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Hettstedt und das Mansfelder Land haben, mit dem Ende des Kupferbergbaus in der Region, nicht das erste Mal ein schweres Päckchen zu tragen. Schon immer in dem beinahe 1000jährigem, urkundlich erwähnten Bestehen von Stadt und der umliegenden Besiedlung, waren Wohlstand oder Leid der Menschen eng mit den Schätzen von Mutter Erde verknüpft: Mal gab es zu wenig Wasser, mal Überschwemmungen, dann wurde der Wald knapp, dann die Nahrung, bald das Kupfer. Mit dem wohlverdienten Wohlstand aber wurde es nicht besser, denn der Reichtum lockte die Widersacher, die neidischen Feinde an, welche Stadt und Land mehrfach beraubten, dass beinahe nichts mehr als eine Wüstung blieb. Allem zum Trotze aber, waren die eifrigen Hettstedter und die fleißigen Leute des Mansfelder Landes (und sind es bis heute), stets verliebt in ihre Heimat, das alles wieder und wieder neu aus Trümmern und Asche entstand. Hier lässt man seinen Kopf nicht allzu lange in die Wipper hängen, sondern erfindet sich neu. Mache das Beste aus jeder Sache, erinnern die Alten und das ist kein Wunder, erzählen doch viele Hettstedter Sagen von gewitzten Menschen, klugen Köpfen, guten Geistern und sonderbaren Kraftorten. Verweilt man an solchem Sagenort, fühlt man sich bald neu belebt, hoffnungsfroh und voller Tatendrang (z.B. Menhiren & Sühnekreuzen).
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Seitenzahl: 161
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Carsten Kiehne gehört seit vielen Jahren zu den renommiertesten Kennern der Harzer Sagenwelt. Als Autor und Herausgeber vieler Bücher wie „Kräutersagen aus dem Harz", „Sagenhaftes Glück" & „Bäume – heilig & heilsam" sowie TV- Auftritten wie im ZDF & MDR ist er überregional bekannt. Als Initiator der Interessensinitiative „Sagenhafter Harz" gibt er Workshops & Führungen zum Thema im gesamten Harz. (Dipl.SozPäd., Psychotherapeut HP, Meditationslehrer)
Zum Geleit
Wie man das Kupfer entdeckte
Der Heilige Gangolf
Verrufene Mönche
Sorgenschwerer Kupferberg
Der alte & der neue Osterberg
Die geschenkte Zeit
Das Schwert des Hadrians
Der Molmeckturm
Die glühenden Kohlen
Der Riese Eitel
Die verschwundenen Bauern
Der lange Hu
Das Böse in Wiederstedt
Novalis und die Liebe
Gut & Böse
Die beleidigte Nixe
Der Geist im Kuhgrund
Die freundlichen Schachtkickel
Wozu Zwist am Ende führt
Vom Teufel verführt
Der große Stadtbrand
Im 30jährigen Krieg
Eine Räuberbande
Deutsche gegen Deutsche
Braunschweiger vor den Toren
Der Hexenturm Zuckerhut
Vom Säuferkönig
Der Geist der alten Druckerei
Humboldts Licht
Adolph Kolping
Das ist des Mannes Feld
Die Entstehung des Welfesholzes
Was Glaube & Irrglaube bewirken
Vom Drachentöter Georg
Die Schalkenburg
Die Ritterschmiede
Wer der neue Graf wird
Der lange Winter
Der Nonnenkopf
Der Reichtum der Mansfelder
Die Altweibermühle
Graf Hoyer der Unüberwindliche
Woher die Namen kommen
Der Hoyerstein
Das Sühnekreuz von Welfesholz
Tragödie am Feldpredigerstein
Von den Karmelitern
Die unheilvollen Steine
Geister auf Burg Arnstein
Die Mönchslinde
Der Schlossturm Frecklebens
Der Schatz
Geheimnisvoller Ausklang
Eigentlich bin ich ja Harzer, mit dem ganzen Herzen und habe mit Hettstedt nicht viel zu schaffen. Wie ich aber herkam, im Kolpingwerk und an der Grundschule Sagen zu erzählen, war ich gespannt, was es hier, in diesem kleinen, unscheinbaren Flecken überhaupt zu erzählen gäbe … und war wenig später zutiefst erstaunt. In meinen Sagenbüchern, allen voran Dr. Hermann Größlers Schatz „Sagen der Grafschaft Mansfeld“, war so viel Stoff zu finden, dass ich mir die Gegend einmal genauer unter die Lupe nahm. Was ich fand, war verwunderlich: uralte Wallanlagen aus der Neusteinzeit, Menhire und Sühnekreuze, welche die mittelalterlichen Gerichtsbräuche skizzieren, kurzum: ich fand eine Gegend voller Geschichte und mehr noch. Ich fand unglaublich viele heimatbegeisterte Menschen, die mich darin ermutigten, noch tiefer zu schauen, mich noch weiter einzulesen, mir jeden der Orte live anzusehen und mir sogar weiter Geschichten zukommen ließen, dass nun – lieber Leser – ein ganzes Buch der Sagen von Hettstedt und Umgebung in deinen Händen liegt!
So wie es Segen und Glück bringen soll, bei seiner Reise nach oder von Hettsetdt, seine Hand an den Feldpredigerstein zu legen, so soll dieser kleine Sagenschatz all jenen Menschen die ihn in die Hand nehmen, Segen bringen und glückliche Stunden bereiten!
Mit den allerbesten und harz’lichen Grüßen, dein Sagenerzähler
I
m weit entfernten Goslar lebten einst zwei junge Bergmänner namens Nappian und Neucke, die machten sich eines Tages auf, um ihr Glück anderswo zu machen. Viele Jahre hatten sie sich in der alten Stadt abgemüht, hatten täglich fleißig geschuftet, vom ersten Strahl der Sonne an, bis dass der Mond am Himmel stand und waren doch arm geblieben. So arm, dass es manchmal nicht einmal genügte, um sich den Bauch vollzuschlagen. Sie hatten also nicht viel zu verlieren und zogen mit dem Wenigen los, was sie besaßen: das war bloß die zerschlissene Kleidung, die an ihren Leibern hing und ein Beutelchen Brot. Trotz der Ungewissheit, was sie erwarten würde, zogen sie frohgemut mit ihren Knotenstöcken in der Hand gen Osten, immer der aufgehenden Sonne entgegen. Ja, sie wollten dort, wo die Sonne ihren Anfang nimmt, selbst neu anfangen. Es wäre doch gelacht, wenn bei solch einem Himmelsglanz nicht auch das Glänzende im Boden liegt! So liefen sie viele Tage, bis sie in unsere Gegend kamen.
Hier aber war es auch nicht besser. Die Menschen waren noch ärmer als anderswo, weshalb sich manch einer aus Not auf die Raubkunst besann. Oh, es gab viele Räuber, welche vorbeifahrende Kutschen und Wanderer überfielen, was oh weh auch Nappian und Neuke widerfuhr. Aus dem Unterholz sprangen vier Diebe, alle bewaffnet mit Schwertern und Bögen und die Pfeile, die sausten unseren beiden nur so um die Ohren. „Zack“, hatte einer der Pfeile Nappian an der Schulter verletzt, dass der zu Boden ging und vor Schmerzen wimmerte. Neucke wehrte sich noch, ahnte er doch, dass die Bande nicht nur auf Hab und Gut aus war, sondern es hier ums nackte Überleben ging. „Knuff“, schon hatte er mit seinem Knotenstock dem ersten Räuber das Schwert aus der Hand geschlagen, denn Neucke hatte Kraft in den Armen, von den vielen Hammerschlägen, mit denen er unter Tage das Erz aus der steinernen Wand gehauen hatte. Auch dem zweiten Räuber erging es nicht besser: ein Hieb auf den Kopf und er blieb am Boden liegen. Wie die zwei letzten Lausbuben das sahen, rannten sie Hals über Kopf davon, hatten sie doch so gar keine Lust, mausetot neben den anderen liegen zu bleiben.
So war auch diese Prüfung bestanden, Neucke hatte ihr Leben gerettet. Nun schleppte er den verletzten Nappian weiter, bis er zu einer Köhlerhütte kam, aus der eine dunkle Gestalt heraustrat. Der Schrecken saß, denn der Köhler war riesig und guckte erst böse, weil er die beiden für Raubgesinde hielt. Wie er aber Nappians Wunde sah und bemerkte, dass es gute Menschen waren, da half er, wo er nur konnte. Er umsorgte die Verletzung mit heilenden Kräutern, ließ die beiden speisen und zu neuen Kräften kommen. „Tausend Dank“, sagte Neucke und half, um Kost und Unterkunft zu vergelten, wo er nur konnte. Wie er tags darauf dem Köhler beim Abräumen eines fertigen Meilers zur Hand ging, meinte er zuerst, zu träumen. Überall um ihn herum lagen blinkende Steine in der Erde.
„Ja, die findet man hier beim Roden der Bäume überall im Boden“, sagte der Köhler und ahnte überhaupt nicht, was das für ein Wunder war. So schnell es ging, brachte Neucke einen der Steine nach Goslar, diesen zu untersuchen und zu schätzen und erfuhr, was er innerlich schon ahnte, dass es reinstes, feinstes Kupfererz war.
So gründeten Nappian und Neucke um 1199 den Mansfelder Kuperbergbau, ausgehend wohl von dieser Stelle, an der heute die St. Gangolfkirche Hettstedts steht. Viele Arme der Umgegend bekamen gute Arbeit und mussten ihr Brot nie wieder durch Rauben verdienen! (aufgeschrieben nach Sternal)
* * *
D
en Gangolf hättest du sehen müssen: ein wahrer Krieger, auch, wenn er auf der falschen Seite stand, denn er kämpfte im Jahre 757 unter König Pippin für die Franzosen, gegen die Sachsen (das waren Deutsche), ging siegreich aus jeder Schlacht hervor, eroberte viel Land und kam dabei sogar in unsere Gegend. Sein liebstes Ding war trotz allem die scharfe Klinge nicht, sondern seine Bibel, in der er täglich las. Wer auch immer sich ihm ergab, klug genug, sich belehren zu lassen und schließlich zum Christentum fand, dem verband er seine Wunden, dem gab er von seinen Speisen. Er wollte auch nichts geschenkt haben, sondern bezahlte, für alles, was er brauchte. Wie er in unsere Gegend kam, verliebte er sich in die anmutige Landschaft und hielt an der Wipper inne. Hier gab es eine kleine Quelle, an der wundersame Pflanzen wuchsen und alles Frieden pur war.
Weil dieses Stück Land aber einem sächsischen Bauern gehörte, kaufte er es dem Mann für einen ganzen Batzen Gold mitsamt des Bauernhauses ab und lud seine Freunde, alles Feldherren unter Pippin, zu einem Festmahl. Die aber verlachten Gangolf: „Am Arsch der Welt, für so viel Geld, ein lumpiges Stück Land erwerben, du hättest dem Sachsen mit deinem Schwert auch helfen können sterben!“ – Gangolf machte sich nichts aus solch derber Rede. Wenn das Heervolk des Königs weiterzog, wollte er hier mit dem „neuen Freunde“ und seinem Weibe in Frieden leben, steckte also all seine Liebe ins Land, behielt das Schwert in der Scheide und begnügte sich damit, Ackerbau zu betreiben, Blumen zu pflanzen und zu beten. So viele Gebete sprach er, dass der Quell an dem sein Heim lag, eine Heilquelle wurde und viele Pilger anzog. Das freute freilich Priester und Kirche, die meinten viel Geld aus einer heiligen Quelle schöpfen zu können. Gangolf jedoch wollte kein Geld. Er ließ die Armen kostenlos die Quelle nutzen und versorgte sie sogar auf seine Kosten, was auch seinem Weib nicht wohl gefiel.
Bald schon kam das Gerücht auf, dass der Priester des Ortes, nicht nur am Heilquell Gefallen gefunden habe, sondern auch an Gangolfs Weibe, was sie heftig bestritt. „Also soll ein Gottesurteil uns die Wahrheit bringen“, sagte er, eine Lüge witternd, und bat seine Frau, die Hand in den heiligen Quell zu legen. „Wer reines Herzens ist, den hat das Wasser noch immer geheilt!“, sagt er, worauf sie trotzig ihre Hand hineinhält. Langsam aber verzieht sich ihr Gesicht, dann schreit sie auf, zieht rasch ihre Hand heraus und siehe da, vom kühlen Nass ist sie gänzlich verbrannt, als hätte sie im heißen Feuer gelegen. – Gangolf, der nicht nachtragend war, verzieh ihr, gab ihr die Hälfte von alledem, was er besaß, bestand aber darauf, dass sie seine Gemächer fortan nicht mehr betreten dürfe. Und was glaubst du macht sie?
Sie trifft sich weiterhin mit dem falschen Priester, betört ihn und fasst einen teuflischen Plan: gemeinsam erschlagen sie den guten Gangolf in dunkler Nacht und fliehen, mit allem, was sie tragen können. Am nächsten Morgen kommen viele zur Quelle, sich Wasser holen, sehen den Toten, begraben ihn, sprechen tausend Gebete für ihn und, wer an dieser Stelle heute betet, ist darum sofort geheilt.
Viele Wunder haben sich an Ort und Stelle zugetragen, dass seine Frau, die davon in fernen Orten hörte, noch über spottete: „Gangolf verbringt ebenso Wunder, wie mein Hintern hübsche Lieder singt.“ Da ereilte sie in diesem Moment eine schändliche, doch verdiente Strafe. Kaum hatte sie die Worte ausgesprochen, ertönten aus ihrem Hintern unanständige Geräusche. Sowie sie seitdem auch nur ihren Mund öffnete, öffnete sich auch ihr Hinterteil und furzte laut und vernehmlich, dass alle Wesen das Weite suchten. Ihr Priester soll in solchem Wind bewusstlos geworden und umgekommen sein. – An der Stelle aber, da Gangolf zum Himmel auffuhr, soll heute die Gangloff-Kirche Hettstedts stehen. (einem Stadtführer abgelauscht & aufgeschrieben)
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R
asch stellten die Gläubigen, die zur Sonntagsmesse in die Gangolf-Kirche auf dem Kupferberg kamen, fest, dass der Gottesdienst dort seltsam erquicklich war. Natürlich tut der Dienst für Gott stets seine Wirkung, macht sanft und schön, gesund und strahlend, doch die Wirkung hier war verblüffend. Man saß bloß auf der Kirchbank, sang sein Lied, lauschte den Orgelklängen und alles im Leib fühlte sich um Jahre verjüngt! Das habe man dem heiligen Gangolf zu verdanken und dankte Gott für jede Wunderheilung. Es dauerte da nicht mehr lang und die Kranken aus allen Ländern pilgerten her, worauf die Freiherren von Arnstein an Ort und Stelle ein Hospital für kranke und alte Bergleute errichteten. Doch das war ein Problem mit der Genesung, denn wer hier oben saß, der war schon bald wieder gänzlich gesund und damit fähig, bis ins hohe Alter weiter unter Tage seine Pflicht zu tun. Das wollte nicht jeder und blieb lieber krank, ganz im Sinne des Mottos: „wenn ich liebreizend leidend bin, dann habe ich den Reingewinn, dass meine Lieben nach mir sehen, die schweren Wege für mich gehen!“ – Warum man hier wirklich rasch gesundet, könnte am unterirdischen Kupfer liegen. Dies Venusmetall stärkt das Immunsystem, wirkt krampflösend, entspannend und harmonisierend, verbessert sogar das Pflanzenwachstum und verkörpert Lebendigkeit, Schönheit und Sanftmut. Kein Wunder, dass die Jungfrauen, für die man auf dem Kupferberg später Augustiner-Kloster einrichtete, als die schönsten Frauen weit und breit galten!
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A
uch die Mönche des Klosters Hettstedts – die dem alten, wollüstigen Priester folgten, der sich einst an Gangolfs Frau vergangen hatte – sollen nicht sonderlich fromm, sondern gar „lustige Brüder“ gewesen sein. Sie gründeten kurzerhand eine Schäferbrüderschaft und forderten die Schäfer des ganzen Umlandes auf, am Tage Laurentii – den man am 10. August zu Ehren des Schutzheiligen der Hirten und Herden feiert – mit Weib und Kind zum Kloster zu ziehen und Abgaben zu leisten, damit die Tiere ihren Segen bekämen. Natürlich trachteten die Mönche eher danach, sich auf Kosten der Schäfer den Wanst vollzufressen, den Kopf zuzukippen, bis tief in die sinkende Nacht ein Fest der Wollust zu feiern, auf dem die Weiber zur Verlustierung wie Vieh rumgereicht wurden.
„Im Namen Laurentius“, hob der beschickerte Abt zu sprechen an, „der vom römischen Kaiser Valerian ausgepeitscht wurde, damit er endlich einsehe, den Kirchenschatz des Heiligen Vaters herauszurücken, will auch ich euch die Schätze Gottes geben. Laurentius verteilte einst das Gold unter den Armen und so will ich mit euch, meine lieben Brüder, diese goldgelockten Schätze teilen. Wein, Weib und Gesang! Mögen wir uns an den wahren Kirchenschätzen laben. Sollen sie auf ihren Knien vor uns Buße tun, auf dass es diesen armen Seelen im Fegefeuer Pein erspart!“
So sind also die Hettstedter Mönche besonders wegen ihrer „Freundschaft“ zu jungen Frauen berüchtigt gewesen. – So hat einer der Brüder eine schmucke Dirne in einem Bund Stroh ins Kloster schmuggeln wollen, doch das Bund ging auf und sie fiel im Klosterhof vor aller Augen zu Boden. Da lachten die anderen: „Ei, seht doch, Bruder Franciscus lässt das Korn fallen, ehe er es ausgiebig gedroschen hat.“ (nach Grässe)
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Ach liebes Hettstedt, sündiges Fleckchen Erde, … ärger als deine Mönche, trieb man‘s nur auf dem Kupferberg, der damals eigenständig war. Jeden Morgen bekam der Rat neue Sorgen vom ruchlosen Treiben der Schenke, die immerhin richtig „Sorge“ hieß. Diebe gingen ein und aus und auch Mörder – so wurden hier 1556 binnen kurzer Zeit vier Menschen ermordet – und Prostitution war das beste Geschäft. Darum heißt’s noch heute überall im Lande: „Sorgen soll man nicht mit ins Bett nehmen!“ Freilich weiß ich nicht, ob fromme Leute damit ausschließlich die Warnung vor den Dirnen dieses Sündenpfuhls „Sorge“ meinten!? 1490 gab‘s gar eine Weisung der Stadt, die den Bürgern bei Strafe verbot, auf dem Kupferberg Bier trinken zu gehen. Täglich sang der Ausrufer: „Hört ihr Leut` und lasst euch sagen, keiner soll‘s fortan mehr wagen, Sorgen in die Stadt zu tragen – Menschenwachen kann nichts nützen, Gott muss wachen, Gott muss schützen!“
Doch, verbiete etwas, und es wird gerade interessant. So fingen selbst die ehrbarsten Hettstedter bald an, sich bloß noch Sorgen zu machen und wer ständig über Sorgen brütet, dem schlüpfen sie auch aus! Es braucht schon gute Vorbilder, damit man von der Sorge ließe, doch selbst der Herr Bürgermeister ward darin gesehen … freilich „nur um zu schauen, ob’s mit rechten Dingen zugehe“, wie er jedermann schwor, der ihn darauf ansprach. Selbst der Pfarrer der Gangolf-Kirche war voller Sorge, also nein, er war voll oft in der „Sorge“, also volltrunken. Das Geld für Suff und Weib bekam er, weil er Kirchengeld verlieh, auf das er Zinsen nahm. Er habe keine Angst vor der Sorge: „Sorgen sind wie Gespenster, wer sich nicht vor ihnen fürchtet, dem haben sie nichts an.“ – Mit einer teuflisch leckeren Dirne sah man ihn oft im Beichtstuhl verschwinden, wobei er pfiff: „Heute hab‘ ich sorgenfrei, fühle mich sauwohl dabei!“ (nach Dr. Hartmut & Erzählungen alter Hettstedter)
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„Mein gutes Weib, welchen Wunsch hast du an mich zur Hochzeit? Ich will dir geben, was du begehrst“, versprach unser 1. Kaiser, Otto der Große, seiner lieben, soeben angetrauten Frau Adelheid. „So wünsche ich mir zur Morgengabe bloß Walbeck, jenen Ort hier, an dem wir uns in dieser wundervollen Nacht das erste Mal liebten!“ – „Walbeck? Ich schenke dir meine größte, reichste Stadt, du musst es nur sagen? Warum, um Himmels Willen, willst du bloß eine kleine Pfalz zu Eigen haben?“
„Es ist ein Ort der Liebe! Sieh dir seine Menschen an: sie pilgern zu ihrem Osterberg und begehen die alten Bräuche, die Sitten ihrer Vorväter, die du Götzenkult nennst. Liebster, bitte sieh sie dir an, leuchten nicht ihre Augen beim Niederlegen der Opfergaben, sind ihre Herzen nicht erfüllt? Dein Vertrauter, Markgraf Gero, rät dir, sie mit Feuer und Schwert unserem Gott zu verpflichten, doch schöner habe ich niemals Menschen zu ihren Göttern sprechen hören. Liebster, ich will sie nicht mit dem Schwert bekehren. Ich möchte, dass ihre Liebe weiter lebt, wie auch unsere Liebe ewig leben soll. Ich werde sie dazu bringen, anstatt auf ihrem Osterberg Feuer für Ostara zu entzünden, ganz Feuer zu fangen für unsere Pfalz, unsere Sache, denn ihr Glaube ist stark und solcher Glaube versetzt Berge!
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Wie die Regentin Adelheid endlich zurück auf ihrem Sitz Walbeck war, reifte in ihr in der weiten Stille ein fester Entschluss: „Meine Kinder sollen nicht solch eitle, weltunerfahrene Hofschranzen werden!“ Seit Monaten war sie mit ihrem Gemahl, dem Kaiser Otto, durchs ganze Land von Pfalz zu Pfalz gezogen und hat am Ende das dumme Getue und Pfauengestelze am Hofe kaum mehr ertragen können. So überzeugte sie ihren Liebsten, dass ihre Kinder sich erst als einfache Leute verdient machen sollten, bevor sie Gold, Land und Titel erbten. Freilich gefiel das nicht allen: Der Erstgeborene, Heinrich, würde mit seiner Klugheit schon überleben und Erfolg zu machen wissen. Otto, der Zweite, war jener, den man für seinen Fleiß bewunderte. Auch er hatte eine Menge Einfälle, was es wo zu tun gäbe und, wie Hand anzulegen wäre. Ihre Schwester Mathilde jedoch, da waren sich die Brüder einig, konnte im Grunde nichts außer hübsch lächeln. Sie würde noch am ersten Tage hungrig unter den Sternen schlafen müssen, am zweiten erschöpft wegen blutender Füße (die keine Märsche oder Jagdausflüge kannten) jammern und am dritten von Vagabunden entführt oder von Wölfen gerissen werden.
Wie nun die Zeit des Aufbruchs kam, streifte Adelheid jedem ihrer Kinder einen Bettelmantel über, doch gab sie auch einen prallgefüllten Rucksack mit Reiseproviant mit auf den Weg: „Jedem von euch hab‘ ich hierin eine Menge meiner Zeit gesteckt, geht sorgfältig mit ihr um, denn Zeit ist kostbar und mehr kann ich euch nicht geben!“ – Heinrich machte sich gleich beschwingt auf den Weg, um nicht viel Zeit mit schnöden Abschiedsworten zu verschwenden. Einzig einige Blümchen wagten es, sich seinen Sturmschritt zu widersetzen und fragten, ob er sie nicht bewundern und an ihnen riechen wolle.
„So weit käme noch mein Leben, mich mit euch abzugeben. Zeit ist Geld und ihr Blümlein verwelkt, noch während einer für euch schwelgt. Ich hab‘ lieber ein ertragreiches Feld!“ – Und so zog Heinrich weiter und hatte sich wenig später beim Rat von Hettstedt verdient gemacht und den Amtmännern gezeigt, wie man mit listigen Finten noch mehr Steuern aus dem Volk herauspressen konnte.