz in ihren Händen.

»Heute noch werden Roy und ich hier oben auf dem Hügel mit dem Fällen der Bäume beginnen und uns langsam in die Senke vorarbeiten«, erklärte er, und seine Haltung verströmte Zuversicht. »Wir haben gutes Land bekommen, Carrie, und wenn Gott es will, wird es uns ernähren.«

* * *

John liebte das Radio.

Es stand auf einer kleinen Kommode im Wohnzimmer und wann immer er Zeit fand, setzte er sich davor und betrachtete die Regler und die Anzeige, hinter der sich all die Sender mit ihrer wunderbaren Musik verbargen. Das Radio war wie ein Zauberkasten, der ihm einen Zugang in eine völlig andere Welt ermöglichte.

Sein Vater Ray hatte bestimmt, dass sich jeder von ihnen wöchentlich nur eine Sendung aus dem vielfältigen Musik-Repertoire aussuchen durfte, weil die Spielzeit des Radios begrenzt und das Aufladen der Batterien des Sears-Radios sehr teuer waren. Deshalb gesellte sich John regelmäßig zu den anderen Familienmitgliedern, wenn sie ihre Radiosendungen hörten.

Seine Mutter liebte Gospel und es kam nicht selten vor, dass sie beide zusammen vor dem Gerät hockten und begeistert die Lieder mitsangen, die Carrie so liebte. Ihm gefielen aber auch die Countrysänger, die seine großen Brüder Roy und Jack bevorzugten. Jimmy Rodgers und Ernest Tubb. Besonders mochte er die Carter Family. Er wusste nicht warum, aber er fand es tröstend, wenn er die Stimme von June Carter hörte. Sie war nur etwas älter als er und es fühlte sich für ihn so an, als würde sie nur für ihn singen.

Es dauerte nicht lange und schon bald kannte er die Sänger, konnte sie an ihren Gesangstilen unterscheiden und es fiel ihm leicht, sich die Liedtexte zu merken. Wenn er mit Jack oder Roy Liedererraten spielte, gewann er beinahe immer.

Aber er verriet ihnen nie das Geheimnis seines Erfolges.

Er sog die Musik regelrecht mit seinem Körper und seiner Seele in sich auf. Wie ein trockener Schwamm, der ins Wasser geworfen wurde.

Kapitel 4

Dyess, 1940

J. R. war nervös.

Im Februar war er acht geworden, und das bedeutete, dass er in diesem Jahr zum ersten Mal an der Baumwollernte teilnahm. Seine bisherige Aufgabe, den älteren Familienmitgliedern Wasser auf die Felder zu bringen, übernahmen von nun an seine beiden jüngeren Schwestern.

Jetzt stand er neben Jack, und gemeinsam betrachteten sie die weißrosafarbene Pracht, die sich in langen Reihen bis zum Horizont zog.

Auch wenn es seine erste Baumwollernte war, so war ihm die Arbeit auf dem Feld nicht fremd. Abgesehen von der Zeit, in der er die Schule besuchte, verbrachte er beinahe jede freie Stunde zwischen den Pflanzen.

Denn seit sie im Frühjahr die Saat ausgebracht hatten, mussten sie ununterbrochen das Unkraut bekämpfen. Die Kletterpflanzen, die beim jährlichen Umpflügen auf Bodenhöhe abgeschnitten wurden, schossen im Frühjahr wieder in die Höhe.

Von da an war es ein Wettlauf, ein stetes Ringen um die Vorherrschaft, denn die Kletterpflanzen wuchsen schneller, als dass man sie zurückschneiden konnte.

Niemals würde J. R. den Anblick im Juli vergessen, als sie nach zwei Tagen Regen auf die Felder zurückkamen, wo die Baumwollpflanzen dreißig Zentimeter hoch standen.

Was wäre das für eine Freude gewesen, wenn nicht das Unkraut doppelt so hoch gewuchert wäre und die Schlinger der Kletterpflanzen die Baumwollpflanzen zu ersticken drohten.

Wenn ihm der Rücken von der monotonen Tätigkeit schmerzte, tröstete sich J. R. mit dem Gedanken, dass der Kampf gegen das Unkraut nichts war im Vergleich zu der Anstrengung, die die Urbarmachung bedeutete. Der Vater und Roy hatten wochenlang mit Äxten und Sägen Bäume gefällt, anschließend die Stümpfe gesprengt und verbrannt.

Zum Glück gehörte das längst der Vergangenheit an.

Heute pflanzten sie auf zwei Dritteln der Fläche Baumwolle, die für den Verkauf bestimmt war, und vom Erlös zahlte der Vater der Regierung die Darlehensraten zurück. Das restliche Drittel war dem Anbau von Tierfutter und der Versorgung der Familie vorbehalten. Hier bauten sie Bohnen, Getreide, Tomaten, Süßkartoffeln und Erdbeeren an.

Rays Stimme riss J. R. aus seinen Gedanken.

»Junge, du träumst schon wieder.« Der Vater reichte ihm einen knapp zwei Meter langen Sack aus grobem Leinen, dessen Boden geteert war. »Jack zeigt dir, wie das mit dem Pflücken richtig geht. Ihr nehmt diese drei Reihen.« Er hielt inne und richtete den Blick auf seinen jüngsten Sohn. »Enttäusch mich nicht!«

Dann drehte sich Ray um und ging mit weitausholenden Schritten davon.

J. R. blickte ihm nach, und das Blut schoss ihm in den Kopf. Was mochte sein Vater wohl über ihn denken?

Er hörte, dass Ray noch irgendetwas Unverständliches murmelte, bevor Jack ihn zwischen die Baumwollpflanzen führte.

J. R. blieb stehen. »Warum sagt er das?«

»Was meinst du?«

»Dass ich ihn nicht enttäuschen soll. Immer hackt er auf mir herum. Zu dir sagt er so etwas nie. Nur immer zu mir! Ich kann es ihm nie recht machen.«

»Vater ist angespannt. Die Baumwolle steht gut, aber erst wenn wir bei Mister Williams waren, wissen wir, ob sie auch von guter Qualität ist. Ich weiß, er meint es nicht so.«

J. R. legte die Stirn in Falten und bohrte mit der Schuhspitze in der Erde.

»Komm ich zeige dir, wie man ein guter Baumwollpflücker wird. Dann zeigst du ihm, dass er sich irrt. Okay?«

»Okay.«

Jack deutete auf einen Zweig, an dessen Ende weiße Baumwollkapseln hingen.

»J. R. schau her. Du musst dich beim Pflücken wirklich konzentrieren. Die Kapseln haben sehr scharfe Kanten, und wenn du falsch zugreifst, dann schneidest du dich. Versuch es mal.«

J. R. beugte sich vor und zupfte an einem der weißen Polster. »Aua.« Sofort zuckte er mit der Hand zurück, weil er sich wehgetan hatte.

»Nicht so schlimm«, tröstete ihn Jack. »Das kann passieren. Du musst mehr von oben greifen, so, siehst du?«

Beim zweiten Mal gelang es J. R. schon besser.

»Sehr gut.« Jack nickte ihm aufmunternd zu. »Übrigens, weißt du, woran man einen Baumwollpflücker erkennt?«

J. R. schaute Jack argwöhnisch an.

»An seinen pockennarbigen Fingern.«

J. R. verspürte einen leichten Widerwillen.

Sie begannen mit dem Pflücken.

J. R. konzentrierte sich ausschließlich auf seine Reihe. Jack hingegen pflückte die beiden Nebenreihen und war trotzdem genauso schnell wie er.

Als J. R. die Mitte des Feldes erreichte, waren seine Finger geschwollen und die blutenden Wunden schmerzten. Dafür war der erste Sack bereits gefüllt.

»Und was soll ich jetzt machen, Jack?«

Der Bruder war mit wenigen Schritten bei ihm. »Na, das sieht doch gut aus«, sagte er nach einem schnellen Blick und klopfte ihm anerkennend auf die Schulter. Dann packte er den wulstigen Rand des Sackes und hob ihn in die Höhe. »Zuerst schüttelt man den Sack«, erklärte er schnaufend, »damit sich die Baumwolle besser verteilt … und dann«, er setzte den Sack ab, »drückt man sie fest nach unten. So! Siehst du, wieviel Platz da noch ist? Ich denke, wenn du bis zum Ende der Reihe weiterpflückst, ist er wirklich voll.«

Jack behielt recht.

Als J. R. eine halbe Stunde später vom Feld kam, schleifte der schwere Sack über die Erde. Er zerrte ihn bis zum Lastenwagen, der am Ende der Reihen stand. Das Maultier graste angebunden abseits auf einem Grasstreifen. Als J. R. den Inhalt des Sacks mit Jacks Hilfe auf die Ladefläche kippte, stellte der Bruder routiniert fest, dass er beinahe dreißig Pfund Baumwolle enthielt.

»Gute Leistung, J. R.«, lobte Jack. »Weiter so.«

Sie gingen zurück, und der Vater wies ihnen neue Reihen zu.

J. R. wischte sich den Schweiß von der Stirn. Die Sonne stand jetzt höher, Wärme staute sich zwischen den Pflanzen und der Tag zog sich allmählich in die Länge.

Die vor ihm liegende Reihe schien kein Ende zu nehmen.

Nach wie vor pflückte J. R. nur eine Reihe. Dann wirkte es wenigstens so, als ob es schneller vorwärtsginge. Schneller als bei den anderen Pflückern, aber, was noch wichtiger war, auch schneller für ihn selbst. Es fiel ihm schwer, dieser eintönigen und kraftraubenden Arbeit etwas abzugewinnen, daher nutzte er jede noch so kleine Gelegenheit, um sich zu motivieren.

Als gegen Abend dunkle Wolken vom Tyronza River heraufzogen, waren beinahe zehn Stunden vergangen, und J. R. hatte zweihundertfünfzig Pfund Baumwolle gepflückt. Er konnte kaum noch seine Arme heben, die Finger brannten und waren mit zahlreichen Wunden übersät.

Aber noch war der Tag nicht zu Ende.

Ray spannte das Maultier ein, und sie fuhren zurück zum Haus, wo Carrie und die Schwestern abstiegen.

Dann ging es weiter in den Ort, wo Mister Williams die Aufkaufstation für Baumwolle betrieb.

»Oh, hallo Mister Cash.« Die Männer gaben sich freundlich die Hand.

»Mister Williams. Ich habe eine Lieferung.«

»Sehr gut. Die Cotton Gin ist gerade frei. Ich schicke ihnen den Vorarbeiter raus. Füllen sie mit ihren Jungs inzwischen die Baumwolle in den Trichter.«

J. R. sah zu, wie der Vater das Maultier am Halfter durch ein großes Tor in ein flaches Holzhaus führte.

»Was ist eine Cotton Gin?«, fragte J. R. seinen Bruder neugierig, während sie dem Gespann folgten.

»Jedenfalls kein Getränk«, antwortete Jack und grinste. »Gemeint ist eine Entkörnungsmaschine.« Er bemerkte den fragenden Ausdruck auf J. R.s Gesicht. »Bevor die Baumwolle für den Weitertransport zu Ballen gepresst wird, muss sie von Pflanzenteilen befreit werden. Samen- und Kapselresten.«

J. R. wurde leicht unruhig, als er der übermannshohen Maschine ansichtig wurde. Rasch kletterten sie auf den Wagen und halfen dem Vater, die Baumwolle in den gewaltigen Trichter zu werfen.

Danach führte Jack das Maultier mitsamt Wagen nach draußen und band es fest. Anschließend kam er zu J. R. zurück, der neben einem der Torflügel stand und den Vorarbeiter beobachtete, wie er einen Schalter betätigte. Sofort erfüllten Lärm und Staub die Luft.

Jack beugte sich zu J. R.s Ohr. »Beim Entkörnen werden jetzt die langen Fasern von den Samen abgerissen. Aus einer Kapsel mit etwa vier Gramm Baumwolle bleiben nach dem Entkörnen anderthalb Gramm Fasern übrig.«

J. R. nickte.

»Unsere Baumwolle gehört zur Sorte ›Delta Pine‹, die nach ihren besonders langen Fasern benannt wurde. Wer auch immer ihr den Namen gegeben hat, muss dabei an Kiefernnadeln gedacht haben.«

Es dauerte eine Weile, bis die Maschine wieder verstummte.

J. R. hörte eine Tür klappen und sah Mister Williams, der über den Hof geschritten kam.

»Jetzt wird unsere Baumwolle auf ihre Qualität überprüft. Davon hängt am Ende ab, wieviel Dad für ein Pfund Baumwolle bekommt.«

Für einen kurzen, bangen Moment beschlich J. R. das Gefühl, er könnte womöglich bei der Ernte einen Fehler gemacht haben. Aber Jack schien seine Besorgnis nicht zu bemerken, denn er sprach weiter. »Es gibt drei Kategorien von Baumwolle. Die beste und reinste Qualität entspricht ›Strict High Middlin‹. ›Fair to Middlin‹ hingegen ist mittelprächtig und ›Strict Low Middlin‹ die unterste Güteklasse.«

Die beiden Jungen bemerkten den Vorarbeiter, der jetzt einen Baumwollballen zu einem Tisch unweit der Maschine trug und danach zur Seite trat, um Mister Williams Platz zu machen.

Der nahm ein Messer zur Hand, schnitt in den Ballen und zog ein paar Fasern heraus. Er begutachtete sie, wobei ihn besonders die Länge der Fasern, ihre Stärke und Farbe interessierte. Dann traf er eine Entscheidung.

Er zog ein Kärtchen zu sich heran, schrieb die Güteklasse darauf und hängte den Zettel an den Ballen.

Hatte J. R. bis hierher seinen Vater mit einem beklemmenden Gefühl gemustert, so stellte er jetzt erleichtert fest, dass er lächelte.

»Sehr gute Qualität, Mister Cash.«

»Es ist der Boden«, antwortete der Vater stolz. »Fruchtbarer Deltaboden. Die Pflanzen stehen schulterhoch und sind dicht besetzt mit Samenkapseln. Derzeit ernten wir fünf Ballen pro Hektar, und das bei bester Qualität.«

»Ich gratuliere«, sagte Mister Williams. »Zu der ausgezeichneten Baumwolle und …«. Er unterbrach sich. »Möge der Herr dafür sorgen, dass wir in diesem Jahr von Raupen und Unwettern verschont bleiben, und dafür …« Jetzt lächelte er. »Dass die Ernte es Ihnen ermöglicht, am Ende des Jahres die letzte Rate Ihres Darlehens zu tilgen. Danach gehört das Land Ihnen, Mister Ray Cash.«

Kapitel 5

Dyess 1944

Der Abflussgraben war J. R.s bevorzugter Angelplatz.

Er verlief parallel zur Straße, die die Farmen der Kolonie mit dem Ortszentrum verband, und die Farbe seines Wassers entsprach die meiste Zeit im Jahr einem schlammigen Hellbraun. Vereinzelt gab es an den flachen Uferkanten Laubbäume, die Schatten spendeten, ansonsten wurden sie weitläufig von Buschwerk gesäumt.

J. R. befestigte einen Wurm am Haken und warf die Angel aus.

Anschließend klemmte er die Stippe unter einer Wurzel fest und zündete sich eine Zigarette an. Durch den Rauch hindurch beobachtete er mit zusammengekniffenen Augen den Schwimmer, der sich sanft in der Strömung hob und senkte.

Obwohl er erst zwölf war, hatte er bereits Gefallen am Rauchen gefunden. Da sein Vater ebenfalls Raucher war, und er den Platz kannte, wo Ray seinen Tabak aufbewahrte, fiel immer eine Kleinigkeit für ihn ab, so dass er sich seine Zigaretten selbst drehen konnte.

J. R. strich die Asche an einem Stein ab und stieß heftig den Rauch aus. Dabei fixierte er die Zigarette, die er zwischen die Finger geklemmt hatte und grinste. Etwas in ihm wollte rauchen, auch weil es ihm schmeckte.

Aber es war nicht nur der Geschmack allein. Die Tatsache, dass er rauchte verschaffte ihm einen Abstand zwischen sich und den anderen. Mit einer Zigarette in der Hand fühlte er sich gut, selbstbewusst. Sein Vater nannte sein Verhalten »aufsässig«, die Lehrer in der Schule umschrieben es mit »ungehorsam«, er selbst empfand es als eine Art Rebellion, ein pubertärer Aufschrei, der sich in einem Gemisch aus Wut und Unverständnis gegen alles und jeden richtete.

Carrie ertrug es mit Gleichmut. Doch sein Vater wurde nicht müde, bei jeder Gelegenheit zu betonen, dass er im Gegensatz zu seinem zwei Jahre älteren Bruder Jack ein Nichtsnutz war, der dem Leben gleichgültig und faul gegenüberstand.

J. R. verzog das Gesicht.

Was Jack betraf, stimmte er dem Vater sogar zu. Jack war ein Heiliger, intelligent, gut aussehend und großherzig. Obwohl er erst vierzehn war, wusste er bereits genau, wie sein weiteres Leben verlaufen würde. Er wollte Prediger werden, dem Herrn dienen. Er kannte die Bibel, und wenn er durch die Kolonie ging, hatte er immer ein offenes Ohr und ein gutes Wort für jeden, der vom Weg abzukommen drohte oder in Not geraten war. Jack brachte das Wunder fertig, dass sich Erwachsene in seiner Nähe wohl fühlten, obwohl sie dreimal so alt waren wie er.

J. R. schnippte den Rest der Zigarette ins Wasser.

Im Grunde beschrieb das Rauchen auch das Verhältnis zwischen ihnen beiden. Jack wusste, dass er heimlich rauchte. Trotzdem hatte er ihn nie verurteilt, und dafür liebte J. R. ihn. Er war sein Vorbild. Insgeheim hatte er sich fest vorgenommen, dass er, wenn er einmal groß war, so sein wollte wie Jack. Auf keinen Fall so wie sein Vater.

Er musste an seinen Hund denken, Mister Terry. Er war ein Streuner gewesen, auch nachdem er schon über ein Jahr bei ihm war. Eines Tages war J. R. aus der Schule gekommen, und Mister Terry blieb verschwunden, obwohl er ihn den ganzen Nachmittag gerufen hatte. Schließlich fanden Jack und er ihn ganz am Ende der Baumwollreihen, auf der anderen Seite eines Bewässerungsgrabens, tot, mit einer 22er Kugel im Kopf.

J. R. erinnerte sich, welche Angst er gehabt hatte, seinen Vater darauf anzusprechen, nicht aber Jack. Als er ihm von dem toten Hund berichtete, sagte sein Vater: »Ja, ich habe ihn getötet. Ich wollte es euch Jungs eigentlich nicht sagen, aber der Köter hat die ganze Zeit die Essensreste gefressen, die die Schweine bekommen sollten, damit sie fett werden.«

Seit diesem Tag war die Welt für ihn nicht mehr sicher.

J. R. zog die Angelrute zu sich heran und überprüfte den Wurm. Der saß noch fest am Haken, und er beförderte ihn zurück in den Bach. Kurz drehte er sich um und schaute hinauf zur Böschung.