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Der Westharz besticht mit der Einmaligkeit seiner Bergstädte, den Besucherbergwerken und dem Oberharzer Wasserregal, das nicht umsonst das Prädikat Weltkulturerbe erhalten hat. In den einst tiefsten Stollen der Welt - die Bergleute gruben sich hier bis weit unter den Meeresspiegel - wurde nach Gold, Silber und Erzen gegraben; in manchen sagt man, seit mehreren tausend Jahren. Im Westharz wurde Bergbaugeschichte geschrieben, das Dynamit und das Drahtseil, die Wasser- und Fahrkunst erfunden und noch heute gelten Bergleute, die in Clausthal am Institut für Bergbau ausgebildet wurden, als die besten der Welt! Wen wundert es da, dass es im Westharz eine ganz eigene Sagenlandschaft, tiefsinnige Geschichten gibt, um Zwerge, den guten Geist der Berge (den Bergmönch), um Hexen und seltsame Fabelwesen!? - Hand in Hand mit den Gebrüder Grimm und in ihrem Geiste, erforschten berühmte Sagenerzähler, wie Pröhle, Grässe, Ey, Eichler, Cramm oder Heinzmann die Region, sammelten Sagen und schrieben sie nieder. Bücher, die heute kaum mehr jemand kennt. So geraten viele der hiesigen Sagen leider ins Vergessen. Dieses Werk möchte die altüberlieferten Geschichten also wieder aufleben lassen, auf dass sich noch unsere Kindeskinder am Schatz der Westharzsagen erfreuen können!
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Seitenzahl: 328
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Carsten Kiehne gehört seit vielen Jahren zu den renommiertesten Kennern der Harzer Sagenwelt. Als Autor und Herausgeber vieler Bücher wie „Kräutersagen aus dem Harz", „Sagenhaftes Glück" & „Bäume – heilig & heilsam" sowie TV- Auftritten wie im ZDF & MDR ist er überregional bekannt. Als Initiator der Interessensinitiative „Sagenhafter Harz" gibt er Workshops und Führungen zum Thema im gesamten Harz. (Dipl.SozPäd., Psychotherapeut HP, Reikimeister & Meditationslehrer)
Einleitende Worte
Sagen von Bad Grund
Sagen von Buntenbock, Kamschlacken & Riefensbeek
Sagen von Clausthal-Zellerfeld
Sagen von Altenau
Sagen von Wildemann
Sagen von Hahnenklee
Sagen von Wolfshagen & Lautenthal
Sagen von Gittelde
Sagen von Seesen
Literaturverzeichnis
„Wenn du mich fragst, ist das größte Wanderglück,
stets ein sagenhafter augenblick!“
S eit fast 15 Jahren arbeite ich nun als Sagensammler und Erzähler, schrieb bisher über 30 Bücher zu den Harzer Sagen und wundere mich trotzdem noch häufig, wenn ich einen Landstrich kennenlerne, der einen riesigen Reichtum an Sagen vorzuweisen hat. Aus meiner Erfahrung weiß ich: gibt es von einem Ort viele Geschichten, hat er nicht nur eine übermäßige spannende Geschichte. Er hatte und hat zudem bei den hier ansässigen Menschen seit jeher eine enorm hohe Bedeutung und wurde sicher früh kulturhistorisch besiedelt. Im Ostharz, genauer gesagt, im Mansfeldischen Land, gibt es seit 6.000 Jahren einen prähistorischen Bergbau. Dort haben Bergleute nachweislich bereits in der Jungsteinzeit nach Feuerstein gegraben. Wie alt der Bergbau im Westharz ist, weiß ich nicht zu sagen, wohl aber, dass er in vorchristlichen Zeiten schon bedeutend gewesen sein muss, sonst hätte Bonifatius, einer der bekanntesten christlichen Missionare, hier sicher nicht die alten Götzenbildnisse zerschlagen und sich auf dem Gebiet des heutigen Clausthal-Zellerfelds eine Kloster-Zelle („Cella“) errichtet, daher soll nämlich die Bergstadt ihren Namen haben. Auch Clausthal könnte von einer christlichen „Klause“ herstammen.
Spannend ist es auch, sich die anderen Ortsnamen des Westharzes anzuschauen: „Wildemann“ zum Beispiel könne man von den Wilden ableiten, die hier einst hausten, manche nennen sie schlicht Heiden oder Ungläubige. Die Sagen sprechen davon, dass diese Wilden noch sehr verwurzelt waren auf Mutter Erde; dass sie die gesamte Natur als beseelt empfanden. Tatsächlich kann der Sagenliebhaber nirgends sonst eine solche Fülle von Geschichten über die Andersweltwesen finden, wie im Westharz. Hier gibt es neben der Erdmutter Frau Holle, die Moosleute, die Elfen, Elementargeister, Kobolde, uvm.!
Unter Bad Grund hat der Zwergkönig Hübich seinen „Urgrund“, sein Zuhause, wer ihn zum Freund gewinnt, fühlt sich grundlos glücklich! Über Lautenthal würde die Frau Holle ihre Laute spielen. Wer diesen sphärischen Klängen lauscht, der wähnt sich im Himmel, wäre verjüngt! In Hahnenklee hätte auf der Bockswiese ein Hahn (ein Tier, das in hundert Harzer Sagen den Teufel, den wilden Bock, bezwingt) einen Schatz ausgescharrt. Andere sagen „Hahnenklee“ komme von „Hoher Klippe“, einem Brautstein … und wieder kommt die Holle ins Spiel, die hier ihren schönsten Thon habe. Der Bock findet sich in Buntenbock wieder – einer Ortschaft, die wie keine Zweite vor Krafttieren und Spukmonstern strotzt.
Den Namen Altenaus könne man herleiten von den Alben (Elfen oder Albenheim, damit Albenau) oder eben von den Wesen, „die nicht altern“ (germanisch:„alden“), die Glück (german. „auda“) und Wohlstand bringen! Das „Hagen“ in Wolfshagen, stamme von einem Heiligen Hain, in dem Priesterinnen an besonderen Tagen im Jahr, bewacht von den Wölfen Odins, ihre Zauberrituale abhielten! - Natürlich finden sich für all diese Orte auch ganz profane Namensdeutungen und Interpretationsversuche. Spannend finde ich diese Vielzahl von Bezügen zu „Übernatürlichem“ aber allemal!
Bekannteste Sagenerzähler waren im Westharz zuhause oder sind hier auf Bildungsreise monatelang eingekehrt: Karl-August (wohnhaft in Clausthal-Zellerfeld); Heinrich Pröhle (Bildungsreise in Zellerfeld), Gebrüder Grimm (Luftkur & Recherche); Albert Gillwald (wohnhaft in Osterode); Otto Zander (wohnhaft in Pöhlde); Wilhelm Busch (wohnhaft in Seesen), Elisabeth Berg (wohnhaft in Goslar) und sicher viele andere!
Bitte, liebe Leserin oder lieber Leser, mache dir selbst ein Bild von dem einmaligen Sagenschatz des Westharzes. Begib dich wandernd auf die alten Pfade, auch unter Tage und spüre dich hinein, in die Wunder, die deine Ahnen schon am eigenen Leib erfuhren – eine Reise, die sich lohnt!
Dein Sagenerzähler Carsten Kiehne
Tief unterm Hübichenstein, in einem weitverzweigten Netz von Gängen, Räumen, hohen Felsensälen, da wohnt der Zwergkönig Hübich mit seinem Volke. Zu allen Zeiten war’s dort ein lustiges Treiben, das wenig Not kannte, denn die kleinen Wichte hatten zum Leben mehr als genug. So viel besaßen sie, dass sie notleidenden Menschen noch immer etwas von ihren Schätzen abgaben. Silbernes und goldenes Geschirr verliehen sie zu Kindtaufen und Hochzeiten, man musste es nur wohlbehalten und reinlich nach dem Feste zurück vor den Hübichenstein stellen. Auch mochten‘s die Zwerge, wenn man ihnen Speisen brachte, um Dankbarkeit zu bekunden.
Einmal aber, da kam Kriegsvolk nach Grund und hat aus Spaß dem Hübichenstein seine Spitze abgeschossen. Da warnte der Zwergkönig seine Menschenfreunde unten in der Bergstadt, dass wenn der große Fels durch Menschenhand zum Kleinen wird, sich die Zwerge nie wieder zeigen dürften. Da versuchten die Grunder alles dranzusetzen, die Soldaten davon abzuhalten, den Stein zu beschießen, doch es war zu spät. Das Brechen und zu Talkollern eines großen Teils des Felsens hörte man weit umher. Die Schützen feierten, als ob‘s ein Sieg gewesen wäre, zogen ab, nahmen aber einen Schatten auf ihren Seelen mit, der ihnen fortan auf Schritt und Tritt als Unglück folgte. Keiner von ihnen überlebte das Jahr nach dieser Zerstörung.
Nur solche Menschen, die reinen Herzens sind und Rat suchen und sich dem Zwergreich achtsam nähern, jene lassen die Zwerge wissen, dass sich unter den Füßen, tief im Felsen, noch einiges regt und strebt. So stand einmal eine schöne Frau am Fuße des Felsens. In ihrer Brust schlug ein gutes Herz, auch wenn sie oft schwer am Leben zu tragen hatte. Der Zwergkönig lud sie ein, näher zu kommen, in eine der Höhlen hinabzusteigen und sein verborgenes Reich zu betreten. Niemals hätte sie gedacht, dass es tief unten im Berge so hell sein könnte. Überall glitzerte es an den Wänden, die schönsten Kristalle und Reichtümer, wohin das Auge sah. „Nimm dir, was du begehrst!“, sagte Hübich und sie, sie nahm statt des ganzen Goldes, der Krone, der diamantenen Kette, ein winziges, steinernes Herz, das ihr vor den Füßen lag. Man sah wohl, dass es unter allem Dreck ein wenig glänzte. „Warum wählst du dieses schnöde Kleinod?“, fragte Hübich verwundert, „Wäre dir nicht mehr mit größerem Reichtum geholfen?“ –
„Nun vielleicht!? Doch dieses winzige, schmutzige Herz steht mir gut zu Gesicht, es passt zu mir und es wird mir helfen, mich täglich an die Wunder dieser Welt zu erinnern, mich täglich selbst von altem Schmutz zu befreien, um Licht in die Welt zu bringen!“ – Da strahlte Hübich und sagte: „So sei es!“ – Ich habe sie gesehen, wie sie nach diesem Schwur, das Reich der Zwerge verließ. Fast war mir so, als trage sie ein Gewand ganz aus gewobenem Sonnenschein!
Auch ich war einmal unten in den Höhlen, dem Zwergkönig und den Seinen, Ehre zu erweisen. Sehen ließ sich keiner der kleinen frohgemuten Wichte, doch spürte ich ihre kindliche Kühnheit, ihren wonnewarmen Witz. Ich wusste davon, dass sie Geschenke mögen, darum brachte ich ihnen Glühwein mit, einen ganzen Kessel voll. Da hörte ich aus dem Inneren der Felswände: „Nun darf er sich trollen, der feingeistige Troll, nur lasse er bloß den Kessel stehen!“ – von irgendwoher kicherte es – „Fort nun, Mensch, sag ich, Zeit ist’s das Opfer anzunehmen!“ – Kaum hatte ich die Höhle verlassen, hörte ich ein Trippeln und Trappeln, ein Kichern und Klappern und ein sich Zuprosten, dass mir das Herz in der Brust vor Freude hüpfte. – Am anderen Morgen war die Höhle leer, der Kessel Glühwein auch und es war mir, als hörte ich es aus allen Ecken wohlig schnorcheln. So lehrte mich der Besuch des Hübichensteins, mich meiner guten Freunde zu erinnern, für jeden Tag froher Gesellschaft dankbar zu sein und Freude in den kleinen Dingen zu finden!
Vor langer Zeit wohnte der Zwergenkönig Hübich in einer großen Höhle unter dem Hübichenstein. Er hatte einen grauen Bart und ein runzliges Gesicht, war aber den Menschen gegenüber freundlich und hilfsbereit. Nur wer ihn beleidigte oder seinen Felsen bestieg, wurde hart bestraft. – Dennoch ging eines Tages der Sohn des Försters aus Grund mit seinen Freunden aus eben diesem Grund zum Hübichenstein. Er wollte den Kameraden imponieren und erkletterte trotz mehrfacher Warnung den Kalkfelsen. Von dort oben prahlte er mit seiner Leistung, doch König Hübich war verärgert und zauberte den Mann am Felsen fest, so dass dieser keinen Schritt mehr tun konnte. – Als sein Vater davon erfuhr, war er sehr betrübt und eilte zum Hübichenstein hinaus. Dort sah er oben tatsächlich seinen einzigen Sohn dem Tode geweiht und konnte ihm nicht helfen. Ein Unwetter zog herauf und die Leute aus Grund mussten den verzweifelten Förster mit Gewalt nach Hause schaffen.
Um seinen Sohn von den Qualen zu erlösen, fasste der Förster den Entschluss, ihn in der kommenden Nacht mit seinen Gewehr vom Felsen herunterzuschießen. Tief betrübt machte der Mann sich auf den schweren Weg. Unterwegs traf er ein altes Männlein, welchem er sein ganzes Leid klagte und bedauerte, nicht gemeinsam mit seiner Frau gestorben zu sein, um dieses Unglück nicht mehr miterleben zu müssen. Das Männlein war niemand anderes als der Zwergenkönig Hübich. Dieser hatte Mitleid mit dem armen Förster. - Als der Förster am Hübichenstein angekommen war und seinen Sohn vom Felsen herunterschießen wollten, bewarfen ihn tausende Zwerge mit Tannenzapfen. Daraufhin gab der Förster sein Vorhaben auf. Die Zwerge indes bildeten mit ihren Körpern eine lebendige Leiter bis hinauf zum Gipfel des Felsens. Als erster erreichte König Hübich den Burschen. Er wies ihn wegen seiner Untat zurecht, zeigte aber Erbarmen und befreite ihn aus seiner misslichen Lage. Anschließend trugen die Zwerge der Förstersohn zum Boden herab.
Dort nahm ihn Hübich mit in seine Wohnung und handelte mit ihm einen Vertrag aus. Der Förstersohn sollte reich beschenkt werden, wenn er als Gegenleistung dafür sorgen würde, dass der Hübichenstein von niemandem mehr erklettert würde und die Schießerei auf die Vögel auf dem Felsen unterbunden würde. Durch diese Unsitte der Menschen brachen nämlich immer wieder Gesteinsbrocken aus dem Kalkfelsen heraus, wodurch dieser immer mehr an Höhe verlor. - König Hübich konnte nur über den Hübichenstein herrschen und auf der Erde wandeln, solange die große Felsnadel höher war als die kleinere. Der Sohn des Försters versprach, Hübich alle Wünsche zu erfüllen. Als Dank konnte er sich so viele Silbertaler nehmen, wie er tragen konnte und anschließend zum Haus seines Vaters zurückkehren. Der Förstersohn ließ in Grund vom Geld des Zwergenkönigs die St.-Antonius-Kirche errichten und sorgte dafür, dass ein Erlass verabschiedet wurde, welcher das Schießen und das Klettern auf den Hübichenstein verbot.
Lange Zeit hatte dieses Bündnis mit dem Zwergenkönig Bestand und dieser half noch so manchem armen Menschen aus seiner Not. Doch im Dreißigjährigen Krieg rückten Soldaten aus Tillys Armee am Hübichenstein an und schossen aus reinem Mutwillen die Spitze der größeren Felsnadel herunter, so dass diese am Ende niedriger war als die andere. Seither ist die ehemals kleinere Felsnase die höhere und König Hübich wurde nie wieder gesehen!
Vor vielen hundert Jahren lebte in Grund ein armer Bergmann mit seinem Weibe und sieben kleinen Kindern. Zusehends verarmte die Familie, als den Mann eine böse Krankheit plagte. Nun musste die Frau das Geld herbeischaffen, brachte Wasser in die Häuser der Wohlhabenden oder sammelte Tannzapfen im Walde, die man gegen trocken Brot eintauschen könne. Doch was war das?
Ein anderer schien an diesem wolkenverhangenem Tag auf dieselbe Idee gekommen zu sein, denn keine Zapfen, geschweige denn trockenes Holz war zu finden. Verzweifelt setzte sie sich auf den feuchten Waldboden und begann bitterlich zu weinen. – Da stand auf einmal ein kleines Männlein neben ihr, grüßte freundlich und fragte: „Weshalb vergießt ihr die vielen Tränen Weib? Da kommt der Himmel nicht drumherum ebenfalls zu weinen!“ „Gott zum Gruße!“, sagte sie freundlich und unerschrocken und konnte nicht anders, als dem Männlein ihr Leid zu klagen. Da spürte der Zwerg, dass in ihrer Brust ein gutes Herz wohnte und führte sie zum Hübichenstein, hier könne man die schönsten Tannzapfen finden. Wie beide dort anlangten, lag der ganze Boden übersät mit blinkenden und blitzenden Zapfen. Da lachte die Frau so hell und schön, dass der dunkle Himmel aufriss und die Sonne hervorblitzte. Vor Freude drückte sie das Männlein an die Brust und begann dann singend die Zapfen einzusammeln. Rasch ward die Kiepe bis zum Rande gefüllt und nach Hause getragen. Wie wunderte sich die Frau des Bergmannes aber, dass alle Zapfen aus purem Silber waren? „Wie geht das an?“, fragte sie, denn dieses Wunder war ihr nicht geheuer. Doch der Bergmann nickte wissend, nahm seine schöne Frau beschwichtigend in die Arme und meinte, dass das Männlein nur der Zwergkönig Hübich gewesen sein könne, der den armen und gutherzigen Menschen gerne hilft.
Am nächsten Morgen ging die Frau erneut zum Hübichenstein und rief: „König Hübich, bitte zeige dich!“ und als der Zwerg tatsächlich kam, da herzte sie ihn und bedankte sich. „Komm mit mir! Ich zeige dir eine Kunst, die euch noch mehr zur Gottes Gunst verhilft, als silberne Zapfen zu sammeln!“, sprach das Männlein, nahm sie bei der Hand und zeigte ihr neunerlei Kräuter, mit welchem Spruch sie zu pflücken seien und was man mit dem Herzen daraus zubereiten könne. Wie sie ihrem Mann aus den Kräutern einen Tee aufbrühte, da war seine Krankheit verflogen. So lebten sie noch lange in bescheidenem Wohlstand und wenn sie nicht gestorben sind, dann lieben sie sich noch heute. (aufgeschrieben nach Brederlow)
Oha, was ist denn das?“, fragte ein armer Holzfäller, der eben wie die Sonne aufging, den Violenberg hinaufstieg und beinahe in der Höhe des Hübichensteins war. „Ein winziger, goldener Frosch, sicher von den Zwergen!“, dachte sich der Mann, bestaunte das kleine überaus kunstfertig gearbeitete Gruben-licht, lachte „Sie werden es sich teuer zurückkaufen müssen!“ und verbarg es in seinem Futterhemd.
Wen es aber teuer zu stehen kommen sollte, erzählt diese Sage, denn gerade war der Mann an der unteren Hasenkappe angelangt, hier den ersten Baum zu schlagen, ward er von der Seite angesprochen: „He da, guter Mensch. Bitte gebt mir mein Lämplein zurück. Ich will es dir auch mit 100 blanken Talern vergelten!“ – „Mmh, das ist viel!“, überlegte der Holzfäller, den kleinen Wicht wohlüberlegt abschätzend, „aber nicht genug. Ich sag dir, du bekommst den Frosch zurück, erfüllst du mir den Wunsch: Die Zapfen jedes Baumes, den ich fälle, sollen sich in blankes Gold verwandeln. So soll es sein, solange ich lebe!“ – „Der Wunsch sei dir gewährt, Mensch!“, murrte der Zwerg, klopfte mit seinem winzigen Häckel gegen den Stamm der nächsten Fichte, bekam die Lampe und war so schnell verschwunden, wie er kam.
Frohgemut schwang der Mann seine Axt und bald knarrte das Holz, gab nach und der stolze Baum, er ging längelang zu Boden … und siehe da, kaum lag das Ungetüm, waren alle Zapfen gediegenes Gold geworden! Rasch hieb er den nächsten Riesen um und wieder waren die Zapfen aus Gold. Immer schneller arbeitete der Mann, blind und taub vor Gier, rasend werdend, so dass sein Herz sich überschlug und ohne Pause, … und ohne nach Atem zu ringen, fielen acht, neun, zehn Bäume … „Alles Gold, mein Gold, meins, mein Schatz …!“ … und kaum stand die Sonne am höchsten Punkt, fiel er selbst, zu Tode ermattet, zu Boden. Langsam schlossen sich seine Augen - noch eisern auf die goldenen Zapfen gerichtet – für immer. Erst am Abend fand man den Unglücklichen zwischen unzähligen Bäumen und braunen Zapfen liegend. Alles Gold hatte sich zurück verwandelt, hatte sich der Holzfäller doch gewünscht, der Zauber halte, „solange er lebe“! (aufgeschrieben nach Heizmann)
(Die Prüfung des Hübichensteins)
Vor aberhundert Jahren, oder war es gerade erst gestern, da wanderte eine junge Frau – nennen wir sie Maria – gedankenversunken durch den tiefen Wald und erblickte plötzlich vor sich einen großen Felsen, den wir heute den Hübichenstein nennen. – Seltsam beschwingt trat Maria vor den Stein, als muntere Zwerge ihr aus allen Ritzen und Felsöffnungen entgegenblickten und sie freudig willkommen hießen. „Endlich Prinzessin, endlich seid ihr gekommen!“ – Noch immer verwundert, entgegnete sie den kleinen Leuten, dass sie sich irren mussten. Sie wäre doch keine Prinzessin, ganz sicher nicht, sondern eine arme Frau aus einfachen Verhältnissen, aus welchen auch immer! Da lachten die Zwerge und meinten, ob es nicht so wäre, dass die Frau gar nicht wisse, wer ihre rechten Eltern seien. Das konnte sie nicht abstreiten, war sie doch mit jungen Jahren von einer fremden Familie in Obhut genommen und aufgezogen wurden!
„Kommt Prinzessin stellt euch hier hinein!“, sagten sie und zogen die Verschüchterte in eine kleine Grotte unterhalb des Felsens. Was war das? Nach wenigen Momenten fühlte sich die Frau wohlig geborgen, spürte die bedingungslose Liebe ihrer wahren Mutter in allen Fasern ihres Leibes … und plötzlich, wie sie ihre Augen öffnete, da sah Maria eine goldene Kugel in ihren Händen ruhend. – Welch wunderbare Kraft ging von ihr aus, dachte sie noch, als sie plötzlich eine tiefe Stimme hoch über sich vernahm. König Hübich bat sie zu sich, bat sie auf den Felsen und sie ließ sich nicht zweimal bitten. Doch am Felsentor standen zwei grimmige Wachen, fest entschlossen den Gang mit ihrem Leben zu schützen. Als sie aber die Kugel in den Händen Marias leuchten sahen, da traten sie zur Seite, riefen „Heil der Prinzessin“ und ließen sie passieren.
Schon früher prüfte der Hübichenstein die Herzen alle Kletterer. Es war gefährlich hier heraufzukommen, so ganz ohne Geländer – und beschenkt wurden nur die Mutigsten, wobei der Königsstuhl sein größtes Geheimnis nur den Wenigsten preisgab. – So prüfte der Fels nun auch die Frau. Doch seltsam, wie von einer unsichtbaren Hand geführt, kam sie oben an und gewahrte ein tiefes Becken im Felsen. Auch ein Ablauf war zu sehen. Was aber sollte Maria hier? „Schließ die Augen Prinzessin, dann schaue mit deinem Herzen!“, hörte sie den König Hübich rufen. Wie sie nun nach innen schaute, da loderte im Becken ein bläuliches Feuer.
„Es ist ganz kalt!“, wunderte sich Maria und zog ihre Hand erschrocken fort. „Nicht jedes Feuer wärmt, meine Liebe!“, hörte sie wieder, „Dieses hier reinigt. Vertrau ihm ruhig das Ganze an!“ – Da spürte sie, wie alle Furcht aus ihrem Herzen ins Feuer gesogen wurde. Auch ihr Kopf war frei von Sorgen, ihre Schultern plötzlich leicht und dann die Gewissheit da: Ja, sie musste sich verbeugen, sich dann übers Feuer stellen, sich durchströmen lassen und sich dem, was geschehen wollte einfach hingeben, sich ganz fallen lassen.
Die Erde tat sich unter ihr auf und sie fiel, fiel in bodenlose Tiefen … doch ohne Angst. Maria fühlte sich gehalten und sich wenige Momente später sanft auf dem Urgrund abgesetzt. Da stand sie nun zwischen dem König und seinem Volke, sprachlos, doch unendlich selig. Im Grunde so glücklich, wie niemals zuvor. Ganz warm lagen die kleinen Hände von Hübich in den Ihren und als eine goldene Träne aus seinem Auge perlte, da spürte sie auf ihrem Haupt ihre Krone. Die goldene Kugel hatte sich verwandelt. „Sie wird dich krönen, auf all deinen Wegen! Du wirst den Unterschied spüren!“, lachte der König und bat sie, sich zu ihm herunterzubeugen. Wie Maria sich tief verneigte, küsste er sie sanft auf die Stirn.
Da war sie plötzlich wieder zuhause! Hatte sie alles bloß geträumt? In den Spiegel blickend sah sie keine Krone und doch spürte sie das Diadem ganz deutlich auf ihrem Scheitel ruhend. Nein, es kann kein Traum gewesen sein, denn wie sie vor die Türe trat und durch die Straßen und Menschenmenge schritt, da wand sich alles zu ihr um! So aufrecht war ihr Gang selten und so schön wie heute, fühlte sie sich nie! (aufgeschrieben nach dem Erlebnisbericht einer wahren Prinzessin)
Gutherzigen Menschen ward in Grund noch immer geholfen, wie einem armen Mädchen, das allein mit seiner Mutter in einer kargen Hütte lebte. Beide waren krank und hungrig, doch kein Geld im Haus, um sich Brot zu kaufen. Da sollte die Junge, die noch etwas bei Kräften war, hinauf zum Hübichenstein gehen und Beeren in ihr Handkörbchen sammeln. Oben jedoch standen alle Büsche leer. Keine einzige Beere war auszumachen, so weit ab vom Wege das Mädchen auch ging, bald alle Orientierung verlor und mitten im Wald nun gewahrte, dass sie Mutter Seelen allein und verloren war. „Was weinst du denn, kleines Ding?“, hörte das Mädchen, wand sich um und sah ein Männlein vor sich stehen, eben so groß wie sie selbst, mit freundlichem Gesicht.
„Oh guten Tag mein Herr, verzeiht meine Tränen, ich suche Beeren, den Hunger meiner Frau Mama zu stillen!“ – „Aber hier steht doch alles voll! Hast du keine Augen im Kopf?“, fragte der Wicht lächelnd. Tatsächlich! Das Mädchen muss blind gewesen sein. Überall um sie herum hingen die dicksten, blauen Beeren. „Oh wirklich“, jauchzte sie und „hab tausend Dank!“ – doch das kleine Männlein war längst verschwunden.
Da sammelte sie ihre Taschen voll und trug die Früchte nach Hause. Je weiter sie aber ging, desto schwerer war ihre Ernte, dass sie am Ende die Mutter zur Hilfe holen musste. Wie groß war die Verwunderung der beiden, als sie zuhause im Körbchen keine Beeren, sondern Steine ganz aus Gold vorfanden! Da dankten sie dem Hübich - denn wer sollte es anders sein, der einem Menschen solche Geschenke macht? - und lebten fortan in reicher Bescheidenheit. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann danken sie’s dem Berggeist noch heute!
Ein anderes Mal ging ein Liebespaar am Hübichenstein entlang. Sie wollten anundfürsich in diesem Jahr Hochzeit halten. Die Grube jedoch, in der der Liebste sich verdingte, war taub geworden, womit der Lohn ausblieb, was jegliche Hoffnung auf ein kostspieliges Fest versengte. „Ach, sieh die schönen Blumen hier am Felsen. Wir wollen der Mutter einen Frühlingsstrauß mitbringen, dass wenigstens sie ein wenig Freude findet“, sagte sie, worauf er innehielt, scheinbar jetzt erst aus seinen Sorgen erwachte und die Pracht zu seinen Füßen sah: „Wunderschön die Welt, so schön wie du mein Herz, … doch wünschte ich, nur eine dieser Blumen wär’ aus Gold, dass ich mit einer Blüte nur ein Fest für uns ausrichten kann, wie unsere Liebe es wert ist, gefeiert zu werden.“
„Ach Liebster, gräm dich nicht. Lass uns das Leben feiern, wie es kommt. Was braucht es ein Hochzeitsfest? Mir ist es ein Fest genug, dich zu küssen und in deinen Armen zu liegen!“ und wie sie das sagte, lachte sie so süß und tanzte trotz allem Kummer durch die Blumen. Oh, sie tanzte ihm alle Schwermut fort und beschwingt gingen sie mit einem großen Strauß Blumen nach Hause. Wie sie diesen der Mutter auf den Tisch stellten und eben den Raum verließen, da polterte es darin gewaltig, so als ob der Tisch zerborsten wäre. Wie sie wieder hinein eilten, um zu prüfen was geschehen wäre, sahen sie die Tischplatte am Boden liegen. Alle vier Beine waren gebrochen, konnten sie die Last des Straußes nicht tragen, der nämlich hatte sich ganz zu Gold verwandelt. Das gab ein prächtiges Hochzeitsfest, prächtiger als du es dir denken kannst, das drei Tage wehrte und viele Liebespaare nach sich zog! (aufgeschrieben nach Heizmann)
Eine andere Sage erzählt von Hübich, der stets dann vor seinem Felsenthron – dem Hübichenstein – erscheint, wenn man einen reinen Wunsch ausspricht. Er würde den Wünschenden dann in den Felsen zu einem schwarzen See geleiten. Die Steine, die der Zwergkönig vom Grunde des Sees heraufholt und verschenkt, verwandeln sich zuhaus in Gold. Schlecht ergeht’s nur denen, die sich schlichtweg zu bereichern versuchen. Ihnen spiegelt der schwarze See die schwarze Seele wider – nicht wenige sind zutiefst erschrocken und im Schrecken im See versunken!
In Grund lebte mal ein Mädchen, das war so schön, wie der Vater reich war. Jeder Mann, der sie nur einmal zu Gesicht bekam, war hin und weg und wollte sie zum Weibe, ganz gleich, wie dunkelgrau sich ihr Herzlein über die Jahre verfärbte. All die Schönheit und die vielen Freier nämlich, waren dem hübschen Ding zu Kopf gestiegen. Darinnen nur ein Gedanke: allein jener Mann dürfe sie zum Altar führen, der mit vier Füchsen vorfahre - ungeachtet dessen innerer Werte - schließlich wolle sie mit ihm gesehen werden. „Vater, was soll’n die Sorgen, sie stehen dir nicht gut zu Gesicht, auch der Bettelmann kriegt mich nicht!“, sagte sie ein jedes Mal, wenn sie einem Mann vor den Kopf gestoßen hatte.
Die Freier kamen … und mussten gehen, wie auch die Jahre vergingen, ohne dass der rechte Mann mit seinen vier Füchsen vorgefahren kam. Da hatte die Schöne bald selber Sorge, dass sie eine alte Jungfer bliebe, weshalb sie sich Rat bei Zwergkönig Hübich erhoffte. Schnellen Schrittes stieg sie zum Hübichenstein herauf, vorbei am jungen Schäfer, ihn keines Blickes oder freundlichen Grußes würdigend, obschon er ihr tausendmal geholfen hatte und sie wusste, wie’s um sein großes Herz bestellt war. Wie eben jeder Mann, war er vernarrt in sie, ein Diener seines Herzens oder seines Schwanzes, ganz gleich …! Dafür, dass er ihr gar nichts bedeutete, hefteten sich viele ihrer Gedanken an ihn - das musste sie zugeben. Aber er hatte gar nichts, außer einem guten Aussehen und einem guten Herzen! Was bedeutete das schon, wenn einer doch keine vier Füchse besitzt!?
Endlich am Felsen angekommen, sah sie schon den Hübich sitzen, machte einen kleinen Knicks vor ihm – nicht zu tief, immerhin war sie wer sie war – und stellte ihn zur Rede:
„Nun, weiß er keine Lösung, wo er das Wissen der Berge in sich tragen soll, oder ist’s nur Gerede der Narren im Orte? Rasch, raus mit der Sprache, ich werde nicht jünger und den Mann will ich bevor meine Schönheit verblasst!“ Damit machte sie wieder einen Knicks und lächelte ihr Lächeln, dass sie so oft vor dem Spiegel geprobt, um ihren Vater rumzukriegen. Und auch bei König Hübich schien es Wirkung zu zeigen, der nämlich stand auf, hieß ihr zu folgen, berührte den Hübichenstein, worauf sich ein geheimes Felsentor aufschwang und sprach: „Geh ruhig rasch hinein, hier wirst du deine Antwort finden.“ Und wie sie einen Schritt ins Tiefdunkle setzte, war kein Boden mehr unter ihren Füßen. Sie fiel und fiel ins Ungewisse, platschte endlich in ein schwarzes Wasser, in dem sie erst ums Leben strampelte, bis sie verstand, dass sie nicht untergehen konnte, nur fest in dieser klebrigen Masse steckte, felsenfest bis …?!
„Du hofnärrig, hochnäsiges Ding, fest sollst du stecken bis dich ein Mann mit gutem Herzen erlöst, vier Füchse für dich einbüßt … doch wer soll wann schon für dich kommen?“, lachte Hübich, schloss die Felsentür und ließ die Schluchzende in düsterer Ungewissheit zurück. – Unten im Dorf ging zwar bald die Suche nach dem Mädchen los, doch nur halbherzig und auch nur, wenn der Vater manchen Taler dafür springen ließ. Zu vielen Leuten hatte die Schöne ganz schön eingeschenkt. Nur einer, der Schäfer, suchte Tag und Nacht, kam endlich auch am Hübichenstein entlang, sah den Zwergkönig vorm Felsen sitzen und verbeugte sich tief. „Guter Geist dieser Berge, verzeiht, dass ich die Worte an Sie richte, Sie aus der verdienten Ruhe reiße, doch mein Herz trägt mir auf, alles zu versuchen, die Liebe zu finden!“
„Du suchst die äußerlich Schöne, die so ein hässliches Inneres hat? Warum bloß, Mann?“, grübelte der Zwerg. „Weil ich im ersten Anblick ihrer Augen tief in ihre Seele sah und dort sah ich Licht und sah, dass etwas dort nach Hilfe ruft. So komme ich, ihr zu helfen und mich selbst zu retten!“, sagte der Schäfer mit einer Träne im Auge und Hübich sah, dass es ihm ernst war. „Du kannst sie retten. Sie steckt im schwarzen See, tief unterm Hübichenstein. Nur Jener, der wahrhaftig liebt, kann den Felsen in vier Jahren untergraben, das Wasser im Stollen ausleiten und das Mädchen retten. Sag bloß, du willst es wagen?“ Ohne etwas Weiteres zu erfragen, dankte der Schäfer es dem Zwergkönig, rannte hinab ins Tal, nur um nach einer Stunde mit Hammer und Schlegel und Proviant zurückzukommen. Vier Jahre hörte man nun Tag und Nacht das Pochen unterm Hübichenstein, bis man im Stollen drin, auf den Jahrestag genau, ein furchtbares Knacken und Brausen vernahm. „Nur raus!“, dachte sich der Schäfer, der schon bis zu den Knien im schwarzen Wasser stand.
Tatsächlich ergoss sich wenig später der ganze See ins Tal und das Mädchen war endlich erlöst. Als sie sah, wer ihr Retter war, da strahlte ihr Gesicht, heller als jemals zuvor, hatten doch die Jahre in der Dunkelheit ihr Herz ganz vergoldet. Sie küsste seine von der Arbeit geschwärzten Hände und er ihre weiße Stirn und sich inniglich haltend, hörten sie die Stimme des Zwergkönigs über die Baumwipfel hallen: „Er ist dein Freier mit vier Füchsen. Jeder Fuchs war ein Jahr, das er für dich in Liebe gegeben – auf eure Verbindung mein Segen.“ So genossen sie ihr Leben. Den Stollen unterm Hübichenstein, aus Liebe gegraben, ist noch heute zu finden und kann zwei Selige ewig verbinden! (aufgeschrieben nach Heizmann)
Jedes Jahr zum Reformationstag rumorte es in Grund in einem Haus gewaltig. Die Fenster und Türen schlugen auf und zu, die Stühle und Tische verschoben sich von selbst und es war den Bewohnern, als ob hundert kleine Hämmer den Boden doppelt verbrettern würden. Kein Wunder also, dass es viele Jahre leer gestanden hatte. Die neuen Besitzer hatten sich anfangs gefreut über dieses günstige Häuschen, auch wenn die Alten in Grund immer nur hinter vorgehaltener Hand vom Spukhaus erzählten. „Weibergewäsch!“, dachten die neuen Eigentümer, bis eben der erste Reformationstag kam und dann der Zweite und der Dritte und man am Ende immer an diesem Tage fluchtartig das Haus verließ. Mit diesem Spuk müsse endlich Schluss sein, meinten die Bewohner und ließen im Jahr darauf den Pfarrer des Ortes kommen, um dem Gespenst mit Weihwasser und Gotteswort ein Ende zu bereiten. Wie der Pfarrer aber schlotternd im Häuschen saß, als der Spuk begann, da vergaß er alle Gebete und seine Bibel und ward in Grund nie mehr gesehen. Das Jahr darauf versuchte es ein beherzter Leutnant, der schwer bewaffnet in der guten Stube saß und Witze reißend auf die Geisterstunde wartete. Wie sie kam, da beschoss er die Fenster und Türen und schrie, wie ein kleines Mädchen und sagte schließlich gar nichts mehr. Am Morgen fand man ihn, wie zu Stein erstarrt und aus dieser Starre, hat er sich zu Lebzeiten nicht mehr erholt!
In diesem Jahr wollte man es selbst angehen: dazu hat man einen Kräuterkundigen kommen lassen, der den Heilziest mitbrachte: „Grabt diese Pflanze, ein Berufkraut, unter eurer Türschwelle ein. Legt auch etwas davon in jede Fensterbank. Ihr werdet sehen, dann kommen die Geister nicht rein.“
Zuerst hielten die Bewohner diese Ratschläge für törichtes Geschwätz. Als der Kräutermann aber erklärte, er sei von seinem Zauber so überzeugt, dass er gerne in der besagten Nacht im Häuslein bleibe. „Draußen geht es dann wohl ärger zu, als drin!“, sagte er lachend und versuchte die Bewohner nun auch davon zu überzeugen, zu bleiben. Da aber führte kein Weg heran. So saß nun der Kräutermann alleine in der guten Stube und zur Geisterstunde, da rüttelt es an den Türen und Fenstern, doch niemand kam hinein. Da lachte es von drinnen, doch von draußen schrie’s: „Lass uns rein, guter Mensch, es muss sein, rasch, lass uns rein!“ Es war als würden hundert kleine Fäuste gegen die Türen und Fensterläden schlagen, immer drängender, immer flehender, unnachgiebig. – Da lachte der Kräutermann, der die Spukgeister als Zwerge erkannte und rief ihnen zu: „Der Heilziest schützt nun dieses Heim, da schaut ihr sicher drollig drein und könnt dort draußen noch so schrei’n, das Böse kommt hier nicht mehr rein!“ – „Das ist es ja, guter Mensch, das Böse ist schon drin!“, riefen die Zwerge, die alljährlich alles daran getan hatten, die tief in der Erde schlummernde und nur einmal im Jahr erwachende Finsternis, bloß niemals aus-brechen zu lassen. Nun aber waren sie aus- und der Mensch eingesperrt. Er schrie und schrie bis das Grauen auch den letzten seiner Schreie erstickte. Der Heilziest allein vermochte, dass sie nicht außerhalb des Hauses wüten und ganz Grund vernichten konnte.
Nach dieser Nacht betrat niemand mehr das Häuschen. Die guten Leute sind lieber fortgezogen und über die Jahre verfiel das Häuschen immer mehr und mehr und zuletzt waren nur die Grundmauern noch zu sehen und die, die sollten mitsamt dem eingemauerten Heilziest schon entsorgt werden. Das aber konnten die Zwerge zum Glück verhindern. Heute steht an diesem Ort, nahe bei der St. Antoniuskirche, ein kleiner Brunnen. Zwergkönig Hübich wacht darauf und gibt gut acht, dass die Finsternis dort bleibt, wo sie hingehört: tief unter Grund in der Erde! (aufgeschrieben in „Zauberpflanzen)“
„Vater, spürst du es nicht, irgendetwas liegt in der Luft!“, flüsterte Andra und eine Träne kullerte ihr aus dem rehbraunen Äuglein. „Töchterlein, was ist mit dir, so aufgelöst hab‘ ich dich ja noch nie gesehen!?“, gab der Vater nun ernsthaft besorgt zurück. „Hört‘s denn keiner außer mir, dass es ruft und warnt …?“, weinte das Mädchen immer aufgelöster. „Wovor warnen dich die Stimmen, Kind?“, fragte die Großmutter krächzend dazwischen.
„Dass diesen Tag die Sonne blutrot untergeht. Ich höre ein Schreien und Wehklagen und habe auch im Traum gesehen, dass unser Grund ganz niederbrennt … - Großmütterchen, hörst du denn wenigstens die Stimmen?“, fragte Andra hoffend, dass sie nicht für verrücktgehalten wird. „Nein Kind, du weißt doch, bin mit dem Alter taub geworden!“, sagte die Alte und tätschelte dem Kindlein das Köpfchen. „Warte, warte, lieb Großmütterchen – sie haben mir geraten, das zu tun. Warte, oh bitte, ich will schnell schauen, ob schon Andorn wächst, den haben sie mir teuer ans Herz gelegt. Schwesterherz, erhitze du auf der Herdstatt das Wasser. Und ihr, liebe Brüder, wollt ihr dem Vater helfen, das Wichtigste zusammenzupacken? Rasch, es drängt, sie werden bald hier sein!“ So verteilte die Kleine alle Arbeit, die sie für dringlich hielt, schlüpfte hinaus in den Garten, während sich die anderen achsel-zuckend anblickten: „Hältst du’s für möglich, Großmütterchen?“, fragte der Vater und hoffte inständig, dass die Alte alles für einen dummen Kinderscherz hielt. Die aber guckte besorgt, sah aus dem Fensterchen in den Garten, wo Andra gerade emsig die ersten zarten Triebe des Andorns schnitt und sprach: „Sie ist uns nicht umsonst auf den 31.10. geboren und von solchen Kinder heißt es, sie hätten das zweite Gesicht und hat sie nicht schon zu oft recht behalten? Geht lieber packen, wie’s die Schwester sagte!“ Da huschten alle Kinder los, packten warme Sachen und Decken, Messer, Pfeile und Bögen und alles Essbare zusammen, während der Vater die Nachbarn warnte.
Wie er wiederkam, hatte die Großmutter von Andra einen wärmenden Umschlag um den Kopf gebunden bekommen – darinnen lagen gequetschte Andornblätter, was der Alten tatsächlich unendlich guttat. Wie sie den Umschlag abnahm, da lächelte sie, konnte sie doch wirklich wieder besser hören, doch das Lächeln wehrte nur kurz. „Andra, bei allen Göttern, du hast recht“, sagte sie, dasselbe wie Andra vernehmend. „Mögen uns die Geister gnädig sein, sie kommen, wir müssen raus, sofort?“, rief die Alte in heller Aufregung, hielt nur kurz inne, wie sie den Vater sah: „Was ist mit dir?“
„Spanische Truppen liegen in Gittelde, es ist also wirklich eine Frage der Zeit, wann sie kommen. Noch weiß niemand, ob uns die Truppen wohlgesonnen sind, aber ich denke, wir werden es früh genug erfahren. Einige der Nachbarn schließen sich uns an, die meisten aber bleiben.“, sagte der Vater und konnte kaum ausreden, da wurde er schon von seiner Tochter ins Freie gezogen. „Kommt Vater, kommt, wir müssen!“, drängte die Kleine und nach wenigen Minuten setzte sich ein Tross von etwa fünfzig Menschen, mit Schweinen und Hühnern, mit Bollerwagen und Kiepen in Richtung Wald ab. Einige der Bauern lachten, andere verfluchten die Fliehenden: „Habt Angst vor Kindergewäsch? Ihr einfältigen Narren, erbärmliche Heiden. Glaubt ihr nicht daran, dass Gott uns schützen wird? Zur größten Not sind wir in der Kirche sicher!“
Kaum war der Tross im Dickicht verschwunden, gelten Schreie durch den Ort. Obrist Holaucke war mit seinen Soldaten aus Gittelde gekommen und bevor die Grunder wussten, was Sache war, brannten die ersten Häuser und Scheunen. Alles was laufen konnte, floh in die Kirche St. Antonius und versteckte sich dort im Schutze Gottes hinter verrammelten Pforten. Die Soldaten plünderten draußen jedes Haus, umstellten die Kirche und weil sie nicht hineinkamen, sollte auch niemand mehr rauskommen, nie wieder! Die Kirche brannte, mitsamt allem Leben, bis auf die Grundmauern nieder.
Auch die angrenzenden Häuser fingen Feuer, so dass an diesem Abend im Februar 1626 – wie es Andra vorausgesagt hatte – die Sonne blutrot über Grund unterging! – Wer Andra folgte, überlebte. Gemeinsam bauten sie den Ort wieder auf und schworen von da an, den Andersweltwesen besser zu lauschen und den Pflanzenwesen täglich Dank zu sagen! (zitiert aus ebd.)
Z u jeder Geisterstunde rumorte es in der Ölmühle in Laubhütte im heutigen Bad Grund so schlimm, dass der Müller gezwungen war, mit seiner Familie für einige Stunden das Haus zu verlassen. Da polterte es auf dem Dach, Ziegel gingen zu Bruch, Dielen des Bodens sprangen einfach hoch, die Fensterläden klappten auf und zu und die Kamine spuckten wie wild Ruß in alle Kammern … alles in allem ein ohrenbetäubendes Lärmen und schreckliches Wirrwarr. Das waren die Zwerge, die den Menschen schon lange nicht mehr gewogen waren.
Eines Tages kam ein fremder Soldat nach Laubhütte, ein Quartier für die Nacht zu beziehen. „Wenn er sich vor den kleinen Geistern nicht fürchtet, so sei er willkommen!“, antwortete der Müller und nahm mit Freude zur Kenntnis, dass der Soldat viele Schlachten geschlagen, aber keine Furcht kenne. In dieser Nacht also, als die Müllerleute wie gewohnt ihr Haus verließen, verbarg sich der Soldat hinterm Ofen und wartete still. Pünktlich zur Geisterstunde, begann das Poltern, ließ aber rasch nach und winzige, tapsende Schritte erfüllten die Stube. Da ward der Tisch von unsichtbarer Hand aufgedeckt und stand voller silbernem Geschirr und goldener Schüsseln, eine edelsteinbesetzte Bahre flog wie von selbst in den Raum hinein, setzte sich sanft zu Boden … und endlich nahmen die Zwerge ihre Kappen ab und wahren sichtbar.
Links oben: Brunnenfigur Zwergkönig Hübich am Markt von Bad Grund, rechts oben: der Bergmönch
Zwergkönig Hübich selbst saß in der Mitte der Tafel, schnippte mit dem Finger und alle Schüsseln und Tellerchen, waren mit den erlesensten Speisen gefüllt. Er wollte schon das Mahl freigeben, als er seine Nase rümpfte und etwas witterte: „Tabak, ich rieche Tabak … ein Mensch ist hier in diesem Raum … findet und lehrt ihn, was es heißt uns zu belauschen!“ Da nahmen die Zwerge ihre Dolche hervor und suchten die Kammer ab und kamen auch zum Ofen. Dahinter saß der Soldat, ganz mit Ruß überworfen, weshalb die Zwerge ihn für eine große schwarze Katze hielten. Sie verlachten schon das schwarze Tier, als es hinterm Ofen hervorfuhr, um sich hieb, furchtbar schrie und kratzte, so dass die Zwerge in heilloser Flucht die Mühle verließen. Alles Silber und Gold und selbst ihren König hatten sie zurückgelassen. Hübich aber, als er die vermeintlich gewaltige Katze sah, schnippte die Finger und war verschwunden.