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BERAUSCHT VON DEINEN HEIßEN KÜSSEN "Oh nein!" Johanna Fletcher ist entsetzt! Ausgerechnet sie soll Stone dabei helfen, ein neues Heim für die Hunde seiner Großmutter zu suchen - und das, obwohl sie dem sexy Cowboy am liebsten aus dem Weg gehen würde. Schließlich haben sie erst vor Kurzem ihre Verlobung gelöst. Noch immer verletzt, schwört Johanna, nie wieder auf Stones Charme hereinzufallen. Doch auf ihrer gemeinsamen Reise durch Texas beginnt es erneut heftig zu knistern. Zwischen prickelnden Küssen gesteht Stone, dass er Johanna noch immer begehrt. Wird sie schwach und riskiert zum zweiten Mal ihr Herz? WOHIN DIE LEIDENSCHAFT UNS FÜHRT "Wilde Hengste zu zähmen, ist immer eine Herausforderung." Bei der dunklen, männlichen Stimme läuft Nina ein Schauer der Erregung über den Rücken. Das geht ja gut los! Keine halbe Stunde ist sie auf der Hidden Gem Ranch, wo ihr kleiner Sohn eine Woche lang reiten wird. Und schon ist sie im Bann eines sexy Cowboys, der sie daran erinnert, was sie in der kurzen Ehe mit ihrem vermögenden, betrügerischen Exmann nicht hatte. Nina ahnt nicht, dass sie mit dem reichen Ranchbesitzer flirtet. Der einen Hintergedanken hat, seit ihr Name auf der Anmeldeliste steht … VERLANGEN AUF DEN ERSTEN BLICK Liebe auf den ersten Blick? Daran glaubt die schöne Schmuckdesignerin Amie nicht. An Leidenschaft auf den ersten Blick dagegen schon! Denn die spürt sie, als sie auf einer Party einem breitschultrigen Fremden gegenübersteht. Er ist so umwerfend, dass sie sich von ihm küssen, umarmen und sogar sinnlich lieben lässt! In seinen Armen vergisst sie selbst ihre allergrößte Sorge: Das Familienunternehmen steht vor dem Ruin ... Doch kaum kehren sie erhitzt zur Party zurück, erfährt Amie schockiert, mit wem sie eben ein unerhört lustvolles Rendezvous hatte!
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Seitenzahl: 610
Catherine Mann
Rohdiamanten der Prärie (3-teilige Serie)
IMPRESSUM
BACCARA erscheint in der HarperCollins Germany GmbH
© 2014 by Catherine Mann Originaltitel: „One Good Cowboy“ erschienen bei: Harlequin Books, Toronto in der Reihe: DESIRE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
© Deutsche Erstausgabe in der Reihe BACCARABand 1921 - 2016 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg Übersetzung: Susanna Mewe
Abbildungen: Harlequin Books S.A., alle Rechte vorbehalten
Veröffentlicht im ePub Format in 04/2016 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783733721596
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
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„Meine Herren, geben Sie auf Ihre Kronjuwelen acht.“
Unbeeindruckt vom derben Spott seiner Großmutter, duckte sich Stone McNair tiefer im Sattel und wich so einem tief hängenden Zweig aus, bevor er mit seinem Pferd zum Sprung über den Bach ansetzte. Mariah McNair, die stolze und unkonventionelle Matriarchin einer riesigen Schmuckdynastie, führte die wilde Jagd zu Pferde an. Stone folgte ihr, sein Cousin Alex und seine Cousine Amie waren ihm dicht auf den Fersen.
Alex holte weiter auf. Sein Pferd galoppierte jetzt schon Kopf an Kopf mit Stones kräftigem Quarter Horse. Hufe wirbelten die Erde auf, Grasbrocken flogen durch die Luft und landeten im Bach. Geschickt wichen beide Pferde den Wurzeln einer Zypresse aus.
Stone genoss den rasanten Ritt und nahm gleichzeitig die Gerüche und Geräusche seiner Umgebung in sich auf. Er hörte, wie der Ledersattel unter ihm knarzte und wie der Wind durch die Kiefern pfiff. Der Duft nach Erde und Bergnelken hing in der Luft, eine Mischung, die auf ihn ebenso berauschend wirkte wie ein Schluck aus einer frisch geöffneten Flasche Whiskey.
Dieses Stück Land befand sich seit Generationen im Besitz der McNairs. Hier, etwas außerhalb von Fort Worth, hatte die Familie ihr Geschäft aufgebaut. Das Blut rauschte schneller durch Stones Adern, als er über das Land galoppierte, das zur Ranch gehörte. Die Liebe zu seiner texanischen Heimat hatte sich ihm seit frühester Kindheit eingeprägt – genauso unauslöschlich wie das Brandzeichen der Hidden Gem Ranch auf der Flanke seines Pferdes.
Gemeinsame Ausritte mit seiner Großmutter, seiner Cousine und seinem Cousin waren selten geworden. Dafür hielt sie alle ihr hektischer Arbeitsalltag zu sehr auf Trab. Stone war sich nicht sicher, warum seine Großmutter dieses kleine Treffen heute einberufen hatte. Aber es musste sich um etwas Wichtiges handeln, wenn sie es für wert befand, sie drei vom Familienunternehmen abzuziehen.
Seine Cousine Amie galoppierte jetzt direkt hinter ihm. Stone hörte ihr rauchiges, ausgelassenes Lachen.
„Na, wie geht es deinen Kronjuwelen?“, rief sie. Ohne eine Antwort abzuwarten, spornte Amie ihren Araberhengst weiter an. Ihr pechschwarzes Haar flatterte im Wind. Sie wirkte eher wie ein übermütiges Mädchen, nicht wie die dreißigjährige Frau, die sie in Wirklichkeit war.
Stone war mit Amie und Alex aufgewachsen. In ihrer Kindheit hatte seine Großmutter oft Ausritte mit ihnen unternommen. Stone verdankte ihr alles.
Vom ersten Tag seines Lebens an hatte sie für ihn gekämpft und dafür gesorgt, dass er die beste Fürsorge bekam, die man für Geld kaufen konnte. Und er hatte sie gebraucht, denn als Sohn einer cracksüchtigen Mutter war auch er süchtig zur Welt gekommen. Klaglos hatte seine Großmutter die Aufenthalte ihrer Tochter in zahllosen Entzugskliniken bezahlt, auch wenn Jades Versuche nie von Erfolg gekrönt waren. Jahr für Jahr war Mariah so beständig gewesen wie das Land, auf dem sie lebten.
Die Matriarchin hatte ihm, seiner Cousine und seinem Cousin jeweils eine bestimmte Rolle zugewiesen.
Während sich Alex um die Hidden Gem Ranch kümmerte, eine Ferienranch für die Reichen und Berühmten, leitete Stone das Schmuckimperium der Familie.
Diamonds in the Rough produzierte hochwertige Designerschmuckstücke im typischen Western-Stil. Das Sortiment reichte von Rodeo-Gürtelschnallen über die sogenannten Bolos, Schnürsenkel-Krawatten mit Cowboy-Flair, bis hin zu Aztekenschmuck. Ihr Angebot fand im ganzen Land reißenden Absatz.
Wenn alles nach Plan verlief, würde Stone mit Diamonds in the Rough in Kürze expandieren und Niederlassungen in London und Mailand eröffnen. Er hatte vor, die große Neuigkeit bei einem Wohltätigkeitsball in diesem Herbst zu verkünden. Amie – die Schmuckdesignerin der Familie – arbeitete bereits an den Entwürfen für die neue Saison.
Ja, langsam kam seine Welt wieder ins Lot. Nachdem ihn seine geplatzte Verlobung vor sieben Monaten ziemlich aus der Bahn geworfen hatte …
Aber er wollte jetzt nicht an Johanna denken. Am liebsten nie wieder. Leider war das nicht so einfach, denn Johanna arbeitete als Tierärztin für die Hidden Gem Ranch. Heute Morgen, als sie für den Ritt aufgesattelt hatten, hatte er sie noch nicht gesehen. Würde er ihr heute noch über den Weg laufen?
Der Gedanke war quälend – und zugleich aufregend.
Seine Großmutter ließ ihr Lieblingspferd, einen Palominohengst namens Goldie, in einen gemächlichen Trott verfallen. Langsam näherten sie sich dem Teich, an dem sie als Kinder oft gespielt hatten. Anscheinend war das Rennen vorbei. Vielleicht würde er ja nun erfahren, was seine Großmutter im Schilde führte.
Stone tätschelte seinem Pferd Copper den Hals. „Also, Grandma, würdest du uns jetzt freundlicherweise den Grund für dieses Familientreffen verraten?“
Sein Cousin und seine Cousine brachten ihre Pferde rechts und links neben Mariah zum Stehen.
Seine Großmutter nickte. Mit ihrem grauen, geflochtenen Zopf und ihrer aufrechten Haltung war sie noch immer eine eindrucksvolle Erscheinung. „Die Zeit ist gekommen, um zu entscheiden, wer die Leitung des Familiengeschäfts übernehmen soll.“
Unwillkürlich umklammerte Stone den Sattelknauf fester. „Du ziehst doch nicht ernsthaft in Erwägung, dich zur Ruhe zu setzen?“
„Nein, mein Lieber …“
Seine Großmutter zögerte, dann sog sie tief den Atem ein. Stone fiel auf, dass ihre Hände zitterten. Das war sonderbar, denn normalerweise verfügte seine Großmutter über eine eiserne Entschlossenheit und war durch nichts zu erschüttern.
„Die Ärzte haben mir gesagt, es sei an der Zeit, meine Angelegenheiten zu ordnen.“
Ihre Worte trafen ihn wie ein Schlag in die Magengrube. Ungefähr so hatte es sich angefühlt, als er das erste Mal vom Pferd gefallen war. Auch jetzt verschlug es ihm den Atem. Er konnte sich eine Welt ohne Mariah McNair einfach nicht vorstellen.
Amie streckte zögerlich die Hand aus und strich ihrer Großmutter über den Arm. Solange sie alle auf ihren Pferden saßen, war mehr Körperkontakt nicht möglich. Und seine Großmutter machte keine Anstalten, abzusteigen. Wahrscheinlich hatte sie absichtlich diesen Zeitpunkt gewählt, um ihnen die furchtbare Nachricht beizubringen.
„Was genau haben die Ärzte gesagt, Grandma?“, fragte Alex.
Er legte ihr die Hand auf die Schulter. Es war rührend zu sehen, wie er und seine Schwester die zierliche alte Frau schützend in die Mitte genommen hatten. Als wären sie ihre persönlichen Leibwächter.
Amie und Alex – ihre Taufnamen lauteten Amethyst und Alexandrit – waren im Gegensatz zu Stone recht behütet aufgewachsen. Sie hatten Eltern gehabt, die sich um sie kümmerten, und ein richtiges Zuhause.
Als Kind hatte Stone immer heimlich davon geträumt, zu ihrer Familie zu gehören – der große Bruder der Zwillinge zu sein, nicht bloß ihr Cousin. Einmal hatte er ein Telefongespräch belauscht, bei dem Mariah seiner Tante genau das vorgeschlagen hatte. Aber die hatte nichts davon wissen wollen. Bei all den Misswahlen, an denen Amie teilnahm, sowie Alex’ Rodeo-Wettkämpfen könne sie sich unmöglich noch um ein weiteres Kind kümmern, hatte sie gesagt.
Damals war Stone schlagartig bewusst geworden, dass seine Familie ihn zwar liebte, aber dass ihn niemand wirklich haben wollte. Doch letztlich hatte sich seine Großmutter nicht aus der Verantwortung gestohlen. Dafür liebte und respektierte er sie.
Mariah tätschelte jedem der Zwillinge die Wange und lächelte Stone traurig an. „Ich habe einen Hirntumor. Unglücklicherweise lässt er sich nicht operieren.“
Stone schnürte es die Kehle zu. Auch Amie schnappte nach Luft. Sie blinzelte ein paarmal schnell hintereinander, konnte aber nicht verhindern, dass ihr eine Träne über die Wange lief.
Mariah schüttelte unwirsch den Kopf. „Lasst mich mit diesem gefühlsduseligen Quatsch in Ruhe. Das kann ich jetzt nicht gebrauchen. Die Ärzte hoffen, mit der Behandlung die Größe des Tumors reduzieren zu können. Das könnte mir Jahre schenken statt Monate.“
Monate?
Es verschlug Stone die Sprache. Er hatte von anderen Leuten oft zu hören bekommen, dass er der geborene Verführer sei, charmant und attraktiv, aber mit einem Herzen aus Stein. Doch dieses angeblich so steinerne Herz krampfte sich jetzt zusammen.
Mariah zuckte die Achseln. „Selbst wenn die Behandlung anschlägt, kann es sein, dass der Tumor meine Urteilsfähigkeit beeinträchtigt. Ich will nicht alles, wofür ich mein Leben lang gearbeitet habe, aufs Spiel setzen, indem ich die Entscheidung hinauszögere. Ich muss jetzt klären, was aus Diamonds in the Rough und der Hidden Gem Ranch werden soll.“
Das Familienunternehmen bedeutete ihr alles. Ihnen ging es genauso. Bis zu diesem Zeitpunkt war es Stone nie in den Sinn gekommen, dass sich an der Rollenverteilung, die sich ihre Großmutter als Hauptanteilseignerin für sie ausgedacht hatte, etwas ändern könnte.
„Und wie lautet deine Entscheidung?“, platzte Amie heraus, die sich wie gewöhnlich nicht zurückhalten konnte.
„Ich weiß es noch nicht“, gestand Mariah. „Aber ich habe einen Plan. Deswegen habe ich euch alle zu diesem Ausritt eingeladen.“
Alex, der sonst eher zurückhaltend war, runzelte die Stirn. „Ich bin mir nicht sicher, ob ich dich richtig verstehe.“
„Ihr werdet alle etwas für mich tun müssen.“ Mariah beugte sich vor und stützte sich auf dem Sattelknauf ab. „Um mir zu zeigen, wer das Zeug dazu hat, die Leitung des Geschäfts zu übernehmen.“
„Du willst uns einer Prüfung unterziehen.“ Ein sanfter Vorwurf schwang in Amies Stimme mit.
„Nenn es, wie du willst.“ Mariah klang entschlossen. „Aber so, wie die Dinge im Augenblick stehen, habe ich bei keinem von euch ein gutes Gefühl, was die Nachfolge angeht.“
Ihre Worte trafen Stone wie eine Ohrfeige. Wie immer in solchen Momenten verspürte er das Bedürfnis, das Ruder an sich zu reißen. „Was soll ich für dich tun?“
„Du sollst ein neues Zuhause für meine vier Hunde finden“, antwortete Mariah.
Ein leises Plätschern am Teich war das einzige Geräusch, das die verblüffte Stille unterbrach. Wahrscheinlich ein Fisch, dachte Stone abwesend.
„Du machst Witze, stimmt’s?“, fragte er schließlich.
„Es war mir noch nie in meinem Leben so ernst“, entgegnete Mariah. „Meine Hunde sind mir sehr wichtig, das weißt du. Sie gehören praktisch zur Familie.“
„Diese Prüfung kommt mir nur so … seltsam war.“ Konnte es sein, dass der Tumor die Denkfähigkeit seiner Großmutter bereits beeinträchtigte?
Diese schüttelte langsam den Kopf. Sie wirkte enttäuscht. „Allein die Tatsache, dass du meine Bitte nicht ernst nimmst, zeigt mir, wie berechtigt meine Bedenken sind. Du musst mir beweisen, dass du ein gutes Herz hast. Denn genau das braucht man, um dieses Unternehmen zu führen.“
Sie sah ihn aus ihren klaren blauen Augen herausfordernd an. Er hielt ihrem Blick stand. Dann stieß sie ihrem Pferd die Fersen in die Flanken und ritt wieder an.
Nachdem Stone seine Benommenheit abgeschüttelt hatte, folgte er ihr. Amie und Alex ritten dicht hinter ihm. Auf dem Weg nach Hause kamen sie an den Blockhütten der Urlauber vorbei, die das ganze Jahr über vermietet wurden.
Nach Hause.
Das Zuhause der McNairs war ein im Landhausstil gehaltenes Farmhaus, das über zwei Seitenflügel verfügte. In einem Flügel wohnte die Familie, in dem anderen befanden sich die Zimmer für die Touristen. Unter Alex’ Führung hatte sich die Gästeunterkunft von einem kleinen Bed and Breakfast zu einer großen Ferienranch mit allem denkbaren Komfort entwickelt. Die Gäste konnten ausreiten, den Wellnessbereich genießen, fischen gehen oder Abenteuerausflüge unternehmen. Im Saloon fanden sogar Pokerspiele statt. Außerdem richteten sie auf Wunsch auch private Feiern aus.
Im Geschenkeshop gab es Schmuckstücke aus dem Sortiment der McNairs zu kaufen, auch wenn die Auswahl im Vergleich zu ihrem Hauptgeschäft in Fort Worth eher bescheiden war.
Stone runzelte die Stirn. Alex war ein cleverer Geschäftsmann. Wollte seine Großmutter etwa ihm die Nachfolge übertragen?
Vielleicht hatte sie ja auch jemand ganz anderes im Sinn. Einen Fremden. Ein furchtbarer Gedanke. Stone fühlte sich plötzlich völlig überfordert und wie gelähmt. Er konnte sich ein Leben ohne seine Großmutter einfach nicht vorstellen. Weder in einem Monat noch in einem Jahr.
In jedem Fall konnte er ihr jetzt keine Bitte abschlagen.
Stone spornte sein Pferd an. Kurz bevor seine Großmutter den Pferdestall erreicht hatte, holte er sie ein.
„Okay, Grandma, in Ordnung“, sagte er. „Ich mache es. Ich treibe Leute auf, die sich um, äh …“ Verdammt, wie zum Teufel hießen diese Köter noch mal? Stone setzte neu an: „Die sich um deine Hunde kümmern.“
„Es sind vier, falls du das auch vergessen haben solltest“, gab Mariah bissig zurück.
„Die strubbelige Kleine heißt Dorothy, richtig?“
Mariah schnaubte lauter als ihr Pferd. „Knapp daneben. Pearl. Der blonde Labrador heißt Gem. Ein Freund hat ihn mir geschenkt. Ruby, meine liebe Rottweilerhündin, habe ich aus dem Tierheim adoptiert. Und mein süßer kleiner Chihuahua heißt Sterling.“
Chi-was? Ach ja, Stone erinnerte sich: Sterling war ein Mischling, halb Chihuahua, halb Dachshund. „Was ist mit den beiden Katzen?“
Stone war zufrieden mit sich. Immerhin hatte er sich gemerkt, dass es zwei waren.
„Die nimmt Amie bei sich auf.“
Natürlich, Amie hatte es schon immer verstanden, sich lieb Kind zu machen.
„Dann kümmere ich mich um die Hunde.“ Wie viel Arbeit konnten vier Hunde schon machen? Er musste sich ja nicht allein um sie kümmern. Er konnte sich einen Hundesitter besorgen.
„Ich sagte, ich will, dass meine Hunde ein gutes Zuhause bekommen.“
Stone zuckte zusammen. „Ich verstehe.“
„Außerdem möchte ich, dass ihr neues Zuhause von einer Expertin abgesegnet wird“, fuhr Mariah fort und lenkte ihr Pferd zu den Pferdeställen.
„Eine Expertin?“ Stones Nackenhaare sträubten sich. Ihm schwante Böses.
Und wirklich – durch den Mittelgang im großen Pferdestall kam Johanna auf sie zu. Mit ihrer schlanken Figur und ihren langen Beinen hätte sie problemlos in jeder Jeanswerbung auftreten können. Sie trug das Haar zu einem französischen Knoten hochgesteckt, damit ihre blonden Locken ihr bei der Arbeit nicht im Weg waren. Unwillkürlich kribbelte es Stone in den Fingern.
Was er nicht darum geben würde, ihr Haar zu lösen. Noch einmal mit ihr zu schlafen …
„Ist sie deine Expertin?“, vergewisserte er sich.
„Ja“, erwiderte Mariah knapp. „Alle Adoptionen müssen von unserer Tierärztin Johanna Fletcher abgesegnet werden.“
Er sah, wie Johanna langsam auf sie zukam, während sie von Box zu Box ging und sich vergewisserte, dass es den Pferden gut ging. Ihr Gesicht nahm einen verschlossenen Ausdruck an, als sie ihn entdeckte. Früher hatte sie ihn immer mit einem strahlenden Lächeln begrüßt. Aber damals war sie ja auch noch seine Verlobte gewesen.
Vor sieben Monaten hatte sie ihn eiskalt abserviert. Und das ausgerechnet bei einem Wohltätigkeitsball – vor all seinen Freunden.
Stone McNair, der leitende Geschäftsführer im Businessanzug, der mit eiserner Hand jeden Sitzungssaal regierte, war beeindruckend. Aber Stone McNair, der Cowboy-Casanova, war einfach unwiderstehlich. Zumindest für Johanna.
Sie blieb vor einer Pferdebox stehen und musterte Stone verstohlen aus den Augenwinkeln. Warum musste er nur so verdammt attraktiv sein?
Sie stieß die Boxentür auf und hörte mit übertriebener Sorgfalt das Herz des Pferdes ab. Der Palomino war zwar kerngesund, aber sie wollte nicht, dass jemand dachte, sie hätte noch irgendein Interesse an Stone. Jeder von Fort Worth bis Del Rio kannte ihre Geschichte. Sie musste die Gerüchteküche nicht noch zusätzlich anheizen, indem sie jedes Mal fast ihn Ohnmacht fiel, wenn Stone den Stall betrat.
Auch wenn er in seinen hautengen Jeans wirklich verdammt heiß aussah.
Stone schwang ein Bein über den Sattel und sprang vom Pferd. Trotz der Entfernung meinte sie zu spüren, wie der Boden vom Aufprall seiner Stiefel vibrierte. Seine Gürtelschnalle blitzte in der Sonne – ein typisches Stück aus der Kollektion von Diamonds in the Rough.
Alle McNairs waren attraktiv und charismatisch, aber Stone sah einfach unverschämt gut aus. Mit seinem pechschwarzen Haar und den eisblauen Augen hätte man ihn für einen Filmstar halten können. Schweißperlen standen ihm auf der Stirn. Er trug einen Stetson – er liebte diesen typisch texanischen Cowboyhut.
Schon als junges Mädchen hatte Johanna für Stone geschwärmt. Und als Frau war sie ihm verfallen – wie so viele andere.
Doch damit war jetzt Schluss.
Johanna ging zur nächsten Box, die ein bei den Urlaubern sehr beliebtes Quarter Horse namens Topaz beherbergte. Du musst dich jetzt auf deine Arbeit konzentrieren, ermahnte sie sich. Schließlich konnte sie sich glücklich schätzen, immer noch eine Arbeit zu haben – trotz der Szene, die sie Stone bei der Trennung gemacht hatte. Das hatte sie mit Sicherheit Mrs. McNair zu verdanken. Johanna war der Matriarchin dankbar, dass sie weiterhin in einem der besten Pferdeställe des Landes arbeiten durfte.
Ihre Karriere stand jetzt für sie an erster Stelle. Schließlich hatten ihre Eltern die Ersparnisse ihres ganzen Lebens geopfert, damit ihre Tochter die besten Schulen besuchen konnte. Der Job ihres Vaters hatte ihr Zutritt zu der schillernden Welt der McNairs verschafft – zu Stones Welt; auch wenn ihre Liebe am Ende nicht stark genug gewesen war. Johanna vermisste ihre Eltern sehr – sie waren vor einigen Jahren bei einem Brand in ihrer Wohnwagensiedlung ums Leben gekommen.
Sie hörte das Klappern von Hufen, als Stallburschen die Pferde von Stone und Mariah wegführten. Johanna wunderte sich. Die McNairs ließen es sich normalerweise nicht nehmen, ihre Pferde selbst abzusatteln. Stattdessen kamen Mariah und Stone nun direkt auf sie zu. Ein Kribbeln lief Johanna den Rücken herunter.
Nur scheinbar lässig hängte sie sich ihr Stethoskop um den Hals, während ihr Herz wie wild pochte. Der Duft nach Heu und Leder stach ihr auf einmal fast unangenehm in der Nase.
Nervös strich sie dem Quarter Horse über die samtigen Nüstern. Dann fasste sie sich ein Herz, verließ die Box und trat Stone und Mariah entgegen. „Hallo, Mrs. McNair …“ Johanna schluckte. „Hallo, Stone.“
Mariah McNair lächelte sie an. Doch Stones Blick blieb finster. Er war noch immer wütend auf sie. Doch sie las noch etwas anderes in seinen Augen …
War es Trauer? Es ärgerte sie, wie gut sie ihn immer noch kannte.
Mariah streckte ihr die Hand hin. „Komm, meine Liebe, lass uns ins Büro gehen. Dort können wir ungestört plaudern.“
Kam Stone etwa auch mit? Anscheinend. „Natürlich“, erwiderte Johanna schnell.
Mit jedem Schritt, den sie sich dem Büro näherten, wurde ihre Verwirrung größer. Die Mitarbeiter der Hidden Gem Ranch warfen ihnen ebenfalls neugierige Blicke zu. Sie kamen an Alex und Amie vorbei, die ihre Pferde absattelten. In ihren Gesichtern sah Johanna denselben verstörten Ausdruck, der ihr schon bei Stone aufgefallen war.
Es war beunruhigend. Unwillkürlich beschleunigte Johanna ihre Schritte. Sie war mit diesen Menschen aufgewachsen. Und obwohl sie selbst nicht aus einer wohlhabenden Familie stammte, hatte sie sich stets willkommen und geborgen gefühlt.
Jeder Winkel hier steckte voller Erinnerungen.
Rechts und links des Ganges prangten auf eigens angefertigten Böcken glänzende Sättel. Es waren handgefertigte Einzelstücke, wahre Kunstwerke – so wie alles, was die McNairs herstellten. Das Leder war mit aufwendigen Prägungen verziert – mit Rosen, Efeu und ländlichen Motiven. Manche Sättel hatten kunstvoll gearbeitete Knäufe aus Silber oder Messing, auf die jeder Cowboy stolz gewesen wäre.
Johanna konnte sich nicht vorstellen, je woanders zu arbeiten. Dieser Ort war mehr als ein Arbeitsplatz für sie, er war ihr Zuhause.
Stone hielt ihr die Tür zum Büro auf. Johanna spürte seinen warmen Atem im Nacken. Unwillkürlich musste sie daran denken, wie sich seine Haut angefühlt hatte, wenn sie an heißen Sommertagen im Wald miteinander geschlafen hatten.
Sie wandte sich um, und einen elektrisierenden Moment lang trafen sich ihre Blicke. Die Luft war so aufgeladen, dass sie zu knistern schien. Mühsam zwang sich Johanna, vorwärtszugehen.
Im Büro mit den holzgetäfelten Wänden standen mit rotem Leder bezogene Stühle, ein Sofa und ein schwerer Eichenholzschreibtisch. Gerahmte Drucke von der Ranch in verschiedenen Stadien der Entwicklung zierten die Wände. Über dem Kamin hing ein Porträt von Mariah und ihrem Ehemann, das an ihrem fünfundzwanzigsten Hochzeitstag aufgenommen worden war. Kurz darauf war Jasper an einem Herzinfarkt gestorben.
Mariah strich mit den Fingern gedankenverloren über den geschnitzten Rahmen, bevor sie sich mit einem leisen Seufzer in einen breiten Ledersessel sinken ließ. „Bitte, nimm Platz, Johanna. Stone? Bring uns ein Glas Wasser.“
Johanna kauerte sich auf den Rand eines Stuhls und sah die ältere Frau fragend an. „Mrs. McNair? Gibt es ein Problem?“
„Ich fürchte, ja. Deswegen brauche ich deine Hilfe.“
„Was kann ich tun?“
Mariah nahm ein Glas mit sprudelndem Mineralwasser von ihrem Enkel entgegen. Nachdem sie einen großen Schluck genommen hatte, setzte sie das Glas ab. „Ich habe gesundheitliche Probleme. Bevor ich mich in Behandlung begebe, möchte ich sicherstellen, dass die wichtigen Dinge in meinem Leben geregelt sind.“
„Was für gesundheitliche Probleme?“ Furcht packte Johannas Herz mit eisigen Klauen. Durfte sie nachfragen, oder war das zudringlich? Doch letztlich war es ihr egal. „Ist es etwas Ernstes?“
„Sehr ernst.“ Gedankenverloren tastete Mariah nach der Kette mit dem diamantenen Hufeisenanhänger, die um ihren Hals hing. „Ich hoffe, die Ärzte können mir ein wenig Zeit verschaffen. Aber die Behandlungen werden mich in den kommenden Wochen und Monaten voll in Anspruch nehmen. Ich möchte nicht, dass mein Geschäft oder meine Tiere darunter leiden.“
Ihre Tierliebe war etwas, das Mariah mit Johanna gemeinsam hatte. Auch als vielbeschäftigtes Oberhaupt eines milliardenschweren Unternehmens hatte Mariah McNair sich früher stets die Zeit genommen, der kleinen Johanna etwas über die Tiere der Hidden Gem Ranch beizubringen.
Johanna nahm Stone das Glas ab. Dabei zitterte ihre Hand so stark, dass die Eiswürfel in ihrem Glas klirrten. „Es tut mir leid. Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Wie kann ich helfen?“
Mariah musterte sie mit ihren klaren blauen Augen, die Stones so ähnlich waren. „Indem du ein neues Zuhause für meine Hunde findest.“
„Ich kann selbst auf sie aufpassen“, schlug Johanna vor.
„Nein, meine Liebe“, erwiderte Mariah. Ihre Stimme klang sanft, doch es lag eine stählerne Entschlossenheit darin. „Ich habe einen Gehirntumor. Ich glaube, es wird das Beste sein, ein dauerhaftes Zuhause für sie zu finden.“
Diese Nachricht traf Johanna wie ein Schlag in die Magengrube. Tränen schossen ihr in die Augen, und sie biss sich auf die Unterlippe, um nicht laut aufzuschluchzen.
Im nächsten Moment spürte sie, wie sich eine kräftige Hand auf ihre Schulter legte. Stones Hand.
Gott, er musste am Boden zerstört sein. Sie drehte sich zu ihm, um tröstend seine Hand zu ergreifen, doch der abweisende Ausdruck in seinem Gesicht hielt sie davon ab. Daher wandte sie sich wieder Mariah zu. „Ich werde tun, was auch immer Sie wollen.“
„Danke.“ Mariah lächelte sie an. „Stone wird ein Heim für meine Hunde finden. Ich will, dass du ihn begleitest und sichergehst, dass die Tiere wirklich dorthin passen. Das Ganze wird ungefähr eine Woche dauern.“
„Eine Woche?“, stieß Johanna mühsam hervor.
Eine Woche allein mit Stone. Niemals! Es war schon schlimm genug, dass sie ihm auf der Ranch ständig über den Weg lief. Aber hier hatte sie zumindest die Arbeit, die sie ablenkte.
Stone hatte ihr das Herz gebrochen, als er ihr erklärt hatte, dass er keine Kinder mit ihr haben wollte. Immer wieder hatten sie sich über dieses Thema gestritten – bis sie schließlich einen Schlussstrich gezogen hatte.
Anfangs hatte er noch geglaubt, dass sie bluffte. Glaubte Mariah das etwa auch?
Johanna wählte ihre Worte mit Bedacht. „Ich will nicht unverschämt sein, Ma’am. Und ich verstehe, dass Sie Ruhe brauchen, besonders jetzt …“ Sie schluckte. „Ihnen muss klar sein, dass dieser Verkuppelungsversuch nicht funktionieren kann. Stone und ich … Unsere Beziehung ist Vergangenheit.“
Sie warf Stone einen warnenden Blick zu – nur für alle Fälle. Schließlich hatte er ihr noch einen ganzen Monat nach der Trennung nachgestellt, bevor er begriffen hatte, dass sie ihre Meinung nicht ändern würde.
Doch jetzt hob er lediglich arrogant eine Augenbraue.
Mariah schüttelte den Kopf. „Ich habe nichts dergleichen vor. Seit Jahren vertraue ich dir meine Tiere an. Ich habe dich aufwachsen sehen. Du kennst Stone. Solange du in seiner Nähe bist, wird er keine Dummheiten machen. Oder fällt dir sonst irgendwer ein, den er nicht mit seinem Charme einwickeln könnte?“
Johanna musste sich geschlagen geben. „Nein, nicht wirklich.“
Stone runzelte die Stirn. „Hey, ich habe das Gefühl, ich werde hier gerade beleidigt.“
Mariah warf ihm einen wissenden Blick zu. „Wenn du nur das Gefühl hast, muss ich wohl deutlicher werden. Ich hoffe, du nutzt diese Chance, dich mir zu beweisen. Ich wünsche dir viel Erfolg. Trotzdem muss ich gestehen, dass ich meine Zweifel habe.“
Stone rieb sich mit der Hand übers Kinn, das wie immer von Stoppeln übersät war. Er konnte sich rasieren, sooft er wollte, es hielt nie lange vor. „Du vertraust Johanna mehr als deinem eigenen Fleisch und Blut?“
„Ja“, entgegnete Mariah, ohne zu zögern. „Und ich habe auch allen Grund dazu. Du wolltest mit der Firma expandieren und hast es vor mir verheimlicht.“
„Nur bis die Sache spruchreif war“, verteidigte sich Stone. „Ich wollte dich damit überraschen. Dich beeindrucken.“
„Unsere Firma ist kein Grundschulkunstprojekt, das man sich an die Kühlschranktür hängt. Du musst begreifen, wie wichtig Teamwork ist. Deswegen habe ich mir diese Prüfung für dich einfallen lassen. Johanna, du wirst ihn zu den Bewerbungsgesprächen mit den potenziellen Familien begleiten. Die Familien habe ich schon ausgesucht.“
„Du hast bereits passende Familien gefunden? Das macht die Prüfung aber sehr leicht“, sagte Johanna misstrauisch. „Es muss einen Haken geben.“
„Kein Haken. Aber du findest die Prüfung leicht?“ Mariah lachte leise. „Das hängt ganz davon ab, ob ihr zwei in der Lage seid, euch wie reife Erwachsene zu benehmen.“
„Du fragst dich, ob wir es schaffen, während dieser Treffen höflich miteinander umzugehen?“, fragte Johanna belustigt. „Ich denke, das kriegen wir hin.“
„Nicht nur während der Treffen“, widersprach Mariah. „Du vergisst die Reise selbst.“
„Reise?“ Also das war der Haken. Johanna warf Stone einen prüfenden Blick zu. Wie er da lässig am Kamin lehnte, sah er verdammt heiß aus – und unglaublich selbstgefällig. Stone zuckte unbeeindruckt die Achseln.
„Die Familien, die ich ausgesucht habe, leben nicht gerade um die Ecke. Aber unser Privatjet wird euch die Reise erleichtern.“ Mariah drehte den diamantenen Hufeisenanhänger in ihrer Hand.
Stone nickte. „Ich kann mich um die Reisearrangements kümmern.“
„Das musst du nicht. Ich bestimme, wie es läuft. Mein Plan, meine Prüfung“, sagte Mariah.
Stone biss die Zähne zusammen. Es fiel ihm offensichtlich schwer, sich zu beherrschen.
„Eine Woche …“, murmelte Johanna. Ihr war mulmig zumute. In dieser Woche würden sich ihre Wege nicht nur ab und zu kreuzen wie sonst. Sie würden ständig zusammen sein.
„Ich erwarte nicht, dass ihr beide wieder ein Paar werdet. Mir geht es darum, zu sehen, ob Stone das Einfühlungsvermögen besitzt, das man braucht, um eine Firma zu leiten.“ Mariah löste die Kette von ihrem Hals. „Aber natürlich hoffe ich auch, dass ihr beide einen Weg findet, euch zu versöhnen.“
Mit einem Mal begriff Johanna. „Es geht dir nicht nur um die Hunde, sondern darum, dass Stone und ich uns nicht wieder verletzen.“
Mariah schloss die Finger fest um ihre Halskette. „Das Wohlergehen meines Enkels bedeutet mir mehr als mein Unternehmen.“
Damit hatte sie Johannas wunden Punkt getroffen. Spielte Mariah etwa mit ihren Gefühlen, nur um ihren Willen durchzusetzen? Diese Frau konnte ebenso gerissen sein wie Stone. Aber schließlich hatte Mariah ihre Krankheit nicht erfunden.
„In Ordnung“, willigte Johanna schließlich ein.
Wortlos drückte ihr Mariah die Halskette in die Hand. „Viel Glück, meine Liebe.“
Johanna wollte protestieren. So ein extravagantes Geschenk konnte sie unmöglich annehmen. Aber dann sah sie Mariahs Blick und erkannte, wie viel der älteren Frau diese Geste bedeutete. Eine Frau am Ende ihres Lebenswegs schenkte ein Stück von sich selbst an die nächste Generation weiter. Dieses Hufeisen war viel mehr als ein wertvolles Schmuckstück. Es war ein Familienerbstück. Es stand für all das, wonach Johanna sich sehnte.
Und was Stone so leichtfertig weggeworfen hatte.
Manchmal wusste sie nicht, ob sie wütend auf ihn sein oder ihn bemitleiden sollte.
Johanna erhob sich. In ihren Augen blitzte es entschlossen. „Pack deine Sachen, Casanova. Wir fliegen los.“
Stone starrte aus dem Fenster des Büros. Eben hatte er die Tür zufallen hören. Seine Großmutter und Johanna waren fort. Er ließ sich tiefer in den Schreibtischstuhl sinken. Er konnte nicht glauben, dass sich Johanna tatsächlich darauf eingelassen hatte, eine Woche lang mit ihm zu verreisen.
Er wusste nicht einmal, ob er sich darüber freuen sollte.
Mariah hatte sich ins Haupthaus zurückgezogen. Am liebsten wäre er mit ihr gegangen, doch der stolze Ausdruck in ihren Augen hatte ihn davon abgehalten.
Seine Großmutter und er waren sich in dieser Hinsicht sehr ähnlich. Nach schweren Schicksalsschlägen mussten sie erst einmal allein ihre Wunden lecken. Er stieß einen tiefen Seufzer aus. In diesem Moment hätte er am liebsten das gesamte Büro kurz und klein geschlagen – die Bücher, den Computer, die reich verzierten Sättel und gerahmten Auszeichnungen.
Das Letzte, was er wollte, war, Fort Worth zu verlassen. Es erschien absurd, die kostbare Zeit, die ihm mit seiner Großmutter noch blieb, zu vergeuden, indem er kreuz und quer durchs Land flog. Selbst wenn ihn Johanna begleitete.
Was genau hatte sich seine Großmutter bei dieser seltsamen Mission gedacht? Er kam sich wie einer ihrer Hunde vor, den sie durch einen Reifen springen ließ. Sollte er auf diese Weise wirklich beweisen, dass er das Zeug dazu hatte, die Firma zu leiten? Oder ging es nur darum, ihn zu verkuppeln, wie Johanna glaubte? In diesem Fall würde Mariah zumindest nicht an seinen Fähigkeiten als leitender Geschäftsführer zweifeln.
Das Wahrscheinlichste war allerdings, dass seine pragmatische Großmutter zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen wollte.
Irgendwie musste er die nächsten sieben Tage an der Seite seiner Exverlobten überstehen. Er erinnerte sich noch lebhaft daran, wie Johanna ihm bei der Trennung all seine Unzulänglichkeiten vorgehalten hatte.
Aber er konnte ihr nun einmal kein heiles Familienleben mit Kindern und weißem Gartenzaun bieten. Dazu war er nicht geschaffen.
Er hatte den schweren Start ins Leben zwar überstanden. Dass er bei seiner Geburt süchtig gewesen war, hatte er überlebt, und auch die verzögerte Entwicklung als Kind hatte er längst aufgeholt. Trotzdem hatte die Vergangenheit tiefe Narben bei ihm hinterlassen. Manchmal fühlte er sich innerlich wie versteinert. In dieser Hinsicht passte sein Name perfekt zu ihm.
Er verstand, dass seine Großmutter sich Sorgen machte. Auch wenn er nicht der Ansicht war, dass die Firma einen weichherzigen Plüschteddy an der Spitze gebrauchen konnte. Trotzdem würde er tun, was seine Großmutter von ihm verlangte. Schließlich war das Geschäft alles, was ihm von Mariah bleiben würde. Unwillkürlich ballte er die Fäuste.
Nein, er erwartete nicht, dass alle Probleme zwischen Johanna und ihm wie durch Zauberei einfach verschwinden würden. Und obwohl Johanna die einzige Frau war, mit der er sich ein gemeinsames Leben vorstellen konnte, war es an der Zeit, mit der Sache abzuschließen.
Trotzdem würde er alles für eine weitere Nacht mit ihr geben. Obwohl seit der Trennung sieben Monate vergangen waren, sah er andere Frauen noch nicht einmal an.
Sieben Monate ohne Sex waren eine verdammt lange Zeit. Manchmal war die sexuelle Frustration so stark, dass er am liebsten gegen die Wände geboxt hätte. Auch jetzt musste er sich zwingen, tief durchzuatmen.
Da spürte er plötzlich eine Hand auf der Schulter.
Er fuhr herum und sah sich Johanna gegenüber. „Bist du die ganze Zeit hier gewesen?“, fragte er peinlich berührt.
Er hatte gemeint, dass sie zusammen mit seiner Großmutter das Büro verlassen hatte.
„Tut mir leid“, sagte sie zerknirscht. „Ich wollte etwas sagen, aber du schienst so … in Gedanken versunken. Ich habe auf den richtigen Moment gewartet, aber er ist irgendwie nicht gekommen.“
Sie hatte also die ganze Zeit über zugesehen, wie er mit seinen Gefühlen gerungen hatte? Jetzt, wo er mit Johanna allein war, kam ihm das eigentlich geräumige Büro mit einem Mal sehr klein vor. Wie würde es ihm erst in der Flugzeugkabine gehen, wenn er mit ihr durchs Land flog, die Hunde seiner Großmutter im Gepäck.
„Wolltest du etwas Bestimmtes?“ Seine Stimme klang sogar in seinen eigenen Ohren schroff. Aber das war immer noch besser, als sie merken zu lassen, wie aufgewühlt er war.
Sofort nahm Johanna die Hand von seiner Schulter. „Geht es dir gut?“
Es gab eine Zeit, da hätte er sie jetzt in die Arme genommen. Leider war diese Zeit vorbei. Im Moment schien eine gläserne Mauer sie voneinander zu trennen, und das war seine Schuld. „Was meinst du?“
In ihren schönen, ebenmäßigen Zügen las er Mitleid. „Du hast gerade erst erfahren, dass deine Großmutter möglicherweise sterben wird. Das muss schrecklich sein.“
„Natürlich ist es das. Für dich auch, nehme ich an.“ Die gläserne Mauer zwischen ihnen hielt ihn davon ab, ihre Hand zu ergreifen.
„Es tut mir so leid.“ Sie betrachtete den diamantenen Hufeisenanhänger, den Mariah ihr geschenkt hatte. „Du musst wissen … Was auch immer zwischen uns geschehen ist, deine Familie ist mir sehr wichtig. Und du natürlich auch.“
Er war ihr wichtig?
Was sollte das heißen? Wichtig. Er spürte, wie Zorn in ihm hochstieg. Seine Gefühle für Johanna waren so viel leidenschaftlicher. Deswegen war er manchmal so wütend auf sie. Weil er sie einfach nicht aus dem Kopf bekam. „Und weil meine Familie dir wichtig ist, hast du dem bescheuerten Plan meiner Großmutter zugestimmt.“ Mit ihm hatte das also nichts zu tun.
„Es hat meine Entscheidung beeinflusst, ja.“ Unbehaglich trat Johanna von einem Fuß auf den anderen. Damit zog sie, ohne es zu wollen, seine Aufmerksamkeit zunächst auf ihre staubigen Stiefel und dann auf ihre langen Beine. „Und ihre Hunde sind mir auch wichtig. Mariah will dafür sorgen, dass es ihnen gut geht. Das finde ich bewundernswert.“
„Ja.“ Mit einem Mal fühlte er sich machtlos, ein Gefühl, das er mehr verabscheute als alles andere.
Er wusste, dass das, was er jetzt tun würde, sie endgültig von ihm forttreiben würde. Doch es war immer noch besser, mit ihr zu streiten, als von ihr ignoriert zu werden.
Er machte einen Schritt auf sie zu und atmete ihren Duft ein. Sie roch nach Heu und blauen Wiesenlupinen. Sanft schloss er die Finger um ihre Hand, mit der sie die Halskette seiner Großmutter umschlossen hielt. Johannas Augen weiteten sich.
Stone neigte den Kopf und flüsterte ihr ins Ohr. „Wie weit würdest du gehen, um mich zu trösten?“
Sie legte ihm die Hand auf die Brust, stieß ihn aber nicht von sich. Ihr Atem ging schnell. „Nicht so weit“, sagte sie leise und funkelte ihn wütend an.
Stone wusste, dass es jetzt besser war, sie in Ruhe zu lassen.
Er trat einen Schritt zurück und lehnte sich gegen den schweren Eichenholzschreibtisch, in dessen Unterseite er als Kind seine Initialen geritzt hatte. „Du bist zurückgekommen, um mich zu trösten. Das hast du getan. Danke.“
„Mir machst du nichts vor.“ Ihre smaragdgrünen Augen blitzten vor Zorn. „Ich kenne dich besser als jeder andere.“
„Dann sag mir, was ich im Augenblick fühle.“
„Mit diesem plumpen Annäherungsversuch versuchst du, mich in die Flucht zu schlagen“, erwiderte sie ungerührt. „Weil ich mit meinen Fragen nach deiner Großmutter einen wunden Punkt getroffen habe.“
„Zumindest lasse ich dich nicht kalt.“ Als er sah, dass Johanna noch immer die Kette seiner Großmutter umklammert hielt, nahm er sie ihr aus der Hand.
Sanft strich er ihren geflochtenen Zopf zur Seite und legte ihr die Kette um den Hals, als wäre das von Anfang an seine Absicht gewesen. Johannas Brust hob und senkte sich rasch. Ihre Haut fühlte sich samtweich an. Nachdem er die Kette geschlossen hatte, platzierte er das diamantene Hufeisen vorsichtig zwischen ihren Brüsten.
„Die körperliche Anziehung zwischen uns habe ich nie geleugnet.“ Johanna ballte die Hände zu Fäusten. „Gerade deswegen brauchen wir für diese Reise ein paar Grundregeln.“
„Was für Grundregeln?“
Sie sah ihm fest in die Augen. „Keine Spielchen. Wenn du willst, dass ich dich fair behandle, musst du dich fair verhalten.“
„Definiere ‚fair‘.“ Er konnte der Versuchung einfach nicht widerstehen.
„Sei ehrlich zu mir, höflich … Und vor allem: Spiel keine Spielchen.“
„Ich dachte, du willst nur dafür sorgen, dass die Hunde ein gutes Zuhause bekommen.“ Scheinbar gedankenverloren spielte er mit dem Diamanthufeisen.
„Dafür brauche ich deine Hilfe nicht“, entgegnete sie. „Ich habe dem Plan deiner Großmutter nur zugestimmt, damit sie beruhigt ist. Sie wünscht sich eben, dass wir die Reise zusammen machen. Und das schaffe ich nur, wenn du aufhörst, den Verführer zu geben. Sei aufrichtig. Mehr verlange ich nicht.“
„Okay“, gab er schließlich nach.
Spielerisch ließ er das Hufeisen an der Kette vor und zurück gleiten, sodass es sanft über ihre Haut strich – eine angedeutete Liebkosung. „Und ich sage dir in aller Aufrichtigkeit, dass ich dir jetzt am liebsten die Kleider vom Leib reißen würde. Ich sehne mich so sehr danach, mit dir zu schlafen, dass es wehtut. Weil ich nur so vergessen kann, was meine Großmutter zu mir gesagt hat.“
Johanna sah ihn aus erschrocken aufgerissenen Augen an. „Okay, ich verstehe, was du meinst“, sagte sie schließlich. „Ich glaube dir.“
Er nickte und wandte sich dann zum Gehen. Vor der Tür blieb er stehen und drehte sich zu ihr um. „Oh, noch eins.“ Er sah ihr direkt in die Augen. „Ich wollte schon mit dir schlafen, bevor ich das von meiner Großmutter erfahren habe. Wir sehen uns morgen, meine Schöne.“
Johanna blieb nur bis zum nächsten Morgen Zeit, um ihre Koffer zu packen und einen klaren Kopf zu bekommen.
Das Mondlicht schien hell durch die Kiefern und beleuchtete den schmalen Kiesweg, als sie von der Scheune zu ihrer Blockhütte eilte. Nach diesem langen Tag schmerzte ihr Rücken, doch der Schmerz in ihrem Herzen war schlimmer.
Sie öffnete den Briefkasten, und ein Haufen Werbezettel und Pizzacoupons quoll ihr entgegen. In der Ferne hörte sie Gelächter. Urlauber, die sich bei einer Party auf der Veranda des Haupthauses amüsierten. Das Gurgeln des Whirlpools vermischte sich mit dem leisen Plätschern des Baches, der hinter ihrer Blockhütte entlangfloss.
Seit sie vor vier Jahren ihr Tiermedizinstudium abgeschlossen hatte, lebte sie in einer Hütte mit zwei Zimmern auf der Hidden Gem Ranch. Ihre Unterkunft hatte genau denselben Grundriss wie die Gästeunterkünfte der Urlauber. Ein anderes Zuhause besaß sie nicht mehr, seit der Wohnwagen ihrer Eltern in Flammen aufgegangen war.
Damals war sie achtzehn Jahre alt gewesen. Dank Mariahs großzügiger Unterstützung hatte sie sich während ihres zweijährigen Studiums ein kleines Apartment leisten können. Nach ihrem Abschluss hatte sie dann den Job bei der Hidden Gem Ranch angenommen. In dieser Zeit war aus ihrer Teenagerschwärmerei für Stone echte Liebe geworden.
Tag für Tag hatte sie für ihren Lebensunterhalt gearbeitet und darauf gewartet, dass ihr Traumprinz ihr endlich einen Antrag machte. Und das hatte er tatsächlich getan. Doch leider hatte sich ihr Prinz im Nachhinein als Frosch entpuppt. Ein ausgesprochen heißer Frosch zwar. Doch auch ein heißer Frosch blieb ein Frosch.
Natürlich konnte sie nicht Stone allein für das Scheitern ihrer Beziehung verantwortlich machen. Schließlich hatte sie sich lange Zeit geweigert, der Wahrheit ins Auge zu sehen. Bis es zu spät gewesen war.
Mariahs Kette fühlte sich kühl auf ihrer Haut an. Wenn die alte Frau starb, gab es nichts mehr, was Johanna an diesem Ort hielt. Ein Kapitel ihres Lebens würde für immer abgeschlossen sein. Die Endgültigkeit des Ganzen erschreckte sie.
Sie stieß das Gartentor auf. Vielleicht würde ihr diese Reise ja dabei helfen, endlich die Fesseln zu zerschneiden, die sie noch immer an Stone banden.
Langsam erklomm sie die hölzernen Stufen, die zu ihrer Blockhütte führten. Um sie herum zirpten Grillen. So klang Texas im Sommer.
Ein leises Quietschen ertönte von der Veranda. Johanna blieb wie angewurzelt stehen. Sie wünschte, sie hätte daran gedacht, die Außenbeleuchtung einzuschalten. Andererseits hatte sie ja nicht ahnen können, dass sie so spät nach Hause kommen würde.
Sie schaute genauer hin, dann erkannte sie in einem ihrer Schaukelstühle eine junge Frau.
Amie McNair streichelte die graue Tigerkatze auf ihrem Schoß, während zu ihren Füßen eine schnurrende Perserkatze lag. Beide Tiere gehörten ihr.
„Hey“, begrüßte Amie sie mit ihrer warmen, melodiösen Stimme. „Ich dachte schon, du kämst nie nach Hause.“
Warum wartete Amie hier auf sie? Johanna setzte sich zögernd wieder in Bewegung. Wollte sie mit ihr über die furchtbaren Neuigkeiten sprechen? Zwar waren sie und Amie nicht gerade die engsten Freundinnen, doch immerhin waren sie zusammen aufgewachsen. Vor allem deswegen verspürte Johanna den spontanen Impuls, Amie zu umarmen. Dies musste der schlimmste Tag ihres ganzen Lebens sein.
Johanna schloss die Haustür auf und schaltete das Licht auf der Veranda ein. Dann zog sie die Fliegengittertür zu und gesellte sich zu Amie. „Ich habe bis spät gearbeitet. Es gab noch eine Menge zu erledigen vor meiner Abreise. Aber jetzt bin ich ja hier. Wie kann ich dir helfen?“
„Du willst den Plan meiner Großmutter also wirklich durchziehen?“
Nachdenklich strich Amie über das weiche Fell der Katze, und die silbernen Reifen an ihrem Handgelenk klimperten.
Sogar jetzt, mit Katzenhaaren auf der Bluse und leicht zerzaust, war Amie eine umwerfende Schönheit. Vor zehn Jahren hatte sie den zweiten Platz bei einer Miss-Texas-Wahl belegt. Es war die erste Schönheitskonkurrenz gewesen, die sie je verloren hatte, seit ihre Mutter sie im Alter von vier Jahren zum Stepptanzen auf die Bühne geschickt hatte.
Ihre gesamte Teenagerzeit hindurch hatte Amie auf Bühnen im ganzen Land gesteppt und sich mit aufgesprühter Bräune im Bikini bewundern lassen. Johanna erinnerte sich noch gut daran, wie Amies Mutter für die Siege ihrer schönen Tochter gelebt hatte.
„Ich habe keine Wahl, oder?“ Sie machte es sich auf dem Schaukelstuhl aus Zedernholz neben Amie bequem. Sie hatte noch keine Lust, hinein in die Hütte zu gehen. Nach dem verrückten Tag, der hinter ihr lag, war an Schlaf sowieso nicht zu denken.
„Natürlich hast du die.“ Amie schlüpfte aus ihren Sandalen und streichelte die Katze auf dem Boden mit den nackten Zehen. „Sag meiner Großmutter, dass sie sich nicht so in dein Leben einmischen kann. Du weißt so gut wie ich, dass du allein dazu in der Lage bist, ein Heim für die Hunde zu finden.“
„Natürlich habe ich darüber nachgedacht. Nur habe ich das Gefühl, dass mein … Unbehagen bei der ganzen Sache keine Rolle spielt. Mariah ist es wichtig. Sie wird bald sterben, Amie.“ Die Wucht dieser Erkenntnis raubte ihr noch immer den Atem. „Wie kann ich ihr in ihrer jetzigen Lage etwas abschlagen? Und wenn ihre Bitte noch so merkwürdig ist.“
Amie schluckte hörbar. „Ich weigere mich zu akzeptieren, dass sie sterben muss. Die Ärzte werden ihr helfen. Sie hat noch ein langes Leben vor sich.“ Die junge Frau blinzelte ein paarmal heftig, bevor sie sich, nun wieder vollkommen gefasst, Johanna zuwandte. „Du kannst Mariah zur Vernunft bringen! Es sei denn, du willst es gar nicht.“
Ein hässlicher Verdacht keimte in Johanna auf. „Willst du etwa, dass ich die Reise absage? Damit Stone verliert?“
Amie hob eine perfekt gezupfte Augenbraue. „Das wäre ziemlich unfair von mir.“
„Aber du leugnest es nicht. Was läuft hier wirklich?“ Johanna fand den Gedanken furchtbar, dass Amie so kalt und berechnend sein konnte. Andererseits hatte sie schon immer das Gefühl gehabt, dass ihre Freundin sich mehr Einfluss im Familienunternehmen wünschte.
Amie schaute auf ihre Hände. Als Kind hatte sie gesungen und sich selbst auf dem Klavier begleitet. Heute trug sie die kostbaren Ringe, die sie selbst entworfen hatte, an den langen, schlanken Fingern. „Ich habe nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass ich von meiner Familie ernst genommen werden möchte.“ Sie warf sich ihren Zopf über die Schulter. Eine wertvolle Haarspange im aztekischen Stil glitzerte in ihrem Haar. „Ich sage dir nur, was ich von dieser Prüfung halte. Es ist nicht der richtige Weg, um über die Zukunft unseres Familienunternehmens zu entscheiden.“
„Wie sieht deine Prüfung aus?“, fragte Johanna neugierig.
„Grandma hat es bisher weder mir noch Alex verraten.“
Amie zog ihre hübsche Nase kraus. Ärgerte sie sich? Oder stieg ihr nur der beißende Rauchgeruch, der vom Lagerfeuer herüberwehte, in die Nase?
„Aber nach der Aufgabe, die sie Stone gestellt hat, habe ich nur wenig Hoffnung, dass meine Prüfung mehr Sinn ergeben wird. Ich versuche nur, uns alle zu schützen. Du bist der einzige Mensch, den Stone je an sich herangelassen hat“, fuhr Amie fort. „Ich will nicht, dass er verletzt wird.“
Johanna richtete sich überrascht in ihrem Schaukelstuhl auf. „Wie meinst du das?“
„Pass auf, dass ihn diese Sache nicht zerstört.“
„Stone? Stone ist unerschütterlich wie ein Fels – entschuldige das Wortspiel.“
Mit einer Eindringlichkeit, die Johanna überraschte, packte Amie ihren Arm. „Stone hat keine Familie. Mein Bruder und ich können einander alles sagen. Stone gehört zwar zu uns, aber er hat uns immer auf Abstand gehalten. Ich mache mir Sorgen um ihn, okay?“
Ihre Stimme klang aufrichtig.
„Das ist lieb von dir.“ Sofort bekam Johanna ein schlechtes Gewissen, weil sie schlecht von Amie gedacht hatte. „Obwohl wir niemals zusammen sein können, bedeutet mir Stone sehr viel. Er ist stark. Natürlich wird er um Mariah trauern, das werden wir alle. Aber er wird damit fertig.“
Sogar während sie die Worte aussprach, nagten Zweifel an ihr. Seine Großmutter war stets sein Fels in der Brandung gewesen. Die einzige Person, auf die er immer hatte zählen können.
Amie zog ihre Hand weg. „Denk an meine Worte. Mehr verlange ich nicht.“ Sie drückte die Katze an ihre Brust und erhob sich. „Gute Nacht. Ich wünsche dir viel Glück auf deiner Reise.“
„Danke …“ Johanna hatte so ein Gefühl, dass sie eine Menge Glück brauchen würde, wenn sie die kommende Woche heil überstehen wollte.
„Immer wieder gerne“, rief Amie ihr zu, bevor sie die Treppenstufen so lässig und elegant herunterschlenderte, als würde sie über einen Laufsteg stolzieren. Die zweite Katze trottete hinter ihr her. Erst als Amie fort war, bemerkte Johanna, dass sie ihre Sandalen vergessen hatte.
Sie stand ebenfalls auf. Wenn sie zu einer vernünftigen Zeit im Bett sein wollte, musste sie jetzt endlich mit dem Packen anfangen. Nicht dass sie damit rechnete, besonders viel Schlaf zu bekommen. Dazu wirbelten die Gedanken in ihrem Kopf noch immer zu wild durcheinander.
Sie hatte sich Mühe gegeben, ihr kleines Blockhaus möglichst gemütlich einzurichten. Im Vorgarten blühten Sonnenblumen, und ein Blumenkranz hing an der Tür. Ein bisschen spießig vielleicht. Aber genau davon hatte sie geträumt, wenn sie als Kind dem Regen gelauscht hatte, der auf das Wohnwagendach prasselte – von einem ganzen normalen, spießigen Zuhause.
Beim Eintreten schlug ihr der Duft nach Putzmittel und Blumen entgegen. Leider hatte sie weder eine Katze noch einen Hund, die sie begrüßten. Manchmal fragte sie sich, warum sie keine eigenen Haustiere besaß, wo sie doch täglich die Tiere anderer Leute versorgte …
Johanna stutzte und schnupperte noch einmal.
Der Putzmittelgeruch war zu erklären, sie hatte heute den Boden gewischt, aber die Blumen? Sie stellte nie Blumen in die Vase. Sie benutzte auch keinen Lufterfrischer mit Blumenduft.
Sie tastete nach dem Lichtschalter an der Wand. Einen Augenblick später erhellte ihr riesiger Wagenradleuchter das Zimmer. Es war vollgestellt mit Polstermöbeln, die mit bunten Stoffen im Paisleymuster bezogen waren. In ihrer Einrichtung bevorzugte Johanna einen eher mädchenhaften, verspielten Stil als Ausgleich zu ihrem harten, staubigen Arbeitsalltag. Ihr Blick fiel aufs Sofa. Dort lag ein Mann, die Stiefel über die Lehne ausgestreckt, und schlief.
Seine muskulösen Beine steckten in engen Jeans, und er trug eine Gürtelschnalle von Diamonds in the Rough. Sein blaues Flanellhemd spannte sich eng um seine breiten Schultern. Ein tief in die Stirn gezogener Cowboyhut verdeckte sein Gesicht, und sie hörte ihn leise schnarchen. Einen Moment lang glaubte Johanna, Stone wäre ihr gefolgt.
Doch bei näherem Hinsehen stellte sie fest, dass es sein Cousin Alex war. In den Händen hielt er einen frisch gepflückten Strauß Gänseblümchen.
Offensichtlich hatte er auf sie gewartet. Unwillkürlich schoss Johanna durch den Kopf, dass Alex seiner Schwester wohl doch nicht alles erzählte.
Mit einem Ruck zog Johanna Alex den Cowboyhut vom Gesicht. „Was tust du in meinem Haus?“
Alex öffnete langsam die Augen. Er rieb sich übers Gesicht und gähnte herzhaft. Nachdem er sich ausgiebig gestreckt hatte, setzte er sich auf. Den Strauß Gänseblümchen hielt er noch immer in der Hand. Anscheinend hatte er es nicht eilig, ihre Fragen zu beantworten.
Alex hatte es selten eilig. Dafür bewältigte er ein bemerkenswertes Arbeitspensum. Wie alle McNairs steckte auch er voller Widersprüche. Alex hatte sie schon oft in ihrer Hütte besucht. Doch gerade heute Abend hatte sie nicht mit ihm gerechnet.
„Nun?“ Sie stemmte die Hände in die Hüften. „Ich hatte die Tür abgeschlossen. Folglich bist du bei mir eingebrochen. Was hast du zu deiner Verteidigung zu sagen?“
„Ich bin dein Vermieter“, erwiderte er mit seiner tiefen, samtweichen Stimme, die sie immer ein wenig an alten Whiskey erinnerte. „Ich habe den Generalschlüssel benutzt. Schließlich gehört die Hütte mir.“
Sie hatte Alex zur selben Zeit kennengelernt wie Stone. Damals war sie im dritten Schuljahr gewesen. Während Stone den Ruf eines draufgängerischen, aber charmanten Bad Boys hatte, galt Alex als eher nachdenklich und ruhig. Doch schon in seiner Kindheit hatte er seine Zähigkeit bei zahlreichen Rodeo-Wettbewerben unter Beweis gestellt. Bis zu seinem achtzehnten Lebensjahr hatte er sich mehr Knochen gebrochen als so mancher Footballstar.
Nachdem sie ihre Verlobung mit Stone gelöst hatte, war ihr klar geworden, dass Alex wohl schon seit Jahren Interesse an ihr hatte. Sechs Monate nach der Trennung hatte er sie dann zum Abendessen eingeladen. Sie war aus allen Wolken gefallen – zumal sie sich noch lange nicht bereit für eine neue Beziehung fühlte. Genau das hatte sie ihm auch gesagt. Er hatte es gut aufgenommen. Das zumindest hatte Johanna geglaubt. Doch allmählich dämmerte ihr, dass dieser Mann sturer war, als sie geahnt hatte.
Sie hätte wissen müssen, dass Alex über den Plan seiner Großmutter nicht gerade erfreut sein würde. „Mir war nicht klar, dass Vermieter gewöhnlich auf dem Sofa schlafen“, versuchte sie zu scherzen. Tatsächlich fühlte sie sich erschöpft. „Gibt es einen konkreten Grund, warum du hier bist?“
„Ich will nur sichergehen, dass du nicht wieder dem Zauber meines bösen Cousins verfällst.“ Er schwang die Beine auf den Boden und hielt ihr den Blumenstrauß hin.
An ein paar Stängeln klebte noch Erde; er hatte sie mit den Wurzeln ausgerissen. Zweifellos verfügte Alex über einen ganz eigenen Charme. Zu einer anderen Zeit in ihrem Leben hätte er vielleicht Chancen bei ihr gehabt.
Sie nahm ihm den Strauß aus der Hand. „Und das versuchst du zu verhindern, indem du mir Blumen schenkst?“
„Betrachte es als ausgeklügelten Bestechungsversuch.“
„Du hast sie aus dem Garten hinter der Veranda gestohlen“, beschuldigte sie ihn. Sie trat in die Küchenzeile und holte ein großes Einweckglas aus dem Schrank. Das musste als Vase reichen.
„Der Garten gehört ebenfalls mir.“
„Er gehört deiner Familie.“ Sie stellte die Blumen ins Glas und hielt es unter den Wasserhahn.
„Das ist dasselbe.“ Das Lächeln schwand von seinem Gesicht. „Bist du einverstanden mit der Reise?“
„Deine Sorge um mich ist wirklich rührend“, sagte sie lächelnd. Das Wasser floss über und spritzte ihr auf die Hand.
„Zumindest sind meine Motive reiner als Amies.“
„Du hast uns belauscht?“
„Das liegt nur daran, dass du immer das Fenster offen lässt“, verteidigte er sich. „Ich hatte keine Wahl.“ Er legte die Arme über die Rückenlehne des Sofas. „Du kannst ihr nicht trauen.“
„Es ist nicht nett, so etwas über seine eigene Schwester zu sagen.“ Johanna stellte die Blumen auf den Beistelltisch neben dem Sofa.
„Ich sage dir das nur, weil wir Freunde sind.“ Er ergriff ihre Hand und zog sie neben sich aufs Sofa. „Amie denkt nur an die Familie. Mir geht es um dich.“
Johanna sah ihn an. Alex hatte dieselben strahlend hellblauen Augen wie Stone. Obwohl Stone drei Jahre älter war als sein Cousin, hätten die beiden ohne Weiteres als Zwillinge durchgehen können. Im Grunde passte Alex viel besser zu ihr. Während Stone ein Workaholic erster Güte war, schien ihr Alex eher ein Familienmensch zu sein.
Hier saß sie nun, nur wenige Zentimeter entfernt von diesem unglaublich attraktiven Cowboy, und konnte nur daran denken, wie sehr sie sich vorhin danach gesehnt hatte, Stone zu küssen. So würde sie für Alex niemals empfinden. Und es war nicht fair, ihn hinzuhalten.
Sie berührte sein Handgelenk. „Alex, wir müssen reden …“
Ein kurzes Klopfen erklang, und dann flog auch schon die Tür auf. Johanna zuckte so heftig zusammen, dass sie beinahe vom Sofa fiel.
Stone stand mit finsterem Blick im Türrahmen, einen Strauß violetter Tulpen in der Hand.
Stone war irritiert. Was zum Teufel war hier los? Warum saß sein Cousin Alex neben Johanna auf dem Sofa? Ihre Oberschenkel berührten sich. Und hatte nicht eben noch Johannas Hand auf Alex’ Arm gelegen?
Auf dem Beistelltisch stand ein frischer Strauß Blumen.
Stone warf seine Tulpen – er hatte sie aus der Eingangshalle im Herrenhaus gestohlen – neben das Einweckglas mit den Gänseblümchen.
„Entschuldigt die Störung …“ Er wollte sich gar nicht ausmalen, was geschehen wäre, wenn er sie nicht gestört hätte. Dieser schreckliche Tag wurde mit jeder Minute schlimmer.
Johanna biss sich auf die Unterlippe. „Auf die Gefahr hin, dass sich das abgedroschen anhört, aber es ist nicht das, wonach es aussieht.“
„Wonach sieht es denn aus?“ Stone zwang sich zu einem Lächeln, obwohl er rasend war vor Eifersucht.
„Es sieht aus, als hätten Alex und ich etwas miteinander. Aber das stimmt nicht.“ Sie warf Alex einen beinahe entschuldigenden Blick zu.
Für Stone sprach dieser Blick Bände. Also hatte sein Cousin versucht, sich an sie heranzumachen. Sein Cousin, der ihm so nahestand wie ein Bruder. Hatte Alex sich etwa in Johanna verliebt?
Alex erhob sich. In seinen Augen glitzerte es. Stone kannte diesen Blick. So hatte er immer als Kind ausgesehen, wenn er kurz davor gewesen war, auf jemanden loszugehen, der ihn zur Weißglut getrieben hatte.
Sein Cousin legte Johanna demonstrativ den Arm um die Schulter und sah ihn herausfordernd an. „Vielleicht haben wir ja doch etwas miteinander.“
Unwillig schüttelte Johanna seinen Arm ab. „Hör auf, ihn zu reizen. Du bist kein Teenager mehr.“ Anklagend wies sie mit dem Finger auf Stone. „Dasselbe gilt für dich.“
„Ich will nur eine ehrliche Antwort.“
Jetzt hatte Johanna genug. „Was das hier ist oder nicht ist, geht dich überhaupt nichts an.“
„Natürlich geht es mich etwas an.“ Er meinte es todernst. „Wenn ihr beide ein Paar seid und es nicht für nötig befindet, es mir zu sagen, wäre das verdammt unsensibel meinen Gefühlen gegenüber.“
Alex schnaubte. „Deinen Gefühlen gegenüber? Du machst Witze, oder?“
Stone hatte nicht übel Lust, Alex eine reinzuhauen, doch er beherrschte sich. „Warum willst du mich absichtlich provozieren?“
„Ich will nur, dass du mir gut zuhörst. Johanna ist sehr wichtig für diese Familie, nicht nur weil sie deine Verlobte gewesen ist. Wenn du ihr wehtust, trete ich dir höchstpersönlich in den Arsch.“ Alex’ Blick ließ keinen Zweifel daran, dass er es ernst meinte.
Stone nickte langsam. Zumindest wollten sie beide Johanna beschützen. „Okay, verstanden.“
Johanna stieß einen Pfiff aus. „Hey Jungs? Darf ich auch etwas sagen?“
Stone wandte sich mit gespielter Höflichkeit an sie. „Nur zu. Hast du noch etwas hinzuzufügen?“
Sie verdrehte die Augen. „Nein, rein gar nichts. Nur dass ich absolut in der Lage bin, auf mich selbst aufzupassen. Eure Sorge ehrt euch, aber ich muss jetzt packen.“
„Natürlich kannst du auf dich selbst aufpassen“, sagte Stone. Er und Alex wandten sich zur Tür. Höflich ließ Stone seinem Cousin den Vortritt, nutzte den kurzen Moment des Alleinseins und beugte sich zu Johanna. „Ich bin nur vorbeigekommen, um dir dafür zu danken, dass dir das Glück meiner Großmutter so am Herzen liegt.“
Johanna starrte ihn an. Er nutzte ihre augenblickliche Verwirrung, um ihr einen schnellen Kuss auf die Lippen zu drücken. So kurz dieser Kuss auch war, so überwältigend war seine Wirkung auf ihn … Nach sieben Monaten sehnte sich sein Körper nach mehr.
Nach viel mehr. Stone spürte, wie leidenschaftliches Verlangen in ihm aufloderte. Bevor er ganz die Beherrschung verlor, löste er sich von Johanna. „Dann sehen wir uns morgen am Flughafen.“
Er verließ die Hütte, zog die Tür hinter sich zu und trat in die Nacht hinaus. Vom Wäldchen her drang der Ruf einer Eule herüber, Mücken sirrten, und der Wind strich leise durch die Bäume. Stone atmete tief durch.
Alex stand lässig an den Zaunpfosten gelehnt da. „Ich habe gemeint, was ich gesagt habe. Ich trete dir in den Arsch.“
„Was läuft da zwischen euch? Wie ernst ist es?“, wollte Stone wissen. Gleichzeitig fragte er sich, was er tun würde, wenn die Sache tatsächlich ernst war. Was, wenn Johanna die Gefühle seines Cousins erwiderte?
„Wenn es dir so wichtig ist, mit wem sie sich trifft, solltest du etwas in der Angelegenheit unternehmen“, erwiderte Alex kryptisch. Ohne ein weiteres Wort stieß er sich vom Pfosten ab, eilte die Stufen hinunter und verschwand in der Dunkelheit.
Stone blieb noch eine Weile am Zaun stehen, berauscht vom Duft der Nacht und von Johannas Geschmack. Seit der Trennung hatte er jede Sekunde an diese Frau gedacht. Er wusste, sein Cousin hatte recht.
Er empfand noch immer etwas für Johanna, und es war an der Zeit, in dieser Angelegenheit aktiv zu werden.
Stones Kuss brannte noch immer auf ihren Lippen.
Johanna zog ihren Koffer unter dem Bett hervor und warf ihn mit Schwung auf die Matratze. Was zum Teufel hatte er sich dabei gedacht, sie einfach so zu küssen? Eigentlich war der Kuss ja harmlos gewesen. Man hätte ihn als freundschaftlich bezeichnen können, wäre da nicht ihre gemeinsame Geschichte …
Der süße, lockende Duft der Tulpen hatte sich im Schlafzimmer ausgebreitet. Der Strauß lag nun auf ihrem Nachttisch neben der Leselampe. Violette Farbtupfer auf weißem Holz.
Johanna gab sich große Mühe, ihre Gefühle für Stone zu unterdrücken. Doch das war entschieden leichter, wenn sich ihre Wege nur dann und wann kreuzten. Wie sollte sie eine ganze Woche allein mit ihm durchstehen?
Sie ließ sich auf die Bettkante sinken, dann nahm sie eine der Tulpen vom Nachttisch und strich mit den Blütenblättern über ihre Lippen. Ihr war klar, dass Stone sie aus einer der Vasen im Gästehaus gestohlen haben musste. Die McNairs konnten Frauen mit Juwelen überschütten, wenn sie wollten. Trotzdem hatten sie verstanden, wie effektvoll ein schlichter Blumenstrauß zum richtigen Zeitpunkt sein konnte.
Stones Tulpen und der Kuss beschäftigten sie. Zu schade, dass in ihrem Koffer kein Platz für eine eiserne Rüstung war. Sie hätte dem Ansturm der Hormone in ihrem Körper gerne etwas entgegenzusetzen gehabt.
Sie ließ sich in die weichen Kissen zurücksinken. Die Tulpe noch immer an die Brust gedrückt, lag sie da und schaute zum altmodischen Holzventilator an der Decke hoch.
Früher hatten sie und Stone ganze Wochenenden in diesem Bett verbracht. In seiner Wohnung, die sich im Seitenflügel des Haupthauses befand, hatten sie sich nur selten aufgehalten. Schließlich wohnte seine Großmutter direkt nebenan. Dafür hatte Stone sie auf Reisen mitgenommen, damit sie wenigstens ab und zu das Gefühl hatten, zusammenzuleben.
Vor ihrer Beziehung hatte Johanna nicht viel von der Welt gesehen. Mit Stone jedoch war sie an exotische Orte gereist, hatte faszinierende Großstädte erkundet und an vornehmen Wohltätigkeitsbällen teilgenommen. Das alles war weit weg gewesen von der Farm und ihrem alltäglichen Leben.
Johanna fragte sich, ob ihre Liebe nicht von Anfang an zum Scheitern verurteilt gewesen war. Stets hatte sich ihre gemeinsame Zeit vor märchenhaften Kulissen abgespielt. Ihre Liebe war wie ein schöner Traum gewesen und hatte der harten Realität nicht standhalten können.
Was sie wohl auf dieser Reise erwartete?
Sie starrte auf ihren leeren Koffer. Was packte man am besten ein für Hündchentreffen mit unbekannten Leuten an der Seite seines Exverlobten? Und wie würde sie reagieren, wenn er sie noch einmal küsste?
Ein Klopfen am Fenster riss Johanna aus ihren Gedanken.
Kerzengerade saß sie auf ihrem Bett; ihr Herz raste. Bevor sie die Hand nach ihrem Handy ausstrecken konnte, erkannte sie das Gesicht vor der Glasscheibe.
Draußen vor ihrem Fenster stand Stone wie ein einsamer Texas-Romeo.
Ihr Puls raste.
Johanna sprang auf. Als sie das Fenster öffnete, wehte schwülwarme Nachtluft ins Zimmer und ließ die Spitzenvorhänge flattern. „Was machst du da draußen?“
„Ich habe meine Blumen vergessen“, erwiderte Stone. „Du hast ja anscheinend keine Verwendung für sie. Also sollte ich sie wohl besser jemandem schenken, der sie zu schätzen weiß.“ Bevor sie etwas erwidern konnte, hatte er sich schon über das Fensterbrett in ihr Zimmer geschwungen.