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Heutzutage gehen viele Menschen unachtsam über eine Waldwiese und sehen nur Unkräuter stehen. Vor hunderten Jahren hingegen wussten unsere Altvorderen noch sehr genau, dass gegen jede Krankheit ein Kraut gewachsen ist. Für jedes Wehwehchen hatten sie ihr oft geheim gehaltenes Hausrezept, und zu jeder Zauberpflanze kannten sie eine gute Geschichte: Weshalb der Teufel die Blätter des Johanniskrauts mit seinem Dreizack durchstieß und der Wegerich eigentlich ein verwandelter König ist; welche Pflanze vor Hexerei schützt und welche für starke Liebeszauber verwendet wurde! Ewige Schönheit, Weisheit und Glück? Ein leichtes Spiel für den, der weiß, welches Kraut wann und wie zu brechen ist! Mit den Harzer Kräutersagen ist erstmalig eine Sammlung von 70 Pflanzensagen entstanden, die sowohl Wissenswertes zur Heilanwendung, zum Glauben der Harzer Bevölkerung, Jahreszeitenrituale und viele altüberlieferte Anwendungs- bzw. Kochrezepte mit umfasst. Viel herzerheiterndes und kulinarisches Vergnügen also, mit dem Wissen unserer Ahnen!
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Seitenzahl: 204
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Einleitung
Vom Säen, Ernten & Essen
Augentrost
Bärlauch
Beinwell
Baldrian
Beifuß
Bilsenkraut
Blaubeere
Die blaue Blume
Brennnessel
Dill
Drachenwurz
Eibenbeeren
Fingerhut
Frauenmantel
Gänseblümchen
Giersch
Gundermann
Hagebutte
Himbeere
Himmelsschlüssel
Holunder
Hopfen
Huflattich
Johanniskraut
Kamille
Knoblauchsrauke
Kümmel
eberblümchen
Lilie
Löwenzahn
Lungenkraut
Märzenbecher
Maiglöckchen
Mohn
Ringelblume
Rose
Salbei
Sauerklee
Schafgarbe
Das Schneeglöckchen
Springwurzel
Stinkender Nieswurz
Tabak
Vergissmeinnicht
Vogelmiere
Wacholder
Waid
Waldbeeren
Waldmeister
Wegerich
Wegwarte
Wunderblume
Abschließende Worte
Literaturverzeichnis
Ortsregister
Danksagungen
Wie schön, dass Sie dieses Buch in Ihren Händen halten – denn es ist eines meiner Herzensanliegen, altes Wissen, welches in den Harzer Kräuter- und Blumensagen verborgen liegt, wiederzubeleben und als neuen Samen in die Herzen der Menschen zu pflanzen. Heute begreifen wir die Natur um uns herum viel zu oft als unbeseelt, nicht lebendig, doch unsere Vorfahren wussten noch, sich mit der Schönheit der Welt zu erquicken und sich die Heilkraft der Pflanzen zu eigen zu machen. Ja, sie meinten sogar, dass jedem Baum, jeder Blume und jedem Kraut eine Seele innewohnt, beschützt von einer Elfe.
Manche Kräutermuhme, die man später als Hexe diffamierte, wusste um die energetische Präsenz, um den Geist, welcher der großen Schöpfung im Ganzen und jedem kleinen Teilchen davon innewohnt. Diese „Weisen des Waldes“ konnten mit den Tieren und Pflanzen sprechen, sagt man; konnten zwischen der materiellen und der geistigen Welt reisen und heilten die Menschen bereits vor hunderten von Jahren mit dem, was die Pharmaindustrie erst heute langsam und kleinschrittig herausfindet. Die Kräuterfrauen wussten es sogar noch besser: Es ist nicht nur die separierte Wirkung eines Pflanzenbestandteils, die gesundmacht, sondern eben auch der Pflanzengeist, der in der Erde verwurzelt und an die Sonne gebunden ist und in seiner Ganzheit betrachtet und geehrt werden möchte.
Diese ersten, kurzen Sätze verdeutlichen Ihnen hoffentlich, dass dies kein wissenschaftliches Pflanzenbestimmungsbuch ist. Es ist ein Sagen- und Märchenbuch und erzählt davon, wie die Menschen in alten Zeiten den Pflanzengeist empfunden haben und an was sie glaubten. Auch wenn ich in diesem Büchlein zu einzelnen Kräutern altertümliche Rezepte darstelle, übernehme ich nicht die Haftung dafür, dass sie in Ihnen die gewünschte Wirkung entfalten. Hier sind keine Empfehlungen, keine Heiltipps, sondern lediglich alte Überlieferungen aus dem Harz und von bekannten Kräuterkundlern zusammengetragen worden!
Bei meiner Archivarbeit stieß ich auf unzählige „schwarzmagische“ Rituale und auf exakte Rezepte, wie man psychodelisch wirkende Getränke, Tinkturen und Salben herstellen könnte. Ich bitte um Verständnis, wenn ich darauf verzichte, diese hier wiederzugeben, auch wenn dies Teil eines Kräutersagenschatzes wäre. „Sagenhafter Harz“ dient, wenn man es so sagen will, der „weißen Magie“ und führt in diesem Rahmen nur Rezepte essbarer Pflanzen an.
Doch selbst hierfür übernimmt jeder für sich selbst die Verantwortung!
Ich esse z.B. nur jene Kräuter, die ich sicher bestimmen kann. Nach dem Verzehr achte ich darauf, wie es mir geht, wie sich mein Körper anfühlt. Von Straßenoder Feldrändern pflücke ich im Allgemeinen nicht. Jene Pflanzen sind oft mit Schadstoffen und Pestiziden verseucht. Außerdem weiß ich, wie viele Hundebesitzer hier mit ihren Tieren Gassi gehen. Auch in Naturschutzgebieten sammele ich nicht und bin mir bewusst, dass es Pflanzen gibt, die dem besonderen Artenschutz unterliegen und darum generell nicht gepflückt werden sollten.
Wie, wann und wo im Sinne der „Handstraußregelung“ („Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit“) den Überlieferungen nach gesammelt werden soll, erfahren Sie im Kapitel …
„… vom Säen, Ernten & Essen!“
Als ich mit meiner Familie in den Harz zog, womit uns plötzlich ein 1000 qm großes Grundstück zur Verfügung stand, hatte jedes Familienmitglied eigene Wünsche zur Gestaltung des Gartens und von dem, was man anpflanzen wollte. Wünsche, ohne Ahnung zu haben und ohne Achtsamkeit walten zu lassen, was der Ort sich wünschte und von uns erwartete. So pflanzten wir munter drauf los, um ein Jahr später festzustellen, dass die Hälfte des Angebauten keine Ernte brachte und die Hälfte von dem, was vor uns bereits im Garten wuchs, verdorrte. Das Grün um uns herum gehörte entweder grob in die Kategorie der Gebüsche oder in die der „Wiese“. Alles Grobe, grässlich Pieksende, stechend Hässliche wurde gemartert, als Unkraut herausgerissen und weggeschmissen. Ja, wir wussten damals, wir würden den Garten besser machen, schöner und reicher als zuvor und Gott ließ uns gewähren …
Ich würde es besser machen!
Einmal war ein Bauer aus dem Harzgau in solche Wut gegen Donar geraten, dass er die Fäuste gen Brocken und zum Götterberg hob und schrie, Donar solle sich wegen seines hohen Alters lieber in einen Lehnstuhl setzen und seine Rente genießen. Er selbst, als kleines Menschlein, würde die Aufgabe des Wettergottes wohl tausendmal besser erledigen, wenn man ihn nur einmal ließe und Donar solle dann von ihm die Wissenschaft des Ackerbaus erlernen.
„So?! Du kleines Menschlein würdest es also besser machen?“, sprach eine laute Stimme von oben herab und plötzlich stand Donar mit seinem Bocksgespann ganz leibhaftig vor dem eingeschüchterten Bäuerlein, blickte diesem aus festen Augen tief ins Herz und sprach weiter: „Gut, heute soll dein Glückstag sein, Mensch, den Versuch will ich dir gewähren!“ Ein ganzes Jahr lang hatte der Bauer nun Zeit, um den Göttern zu beweisen, dass er von seinem Beruf mehr verstand als „die da oben“. Und freilich, er bestellte beim Universum nur das Beste: Es regnete, wenn der Boden zu trocken wurde und die Sonne kam, wenn er es für nötig hielt.
Alle Überschwemmungen, Dürren, Brände, Käfer, harte Winde, alle Gefahren für die Ernte, alle zu heißen oder zu kalten Tage, die strich er einfach aus dem Jahr heraus. Und der Erfolg, der schien dem Bauern recht zu geben, denn der Weizen wurde höher als es jemals der Fall war. Über zwei Meter groß wurden die Pflanzen auf dem Felde. Alles war angenehm und rundum behaglich und als der Zeitpunkt der Ernte kam, da stand das Korn viermal höher als sonst. Aber als der Bauer die Ähren abschnitt, da waren gar keine Körner drin! - „Aber was ist das denn? Was war denn nicht richtig?“, fragte der Bauer verzweifelt. Und Donar antwortete: „Der Weizen hatte keine Herausforderungen, es gab keine Reibung. Du hast alles weggenommen, was „scheinbar“ schlecht ist – die Gewitter und die Stürme. Daher ist der Weizen unfruchtbar geblieben, die Seele in ihm konnte nicht wachgerüttelt werden.“ Der Bauer knickte hoffnungslos zusammen und fragte flehentlich: „Was soll nun werden aus mir und meiner Sippe? Wir werden nichts zu essen haben über den harten Winter!“ „Bauer, folge der Natur der Dinge, sie wird dich lehren, ihre Fülle zu sehen!“, sprach Donar mit einem gütigen Gesicht und war plötzlich von der Erde verschwunden.
Der Bauer aber blickte zum Himmel empor und sah über den Bergen des Harzes dicke Wolken, die sich auf sein Feld zuschoben, eine erste leichte Brise streichelte sein Haar, es würde wohl bald ein Gewitter geben, meinte er, und ein Lächeln umspielte dabei jäh seine Mundwinkel.
(aufgeschrieben von Kiehne in: „Mythen, Sagen und Märchen um und über Thale“)
Auch, wenn ich mir wirklich nicht anmaßen will, Gottes großen Plan verstehen zu können, habe ich doch mittlerweile begriffen, dass es „Unkräuter nur in den Köpfen von Unmenschen gibt“ (Andreas Tenzer)! Jedes Kraut hat seinen Sinn, schließlich heißt es, „gegen jede Krankheit sei ein Kraut gewachsen“ und mehr noch: Unsere Vorfahren glaubten tatsächlich daran, dass alle Natur belebt ist, dass Pflanzen Empfindungen haben und in den meisten Kräutern, Blumen, Sträuchern und Bäumen die Andersweltwesen (z.B. die Elfen) hausen. Die Kräutermuhmen, Hexen und Priester wussten sicher nichts von den chemischen Wirkstoffen einer Pflanze, vermochten es aber, den Geist der Pflanze anzusprechen. Auch über die Signaturenlehre kamen sie den Geheimnissen von Gottes Schöpfung ein Stück weit auf die Spur.
Zuletzt halfen aufwendige, zeitintensive Rituale, die Krankheitsdämonen (ja, jede Krankheit galt einst als Verhexung oder Fluch des Teufels) der Gläubigen zu vertreiben.
Unsere Welt krankt meines Erachtens daran, dass wir sie uns haben entzaubern lassen. „Wie soll mir der Wald oder irgendein Unkraut helfen, wieder gesund zu werden?“, höre ich manchen Skeptiker fragen, der wenig später nach einem Schulmediziner schreit, dort nach Tabletten und kostspieligen, hochtechnisierten Behandlungsmodellen bettelt und sich schließlich wundert, dass er trotz neuester Präparate der Pharmaindustrie und millionenteurer Geräte im Krankenhausbett einfach nicht gesund werden will. Nein, ich habe nichts gegen die Schulmedizin, die im akuten Krankheitsfall Gold wert ist. Doch ich glaube daran, dass unsere Seele oftmals über Jahre ganz geduldig flüstert: „Hey, ich glaube Du bist auf dem Irrweg, bist aus Deiner Mitte ‚verrückt‘! Deine Gedanken haben so wenig mit ‚Danken‘ zu tun, auf Deinen Schultern lastet ein so sorgenschwerer Kopf, und eine Etage tiefer hat die Angst Dein Herz fest verschlossen. Wach auf, ach, wach‘ doch bitte wieder auf!“ – Verstehen wir die leisen, feinen Zeichen nicht, wird unser Körper das Sprachrohr unserer Seele (vgl. Rüdiger Dahlke). Betäuben wir dann die Kopfschmerzen mit Tabletten, die Müdigkeit mit Koffein, die Unzufriedenheit mit Alkohol, sind wir selbst schuld, wenn der Körper uns irgendwann durch Migräneanfälle oder Hexenschuss anschreit und mit dem Infarkt den Notausknopf drückt!
Wie ich diese Zeilen schreibe, sitze ich in meinem gepflegten, aber naturbelassenen Garten mit Blick auf den kleinen Teich und die dahinterliegende Kräuterspirale und bin so unendlich dankbar, mit diesem Büchlein vielleicht dazu anzuregen, wieder vermehrt die Umwelt wahrzunehmen, mit dem Lauschen der Sagen auch die Seele wieder flüstern zu hören und den Kräutern achtsamer zu begegnen. Ich möchte wahrlich nicht, dass Sie alles glauben, was Sie lesen, aber vielleicht haben Sie Lust und sind neugierig darauf, mit mir und dem Wissen unserer Ahnen zu experimentieren!? In diesem Büchlein sind für die meisten essbaren Pflanzen alte Rezepte aufgeführt. Probieren Sie nun Folgendes: Denken Sie einmal ganz fest an die größte Herausforderung, die sich gerade jetzt in Ihrem Leben auftut! … Haben Sie ein Thema gefunden? Eine Frage vielleicht, die Sie seit geraumer Zeit beschäftigt, worauf Sie keine Antwort wissen? Gut! Bitten Sie nun von ganzem Herzen darum, dass Ihnen die Lösung offenbart wird … und dann schlagen Sie das Buch an einer x-beliebigen Stelle auf. Welche Kräutersage wird auf dieser Seite erzählt und, was hat sie mit Ihrem Thema zu tun? Und um welches Heilkraut handelt es sich? Passt die Wirkung der Pflanze womöglich zu Ihrem gesundheitlichen Befinden?
Wenn ja, haben Sie sicher Interesse daran zu erfahren, wie Kräuterkundige es Ihnen einst geraten hätten, sich eben jenes Heilkrauts zu bedienen:
Suchen Sie die Kräuter in heiliger Nacktheit, nur mit den vier Winden bekleidet (Von diesem Teil sollte vielleicht abgesehen werden, wenn Sie nicht wegen „Erregung öffentlichen Ärgernisses“ verklagt werden wollen!), …
In Zeiten des zunehmenden Mondes („Man soll ab Neumond Kräuter und Tau einsammeln, weil sie dann frisch und lauter sind“ (Perger) und weil „der aufsteigende Mond die Lebenskräfte der Pflanze in den oberen Blatt- und Blütenbereich zieht“. Die Wurzel allerdings bekäme beim abnehmenden Mond ihre Kraft. Hier sollten auch Früchte angebaut werden, die unter der Erde wachsen (wie Karotten oder Kartoffeln), oder „Unkräuter“ gejätet werden. Bei Vollmond nimmt nur die Wässrigkeit der Pflanze zu. Die Mondsichel hingegen wäre ein himmlisches Zeichen, dass die Kräuter geschnitten werden sollen. Der Neumond, so der weltbekannte Bestsellerautor und Ethnobotaniker Wolf Dieter Storl, enthalte die ganze angesammelte, gestaute Mondkraft …
Zu einer der vier magischen Tageszeiten (Pflanzen, die magisch wirken und heilen sollen, sammelte man, wenn der Morgen oder der Abend dämmerte, mittags oder bei Mitternacht; Lebenbringende Heilkräuter dabei immer zur taufrischen Morgendämmerung) …
Vom Westen her (Blick gen Sonne) gehen Sie auf die Pflanze zu, sprechen Sie eine Zauberformel (wie: „Heiliges Kraut ich bitte dich, nimm meinen Dank und heile mich!“); spüren Sie gut in sich hinein (ob das Kraut auch bereit ist, gebraucht zu werden) und brechen es achtsam mit der linken Hand (sie ist dem Herzen näher) ohne eisernes Gerät …
Mit aufrichtiger Hingabe und Dankbarkeit oder durch eine Opfergabe gleichen Sie den Ort energetisch aus …
Bei alledem achten Sie aber die Bauernregeln (z.B.: Schneid‘ das Kraut, bevor es Judas klaut!“ – 28.10.) – ab dem Fest Samhain oder Halloween sollten Sie nicht mehr sammeln. All das, was jetzt noch wächst, ist den Wesen der Natur und den Andersweltlichen bestimmt!
Wenn das Geerntete nun vor Ihnen liegt, freuen Sie sich mit kindlicher Neugier darauf, was Ihnen bei der Zubereitung und beim Verzehr begegnet. Lassen Sie jeden Arbeitsschritt viel langsamer und achtsamer als sonst erfolgen, kauen Sie häufiger.
Welche inneren Bilder steigen in Ihnen auf, welche Erinnerungen und Gedanken? Ich glaube, nichts davon geschieht zufällig, alles dient dem großen Ganzen, z.B. Ihrer Heilung!
Sie dürfen sich natürlich auch entscheiden, dass alles überhaupt nichts mit Ihnen zu tun hat und, dass das oben Gesagte lediglich ein Märchen ist! Dann wünsche ich Ihnen trotzdem viel Vergnügen mit dem Lesen & Lauschen unserer „Kräutersagen“!
Harz’liche Grüße, Ihr Sagen- & Märchenerzähler Carsten Kiehne
Kräuter & Blumen
Wie die Augenquelle heilt
Vor vielen Jahren hütete der Schäfer Konrad seine Tiere wie eh und je im Luttertale. Entspannt lehnte er sich an eine der hohen, alten Buchen, kaute an seinem trockenen Vesperbrot und wünschte sich bald einen Schluck Wasser. Aber ach, er hatte seine Feldflasche zuhause vergessen und nun dürstete es ihn gar sehr, zumal es ein überaus warmer Augusttag war. Aber nicht nur der Durst machte ihm zu schaffen. Wenn die Hitze wie heute den Horizont aufflimmern ließ, dann verquollen seine Augen und er sah nur noch verschwommen. Welch ein Glück, dass seine Hunde die Herde stets zusammenhielten und wie sein zweites Augenpaar waren. „Es sind wahrlich treue Gefährten.“, dachte er. Einmal, als er sich eine schlimme Augenentzündung zuzog und er mit seiner Herde nahezu blind im Walde saß, vermochten sie es, ihn und die Schafe sicher nach Hause zu führen.
Wie er gerade angestrengt überlegte, wie er es anstellen könne, zur nächsten Quelle zu gelangen, ohne seine Hirtenpflichten zu vernachlässigen, da berührte ihn etwas an der Schulter.
Er wandte sich um und sah verschwommen in ein steinaltes Antlitz eines Bergmannes. „Ich bin der Bergmönch Cölestin.“, sprach der Alte, „Und weil ich dich lange schon im Auge habe und du gut zu deinen Tieren bist und, wer ein Herz für Tiere hat, auch gut zu allen Menschen ist, so will ich dich beschenken.“
Und wie er das sagte, hieb er mit seinem Hammer gegen einen ganz und gar metallisch klingenden Felsen. Kurz darauf vernahm der Schäfer ein Glucksen und plötzlich sprudelte aus dem Stein ein munterer Quell hervor. Unablässig floss ein kleiner Strom gen Tal und der Schäfer griff ins kalte Nass und führte sich das Wasser zum Munde, ganz so, als müsse er sich mit allen Sinnen von der Echtheit dieses Wunders überzeugen.
„Ja, es schmeckt wunderbar, nicht?!“, bekräftigte der Bergmönch und fügte hinzu, „Doch dieser Quell vermag weit mehr, als nur den Durst zu stillen. Höre zu, Konrad: Schöpfst du im Morgengrauen aus der Quelle Wasser und setzt es mit Augentrost und Breitwegerich an – sieh, die Kräuter wachsen überall um dich herum – und tröpfelst es abends Augenkranken in die Augen, so wird es sie heilen.“
Man müsse dieses Ritual vom ersten bis zum letzten Viertel des Monats wiederholen, betonte der Bergmönch noch und war so schnell, wie er gekommen war, plötzlich verschwunden. Der Schäfer Konrad befolgte die Anweisungen des guten Geistes, bereitete das Augenwasser, heilte sich selbst und viele andere Augenkranke ebenso. Noch heute fließt das Wasser der Augenquelle bei Bad Lauterberg allen Kranken zum Wohle.
(aufgeschrieben von Kiehne in „Sagenhafter Südwestharz“)
KRÄUTERWISSEN ZUM AUGENTROST
Den Sommer hindurch wurde das Heilkraut als ganze Pflanze gesammelt und bei folgenden Beschwerden eingesetzt: Bindehautentzündung, überanstrengte Augen, Gerstenkorn, Magenbeschwerden, Halsschmerzen, Husten, Heiserkeit und Erkältung.
ANWENDUNG
Aufgrund seiner Wirkung kam das Augentrostkraut oft zur äußerlichen Anwendung in Form von Auflagen und Umschlägen bei Augenentzündungen, Bindehautentzündungen, Gerstenkorn, müden und überanstrengten Augen oder bei Augenbrennen (z. B. bei Heuschnupfen) zum Einsatz.
Die innerliche Einnahme eines Tees wurde bei häufigen Infekten und Erkältungen (Schnupfen, Husten, Heiserkeit und Halsschmerzen) oder bei Verdauungsbeschwerden empfohlen.
TEE
Ich übergieße 1 EL getrocknetes oder 2 EL frisches Augentrost-Kraut mit einem halben Liter kochendem Wasser & lasse den Aufguss 10 Minuten lang ziehen. Diesen Tee trinke ich über den Tag verteilt.
(aufgeschrieben von Sabrina Kiehne)
Vom Lustgeruch im Brühl
Alle Klöster Quedlinburgs waren einst durch Tunnel miteinander verbunden, und wenn des Nachts der Teufel Herr über Geist und Leib ward, war es ein Leichtes, für einige Stunden aus dem klösterlichen Leben auszubrechen. Vielleicht war es sogar ein Fingerzeig Gottes, dass viele Tunnel direkt im Brühl, dem Lustwäldchen, aufeinandertreffen? Vielleicht mochte es der Herr im Himmel, wenn seine Diener die Liebe zum Nächsten ganz sinnlich feierten?
Zumindest heißt es, Mönche und Nonnen hätten sich im Brühl getroffen, um über heikle Themen horizontal zu philosophieren. Ja, besonders Wissbegierige sollen sich dieser Diskussion ganz und gar ergeben haben und mit ihren Leibern gepredigt haben. Die Äbtissin des Kloster St. Marien auf dem Münzenberg Quedlinburgs aber, bekam Kunde von diesem „unschicklichen und verruchten Treiben“ und ließ überall an der Bode den Bärlauch anpflanzen. Nun würde man die unsittlichen Brühlgänger am unverkennbaren „Lust-Geruch“ ihrer Kutten erkennen und könne sie zum Bußgebet in ihre Kammern sperren.
Wirklich Abhilfe tat die Anpflanzung des Bärlauchs aber wohl nicht, gestand doch die fromme Äbtissin Bertrade 1277, dass sie „mit herzlichen Tränen die Verworfenheit des Ordens“ betrauern würde.
Ach, sie wusste wohl nichts von der Wirkung des Bärlauchs. Nicht umsonst ist der Bär dem Namen des Heilkrauts vorangestellt. Bärlauch mache bärenstark, ahnten die keltischen Krieger und verzehrten deren Blätter in Menge vor einer Schlacht. Aber nicht nur die grobe Manneskraft bekommt durch das Heilkraut einen Schub, heißt es. Bärlauch belebe Geist und Körper, vertiefe die Sinnlichkeit und wirke fruchtbarkeitsfördernd, wussten die alten Kräutermuhmen.
So nahm das ruchlose Treiben seinen Lauf, bis von den Ordensregeln, die einst ein Klosterleben heiligten, nichts mehr übrigblieb. 1333 unseres Herrn schrie die Sünde der Nonnen zu den Sternen. An diesem Tage verfinsterte sich die Sonne, das Wasser des Münzenberger Brunnens erwuchs zu einem tobenden Strom und, bevor man wusste was geschah, ward schon das gesamte Kloster in einer gewaltigen Sintflut vom Berg gespült. – Heute kann man vom Kloster St. Marien nur noch die Kellergewölbe besuchen, die aber sind absolut sehenswert, wie der Brühl, der gerade jetzt voller Bärlauch steht. Und auch die Liebespaare gibt es noch, die im Lustwäldchen, in den lauen Frühlingsnächten angeregt über die Liebe philosophieren!
Übrigens befahl schon Karl der Große in seiner Landgüterverordnung „Capitulare de villis vel curtis imperii“, dass in jedem Garten der kaiserlichen Güter unter anderem Bärlauch angepflanzt werden müsse.
(aufgeschrieben in Kiehne: „Die schönsten Sagen aus unserem Quedlinburg“)
REZEPT
PESTO AUS BÄRLAUCH (ODER GIERSCH)
ZUTATEN FÜR 1 GLAS:
1 Handvoll Bärlauch oder Giersch (junge Blätter verwenden)
(6 Zehen Knoblauch bei Giersch-Gerichten > bei Bärlauch weglassen)
100g geriebener Ziegenkäse (z.B. vom Sophienhof )
1 Tasse Olivenöl
2 El Sonnenblumenkerne (gesalzen oder ungesalzen)
Salz & Pfeffer
ZUBEREITUNG:
Den Bärlauch (oder Giersch) waschen, trocken schütteln und von dicken Stängeln befreien. Die Kräuter (und ggf. den Knoblauch) fein hacken. Die Sonnenblumenkerne mit etwas Öl anrösten, ggf. salzen.
Alle Zutaten in einer Schüssel mit dem Ziegenkäse mischen. Das Olivenöl nach und nach unterrühren bis alles gut vermengt ist.
Mit Salz und Pfeffer nach Geschmack würzen. Pesto etwa 1 Stunde bedeckt ziehen lassen. Danach das Pesto in ein verschließbares Glas füllen und mit Öl überdecken.
Bei geringem Verbrauch das Glas immer wieder mit Olivenöl auffüllen, bis die Pesto bedeckt ist und kühl lagern!
(aufgeschrieben von Sabrina Kiehne)
Beinwell als Reisegesell
„Soll nun auch mein Sohn, wie das Großväterchen, der Vater und mein geliebter Gemahl durch die Klinge eines Schwertes sterben?“, wehklagte eine Mutter aus dem Flecken Blankenburg, die wieder einmal mit ansehen musste, wie die jungen und alten Männer aller umliegenden Höfe ihr Rüstzeug schnürten. „Ist es denn keinem der Männer unseres Hauses vergönnt, am Lebensabend selbst den Tag zu bestimmen, an welchem man sich auf den Pfad zum Herrn im Himmel macht?“, schluchzte sie, worauf die Alte, die hinten im Hause nahe der Feuerstelle am Spinnrad saß, sagte: „Schick‘ das Mathildchen noch heute zum Grabe meines Oheims nach Veckenstedt, zu dem wir so oft gingen und trauerten. Lass sie schauen, welche Gottespflanze auf dem Totenbett unserer Lieben unter diesem Monde wächst, dann wissen wir mehr!»
Es war ein zwei Tage währender Ritt, von dem die junge Mathilda Freude strahlend nach Hause kam. „Mütterchen, Großmütterchen ... - Seht, welche Pflanze auf dem Grabe stand!“ – „Hast du auch vom rechten Grab gepflückt?“, fragte die Alte mit Nachdruck, „Du weißt: Das Kraut vom falschen Grab genommen, wird der Schnitter dich holen kommen!“ – „Alles rechtens, Großmütterchen!“, sagte das Mädchen, „Ich weiß genau, wo unser Ahnherr liegt: Unter der alten Birke, auf dem östlichsten der drei Hügel, auf dem der große Feldstein, der unser Zeichen trägt, noch immer liegt!“
„Dann ist alles Recht und Gott ist gnädig. Sieh Tochter, Mathildchen hat den Beinwell gepflückt. So wird dein Sohn wohl in der Schlacht verletzt, aber mit dem Kraut rasch wieder heil werden und ganz sicher überleben! Lass deine Trübsal fallen, wir wollen feiern, den Göttern danken und auf den Sieg bauen!“
So ritt der junge Mann fürwahr vollen Vertrauens in die Schlacht, sah viele seiner Gefährten sterben, doch kämpfte wacker weiter, trotz mancher Verwundung. So in Gottes Zeichen vertrauend, errang er für seinen Feldherrn den Sieg. Sein gebrochenes Bein ward mit dem Beinwell versorgt, heilte zusehends und selbst die Heimreise stand unter einem guten Stern. Es heißt ja nicht umsonst:
„Trägst du den Beinwell als Reisegesell, liegt auf all deinen Wegen Gottes Segen!“
Der Zwerg im Bodetal
Der uralten Linde am Bodekessel gegenüber wohnte in einer Felsenschlucht ein wohltätiger Zwerg. In der Nacht legte er den Menschen oft heilende Kräuter bereit, den Beinwell zum Beispiel, wenn er furchtbare Schicksale erahnte. Die Arbeit der armen Holzfäller und Flößer war hart und gefährlich. Oft genug kam es zu schlimmen Quetschungen und Brüchen. Baten die Waldarbeiter aber zwölf Stunden vor ihrem Tagwerk um Segen und Hilfe, dann ward diese Bitte vom Zwerg gewährt.
Der Zwerg aber gedachte den Menschen auch zu helfen, indem er den Thalensern heimlich Krankheiten anband. Ahnte er einen schrecklichen Unfall voraus, ließ er die Menschen, die darin umkommen würden, in der Nacht fieberträumen. Doch einige spürten nicht den prophetischen Charakter des Traumgewebes, kamen doch zur Arbeit und ließen wie vorhergesehen in der wilden Tiefen der Bode ihr Leben.
(aufgeschrieben von Kiehne in: „Mythen, Sagen und Märchen um und über Thale“)
Bruner Daust un Baldrian
Ein junger Bursche aus Scharzfeld wollte zur Walpurgisnacht die Hexen reiten sehen und ihren heimlich-nächtlichen Flug beobachten. Tief ging er in den Wald hinein, um sich an einem Kreuzweg nahe des großen Knollens zu verstecken. Hier hätte er beste Sicht, um den aus den tiefen Tälern kommenden und zum Brocken ziehenden Weibern untern Hexenrock zu schielen, dachte er und lachte in sich hinein. Rasch band er sich einen Kranz aus Dost und Baldrian kreuzweise um Kopf und Leib, stach auch ein Stück Rasenfläche aus und setzte es sich zur Tarnung auf.
Kurz vor Mitternacht kam des Teufels Brut, wild lachend und johlend auf Besen, Tieren und Klapperstöcken durch die Lüfte daher geritten. Auf dem Kreuzweg bemerkten sie den Burschen, schossen wie die Blitze vom Himmel herab und umflogen den seltsam ruhig bleibenden Jüngling. Die älteste Hexe wunderte sich sehr, dass ein Mensch in ihrer Gegenwart furchtlos blieb, stieg vom Besen an und näherte sich ihm bis zu drei Schritten. Blutunterlaufene Augen schielten den Burschen aus einem ganz und gar entsetzlichen Antlitz an, doch selbst ihr „böser Blick“ vermochte es nicht, in ihm das gewohnte Entsetzen hervorzuzaubern. Endlich bläkte sie: „Härrest du nich brunen Daust un Baldrian, sau wolle ek öwel dek tau Klange gahn!“
Die Hexenschar feixte, tobte auf und schrie, sie würden den Burschen schon irgendwann und irgendwo im Tale wieder zu Gesicht bekommen. Dann würde es ihm schon leidtun! Ach, es tat ihm jetzt schon leid, so neugierig gewesen zu sein. Heilfroh war er bloß, dass die besagten Kräuter wirklich vor den bösen Geistern schützten. Als die Hexen endlich weitergezogen waren, wunderte er sich aber doch über seinen ruhigen Puls. Ihm war fast so, als würde die Begegnung mit der Friedel in Scharzfeld, die er heimlich liebte, sein Herz in größere Aufruhr versetzen, als dieses lebensgefährliche Unterfangen gerade eben.
(aufgeschrieben von Kiehne in „Sagenhafter Südwestharz“)
KRÄUTERWISSEN ZUM DOST UND BALDIRAN