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Der Römerbrief ist einer der bekanntesten Briefe der Bibel und wahrscheinlich der einflussreichste in der Kirchengeschichte, da er eine systematische Darstellung vom Evangelium Gottes durch den Apostel Paulus enthält. Gott gebrauchte gerade diesen Brief, um viele Menschen zur Buße und zum Glauben an Jesus Christus zu führen, die Reformation auszulösen und große Erweckungen zu bewirken. Das Leben zahlreicher Christen und Gemeinden wurde durch den Römerbrief verändert – bis zum heutigen Tag. In diesem ausführlichen Kommentar zeigt R.C. Sproul unsere Sündhaftigkeit und Unfähigkeit, uns selbst zu erretten, die Gerechtigkeit Gottes und Seine wunderbare Gnade, das Heil in Christus, unsere Verantwortung, Gottes souveränes Handeln gegenüber Israel und das geheiligte Leben eines Christen. Lass Dich beim Lesen dieses Kommentars erbauen, indem Du die konsequente Art und Weise beobachtest, in welcher der Apostel Paulus die Herrlichkeit Jesu hervorhob, während er zum Gehorsam des Glaubens aufrief. Dieser Kommentar eignet sich auch gut für die Familienandachten und für den Bibelunterricht in der Gemeinde. Die Fragen am Ende jedes Kapitels, regen zur gemeinsamen Vertiefung und Reflektion an. »Der Römerbrief ist keineswegs das Ergebnis der theologischen Einsichten von Paulus, sondern er ist eine Botschaft, die aus dem Geist Gottes kommt, mit der Kraft, Leben zu verändern.« – R.C. Sproul
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Seitenzahl: 496
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1. Auflage 2022
Originaltitel: The Gospel of God – Romans© 2011 by R.C. Sproul
Veröffentlicht von Christian Focus Publications Ltd.Alle Rechte vorbehalten.© der deutschen Ausgabe 2022 by Verlag Voice of HopeEckenhagener Str. 4351580 Reichshof-Mittelaggerwww.voh-shop.deÜbersetzung: Sergej PauliLektorat: Christian Beese und VOHDesign: VOHISBN 978-3-947978-95-3 – E-BookISBN 978-3-947978-58-8 – Leinen-BuchMit freundlicher Unterstützung von Stichting Vrienden van Heidelberg en [email protected] | www.svvhed.org
Inhalt
EineZusammenfassung des Römerbriefes
Vorwort
Römer 1,1-17
1. Einleitung und Grüße
Römer 1,18-32
2. Die Offenbarung des Zornes Gottes
Römer 2,1-29
3. Die Gerechtigkeit des Gerichtes Gottes
Römer 3,1-20
4. Die Vorzüge der Juden und die Lehre von der völligen Verdorbenheit
Römer 3,21-31
5. Was ist Rechtfertigung?
Römer 4,1 - 5,11
6. Die Rechtfertigung durch den Glauben und ihre Vorzüge
Römer 5,12-21
7. Die Erbsünde und der Sieg über den Tod
Römer 6,1-23
8. Christen sind der Sünde gestorben
Römer 7,1 - 8,1
9. Der Christ und das Gesetz
Römer 8,1-27
10. Der Christ und der Heilige Geist
Römer 8,28-39
11. Gottes Souveränität und die Reaktion des Christen
Römer 9,1-33
12. Gottes souveräne Erwählung zum Heil
Römer 10,1 - 11,36
13. Gottes souveränes Handeln gegenüber Israel
Römer 12,1-21
14. Das Christenleben
Römer 13,1-7
15. Der Christ und die menschliche Obrigkeit
Römer 13,8 - 15,33
16. Liebe, Freiheit und der Dienst des Paulus
Römer 16,1-27
17. Persönliche Grüße
Eine Zusammenfassung des Römerbriefes
Paulus beginnt den Brief an die Römer so wie die meisten seiner Briefe: Mit der Identifizierung seiner eigenen Person und seiner Berufung zum Apostel. Im ersten Kapitel behandelt der Apostel ausführlich das Konzept der allgemeinen Offenbarung. Sie ist der Hintergrund für die Verkündigung des Evangeliums: die Tatsache, dass alle Menschen überall eine Erkenntnis von Gott haben, die ihnen in der Natur offenbart wird. Diese Erkenntnis macht jeden Menschen unentschuldbar vor dem Richterstuhl Gottes. Dennoch verzerren und verfälschen alle Menschen diese Offenbarung, die Gott von sich Selbst gibt, und tauschen die Wahrheit Gottes gegen eine Lüge ein, indem sie sich dem Götzendienst hingeben.
Im zweiten Kapitel führt Paulus weiter aus, dass nicht nur Heiden und Nichtjuden die allgemeine Offenbarung Gottes verzerren, sondern dass auch die Juden in die Irre gegangen sind, die ja das Vorrecht hatten, die eigenen Aussprüche Gottes – die Heilige Schrift – zu besitzen. Paulus fasst zusammen und sagt, dass es bei Gott kein Ansehen der Person gibt; und somit wird »jede Menschenseele, die das Böse vollbringt, [Drangsal und Angst]« erleiden; das gilt dem Juden zuerst und auch für den Griechen. Wichtig für das zweite Kapitel des Römerbriefes ist auch die Erklärung von Paulus, dass Gott sich nicht nur äußerlich durch die Natur offenbart, sondern dass es auch eine innere Gotteserkenntnis gibt, die wir alle haben, da Gott Sein Gesetz auf das Herz jedes Menschen geschrieben hat.
Im dritten Kapitel des Römerbriefs fasst Paulus alles zusammen und zeigt, dass sowohl Juden als auch Heiden unter dem Gericht Gottes stehen. An dieser Stelle erklärt er, dass es keinen Gerechten gibt, nicht einen einzigen. Und dann kommt er zu der Schlussfolgerung, dass alle gesündigt haben und die Herrlichkeit Gottes nicht erreichen. Das Ziel der ersten drei Kapitel ist es, jeden Menschen vor das Gericht Gottes zu stellen und zu zeigen, dass jeder Mensch, wenn er nach seinen Werken gerichtet wird, hinter dem zurückbleibt, was Gott verlangt. Deshalb besteht für jeden Menschen die einzige Hoffnung auf das Heil in der Rechtfertigung durch den Glauben. Diesen Begriff führt Paulus am Ende des dritten Kapitels ein, wenn er in Vers 28 sagt: »So kommen wir nun zu dem Schluss, dass der Mensch durch den Glauben gerechtfertigt wird, ohne Werke des Gesetzes.«
Das vierte Kapitel enthält eine ausführliche Veranschaulichung des Prinzips der Rechtfertigung durch den Glauben. Darin verweist Paulus auf den alttestamentlichen Patriarchen Abraham und zeigt, dass Abraham durch den Glauben gerechtfertigt wurde. Er weist darauf hin, dass Abraham gerechtfertigt war, bevor er irgendwelche Werke getan hatte. 1. Mose 15 zufolge wurde er gerechtfertigt, als er der Verheißung glaubte, die Gott ihm gegeben hatte, und das wurde ihm als Gerechtigkeit angerechnet.
Im fünften Kapitel beschreibt uns Paulus in aller Kürze die großartigen Früchte der Rechtfertigung. Er verweist darauf, dass wir, durch den Glauben gerechtfertigt, Frieden mit Gott haben, den Zugang zu Gott und eine Hoffnung auf die Herrlichkeit Gottes, die es uns ermöglicht, Bedrängnisse und Prüfungen zu ertragen. Und wenn er anschließend auf die freie Gabe Christi und Seine Bereitschaft verweist, für uns zu sterben, als wir noch Sünder waren, begründet er unsere Bedürftigkeit nach einem Erlöser mit dem Sündenfall Adams. Er stellt einen Vergleich zwischen Adam und Christus an und unterstreicht, dass der Tod durch Adam in die Welt kam, das Leben jedoch durch Christus.
Im sechsten Kapitel leitet Paulus von der Rechtfertigung zur Heiligung über. Heiligung ruft die Gläubigen zu einem neuen Lebensstil auf; denn der alte Mensch soll getötet werden, während der neue Mensch gespeist, ernährt und in Übereinstimmung mit Jesus Christus gebracht werden soll. Die Tatsache, dass unsere Errettung unentgeltlich ist und ausschließlich auf der Barmherzigkeit Gottes und dem Verdienst Christi beruht, gibt uns keinen Freibrief zum Sündigen.
Das siebte Kapitel beschreibt den anhaltenden Kampf, welchen ein Christ führt, wenn er sich bemüht, in der Gnade zu wachsen. Paulus spricht von seinem eigenen Kampf zwischen den Dingen, die er nicht tun will und dennoch tut, und den Dingen, die er tun möchte und doch nicht tut. Er erklärt, dass der Christ weiterhin mit der Sünde zu kämpfen hat, obwohl er von dem Fluch und der Knechtschaft des Gesetzes befreit wurde. Er soll in der Kraft Christi leben, der uns von der Knechtschaft unserer gefallenen Natur befreit.
Im achten Kapitel setzt Paulus seine Erörterung des Kampfes fort, der im Leben eines Christen zwischen der alten und der neuen, durch Christus zum Leben erweckten Natur stattfindet. Er lenkt die Aufmerksamkeit auf die Tatsache, dass der Ausgang dieses Kampfes zwischen Geist und Fleisch im Leben eines echten Christen nicht in Zweifel steht. Denn Gott hat den endgültigen Sieg verheißen. Selbst die ganze Schöpfung blickt erwartungsvoll auf die Vollendung des Heilsplanes Gottes. Bis dahin hilft der Heilige Geist im Inneren der Gläubigen ihren Schwachheiten auf, unterstützt sie in ihrem Gebetsleben, durchforscht ihre Herzen und lehrt sie den guten Willen Gottes.
Am Ende des achten Kapitels führt Paulus den großartigen Begriff von der Gnadenwahl Gottes an. Er erklärt, dass Gott für Sein Volk ist, und zwar schon von der Vorzeit an, wobei Paulus zurückgreift auf Gottes ewigen Ratschluss. Niemand kann die Erwählung zunichte machen, die Gott im Leben der Gläubigen wirksam werden ließ. Die Gewissheit der Christen bezüglich ihres Beharrens gründet sich auf die Verheißung des Gottes, der ihr Heil von Anfang bis zum Ende gnädig geschaffen hat.
In den Kapiteln 9-11 spricht Paulus von seiner Last betreffs der Juden, seine Verwandten nach dem Fleisch. Er zeigt, wie Gott heute in Seinem Heilsplan einen Teil des jüdischen Volkes durch Seine souveräne Erwählung für sich Selbst bewahrt hat. Paulus stellt in Kapitel 9 die Analogie zwischen Jakob und Esau her, in der Jakob den Segen der Erwählung erhält. Jakob ist auserwählt, Esau wird übergangen. Paulus erklärt, dass es in diesem Erlösungsplan keine Ungerechtigkeit in Gott gibt, und er erinnert seine Leser daran, dass Gott sich immer das Recht vorbehält, sich derer zu erbarmen, deren Er sich erbarmen will.
In Kapitel 10 bringt er zwar weiterhin seine Last und seine Sehnsucht nach der Errettung seines Volkes zum Ausdruck, weist aber auf seine Berufung hin, das Evangelium zu verkündigen, und macht klar, dass jeder, der an Christus glaubt, gerettet wird. Doch niemand kann glauben, der nicht gehört hat, und niemand kann hören ohne einen Verkündiger! Und er spricht davon, wie schön es ist, solche zu haben, die sich der Sache der Evangelisation widmen. Kapitel 10 beschreibt die Art und Weise, wie Gott Sein auserwähltes Volk zu sich Selbst führt. Das Mittel zur Errettung entsteht aus der Verkündigung des Evangeliums.
Dann wirft er in Kapitel 11 die schwierige Frage nach dem zukünftigen Status des jüdischen Volkes auf. Seine Äußerungen haben zu vielen Meinungsverschiedenheiten über die Frage geführt, ob Gott noch einen Plan für Israel hat. Paulus beschreibt die Heiden als wilde Ölzweige, die in den Baum, der Israel ist, eingepfropft wurden und an der Wurzel dieses Ölbaums Anteil haben. Gott wird Sein erwähltes Volk, das aus Juden und Heiden besteht, erretten, denn sie sind alle geistliche Nachkommen Abrahams – und auf diese Weise wird ganz Israel errettet. Paulus beendet Kapitel 11 mit einer wunderbaren Doxologie.
So werden in den ersten elf Kapiteln der Weg des Heils und die Lehren der Gnade aufgezeigt, beginnend mit einer Erläuterung unserer radikalen Sündhaftigkeit und Verdorbenheit, die es einem Menschen unmöglich machen, sich aus eigenen Anstrengungen zu rechtfertigen. Danach legt Paulus die Lehre von der Rechtfertigung durch den Glauben allein, durch Christus, dar, der allein die Fähigkeit und das notwendige Verdienst besitzt, die Ungerechten zu rechtfertigen. Von der Rechtfertigung leitet Paulus über zur Heiligung, zu dem Prozess, in dem wir unsere Rettung verwirklichen (Phil. 2,12), in der Gnade wachsen, den alten Menschen töten und den inneren Menschen in uns stärken. Er erklärt die Frucht der Rechtfertigung, die in der neuen Beziehung der Adoption, der Annahme als Kinder in die Familie Gottes mit allen dazugehörigen Segnungen besteht. Schließlich stellt Paulus die souveräne Erwählung Gottes und Sein Wirken in der Geschichte dar, indem Er die jüdische Nation gebraucht und auf die Heiden zugeht, sowie die Verheißung, Sein ganzes erwähltes Volk aus Gnade zu erretten.
In Kapitel 12 gibt es eine entscheidende Verlagerung von der theologischen Darlegung hin zur praktischen Anwendung, in der Paulus seinen Lesern erklärt, dass die angemessene Antwort auf eine so große Errettung darin besteht, sich selbst als lebendiges Opfer Gott darzubringen. Sie sollen verwandelte Menschen sein, und diese Verwandlung vollzieht sich durch Erneuerung des Sinnes.
Daraufhin spricht Paulus über die Vielfalt, die innerhalb des Leibes Christi zu finden ist. Es ist ein Leib, der viele Glieder besitzt, und jedes davon ist zu einem anderen Dienst berufen, jedes besitzt andere Gaben gemäß der Gnade, die ihm geschenkt worden ist. Jede Person soll die Gabe ausüben, die Gott ihm geschenkt hat, und bei der Ausübung ihrer persönlichen Gaben sind die Christen dazu berufen, in Liebe und Frohsinn zusammenzuleben. Sie sollen einander treu ergeben sein. Paulus zählt eine Reihe von Tugenden auf, die Gläubige praktizieren sollen: Fleiß, Eifer, Inbrunst im Geist, Einsatz für die Nöte der Heiligen, Gastfreundschaft, Mitgefühl, das dazu führt, dass man sich freut mit den Fröhlichen und weint mit den Weinenden. Er prangert Stolz und Hochmut an und zeigt, wie zerstörerisch diese Charakterzüge sind. Schließlich verbietet er Christen, Rache zu üben.
In Kapitel 13 beschreibt Paulus die Verantwortung der Christen, der staatlichen Obrigkeit zu gehorchen. Er legt in aller Ausführlichkeit seine Ansichten über die Existenz der Regierungen und des Staatswesens dar und zeigt, dass die Regierung von Gott eingesetzt wurde. Die Regierung ist ein Gnadenmittel, um zügellose Geister im Zaum zu halten und um das Böse zu bändigen. Christen sollten somit ein gutes Gewissen gegenüber der Regierung bewahren und ihre Pflicht als unter Gott stehend erfüllen. Daraufhin definiert Paulus die Bedeutung der Liebe im Leben des Christen.
In Kapitel 14 erklärt der Apostel die christliche Freiheit und die damit einhergehende Verantwortung. Obwohl wir von moralistischen Regeln befreit wurden, die nicht Teil des wahren Gesetzes Gottes sind, sollen wir diese Freiheit im Geist der Nächstenliebe und Rücksicht gegenüber den schwächeren Brüdern ausüben, die möglicherweise nicht dasselbe Verständnis von den Dingen Gottes haben wie der reifere Christ.
In Kapitel 15 fährt er in diesem Sinne fort und erklärt uns, dass wir die Schwachheiten derer tragen sollen, die anders sind als wir, und dass wir Menschen des Friedens, der Geduld und der Hoffnung sein sollen. Am Ende des fünfzehnten Kapitels offenbart Paulus seine Absicht, seine Freunde in Rom persönlich zu besuchen, und seinen Wunsch, nach Spanien weiterzureisen.
Im letzten Kapitel findet sich schließlich eine lange Liste von Grüßen und Empfehlungen an Männer und Frauen, die mit Paulus zusammen auf seinen Missionsreisen und in den örtlichen Gemeinden gedient hatten. Diese Grußliste gewährt einen Einblick in die Person von Paulus als Hirte und als Freund.
Kommt, stimmt in unser Loblied ein
Come, Let Us Join Our Cheerful SongText: Isaac Watts (1674-1748)Deutsch: Johann A. Reitz, Niko Derksen1. Kommt, stimmt in unser Loblied ein,ihr Engel vor dem Thron!Zehntausendfach erschall das Liedvom großen Gottessohn!Refrain:Komm, komm und singzu Jesu Preis und Ruhm!Er ist der Herr im Heiligtum!2. »Das Lamm ist würdig«, singen sie, »das auf die Erde kam!«Er ist das Lamm, das für uns starbund unsre Schuld vergab!3. Der Herr ist würdig, dass man Ihmein Lob- und Danklied bringtund Seine große Lieb und Gnadin Ewigkeit besingt.4. Die ganze Schöpfung ist vereintund betet Jesus an,den Herrn, der auf dem Thron regiert;Er ist das Gotteslamm!© Voice of Hope, Reichshof
Vorwort
Als junger Student freute ich mich auf eine meiner ersten Vorlesungen mit dem Titel: »Einführung in das Neue Testament«.
Was sich meiner Erinnerung eingebrannt hat, ist der Morgen, an dem wir mit dem Studium des Römerbriefes beginnen sollten. Der Professor stand vor der Klasse und sagte: »Meine Herren, die meisten Theologen sind vom Römerbrief begeistert, ich jedoch nicht. Ich möchte euch bezüglich dieses Buches Folgendes sagen: Wenn der Apostel Paulus einen der Briefe, die ihm zugesprochen werden, geschrieben hat, dann mit Sicherheit den an die Römer. Dies war der Versuch von Paulus, eine kurze systematische Theologie zu entwickeln. Nun, lasst uns weitergehen zum Galaterbrief.«
Da saß ich dort im Klassenzimmer und war wie betäubt. Ich konnte es nicht fassen, dass ein Professor des Neuen Testaments den Römerbrief nach einer zwei-minütigen Bemerkung einfach verwirft. Erfreulicherweise sind die meisten Theologen in der Tat vom Römerbrief begeistert. Ich auf jeden Fall! Denn im Römerbrief haben wir das, was im ganzen Neuen Testament einer systematischen Theologie am nächsten kommt. Zweifelsohne ist der Römerbrief die umfassendste Lehrstudie des Apostels Paulus.
Kein Buch in der Geschichte hat so sehr zur Veränderung des Lebens beigetragen wie die Bibel. Manchmal vergessen wir jedoch, dass die Bibel in Wirklichkeit mehr eine Bibliothek als ein einzelnes Buch ist. Sie ist tatsächlich eine Zusammenstellung von 66 Büchern, von denen jedes Buch seinen eigenen besonderen Beitrag zur Gesamtsumme von Gottes geschriebener Offenbarung leistet. Gleichwohl bin ich wirklich davon überzeugt, dass Gott von diesen 66 Büchern den Römerbrief am häufigsten verwendete, um Menschenleben zu verändern.
Der Römerbrief hatte einen tiefgreifenden Einfluss auf einige der großen Heiligen der Kirchengeschichte. Denkt an Augustinus, der sich als junger Mann im vierten Jahrhundert durch seinen brillanten Verstand und seine akademischen Fähigkeiten ausgezeichnet hat. Er war jedoch nicht von der Wahrheit des Christentums überzeugt. Seine Mutter Monika, eine fromme Gläubige, betete jeden Tag für die Bekehrung ihres Sohnes, sah aber keine Hinweise dafür, dass ihre Gebete erhört wurden. Sie besuchte Ambrosius, den Bischof von Mailand, und sprach mit ihm über ihre Qualen wegen ihres eigensinnigen Sohnes. Um sie zu trösten, sagte Ambrosius, dass Gott vielleicht eines Tages Augustinus bekehren und seine Gaben für Sein Reich einsetzen werde. So verharrte Monika weiterhin im Gebet.
In der Zwischenzeit gab sich Augustinus, der ein unmoralisches und leichtfertiges Leben führte, mit der Darlegung heidnischer Philosophie ab. Doch eines Tages, als er besonders deprimiert und niedergeschlagen war, suchte er in einem Garten die Einsamkeit und sprach unter Tränen: »O Herr, wie lange noch? Wie lange noch wirst Du zürnen bis zum Ende? Sei unserer vorigen Missetaten nicht eingedenk!« – denn er fühlte, wie sie ihn festhielten. Dann hörte er plötzlich aus dem Nachbarhaus die Stimme eines Kindes, das in Latein sang: »Tolle lege, tolle lege, tolle lege«, was so viel bedeutet wie: »Nimm und lies, nimm und lies, nimm und lies!« Augustinus fragte sich, ob wohl die Kinder beim Spielen etwas Derartiges zu singen pflegten, konnte sich aber nicht erinnern, es jemals gehört zu haben. Da hielt er seine Tränen zurück und stand auf, weil er sich keine andere Erklärung geben konnte, als dass eine göttliche Stimme ihm befehle, die Schrift zu öffnen. So kehrte er eiligst auf den Platz zurück, wo sein Freund Alypius saß; denn dort hatte er eine Abschrift der Briefe des Apostel Paulus liegen lassen, als er aufgestanden war. Als er sie nahm und wahllos aufschlug, las er den Abschnitt aus dem Römerbrief, in welchem Paulus schreibt: »Lasst uns anständig wandeln wie am Tag, nicht in Schlemmereien und Trinkgelagen, nicht in Unzucht und Ausschweifungen, nicht in Streit und Neid; sondern zieht den Herrn Jesus Christus an und pflegt das Fleisch nicht bis zur Erregung von Begierden!« (Röm. 13,13-14).
Augustinus war von der Erkenntnis seiner Sünde überwältigt, da der Heilige Geist diese Worte aus dem Römerbrief benutzte, um sein Herz zu durchbohren. Das war das Bekehrungserlebnis von Augustinus, der zu dem wurde, was viele als den größten Heiligen der ersten tausend Jahre der christlichen Kirche bezeichnen.
Mehr als 1000 Jahre später entdecken wir einen anderen jungen Mann, der in seiner Seele sehr gequält war. Er hatte keinen Frieden bezüglich seines Lebens oder seines Glaubens, und er war entschlossen, die Wahrheit über die Religion herauszufinden. Er wurde Mönch, jedoch nicht aus einem Gefühl der Hingabe an Gott, sondern aus Angst vor einer göttlichen Strafe. Man erzählt sich, dass der junge Mann, der Sohn eines deutschen Bergarbeiters (im Kupferbergbau), auf dem Rückweg zur Universität in einen Gewittersturm geriet, wobei ein Blitz so dicht neben ihm einschlug, dass er zu Boden stürzte. Da schrie er in größter Angst zur sogenannten »heiligen Anna«: »Hilf mir, dann werde ich ein Mönch!« Und er hielt sein Versprechen, indem er einem Kloster beitrat.
Doch auch dort wurde der junge Martin Luther bei seiner Suche nach Frieden mit Gott von Zweifeln heimgesucht und von Verzweiflung erfüllt. Luther beschreibt seine Klostertage als eine Zeit, in der er rigorose Handlungen der Buße, der Selbstaufopferung und Selbst-Geißelung vollzog. Diesbezüglich berichtete er später: »Wenn du mich gefragt hättest, ob ich Gott liebte, hätte ich geantwortet: ›Gott lieben?‹ Manchmal hasste ich Ihn sogar. Ich sah in Christus einen furchtbaren Richter, der das Schwert des Gerichts über meinen Kopf hielt, und ich hatte keinen Frieden.« Eine tiefgründige Studie über das Leben dieses gequälten jungen Mönches liefert ein äußerst faszinierendes Portrait.
Luther entwickelte als Gelehrter großartige Begabungen und ging, nachdem er Doktor der Heiligen Schrift geworden war, nach Wittenberg, wo er zum Professor berufen wurde und mit Vorlesungen über Bibelstudien begann. So bereitete er beispielsweise eine Reihe von Vorlesungen über den Römerbrief vor. Als er in seiner Klosterzelle über die Manuskripte nachgrübelte und Kommentare las, kam er zu Römer 1,17: »Denn es wird darin geoffenbart die Gerechtigkeit Gottes aus Glauben zum Glauben, wie geschrieben steht: ›Der Gerechte wird aus Glauben leben‹.«
Später zeichnete er die Wirkung auf, die die Worte von Paulus auf ihn hatten: »Als ich diese Worte las, da erbarmte sich Gott meiner. Tag und Nacht war ich in tiefes Nachdenken versunken, bis ich endlich den Zusammenhang der Worte beachtete: Die Gerechtigkeit Gottes wird also im Evangelium offenbart, wie geschrieben steht: ›Der Gerechte wird aus Glauben leben.‹ Da begann ich, die Gerechtigkeit Gottes als eine Gabe Gottes zu verstehen, durch welche der Gerechte lebt, nämlich aus dem Glauben. Ich begann zu begreifen, dass dies der Sinn sei: durch das Evangelium wird die Gerechtigkeit Gottes offenbart, nämlich eine passive Gerechtigkeit, durch welche uns der barmherzige Gott durch den Glauben rechtfertigt.« Luther fährt fort: »Nun fühlte ich mich geradezu wie neu geboren und kam mir so vor, als sei ich durch weit geöffnete Tore in das Paradies eingetreten.«
Wir können auch an einen jungen anglikanischen Geistlichen im England des achtzehnten Jahrhunderts denken, der, obwohl an einem Priesterseminar ausgebildet und von der Kirche ordiniert, ein kaltes Herz hatte und nicht einmal gläubig war. Eines Tages stand er inmitten einer Menschenmenge und hörte einem feurigen Prediger in Aldersgate, London, zu. Obwohl er sich nicht wirklich für die Predigt interessierte, schien er irgendwie von den Worten angezogen zu sein, die er in einer Predigt über den Römerbrief hörte. Während der junge Mann, John Wesley nämlich, das Wort Gottes hörte, drang es ihm durchs Herz, und der Herr errettete ihn.
Die Liste von solchen, deren Leben durch den Brief von Paulus an die Römer verändert wurde, reicht bis in unsere Zeit. Auch ich kann mich in gewisser Weise mit Augustinus, Luther und Wesley identifizieren, denn kein Buch hat einen derart mächtigen Einfluss auf mein Leben gehabt wie der Römerbrief.
1.
Einleitung und Grüße
Römer 1,1-17
Paulus beginnt seinen Brief mit diesem kurzen und prägnanten Satz: Paulus, Knecht Jesu Christi, berufener Apostel, ausgesondert für das Evangelium Gottes.
Paulus, Knecht Jesu Christi
(Römer 1,1)
Während meines Studiums sah ich einst ein Manuskript von Marcus Barth, das sich auf etwa 168 Seiten mit diesen wenigen Worten beschäftigte: Paulus, Knecht Jesu Christi …
Im griechischen Text verwendet der Apostel hier das Wort »doulos«, das mit »Knecht« nicht richtig übersetzt ist. Ein Knecht war in der Antike eine angestellte Arbeitskraft, eine Person, die nach Belieben kommen und gehen konnte, die von einer Arbeitsstelle kündigen und sich eine neue Anstellung suchen konnte, wenn sie dazu Lust hatte. Doch ein doulos war ein Sklave, der einem kyrios, einem Meister, Gebieter oder Herrn gehörte. Häufig wird im Neuen Testament diese Art von Bildern verwendet, um die Beziehung zwischen Christus und Seinem Volk darzustellen: »Ihr [gehört] nicht euch selbst; denn ihr seid teuer erkauft« (1.Kor. 6,19-20). Christen sind solche, die Christus angehören. Er ist unser Herr, Er ist unser Kyrios, Er ist unser Meister (Joh. 13,14).
Paulus erläutert im Römerbrief, dass der Mensch außerhalb von Christus in der Knechtschaft der Sünde und ein Sklave seiner eigenen bösen Triebe, Neigungen und Begierden ist. Das ist der natürliche Zustand des Menschen in seinem gefallenen Wesen. Doch Paulus schrieb an anderer Stelle, dass dort, wo der Geist des Herrn ist, wo der Geist des Kyrios ist, wo der Geist des Meisters ist, Freiheit herrscht (2.Kor. 3,17). Wie sind diese Wahrheiten miteinander in Einklang zu bringen?
Paulus hatte gelernt, dass der Mensch nur dann frei ist, wenn er ein Sklave Christi wird. Außerhalb von Christus ist er ein Sklave der Sünde; wenn er aber versklavt ist an Christus, kennt er die königliche Freiheit, die nur Christus bringen kann. Unter Berufung auf seine eigenen Zeugnisse erachtet Paulus es als seinen höchsten Vorzug, dass er ein Sklave Jesu Christi ist.
Berufener Apostel
(Römer 1,1)
Nachdem sich Paulus selbst als Sklave Jesu Christi ausgewiesen hat, schreibt er auch, dass er ein berufener Apostel ist. Der Begriff »Berufung«, wie auch das Verb »(be)rufen« wird in der Bibel auf viele verschiedene Arten verwendet, so wie auch wir es heute in unserem eigenen Wortschatz auf unterschiedliche Weise verwenden. Zum Beispiel kann das Verb »rufen« einfach bedeuten, dass jemand ruft. Natürlich gibt es im Neuen Testament eine Reihe von schwerwiegenderen und wichtigeren Bedeutungen dieses Verbs, insbesondere drei:
Zunächst gibt es Gottes Aufruf an die Sünder, Buße zu tun. In gewissem Sinne ist dieser Aufruf Gottes bereits im Evangelium selbst enthalten, denn im Evangelium ruft Gott die Menschen zur Buße auf. Dieses Verständnis von »Ruf« als Aufruf weist auf einen göttlichen Befehl hin; für ihre Antwort darauf werden die Menschen von Gott zur Rechenschaft gezogen. Wenn das Evangelium verkündigt wird, ergeht ein Aufruf, dass alle Menschen überall Buße tun und zu Christus kommen sollen.
In der heutigen christlichen Gemeinde herrscht jedoch in dieser Frage eine gewisse Verwirrung. Evangelisten beenden eine Ansprache regelmäßig mit einem Aufruf an die Zuhörer, der sie zu einer Reaktion auffordert, und dieser Aufruf zur Hingabe wird oftmals als eine Einladung bezeichnet. Doch das Konzept einer Einladung birgt das moralische Recht in sich, die Einladung anzunehmen oder abzulehnen. Wenn mich jemand einlädt, etwas zu tun, so ist das nicht dasselbe wie ein Befehl, etwas zu tun.
Eine solche Einladung ist eindeutig nicht der Ruf des Evangeliums. Gott lädt die Menschen nicht ein, Buße zu tun; Er gebietet es ihnen (Apg. 17,30). Dieser Gebrauch des Wortes »Einladung« hat mich immer verwirrt. Vielleicht wird es in der Absicht verwendet, den Schlag des Evangeliums auf den modernen Menschen abzufedern, um etwas von der Ablehnung abzubauen, die entsteht, wenn man Menschen sagt, dass sie Sünder sind, die der Buße bedürfen, dass sie moralisch verpflichtet sind, ihr Leben zu ändern und sich Christus zu übergeben.
Dieser »äußere« Ruf, bei dem Gott den Menschen befiehlt, im Glauben und in der Buße zu Christus zu kommen, ist von entscheidender Bedeutung für unser Verständnis des Neuen Testaments. Tatsächlich lautet das griechische Wort für »Gemeinde« im Neuen Testament ekklesia, was »die Herausgerufene« bedeutet. Die Gemeinde heißt somit wortwörtlich »diejenigen, die herausgerufen wurden«: Sie besteht aus jenen, die aus der Welt herausgerufen wurden, um sich dem Reich Gottes anzuschließen. Mitglied der Gemeinde zu sein bedeutet, diesem äußeren Ruf des Evangeliums gefolgt zu sein.
Zweitens gibt es im Neuen Testament eine noch dramatischere Bedeutung von dem »Ruf« Gottes. Gemeint ist der »innere« oder »wirksame« Ruf Gottes. Wir haben in der Theologie sogar eine Lehre, die als die Lehre von der wirksamen Berufung bezeichnet wird. Mit dem wirksamen Ruf bzw. mit der wirksamen Berufung Gottes ist Folgendes gemeint: Wenn Er ruft, dann ruft Er souverän und wirksam durch einen inneren Ruf, der über die Ohren hinaus in die Seele und das Herz dringt. Worüber wir hier sprechen, ist die Wiedergeburt bzw. Erneuerung. Nur Gott kann diese bewirken, und Er bewirkt sie in der Kraft Seines Geistes durch das Wort.
Und drittens spricht die Bibel noch auf eine weitere Art und Weise vom Ruf Gottes; es handelt sich um einen Ruf, der durch den nächsten Satz veranschaulicht wird: »ausgesondert für das Evangelium Gottes«. Das ist das, was wir »Berufung« nennen – ein Begriff, der weit verbreitet war, als der christliche Glaube mehr Einfluss darauf hatte, die Sichtweise unserer Kultur zu formen. Es ist eine Einsicht darüber, dass jedes Menschenleben unter der Autorität Gottes gelebt werden muss. Das bedeutet, dass der berufliche Werdegang, den ich verfolge, der Job, den ich annehme, in Übereinstimmung mit dem Willen Gottes sein muss. Anders ausgedrückt: Mein Leben soll Gott geweiht sein, ob ich nun Pfarrer, Landwirt, Zimmermann oder Arzt bin. Jeder von uns hat eine Bestimmung bzw. Begabung, eine Berufung von Gott, die wir zu Seiner Ehre und zugunsten Seines Reiches erfüllen sollen.
In der Bibel gab es bestimmte konkrete Berufungen, die eine besondere Autorität mit sich brachten. Dabei handelte es sich um Propheten und Apostel, die für das Volk Gottes von besonderer Bedeutung waren. Tatsächlich war es dasselbe Amt – Prophet im Alten Testament und Apostel im Neuen Testament.
Apostel bedeutet wörtlich: »jemand, der ausgesandt wurde«, also jemand, der mit der Autorität dessen ausgestattet ist, der ihn aussandte. Der Anspruch des Paulus, zum Apostel berufen zu sein, war eine dramatische und radikale Ankündigung; denn wenn man die Apostelgeschichte liest, entdeckt man, dass es drei Bedingungen gab, die notwendig waren, um für das Amt eines Apostels qualifiziert zu sein:
» Erstens musste die Person ein Jünger Jesu während Seines irdischen Dienstes gewesen sein;
» zweitens musste sie ein Augenzeuge der Auferstehung Jesu sein;
» und drittens musste sie von Christus Selbst berufen worden sein.
Eine der ersten Kontroversen in der Gemeinde entstand, als Paulus ein Apostel wurde. Paulus war kein Jünger Jesu während Seines irdischen Dienstes gewesen; tatsächlich hatte er Jesus damals nicht einmal gekannt. Paulus war Jesus nicht bei Seiner Auferstehung begegnet, sondern erst, nachdem Er in den Himmel aufgefahren war. Wie konnte Paulus dann ein Apostel sein? An drei Stellen in der Apostelgeschichte bezeugt Paulus, wie er seine Berufung von Jesus empfangen hat. Der auferstandene Christus war Paulus erschienen und hatte ihn zum Apostel berufen. Die bei weitem wichtigste Beglaubigung eines Apostels war die unmittelbare und direkte Berufung, die Paulus auf dem Weg nach Damaskus eindeutig erhielt.
Was wäre, wenn heute jemand das Gleiche behaupten würde? Wenn jemand aus der Wüste kommen und sagen würde, er habe gerade Jesus gesehen, der ihn zum Apostel berufen habe? Was würden wir dann sagen? Wenn eine solche Person gar anfangen würde, Bücher zu schreiben, und diese dem Neuen Testament hinzufügen lassen wollte – wie würden wir reagieren? Könnte eine solche Person nicht diese Art von Anspruch aufstellen? Joseph Smith tat dies und gründete damit das Mormonentum.
Beachtet, dass selbst Paulus in seiner außergewöhnlichen Situation nicht anfangen konnte, als Apostel zu wirken, bevor er nicht von den übrigen Zwölfen bestätigt wurde, deren Legitimation nicht in Frage stand. Obwohl es theoretisch möglich wäre, dass Gott heute eine Person direkt berufen könnte, wäre es für diese Person unmöglich, ihren Anspruch von anderen Aposteln bestätigen zu lassen, deren Apostelamt nicht angezweifelt würde. Denn sie alle sind mittlerweile längst von der Bühne der Geschichte verschwunden.
Deshalb misst die Gemeinde den Aposteln besondere Bedeutung bei. Sie waren – genau wie die Propheten des Alten Bundes – Vermittler von Offenbarungen. Das Neue Testament berichtet von der Berufung des Paulus zum Apostel, »ausgesondert für das Evangelium Gottes«. Es ist das Evangelium, das uns der Apostel nun in diesem großartigen Brief vorlegt.
Das Evangelium Gottes
(Römer 1,1c-6)
Der ganze Römerbrief stellt uns das Evangelium Gottes vor. Wenn ich diesen Text las, dachte ich früher, dass mit dem Evangelium Gottes eine Botschaft über Gott gemeint sei. Doch das sagt Paulus hier nicht. Indem er den besitzanzeigenden Genitiv verwendet, weist er darauf hin, dass das Evangelium Gott gehört. Paulus sagt, dass das Evangelium, das er nun beschreiben will, nicht eine Botschaft sei, die er sich mit seiner brillanten und kreativen Phantasie ausgedacht habe. Vielmehr ist die Botschaft, die er hier darlegen will, die Verkündigung der frohen Botschaft von Gott Selbst. Sie ist Gottes Evangelium. Es gehört Gott; Gott hat es hervorgebracht, Gott hat es entworfen, und nun benutzt Gott einfach den Apostel Paulus, um uns dieses Evangelium zu vermitteln. Mit anderen Worten: Der Römerbrief ist keineswegs das Ergebnis der theologischen Einsichten von Paulus, einem der am besten ausgebildeten Juden im Palästina des ersten Jahrhunderts, sondern er ist eine Botschaft, die aus dem Geist Gottes kommt, mit der Kraft, Leben zu verändern.
Paulus fährt in Vers 2 damit fort, näher auszuführen, was er mit dem »Evangelium Gottes« meint. Er sagt hier von dem Evangelium Gottes: das Er zuvor verheißen hat in heiligen Schriften durch Seine Propheten.Das erste Merkmal des Evangeliums ist also, dass es nicht vollständig neu ist. Das mag merkwürdig erscheinen, denn das Wort »Evangelium« (Euangelion) bedeutet wörtlich »frohe Botschaft«, und wir denken, dass Botschaften wichtige Neuigkeiten sind, die durch Boten übermittelt wurden; Botschaften sollten die Empfänger über die neusten Dinge informieren. Doch obwohl es da ein neues Element in der Verkündigung gibt, wurde das Hauptthema des Evangeliums (wenn auch in sehr kurzer und zusammenfassender Form) schon von Adam, Abel, Abraham, Mose und den Propheten verkündigt.
Wenn Paulus das so sagt, verknüpft er das Neue Testament mit dem Alten Testament. Der Fokus des Evangeliums wird in Vers 3 und 4 erläutert: [nämlich das Evangelium] von Seinem Sohn, der hervorgegangen ist aus dem Samen Davids nach dem Fleisch und erwiesen ist als Sohn Gottes in Kraft nach dem Geist der Heiligkeit durch die Auferstehung von den Toten, Jesus Christus, unseren Herrn. Das Evangelium handelt von Jesus, welcher »Sohn Gottes«, der »Christus« und »Herr« genannt wird.
Wenn wir das Neue Testament durchlesen, finden wir eine Fülle von Titeln, die Jesus zugeordnet werden.
Der am häufigsten verwendete Titel ist »Christus«. So oft wird dieser Titel mit dem Namen Jesus verknüpft, dass viele denken, dies sei sein Eigenname. Doch Jesu Name war eigentlich Jesus Bar-Joseph [Sohn Josephs] oder Jesus von Nazareth. Sein Titel ist Christos oder Christus und bedeutet wörtlich »Messias«. Paulus bestätigt, dass Gott im Alten Testament durch die Propheten von dem Kommen des Messias aus der Nachkommenschaft Davids sprach, und dass Jesus dieser Messias sei.
Der am zweithäufigsten verwendete Titel für Jesus im Neuen Testament ist der Titel »Herr« – ein Titel von herausragender Bedeutung, denn es ist derjenige Titel, der im Alten Testament Gott zugeschrieben wird. Es ist der Titel kyrios, der die griechische Form des hebräischen Adonai ist und »der Souveräne« bedeutet, derjenige, der über uns regiert. Dieser Titel, der im Alten Testament Gott vorbehalten war, wird nun Jesus zugeschrieben. Dies ist der Name über alle Namen, von dem Paulus im Philipperbrief spricht, wenn er sagt, dass »alle Zungen bekennen [werden], dass Jesus Christus der ›Herr‹ ist« (Phil. 2,9-11).
Nun zeichnet Paulus hier einen seltsamen Kontrast. Obwohl Jesus der Sohn Davids war, ist Er in gewissem Sinne offensichtlich nicht der Sohn Davids. Gemäß Seiner menschlichen Natur war Jesus ein Nachkomme Davids. Doch Er stammt nicht nur von David ab, Er kommt auch von Gott. Er ist der Sohn Gottes. An dieser Stelle verkündigt der Apostel etwas über Jesus, das im ganzen Neuen Testament dargelegt wird: Jesus ist nicht bloß ein Mensch. Zusätzlich zu Seiner Menschlichkeit, die von David abstammt, wird auch verkündigt, dass Jesus in einzigartiger Weise der Sohn Gottes ist.
Vers 4 besagt, dass Jesus in Kraft als Sohn Gottes erwiesen oder erklärt ist – eine Erklärung von Gott höchstpersönlich. Beachtet, dass es nicht so ist, dass Christus mit Gewalt zum Sohn Gottes erklärt wird, sondern dass die Erklärung Seiner Sohnschaft in kraftvoller Weise erfolgt. Wenn Gott die einzigartige Sohnschaft Jesu erklärt, lässt Er nicht hier und da subtile Hinweise fallen oder bietet esoterische Vorschläge an, die nur die brillantesten Theologen ausknobeln können. Der Beweis, den Gott gegeben hat, um den Anspruch Jesu zu bestätigen, der Sohn Gottes zu sein, ist die Auferstehung.
Die Auferstehung Jesu wird durch den Zusatz nach dem Geist der Heiligkeit umschrieben. So wie Jesus aus dem Samen Davids dem Fleisch nach geboren wurde, so wird Er auch durch den Geist der Heiligkeit zum Sohn Gottes erklärt. Der Bezug ist hier nicht auf Jesu menschlichen Geist, sondern auf den Heiligen Geist. Es war der Heilige Geist, der Jesus von den Toten auferweckte, als Er das menschliche Fleisch Jesu wieder lebendig machte, um die Glaubwürdigkeit Seines Anspruchs zu bestätigen, der eingeborene Sohn Gottes zu sein. Somit beinhaltet das Evangelium sowohl die von Paulus bekräftigte menschliche Natur Jesu, die aus dem Samen Davids stammt, als auch die göttliche Natur Jesu, die von Gott kommt.
In den Versen 5 und 6 beschreibt Paulus das Ergebnis der Verkündigung des Evangeliums: durch welchen wir Gnade und Aposteldienst empfangen haben zum Glaubensgehorsam für Seinen Namen unter allen Heiden, unter denen auch ihr seid, Berufene Jesu Christi. Die Aufgabe eines Apostels bestand darin, Menschen aus der ganzen Welt zum Gehorsam des Glaubens zu führen. Als Paulus zum Apostel berufen wurde, erhielt er einen besonderen Titel: Er sollte der Apostel der Heiden sein. Paulus war der erste große Missionar der Urgemeinde.
Die Apostelgeschichte folgt dem Entwurf des Missionsbefehls, in dem Jesus Seine Nachfolger anwies, bei der Verkündigung Seines Evangeliums zuerst in Jerusalem zu beginnen, dann in Judäa fortzusetzen, dann in Samaria zu wirken und schließlich bis ans Ende der Erde zu gehen (Apg. 1,8). Wenn man über diesen Auftrag nachdenkt, ist es hilfreich, zu versuchen, sich ihn als eine Anzahl von konzentrischen Kreisen vorzustellen. Im Zentrum des Kreises liegt der Ausgangspunkt der Ausbreitung der Urgemeinde: Jerusalem. Am Außenrand Jerusalems befindet sich die Provinz Judäa, nördlich von Judäa liegt Samaria, und jenseits davon liegt die ganze Welt der heidnischen Völker. Indem Paulus seine Leser daran erinnert, dass er damit beauftragt wurde, ein Apostel für die Völker zu sein, fährt er damit fort, zu erklären, warum er so sehr an ihnen interessiert ist.
Seine Leser
(Römer 1,7-8)
An alle in Rom anwesenden Geliebten Gottes, an die berufenen Heiligen: Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus! (V. 7).
Hier finden wir eine sehr typische Anrede aus der Feder des Apostels. Er nennt die Empfänger seines Briefes: an alle in Rom, und dann spricht er seine Leser in einer sehr herzlichen und persönlichen Art und Weise als Geliebte Gottes an. Das ist ein sehr prägnanter, anschaulicher Begriff; denn zunächst einmal und vor allem ist es Jesus Christus, der als »der Geliebte« bezeichnet wird, als das besondere Objekt der Zuneigung Gottes (Mt. 3,17; 17,5). In Gottes Gnadenhaushalt beschränkt sich Seine Liebe jedoch nicht nur auf Seinen eingeborenen Sohn, sondern ergießt sich auch über diejenigen, die zu Seiner Familie gehören – über diejenigen, welche die adoptierten Brüder und Schwestern Jesu sind (vgl. Mk. 3,34).
Er beschreibt sie ferner als »die berufenen Heiligen«.
Der Begriff »Heiliger« bezieht sich auf den gewöhnlichen Christen – auf jeden, der wirklich in Christus ist; auf jeden, der den Heiligen Geist in sich trägt.
Im Neuen Testament heißt das Wort, das mit »Heilige« übersetzt wird, hagioi und bedeutet: die Heiligen. Sie sind nicht in sich und aus sich selbst heraus heilig. Sie sind auch nicht deshalb heilig, weil sie einen unvorstellbar hohen Grad an Tugendhaftigkeit oder Gerechtigkeit erlangt hätten. Vielmehr sind sie solche, die dadurch heilig geworden sind, dass sie durch Gott abgesondert und Ihm geweiht worden sind. Es besteht eine sehr enge Verknüpfung zwischen dem Gedanken, dass Gott Menschen beruft und dass Er Menschen heiligt. (Das Wort »heiligen« bedeutet wörtlich »absondern«.) Die Gemeinde ist beides, nämlich die Ecclesia (die Herausgerufene) und auch die Hagioi (die Heilige).
Eine der großartigen Bezeichnungen für die Gemeinde ist »die Gemeinschaft der Heiligen« – ein Ausdruck, der auf das Apostolische Glaubensbekenntnis zurückzuführen ist. Christen erleben eine geheimnisvolle Gemeinschaft, die in Jesus verwurzelt und begründet ist. Das bedeutet, dass ich in Gemeinschaft stehe mit jedem lebendigen Christen in dieser Welt, unabhängig von seinem nationalen Hintergrund oder ethnischen Erbe, und dass ich auch (in geheimnisvoller Weise) mit allen Christen aller Zeiten in Gemeinschaft stehe. Ich gehöre der gleichen Gemeinde Jesu an wie Augustinus, Latimer, Luther, Edwards, Knox und alle Heiligen aller Zeiten. Paulus war sich dieser Gemeinschaft sehr wohl bewusst, als er an diese Christen in Rom schrieb.
Sein apostolischer Gruß »Gnade sei mit euch und Friede …« fließt immer wieder aus der Feder des Apostels (1.Kor. 1,3; Eph. 1,2; 1.Tim. 1,2). In einem gewissen Sinne kann man den Heiligen in der Gemeinde nichts Höheres wünschen, als dass sie die Fülle der Gnade Gottes und den Frieden kennen, der das Vermächtnis Christi war, den shalom Gottes. Diese Gnade und dieser Friede werden gesandt, nicht nur vom Apostel, sondern »von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus«.
Warum Paulus die Gemeinde in Rom besuchen möchte
(Römer 1,8-17)
Paulus teilt seinen Lesern mit, wie sehr er sich darüber freut, die Gemeinde in Rom zu kennen. Zuerst danke ich meinem Gott durch Jesus Christus um euer aller willen, weil euer Glaube in der ganzen Welt verkündigt wird (V. 8).
Vermutlich hatte Paulus die Versammlung der Christen in Rom noch nicht besucht; doch ihr Glaube war ihm bekannt, und er betete regelmäßig und beständig für sie. In Vers 9 betont Paulus, wie wichtig die Fürbitte ist, das Gebet füreinander; dabei verwendet er eine Ausdrucksweise, die einem Eid gleichkommt: Denn Gott, dem ich in meinem Geist diene am Evangelium Seines Sohnes, ist mein Zeuge, wie unablässig ich an euch gedenke.
Paulus möchte sie wissen lassen, dass seine Beziehung zu ihnen nicht bloß auf seiner Autorität als Apostel beruht, sondern auch eine seelsorgerliche Beziehung ist, in der er regelmäßig für sie betet.
Wofür betet er sonst noch? Indem ich allezeit in meinen Gebeten flehe, ob es mir nicht endlich einmal durch den Willen Gottes gelingen möchte, zu euch zu kommen. Denn mich verlangt danach, euch zu sehen (V. 10-11). An dieser Stelle können wir den Herzschlag des Apostels spüren. Er sagt im Grunde: »Ich sehne mich danach, zu euch zu kommen. Ich möchte euch von Angesicht zu Angesicht sehen. Ich möchte persönlich bei euch sein, in eurer Mitte.« Das ist es, was sich der Apostel so sehr wünschte: Er wollte nach Rom gelangen.
Ist es nicht ein wenig ironisch, dass Paulus solch ein brennendes Verlangen hatte, nach Rom zu reisen? Vor allem, wenn man bedenkt, dass er einige Jahre später, als er in Rom ankam, in Ketten anlangte, und die Überlieferung besagt, dass er dort geköpft wurde. Diese Stadt, die er mit leidenschaftlichem Verlangen besuchen wollte, wurde zur Stadt seines Todes. Wir wissen nicht genau, wann dieser Brief geschrieben wurde, aber die besten Schätzungen liegen irgendwo zwischen den Jahren 54-56 n. Chr. Das bedeutet, dass Paulus diesen Brief ca. neun bis zehn Jahre vor seinem Märtyrertod im Jahre 65 n. Chr. in der Stadt Rom verfasste.
Warum sehnte er sich danach, sie zu sehen? Um euch etwas geistliche Gnadengabe mitzuteilen (V. 11). Paulus war mit der Fähigkeit ausgestattet worden, die Gnade Gottes in der Kraft von Zeichen und Wundern und Heilungen auszuteilen. Aber er behielt den Überblick darüber, im vollen Bewusstsein dessen, dass ihm dies nicht zu seinem eigenen Nutzen geschenkt war, sondern zum Nutzen der ganzen Gemeinde. Nun sagt er: »Mich verlangt danach, euch zu sehen, um euch etwas geistliche Gnadengabe mitzuteilen.«
Zu welchem Zweck? Damit ihr gestärkt werdet. Wenn irgendeine Institution im Jahre 55 n. Chr. menschlich gesehen schwach war, dann war es die kleine christliche Gemeinde. Unbedeutend, verarmt, instabil, im Schatten der Stärke und Macht der mächtigsten Regierung der Welt, in der Stadt Rom lebend, musste die Gemeinde vor allem fester gegründet und gestärkt werden. Diese christliche Gemeinschaft war gerade erst entstanden, befand sich also noch »in ihren Kinderschuhen« und hatte sehr wenig Kraft. Paulus beabsichtigte, ihnen geistliche Gaben mitzuteilen, damit sie fest und standhaft seien und nicht »umhergetrieben von jedem Wind der Lehre« (Eph. 4,14).
Er fügt seinem Gebet eine weitere Bitte hinzu: Das heißt aber, dass ich mitgetröstet werde unter euch durch den gegenseitigen Austausch eures und meines Glaubens (V. 12). Der Apostel Paulus war kein Tyrann, und er war niemals eine isolierte Primadonna. Obwohl er ein außergewöhnlicher Theologe war, war das auffälligste Merkmal seiner Persönlichkeit sein seelsorgerliches Herz, und er war sich seines eigenen Menschseins sehr stark bewusst. Trotz seiner herausragenden Position der Autorität als Heiden-Apostel drückt er gegenüber den einfachen Leuten der Gemeinde in Rom seine Sehnsucht aus, sie endlich zu besuchen und von ihrem Dienst profitieren zu können. Das ist die Art und Weise, wie die Gemeinde Christi zu funktionieren hat: indem jedes Glied des Leibes durch die anderen Glieder getröstet wird und dem anderen dient.
Paulus führt in den Versen 13-15 aus: Ich will euch aber nicht verschweigen, Brüder, dass ich mir schon oftmals vorgenommen habe, zu euch zu kommen – ich wurde aber bis jetzt verhindert –, um auch unter euch etwas Frucht zu wirken, gleichwie unter den übrigen Heiden. Ich bin ein Schuldner sowohl den Griechen als auch den Barbaren, sowohl den Weisen als auch den Unverständigen; darum bin ich bereit, soviel an mir liegt, auch euch in Rom das Evangelium zu verkündigen.
Paulus teilt den Christen in Rom mit, dass die Ursache für sein bisheriges Versäumnis, Rom zu besuchen, nicht etwa darin liegt, dass er nicht kommen wollte, sondern vielmehr darin, dass er verhindert war, seine diesbezüglichen Pläne auszuführen. Nun möchte er kommen, um auch unter ihnen, wie unter den anderen Heiden, Frucht zu wirken.
Möglicherweise gab es in dieser jungen Versammlung in Rom einige Verstimmung. Sie hatten von dem vollmächtigen Wirken von Paulus gehört und wussten von seinen Reisen im Mittelmeerraum. Die Berichte über seinen Dienst waren auch in die Hauptstadt des Imperiums eingesickert, und doch hatte dieser führende Apostel der Gemeinde sie noch nie besucht. Menschlich gesprochen bin ich mir sicher, dass einige von ihnen das Gefühl hatten, dass Paulus sich nicht um sie kümmere. Man kann sich fast vorstellen, wie sie sagen: »Er lässt uns hier im Schatten des römischen Senats wirken und dienen, während er in der Sicherheit Kleinasiens herumläuft.« Sie wussten nichts von all den Schwierigkeiten, in die Paulus geriet. Doch das liegt in der menschlichen Natur, nicht wahr? Paulus erahnt ihre Gedanken, denn er versteht die menschliche Natur, und so beruhigt er die Versammlung in Rom.
In Vers 14 macht er diese starke Aussage: Ich bin ein Schuldner sowohl den Griechen als auch den Barbaren, sowohl den Weisen als auch den Unverständigen.
Was für eine seltsame Aussage: Ich bin verpflichtet, bzw. ich bin ein Schuldner. Was schuldet er denn den Griechen? Was schuldet Paulus den Barbaren? Was ist er den Weisen schuldig? Was schuldet er den Unverständigen? Die Schuldigkeit bestand doch eher auf ihrer Seite, Paulus Ehre und Gehorsam zu erweisen!? Sicherlich sollten sie über die Ebenen von Kleinasien eilen, um sich für Kurse in der Schule des Apostels Paulus anzumelden.
Paulus verstand, dass er einzig und allein durch die Gnade Gottes ein Apostel war, und dass es ein unaussprechliches Vorrecht war, dieses Amt innezuhaben. Er begriff, dass er, nachdem Christus ihn mit der Verbreitung des Evangeliums in der ganzen Welt beauftragt hatte, gegenüber den Griechen, den Barbaren, den Weisen, den Unverständigen, den Gebildeten und den Ungebildeten, den Großen und den Kleinen unter der Verpflichtung stand, diese Berufung zu erfüllen. Die Liebe Christi zwang ihn dazu, seinen Auftrag auszuführen.
Offensichtlich war er ein Schuldner Christi; doch weil Christus ihn den Griechen und Barbaren zugeteilt hatte, schuldete Paulus es nun diesen Menschen, ihnen das Evangelium zu bringen, weshalb er schreibt: Darum bin ich bereit, soviel an mir liegt, auch euch in Rom das Evangelium zu verkündigen. Paulus wurde von seiner Leidenschaft verzehrt, das Evangelium zu verkündigen. Wie können wir das erklären? Warum war die Verkündigung des Evangeliums für ihn nicht eine anstrengende Aufgabe – eine Aufgabe, die ihn erschreckte aufgrund der ganzen Kritik und Schikane, die sie ihm einbringen konnte, sondern vielmehr eine Wonne?
Paulus verstand, was es für einen Menschen bedeutet, in einer Kultur zu leben, in der das Evangelium missachtet wird. Wie jedes menschliche Wesen, wollte er von seinesgleichen geliebt und akzeptiert werden. Keiner möchte ausgelacht werden. Keiner möchte abgelehnt oder ausgestoßen werden. Doch er war bereit, das alles zuzulassen, weil das Evangelium so wertvoll und so wichtig ist. Warum? Es ist Gottes Kraft zur Errettung für jeden, der glaubt, zuerst für den Juden, dann auch für den Griechen.
Ich schäme mich nicht, sagt der Apostel, denn ich habe keine Botschaft, die einfach nur eine Information ist. Ich habe eine Botschaft, die von der Kraft des allmächtigen Gottes getragen wird. Ich schäme mich nicht zu predigen, denn Gott hat beschlossen, die Welt durch Verkündigung zu retten. Es ist eine Methode, die Gott von oben herab ermächtigt hat, und sie enthält in sich selbst die Kraft Gottes. Wozu? Zur Errettung.
Fragen:
Warum betrachtet Paulus sein Sklavendasein unter Christus als seinen höchsten Vorzug?Was ist der Unterschied zwischen der modernen Idee der »Einladung« und Gottes »Ruf«?Auf welche drei Arten wird das Wort »Ruf« im Neuen Testament verwendet?Was ist die biblische Bedeutung von Heiliger?Warum möchte Paulus unbedingt nach Rom gelangen?Warum fühlt sich Paulus den Griechen und Barbaren derart verpflichtet?2.
Die Offenbarung des Zornes Gottes
Römer 1,18-32
Der 17. Vers des ersten Kapitels gibt das Thema des gesamten Briefes an: Denn es wird darin [im Evangelium] geoffenbart die Gerechtigkeit Gottes aus Glauben zum Glauben, wie geschrieben steht: »Der Gerechte wird aus Glauben leben«. Diese Offenbarung der Gerechtigkeit Gottes ist es, die Sünder befähigt, dem prüfenden Blick und dem Gericht Gottes standzuhalten. Paulus zitiert hier eine alttestamentliche Aussage aus einem Buch der kleinen Propheten (Hab. 2,4). Dreimal zitiert das Neue Testament diese alttestamentliche Stelle. Hier im Römerbrief, einmal im Galaterbrief (3,11) und noch einmal im Hebräerbrief (10,38).
Die Heiden sind schuldig
(Römer 1,18-32)
Wie empfangen wir die Gerechtigkeit aus Glauben und nicht aus verdienstvollen Werken? Paulus entfaltet dieses Thema von Vers 18 an: Denn es wird geoffenbart Gottes Zorn vom Himmel her über alle Gottlosigkeit und Ungerechtigkeit der Menschen, welche die Wahrheit durch Ungerechtigkeit aufhalten. Dieser Vers erscheint unerwartet, denn Paulus hat doch gerade erst vom Evangelium gesprochen, das die frohe Botschaft ist. Warum lenkt er dann plötzlich seine Aufmerksamkeit weg von der frohen Botschaft, hin zu einer Ankündigung der Offenbarung des Zornes Gottes? Weil wir über die Offenbarung der Gnade Gottes niemals freudig erregt sein werden, solange wir nicht die vorhergehende Offenbarung des Zornes Gottes verstanden haben.
Der Zorn Gottes
(Römer 1,18)
Das Wort, das mit »Zorn« übersetzt wurde, ist orge; es ist das Wort, von dem auch unser deutsches Wort »Orgie« abstammt. Normalerweise stellen wir uns unter einer Orgie eine sexuelle Party mit großer Ausschweifung und Zügellosigkeit vor; doch in der Antike bestand eine Verbindung zwischen Orgien und heidnischen Festen. Die Teilnehmer betranken sich bis zur Besinnungslosigkeit, und aus dieser Trunkenheit und dem daraus resultierenden enthemmten Verhalten entstanden die sexuellen Dimensionen, die oft mit einem Beiklang religiöser Verehrung zum Ausdruck kamen. Der Hintergedanke war, dass Trunkenheit und Sexualität die Menschen befähigen sollten, die normalen, nüchternen und einschränkenden Dimensionen von Vernunft und Verstand zu durchbrechen. Der Wein bewirkte Hemmungslosigkeit, und viele hielten dies für eine religiöse Erfahrung von Ekstase.
Weil hier orge in Bezug auf den Zorn Gottes verwendet wird, hat dies manche zu der Schlussfolgerung veranlasst, dass Gottes Zorn ein unkontrollierter emotionaler Ausbruch sei, eine Art göttlichen Wutausbruchs. Nichts könnte dem, was der Apostel Paulus im Sinn hat, ferner liegen. Er sagt nicht, dass Gottes Zorn vernunftwidrig oder launenhaft sei, sondern vielmehr, dass Sein Zorn sehr stark ist. Gott ist sehr zornig; doch Sein Zorn ist ein heiliger Zorn. Der Text erläutert im Folgenden die Gründe für Gottes Zorn. Tatsächlich sollte der ganze Kontext dieses Kapitels diejenigen zum Schweigen bringen, die behaupten, Gottes Zorn sei unvernünftig. Denn Gott erklärt uns hier, warum Er so zornig ist.
Zwei Dinge werden erwähnt, die Gott zu diesem intensiven Zorn herausfordern: die Gottlosigkeit und die Ungerechtigkeit. Gottlosigkeit hat mit unserer Haltung gegenüber Gott zu tun. Ungerechtigkeithat etwas damit zu tun, wie wir uns gegenüber unseren Mitmenschen verhalten. Manche Kommentatoren meinen, dass es zwei unterschiedliche Dinge seien, über die Gott zornig ist: zum einen eine allgemeine Haltung der Ehrfurchtslosigkeit, die Menschen gegenüber Gott zeigen, und zum andern seien es moralische Handlungen des Ungehorsams. Andere Kommentatoren – und ich stimme mit denen überein, die diese Position vertreten – sind der Meinung, dass wir an dieser Stelle im Text ein Hendiadyoin sehen, ein rhetorisches Stilmittel, bei dem ein komplexer Begriff durch das Zusammenführen zweier einzelner Wörter gebildet wird. Betrachten wir den Text auf diese Weise, so erkennen wir, dass sich Gottes Zorn gegen eine spezielle Sache richtet, die gleichzeitig gottlos und unmoralisch ist.
Bevor wir anfangen zu bestimmen, welche Handlung den Zorn Gottes in so hohem Maße auslöst, ist es wichtig zu beachten, dass beide Begriffe, Gottlosigkeit und Ungerechtigkeit, sehr allgemeine Begriffe sind. Es gibt alle möglichen Arten konkreter Handlungen, die man als gottlos bezeichnen kann: Respektlosigkeit, Gotteslästerung, das Versäumnis, sich einem gerechten Leben hinzugeben, und so weiter. Die Liste der Handlungen, die sich unter die Kategorie »Ungerechtigkeit« einordnen lassen, ist gewiss endlos. Daher sind die beiden Begriffe aufgrund ihrer Allgemeinheit eher vage.
Doch Paulus lässt uns nicht im Bereich des Allgemeinen; er wird konkret. Er beginnt mit dem Allgemeinen und geht dann zum Konkreten über: … welche die Wahrheit durch Ungerechtigkeit aufhalten (V. 18). Der Apostel sagt, dass es eine Wahrheit gibt, die Gott den Menschen über sich Selbst bekannt gemacht hat, die die Menschen aufhalten bzw. unterdrücken. Diese Handlung reizt Gott zum Zorn.
Das griechische Wort katakein bedeutet, mit Gewalt gegen etwas zu drücken, das einen Gegendruck ausübt. Das Bild, das dabei vor meinem geistigen Auge entsteht, ist das einer riesigen Stahlfeder, die nur mit dem ganzen Gewicht eines Menschen niedergedrückt werden kann. Wenn der Mensch aufgrund der Spannung nur für eine Sekunde loslässt, so schießt die Feder sofort nach oben. Das Wort wird in einem negativen Sinn verwendet, wenn Menschen ins Gefängnis geworfen und dort gegen ihren Willen festgehalten werden. Sie sind – mit einem Wort – inhaftiert.
Paulus sagt, dass die Wahrheit Gottes in gewisser Weise niedergedrückt, verdrängt, verhindert und erstickt wird. Das klingt fast wie aus einem Psychologie-Lehrbuch; denn moderne Psychologen stellen fest, dass wir genau das mit Erinnerungen an schmerzliche und traumatische Erfahrungen tun: Wir verdrängen sie aus den schmerzhaften Bereichen unseres Bewusstseins und drängen sie in die tiefsten Nischen und Kammern unseres Geistes – ins Unterbewusstsein.
Die allgemeine Erkenntnis Gottes
(Römer 1,19-20)
Jeder Mensch weiß, dass es einen Gott gibt, weil das von Gott Erkennbare unter ihnen offenbar ist, da Gott es ihnen offenbar gemacht hat (V. 19). Zu behaupten, dass alle Menschen Erkenntnis Gottes erlangen können, ist eine Sache. Doch das unterscheidet sich völlig von dem, was Paulus hier ausführt: dass nämlich alle Menschen bereits eine Erkenntnis Gottes besitzen.
Gott [hat] es ihnen offenbar gemacht. Theologen nennen das die »allgemeine Offenbarung«, im Unterschied zur »besonderen Offenbarung«. Die besondere Offenbarung wird nur in der Bibel gefunden, die wiederum nur eine bestimmte Gruppe der Menschen besitzt. Menschen, die nie Zugang zur geschriebenen Offenbarung der Schrift hatten, haben nie das empfangen, was wir als »besondere Offenbarung« bezeichnen. Das soll nicht heißen, dass sie ohne jegliche Erkenntnis Gottes seien. Neben dieser Offenbarung der Heiligen Schrift gibt es also noch die Offenbarung, die Gott jedem Menschen gewährt.
Unter den Kommentatoren gibt es Meinungsverschiedenheiten darüber, ob diese allgemeine Offenbarung Gottes zu den Menschen durchdringt oder nicht. Manche meinen es, während andere das Gegenteil behaupten aufgrund dessen, dass der Mensch in seiner Haltung Gott gegenüber derart feindselig ist. Es gibt eine bekannte Analogie, dass der Mensch durch diese Welt geht, als ginge er durch ein prachtvolles Theater, in welchem ihn die Beweise für Gott in der Schöpfung umgeben. Aber dem Menschen sind die Augen verbunden. Der Gedanke hinter der Analogie ist, dass das Licht – wie hell es auch sein mag, niemals zu ihm durchdringt, weil seine Augen verbunden sind und er dadurch gleichsam blind ist.
Paulus macht jedoch überdeutlich, dass es nicht nur eine Offenbarung gibt, die von Gott ausgeht, sondern dass diese in das Denken der Menschen eindringt, so dass sie eine wirkliche Gotteserkenntnis erhalten: Gott [hat] es ihnen offenbar gemacht.Die Offenbarung, die Gott allen Menschen zugänglich macht, erklärt ihnen nicht im Detail die Dreieinigkeit oder das Werk Christi. Für diese Information brauchen wir das niedergeschriebene Zeugnis der Heiligen Schrift. Die Offenbarung ist eher allgemeiner Art. Auf den Inhalt derselben geht Paulus später in dem Kapitel näher ein.
Vers 20 ist entscheidend für das Verständnis darüber, wie sich Gott allen Menschen in der Natur offenbart: Denn Sein unsichtbares Wesen, nämlich Seine ewige Kraft und Gottheit, wird seit Erschaffung der Welt an den Werken durch Nachdenken wahrgenommen, so dass sie keine Entschuldigung haben.
Immanuel Kant, möglicherweise der größte Philosoph in der Geschichte der westlichen Zivilisation, setzte einen Wendepunkt in den modernen intellektuellen Versuchen, Gott zu erkennen, indem er sagte, es sei unmöglich, die traditionellen Argumente für die Existenz Gottes zu verwenden, mit denen die Menschen von dieser Welt aus Rückschlüsse auf einen Schöpfer machen. Sie sehen die Welt um sich herum an und sagen: »Irgendetwas oder irgendjemand muss diese Welt gemacht haben.« Kant sagte, dass es uns nicht möglich sei, von den sichtbaren Dingen her auf einen unsichtbaren Gott zu schließen.
An diesem Punkt gibt es eine absolute Kollision zwischen dem Bestmöglichen der säkularen Philosophie und der Behauptung des Apostels Paulus. Paulus sagt so klar, wie er es nur sagen konnte, dass genau das, was Immanuel Kant sagt, im Grunde vollkommen unmöglich ist. Er sagt, dass die unsichtbaren Eigenschaften Gottes klar in der geschaffenen Weltordnung zu sehen sind. Ebenso, wie wir ein Gemälde betrachten und von daher wissen, dass es einen Maler gab, so können wir das Universum betrachten und von daher wissen, dass es einen Schöpfer gibt. An den sichtbaren Dingen Seiner Schöpfung lässt sich einiges von der Natur dieses Schöpfers erkennen.
Diese Offenbarung besteht seit der Erschaffung der Welt. Sicherlich gibt uns Paulus keinen Anlass zur Vermutung, dass der einzige Mensch, der sich der Ablehnung der göttlichen Offenbarung schuldig gemacht habe, der erste Mensch, also Adam, gewesen sei. Vielmehr bringt Paulus, wie wir in den Kapiteln 1-3 sehen, die ganze Menschheit wegen ihrer Ablehnung der allgemeinen Offenbarung unter das Urteil des Zornes Gottes.
Bis zu welchem Grad dringt diese Erkenntnis zu den Menschen durch? An einer anderen Stelle in der Heiligen Schrift erklärt Paulus, dass der nicht wiedergeborene Mensch Gott nicht erkennt (2.Thess. 1,8; LU1912). Das Verb »erkennen« wird auf sehr unterschiedliche Weise verwendet. Eine [in der Bibel] häufig anzutreffende Bedeutung ist das Einander-Erkennen in der Intimität. Jesus warnt uns, dass am Jüngsten Tag Menschen vor Ihm stehen und sagen werden: »Herr, Herr, haben wir nicht in Deinem Namen [dieses und jenes getan]?« Jesus wird ihnen antworten: »Ich habe euch noch nie erkannt; weichet alle von Mir, ihr Übeltäter!« (Mt. 7,22-23; LU1912). Bedeutet das, dass Er keine intellektuelle Erkenntnis über sie hatte? Sicherlich nicht. Es bedeutet, dass sie nie eine rettende, persönliche und innige Beziehung zu Ihm hatten.
Die Offenbarung Gottes in der Natur verschafft uns keine gründliche, rettende Erkenntnis Gottes. Doch sie gibt uns eine wirkliche Erkenntnis, ein intellektuelles Bewusstsein, eine – wie wir es nennen – kognitive Erkenntnis der Wirklichkeit.
Die Anklage läuft nun auf einen Höhepunkt hinaus:so dass sie keine Entschuldigung haben. Die Entschuldigung, die Paulus hier vor Augen hat, ist die Entschuldigung aufgrund von Unwissenheit. Zu allen Zeiten gab es Atheisten und Agnostiker. Zwischen beiden gibt es einen Unterschied in ihrer Haltung. Der Atheist erklärt sofort, dass es keinen Gott gebe; doch der Agnostiker sagt einfach: »Ich weiß es nicht.« Die Begründung, die der Agnostiker angibt, ist »unzureichende Kenntnis«. Die schreckliche Gefahr, die ich im Agnostizismus sehe, besteht darin, dass der Agnostiker der Beleidigung noch eins draufsetzt: Er beschuldigt Gott, nicht genügend Beweise zu erbringen.
Die Weigerung des Menschen, Gott anzuerkennen
(Römer 1,21-22)
Denn obgleich sie Gott erkannten, haben sie Ihn doch nicht als Gott geehrt und Ihm nicht gedankt, sondern sind in ihren Gedanken in nichtigen Wahn verfallen, und ihr unverständiges Herz wurde verfinstert (V. 21). Was für ein trauriger Kommentar über den Menschen!
Nicht Unwissenheit ist die Sünde, sondern eine widerspenstige Weigerung, Gott die angemessene und Ihm als Schöpfe