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Liebe Leserin & Leser, in meinem elften Buch "Sagenhafter Brocken" erzähle ich die Sagen von all jenen Orten, die man mit der Brockenbahn streift und die man vom Gipfel des sagenhaften Blocksberges aus im Blickfeld hat. Nicht nur Urian und seine Hexen sind am höchsten Berg im Harz zuhause, sondern auch Raubritter, Venediger und die Geister, die in den Klippen & Tälern, in den Steinen & Pflanzen leben. Ich wünsche Ihnen sagenhafte Momente, beim Wandern & Zugfahren, die hoffentlich auch Ihren Alltag verzaubern. Harz'liche Grüße, Ihr Sagenerzähler Carsten Kiehne
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Seitenzahl: 95
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Teufel und Brunnenbauer
Der spukende Schimmel
Das schiefe Haus
Die Hexe vom Bielerturm
Das Recht steht über Adelstiteln
Die Wahrheit von Hänsel & Gretel
Der Weinkeller der Himmelpforte
Die geheime Kunst der Liebe
Das nächtliche Orgelspiel
Vom Hirschkäfer
Vom Feuersalamander
Drei Wünsche
Der Köhler & der Teufel
Der silberne Mann
Die Hoppelwiese am Beerberg
Der König, der keiner war
..
Der Leichenstieg
Der Kiebitztanz
Die Hohneklippen
Der Bergmönch bei Drei-Annen-Hohne
Des Bergmannes Traum
Woher Elend seinen Namen hat
Einer meint, er kenne keine Furcht
Frauenmantel am Trudenstein
Das besprochene Wasser
Venediger am Schlangenstein
Venediger am Mönchsstein
Die Müllerin zu Schierke
…
Der Wurmberg – ein keltischer Drachentempel
Das Schloss auf der Achtermannshöhe
Der Wunschsumpf
Die Harzburg & der Sturz des Krodo
Die schöne Ilse am Ilsestein
Eine Frau braucht ihre Geheimnisse
Die Mystik des Fliegenpilzes
Der Name Zeterklippe
Was die Steinmänner verraten
Bodo & Emma
Das Geheimnis der blauen Beeren
Waldmeister
Tage der Hexe
Der silberne Krug
Die Walpurgisnacht
Hexensabbat auf dem Brocken
Das Brockengespenst
+ 1 Der zerbrochene Berg
Der sagenhafte Brocken oder Blocksberg, lockt heute jährlich mehrere Millionen Besucher an. Doch zog er die Menschen seit jeher in seinen Bann, ganz gleich, ob sie aus der Ferne ängstlich zum Gipfel sahen und sich fragten, ob die Götter ihnen wohl heute gewogen bleiben würden; oder ob man selbst zum Gipfelstürmer wie Heinrich Heine werden wollte, um welchem Gott auch immer nah zu sein:
Auf die Berge will ich steigen, wo die frommen Hütten stehen, wo die Brust sich frei erschließet und die freien Lüfte wehen. Auf die Berge will ich steigen, wo die dunklen Tannen ragen, Bäche rauschen, Vögel singen und die stolzen Wolken jagen. (aufgeschrieben von Heinrich Heine, Harzreise)
Seit 1898 aber braucht man nicht einmal mehr einen Fuß vor den anderen zu setzen, um von der wunderschönen Fachwerkstadt Wernigerode auf den höchsten Berg Norddeutschlands, der zugleich der windigste und nebligste Punkt Deutschlands ist, zu gelangen. Die Brockenbahn schnauft durch die engen und dunklen Täler, an den schroffen Klippen vorüber und die Berge hinauf und fast meint man, wenn man dem schwarzen Dampfross lauscht, es sänge sein schweres Lied: „Ich schaff es nicht – ich schaff‘ es nicht – im Schweiß von meinem Angesicht – wie oft ich diesen Berg hochkroch – ein bisschen noch – ich schaff es doch!“
Was die wenigsten Besucher ahnen, ist, dass sie durch eine der sagenreichsten Regionen unseres schönen Landes fahren oder wandern. Hier hat jeder Felsen und jedes Tal seine geheimnisvollen Geschichten zu erzählen, die voll sind von alten Zauberritualen, Lebensweisheiten und Rechtsbräuchen unserer Vorfahren. Nicht selten verdeutlichen die Sagen die Kraft eines mystischen Ortes, die wir selbst heute noch deutlich spüren können, vorausgesetzt natürlich, wir nehmen uns die Zeit zum Verweilen, uns in die Erzählungen hineinzuträumen und zu lauschen, was die Vögel, der Wind, die Quellen und Felsen uns von den alten Tagen berichten.
Auch wenn die meisten Sagen einen tieferen, wahren Kern haben, dürfen wir sie freilich nicht todernst nehmen. In Zeiten, in denen die Abstinenz von Fernsehen und W-LAN den Menschen noch keine körperlichen Schmerzen bereitete, dienten solche Erzählungen u.a. zur Unterhaltung der einfachen Leute, die - am knisternden Feuer unter freiem Himmel sitzend - sich Naturerscheinungen zu erklären versuchten, Wissen und Warnungen weitergeben oder einfach auch nur belustigt werden wollten. – Heute bedarf es zum Glück keiner Warnungen mehr, wenn man von Wernigerode zum Brocken reisen möchte. Vor einigen hundert Jahren, als rotgewandete Raubritter noch die Umlande unsicher machten, hieß es: „Ik warne dik vor de Roden“, woraus sich dann der Name „Wernigerode“ hergeleitet haben soll. Heute bleibt mir nur übrig, Ihnen gutes Wetter, Wegeglück & wunderbare Aussichten zu wünschen. So denn: Glück auf & sagenhafte Momente!
Graf Christian beschloss eines Tages, eine Wasserleitung zu seinem Schloss legen zu lassen. Zu beschwerlich war für seine Knechtschaft das Hinaufrollen und Schleppen der Fässer bis zur Feste, vor allem in allzu kalten Wintern. Damals lebte in Wernigerode der Brunnenbauer Wittneben, der den Auftrag bekam, die Leitungen zu legen. Ein guter Lohn winke ihm, wenn er es vollbringen würde. Wenn er aber scheitere, könne er sich doch getrost eine andere Heimat suchen. Was sollte der Brunner tun? Er musste dieses Wagnis eingehen, doch überall wo er grub, stieß er auf hartes Gestein. In seiner Verzweiflung ging er zu einer bekannten Wernigeröder Wahrsagerin, die ihm verhieß, er würde scheitern, wenn er nicht den Teufel zur Mithilfe bewegen würde. „Der Teufel? Der will für seine Hilfe doch sicher meine Seele!“ Sie gab ihm recht, lachte aber und flüsterte ihm ins Ohr, wie Urian zu nasführen wäre. Zum Abschied rief sie ihm nach: „Vergiss nicht, der Teufel ist dumm und wir Harzer sind schlau!“
Zur selben Nacht bestieg der Brunnenbauer den Brocken, rief nach dem Teufel, der auch gleich kam und dem Menschen tatsächlich seine Hilfe zusagte, bekäme er nur die Seele. „Erst will ich die vollendete Arbeit sehen, dann siehst du deinen Lohn“, sagte Wittneben entschlossen. Damit war der Gehörnte zufrieden, zog mit seinen Höllengehilfen nach Wernigerode und vollbrachte das Gewünschte leicht. „So, das Werk ist vollbracht – ich will meinen Lohn!“, grummelte der Teufel am nächsten Morgen und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
„Gut, du bekommst die Hälfte von dem Gold, das mir versprochen ward!“, sagte der Brunner. „Ich will deine Seele!“, schnaubte der Gehörnte, „Ich will nichts and‘res sehen!“ – „Meine Seele? Nein, das war nicht vereinbart. Aber du bekommst dreiviertel des Goldes!“, lächelte Wittneben, was Urian fuchsteufelswild machte. Und da geschah, was die Wahrsagerin verhieß: „Wenn du den Teufel narrst und wütend machst, dann zieht so dichter Nebel auf, dass du die Hand vor Augen nicht sehen kannst. Also sage ihm „Du willst das fertige Werk sehen!“ – das wird er dir dann grummelig nicht erfüllen können.“
„Ich sagte, ich will die Leitungen sehen!“, lachte der Brunner. „Kannst du in diesem Nebel irgendwas erkennen? Sogar das Schloss ist vom Himmel verschluckt. Ach Teufelchen, lass doch in Gottes Namen von meiner Seele ab!“ Da erkannte der Teufel, dass ihn wieder mal ein Menschlein an der Nase herumgeführt hatte und verschwand mit lautem Getöse in Richtung Brocken. In Wernigerode hat man ihn seitdem nie mehr gesehen. Der Brunner aber bekam vom Grafen den versprochenen Lohn und konnte bis zum Lebensende recht gut damit leben. (aufgeschrieben nach Schrader)
Einst ließ der Bürgermeister Wernigerodes einem Fuhrmann ein stattliches Pferd abpfänden, worauf jedoch gleich die Unrechtmäßigkeit der Pfändung an den Tag kam. Statt das Pferd nun aber zurückzugeben, ließ der Bürgermeister es sogleich totschlagen.
Das erzürnte den Fuhrmann so, dass dieser sagte: „Möge mein Pferd Sie ewig heimsuchen!“ Mit diesen Worten geschah nun Sonderbares in der Stadt. Vor der alten Post stand nun des Nachts zwischen zwölf und zwei Uhr jener getötete Schimmel des Fuhrmanns, aber ohne Kopf, trabte durchs Rathaus, dann über den Markt in die Heidegasse, hinunter in den Heidemühlengraben, unter der Stadtmauer durch bis auf den Kirchhof und den gleichen Weg zurück.
Die Stadtwache verfolgte den Schimmel einst hin und her und stieß auf dem Rückweg auf zwei Bürger, die beteuerten, ihn ebenfalls gesehen zu haben. Er hätte sich von ihnen aufgebäumt, dass sie schon meinten, er wolle sie niederhacken, worauf sie voller Schrecken zu Boden gesunken wären.
Jeder, dem das Geisterpferd begegnet war, hatte am anderen Morgen einen dicken Kopf und lag im Fieber darnieder. Der Bürgermeister selbst ist nicht wieder gesund geworden und bald an seinem dicken Kopf zugrunde gegangen. Froher Gesang und Kirchengeläut würden aber verhindern, dass man dem Spukeding nächtlich begegne. So kam es, dass die Menschen der schönen Stadt Wernigerode einmal im Jahr große Umzüge machen und lärmend durch die Straßen ziehen. Das verscheuche alle bösen Geister aus der Stadt, heißt es. (aufgeschrieben nach Grässe)
Hinterm Wernigeröder Rathaus findet ihr das "Schiefe Haus". Um 1680 errichteten hier am Standort der alten Mühle die Tuchmacher eine Walkemühle. Man sagt, das Wasser des ehemaligen Mühlteiches hätte den Boden aufgeweicht und die Fundamente der Mühle unterspült, bis das Gebälk irgendwann auf steinigen Boden gestoßen wäre. Ich hörte aber auch eine andere plausible Erklärung:
Der Vorsteher der Tuchmacher wohnte einst in diesem Haus und war schon durch seine krummen Geschäfte und manche Intrige zum Gildemeister aufgestiegen. All seine Bekannten und Nachbarn wussten, dass er seine Geschichten ausschmückte, manchmal die Wahrheit etwas bog, aber auch böse log und betrog und am Ende oft selbst nicht mehr wusste, was wahr war und was nicht.
Auch an seiner schiefen Körperhaltung sah man irgendwann, dass er nicht aufrecht durchs Leben ging, aber nicht nur das. Am Ende bogen sich sogar die Balken seines Hauses. Man sagt ja auch: "Er lügt, dass sich die Balken biegen!". So wurde die Walkemühle schief und schiefer und wäre sicher am Folgetag umgefallen, wäre in dieser Nacht in des Vorstehers Schlafstube nicht etwas Seltsames geschehen. Der Meister erwachte aus seinem Traum und sah in der Ecke seines Zimmers einen schwarzen Schatten schweben, der ihn anrief: "Bist du nur einmal noch in deinem Leben nicht aufrecht, wird dein schiefer Dom aus Lügen über dir zusammenstürzen und dich in die Tiefe der Schatten reißen!" Wie der schwarze Schatten das sagte, flog er auf den verängstigten Tuchmachermeister zu und entblößte seine furchtbare Fratze.
Schweißgebadet wachte der Mann am andern Morgen auf, war aber bald frohgemut, weil er meinte, nur geträumt zu haben. Wie er aber im Spiegel sein Bildnis suchte, sah er bloß die schreckliche Fratze des nächtlichen Spukedings. Da schwor er sich, von nun an, niemals wieder schief Rede zu führen oder krumme Dinge zu tun und so steht das "schiefe Haus" noch heute. (erzählt von Einheimischen)
Darlingeröder Steinkreis, vorchristliche & frühmittelalterliche Thingstätte
Katharina von Bieler war eine Hexe, wie sie im Märchenbuch steht! Nein, nicht alt, hässlich mit Warzen auf der Hakennase. Sie war ein junges, keckes Ding um die 18 Jahr‘, an der wirklich alles am rechten Flecke saß. Vom lieben Gott war sie mit langem, wallendem, rötlichem Haar, einem gebärfreudigen Becken und Brüsten, so groß, dass man darin versinken wollte, über die Maße gesegnet wurden. Ihr Schmollmund jagte dem stolzesten Grafen Wonneschauer über den Rücken und ein einziger Blick aus ihren tiefgrünen Augen ließ jeden Ritter seine Moral vergessen.
Wen wunderte es also, dass selbst ein Mönch von der Himmelpforte, der Nächstenliebe predigend stadtwärts gezogen kam, ihr Hals über Kopf verfiel. Ach, was wussten ihre Schenkel von der Liebe zu singen, welche ihm bisher so fremd war und der er nun völlig verfiel. Nie zuvor fühlte er sich Gott so nah, wie wenn er in ihr versank, sich vollkommen in ihr verlor. Auch die Bieler genoss die ihr zuteilwerdende, ungeteilte Aufmerksamkeit des hübschen Klosterbruders in vollen Zügen, fühlte sie sich doch von ihm als Göttin verehrt.