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Das kleine Städtlein Thale mit seinem Hexentanzplatz und der Rosstrappe wird jedes Jahr von über einer Million Menschen besucht. Die Wenigsten ahnen, dass sie auf Wegen wandeln, auf denen Menschen bereits vor 7000 Jahren pilgerten, um auf den Heiligtümern ihren Göttern zu opfern, sich etwas zu wünschen und gemeinsam die Jahresfeste zu feiern. Von alledem gibt es Sagen, Märchen und Mythen. Weit über 100 davon sind in diesem Werk zusammengesammelt. >Dat Dorpe im Tale< ist damit eines der sagenumwobensten Gebiete Deutschlands. Aber nicht nur von den Hauptsehenswürdigkeiten wird viel erzählt. Die meisten Touristen und viele Einheimische gehen blind an großen Teilen einer der bedeutsamsten, vorchristlichen Kultstätten Europas vorbei: Dem Thorstein, dem Opferstein am Schweinskopf, dem Runenstein in der Walpurgishalle, der Quelle der Asen, dem Altweiberbrunnen, den alten Wallanlagen, der Fahlen Hölle, dem Teufelswaschbecken, dem Altar- und dem Lügenstein uva. - lass dir von alten Zeiten erzählen, um achtsam auf alten Pfaden zu wandeln!
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Seitenzahl: 263
Einführung
Germanische Mythologie
Sagen & Märchen
3.1. Die Rosstrappe
3.1.1. Sagen vom Mal der Rosstrappe
3.1.2. Andere Sagen vom Rosstrappenberg
3.2. Das Bodetal
3.2.1. Sagen von der Wilden Jagd
3.2.2. Sagen vom Siebenbrüderfelsen
3.2.3. Sagen vom Venediger
3.2.4. Zwergsagen
3.2.5. Andere Sagen
3.3. Der Hexentanzplatz
3.3.1. Sagen von der Walpurgisnacht
3.3.2. Sagen vom Hexentanzplatz
3.4. Sagen aus dem Raum der heutigen Innenstadt
3.4.1. Sagen von der Siebenspringe
3.4.2. Sagen vom Lügenstein
3.4.3. Der Altweiberbrunnen in Thale
3.4.4. Bärensdorf
3.4.5. Andere Sagen
Hintergründe der bedeutsamsten Sagen
4.1. Die Walpurgisnacht
4.2. Der Rosstrappen-Mythos
Schlussgedanken
Literaturverzeichnis
Glaubt man den zahlreichen sagenhaften Erzählungen aus dem Harz, so wimmelt es hier nur so von Riesen, Zwergen, Berggeistern, Bergmönchen und Teufeln. Sie alle werden aber noch von den Hexen, die sogar zum Markenzeichen des bedeutendsten Mittelgebirges im Norden Deutschlands wurden, weit übertroffen. Für Theodor Fontane, der Ende des 19. Jh. sechsmal in Thale zur Erholung weilte, sind sie „hier Landesprodukt und wachsen wie der Fingerhut auf den Bergen“. In Goethes Walpurgisnacht aus dem Faustdrama feiern sie auf dem Brocken orgiastische Feten zusammen mit Urian, dem Oberteufel und Boss des Hexengeschwaders. Dem Hexenflug auf den höchsten Harzberg gehen die auf das germanische Frühlingsfest zurückgehenden Walpurgisfeiern in vielen Harzorten voraus. Weithin dafür bekannt ist der Hexentanzplatz oberhalb von Thale.
Es mag an der wildromantischen Natur des Harzes mit seinen schroffen und auch lieblichen Tälern, mit seinen weitläufigen Waldflächen, den zerklüfteten Felsformationen, aber auch an den mitunter extremen Wettersituationen mit starken Stürmen und dichten Nebeln liegen, dass die Menschen hier früher eine besonders blühende Phantasie entwickelten, um sich die vielen schönen Geschichten ausdenken zu können. Diese wurden zunächst von Generation zu Generation weitererzählt und später aufgeschrieben. Die Brüder Grimm haben Anfang des 19. Jahrhunderts aus dem damaligen deutschsprachigen Raum fast 600 Sagen gesammelt und veröffentlicht. Allein 30 davon stammen aus dem Harz. Bezieht man diese Zahl auf die Fläche dieses kleinen Gebirges, so ergibt sich dafür die zehnfache Sagendichte im Vergleich zum Durchschnitt des übrigen Sammlungsraumes.
Besonders viele Sagen sind in der Region um das Bodetal bei Thale angesiedelt. Und so haben wir Carsten Kiehne zu danken, dass er sich der Mühe unterzogen hat, einen Großteil davon aus verschiedenen Quellen zu erschließen, um sie uns in diesem Buch zugänglich zu machen.
Richtigerweise beginnt er mit Episoden aus der germanischen Mythologie. Hoch über der „Mythenstadt Thale“ liegen die durch den Heidenwall und den Sachsenwall geschützten Kultplätze unserer vorchristlichen Ahnen. Das Hufmal auf dem Rosstrappenfelsen und der Opferstein in der Walpurgishalle sind authentische Zeugnisse dafür. Auf dem sich von der Talstation der Kabinenbahn bis zum Kloster Wendhusen erstreckenden Mythenweg begegnen wir zahlreichen Skulpturen, die uns an spannende Geschichten aus der germanischen Zeit erinnern. Diesen folgen mehr als 100 nicht minder mystische Erzählungen aus den nachfolgenden Zeitabschnitten. Verschiedentlich hat der Verfasser mit leichter Feder geschriebene geistreiche Zwischentexte eingefügt, die den Leser auch zum Nachdenken anregen. Zum Beispiel darüber, dass man sich in der heutigen hektischen und von einem überbordenden Konsum geprägten Zeit, wenn man will, durchaus auch an einfachen Dingen erfreuen kann – nämlich an schönen alten und von tiefen Volksweisheiten erfüllten Geschichten und an der Natur unserer wunderbaren Harzlandschaft.
Zahlreiche liebevoll gestaltete Illustrationen geben dem Lesegenuss noch eine zusätzliche Würze. So bin ich mir sicher, dass das Thalenser Sagenbuch Einheimischen und Touristen gleichermaßen viel Freude bereiten wird.
Thale im März 2014, Dr. Harald Watzek
„Voller Wunder ist die Welt ...“
„... wir müssen
sie nur wieder
sehen lernen!“,
gemalt von Elisa
Gaad 2013
Für dieses Buch musste ich eine Auswahl treffen, welche der unzähligen Mythen, Sagen & Märchen von Thale ich in diesem Bans wiedergegeben möchte. Teils ist es sehr schade, fast traurig, aussortieren zu müssen, damit dieses Buch nicht 1.000 Seiten dick & damit unhandlich wird. Andererseits ist es umso erfreulicher: Weiß ich doch um die enorme Vielfalt, mit der uns so viele Erzähler reich beschenkten, weil die Erzähler selbst von den mystischen, zauberhaften & heiligen Plätzen unserer Vorfahren reich beschenkt wurden. Ja, die Orte selbst erzählen aus einer unversiegbaren Quelle, so dass ich am liebsten nur still lauschen möchte, im Angesicht solcher Fülle. So spüre ich am besten meine Dankbarkeit & bleibe ganz „verliebt in die verrückte Welt“, um damit Hermann Hesse nachzuahmen, der ebenso verstand zu lauschen &das ihm Erzählte mit dem Herzen weiterzugeben. Gleichermaßen soll dieses Buch sie beschenken, liebe Leserin & lieber Leser! Es soll Sie einen Moment herausnehmen aus Ihrem Alltag & sie in alte Zeiten an heilige Orte entführen. Sie entscheiden am Ende selbst, ob Sie den Plätzen eine ebenso große Ehrerbietung entgegenbringen wollen, wie ich meine, dass sie‘s verdienen.
„Vor Beginn des Weges durch die Anlage noch ein Hinweis: machen wir uns bewusst, dass wir eine Anlage betreten, in der unsere Vorfahren über viele Jahrtausende hinweg ihre Anbetung verrichteten. Verhalten wir uns deshalb rücksichtsvoll und achten diese einmalige Kultanlage!“ (Hermerding 1994) Wenn Sie dann wandern, versuchen Sie (freilich nur wenn Sie nichts Besseres zu tun haben) ein kleines Experiment: Wandern Sie stets einige Minuten in Stille, ohne vom Gespräch oder anderen Dingen abgelenkt zu werden, spüren Sie bitte bei jedem Schritt den geschichtsträchtigen, geweihten Boden unter ihren Füßen. Gehen Sie langsamer als sonst, achtsamer. Thich Nhat Hanh, ein Lehrer der buddhistischen Meditation, sagte einmal: „Gehen Sie so, als ob Ihre Füße mit jedem Schritt den Boden küssen wollen!“ Atmen Sie bewusst ein & aus, verharren Sie an den Orten & nehmen Sie jeden Ort ganz in sich auf. Lassen Sie den Ort auf sich wirken, genießen Sie ihn, bis Sie etwas Wundervolles erleben! Das Faszinierende sind Sie selbst – einzigartig, kostbar, wie jeder dieser Orte um Thale herum – viel Spaß mit diesem Erleben!
„Was ich nicht erlernt habe, das 6 habe ich erwandert!“ (Goethe)
Seit ca. 7000 Jahren ist das Vorland zur Bode & seit ca. 2800 v. Chr. die prähistorischen Burgenanlagen um Hexentanzplatz & Rosstrapp (mit über 250 ha Fläche wohl die Größte ganz Sachsen-Anhalts) von Menschen besiedelt. (vgl. Behrens, 2013) So weit reichen die ersten Bodenfunde in den Grabhügeln dieser Stätten zurück. Viele Menschen konnten früher nicht lesen oder schreiben, ja es gab nicht einmal eine einheitliche Sprache, nur Dialekte. Wichtige Geschehnisse (wie Unruhen, Kriege oder Hungersnöte) konnten von Generation zu Generation bloß mündlich weitergegeben, besondere Naturphänomene (Gewitter, Überschwemmungen etc.) nur mit Glaubensgebilden erklärt werden. Das alles tauschte man sich aus, „sagte“ es weiter & jeder Erzähler schmückte die Geschichten mit seinen Ideen, dem Wissen oder Aberglauben weiter aus, ließ andere Details aber weg, ganz wie beim spaßigen Spiel „Stille Post“.
Das Bodetal eignete sich hervorragend, vielleicht wie nur wenige Orte in Deutschland dazu, sagenreich zu werden, denn überall lauerten einst Gefahren (von Höhlenbär & anderen Wildtieren, giftigen Pflanzen etc.), in finsteren Wäldern & zeitweise unüberwindlichen, reißenden Strömen, engen Schluchten & unbezwingbaren Klippen. Aber auch die romantischen Täler, Wiesen & Auen wussten zu verzaubern. Überall vermutete man Nixen, Elfen, Zwerge, aber auch die dunklen Alben & in allen Orten waren die Götter lebendig, wirkten & webten, tobten oder segneten.
Die Sagen rund um Thale erzählen also teils vom alten Volksglauben (germanischen Mythen) & oft ist gut beobachtbar, wo Mythen sich zu Sagen verwandelten, wann der christliche Glauben einsetzte & aus den alten Göttern Wotan & Donar plötzlich Teufel und Dämonen wurden. Die weisen Frauen (Hagedisen) diffamierte man zu Hexen & die altheiligen Kult- und Festplätze wurden zu Stätten der Götzenanbetung, umbenannt in Hexentanzplatz, Teufelsmauer u.a.! Oftmals stehen heute auch auf den heiligen Stätten unserer Vorfahren alte Kirchen oder Klöster, wie beim Kirchberg & Kloster Wendhusen der Fall. War der alte Glauben aus den Menschen nicht herauszubekommen, nutze man einfach die Orte & Zeiten, an die sich die Menschen gewöhnt hatten & gab dem Alten einen neuen Namen, neuen Schein, so geschehen z.B. bei Walpurgis.
Die Sagen erzählen aber auch vom harten Leben der einfachen Bevölkerung alter Zeiten. Sie berichten von Not, Armut, Hunger & Pein, von den Ängsten (um alles Unerklärbare) & Wünschen (Reichtum, Ehre, Liebe oder geheimen Kräften, die das Leben erträglicher machen sollten) der Bewohner hier im Harz. Der Name des nördlichsten Mittelgebirge Deutschlands lässt sich wohl von „hard“ herleiten, was Bergwald meint, obschon ich die Legende glaubhafter & schöner finde, dass sich das Wort Harz von „Herz“ ableiten lässt. Einem alten Märchen nach soll der Harz nämlich entstanden sein, als der „König der Liebe“ starb und sich dessen übergroßes & volles Herz, das für alles Lebendige schlug, nach seinem Tode zum Harzgebirge formte, in dem die Menschen Schutz, Nahrung und Wohlstand finden sollten. Und wie sonst, wenn nicht mit der Wahrhaftigkeit dieser Sage, wäre unsere Liebe zum Harz erklärbarer?!
Nach dem heutigen Wissenstand scheinbar sinnlos anmutenden Geschichten liegt oft eine tiefe Volksweisheit zugrunde. Diesen wahren Kern lohnt es zu ergründen. Wozu sollte ich das tun, was wäre mein Gewinn daraus? - So wie ich es derzeit sehe & beobachte, leiden viele Menschen an einem entzauberten Alltag, einem sinnentleerten Leben, an Entfremdung zur Natur. Noch immer tragen wir Ängste in uns, allein schon bei dem Gedanken wir würden uns allein im tiefen Wald befinden & die Nacht würde über uns hereinbrechen, vielleicht knackt hier und da gar noch ein Ästlein, dann sind wir eingeschüchtert. Manch einer mag diese Ängste vielleicht für begründet halten, hört man doch leider viel zu oft in der Presse von grauenhaften Geschehnissen, die überall um uns herum passieren: „Menschlicher Arm im Bodetal gefunden! Wo ist der Rest der Leiche?“ (Mitteldeutsche Zeitung, 14. März 2014).
Rein statistisch gesehen ist es aber viel wahrscheinlicher, von einem wütenden Familienmitglied eine Brat-pfanne in der eigenen Küche über den Schädel gezogen zu bekommen, als im Wald von einem Fremden getötet zu werden. Fürchten wir uns also deshalb vor dem Betreten der eigenen Küche? Nun, ich rede jetzt nicht vom Grundgefühl eines Mannes, der von seinem bös schauenden Eheweib zum Küchen-dienst verdonnert wird und dieser würde dann wahrhaftig begründete, mannigfache Ängste ausstehen. Solche sind mir als lang in Beziehung stehender Mann auch bekannt, aber von denen rede ich nicht - nein!
Was genau soll uns denn im Walde Furchtbares widerfahren? Soll uns ein tollwütiges Eichhörnchen überfallen & in den kleinen Zeh beißen? „Der Teufel ist bekanntermaßen ein Eichhörnchen!“, heißt es in einem wunderbaren Sprichwort, das meiner Meinung nach besagt, dass wir den Teufel selbst an die Wand malen, um uns dann zu wundern, dass er dort tatsächlich abgebildet ist. Dieses Phänomen nennt sich auch „Sich-selbst-erfüllende-Prophezeiung“! Wenn ich Angst davor habe, dass etwas geschieht, wird mir das Befürchtete tatsächlich widerfahren. Was hat das aber mit Sagen & Märchen zu tun?
Sagen (historisch datiert & ortsgebunden) erzählen oft vom Aberglauben jener Menschen, die u. a. mit dem Gefühl der Angst konfrontiert sind. Märchen hingegen sind überall & nirgends geschehen, sind poetisch oder symbolhaft verschlüsselt & wurden einst als Initiationsrituale genutzt. Sie helfen dabei, in uns verborgene Gedanken & Gefühle zu erkennen & auszuheilen. Jede Geschichte, kann uns wichtige Lehren, Lebensratschläge oder eine andere Perspektive auf die Dinge mit auf den Weg geben. Es gibt einen wunderbaren Spruch, den ich Ihnen nicht vorenthalten möchte: „Kindern erzählt man Märchen zum Einschlafen. Erwachsenen hören sie, um aufzuwachen!“
Der Sinn dieser Geschichten ist es also, wach zu werden, wahrhaftig die Augen & Ohren für das große Ganze zu öffnen, das Leben & seinen Reichtum zu spüren & sich dadurch vielleicht wieder, wie ein Kind, an tausend kleinen Dingen zu erfreuen. Wir können durch Sagen & Märchen wieder lernen, dankbar zu sein. Mit dieser Dankbarkeit & der Liebe zur Natur fühlen wir uns reich beschenkt, erfahren es als innigstes Bedürfnis, die Welt um uns herum nicht auszunutzen, sondern zu schützen & ebenso zu beschenken. Diesbezüglich ist mein liebstes Motto:
„Ich verlasse einen Platz in der Natur stets schöner, „veredelter“, als ich ihn vorgefunden habe.“ Zum Beispiel sammle ich im Wald stets ein wenig Müll auf, hinterlasse ein Zeichen (ohne etwas in Fels oder Baum einzuritzen, z.B. durch das Bauen einer kleinen Steinpyramide, eines Natur-Mandala) oder ein kleines natürliches Geschenk (einen Heilstein etc.). Wie Sie, lieber Leser, das handhaben wollen, sei Ihnen freilich selbst überlassen. Ich wünsche Ihnen jedenfalls auf all Ihren Wegen den größten Segen & sagenhaft schöne Momente!
Einige hoffentlich praktische Hinweise vor Wanderbeginn:
Die Touristeninformation im Thalenser Bahnhof vergibt
kostenlose Stadtpläne
und
Flyer zum Mythenweg
und des Weiteren freundliche Auskünfte darüber, wie man zu all diesen sagenhaften Orten kommt, die in diesem Buch vorgestellt werden.
Wer in Betracht zieht, öfter in Thale oder anderswo im schönsten Mittelgebirge Deutschlands (gemeint ist natürlich der Harz) Urlaub zu machen, sollte sich die aktuelle
Wanderkarte der Harzer Wandernadel
kaufen. Meiner Meinung nach stimmt hier absolut das Preis-Leistungsverhältnis. Die Karten sind sehr genau & wetterfest, für alle widrigen Gezeiten also, in denen die „Wilde Jagd“ umhergeht.
Und wenn Sie schon dabei sind, ist es möglich einen
Wanderpass
zu erwerben, ebenfalls von der Harzer Wandernadel. An nahezu jedem bekannteren Aussichtspunkt gibt es einen Stempel zu „ergattern“ & mit 8 verschiedenen Stempeln erhält man als Andenken an die schöne (freilich auch strapaziöse) Wanderzeit dann schon die bronzene Anstecknadel! Besonders für alle kleinen (& großen) Kinder, ist das stets Motivation, doch noch einige Kilometer mehr zu laufen, als es die Lust zuvor hergab.
Nun viel Spaß, mit den Sagen, dem Erfahren der wundervollen Plätze und den berührenden Worten Heinrich Heines (1824) ...
... Steiget auf, ihr alten Träume! Öffne dich, du Herzenstor!
Liederwonne, Wehmutstränen strömen wunderbar hervor.
Durch die Tannen will ich schweifen, wo die muntre Quelle springt,
Wo die stolzen Hirsche wandeln, wo die liebe Drossel singt.
Auf die Berge will ich steigen, auf die schroffen Felsenhöhn,
Wo die grauen Schloßruinen in dem Morgenlichte stehn.
Dorten setz ich still mich nieder und gedenke alter Zeit,
Alter blühender Geschlechter und versunkner Herrlichkeit. ...
In harz‘licher Verbundenheit,
Ihr Sagen- & Märchenerzähler Carsten Kiehne
Wir beginnen mit der Mythenwanderung am Brunnen der Weisheit, direkt am Rathaus Thales gelegen. Wenn Sie, liebe Leserin und lieber Leser, nachher dem Mythenweg folgen wollen, dann ist es am einfachsten, Sie folgen den Hufeisen in Richtung Innenstadt und der Berge Hexentanzplatz und Rosstrapp. Was es mit den Hufeisen auf sich hat, fragen Sie?
Das sind die „kleinen Rosstrappen“, die an das eigentliche Mal hoch oben auf dem Berge, das eigentlich von Sleipnir stammt, erinnern soll – aber dazu gleich mehr.
Das Hufeisen symbolisiert seit jeher Schutz vor bösen Geistern (vor allem vor den Inneren, wie Zorn, Neid, Missgunst, Furcht etc.). Im Allgemeinen ist es aber auch Zeichen für Glück und Reichtum. Zum Beispiel bedeutet es über einer Tür aufgehängt folgendes: Ist die Öffnung oben, so soll das Glück (wie in einen Kessel oder ähnlich einer Pforte) hineinfallen und allen Bewohnern oder Gästen zugute kommen. Ist die Öffnung des Hufeisens aber nach unten gerichtet, soll es all diejenigen mit Gottes Schutz und Segen beschenken, die dort ein- und ausgehen. Diesen Segen wünsche ich Ihnen auf Ihrer Wanderung zu den bezaubernden und mystischen Figuren und Orten in der Innenstadt Thales. Auf dass das Wegeglück in jedem Ihrer Schritte liege, auf dass diese uralten Geschichten Sie mit innerem Reichtum (wie Wissen und Frieden) füllen werden, der freilich dann, nur äußeres Wohlergehen nach sich ziehen kann – viel Spaß!
Wotan (oder Odin, wie er in den nordischen Landen genannt ward) war der „alles beherrschende Allvater, der alles durchdringende, belebende oder vernichtende Geist und Odem der Natur.“ (Nolte, 4) Nach Thale aber kam er mit den Windzwergen und seinen beiden Raben Hugin und Munin („Gedanke“ und „Erinnerung“) in friedlicher Absicht, wie man an dem Speer ersieht, der in den Himmel weist. Weh uns allen, er würde auf den Boden zeigen, wie er es oft tat in den alten Zeiten. Heute aber ist Wotan auf eigener Mission unterwegs, nur zerrissen vom inneren Krieg, denn eine Frage macht sein Herz so eng. Dessen Antwort will er erfahren, möchte in die Zukunft schauen, doch die prophezeiende Schicksalsgöttin ließ ihn nicht in ihr Pergament schauen, auf dem alles geschrieben steht, was war und sein wird, und das, obschon er doch höchster Gott war. Aber lesen Sie einfach seine Geschichte und lernen Sie jene kennen, die davon berichten:
Einst wurde die Alte vom Olberg über Suderode nach dem Quell ihrer Weisheit befragt. So geschah es häufig, vor allem zu den Zeiten, in denen die Menschen des Äußeren genug und des Inneren zu wenig hatten. Immer lächelte sie, als wäre soeben die Sonne aufgegangen, hörte sie nur einen Menschen aus tiefstem Herzen fragen, denn dessen Suche nach Licht, würde stets mit Helligkeit belohnt werden! So war ihr dies stets eine der größten Freuden, mit ihren hohen Geschichten Antwort auf alle Fragen zu geben. Geschichten, die jedoch nicht selten das Gesicht der Ratsuchenden in Verwunderung tauchten. Und eine der „Hohen Geschichten“, wo der Quell der Weisheit zu finden ist, sei diese: „Mein Lieber, richte dich gen Westen und gehe man zum Dorpe to dem Dale. Dort wo der große Wode die Dunkelheit verlässt und zum Lichte will, dort wirst du die Quelle der Weisheit entdecken! Fließe nur mit ihm durch die Welt und du findest, was du suchst! Frag nur den Fluss der Zeit!“ Nicht selten war es so, dass die Leute sie schier für verrückt hielten. Ich meine, sie war es tatsächlich! Doch wissend um ihre Verrücktheit, lächelte sie nur und war schön darin und darum weise.
Geheimnisvoll sprach sie weiter: „Der Urgeist der Weisheit ist der hohe Wode (der Göttervater Wotan)! Er aber war nicht immer so weise. Nein, sein Geschlecht der Götter stand sogar im Krieg mit den Riesen und bald schon, würde es zum letzten großen Kampfe kommen am Tag der Götterdämmerung! Wode machte es fast wahnsinnig, nicht erahnen zu können, wer als Sieger aus der Schlacht hervortreten würde. So ging er in einfachem Gewand zum Brunnen der Weisheit und zu Mimir, der ihn bewachte, denn wer aus dem Brunnen trinkt, so hieß es, würde in das Buch sehen können, in dem alles geschrieben steht, was einmal war und jemals sein wird.
Mimir war, obschon er ein Riese war, dem Göttervater wohl gewogen. Er sah Wode kommen, noch bevor dieser überhaupt auf seine Reise aufbrach, und flüsterte ihm in seinen Geist: „Alter, guter Wode, geehrt seiest du für deine Reise. Wisse aber, dass auch du als höchster Gott den gleichen Preis für die Weisheit bezahlen musst wie jeder Sterbliche!“ „Ich weiß darum und werde dir dieses Opfer darbringen!“, entgegnete Wode.
Und tatsächlich, am Brunnen der Weisheit gab er eines seiner tiefblauen Augen, um trinken zu dürfen. Und schon beim ersten Schlucke sah er alles: Sah, dass die Götter den Krieg verlieren würden. Beim zweiten Schluck, rann eine Träne über sein Gesicht und beim dritten war auf seinem Antlitz nur noch ein friedvolles, stilles Lächeln zu erahnen.“
„Das Auge aber, das er gab, verfiel mit der Zeit in tausend Teile. Und in einem jeden Bruchstück liegt die ganze Weisheit der Welt verborgen. Finden aber, wird sie nur derjenige, der sucht und hören wird sie nur derjenige, der zu lauschen versteht!“, dann schwieg die Alte vom Olberg und lächelte auf eine Weise, wie nur sie es verstand.
Das „Auge Wotans“ oder aber der „Quell der Weisheit“, den findest du noch heute in der Bode – es sind die bläulich schimmernden Bodeachate. Sieh den Kindern beim Spielen und Suchen zu, sie „wissen unwissend“ um diesen Zauber! (dem Volke abgelauscht und aufgeschrieben von Carsten Kiehne)
Am siebten Tag gingen die drei Brüder Wotan (Geist), Wili (Wille) und We (Heiligtum) auf der Welt wandern – sie mussten sich ausruhen. Eben hatten sie den Riesen Ymir erschlagen und aus ihm eine geordnete Welt nach ihrer Idee erschaffen: „Aus Ymirs Fleisch und Gebein ist die Erde geschaffen, - aus seinem Blute die See, - aus Knochen die Berge, - aus Zähnen die Felsen, - aus Haaren die Bäume, - aus der Hirnschale der Himmel, - aus seinem Hirn die stürmischen Wolken, - aus den Brauen machten die milden Götter Mitgard den Menschen.“
Da fand Wili ein Stück knorriges, hartes Eichenholz und schnitzte eine Figur daraus, bis er feststellte, dass sie aussehen würde wie ein Mann. „Zu einem Mann gehört eine Frau!“, sprach We, nahm sich das nächste Stück süßlich duftendes Lindenholz und fertigte daraus ein wunderschönes Weib. Zu guter Letzt kam Wotan, um den beiden Figuren mit seinem Atem einen Lebensanfang und eine Seele einzuhauchen. So entstanden Ask und Embla, die ersten Menschen aus Eiche und Linde [bzw. aus Esche (Ask) und Ulme (Embla) – Anmerkung von Dr. Watzek], den heiligen Bäumen der Germanen. (aufgeschrieben von Kiehne, nach Nolte 1)
Draupnir ist der von Zwergen geschmiedete Zauberring Wotans. Jeweils nach neun Nächten tropfen aus dem Ring neun weitere Ringe heraus, ihm allein ist der Wohlstand der Götter und der Glanz Asgard zu verdanken.
Es war ein langer Tag gewesen für Wotan, den Vater der Götter. Eben hatte er noch erfahren, dass am Tag der Götterdämmerung die Götter den ewigen Kampf verlieren würden und ihre Macht, auch wenn es noch lange bis dahin wäre, doch in absehbarer Zeit gebrochen würde.
Erschöpft an diesem heißen Tage, wollte sich Wotan am altgeweihten Brunnen (die Menschen, die hier lebten, nannten ihn „Altweiberborn“), ein wenig zur Ruhe legen. Auch Hugin und Munin, seine beiden Raben, waren eingedöst, erschöpft von dem langen Flug. Wotan wälzte sich hin und her, schwere Gedanken quälten ihn und Draupnir, sein Zauberring, drückte eng am Finger. Lange schon wollte er ihn von den Zwergen weiten lassen. Er zog ihn mit einiger Mühe vom Finger ab, legte ihn neben sich und fand endlich einen sorgenvollen, doch tiefen Schlaf.
Hoch oben aber, da flog unbemerkt eine Elster ihre Runden um die Dösenden herum, sah das glänzende Schmuckstück und konnte beim besten Willen nicht widerstehen. Im stillen Sturzflug schwebte sie hinan, nahm den goldenen Ring in ihren Schnabel und flog mit langsamen Flügelschlägen auf und davon.
Einen Windhauch vom Flügelschlag nahm Wotan aber doch noch wahr, angenehm fühlte er darum seine Stirn gekühlt. Er gähnte, streckte sich, wobei er Hugin aus Versehen unwirsch anstupste und ihn eine kleine Anhöhe hinunterkollern ließ. Dann öffnete Wotan seine Augen, richtete sich auf und blickte wieder etwas hoffnungsvoller auf die Welt. Seine Hand suchte zeitgleich seinen Ring, nun folgten der Suche auch seine Augen - wo war das Ding nur? Wo ist der Ring?? „Hugin, Munin – helft suchen! Wo ist Draupnir???“ Aber so sehr die drei sich auch bemühten, er blieb verschollen? „Wo ist mein Ring?“, schrie Wotan seine beiden Raben an, die nun ganz kleinlaut zugaben, dass sie ebenso wie ihr großer Meister eingedöst waren. „Das klären wir später! Vor dem Rat der Götter müsst ihr euch für diese Schuld verantworten und auch diejenigen, die mir Draupnir gestohlen haben!“, schimpfte der Göttervater und überlegte, wer diesen Frevel getan haben könnte. Wer wäre dreist genug zu solcher Übeltat? „Andere Götter, die Riesen, die Zwerge, Tiere? Nein, bestimmt waren es die Menschen! In der letzten Zeit sind sie widerspenstig geworden, faseln vom Christengott, danken und beschenken uns immer weniger und die alten Opferstätten auf dem Hexentanzplatz und dem Rosstrapp, die sind nur mit dem Mindesten gefüllt! – Ja, die Menschen, denen sieht es ähnlich! Aber die sollen noch sehen, noch spüren, noch bitten und betteln – diese Narren!“
Nicht allzu weit von diesem Geschehnis entfernt waren gerade zwei Kinder im tiefen Walde unterwegs, um Pilze und Beeren zu sammeln. Malte war zwölf Jahre alt und seine kleine Schwester Frauke zählte gerade zehn Sommer. „Bleibe hier und sammle Beeren, aber gehe nicht allein durch den Wald in die Höhe, hörst du Frauke, nimm dich in Acht. Du weißt, dass immer wieder Kinder hoch oben in den Bergen spurlos verschwinden!? Wenn die Sonne über dem Berg dort steht, bin ich wieder zurück.“ „Ja doch, ich will schon Acht geben!“, entgegnete Frauke, die sich von ihrem Bruder stets bevormundet fühlte, obschon sie doch vieles wusste und konnte und manches, wie das Wissen um die Kräuter, besser beherrschte als er selbst. Malte ging also allein und Frauke blieb zurück, um Himbeeren zu sammeln – eine folgenschwere Entscheidung, wie sich gleich herausstellen sollte.
Denn bald schon war Frauke seltsam zu Mute, sie fühlte sich beobachtet, drehte sich um, aber nirgends war etwas zu sehen oder zu hören, nein, nicht der leiseste Ton durchbrach die beinahe gespenstige Stille. Ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken. Sie drehte sich um und da stand plötzlich vor ihr eine alte Frau, eine Hexe war es, sie wusste es nur zu gut. „Schrei nicht, laufe nicht, es wird dir nichts nützen!“, so beschwor die Hexe sie im Flüsterton und lächelte aus gemeinen, funkelroten Augen. Selbst wenn Frauke gewollt hätte, sie konnte nicht, war wie gelähmt, wie versteinert. „Ich bin Watelinde, die Hexe aus dem großen Felsental und dich brauche ich als meine Helferin, meine Schülerin. Keine Bange, es wird dir gut gehen bei mir, wenn du nur tüchtig bist! Hier, trinke dieses Elixier, es wird dich zu einer von uns verwandeln!“ Fraukes Hand griff unwillkürlich zu dem kleinen Fläschchen, von den Blicken der Hexe fühlte sie sich dazu gezwungen, setzte die Flasche an und trank. Plötzlich fuhr die Hexe herum, sie war kurz abgelenkt, und blickte nach hinten. Knackste da im Gebüsch nicht eben ein Stöcklein? „Sieh nach!“, zischte sie ihre schwarze Katze an, die scheinbar schon die ganze Zeit um ihre Füße schlich, sich aber gut unter dem weiten Kleid von Watelinde verborgen hielt.
Dieses kurze Abgelenktsein nutzte Frauke eilig, um einen Teil des Tranks zu verschütten, so dass die Verwandlung sich nicht in Gänze vollzog und ihre Augen und ihr Herz, die des kleinen, reinen Mädchens Frauke blieben. „Komm mit, ich lehre dich die schwarzen Künste!“ sprach die Hexe und Frauke schritt ihr willenlos hinterdrein.
Als Malte zur vereinbarten Zeit zurückkehrte, sah er nur das umgekippte Himbeerkörbchen und ahnte Schlimmes. Mit zittrigen Beinen rannte er hinab in sein Dorf im Tale, erreichte es mit allerletzter Kraft und erzählte allen, was im tiefen Walde geschehen sein musste ...!
Ob Frauke aus den Klauen der gefürchteten Hexe Watelinde freikommt und ob Wotan seinen Zauberring Draupnir noch rechtzeitig zurückerhält, bevor er die Welt mit Naturkatastrophen überschüttet, das liebe Leserin und lieber Leser, das will ich nicht vorwegnehmen, Sie erfahren es erst beim Lesen des wunderbaren, mystisch angehauchten Märchens „Draupnir, der Zauberring Wotans“ von Herrn Dr. Watzek. Viel Spaß wünsche ich Ihnen mit dieser hoffentlich ausreichend geschürten Neugier! (aufgeschrieben von Kiehne, nach Dr. Watzek)
Donar (oder Thor, nach ihm ist unser „Donnerstag“ benannt) ist der Sohn Wotans. Im Volke bekam er wegen seiner Macht und Bedeutung auch den Beinamen „Großer Vater“ (vgl. „Großvaterfelsen“ in Blankenburg). Wenn er mit seinem Gespann, das eher einem klapprigen Karren gleicht und von den beiden Ziegenböcken Zähneknisterer und Zähneknirscher gezogen wird, durch den Himmel rumpelt, dann donnert es. Mit sich führt Donar stets seinen Hammer Mjöllnir – den Zermalmer. Wenn er diese Waffe gegen seine Feinde z.B. die Frostriesen wirft, dann blitzt der Himmel auf. Niemals verfehlt er sein Ziel, stets kommt er wie ein Bumerang zu seinem Herrn zurück. Selbst Riesen sind gegen ihn machtlos.
Einer nicht allzu alten Sage nach soll heutzutage der Bürgermeister Thales bei der Grundsteinlegung wichtiger Bauwerke diesen Hammer benutzen, um den ersten Stein festzuklopfen. Und wenn er das mit diesem Hammer tut, soll das Gebäude ewig halten und seinen Besuchern stets zum Segen gereichen. Woher der Bürgermeister aber den Hammer von Donar hat, fragen Sie sich? Sicherlich hat er ihn am Thorstein oben auf dem Hexentanzplatz gefunden. Dort steht nämlich bis heute der lange Hammerstiel als Felssäule erstarrt, vom eisernen Kopf aber ist nichts zu sehen. Bestimmt hat der Bürgermeister, trotz all seiner Schaffenskraft, nur den schweren Hammerkopf mitnehmen können und den Stiel lieber ausgetauscht und zum Gedenken für alle Menschen oben im Walde stehen lassen. Den Thorstein finden Sie übrigens ganz leicht, wenn Sie später vom Plateau des Hexentanzplatzes auf dem Waldweg Richtung Tierpark gehen. Nach etwa 100 Metern, ist er gleich rechts ausgeschildert.
„Donar war [übrigens] für das Wetter verantwortlich, weshalb ihm häufig mehr geopfert wurde als dem Götterkönig selbst. Das kann man ja auch verstehen, denn die Menschen in jener Zeit waren ja meist Bauern, die immer zur rechten Zeit Regen oder Sonnenschein brauchten, um gute Ernten zu erzielen. Für den langen nordischen Winter benötigte man große Vorräte für Menschen und Tiere. Wenn im Sommer davon nicht genügend gewachsen war, gab es schlimme Hungersnöte. Dann schimpften die Leute respektlos auf den Donnergott, weil er ihnen nicht ausreichend geholfen hatte.“ (aufgeschrieben von Dr. Watzek, 2007)
Bild: Der „Thorstein“, benannt nach dem 21 Donnergott Donar bzw. Thor (am Hexentanzplatz)
Einmal war ein Bauer aus Thale in solche Wut gegen Donar geraten, dass er in den Himmel hinauf schrie, Donar solle sich wegen seines hohen Alters lieber in einen Lehnstuhl setzen und seine Rente genießen. Er selbst, als kleines Menschlein, würde die Aufgabe des Wettergottes wohl tausendmal besser erledigen, wenn man ihn nur einmal ließe und Donar solle dann von ihm die Wissenschaft des Ackerbaus erlernen. „So!? Du kleines Menschlein würdest es also besser machen?“, sprach eine laute Stimme von oben herab und plötzlich stand Donar mit seinem Bocksgespann ganz leibhaftig vor dem eingeschüchterten Bäuerlein, blickte diesem aus festen Augen tief ins Herz und sprach weiter: „Gut, heute soll dein Glückstag sein, Mensch, den Versuch will ich dir gewähren!“
Ein ganzes Jahr lang hatte der Bauer nun Zeit, um den Göttern zu beweisen, dass er von seinem Beruf mehr verstand, als „die da oben“. Und freilich, er bestellte beim Universum nur das Beste, es regnete, wenn der Boden zu trocken werden drohte und auch die Sonne kam, wenn er es für nötig hielt. Alle Überschwemmungen aber, Dürren, Brände, Käfer, harte Winde, alle Gefahren für die Ernte, alle zu heißen oder zu kalten Tage, die strich er einfach aus seinem Jahr heraus. Und der Erfolg, der schien dem Bauern recht zu geben, denn der Weizen wurde höher, als es jemals der Fall war. Über zwei Meter groß wurden die Pflanzen auf dem Felde. Alles war angenehm und rundum behaglich und als der Zeitpunkt der Ernte kam, da stand das Korn viermal höher als sonst, aber als der Bauer die Ähren abschnitt, da waren gar keine Körner drin!
„Aber was ist das denn? Was war denn nicht richtig?“, fragte der Bauer verzweifelt. Und Donar antwortete: „Der Weizen hatte keine Herausforderungen, es gab keine Reibung. Dadurch, dass du alles weggenommen hast, was „scheinbar“ schlecht ist – die Gewitter und die Stürme, dadurch ist der Weizen unfruchtbar geblieben, die Seele in ihm konnte nicht wachgerüttelt werden.“
Der Bauer knickte hoffnungslos zusammen und fragte flehentlich: „Was soll nun werden aus mir und meiner Sippe? Wir werden nichts zu essen haben über den harten Winter!“ „Bauer, folge der Natur der Dinge, sie wird dich lehren, ihre Fülle zu sehen!“, sprach Donar mit einem gütigen Gesicht und war plötzlich von der Erde verschwunden. Der Bauer aber blickte zum Himmel empor und sah über dem Rosstrapp dicke Wolken, die sich auf sein Feld zuschoben, eine erste leichte Brise streichelte sein Haar, es würde wohl bald ein Gewitter geben, meinte er, und ein Lächeln umspielte dabei jäh seine Mundwinkel. (aufgeschrieben von Kiehne, nach Osho)
(der mit Sicherheit in Thale wohnte)
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