Rocking The Wall. Bruce Springsteen - Erik Kirschbaum - E-Book

Rocking The Wall. Bruce Springsteen E-Book

Erik Kirschbaum

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Beschreibung

"Rocking the Wall" ist dem legendären Bruce-Springsteen-Konzert gewidmet, das in Ost-Berlin am 19. Juli 1988 stattfand, das die Mauer erschütterte und die Welt veränderte. Erik Kirschbaum sprach mit vielen Fans und mit Veranstaltern in Ost und West, darunter Jon Landau, Springsteens Manager und Freund. Er schildert Szenen hinter den Kulissen und Erinnerungen von Leuten, die dabei waren, er hat Presse und Fernseh-Aufzeichnungen ausgewertet; sogar die Berichte der Stasi, die das Konzert im Auge hatte, standen ihm zur Verfügung. Das Buch begleitet den Leser auf eine unvergessliche Reise mit Springsteen durch die geteilte Stadt bis zum Open-Air-Gelände in Berlin-Weißensee, wo der Boss, auf der Bühne, eine mutige Rede gegen die Mauer hielt, während ihm eine alle Rekorde brechende Zuschauermenge von mehr als 300.000 begeisterten jungen Ostdeutschen zujubelte.

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Seitenzahl: 179

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Erik Kirsch­baum

ROCKING THE WALL-BRUCE SPRINGS­TEENin OST-BER­LIN 1988 DAS LE­GEN­DÄ­RE KON­ZERT

INHALT

VOR­WORT

EIN­LEI­TUNG

Ka­pi­tel 1:  KÖ­NIG DER WELT

Ka­pi­tel 2:  TRÄU­ME IN DER MAU­ER­STADT

Ka­pi­tel 3:  VER­LO­RE­NE KIN­DER

Ka­pi­tel 4:  ÜBER SIE­BEN BRÜ­CKEN

Ka­pi­tel 5:  SON­DER­ZUG NACH PAN­KOW

Ka­pi­tel 6:  ICH STEH‘ AUF BER­LIN

Ka­pi­tel 7:  VÖL­KER, HÖRT DIE SI­GNA­LE

Ka­pi­tel 8:  GE­SCHICH­TE WIRD GE­MACHT

Ka­pi­tel 9:  AM FENS­TER

Ka­pi­tel 10:  VER­DAMP LANG HER

NACH­WORT

LI­TE­RA­TUR­HIN­WEI­SE

Bü­cher, Fern­seh­sen­dun­gen, Ar­chi­ve und Zei­tungs­ar­ti­kel

In­ter­views mit dem Au­tor

Aus­ge­wähl­te Ar­ti­kel aus dem In­ter­net

Im­pres­s­um

DANKE!

Ich möch­te mich bei al­len be­dan­ken, die ge­hol­fen ha­ben, die „ver­rück­te Idee“, ein Buch über ein ein­zi­ges Kon­zert zu schrei­ben, zu re­a­li­sie­ren, vor al­lem Jon Land­au, Bruce Springs­teens Ma­na­ger und Freund, der mir Ein­bli­cke hin­ter die Ku­lis­sen des Kon­zerts gab. Dave Marsh dan­ke ich für sei­ne fort­wäh­ren­de Un­ter­stüt­zung. Ein be­son­de­res Dan­ke­s­chön geht an Dave Gra­ham, Da­ni­el Remsper­ger, Ka­rin Scan­del­la, Dean Grant, In­g­rid Kirsch­baum, Ste­phen Brown, Axel Han­sen, Chris­ti­an Rütt­ger, Tom Wag­ner, Tho­mas Kru­me­n­acker, Scott Reid und Ste­ven Kirsch­baum, die ge­dul­dig Ent­wür­fe des Ma­nu­skripts la­sen und es ver­bes­sern ha­l­fen.

Ich hät­te die­ses Buch nicht schrei­ben kön­nen, wenn nicht vie­le Men­schen ihre Er­in­ne­run­gen an das größ­te Er­eig­nis der DDR-Mu­sik­ge­schich­te mit mir ge­teilt hät­ten. Ob als Kon­zert­be­su­cher, jour­na­lis­ti­sche oder wis­sen­schaft­li­che Be­ob­ach­ter, als Or­ga­ni­sa­to­ren auf DDR-Sei­te oder Mit­a­r­bei­ter im Springs­teen-Tross: Herz­li­chen Dank an Cher­no Jo­ba­tey, Jo­chen Staadt, Pe­ter Schwen­kow, Ge­rald Po­nes­ky, Yvon­ne Wag­ner, Ge­org Ker­win­ski, Con­ny Gün­ther, Bir­git Wal­ter, Her­bert Schul­ze und Ro­land Claus.

Mein Dank gilt Craig Wer­ner, Tho­mas Wil­ke, Phi­lip Mur­phy, Matt­hi­as Döpf­ner, und be­son­ders Da­nae Grant. An­er­ken­nen möch­te ich auch, dass mei­ne Vor­ge­setz­ten bei Reu­ters, Olaf Zap­ke und Ste­phen Brown, mir den Frei­raum ge­währt ha­ben, die­ses Buch zu schrei­ben. Ein gro­ßer Dank geht an Det­lef Kess­ler und Axel Müt­ze vom OS­NA­TON Ver­lag, die das Pro­jekt vor­an­ge­trie­ben ha­ben. Be­dan­ken möch­te ich mich auch bei al­len, die ge­hol­fen ha­ben, das Pro­jekt zu ver­wirk­li­chen, al­len vor­an Jane Dris­coll und Bri­an J. Boh­ling. Und auch, wenn ich nicht ein­mal sei­nen Na­men ken­ne: Mei­ne herz­li­che Dank­bar­keit gilt je­nem lang­haa­ri­gen Ber­li­ner Taxi-Fah­rer, des­sen gren­zen­lo­ser En­thu­si­as­mus noch mehr als ein Jahr­zehnt nach dem Kon­zert mich in­spi­riert hat, die­ses Buch zu schrei­ben. Viel­leicht er­fährt er ja auf die­sem Wege da­von.

Erik Kirsch­baum

Ber­lin, im Mai 2016

Für mei­ne El­tern, Da­nae und Do­nald

VOR­WORT

Zum ers­ten Mal hör­te ich von der gan­zen Sa­che in ei­nem Taxi in Ber­lin. Nach ei­nem mit­rei­ßen­den Springs­teen-Kon­zert 2002 in der Haupt­stadt ließ ich mich müde, aber zu­frie­den nach Hau­se chauf­fie­ren. Ich hat­te ge­ra­de noch einen Kor­re­spon­den­ten­be­richt für die Nach­rich­ten­agen­tur Reu­ters über das Kon­zert und über Springs­teens har­sche Wor­te über den da­ma­li­gen US-Prä­si­den­ten Ge­or­ge W. Bush ab­ge­setzt. Der hat­te Deut­sch­land ge­schol­ten, weil es nicht beim Irak-Krieg mit­mach­te. Nun woll­te ich ein we­nig ent­span­nen und das Kon­zert in mei­nen Ge­dan­ken nach­wir­ken las­sen.

Aber das ging ein­fach nicht. Denn der Ta­xi­fah­rer re­de­te in ei­nem fort auf mich ein und sprach über ein Kon­zert, das mehr als ein Jahr­zehnt zu­vor statt­ge­fun­den hat­te. Springs­teen, ja, der habe im Juli 1988 das bes­te Kon­zert al­ler Zei­ten ge­ge­ben. In Ost­ber­lin! Der „Boss“ habe nicht nur die DDR in ih­ren Grund­fes­ten er­schüt­tert mit sei­nem Auf­tritt vor 300.000 Men­schen. 300.000! Nein, das gan­ze kom­mu­nis­ti­sche Sys­tem hat er zum Wan­ken ge­bracht, sag­te der lang­haa­ri­ge und voll­bär­ti­ge Fah­rer voll Über­zeu­gung.

„Ja“, ant­wor­te­te ich ihm matt. „Springs­teen-Kon­zer­te sind im­mer Su­per-Er­eig­nis­se, der Mann hat’s drauf, die Mas­sen mit­zu­neh­men. Ich hab‘ auch schon vie­le Springs­teen-Kon­zer­te ge­se­hen.“

„Nein, Nein, Nein“ – der Ta­xi­fah­rer war jetzt nicht nur en­thu­si­as­tisch, son­dern schon leicht auf­ge­bracht. „Du ver­stehst nicht, es war nicht ir­gend­ein gu­tes Kon­zert“, be­harr­te er und wand­te sich mir zu. Dann er­zähl­te er wei­ter: 300.000 Leu­te hät­ten es live ge­se­hen, Mil­li­o­nen im Fern­se­hen, das gan­ze Land sei in Auf­ruhr ge­we­sen. Er dreh­te den Kopf wie­der in mei­ne Rich­tung und mit knob­lauch­ver­setz­tem Atem sag­te er fei­er­lich: „Es war das Un­glaub­lichs­te, was je­mals in der DDR statt­ge­fun­den hat.“

Für Mil­li­o­nen von Men­schen, die in den 60er-Jah­ren auf­wuch­sen, ist die Mu­sik von Springs­teen so et­was wie der So­und­track ih­res Le­bens. Die Tex­te sei­ner Songs aus vier Jahr­zehn­ten sind fest im kol­lek­ti­ven Ge­dächt­nis ei­ner gan­zen Ge­ne­ra­ti­on ver­an­kert, so wie: „It’s a death trap, it’s a sui­ci­de rap, we got­ta get out whi­le we’re young, cuz tramps like us, baby, we were born to run“, aus Born to Run, oder: „It ain’t no sin to be glad you’re ali­ve“, aus Bad­lands. Die gren­zen­lo­se Be­geis­te­rung je­nes Ber­li­ner Ta­xi­fah­rers war an­ste­ckend, und ich be­gann mich zu fra­gen: Spiel­te sich an je­nem Som­mer­abend 1988 im kom­mu­nis­ti­schen Ost­ber­lin wirk­lich et­was ganz Be­son­de­res ab, et­was, das weit über ein gu­tes Springs­teen-Kon­zert hin­aus Be­deu­tung hat­te?

Je mehr ich über je­nes Kon­zert er­fah­ren habe, des­to stär­ker fes­sel­te mich die Ge­schich­te. Etwa, als ich zum ers­ten Mal hör­te, dass Springs­teen den Mut hat­te, eine kur­ze Rede ge­gen die Mau­er zu hal­ten – in Ost­ber­lin! Mich fas­zi­nier­te auch zu er­fah­ren, dass sich 300.000 Men­schen – mehr als je­mals zu­vor und da­nach bei ei­nem Springs­teen-Kon­zert – auf­ge­macht hat­ten, den ame­ri­ka­ni­schen Rock­star live zu er­le­ben, ganz ab­ge­se­hen von den Mil­li­o­nen von Zu­schau­ern am Fern­se­her. Und na­tür­lich war ich er­grif­fen und be­geis­tert, als ich er­fuhr, wie Zehn­tau­sen­de ein­fach die Ab­sper­run­gen ge­stürmt hat­ten, um auf das Ver­an­stal­tungs­ge­län­de zu ge­lan­gen. Das al­les im ab­ge­schot­te­ten, au­to­ri­tär be­herrsch­ten Ost­ber­lin, der „Haupt­stadt der DDR“.

Ir­gend­wann däm­mer­te mir, dass der Springs­teen-Auf­tritt am 19. Juli 1988 mehr als nur ein mu­si­ka­li­sches High­light ge­we­sen sein könn­te. Er spiel­te im Som­mer 1988, und kei­ne 16 Mo­na­te spä­ter soll­te die Mau­er fal­len. Gab es einen Zu­sam­men­hang zwi­schen dem Kon­zert, der fried­li­chen Re­bel­li­on, die sich nur Mo­na­te spä­ter Bahn bre­chen soll­te und dem Fall der Mau­er am 9. No­vem­ber 1989? Die­se Fra­ge be­schäf­tigt mich seit­dem. Für mich steht fest, dass es eine enge Ver­bin­dung gibt zwi­schen der Be­geis­te­rung, die Springs­teens Auf­tritt in Ost­ber­lin aus­lös­te, zwi­schen der Er­mu­ti­gung an die Ju­gend der DDR durch sei­nem Ap­pell, alle Bar­rie­ren zu über­win­den und der Auf­bruch- und Wech­sel­stim­mung, die das Land in den Mo­na­ten da­nach er­griff und an des­sen Ende der Mau­e­r­fall stand.

Ich woll­te mehr über die Er­eig­nis­se im Juli 1988 in Ost­ber­lin her­aus­fin­den, als Springs­teen auf die an­de­re Sei­te des Ei­ser­nen Vor­hangs reis­te. Aber wür­de ich ein Vier­tel­jahr­hun­dert spä­ter noch je­man­den fin­den, der mir aus ers­ter Hand be­rich­ten konn­te? Die­se Sor­ge er­wies sich als völ­lig un­be­rech­tigt, es war viel ein­fa­cher, als ich dach­te und das hat­te einen gu­ten Grund: Das Kon­zert hin­ter­ließ einen so blei­ben­den Ein­druck, dass es bei mei­nen Re­cher­chen schien, als könn­ten sich wirk­lich alle an das er­in­nern, was sie da­mals er­lebt hat­ten. Es schien, als sei die gan­ze DDR ent­we­der live beim Kon­zert da­bei ge­we­sen oder habe es zu­min­dest am Fern­se­her ver­folgt. Es war wie ei­ner je­ner his­to­ri­schen Mo­men­te, bei de­nen man auch nach Jahr­zehn­ten noch ge­nau weiß, was man da­mals ge­macht hat.

Ich habe für die­ses Buch mit zahl­lo­sen Au­gen­zeu­gen ge­spro­chen – mit Fans und pro­fes­si­o­nel­len Be­ob­ach­tern, His­to­ri­kern und So­zio­lo­gen –, im­mer auf der Su­che nach der Ant­wort auf die eine Fra­ge: Hat­te die Vier-Stun­den-Vor­stel­lung Springs­teens, hat­te sein furcht­lo­ser Ruf nach ei­nem Ende der Mau­er et­was mit der fried­li­chen Re­vo­lu­ti­on zu tun, die bald da­nach folg­te?

Ob man Springs­teen einen Bei­trag zur Wen­de in der DDR und ih­rem Ende zu­bil­ligt oder nicht, hat auch da­mit zu tun, wie viel re­vo­lu­ti­o­näre Spreng­kraft man der Rock­mu­sik ge­ne­rell zu­ge­steht, ob man an die Macht von Rock ’n’ Roll glaubt oder nicht.

Zu de­nen, die an die po­li­ti­sche Kraft der Rock­mu­sik glau­ben, ge­hört Phi­lip Mur­phy, lang­jäh­ri­ger US-Bot­schaf­ter in Deut­sch­land und be­geis­ter­ter Springs­teen-Fan. Auch wenn er selbst da­mals nicht in Ost­ber­lin war, be­schei­nigt Mur­phy sei­nem Lands­mann aus New Jer­sey be­acht­li­chen Ein­fluss auf die Stim­mung in der da­ma­li­gen DDR. „Ich ken­ne und lie­be die Mu­sik Springs­teens und kann mir vor­stel­len, wel­che Wir­kung das Live-Kon­zert auf ein ost­deut­sches Pu­bli­kum ge­habt ha­ben muss, auf Men­schen, die un­ter ei­nem au­to­ri­tä­ren Re­gime leb­ten und lit­ten und sich so sehr nach Wan­del sehn­ten.“ Noch deut­li­cher for­mu­liert es Jörg Be­ne­ke, der als Zu­schau­er da­bei war: Das Kon­zert sei „der Sar­g­na­gel“ für die DDR ge­we­sen, der An­fang vom Ende der kom­mu­nis­ti­schen Herr­schaft, des­sen ist er sich noch heu­te si­cher.

Ohne je­den Zwei­fel ist das Springs­teen-Kon­zert in Ost­ber­lin ein her­aus­ra­gen­des Bei­spiel für den Ein­fluss, den Rock­mu­sik auf ge­sell­schaft­li­chen Wan­del ha­ben kann, wenn sie auf ein Pu­bli­kum trifft, das hung­rig auf und be­reit zu Ver­än­de­run­gen ist. Dies ist die bis­lang un­er­zähl­te Ge­schich­te ei­nes ein­zig­ar­ti­gen Kon­zerts in Ost­ber­lin und die Rol­le, die Bruce Springs­teen – viel­leicht un­wis­sent­lich – ge­spielt hat, als er eine Re­bel­li­on, die sich be­reits warm­lief, wei­ter an­heiz­te und einen Auf­stand be­feu­er­te, der schließ­lich die Mau­er weg­fe­gen soll­te.

Erik Kirsch­baum

Das ori­gi­na­le Kon­zert­ti­cket mit „Ni­ka­ra­gua“-Auf­druck

Foto: Ge­rald Po­nes­ky

EIN­LEI­TUNG

You can’t start a fire wi­thout a spark

Dan­cing in the Dark

Bruce Springs­teen be­rei­te­te sich back­s­ta­ge auf das viel­leicht wich­tigs­te Kon­zert sei­ner Kar­rie­re vor, ein­ge­pfercht in ein Ka­buff, das pro­vi­so­risch als Um­klei­de­ka­bi­ne her­ge­rich­tet war. Auch die Büh­ne, vor der sich das rie­si­ge Ge­län­de der ein­s­ti­gen Ost­ber­li­ner Trab­renn­bahn an die­sem 19. Juli 1988 zu­neh­mend mit Hun­dert­tau­sen­den Men­schen füll­te, war ei­lig und reich­lich im­pro­vi­siert er­rich­tet wor­den. Springs­teen war mit 38 Jah­ren auf dem Hö­he­punkt sei­ner Kar­rie­re. Un­ter­wegs auf sei­ner „Tun­nel of Love Ex­press“-Tour durch Eu­r­o­pa hat­te sich über­ra­schend die Mög­lich­keit er­ge­ben, ein Kon­zert hin­ter dem Ei­ser­nen Vor­hang in Ost­ber­lin zu ge­ben. Und so wur­de der Ab­ste­cher in die DDR nur we­ni­ge Wo­chen vor dem Kon­zert in den Tour­plan auf­ge­nom­men. Trotz al­ler Im­pro­vi­sa­ti­on und feh­len­der Per­fek­ti­on: Die­se Ge­le­gen­heit woll­te sich Springs­teen nicht ent­ge­hen las­sen, und so saß er nun in sei­ner Ka­bi­ne auf dem rie­si­gen Feld im Ost­ber­li­ner Stadt­teil Wei­ßen­see – in der „Haupt­stadt der DDR“.

Die Luft war an­ge­spannt mit Vor­freu­de und Auf­re­gung über den Be­such ei­nes der größ­ten west­li­chen Rock­stars sei­ner Zeit. Springs­teen mag die In­spi­ra­ti­on für sei­ne Songs über die Flucht der Un­ter­pri­vi­le­gier­ten aus der Trost­lo­sig­keit, den Kampf der ein­fa­chen Leu­te um Wür­de und Ge­rech­tig­keit aus sei­nen Er­leb­nis­sen in sei­nem Hei­mat­staat New Jer­sey ge­won­nen ha­ben. Aber die Bot­schaft sei­ner Songs, die mal me­lan­cho­lisch, mal ex­plo­siv-kraft­voll vor­ge­tra­ge­ne Sehn­sucht nach Frei­heit und Ge­bor­gen­heit, nach Lie­be und Auf­bruch, die Mi­schung aus Ver­zweif­lung und Auf­be­geh­ren – die­se Bot­schaft war uni­ver­sell und sie ver­fing auch und ge­ra­de bei ei­nem Pu­bli­kum in der DDR, der Deut­schen De­mo­kra­ti­schen Re­pu­blik, das von ei­nem au­to­ri­tä­ren Re­gime al­ter Män­ner drang­sa­liert und hin­ter der Mau­er und dem Ei­ser­nen Vor­hang ein­ge­sperrt wur­de. Und so wälz­te sich ein nicht en­den wol­len­der Strom von Men­schen schon seit dem frü­hen Nach­mit­tag die­ses mil­den Som­mer­ta­ges auf das re­gen­nas­se Wie­sen­ge­län­de, das ein­mal die tra­di­ti­ons­rei­che Ber­li­ner Pfer­de­renn­bahn ge­we­sen war.

Trotz der er­war­tungs­vol­len und fried­li­chen At­mo­sphä­re auf dem Feld war die Stim­mung hin­ter der Büh­ne an­ge­spannt, als der Kon­zert­be­ginn nä­her rück­te, und die Men­ge auf dem Ge­län­de we­ni­ger als fünf Ki­lo­me­ter von der Mau­er ent­fernt auf 300.000 Men­schen – viel­leicht so­gar eine hal­be Mil­li­on – an­ge­wach­sen war.

An den Ein­gän­gen hat­te es ein der­ar­ti­ges Ge­drän­ge ge­ge­ben, dass die Ver­an­stal­ter der FDJ (Freie Deut­sche Ju­gend), des Ju­gend­ver­ban­des des kom­mu­nis­ti­schen Lan­des, kur­zer­hand die Ab­sperr­git­ter bei­sei­te räum­ten und die Leu­te fast un­kon­trol­liert auf das Ge­län­de strö­men lie­ßen. Al­lein das war eine be­mer­kens­wer­te Ka­pi­tu­la­ti­on in ei­nem strikt au­to­ri­tär struk­tu­rier­ten Land wie der DDR. Die Sze­ne hat im Nach­hin­ein et­was Vi­si­o­näres, glei­chen die Bil­der doch frap­pant je­nen beim Fall der Mau­er im No­vem­ber 1989.

Die Men­ge war be­geis­tert, vie­le konn­ten noch nicht recht glau­ben, dass der „Boss“ wirk­lich in ihr ab­ge­schot­te­tes Land ge­kom­men war, um ih­nen für ein paar wun­der­ba­re Stun­den eine Vor­stel­lung von der Frei­heit zu ge­ben, die für die al­ler­meis­ten trotz der geo­gra­fi­schen Nähe zum Wes­ten un­er­reich­bar war.

Auch für Springs­teen selbst er­füll­te sich mit dem Auf­tritt in Wei­ßen­see ein lang ge­heg­ter Wunsch. Seit er 1981 als ganz nor­ma­ler Tou­rist erst­mals einen Blick auf die öst­li­che Sei­te der Mau­er ge­wor­fen hat­te, woll­te er für die Men­schen dort spie­len, ih­nen eine sei­ner le­gen­dä­ren Vier-Stun­den-Non­stop-Shows lie­fern, die ihn auch im Os­ten be­rühmt ge­macht hat­ten.

Aber nun, kurz vor Kon­zert­be­ginn, war die Stim­mung hin­ter der Büh­ne ge­dämpft, und dies lag an ei­ner über­ra­schen­den Ent­de­ckung, die Springs­teen und sein Tross am Vor­tag ge­macht hat­ten. Als die Band in Ost­ber­lin ein­traf, muss­ten sie fest­stel­len, dass die Kon­zert­kar­ten mit dem La­bel „Kon­zert für Ni­ka­ra­gua“ ver­se­hen wa­ren. Un­ab­hän­gig da­von, ob Springs­teen Sym­pa­thi­en für die san­di­nis­ti­sche Re­gie­rung in La­tein­ame­ri­ka heg­te oder nicht, war ihm so­fort klar: Hier han­del­te es sich um einen Ver­such, sein Kon­zert und vor al­lem ihn per­sön­lich für die po­li­ti­schen Zwe­cke der DDR-Füh­rung zu in­stru­men­ta­li­sie­ren. Und wenn es et­was gab, was Springs­teen nicht ausste­hen konn­te, dann war es ge­nau das: Das Aus­schlach­ten sei­ner Be­rühmt­heit und sei­ner Wer­te für eine be­stimm­te po­li­ti­sche Ab­sicht.

Um die gan­ze Trag­wei­te der Pro­vo­ka­ti­on er­mes­sen zu kön­nen, muss man dar­an er­in­nern, dass Ni­ca­ra­gua zu je­ner Zeit ein Sym­bol für eine er­folg­rei­che so­zi­a­lis­ti­sche Re­vo­lu­ti­on war. Die lin­ken San­di­nis­ten hat­ten ein re­ak­ti­o­näres Re­gime ge­stürzt – und die USA un­ter Prä­si­dent Ro­nald Re­a­gan setz­ten über Jah­re hin­weg al­les dar­an, mit ei­nem heim­li­chen Kon­tra-Krieg nun wie­der­um eben die­se Re­gie­rung zu stür­zen. Auch vie­le Lin­ke im Wes­ten pil­ger­ten da­mals nach Ni­ca­ra­gua, um die San­di­nis­ten zu un­ter­stüt­zen oder tran­ken nur noch Kaf­fee aus dem mit­tel­ame­ri­ka­ni­schen Land, um dem er­folg­rei­chen, vom Volk ge­tra­ge­nen So­zi­a­lis­mus wirt­schaft­lich bei­zu­sprin­gen. Vor al­lem aber in den kom­mu­nis­ti­schen Län­dern wur­de „So­li­da­ri­tät mit Ni­ka­ra­gua“ (so die da­ma­li­ge Schreib­wei­se im Os­ten) zu ei­nem Syn­onym für den Kampf ge­gen die Vor­herr­schaft der USA, für die Kon­fron­ta­ti­on der Macht­blö­cke, zur Glei­chung So­zi­a­lis­mus ge­gen Ka­pi­ta­lis­mus.

Vor dem Hin­ter­grund die­ser auf­ge­heiz­ten Sym­bo­lik muss­te Springs­teen die De­kla­rie­rung sei­nes Auf­tritts als „Kon­zert für Ni­ka­ra­gua“ als das se­hen, was sie war: den Ver­such, den US-Star, der selbst längst zum ame­ri­ka­ni­schen Sym­bol ge­wor­den war, ge­gen sein ei­ge­nes Land in Stel­lung zu brin­gen, ihn für die Sa­che des So­zi­a­lis­mus zu ver­ein­nah­men, ihm den Stem­pel des Klas­sen­kamp­fes auf­zu­drü­cken. Das woll­te und konn­te Springs­teen nicht ak­zep­tie­ren, wie sehr er auch Ro­nald Re­a­gan und die Po­li­tik sei­ner Re­gie­rung ab­leh­nen moch­te.

Noch weit mehr em­pört über den plum­pen Ver­ein­nah­mungs-Ver­such zu­guns­ten of­fi­zi­el­ler DDR-Po­li­tik war Springs­teens lang­jäh­ri­ger Ma­na­ger und en­ger Freund Jon Land­au. „Es war eine Aus­nut­zung sei­nes Na­mens und eine kom­plet­te Fehl­in­ter­pre­ta­ti­on der Ab­sicht, die wir mit un­se­rem Kom­men ver­folg­ten“, sagt Land­au, noch heu­te ver­är­gert. Schnell war man sich ei­nig: Kei­nes­falls wer­de Springs­teen sich un­wi­der­spro­chen für eine kom­mu­nis­ti­sche Pro­pa­gan­da her­ge­ben. Den FDJ-Or­ga­ni­sa­to­ren wur­de dies rasch klar­ge­macht. Nach ei­ni­gem Hin und Her – die FDJ fürch­te­te schon, das gan­ze Kon­zert kön­ne ab­ge­sagt wer­den – wur­den die meis­ten der schon an­ge­brach­ten Trans­pa­ren­te ei­lig ent­fernt.

Zwar war der Alb­traum ei­nes in letz­ter Mi­nu­te ab­ge­sag­ten Kon­zerts ver­mie­den wor­den, doch Springs­teen woll­te nach all der Pro­pa­gan­da im Vor­feld ein paar di­rek­te Wor­te an das Pu­bli­kum rich­ten, um kla­r­zu­stel­len, war­um er nach Ost­ber­lin ge­kom­men war. Da­bei hat­te er nur Land­au ein­ge­weiht, was er sei­nen ost­deut­schen Fans sa­gen woll­te.

Um die Bot­schaft auch un­miss­ver­ständ­lich zu ver­mit­teln, ent­schied sich Springs­teen, auf Deutsch zu spre­chen. Also wand­te er sich an den ein­zi­gen Deut­schen in sei­nem di­rek­ten Um­feld, sei­nen Fah­rer und ge­le­gent­li­chen Dol­met­scher, einen jo­vi­a­len Bay­ern na­mens Ge­org Ker­win­ski. Ker­win­ski hör­te sich an, was Springs­teen sa­gen woll­te und skiz­zier­te einen Vor­schlag für die deut­sche Über­set­zung. Springs­teen dank­te ihm und ver­schwand ei­lig in Rich­tung Büh­nen­trep­pe. Se­kun­den spä­ter er­tön­te der ge­wal­ti­ge Er­öff­nungs­ap­plaus der größ­ten Men­schen­men­ge, vor der der Rock­star je­mals ge­spielt hat­te. Springs­teen be­gann ein Kon­zert, das Ge­schich­te schrei­ben soll­te.

Er woll­te of­fen­bar kei­ne Zeit ver­lie­ren, um dem Pu­bli­kum mäch­tig ein­zu­hei­zen und leg­te mit ei­ner oh­ren­be­täu­ben­den Ver­si­on von Bad­lands los, je­nem Auf­schrei ei­nes jun­gen Man­nes, der sich nach ei­nem bes­se­ren Le­ben sehnt – viel­leicht schon die ers­te Mes­sa­ge des im­mer noch auf­ge­brach­ten US-Stars an die DDR-Füh­rung. Das Pu­bli­kum re­a­gier­te fre­ne­tisch, selbst vie­le der zur Si­che­rung ab­ge­stell­ten zahl­lo­sen Sol­da­ten und Si­cher­heits­leu­te be­wahr­ten nur kur­ze Zeit ihre Di­stanz, dann er­la­gen auch sie der schie­ren Kraft der Springs­teen-Mu­sik und der über­bor­den­den Stim­mung und san­gen und tanz­ten mit.

Hin­ter der Büh­ne al­ler­dings be­schlich Ker­win­ski ein un­gu­tes Ge­fühl. War es wirk­lich eine so gute Idee, heim­lich ei­nem pro­mi­nen­ten US-Ame­ri­ka­ner da­bei zu hel­fen, eine – wenn auch kur­ze – Rede ge­gen die Mau­er auf Deutsch zu for­mu­lie­ren? Eine An­spra­che, die vie­len Men­schen mäch­tig Är­ger ein­brin­gen konn­te? Ker­win­ski lieb­te Springs­teen, sei­ne un­ge­teil­te Loy­a­li­tät ge­hör­te aber sei­nem ei­ge­nen Boss. Und so wand­te sich der baye­ri­sche Chauf­feur und Re­den­schrei­ber an sei­nen Bröt­chen­ge­ber, den Kon­zert­ver­an­stal­ter Ma­r­cel Avram.

Avram war ein er­fah­re­ner west­deut­scher Kon­zert­ma­na­ger, und ihm war so­fort klar, dass Är­ger droh­te. Ent­geis­tert wand­te er sich an Land­au: Der Ame­ri­ka­ner müs­se ver­hin­dern, dass Springs­teen sich an die Men­ge wand­te und da­bei Din­ge sag­te, die sie alle noch be­dau­ern könn­ten, for­der­te Avram ein­dring­lich. Das Kon­zert war mitt­ler­wei­le schon in sei­ner zwei­ten Stun­de und Land­au war auch selbst über­zeugt, dass er et­was un­ter­neh­men muss­te. Nie­mand wuss­te, wann sich Springs­teen an die Men­ge wen­den woll­te, die Bom­be konn­te je­den Au­gen­blick hoch­ge­hen! Land­au eil­te an den Büh­nen­rand und wink­te, um Springs­teens Auf­merk­sam­keit zu er­ha­schen. Schließ­lich kam der Sän­ger die kur­ze Trep­pe von der Büh­ne in den Back­s­ta­ge-Be­reich her­un­ter zu sei­nem Freund und Ma­na­ger. Auch Ker­win­ski wur­de her­bei­ge­ru­fen. Oben auf der Büh­ne spiel­te die Band der­weil wei­ter. Land­au mach­te Springs­teen deut­lich, dass sie die Rede leicht ab­wan­deln müss­ten. Ker­win­ski schrie sich die Keh­le aus dem Leib, um dem US-Sän­ger, der kein Wort Deutsch konn­te, in Laut­spra­che die neue For­mu­lie­rung bei­zu­brin­gen. Bei­de konn­ten sich we­gen des Lärms von der Büh­ne kaum ver­ste­hen.

Aber nach ei­ner Wei­le reck­te Springs­teen den Dau­men nach oben und lä­chel­te – er hat­te ver­stan­den und eil­te wie­der die Trep­pe hin­auf ins Ram­pen­licht. Nur Mi­nu­ten spä­ter, nach ei­ner phä­no­me­na­len und auf­peit­schen­den Ver­si­on von Born in the USA trat Springs­teen einen Schritt zu­rück, griff nach sei­nem Zet­tel und hielt sein flam­men­des Plä­doy­er für die Frei­heit.

Ost­deut­sche Fans hal­ten ein Trans­pa­rent mit ei­ner hand­ge­mach­ten ame­ri­ka­ni­schen Flag­ge hoch.

Foto: Her­bert Schul­ze

Ka­pi­tel 1: KÖ­NIG DER WELT

I was a se­rious young man, you know?

Bruce Springs­teen

Bruce Springs­teen war im Som­mer 1988 ei­ner der welt­weit er­folg­reichs­ten Rock­mu­si­ker. Vier Jah­re zu­vor hat­te er sein Al­bum Born in the USA ver­öf­fent­licht, jene Plat­te, die ihn end­gül­tig zum Su­per­star rund um den Glo­bus ge­macht hat­te. Mit 38 war er im­mer noch so schlank wie als 18-Jäh­ri­ger, fast ein Me­ter acht­zig groß, und da­bei, sich vom Künst­ler zum Ak­ti­vis­ten zu ent­wi­ckeln, auch auf der Büh­ne. Springs­teen ge­noss den Er­folg, doch ge­le­gent­lich war ihm an­zu­se­hen, dass er dem gan­zen Star­kult nicht be­son­ders viel ab­ge­win­nen konn­te. Er be­fand sich da­mals in ei­ner Pha­se des Um­bruchs, mu­si­ka­lisch wie pri­vat. Drei Jah­re zu­vor hat­te er Ju­li­an­ne Phil­ipps ge­hei­ra­tet, eine Schau­spie­le­rin und Mo­del. Aber die Ehe kri­sel­te so sehr, dass die Klatsch­blät­ter be­reits dar­über schrie­ben. Und kurz nach der „Tun­nel of Love Ex­press“-Tour­nee ga­ben die bei­den auch tat­säch­lich die Tren­nung be­kannt.

Und auch die ers­ten An­zei­chen für eine Mid­li­fe-Kri­se mach­ten sich be­merk­bar. Schon ein Jahr­zehnt zu­vor, an der Schwel­le zu sei­nem 30. Ge­burts­tag, hat­te Springs­teen dar­über ge­spro­chen, dass der Spruch der 1968er-Ge­ne­ra­ti­on „Trau kei­nem über 30“ schwer auf sei­nen Schul­tern lag. Nun, kurz vor sei­nem 40. Ge­burts­tag, war er aber­mals an ei­ner Weg­kreu­zung an­ge­kom­men und ver­such­te, sich neu zu ori­en­tie­ren. Das spie­gel­te sich auch auf sei­nem Al­bum Tun­nel of Love wi­der, das eine mu­si­ka­li­sche Ab­kehr von frü­he­ren Schall­plat­ten war.

Zur Zeit des DDR-Auf­tritts wa­ren Springs­teen und sei­ne E Street Band be­reits seit sech­zehn Jah­ren zu­sam­men. Nach be­schei­de­n­en Er­fol­gen in den frü­hen 70er-Jah­ren brach­ten sie es mit Born to Run 1975 zu ame­ri­ka­wei­tem Ruhm. 1978 folg­te Dar­kness on the Edge of Town. Spä­tes­tens mit The Ri­ver eta­blier­ten sich Springs­teen und sei­ne Band 1980 in der in­ter­na­ti­o­na­len Top-Klas­se. Ne­bras­ka (1982) und vor al­lem Born in the USA (1984) fes­tig­ten die Po­si­ti­on Springs­teens als Welt­star. Springs­teen und sei­ne Band zähl­ten nun zu den meist­be­gehr­ten Künst­lern in fast al­len Län­dern. Wo im­mer sie woll­ten, der „Boss“ und die E Street Band konn­ten nun über­all bin­nen kür­zes­ter Zeit jede Hal­le und je­des Sta­di­on fast nach Be­lie­ben fül­len. Springs­teen nutz­te den Ruhm und tour­te mit der Band rund um die Welt. Zwi­schen Juni 1984 und Ok­to­ber 1985 ab­sol­vier­te er mit Born in the USA eine Tour­nee mit 156 Auf­trit­ten auf vier Kon­ti­nen­ten. Springs­teen war in die­ser Zeit trotz des über­wäl­ti­gen­den Er­fol­ges al­les an­de­re als selbst­zu­frie­den oder über­heb­lich. Viel­mehr be­fand er sich in ei­ner „Sturm und Drang“-Pha­se, in der er erst­mals jene über Mo­na­te an­dau­ern­de über­wäl­ti­gen­de Ener­gieleis­tung zeig­te, für die er bis heu­te be­rühmt ist: Wäh­rend die­ser 16 Mo­na­te sa­hen fünf Mil­li­o­nen Men­schen auf der gan­zen Welt Springs­teen live. Der Kon­zert­ma­ra­thon brach­te 100 Mil­li­on Dol­lar ein. Al­lei­ne Born in the USA wur­de mit 20 Mil­li­o­nen ver­kauf­ten Al­ben eine der meist­ver­kauf­ten Plat­ten in der Mu­sik­ge­schich­te. Kei­ne an­de­re sei­ner Plat­ten ver­kauf­te sich vor­her oder nach­her so gut. Und sie­ben der zehn Songs schaff­ten es in die US-Top-Ten.

Die mu­si­ka­li­sche Um­o­ri­en­tie­rung hin zu ge­fäl­li­ge­rem Pop zahl­te sich aus. Plötz­lich war Springs­teen nicht mehr nur der Star der US-Ost­küs­te und ei­ni­ger In­seln im Mitt­le­ren Wes­ten und viel­leicht noch dem Sü­den der USA – haupt­säch­lich in Uni­ver­si­täts­s­täd­ten. Die Mu­sik des US-Ro­ckers be­gann, eine wich­ti­ge Rol­le im Le­ben vie­ler Men­schen in al­ler Her­ren Län­der zu spie­len. In Eu­r­o­pa war Springs­teen vor Born in the USA zwar be­reits ei­nem brei­te­ren Pu­bli­kum be­kannt, und seit sei­ner ers­ten Eu­r­o­pa-Tour­nee mit The Ri­ver war er vom Ge­heim­tipp zum eta­blier­ten Star auf­ge­stie­gen, doch wie an­dern­orts schaff­te er auch hier mit dem Tun­nel of Love den Durch­bruch zu ei­nem Mil­li­o­nen­pu­bli­kum.

An­ders als bei vie­len an­de­ren Mu­si­kern, hat­te der Er­folg Springs­teen zum Glück nicht sei­ne Freu­de am Ex­pe­ri­men­tie­ren ge­nom­men. Und auch sein per­ma­nen­ter Drang, et­was Neu­es, An­de­res zu ma­chen, litt nicht un­ter dem sen­sa­ti­o­nel­len Kom­merz-Er­folg, wie die fol­gen­den Jahr­zehn­te sei­nes Schaf­fens zei­gen soll­ten. Und, ty­pisch für Springs­teen, mach­te sich nur kurz nach der „Born in the USA“-Tour wie­der sei­ne Ex­pe­ri­men­tier­freu­de be­merk­bar.

„Ir­gend­wann in den 80er-Jah­ren hat­te ich das Ge­fühl, dass ich al­les er­zählt hat­te, was ich aus mei­ner Er­fah­rung schöp­fen konn­te, die Er­fah­rung mei­nes Va­ters, mei­ner Fa­mi­lie, der Stadt, wo ich auf­ge­wach­sen war“, sag­te Springs­teen in ei­nem In­ter­view mit dem Fach­ma­ga­zin Dou­ble Take. „Nun woll­te ich mei­ne Mu­sik lie­ber in et­was Prak­ti­sches ver­wan­deln, so dass sie einen Ein­fluss auf die Men­schen hat und auf die Ge­mein­schaf­ten, de­nen ich be­geg­net bin.“ Schon mit Tun­nel of Love habe er et­was Neu­es ver­sucht, sag­te er ein­mal. Der Ver­such war er­folg­reich, mit Tun­nel of Love, Two Faces und Bril­li­ant Dis­gui­se lan­de­te er gro­ße Hits. „Nach 1985 hat­te ich ge­nug und wand­te mich mehr mir selbst zu. Ich schrieb über Män­ner, Frau­en und Lie­be, The­men, die bei mir bis da­hin eher mar­gi­nal vor­ka­men“, sag­te er. Tun­nel of Love ent­hielt tat­säch­lich kei­ne ein­zi­ge der Rock­hym­nen, für die Springs­teen und sei­ne Band zu­vor mit Born in the USA ge­fei­ert wor­den wa­ren.

Vie­le Songs in Tun­nel of Love lo­ten die dunk­le­ren Sei­ten von per­sön­li­chen Er­fah­run­gen und Lie­bes­be­zie­hun­gen aus – die Plat­te ist teil­wei­se auch ein Spie­gel sei­ner ei­ge­nen schei­tern­den Be­zie­hung zu Phil­ipps. Das Al­bum ver­kauf­te sich zwar re­spek­ta­ble fünf Mil­li­o­nen Mal, doch von den er­folgs­ver­wöhn­ten Erb­sen­zäh­lern in der Mu­sik­in­dus­trie wur­de dies be­reits als schwach im Ver­gleich zum Me­ga­sel­ler Born in the USA ge­wer­tet.

Springs­teen schien von der­lei Kri­tik aber nicht be­son­ders be­ein­druckt zu sein, als er An­fang 1988 zu ei­ner wei­te­ren Welt­tour­nee auf­brach. Die „Tun­nel of Love“-Tour führ­te ihn zu­nächst in zahl­rei­che ame­ri­ka­ni­sche Städ­te, dar­un­ter Phil­adel­phia, Pitts­bur­gh, At­lan­ta, De­troit, Los An­ge­les und New York, be­vor er dann im Mai nach Eu­r­o­pa kam. Der Zu­satz „Ex­press“ im Ti­tel der Tour­nee soll­te si­gna­li­sie­ren, dass die ein­zel­nen Kon­zer­te mit un­ter drei Stun­den deut­lich kür­zer wa­ren, als die über vier Stun­den dau­ern­den Ma­ra­thon-Shows, die zu sei­nem Mar­ken­zei­chen ge­wor­den wa­ren. Auf dem Al­bum fin­det sich auch eine der bis heu­te po­pu­lärs­ten Bal­la­den Springs­teens, Bril­li­ant Dis­gui­se. Sie han­delt von ei­nem Mann, der an sei­ner ei­ge­nen und der Treue sei­ner Frau zwei­felt und fes­selt mit po­e­ti­schen Zei­len wie:

I walk this world in we­alth, I want to know if it’s you I don’t trust, ’cau­se I damn sure don’t trust my­self.