3,99 €
Der Personenschützer Felix Horvat bekommt einen Anruf: Seine beste Freundin und Polizistin Andrea hat ein mit Säure verätztes Opfer am Tatort vorgefunden, auf dessen Handrücken dieselbe tätowierte 5 zu erkennen ist, die auch Felix trägt. Felix war früher in einer Jugendgang und scheinbar hat es jemand auf die ehemaligen Mitglieder abgesehen. Er ermittelt auf eigene Faust und wird von den Geistern seiner Vergangenheit heimgesucht. Als Felix' Familie ins Visier der Verbrecher gerät, muss er sich an den Einzigen wenden, der jetzt noch helfen kann: Darius, alter Freund, gefährlicher Junkie und selbst Träger einer 5. Gemeinsam mit Andrea kommen sie einer hochexplosiven Mischung aus Drogengeschäften, Ex-Militärs und Verrat auf die Spur ...
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Der AutorWolfgang Haupt lebt und arbeitet in Salzburg. Auf seinem Weg von der Sprachwissenschaft, über Kommunikationswissenschaft und Anglistik bis hin zur Informatik hat sich der Blick auf und vor allem in die Menschen als spannendster Antrieb erwiesen. Reisen und das Interesse an fremden Kulturen und Sprachen haben in seinem Leben einen großen Stellenwert.
Das BuchDer Personenschützer Felix Horvat bekommt einen Anruf: Seine beste Freundin und Polizistin Andrea hat ein mit Säure verätztes Opfer am Tatort vorgefunden, auf dessen Handrücken dieselbe tätowierte 5 zu erkennen ist, die auch Felix trägt. Felix war früher in einer Jugendgang und scheinbar hat es jemand auf die ehemaligen Mitglieder abgesehen. Er ermittelt auf eigene Faust und wird von den Geistern seiner Vergangenheit heimgesucht. Als Felix‘ Familie ins Visier der Verbrecher gerät, muss er sich an den Einzigen wenden, der jetzt noch helfen kann: Darius, alter Freund, gefährlicher Junkie und selbst Träger einer 5. Gemeinsam mit Andrea kommen sie einer hochexplosiven Mischung aus Drogengeschäften, Ex-Militärs und Verrat auf die Spur …
Wolfgang Haupt
Salziges Blut
Thriller
Midnight by Ullsteinmidnight.ullstein.de
In diesem E-Book befinden sich Verlinkungen zu Webseiten Dritter. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass sich die Ullstein Buchverlage GmbH die Inhalte Dritter nicht zu eigen macht, für die Inhalte nicht verantwortlich ist und keine Haftung übernimmt.
Originalausgabe bei Midnight.Midnight ist ein Digitalverlag der Ullstein Buchverlage GmbH, BerlinJuni 2015 (2)© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2015Umschlaggestaltung:ZERO Werbeagentur, MünchenTitelabbildung: © FinePic®Autorenfoto: © privat
ISBN 978-3-95819-039-9
Alle Rechte vorbehalten.Unbefugte Nutzung wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.
Für alle Helfer, Heiler und Helden.
Kaum ein Ort der nicht mit Leben gefüllt wäreWo die Schreienden willkommen wärenSich die Arme ausbreiten und im Kreise drehtenBis der Kopf in der Wiese lägeEntzückt über die Turbulenzen des HimmelsUnd die einzige Unterbrechung die zarte Hand der MutterDie das nasse Haar nach hinten streicht
Die Geschmacksknospen ziehen über den Stein, erfüllen das Maul mit dem Geschmack des Salzes. Wieder und wieder vergräbt sich die Zunge in den Kristallen, verlangt nach mehr. Wasser, eine Portion Heu, die Haflingerstute kreist den Kiefer in völliger Entspannung. Sie wiederholt die Prozedur, schüttelt die Mähne und spitzt die Ohren. Ein Laut versetzt die Zellen in Wallung. Die Hufe scharren im Heu, treten auf der Stelle. Der Körper gerät in Aufruhr, der Rumpf schüttelt sich. Die Ohren haben etwas vernommen, etwas Vertrautes, das sich nähert. Ein Wiehern, die Klinke der Box geht nach unten, die Tür geht auf. Das Tier senkt den Kopf, ein Streicheln über den Nacken. Ein sanfter Druck, Stirn gegen Stirn. Gleich kommt sie wieder, die Decke unter den Arm geklemmt. Ein gewohnter Handgriff, ein Säuseln, das den Raum erfüllt. Das Gewicht des Sattels erzeugt Gegendruck, kalter Stahl am Bauch, der vorsichtig in den Lederriemen eindringt. Ein Streicheln, das Zaumzeug, ein Ziehen, das Tier setzt sich in Bewegung. Links aus der Box, über den Hof, vor das Gatter. Ein Quietschen des Eisens, ein Ziehen am Maul, das Gatter fällt zu. Die Hand streicht über den Rücken, der Steigbügel senkt sich, alles ist gut. Dampf steigt aus den Nüstern, der Hals biegt sich, die Beine wollen vorwärts. Zuerst im Trab, den Hügel hinauf, zwischen den Bäumen hindurch. Altbekannte Pfade. Das Tier will mehr, übt sich in Geduld. Nicht mehr weit, dann kommt die Ebene, die Geschwindigkeit, die Hufe, die sich in den Schotter drücken. In der Abendsonne, in der Wärme der letzten Sonnenstrahlen. Hinter ihnen das Schloss, erbaut aus Lust am Leben, vor vierhundert Jahren. Sie ist noch zu spüren, die Freude des Markus Sittikus von Hohenems.
Es geht nach Norden, das Schloss versinkt hinter dem Hügel, ist schnell vergessen in der Hoffnung der Ebene. Die Hufe beschleunigen, graben sich in den Boden, alles will vorwärts. Diese Momente waren selten in den letzten Monaten, der Winter hielt spät Einzug und ließ sich schwer vertreiben. Dann ist es einsam und kalt. Der Wind zieht über die Felder, pfeift gegen das Gehöft. Wider den Protest der wiehernden Meute.
Heute ist es anders. Die Sonne hat Kraft, die Welt aus dem Schlaf geholt, die Kälte vertrieben. Nun werden sie häufiger hinaus, vielleicht täglich, sie weiß es nicht. Was ist morgen?
Es existiert nur der Galopp, in dem sie gänzlich ertrinkt. Die Nüstern aufgerissen, zum Ansaugstutzen gedehnt. Es geht nach Westen, in den Wald, auf Forstwegen, geradeaus. Schneller, immer schneller, die Reiterin schmiegt sich an den Rücken. Die Köpfe verschmelzen im Wind, ein Schwall geht durch die beiden. Eine Symbiose, unzertrennlich im Augenblick. Der Schranken ist nicht weit, noch eine Sekunde, sie brauchen Platz, um zu stoppen. Es geht nach links, dasselbe Spiel, im Takt der Spechte durch den Duft des Nadelwaldes. Allein, keine Spaziergänger, die die Ruhe zu stören vermögen. Keine Hunde, Pferde, Forstautos. Niemand, der in ihr Universum eindringt. Langsam, links, noch eine Runde. Einigkeit, der Wald ist eine Mauer, die nur ihnen bestimmt ist.
Ein ungutes Gefühl, die Störung nähert sich, ein schwarzer Fleck in der Ferne. Statisch, glänzend, fremd. Wir haben noch ein paar Meter. Was kümmert uns das?
Sie spürt die Unsicherheit, wird langsamer, geht in den Trab, wittert etwas. Sie kann es nicht ignorieren. Eine Hand gleitet auf die Schulter, entspann dich, Mädchen. Der Blick geht nach links, durch die Spärlichkeit der Blätter, sucht nach Anhaltspunkten. Empörung macht sich breit, Frechheit schleicht durch die Gedanken. Beruhigung. Sie alle dürften nicht hier sein. Autos und Pferde sind gleichsam verboten.
Eine Bewegung, hinter den Tannen. Geschrei, ein Streit, ein Schuss. Eine rote Jacke huscht hinter den Stämmen vorbei. Die Steigbügel schlagen gegen den Bauch, piano, keine Eile.
Du darfst den Fleck nicht aus den Augen lassen. Dann die Ablenkung, der BMW blendet, zieht die Aufmerksamkeit auf sich. Verdammt. Das Rot ist verschwunden. Das Herz beschleunigt, der Mund presst Luft aus der Lunge. Die Pupillen springen hin und her, die Linsen ziehen sich zusammen, fokussieren. Da! Braves Mädchen, Geduld. Sie müssen leise sein. Vielleicht ist er nicht allein.
Ein Schnauben, die Hufe klicken auf dem Schotter. Fünfzig Meter bis zu dem Rot, das nicht hierhergehört. Die Blicke trennen sich, die Reiterin sucht nach einer Bewegung zwischen den Bäumen. Kein Geräusch zwischen dem Klicken der Hufe, allein der Herzschlag pulsiert durch die Bäume. Noch ein paar Meter, der linke Steigbügel senkt sich und die Stiefel knacken auf dem Untergrund.
Verhaltene Schritte, ein Blick in den Wald. Keine Regung hier und dort. Die Reiterin läuft hin, dreht ihn auf den Rücken, nicht nur die Jacke versinkt im Rot. Eine Schaufel, Blut klebt am Stiel. Sichtlich nicht das seine, das passt nicht zum Loch in der Brust. An der Hand eine Zahl. Eingebrannt, vernarbt. Am ehesten eine Fünf.
Der Abend trägt den Wind herein. Er reist mit dem Fluss, verstärkt sich, nimmt den Schweiß des Südens mit in die Stadt. Er vermischt sich mit dem der Reichen, um sich dann mit dem der Migranten zu verbinden. Früher war kein Tropfen südländischer Ausdünstung dabei. Das war vor Felix’ Zeit. Er kennt es nicht anders, ist damit aufgewachsen und hat sich nie daran gestört. Ist es doch ebenso sein Duft, der einen Teil beiträgt, mit dem Wind nach Norden verschwindet. Hinter der Stadt vergeht, sich über die Ebenen verteilt, über die Grenze nach Deutschland zieht.
Doch trägt er auch den Gestank und den Lärm der Fahrzeuge, die sich in den Abendstunden ineinander verschränken. Von Zeit zu Zeit ein Signalhorn, Blaulichter, die durch die Dunkelheit von Osten nach Westen schneiden. Oben an der Kreuzung biegen sie nach links ab und ihr Horn verliert sich in den Häuserschluchten. Dort bricht sich das Licht und mahnt zur Eile. Meist Rettungsfahrzeuge, manchmal die Polizei und selten die Feuerwehr. Früher oder später müssen sie alle hier vorbei, unter Felix’ Balkon. Er ist ein Alibi, einen halben Meter lang und einen Meter breit, nicht viel mehr als die Tür, die hinausführt. Gerade groß genug, um den Rauch der Zigarette draußen zu halten.
Die rußgeschwärzten Häuserfronten wechseln sich mit bunten Fassaden ab, sind verbunden mit den Stromleitungen der Busse, die sich zwischen den Autos durchzwängen. Von Süden her dringen die Glocken der Kirchen, die zahlreicher nicht sein könnten. Ein Erbe, ein Vermächtnis, das an die Macht der Kirchenfürsten erinnert. Eine Sache, die Felix nicht kümmert. Es gibt nur eine orthodoxe Kirche, die er nie besucht. Zwar in der Nähe, doch der Glaube hat ihn nie erreicht in dieser Welt. Er ist verblasst, verloren zwischen den Welten, wie die Menschen, die dorthin gehen.
Die Augen starren in die Leere, vorbei an der Glut, die sich in den Tabak frisst. Das Knistern der Zigarette blendet alles aus, füllt die Lunge mit Rauch. Ein tiefer Zug, der Stummel verglüht im Aschenbecher, Felix geht in die Wohnung. Der Blick trifft das Telefon, eine jähe Störung, die ihm keine Ruhe lässt. Er setzt sich auf die Couch, die nachts als Bett fungiert, schaltet den Fernseher ein.
Salzburg heute. Barbara Weisl erzählt über die Geschehnisse im Bundesland, es ist nicht viel passiert. Sport, Wetter, Ende. Felix drückt die Weisl weg und setzt sich an den Rand der Couch. Er atmet durch, steht auf, geht eine Runde im Zimmer. In die kleine Küche, in der sich nichts außer einer Kaffeemaschine befindet. Er drückt den Knopf, George Clooney drängt sich in die Gedanken, die Mundwinkel wandern nach oben. Wegen ihm hat er die Maschine. Oder eher wegen seines Aussehens.
Ein Blick in den Kühlschrank, ein halb volles Päckchen Milch, Gemüse, ein Karton Eier. Er wäscht eine Tasse ab, platziert sie unter dem Zapfen, mit dem George Clooney in der Werbung die Frauen herumkriegt. Felix drückt den großen der zwei Knöpfe, ein Brummen, der Nasenbär spuckt zwei genormte Espressi in die Tasse. Keine Milch, kein Zucker. Dazu eine Zigarette, immerhin vergeht die Zeit. Felix öffnet die Balkontür, stellt die Tasse auf das Eisengitter. Feuer, Knistern, ein tiefer Zug. Es stinkt nach Essig, dem Abgas der Fahrzeuge. Verdammt, warum lebst du eigentlich noch hier? Wahrscheinlich liegt es an den Immobilienpreisen in den anderen Vierteln. Oder den Alimenten. Oder dem unterbezahlten Job. Oder daran, dass du selten dort bist. Egal, konzentrier’ dich auf den Rauch. Ein Brennen, die Bronchien öffnen sich, das Nikotin ist in Sekundenschnelle da, wo es hingehört. Im Belohnungszentrum, direkt im Gehirn.
Nebel zieht auf, lässt den Anblick der Straße vergehen. Allein die Lichter scheinen durch, wie hinter Watte, der Lärm ist weit entfernt. Er will den Zigarettenstummel nach unten schießen, vielleicht bleibt er darauf liegen.
Lass es. Das verursacht nur Brandflecken.Das macht es nicht besser. Das macht den Tag, dein Leben nicht besser. Morgen musst du was tun, raus aus dieser Enge, die dich erdrückt. Vielleicht an den See, unter Menschen. So sehr ihm das widerstrebt. Wenn er sich hängen lässt, wird sie die Überhand gewinnen, ihn ewig mit Enissa erpressen. Du brauchst einen Plan.
Felix geht hinein, zum Kleiderschrank, steckt den Schlüssel in die Kassette und nimmt die Pistole heraus. Eine ČZ 75, 9 mm, Baujahr 99. Klein, leicht, zuverlässig. Er zieht das Magazin aus der Pistole, kontrolliert die Patronen. Die Hand gleitet den Schlitten entlang, das linke Auge schließt sich, die Linse des rechten fokussiert einen Punkt hinter dem Ende des Laufs.
Angeln wäre eine Idee. Laut dem Wetterbericht soll es schön werden. Vielleicht hat Suzuki Zeit. Ein Griff zum Telefon, er setzt sich auf die Couch. Die Finger fahren den Oberarm entlang, kreisen um die Ornamente der Tätowierung, die Hand umschließt ihn, streicht nach unten, bis sie am Handrücken hängenbleibt. An der kaum sichtbaren Narbe, die einmal die Zahl Fünf dargestellt hat.
***
Der VW Sharan schiebt sich durch den Nebel. Die Salzach entlang, den Kai hinunter, zwischen den Autos durch. Der Wind hat aufgefrischt, zieht von Süden herein, versucht die Schwaden zu vertreiben. Mit mäßigem Erfolg. Immer wieder taucht ein Auto vor dem Sharan auf, das Blaulicht ignorierend, um gleich wieder hinter ihnen zu verschwinden. Andreas Kollege, der Nowak, hält sich am Griff über dem Autofenster fest, den Blick möglichst nicht nach vorn gerichtet. Es ist die schlechte Sicht, die ihn beunruhigt. Andreas Fuß bleibt am Gaspedal, von Zeit zu Zeit bremst sie auch.
»Wer weiß, was da los ist. Da spinnt sicher nur einer.«
»Ich bin mir da nicht so sicher. Ich habe so ein Gefühl«, antwortet sie lakonisch.
»Kannst du das nicht auch unterdrücken, wie dein Privatleben? Dann kommen wir vielleicht lebend an.«
»Du hast doch nur Schiss, weil du nicht selber fährst.« Und ich eine Frau bin. »Sei nicht so ein Weichei. Dann erzähl ichs auch niemandem.«
Der Nowak widmet die Aufmerksamkeit dem Autofenster, schüttelt den Kopf.
Was weiß er schon von deinem Privatleben? Nur weil er keins hat? Mit seinen fünfzig Jahren, der kahlen Birne und dem Bierbauch. Was hat er für eine Ahnung?
Andrea biegt ab, mit Folgetonhorn über die Kreuzung hinter dem Justizgebäude, mit Volldampf die Alpenstraße hinunter. Es ist nicht mehr weit. Nach einem Kilometer rechts in die Akademiestraße, der Sharan lässt den behelfsmäßigen Kreisverkehr unbeachtet, hundert Meter und rechts.
Vier Fahrzeuge der Freiwilligen Feuerwehr stehen vor dem Gebäude der ehemaligen Germanistik, Andrea stellt den Sharan dahinter ab. Sie springt aus dem Wagen, der Kommandant kommt auf sie zu.
Ein Nicken, sie gehen an der Bierbank vorbei, auf der ein paar Sauerstoffflaschen liegen und ein Freiwilliger Aufzeichnungen macht. Daneben eine Stoppuhr, die anzeigt, welche Gruppe sich wie lange im Gebäude aufhält. Drei Männer mit Atemschutzmasken kommen heraus, drei andere nehmen ihnen die Flaschen ab. Der hinter der Bank notiert. Andrea verharrt einen Moment, der Kommandant tippt ihr auf die Schulter. Sie sollen weitergehen. In das Gebäude, den Taschenlampen hinterher.
Sie folgen den Spuren der Verwüstung, ausgeschlagene Türen, zerbrochene Fenster, Männer in Sandgelb mit Gummimasken im künstlichen Nebel. Sie bleiben stehen, halten inne, als Andrea dem Kommandanten hinterher an ihnen vorbeigeht. Ihr blonder Pferdeschwanz und ihre Proportionen sind ein Blickmagnet. Die Uniformhose betont genau das, was sie eigentlich verbergen soll. Im Dienst etwas nachteilig, in der Regel wird Andrea kaum ernst genommen. Da kommt der Nowak ins Spiel. Vor einem bierbäuchigen alten Mann haben die Leute eher Respekt. Das gefällt dem Nowak. Der einzige Moment, in dem sie seine Brust hat anschwellen sehen. Er ist kein Chauvinist, ein zurückhaltender Typ, ein Normalo eben. Unauffällig und durchschnittlich. Die Leistung hangelt ebenfalls am Mittelmaß entlang. Doch ist er ihr Gegenpol, jemand, der ihren Ehrgeiz im Zaum hält. Manchmal ist sie dankbar dafür.
Heute weniger. Bis er Andrea folgt. Dann ist mit der Gafferei normalerweise Schluss. Dann wird sich das Hecheln unter den Atemschutzmasken auf ein normales Maß einstellen.
Sie folgt dem Kommandanten die Treppe hinab, die Baustellenlichter entlang, durch einen Rahmen ohne Tür. Andrea kann außer dem Nebel nichts erkennen. Eine Baustellenlampe steht an der Wand, der Kommandant sagt ihr, dass sie dorthin gehen solle. Vielleicht hat der Nowak recht. Vielleicht sollte sie die Gefühle unterdrücken, anstatt ihr Leben für eine vage Vorahnung zu gefährden. Es gab keinen Grund, mit Blaulicht und Folgetonhorn in dieser Geschwindigkeit hierherzufahren. Keine Prügelei oder Schießerei, kein Einbruch. Der Nowak wird mindestens einen Kaffee verlangen. Oder eine Jause.
Andrea sieht den Kommandanten an, er drückt den Sprechknopf am Funkgerät, sagt, dass die Feuerwehrleute den Ventilator einschalten sollen. Es dauert keine zehn Sekunden, ein Motor startet, der Rauch beginnt sich aufzulösen.
Wie Watte zieht er durch das Kellerfenster, am Boden zeichnet sich eine Silhouette ab. Ein Mensch in einer Badewanne, umspült von einer braunen Brühe. Beziehungsweise das, was einmal ein Mensch gewesen ist. Eins achtzig groß, achtzig Kilo. Eine Hand hängt über dem Rand, außer den Knien der einzige Körperteil, auf dem sich Haut befindet.
»Rufen Sie den Nowak«, sagt Andrea. Weit entfernt von jeglicher Ruhe. Der Kommandant funkt, eine Minute später nähert sich ein Hecheln. Der Nowak sieht die Leiche, sieht Andrea, sagt: »Sag ich doch, dass wir es nicht eilig haben.« Andreas Blick schneidet ihn fast entzwei, der Nowak macht auf dem Absatz kehrt. »Ich gehe zum Auto. Du wartest hier.«
Ein Nicken, Andrea atmet durch, geht in die Hocke. Scheiß mich an, wer hat dich so zugerichtet? Es sieht aus wie verbrannt, die Haut, das Fleisch zerfressen. Dort, wo einmal das Gesicht war, ist nun das Weiß der Knochen. Sie sieht dem Toten in die Augenhöhlen, bedauert ihn einen Moment, sucht ihn ab. Eigentlich Sache des LKA, aber zu aufregend, um sich nicht darum zu kümmern.
Sie steht auf, der Rauch hat sich komplett verzogen. Die rechte Hand. Sie nimmt ihr Mobiltelefon, beugt sich hinab, stellt die Kamerafunktion ein. Ein Augenblick, die Linse stellt scharf, ein Foto. Sie spreizt die Finger am Display, vielleicht bringt das Licht in die Angelegenheit. Die Narbe kommt ihr bekannt vor. Der Nowak schlurft um die Ecke, sagt, er habe die Kollegen verständigt und fragt den Kommandanten, ob jemand den Toten angefasst hätte. Der Mann verneint, der Nowak sagt Andrea, dass sie fahren sollen, die Spurensicherung da sei. Andrea dreht sich um, lässt das Telefon in die Tasche gleiten. Das musst du klären. Das kann kein Zufall sein. Und hoffentlich nicht deine Befürchtung.
***
Jemand macht sich an der Hand zu schaffen. Eine Berührung. Ein Flüstern. Eine zweite Stimme mischt sich ein. Alles ist fern, unwirklich. Ein Blinzeln gegen das grelle Licht, die Lider gegeneinandergepresst, die Augen öffnen sich. Ein Stich, der den Kopf durchfährt, die Pupillen werden enger, verschwinden hinter den Lidern. Das Flüstern wird unruhig, die Berührung fester. Der Herzschlag beschleunigt, Adrenalin durchfließt die Adern. Darius spannt alles an, streckt die Gliedmaßen, die Hände sollen verschwinden. Hektische Bewegungen neben ihm. Jeweils eine Hand drückt seine Schultern nach unten. Er reißt die Arme nach oben, zieht den Kopf nach vorne und dreht sich auf die Seite. Schreie, die Aufmerksamkeit verlangen. Sein Nachname, sein Vorname. Jemand packt ihn, Darius befreit sich, geht einen Schritt vor, reißt die Augen auf, blinzelt gegen den Schmerz. Mehrere Schatten stehen um ihn herum, er läuft einen Meter, ein dumpfer Laut, dann zieht ein Stich durch das Knie. Er schreit, die Lippen bleiben aneinander kleben, der Mund die Sahara.
Darius dreht sich um, geht auf eine Silhouette zu. Der Umriss weicht zurück, ruft etwas. Schritte, die sich hastig entfernen, eine Tür fällt ins Schloss. Er prügelt Schimpfwörter in den Raum, wartet, dreht sich im Kreis. Die Arme vor dem Körper, bereit zuzupacken. Nichts. Außer Brennen in den Augen und dem Widerhall der eigenen Rufe. Das Pochen im Knie wird stärker, er tastet den Raum ab. Vor sich, hinter sich. Eine Matratze, ein frisches Laken. Darius setzt sich auf die Kante, fährt über das Knie, zuckt beim Kontakt. Er streckt das Bein aus, zieht es zurück, hechelt, massiert sich das Gelenk. Ein Augenblick der Ruhe. Er muss weg von hier. Was immer hier passiert, wo dieses Hier auch sein mag. Die Hände streichen den Körper hinab. Kein T-Shirt, keine Hose, nur Boxershorts. Er steht auf, humpelt an der Wand entlang. Bis er eine Türklinke zu fassen bekommt. Er reißt daran, keine Regung. Es muss einen Ausgang geben. Was würdest du für das Gefühl geben, das du gerade noch hattest, um das du eben betrogen wurdest. Vielleicht soll er nicht glücklich sein, vielleicht ist es anderen bestimmt. Nur nicht ihm. Es war zum Greifen nah.
Tränen steigen ihm in die Augen, er lehnt sich gegen die Wand, lässt sich hinabsinken. Die Hand vor der Stirn, an den Beinen, die er eng an den Körper gezogen hält. Ein Schlüssel, der sich im Schloss dreht. Darius fährt mit den Fingerknöcheln über die Lider, schnieft die Flüssigkeit in die Nase, stemmt sich an der Wand hoch. Er wischt die Feuchtigkeit vom Handrücken, fährt mit der Rechten über das Auge.
Die Narbe glänzt unter den Tränen.
Ein Mann betritt den Raum. Aufrechte Haltung, schwarz gekleidet, die Schultern hat er nach hinten gezogen. Behutsam nähert er sich, die Hände hält er wie ein Cowboy am Körper. Darius weicht zurück, tastet die Wand entlang, atmet gegen das Gefühl, das ihn zu kontrollieren droht. Ein Gegenstand presst sich an die Finger. Kalt, metallisch, einen halben Meter lang.
»Ich würde das an deiner Stelle sein lassen.« Der schwarze Mann. Monotone Stimme, mit einem Brocken Überheblichkeit.
Darius umklammert den Feuerlöscher, hält ihn vor den Körper. Wenn er näher kommt, macht er damit Bekanntschaft. Dann wird er sehen, mit wem er es zu tun hat.
Der Mann lässt sich nicht beirren, setzt den Schritt fort. Darius’ Atem wird schneller, das Herz springt aus der Brust. Er nimmt den Feuerlöscher und wirft. Der Augenblick dehnt sich zur Unendlichkeit. Der Blick folgt dem Rot, das mit einem hohlen Klang auf dem Boden aufschlägt. Der Kopf des Mannes senkt sich, ein Lachen, blechern, spaßbefreit.
»Dann bin wohl ich an der Reihe«, sagt der Mann, fährt einen Totschläger aus.
Suzuki lehnt an der Tür zur Tankstelle, neben dem Aschenbecher, den die Betreiber notdürftig eingerichtet haben. Weil sich die Leute gegen den offiziellen, fernab der Zapfsäulen, standhaft wehren. Männer in Arbeitermontur, mit Schlapphüten aus dem Baumarkt und goldenen Halsketten, ziehen sich Zigaretten zwischen die Rippen, trinken Kaffee aus dem Automaten. Einer der besseren Sorte, der dennoch nicht an den italienischen heranreicht, obwohl er scheinbar von dort kommt.
Suzukis Augen weiten sich beim Anblick der Honda. Eine Fireblade SC57, 174 PS. Aufkleber, die einiges vermuten lassen. Zwischen dem schwarz-roten Dekor steht auf der rechten Seite: It’s not the speed that kills you, it’s the sudden stop. In Weiß, auffällig, damit jeder kapiert, womit er es zu tun hat. Standesgemäß. Wirksam. Womit man in der Ignaz-Harrer-Straße Aufsehen erregt, am Café vorbeischleicht, um das Motorengeräusch in den Kopf der Schaulustigen zu prügeln.
Der direkte Weg in die Landesirrenanstalt, wie sie ihr Gründer einst getauft hat, zweimal umbenannt, um dem neuen Auftrag gerecht zu werden. Eine Straße für Menschen, die sich nicht im Bereich des Normalen bewegen. Ein Pflaster für Motorräder, Autos, illegale Straßenrennen, wohlweislich nachts. Breit genug, um zu sehen, was die Mühle hergibt. Nichts für Felix und Suzuki. Ihnen reicht die Auffälligkeit des Tages, das Gefühl der Sichtbarkeit.
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!