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Den Sagenschatz von Bad Suderode habe ich in der ersten Auflage vor genau 10 Jahren herausgegeben. Es ist eine Liebeserklärung an meine Großmutter Ida Brunner (die mir viele Geschichten erzählte) und ebenso an meinen Heimatort. Da ich noch immer Sagen, Märchen und Anekdoten hinzugewinne, meine antiquare Buchsammlung stetig wächst und ich viele Stunden und Tage im Gespräch mit Einheimischen war, hat sich die Sammlung hiesiger Geschichten seit 2013 fast verdoppelt, weshalb mir diese Neuauflage ein Herzensanliegen war. Bad Suderode, einer der ältesten Kurorte unseres Landes, fasziniert und heilt seine Besucher seit fast 200 Jahren, einmal durch die frische Harzer Bergluft, dann durch sein Gutes Wasser, mehr noch durch den wunderschönen Mischwald und nicht zuletzt durch die vielen sagenumwobenen Orte mit ihren altüberlieferten Geschichten. Frage dich selbst: kennst du die Erzählungen von der Lessinghöhle, dem Opferstein, unserer Wunscheiche, der Elfenwiese oder die Sagen der angrenzenden Orte und ihrer Sehenswürdigkeiten, wie Stiftskirche, Lauenburg und Teufelsmauer? Lass dich entführen, in längst vergangene Zeiten, berühren von spannenden Eindrücken und Ritualen, von humorvollen Redewendungen und Harzer Traditionen - von Herzen viel Freude mit diesem Schatz!
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Seitenzahl: 188
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Carsten Kiehne
gehört seit vielen Jahren zu den renommiertesten Kennern der Harzer Sagenwelt. Als Autor & Herausgeber vieler Bücher wie „Die bekanntesten Sagen aus dem Ostharz & ihre geheime Bedeutung", „Kräutersagen aus dem Harz" & „Bäume - heilig & heilsam" sowie Fernsehauftritten im ZDF & MDR ist er überregional bekannt. Als Initiator von „Sagenhafter Harz" gibt er Workshops & Führungen zum Thema im gesamten Harz. (Dipl.Soz.Päd., Sagenerzähler, Wanderführer, Reiki-Meister, Lehrer für Meditation & Ganzheitliche Gesundheit > www.sagenhafter-harz.com)
Meinen großartigen Kindern gewidmet
Maximilian, Josefin & Noel
Vorwort zur 4. Auflage
Kraft der Geschichten
Dankbarkeit
Schäfereiche
Wann beginnt der Tag
Wunschbaum
Weshalb es Suderode gibt
Ortswappen
Die Schäferin
Warum Blätter tanzen
Teufelsmühle
Holzhauer & Sohn
Markgraf Gero
Heiliger Teich
Blaue Blume
Liebesschwur
Das Gute Wasser
Sonnenwendspuk
Warum es salzig ist
Ballade der Lessinghöhle
Venediger
Der Berggeist
Kröte & Wolf
Feuersalamander
Hirschkäfer
Opferstein
Drei Siebe
Das besprochene Wasser
Wünsche
Geruch des Fleisches
Kugelblitz
Treuer Eckart
Raunächte
Wilder Jäger
Buttlar im Ramberg
Blaubeeren
Walpurgisnacht
Teufelsmauer
Überfall & Plünderung
Untrüborn
Überleben
Schwarzer Hund
Schweinekrieg
Zollwächter
Gasthof Reißaus
Holzkrieg
Franzosengraben
Preußische Politiker
Nahrloser Ort
Hungersnot
Zitschern gehen
Hasenfutter)
Elfenwiese
Bescheidene Wochen
Schmied & Teufel
Glockenschmied &Tod
Schlussgedanken
Literaturverzeichnis
Unglaublich: Ganze 10 Jahre sind vergangen, seitdem ich meine erste Sagensammlung zu meinem Heimatort Bad Suderode herausgab. Es folgten bisher über 30 weitere Bände zu spannenden Themen, begründet auf einer wachsenden Leidenschaft für den Harz und seine einmalige Geschichte. Viele Jahre waren die ersten Auflagen meiner „Bad Suderöder Sagen“, wie auch die „Alten & neuen Anekdoten“ vergriffen und ich dachte, das Interesse wäre abgeebbt, aber nein. Immer wieder, gerade von Kur- und Klinikgästen unseres schönen Ortes, bekomme ich immer wieder die Anfrage: „Wann legen Sie denn Ihre Sammlungen endlich wieder auf? Es wäre doch zu schade, wenn ein solcher Schatz an Heimaterzählungen wegfallen würde!“
Stimmt! Denn eben das war ja einst der Grund, weshalb ich mit dem Sammeln und Herausgeben der altüberlieferten Geschichten überhaupt begann: der Erhalt des Schatzes unseres Heimaterzählungen! Warum das so bedeutsam ist, erklärt eine kurze Begegnung, die ich letzten Sommer am Müncheberg hatte: Es war ein lieblicher Sommertag, ich glaube auch der erste Ferientag, als mir zwei Grundschüler mit dem Fahrrad entgegenkamen. Ich dachte noch: „Wow, Kinder in der freien Natur, ist deren Spielkonsole kaputt oder haben die zuhause WLAN-Verbot bekommen? Ihr wisst schon: das ist das neue Stubenarrest, denn einem Kind verbieten rauszugehen, funktioniert heute nicht mehr. Ich habe einmal versucht meinem Großen Stubenarrest zu geben, da sagt der: „Papa, was läuft mit dir denn nicht richtig, ich wollte sowieso nicht raus!“ … aber zurück zur Geschichte: Die beiden Jungs kommen näher, halten vor mir an und fragen brav: „Entschuldigung, können Sie uns vielleicht sagen, wo wir die Schäfereiche finden?“ – „Klar kann ich das“, haue ich raus, setze aber nach: „Was wollt ihr denn da?“ – „Naja, wir haben in der letzten Schulwoche Sagen behandelt, dass soll ja ein tollen Baum, ein Wunschbaum sein. Den wollen wir sehen!“
Ich konnte es nicht fassen und ein kleines Tränlein schon sich in mein linkes Auge: Da begeistern die Heimatgeschichten von gestern die Kids von heute – ja, genau darum, sammle ich die alten Geschichten und schreibe sie neu auf! 21. März 2023
Begrüßung und Einführung in das Thema der Sagen und Märchen
Liebe Leser,
ich möchte Sie willkommen heißen. Willkommen im Harz, in Bad Suderode und willkommen im Thema der Sagen, Mythen und Märchen! Ihnen ist ein hoffentlich für Sie spannendes, lustiges, lehrreiches, kleines Werk in die Hände gefallen. Ein Werk, dessen Erstellung mir die größte Freude bereitet hat und eine zarte Herzensangelegenheit war, weiß ich doch nun viele Geschichten an sicher wissbegierige Geister und offene Herzen weiter-gegeben!
Einige dieser Geschichten basieren auf einem tatsächlichen, geschichtlichen Ereignis, einige andere hingegen haben eine Kernaussage und „nur“ einen Funken Wahrheit inne. Viele Mythen kennen Sie vielleicht aus anderen Teilen Deutschlands, den Bergmönch, die blaue Blume etc. – das sollte Sie nicht verwundern. Sie spiegeln nur den alten Glauben der Menschen wider, die sich manch ein sonderbares Naturereignis zu erklären versuchten oder um die sichere Mit-wirkung in diesen oder um die bloße Anwesenheit von Geistern, Hexen, Feen, Zwergen, dem Teufel höchstselbst, eben allen Natur-gottheiten wussten.
Viele der Sagen, wie es der Begriff schon „sagt“, wurden lange Zeit von redegewandtem Mund zu gut lauschendem Ohr weitergegeben und immer wieder gab es dabei aber auch mal einen lallenden Sprecher und einen abgelenkten Zuhörer und so sind Umformungen, die Sie bestimmt aus dem Spiel „stille Post“ zu schätzen gelernt haben, völlig normal. Ich hoffe, es wird Sie nicht stören. Nein, ich wage gar die Hoffnung, dass es Ihnen gefallen wird. Ich wünsche mir, dass Sie sich an den kleinen überlieferten Kuriositäten erfreuen und ganz mit dem Herzen lauschen.
Denn genau das ist es. Ja, ich glaube genau das fehlt uns (mir zumindest oft): Dass wir uns von den kleinen Dingen des Alltags verzaubern und berühren lassen, …
dass wir einmal bewusst unseren Weg unterbrechen, das Ziel kurz mal „Ziel sein lassen“, innehalten und tief durchatmen, um wahrzunehmen, was um uns herum gerade geschieht, um zu lächeln und uns in alte Zeiten zu träumen. In Sagen, Märchen & Mythen einzutauchen, ist nämlich wie ein Zauber, in dem mir selbst vergönnt ist, den Moment zu genießen und auszukosten. Es ist wie der Zauber des ersten wärmen-den Frühlingssonnenstrahls, der ersten reifen Frucht des Sommers, eines herabfallenden goldenen Herbstblattes und wie der Zauber des frischen Schnees. Lassen Sie sich verzaubern, von einem kleinen stillen Moment, der wie eine schöne Kindheitserinnerung schmeckt!
Mein besonderer Dank gebührt all denen, die zu diesem Büchlein beitrugen: Meiner Partnerin und Muse Manuela Petri, für das Erstellen des neuen Covers; meiner Exfrau (die auch Mutter meiner Kinder und nach all den Jahren noch immer eine gute Freundin ist) Sabrina Kiehne; Meiner Mutter Hildegard Kiehne für die großartigen Zeichnungen, die manche Seite schmücken; Maria-Kathleen Zorn für Inspiration und Hintergrundwissen um Märchen; Carola Beutel für das Korrekturlesen; Bernd Sternal, Mario Steder, Frank Severin, Stephan Kiehne, Detlef Anders, Dr. Bernd Schobeß & Michael Röll für die Beisteuerung von Sagen und Geschichten; Bianka Kachel für das zur Verfügungstellen alter Suderöder Chroniken & nicht zuletzt Georg Baars für die überaus gelungene Zusammenarbeit - vielen herzlichen Dank!!!
Nun liebe Leserin, lieber Leser – viel Spaß beim Erfahren der Geschichten, beim Vorlesen und beim Erwandern der Plätze, die sicherlich zu jeder Jahreszeit zu verlocken wissen! Dabei bitte ich Sie – fühlen Sie sich bitte nicht gekränkt, wenn ich solche Selbstverständlichkeit hier betone – einen besonderen Augenmerk auf unsere Verantwortung beim Wandern zu legen! Mein Motto ist, dass ich einen Platz stets schöner (aufgeräumter, veredelter) hinterlasse, als ich ihn vorgefunden habe. Der Harzklubverein, der Wald und die Wesen darin (Elfen & Zwerge, aber auch die Tiere), die Ihnen hoffentlich bei Ihrem Erleben der Natur begegnen, werden es Ihnen danken!
Ihr Carsten Kiehne, Bad Suderode der 19. September 2013
Vor langer Zeit lebten die Menschen am Harzrand in Hunger und Elend, da der Winter unbarmherzig war und einfach nicht zu Ende gehen wollte. Da stapfte eine alte Weise durch den tiefen Schnee, auf eine große Anhöhe hin zu einem uralten Baum, entzündete dort eine Kerze, murmelte einen heilsamen Spruch, wodurch die Menschen Kraft gewannen und alles Leid überwanden. – Nach vielen Jahren kam eine neue Gefahr ins Land: Krieger die einen neuen Glauben brachten, den heiligen Baum abschlugen und die Menschen bei Tode bedrohten, würden sie weiter ihren alten Glauben pflegen. Ein Weiser aber rollte einen großen Stein mit Mühe und Not den Berg hinauf, setzte ihn an die Stelle des gefällten Baumes, zündete die Kerze an und sprach die altheiligen Worte. Daraus schöpften die Menschen Mut, dem neuen Herren zu trotzen und das Leid irgendwie schon zu schultern.
Nur eine Generation später kam wieder ein großes Unglück über die Menschen. Sie gingen also zu dem heiligen Stein, hatten zwar das Sprüchlein vergessen, doch entzündeten sie eine Kerze, was ihnen noch genug Kraft gab, das Beste aus der schweren Zeit zu machen. – Auch die nächste Generation lernte großes Unheil kennen, doch kannte niemand mehr den Weg zum heiligen Stein. So zündete man eine Kerze an und fand dadurch Trost und Kraft, das Unheil zu überwinden. – Unsere Urgroßeltern wurden durch die Heftigkeit zweier Kriege erschüttert, der Baum war fort, der Spruch vergessen, auch der Weg zum Stein war unbekannt und Kerzen waren nirgends aufzutreiben. In ihrer Not aber erzählten sie diese Geschichte und die Worte gaben Kraft, dem Leid die Stirn zu bieten.
Ich hörte diese altjüdische Legende, die man sich im Kurort Bad Suderode erzählte. Einst nannte man diesen Flecken zum Spotte „Juderode“, weil im 19. Jahrhundert viele reiche, jüdische Kaufleute hier ihre „Sommerfrische“ genossen.
Diese Geschichte ist noch nicht vergessen. Kerzen sind wieder überall zu haben. Auch den Weg zum Stein haben wir gefunden, das Sprüchlein in alten Chroniken wiederentdeckt, sind auch wieder von Gefahr umgeben, doch hat sich bislang kein Weiser gefunden! Ist wirklich kein Weiser mehr unter uns, der an sein Wirken und an das Gute glaubt, zum Stein hinaufgeht, eine Kerze entzündet, das heilsame Sprüchlein murmelt??? (aufgeschrieben nach einem jüdischen Märchen)
Es war einmal ein alter Bergmann im kleinen Orte Suderode, er war arm trotz vieler harter Arbeitsjahre und nunmehr gebrechlich von diesem Tun. Er lebte nahe des Hagenbergs in einer winzigen Hütte mit seinem einzigen Sohn. Seine Frau war, wie seine beiden Töchter, während des langen Krieges von ihnen gegangen. Die beiden Männer hatten nur eine Ziege im Verschlag, sie war ihre einzige Habe. Der Bursche aller-dings war stark und tüchtig und die Ziege ein gar ansehnliches Tier. Oft kamen bekannte Suderöder zu ihm und es war in dieser (nach dem Dreißig-jährigen Kriege) nahezu menschenlosen Gegend unmöglich, sich nicht zu kennen, und meinten: „Verkaufe doch die Ziege auf dem Markt zu Quedlinburg – dann habt ihr wenigstens zum Essen genug und es wird euch eine Zeit lang gut gehen!“ Er aber achtete nicht auf das Gerede und meinte stets, dass Gott entscheiden würde, was gut und was schlecht wäre. Manches Mal wunderten sich die Leute noch, hielten es aber für wirre Reden eines alten Bergmannes, der zu Arbeitstagen noch zu viel harten Schiefer auf den weichen Kopf oder zu wenig Frischluft bekommen habe – da arbeite das Gehirn nicht wie bei gescheiten Leuten (womit sie sich selbst meinten).
Eines Tages, bei einem schweren Gewitter, floh das Tier aus dem Verschlag und blieb auch die drei nächsten Tage verschwunden. Wieder kamen die Suderöder und meinten: „Du armer alter Greis, hättest du die Ziege verkauft, so wäre es dir besser ergangen – so ist es nun dein Pech!“
Der Alte entgegnete wiederum: „Ob es Glück oder Unglück ist, habe ich nicht zu entscheiden – Gott allein weiß darum und seinem Geschicke vertraue ich!“ - „Welch’ Dummkopf...“, flüsterten die Leute,“... selbstverständlich ist es für ihn ein harter Schlag! Was soll denn nun werden?“
Tags darauf aber stand die Ziege des Alten wieder im Stall und hatte zwanzig ansehnliche Stück Muffelwild aus dem Walde aufgetan und mitgebracht! - Die Dörfler kamen wieder und sprachen: „Welch’ Freude, welch’ ein Glück, Alter – du hattest Recht, nun hast du erst einmal ausgesorgt!“ Und wieder sprach der Greis: „Ob es Glück oder Unglück ist, dass uns die Tiere zuliefen, weiß Gott allein!“ „Was für ein törichter, einfältiger, alter Mann er doch ist! Natürlich ist es ein wahrer Glücksfall!“, sagten die Leute und gingen kopfschüttelnd von dannen.
In der kommenden Nacht stürzte eines der Tiere vom Hagenberg herab und konnte sich nicht allein aus den umherwuchernden Brombeer-ranken befreien. Der Sohn des Alten machte sich trotz aller Dunkelheit sofort daran, dem hilflosen und schreienden Tier beizustehen.
Beim Versuch allerdings stolperte er über einen Ast, blieb mit dem Fuß in einer Wurzel hängen, rutschte mit dem Körper tiefer und verdrehte sich sein Bein. Ein lautes Knacken war zu vernehmen, das selbst dem Schreien des Not leidenden Tieres Einhalt gebot. So lag der Sohn des Alten mit verkrüppeltem Beine und wildem Schmerz, wie dieser es noch nie erlebte, die halbe Nacht am Hang. Schreien wollte er nicht, wer sollte ihm helfen. Weiß Gott nicht sein alter Vater, nein – ihn wollte er nicht auch noch der Gefahr aussetzen.
Die Kunde verbreitete sich am nächsten Morgen wie ein Lauffeuer im winzigen Orte. Und nach kurzer Zeit war die neugierige, redselige, mit guten Ratschlägen um sich werfende Dorfgemeinschaft wieder am Hagenberg versammelt: „Welch Unglück“, meinten sie, „dein einziger Sohn ein Krüppel! Wie willst du nun das ohnehin schon karge Feld bestellen, alleine reicht deine Kraft nicht und ihr werdet noch mehr Hunger leiden als zuvor!“ Wieder sagte der Alte und lächelte in einer Weise die tiefes Mitgefühl verriet: „Ob Glück oder Unglück, wage ich nicht zu bewerten!“ Spätestens jetzt hielten ihn die Leute für völlig verrückt! Auch die wenigen guten Freunde schüttelten ungläubig den Kopf und wendeten sich ab.
Am darauffolgenden Tage jedoch, kamen die Soldaten des Königs ins Dorf. Sie verkündeten, es gäbe Krieg und nahmen die wenigen wehrtauglichen jungen Knaben und Männer mit in die ferne Schlacht! Einzig den „verkrüppelten“ Sohn des Alten, den brauchten sie nicht, er blieb nunmehr als einziger Mann in Suderode und, ob das ein Glück oder ein Unglück ist, der einzige junge Mann zwischen so vielen jungen Frauen zu sein, dass weiß Gott allein!
Ja, ob Glück oder Unglück – lasst uns für alle Segnungen dankbar sein!
Es war einmal ein armer Mann, der hatte nicht viel bis auf einen klugen Kopf, derowegen er sich mit manchem Tun durch das Leben helfen musste. Mal verdingte er sich als Schäfer, mal als Holzsammler und mal als Bauer. „Ach wäre dies doch guter Mutterboden!“, klagte er eines Tages, als er mit dem Rücken am Stamm der großen, alten Eiche saß und hinaus auf das Moor schaute, das sich damals noch zwischen dem Elfengrunde und dem alten Möncheberg erstreckte. „Dann müsste ich mit den Schafen nicht täglich drumherum ziehen, meine müden Glieder nicht weit vor dem Morgengrauen bewegen, mich nicht bis in die späte Nacht hin regen! Zudem könnte ich ein Feld bestellen. Ach wäre dies nur guter Boden, wie reich könnte ich wohl sein?!“
„Das ließe sich wohl einrichten, liebes Bäuerlein!“, zische eine süße Stimme ganz dicht neben ihm. Der Alte wandte halb erschrocken, halb erstaunt seinen Kopf und da sah er ein kleines Männlein neben sich im Grase stehen. Seltsam gewandet war es und ergriff erneut die Stimme: „Seid gegrüßt und entschuldigt mein Auftreten, ich hörte nur eben einen sehnsüchtigen Wunsch und für jemanden, der Rat weiß und gerne guter Geist ist, heißt es, nicht still zu sein!“ - „Ein Ratgebender auf meine Sorge sei mir stets willkommen!“, sagte der Bauer, „Also sprich an, was ist zu tun?“ „Nun, gibst du mir, was ich möchte, werde ich den Sumpf wohl trocken zu legen wissen!“, gab das Männlein lächelnd zur Antwort. „Was könntest du von einem armen Mann schon wollen?“, fragte der Bauer skeptischer werdend. „Nicht viel, doch nichts Geringeres als seine Seele!“, flüsterte das Männlein welches sich mit diesem Spruch um sich selbst drehte und zur Gestalt des Teufels ward.
„Ich ahnte es bereits, du alter Beelzebub!“, grollte der Bauer, der sich mit einem Satz erhob. „Meine Seele willst du?“, brummte er vor sich hin und überlegte. „Nun gut, da ich dir ohnehin nicht entkomme und es satt bin, in Armut zu sein, willige ich in dein Angebot ein!“ Der Teufel sah nun selber verwundert drein, als hätten ihn alle guten Geister verlassen.
„Höre aber Teufel: Ich will etwas von meinem Felde und dessen reichen Früchten haben. So hole mich und meine Seele erst dann, wenn an den stolzen Ästen dieser Eiche kein einziges Blatt mehr hängt!“ - „So soll es nach deinem Wunsch geschehen und unser Pakt geschlossen sein!“, sprach der Gehörnte grinsend, im Wissen darum, dass die Blätter wohl schon in drei Monden fallen werden, und war sehr zufrieden mit sich selbst. Er wandte sich vom Bauern ab und ging Richtung Moor. Seltsame Schwaden drangen aus seinen Handflächen und die Erde begann im Höllenfeuer zu qualmen. Nebel entstiegen dem Boden und hüllten den Teufel bald schon selbst ein, so dass er nicht mehr zu sehen war. Wohl dreißig Minuten währte dieses Spiel und der ganze Bruch vor Suderode stand dicht in gespenstigen Nebeln umhüllt. Dann blitzten wieder Sonnenstrahlen vom Himmel her, die Schwaden flohen ins Schattenreich und übrig blieb ein schwarzer Boden, nährreich, fruchtbar, kostbar! Und der Bauer ...? Der verbrachte keinen Moment mit Grübeln, er verstand sich nicht darauf, den Kopf hängen zu lassen, sondern machte sich drauf und dran, das junge Feld zu bestellen. Bald schon stand es so prächtig in seiner Frucht, das der Bauer seine ersten Erträge einholen konnte und kaum war er am einen Ende des Ackers mit der Ernte fertig, so war das andere Ende schon wieder zur Lese bereit.
Es war eine reiche Zeit, geprägt von Schönheit, voll von Überfluss und Seligkeit, ... bis der Sommer ging und der Herbst kam. Der Teufel war nun täglich an der alten Eiche, um zu sehen, wie es mit „seiner Ernte“ bestellt war, ob die Blätter schon fielen, aber noch musste er wohl oder übel dem Bauer Zeit einräumen. Der Spätherbst kam und auch der Winter! Längst waren all die anderen Bäume blätterlos, an der alten Eiche aber, da hingen sie beständig, so fest, als wäre es junges Laub. Wie schäumte es dem Teufel im Munde, wie zürnte es ihm, doch blieb im nichts anderes übrig, als sich in Geduld zu üben, zu warten auf den einen Tag ...! – Der Winter kam und wurde arg, bitterkalt, aber viele Blätter klammerten sich noch immer an ihr Leben, selbst der Wilden Jagd wussten sie zu widerstehen.
Und dann, dann wurden die Tage allmählich wieder länger und die erste warme Sonne lockte die Menschen ins Freie und die Gräser aus der Dunkelheit des Bodens ins Tageslicht und brachte den Frühling mit. Und mit ihm, da kamen die neuen Knospen, die neuen Eichblätter, obschon die Alten nicht müde wurden sich festzuhalten. Und als Walpurgis nahte, da hatte der Teufel die Nase voll vom Warten und vom Anblick des grinsenden Bauern am Feldesrand. Er wusste zu gut, dass ihm mal wieder ein Schnippchen geschlagen wurde, aber verstand sich wohl selbst darauf, seinem Glücke nachzuhelfen. Gerade als der Bauer unter die alte Eiche trat, schlug er heftig seine Hände ineinander, so laut wie Donnergrollen war es, dass der Bauer sich die Ohren zuhalten musste. Und als der Teufel seine Hände auseinanderzog, da schwirrte ein Blitz daraus hervor und hinein in die Eiche, die sofort in hellen Flammen stand.
Aber Gott sieht alles, jedes unfaire Stück und ließ seinen Segen über das Land wehen. Dicke Regenwolken zogen nun um das Feld, den Möncheberg und seine Eiche und löschten das Feuer, bevor es allzu großen Schaden anrichten konnte. Unermesslich muss es im Teufel getobt haben und wäre er nicht augenblicklich verschwunden, so hätten wir ihn bestimmt platzen sehen.
Die Eiche aber, sie steht und webt und lebt noch immer, vom Blitz gezeichnet zwar und innen hohl, aber stets grün und voll und guten Schatten spendend für Tage an denen die Höllenhitze klebt.
Und der Bauer? Der hat seine Seele noch immer, hatte ein reiches und schönes Leben – alle Zeiten konnte er gute Ernten einfahren und die Schafe des Ortes Suderode an den Hängen und unter dem alten Baume grasen lassen, woher sie auch ihren Namen hat – die Schäfereiche – die noch manch andere alte Geschichte zu erzählen weiß.
„Der Teufel an der Schäfereiche“ - gemalt von Hildegard Kiehne
Es lebten einmal am Harzrand bei Suderode zwei junge Schäfer. Gut befreundet gerieten sie doch eines Tages aneinander, als sie die Nacht draußen am Müncheberg verbracht hatten und stritten sich „auf Teufel komm raus“ um die Frage, wann denn der Tag beginnen würde. Der eine meinte, der Tag wäre geboren, könne man einen Eichbaum von einer Linde unterscheiden! Der andere aber war der Ansicht, der Tag bräche an, sehe man klar, dass dieses ein Schaf und jenes ein Hund sei. – Da sie nicht übereinkamen, gingen sie zum alten Bergmann in Sude-rode, von dem jeder sagte er, wäre gescheiter als Himmel und Erde zusammen. Nacheinander verkündete ihm ein jeder nun seine Meinung. Er lächelte nur und sprach: „Nichts von beidem! Der Tag ist gekommen, wenn ihr in die Augen eines Fremden blickt und darin euren Bruder oder eure Schwester erkennt. Erst dann ist Tag geworden, bis dahin aber ist noch tiefe Dunkelheit!“
Einst zog ein Wandersmann nach Suderode und verlief sich auf halbem Wege. Er machte Rast, setzte sich unter einen uralten Baum und klagte dem Wind sein Leid. Ach, hätte er bloß ein gutes Mahl dabei, und einen Trank! Ja, er war dem Verdursten nahe. Und plötzlich, ... wie aus dem Nichts heraus, fasste er in der einen Hand ein sattes Stück Gebratenes und in der anderen einen Kelch mit vorzüglichem Wein. „Ich wünschte, das Mal würd’ nie enden!“, sprach er zu sich selbst und aß und aß, trank und trank, ohne nach dem Woher zu fragen und tatsächlich ... so viel er auch verzehrte, der Reichtum fand kein Ende. Reichtum? „Ja!“, meinte er: „Bei meinem Glück, find‘ ich einen Schatz.“
Und plötzlich sah er in den Wurzeln der Eiche Goldmünzen liegen - er traute seinen Augen kaum: Ein unermesslicher Hort! - „Oh weh!“, sprach er, „Gewiss werden Räuber kommen, mir alles Gold wieder zu nehmen!“ Kaum hatte er zu Ende gedacht, kam bereits Diebesgesindel auf ihn zugeritten. Voller Spott nahmen sie ihm alles: Das Gold, den Wanderstock und selbst die Kleidung. Sie waren kaum fortgeritten, da fluchte der Wanderer: „Verdammte schei ... e!“. Er konnte die Schimpftirade nicht mehr beenden, denn über ihm auf dem Baume, saß der Adler, den er sich unabsichtlich herbei-gewünscht hatte und der es eben in diesem Momente für angebracht hielt, sein Abendgeschäft zu verrichten.