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- Höchst integrativ: Techniken aus der Schematherapie, ACT, Körper- und Gestalttherapie sowie Emotionsregulationsstrategien und Kommunikationsübungen - Hilfreich: Praxistipps für konkrete Therapiesituationen und erste Hilfe bei Krisen - Online: Alle Arbeitsblätter praktisch zum Download und Ausdruck Scham und Schuld sind Emotionen, die den therapeutischen Alltag begleiten und prägen: Einerseits bildet dysfunktionales Scham- und Schulderleben den Kern der Entwicklung psychischer Erkrankungen, andererseits entstehen Scham und Schuld auch als Folge psychischer Erkrankungen. Viele Patientinnen und Patienten schämen sich gar, eine Therapie »nötig« zu haben und fühlen sich schuldig, es nicht alleine hinzubekommen. Dieses Buch bietet schulen- und störungsübergreifend kompaktes Wissen sowie Übungen, wie an Scham und Schuld gearbeitet werden kann. Stets verbunden mit praktischen Arbeitsblättern gliedert es sich übersichtlich in folgende Module: - Psychoedukation für Patientinnen und Patienten - Störungsmodell entwerfen und Ziele entwickeln - Emotionsbezogenes Vorgehen: Scham- und Schulderleben aktivieren und regulieren - Biografiearbeit: Mit frühkindlichen Scham- und Schuldgefühlen umgehen - Scham- und Schulderleben angemessen ausdrücken und kommunizieren, z.B. lernen, sich zu entschuldigen - Selbstwertarbeit, Selbst- und Identitätsentwicklung - Soziale Kompetenzen und empathische Prozesse fördern Die Übungen unterstützen PatientInnen dabei, beispielsweise alte Rollen, Zuschreibungen und internalisierte dysfunktionale Werte zu verabschieden oder zu begrenzen. An die Stelle dysfunktionaler Scham- und Schuldgefühle treten Selbstempathie und -fürsorge. Und nicht zuletzt lernen sie, sich in Beziehungen zu öffnen, wodurch korrigierende Erfahrungen möglich werden. Dieses Buch richtet sich an: - Psychologische PsychotherapeutInnen - Ärztliche PsychotherapeutInnen - fachgebundene MedizinerInnen - psychotherapeutisch arbeitende KollegInnen der verschiedenen Therapieschulen
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Seitenzahl: 293
Veröffentlichungsjahr: 2020
Maren Lammers
Scham und Schuld – Behandlungsmodule für den Therapiealltag
Für Rosa und Gernot
Maren Lammers
Psychologische Psychotherapeutin
Praxis St. Pauli
Bernhard-Nocht-Str. 107
20359 Hamburg
Praxis Sternschanze
Schanzenstr. 24
20357 Hamburg
www.hamburg-privatpraxis.de
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Schattauer
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© 2020 by J. G. Cotta’sche Buchhandlung
Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart
Alle Rechte vorbehalten
Cover: Jutta Herden, Stuttgart
unter Verwendung eines Gemäldes von Friederike Lydia Ahrens Plug Art
Lektorat: Volker Drüke
Projektmanagement: Dr. Nadja Urbani
Datenkonvertierung: Eberl & Koesel Studio, Altusried-Krugzell
Printausgabe: ISBN 978-3-608-40011-3
E-Book: ISBN 978-3-608-11588-8
PDF-E-Book: 978-3-608-20430-8
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Kurzes Vorwort und Dank
Allgemeine Informationen zu Scham und Schuld
1 Grundlagen
1.1 Scham und Schuld – allgemein
1.1.1 Funktionale Aspekte von Emotionen
1.1.2 Emotionale Netzwerke
1.1.3 Grundbedürfnisse und emotionales Erleben
1.1.4 Emotionsdreieck
Wissen
Kompetenzen
Emotionsregulation
1.2 Scham und Schuld bei psychischen Erkrankungen
1.2.1 Unikausal versus multikausal
1.2.2 Scham und Schuld mit Symptomcharakter
Angststörungen
Depression
Derealisation und Depersonalisation
Dissoziation
Essstörungen
Hypochondrie
Körperdysmorphe Störung
Persönlichkeitsstörungen
Posttraumatische Belastungsstörung
Schizophrenie, Psychosen, Wahn
Sexuelle Funktionsstörungen
Soziale Phobie
Substanzkonsum und Suchterkrankungen
Suizidale Syndrome, Suizidalität
Zwänge
1.2.3 Frei von Scham und Schuld
1.2.4 Psychopathie
1.3 Gemeinsamkeiten von Scham und Schuld
1.3.1 Soziale, moralische Emotionen
1.3.2 Bedeutung und Begrenztheit von Kognitionen
Kindliche Kognitionen
1.3.3 Selbstreflexive Emotionen
1.3.4 Werte, Normen, Gesetze und Regeln
1.3.5 Motivation
1.3.6 Scham- und schuldassoziierte Themen
1.3.7 Einfluss von Stimmungen
1.3.8 Leidensdruck
Zu viel und zu wenig
Attribution
1.4 Unterschiede zwischen Scham und Schuld
1.4.1 Ich bin Scham
1.4.2 Ich habe Schuld
1.4.3 Scham hat ein eindeutiges Gesicht
1.4.4 Schuld zeigt sich unterschiedlich
1.4.5 Erleben des Gegenübers
1.4.6 Entwicklung und Impulse
1.4.7 Soziale Besonderheiten
1.4.8 Geschlechtsspezifische Besonderheiten
1.4.9 Kulturelle Aspekte
1.5 Entwicklungspsychologische Betrachtungen
Scham- und Schuldgefühle versus Scham- und Schulderleben
1.5.1 Geburt und die ersten Lebensjahre
Besondere Momente zwischen dem Ich und der sozialen Umwelt
Ein kindliches Selbstkonzept
1.5.2 Rund um die Adoleszenz
1.5.3 Scham und Schuld im Alter
1.6 Einflussfaktoren zur Entstehung von Scham und Schuld
1.7 Scham- und Schuldneigung
1.8 Rolle der Empathie
1.8.1 Glaube und gemeinschaftliche Orientierung
1.8.2 Empathische Validierung als ein Merkmal für die therapeutische Beziehungsgestaltung
1.9 Zusammenhang zwischen Selbstwert, Scham und Schuld
Kränkungen
1.9.1 Selbstwertquellen
2 Resilienz, Scham und Schuld
Arbeitsblatt 1 Stufenmodell von den Basisvariablen zur Selbstzuwendung und -liebe
3 Einordnung von Scham- und Schulderleben im therapeutischen Alltag
Fremdscham
3.1 Scham und Schuld als Emotion
Zeitlich begrenztes Auftreten
3.2 Scham und Schuld als Zustand
Ungünstiges Wechselspiel
3.3 Scham- und Schulderleben im Rahmen von Prozessen
Entwicklung
Biographie
Identität und Individuation
Integration
Physische und psychische Erkrankungen
Werte, Regeln und Normen
4 Therapie und Behandlungssetting
4.1 Scham und Schuld im therapeutischen Kontakt
4.1.1 Patienten abweisen »müssen«
5 Therapeutische Haltung
5.1 Basiskompetenzen gezielt nutzen
5.1.1 Schuld- und schaminduzierende Kommunikation
6 Methodenvielfalt
Psychoedukation für Patienten
7 Patienteninformationen zu Scham und Schuld
7.1 Allgemeines zu Scham und Schuld
7.1.1 Scham und Schuld als quälender Zustand
Entscheidungen für uns treffen
7.1.2 Scham- und Schuldthemen
7.1.3 Gemeinsamkeiten
7.2 Informationen zu Scham
Schamgefühle
Als gesamte Person nicht okay
Schamerleben
Mit hängenden Schultern rot werden
Nichts wie weg
7.3 Informationen zu Schuld
Man kann etwas tun
Wirkliche Schuld?
Schulderleben
Verantwortung
Schuld ist nicht eindeutig erkennbar
Schuld bezieht sich aufs Verhalten und Handeln
7.3.1 Echte Schuld auf sich geladen?
7.4 Die Rolle der Empathie, des Mitgefühls und der Selbstfürsorge
7.4.1 Emotionsregulationsstrategien
7.4.2 Zuwendung
Achtsam sein und alles unterlassen, was Öl ins Feuer gießt
7.5 Was macht stark für Scham und Schuld?
Gemeinsam sind wir stark
7.5.1 Sich zuwenden
7.6 Wohin kann die Reise gehen?
7.7 Wichtig zu wissen
Da ist noch etwas . . .
Viel Erfolg für Ihre mutige Reise und Ihren Weg!
Therapieansätze mit Arbeitsblättern
8 Störungsmodell und Ziele
Arbeitsblatt 2 – Leitüberlegungen/Explorationsfragen
8.1 Ein Störungsmodell
Arbeitsblatt 3 – Allgemeines Störungsmodell
Arbeitsblatt 4 – Persönliches Störungsmodell
Erste diskriminierende Einschätzungen
Arbeitsblatt 5 – Scham und Schuld einschätzen lernen
9 Emotionsbezogenes Vorgehen
Nähe-Erfahrung in der therapeutischen Beziehung
9.1 Emotionsaktivierende Methoden
9.2 Emotionsaktivierende und -prozessierende Techniken
9.3 Emotionsregulationsstrategien
9.3.1 Wissen und ein Bewusstsein über die eigenen Emotionen
Arbeitsblatt 6 – Vierfelder-Schema
9.3.2 Emotionale Kommunikation innerhalb von Beziehungen
Arbeitsblatt 7 – Übung »Wie bin ich, wenn ich so bin bzw. mich so fühle«
9.3.3 Die Fähigkeit und Bereitschaft zur Empathie
Kleine Empathieübungen im Alltag einplanen
Arbeitsblatt 8 – Empathie bekunden
9.3.4 Emotionen anderer Personen
9.3.5 Förderung sprachlicher Fähigkeiten zugunsten von Scham und Schuld (und anderer Emotionen)
Lernen, sich angemessen zu entschuldigen
Arbeitsblatt 9 – Sich angemessen entschuldigen
Lernen, Scham zum Ausdruck zu bringen
Arbeitsblatt 10 – Scham zum Ausdruck bringen
Diskriminierende Fähigkeiten fördern
Allergie-Metapher
9.3.6 Angemessene und hilfreiche Bewältigung von unangenehmen und belastenden Emotionen
Arbeitsblatt 11 – Persönlicher Notfallkoffer
10 Biographie-Arbeit und Bedürfnisse
Inneres Kind und korrigierende Erfahrungen
10.1 Biographischen Bezug herstellen
Lebenslinie als narratives Expositionsverfahren
Reduktion der Lebenslinie auf der Metaebene
Arbeitsblatt 12 – Reduktion der Lebenslinie
Arbeitsblatt 13 – Symbole für Grundbedürfnisse
10.1.1 Umgang mit frühkindlichen Scham- und/oder Schuldgefühlen
11 Selbstwertarbeit – Selbstentwicklung
Arbeitsblatt 14 – Explorationsfragen zur eigenen Person/zum eigenen Verhalten
Arbeitsblatt 15 – Imaginationsübung »Mein Zukunfts-Ich«
Arbeit an dysfunktionalen Grundannahmen und Zuschreibungen
Arbeitsblatt 16 – Grundannahmen, Zuschreibungen »emotional entmachten« und nutzbar machen
11.1 Förderung der Identitätsentwicklung und der Individuationsprozesse
Arbeitsblatt 17 – Sich unterscheiden dürfen
11.2 Selbstmitgefühl und Selbstakzeptanz
Arbeitsblatt 18 – Teufelskreislauf mit Negativspirale und Ausstiegsmöglichkeit
Stühle-Arbeit
Zwischenschritt
11.3 Selbstfürsorge und gesundheitsförderliches Verhalten
Arbeitsblatt 19 – Gesundheitsförderliches Verhalten
11.4 Selbstwirksamkeitserleben fördern
12 Verinnerlichte Regeln, Normen und Moralvorstellungen
Eigene Bedürfnisse beachten lernen
Arbeitsblatt 20 – Werte und Bedürfnisse
13 Soziale Kompetenzen fördern
Arbeitsblatt 21 – Erste Schritte zur Kontaktaufnahme
14 Scham und Schuld bei anderen, zugrunde liegenden Erkrankungen
Arbeitsblatt 22 – Sinnstiftende Frage für den Umgang mit Erkrankungen
15 Scham und Schuld als Zustand – Strategien
Arbeitsblatt 23 – Beobachtungen und mögliche Interventionen
Scham- und schuldassoziiertes Netzwerk bewusst machen
Arbeitsblatt 24 – Scham- und schuldassoziiertes Netzwerk explorieren
Reale Schuld tragen – Scham darüber nutzen
Arbeitsblatt 25 – Reale Schuld und angemessene Scham?
Trauern lernen
16 Erste-Hilfe-Ideen für Krisen
Arbeitsblatt 26 – Scham- und Schuldprotokoll
Arbeitsblatt 27 – Krisen- und Notfallplan
Literatur
Sachverzeichnis
»Scham und Schuld« war eine Idee, die unmittelbar nach der Veröffentlichung des Buchs »Emotionsbezogene Psychotherapie von Scham und Schuld« entstand. Ebenso äußerten Kolleginnen und Kollegen diesen Wunsch. Dieser ist nur verständlich, bedenkt man die Komplexität des emotionalen Geschehens von Scham und Schuld. Das Buch bietet Möglichkeiten, sich – ähnlich wie bei manualbasierter Literatur – Orientierung, Ideen und konkrete Interventionen anzueignen, um gezielt am Scham- und Schulderleben arbeiten zu können. Scham- und Schulderleben sind störungsübergreifende Themen.
Entsprechend habe ich das Buch an einer inhaltlichen Grundüberlegung angelehnt. Diese Orientierung bietet eine für den Therapiealltag praktische Struktur:
Scham und Schuld als Emotion
Scham und Schuld als blockierender/hemmender Zustand
Scham- und Schulderleben im Rahmen von Prozessen
Die theoretischen Grundlagen haben in diesem Buch nur insoweit Einzug gefunden, als diese notwendig sind, um Scham und Schuld besser zu verstehen und um Interventionen zu erläutern. Eine vertiefende Erläuterung zu dieser Dreiteilung von Scham- und Schulderleben (als Emotion, prozessbegleitend und als blockierender Zustand) finden Sie im Kapitel 3. Die Einteilung wird auch in den folgenden Kapiteln immer wieder als Orientierungs- und Entscheidungshilfe aufgegriffen.
Reduktion von Theorie und Fokussierung auf das praktische Vorgehen standen daher bei der Erstellung des Kompakt-Buchs im Vordergrund. Dennoch »fordern« beide emotionale Entitäten einen Mut zur Methodenvielfalt im therapeutischen Arbeiten. Reduktion und Fokussierung können die wichtigsten Elemente zum Vorschein bringen, durchaus aber auch Wissenswertes unbenannt lassen. Zwischen den Zeilen lässt sich vielleicht eine Entschuldigung herauslesen. Es gibt gute Gründe, dennoch den Weg der Reduktion und Vereinfachung zu gehen. Vereinfachung hat sich im Therapiealltag bewährt. Allgemeines Wissen führt nicht immer zu Veränderungen. Stattdessen lohnt es sich, mit jedem Patienten/Klienten seinen individuellen Bedeutungskontext, dessen Zusammenhänge zu entdecken sowie einen Weg zu angemessenem Scham- und Schulderleben zu finden. Für Interessenten, die sich auf das komplizierte Geflecht von Scham und Schuld einlassen mögen, verweise ich gern auf das oben genannte Erstlingswerk, das mit seinen fast 500 Seiten viel Material zum Lesen und Reflektieren anbietet (Lammers 2016).
Bereits im ersten Buch habe ich meine Einstellung zur Wichtigkeit des integrativen Ansatzes betont. Diesen Ansatz finden Sie hier wieder, angereichert um das emotionsbezogene Vorgehen. Sie werden Materialien vorfinden, die Sie den Patienten aushändigen können und die helfen sollen, ins emotionale Dickicht von Scham und Schuld einen Zugang zu bekommen. Ebenso gibt es Vorschläge und Arbeitsblätter für die inhaltliche Gestaltung von Therapiestunden. Sprachlich habe ich mich daher bewusst weniger fachlich ausgerichtet, da Umgangssprachliches meist etwas leichter zu vermitteln ist. Bei den Arbeitsmaterialien ist einiges, wenn auch fokussierter auf die emotionalen Prozesse von Scham und Schuld ausgerichtet, vielleicht bereits bekannt und anderes (hoffentlich) neu.
Die Nutzung einer geschlechtersensiblen Sprache birgt einige Herausforderungen in der Ansprache von weiblichen, männlichen und transgeschlechtlichen Formen. Ein Wechsel der Ansprachen ist sicher nur ein Konstrukt – der Versuch, sich am Plural auszurichten, ist nicht immer konsistent gelungen. Seien Sie in jedem Fall herzlich eingeladen und bitte fühlen Sie sich als helfender und professionell arbeitender Mensch mit jeder genutzten Formulierung angesprochen.
Mein erster Dank gilt wie immer meinen Patienten und Klienten, ohne diese wäre auch das Buch nicht entstanden. Täglich lernen wir als Fachleute von Ihnen und entwickeln neue Ideen und Ansätze. Wann immer es in einer Therapie oder zu einem Thema nicht weitergehen will, sind wir gemeinsam auf der Suche. So wie Sie als Patienten/Klienten auch Ihren Weg finden müssen, verstehe ich das therapeutische Arbeiten als Weg. Suchen heißt neue Strategien lernen, Ideen haben, sich ausprobieren, die Einstellung ändern, manchmal auch aushalten und mitfühlen. Scham und Schuld kennen auch psychologische und ärztliche Psychotherapeuten sowie ärztliche Kollegen. Daher werden an der einen oder anderen Stelle Hinweise zu einer möglichen Selbsterfahrung vorzufinden sein. Einige Anregungen dazu können Sie im oben genannten Erstlingswerk finden.
Ein Dankeschön möchte ich auch für die kollegiale Resonanz, das Interesse und den Austausch in und nach den Seminaren und Vorträgen aussprechen. Aspekte aus den Gesprächen habe ich gern aufgegriffen, um diese wiederum den Lesern zugänglich zu machen. Meinem Praxisteam – insbesondere M. Sc. Psych. Lena Herrmann –, das mich auf meinem Weg des Schreibens begleitet und unterstützt, gilt ebenso ein Dankeschön. Begleitung und Unterstützung, Geduld sowie Freigabe von Zeit haben auch meine Familie und Freunde aufgebracht. Das scheint vielleicht erst einmal selbstverständlich, bedeutet mir jedoch sehr viel. Nur so konnte ich (fast) ohne schlechtes Gewissen dem Schreiblauf nachgehen. Danke dafür und für die schönen gemeinsamen Zeiten, die mir immer wieder Freude, Kraft und Energie geben, um mich solchen Buchprojekten zu stellen.
Nun soll das Buch einer kompakten Ausführung gleichen – deshalb ist hier schon das Ende des Vorwortes und des Dankes.
Hamburg, im Sommer 2019
Maren Lammers
Scham und Schuld sind Emotionen. Beide emotionalen Entitäten begleiten uns im sozialen Miteinander des Alltags. Beide Emotionen lassen sich sowohl als einfache emotionale Regungen(1) verstehen als auch als komplexe und stark vernetzte Prozesse. Zu den einfachen emotionalen Regungen gehören sicher die ersten (früh-)kindlichen Regungen eines Menschen, die sich in Scham- und Schuldgefühlen recht deutlich zeigen. Mit zunehmenden Lernerfahrungen(1) sowie einer internalisierten Nähe zum eigenen Selbstkonzept(1), Selbstwirksamkeitserleben(1) und einhergehenden komplexen Kognitionen führt dies oft dazu, dass Therapeuten es in den Behandlungen mit mannigfaltigem und scheinbar undefinierbarem, aber meist intensivem Scham- und Schulderleben bei Patienten zu tun haben. Scham- und Schulderleben findet auf mehreren Dimensionen statt, welche zumeist einen sehr engen Bezug zur Biographie und zum eigenen Selbst haben.
Die frühere Einteilung der Emotionen(1) nach Kategorien wie »positiv« und »negativ« beinhaltet immer auch das Potenzial, negative Emotionen gewissermaßen zu verteufeln, diese nicht mehr haben zu wollen. Das gilt auch für Scham(1) und Schuld(1), denn das emotionale Erleben ist für viele Menschen sehr unangenehm. Scham und Schuld rangieren mit Wut(1), Ohnmacht(1) und Hilflosigkeit(1) auf der Liste der Emotionen, die wir am liebsten vermeiden. Der Wunsch, beide Emotionen aus dem Leben zu verbannen, ist verständlich, wenn man sich selbst nur ein wenig daran erinnern mag, wie diese sich für uns anfühlen. Dennoch sind beide Emotionen für uns als Menschen immens wichtig.
Zunehmend widmen sich wissenschaftliche Auseinandersetzungen dem Aspekt der Funktionalität. Die Aufgabe, die eine Emotion für unser Leben hat, ist relevant. Dieser teleologische Ansatz, dass emotionale Prozesse dem Zweck des Überlebens und Anpassens an die jeweilige Umwelt dienen, fördert das therapeutische Arbeiten an Scham und Schuld. Es gilt, den Sinn und die individuelle Bedeutung für jeden Patienten zu entdecken und nutzbar zu machen, ohne quälende Symptome zu entwickeln. Oft benötigen Patienten Unterstützung für einen angemessenen Ausdruck beider emotionaler Entitäten, denn deren Übung besteht mehr darin, Scham- und Schulderleben zu vermeiden.
Emotionen sind wertvoll, und wir brauchen die Vielfalt, um ein gesundes und ausgewogenes Leben führen zu können. Deshalb brauchen Menschen Emotionsregulationsstrategien(1), um sich der belastenden und vielleicht schmerzhaften Seite von Scham und Schuld stellen zu können.
Praxistipp
Bei fehlenden Strategien findet oft eine unausgewogene, fast ausschließlich kognitive Auseinandersetzung mit Scham(1)(1), Schuld oder den Inhalten, auf die sich Scham und Schuld meist beziehen, statt. Grübeleien, (sich und andere) In-Frage-Stellen oder Formulierungen wie »Ich habe ein Selbstwertthema« geben Hinweise darauf.
Die emotionale Seite findet keinen Ausdruck, und deshalb fehlen elementare Aspekte, um eine Veränderung oder eine sinnstiftende Auseinandersetzung zu ermöglichen.
Emotionen(2) finden auf verschiedenen Ebenen statt und sind mehrdimensional. In vielen Veröffentlichungen, gerade wenn diese auf neuronaler Forschung basieren, wird emotionales Erleben als in Netzwerken organisiert verstanden. Im therapeutischen Alltag greift vermutlich die Formulierung »emotionales Erleben« das mehrdimensionale Erleben am besten auf. Im Umgang mit Patienten hat sich deshalb auch die Formulierung »Scham- und/oder Schulderleben« sprachlich bewiesen. Diese Formulierung fördert u. a. die Erkenntnis, dass es nicht »die eine Scham oder Schuld« gibt, sondern dass mehrere Prozesse daran beteiligt sind. Dem gegenüber stehen Scham- oder Schuldgefühle in ihrer ursprünglichen und kindlichen Form. Bei diesen finden sich nur wenige kognitive Anteile, sondern vielmehr ein emotionales Erleben, das meist eher körperlich spürbar ist (▶ Kap. 1.5).
Praxistipp
Sich dem Gegenüber mitteilen zu können eröffnet soziale Dimensionen rund um Scham- und Schulderleben(1)(1). Es fördert das Selbstwirksamkeitserleben(1) in Bezug auf emotionale Prozesse und die eigenen Bedürfnisse.
Die wichtigsten Ebenen sind im Folgenden noch einmal ausgeführt, weil die Erinnerung daran immer auch ermöglicht, diese explizit zu erfragen. Das Verbalisieren von Prozessen, Erlebnissen und Erfahrungen, gar für sich selbst als Person Ausdruck zu finden ist ein elementarer Wirkmechanismus von Therapie. Scham und Schuld machen oft sprachlos, gerade wenn die emotionale Intensität fast den gesamten Raum des Erlebens einnimmt und sich besonders intensiv darstellt.
Merke
Wie jede andere Emotion finden Scham und Schuld auf folgenden vier Ebenen statt:
Somatische Ebene(1)(1) mit den vegetativen Komponenten der Aktivierung
Kognitive Ebene in Form von Gedanken, die im engen Zusammenhang mit dem emotionalen Erleben stehen
Motivationale Ebene, die je nach Emotion zu unterschiedlichen Reaktionen anregt – oft als innerer Impuls spürbar
Verhaltensebene, die zur Motivation entsprechende Handlungen ausführen lässt – es sei denn, dies ist in der Form nicht möglich
Neben diesen Ebenen ist die Verbindung zwischen Emotionen und den Grundbedürfnissen(1)(1) einer Person vielfach beschrieben (z. B. Glasenapp 2013; Greenberg 2006), und sie hat sich im therapeutischen Arbeiten als hilfreich erwiesen. Den Blick auf die dahinterliegenden Grundbedürfnisse(2) gemeinsam mit den Patienten zu richten hat etwas Sinnstiftendes.
Grundbedürfnisse sind ein mögliches Ziel und geben damit eine Idee, wofür es sich lohnen könnte, an diesen durchaus sehr schmerzhaften Emotionen zu arbeiten.
Einen Zugang zu den Grundbedürfnissen einer Emotion zu finden und in motivdienlicher Handlungsweise für das eigene Wohlbefinden sorgen zu können ist ein wesentlicher Bestandteil der Selbstfürsorge.
Selbst für sich sorgen können schafft Selbstwirksamkeitserleben(1) in Bezug auf die eigene Person. Für Patienten, die sich ihrem Scham- und Schulderleben ausgeliefert erfahren, ist dies ein sehr wirksames Element in der Behandlung.
Stellvertretend für die vielen Bedürfniskonzepte wird an dieser Stelle auf Grundbedürfnisse(1) nach Epstein (1990, 1994) Bezug genommen. Im bedürfnispsychologischen Modell werden Bindung/Autonomie, Orientierung/Kontrolle/Grenzen, Selbstwertschutz/-erhalt und -erhöhung sowie das Bedürfnis nach Lustgewinn/Erholung und Unlustvermeidung genannt.
Grawe (2004) ergänzt das Konzept um das »Bedürfnis« des Strebens nach Konsistenz(1). Mit Letzterem ist der zentrale Wirkmechanismus des Bemühens um eine innere Konsistenz zwischen den Bedürfnissen gemeint.
Stehen die bisher genannten Grundbedürfnisse miteinander im Konflikt, z. B. Bindung(1) und Selbstwerterhalt(1), kommt es zu Dysregulationen und zu einem Inkonsistenzerleben(1). Dieses geht dabei häufig auf der emotionalen Ebene mit Scham- und Schulderleben einher.
Scham- und Schulderleben lassen sich oft bei Patienten feststellen, die einen Bedürfniskonflikt erleben und diesen für sich weder kurz-, mittel- noch langfristig lösen können. Typischerweise geht damit auch ein Insuffizienzerleben einher, was wiederum zu neuen und komplexeren Kognitionen führt, die sich förmlich an das emotionale Erleben knüpfen und infolgedessen mit aktiviert werden. Der Fokus auf kognitive Klärung oder der Versuch, ein Verständnis darüber zu entwickeln, reguliert zwar die Intensität des emotionalen Erlebens, schafft jedoch keine wirklichen Umgangsmöglichkeiten mit dem eigenen Scham- und Schulderleben. Daher gilt es, die Aufmerksamkeit auf die vermiedenen emotionalen Prozesse mit einhergehendem körperlichem Erleben zu richten und sich zugunsten der dahinterliegenden Bedürfnisse zu verhalten.
Emotionales Erleben(1) ermöglicht den Zugang zu den zugrunde liegenden Grundbedürfnissen. Diese Idee basiert auf einem ressourcenorientierten Ansatz, der den teleologischen Ansatz ergänzt. Emotionales Erleben fördert den Zugang zu Ressourcen, wenn Emotionen gut zugänglich und regulierbar sind. Psychisches Wohlbefinden kann damit gesteigert werden und hat wichtige Auswirkungen auf die eigene Resilienz (z. B. Masten 2016). Persönliche Kontrolle, positive Affekte wie Optimismus(1) und soziale Unterstützung fördern Resilienz(1) (Dantzer et al. 2018).
Praxistipp
Selbstwirksamkeitserleben(1) zugunsten eigener Bedürfnisversorgung ist ein bedeutsamer Schutzmechanismus vor dysfunktionalen Prozessen mit einhergehendem maladaptivem Scham- und Schulderleben.
Grundbedürfnisse spielen auch eine große Rolle in der eigenen Weiterentwicklung(1). Je nach Entwicklungsphase stehen mit dem Lebensalter unterschiedliche Grundbedürfnisse im Mittelpunkt der Entwicklung. Scham- und Schulderleben kann diese Entwicklungsprozesse fördern oder auch hemmen, wenn beispielsweise Emotionsregulationsstrategien nicht ausreichend erworben wurden. Ein Übermaß an Scham und Schuld kann Ausdruck dafür sein, dass diese Prozesse in der sozialen Umwelt entweder gar nicht oder nicht ausreichend stattgefunden haben/stattfinden konnten. Oft gilt es in den Therapien, solchen Entwicklungsprozessen eine sinnvolle Ausrichtung zu geben.
Merke
Für eine gesunde Entwicklung und Auseinandersetzung rund um Scham und Schuld sind kognitives Wissen, Kompetenzen im Umgang mit Emotionen sowie Emotionsregulationsstrategien(2) notwendig. Ein gutes Wissen ermöglicht unter Umständen auch gute Kompetenzen bzw. den Aufbau dieser. Emotionsregulationsstrategien fördern wiederum sowohl die Kompetenzen als auch das individuelle Wissen um das emotionale Erleben einer Person.
Eine vereinfachte Betrachtungsweise von Zusammenhängen lässt sich auch auf emotionales Geschehen übertragen. In diesem Kontext lassen sich daran gut die Wechselwirkungen als Emotionsdreieck(1) in Bezug auf Scham- und Schulderleben ableiten. Folgende Darstellung wird daher im Anschluss um kurze Erläuterungen ergänzt (▶ Abb. 1-1).
Abb. 1-1 Emotionsdreieck
Bei genauerem Hinsehen legen die Beschriftungen (Wissen, Kompetenzen und Emotionsregulationsstrategien) Überschneidungen nahe. Natürlich stellt Wissen auch eine Kompetenz dar. Genauso lassen sich Emotionsregulationsstrategien als Kompetenzen verstehen, denen ein Wissen darüber zugrunde liegt. Zur Verdeutlichung der Unterschiede und Verbindungen werden die Begrifflichkeiten im Folgenden explizit ausgeführt.
Zum Wissen um Scham(1)(1) und Schuld gehören insbesondere theoretische Informationen. Diese lassen sich unterteilen in übergeordnetes, allgemeines und spezifisches Wissen. Allgemein betrachtet haben Emotionen(1) eine wichtige Aufgabe und spielen eine wesentliche Rolle im Leben eines Menschen. Unangenehme und schmerzhafte Emotionen sind ebenso bedeutsam für uns wie angenehme Emotionen.
Jedem emotionalen Erleben liegt zudem mindestens ein menschliches Bedürfnis zugrunde. Modifizieren und regulieren lassen sich Emotionen über Emotionsregulationsstrategien. Spezifischer betrachtet bringen Scham- und Schulderleben als emotionale Entitäten Besonderheiten mit sich. So scheinen beide zunächst sehr ähnliche moralische Emotionen darzustellen, aktivieren jedoch recht gegensätzliche Verhaltenstendenzen.
Darüber hinaus spielen Empathie(1) und Selbstfürsorge(1) eine wichtige Rolle im Umgang mit Scham und Schuld. Entsprechend ist ein Verständnis darüber nötig, dass auch diesen Emotionen Bedürfnisse zugrunde liegen. Genauso bedeutsam ist der individuelle Bedeutungszusammenhang, z. B. der Bezug zur Biographie, oder auch das Wissen, dass Scham und Schuld als Folge einer anderen Erkrankung Leidensdruck verursachen können.
Praxistipp
Persönliche Ziele im Umgang mit Scham(1)(1) und Schuld helfen, einen sinnstiftenden Weg anzubahnen.
Zu den Kompetenzen(1) lassen sich die Fähigkeiten des Erlebens und Aushaltens von Emotionen zählen. Es braucht Akzeptanzstrategien gegenüber unangenehmen Emotionen wie Scham und Schuld. Dazu gehört neben der individuellen Toleranz auch das wertfreie Wahrnehmen(1) emotionaler Prozesse. Emotionale Kompetenzen schließen Entspannungsfähigkeiten, Bedürfnisaufschub-Optionen und durchaus auch positive Selbstverbalisationen ein. Sich (1)(1)selbst durch inneren Trost und ermutigende Gedanken unterstützen zu können und Selbstmitgefühl aufzubringen fördert auch (1)den kompetenten Umgang mit Scham- und Schulderleben. Eine Emotion spüren zu können ermöglicht, einen Zugang zu den dahinter liegenden Bedürfnissen finden zu können. Damit einhergehend lassen sich Ressourcen zugänglich machen und Selbstfürsorge/-mitgefühl zugunsten der Bedürfnisse und Emotionen umsetzen. Infolgedessen ist es natürlich auch bedeutsam, die Fähigkeiten, Bedürfnisse und das emotionale Erleben in einem sozialen Umfeld angemessen kommunizieren zu können. Heilsame Effekte durch Fürsorge und Wohlwollen durch Mitmenschen stellen gerade bei Scham und Schuld ein bedeutsames Korrektiv dar.
Emotionsregulationsfähigkeiten(1) fördern, wenn sie eingesetzt werden, das seelische Wohlergehen. Zur Emotionsregulation zählt die Strategie der Reiz- oder Stimuluskontrolle, also die Modifikation von Aufmerksamkeit, Reizen oder der Situation. Zudem besitzt die kognitive Bearbeitung von Erlebnissen, die Emotionen bei uns auslösen, eine wichtige Bedeutung im Umgang mit den eigenen Emotionen. Das den Emotionen »entgegengesetzte Handeln« als Strategie hat in vielen Therapien Erfolge gebracht und lässt sich unter der Modifikation der Reaktionen einordnen. Schließlich hat auch der aktive Einfluss auf die Intensität von Emotionen im aktuellen Moment sowie auf eigene Handlungsbereitschaften und -impulse, die mit dem jeweils aktuellen emotionalen Erleben einhergehen, einen positiven Einfluss auf soziale Interaktionen.
Merke
Zu den emotionsregulatorischen Fertigkeiten eines Menschen gehören nach Saarni (1999) (modifiziert dargestellt):
Wissen und ein Bewusstsein über die eigenen Emotionen
Wissen und Bewusstsein darüber, dass emotionale Kommunikation(1) innerhalb von Beziehung stattfindet
Die Fähigkeit und Bereitschaft zur Empathie(2)
Emotionen anderer Personen dechiffrieren, verstehen und unterscheiden zu können
Sprachliche Fähigkeiten(1) zugunsten von Emotionen und deren Kommunikation
Fähigkeit der Unterscheidung zwischen eigenen inneren, subjektiven emotionalen Prozessen und äußerem emotionalen Ausdruck
Angemessene und hilfreiche Bewältigung von unangenehmen und belastenden Emotionen (wie beispielsweise Scham und Schuld) sowie von Situationen
Fähigkeit zur emotionalen Selbstwirksamkeit(1) und Selbstfürsorge(2) im Rahmen des emotionalen Erlebens
Für den therapeutischen Alltag bedeutet dies, Wissen zugänglich zu machen, zu fördern und den individuellen Wissenstransfer zu verbessern. Typischerweise werden Emotionsregulationsstrategien für den Umgang mit emotionalem Erleben vermittelt. Auffällig ist jedoch, dass für einzelne Emotionen wie Scham, Schuld, Hilflosigkeit und Ohnmachtserleben oft kaum oder keine Strategien angewendet werden. Deshalb sollten Kompetenzen emotionsspezifisch exploriert und gefördert werden, um das Selbstwirksamkeitserleben(2) im Umgang mit Scham und Schuld zu steigern. Somit gilt es, Emotionsregulationsstrategien anhand des Umgangs mit anderen Emotionen auch für Scham- und Schulderleben nutzbar zu machen und zusätzliche Strategien zu implementieren.
Das DSM-5 beschreibt eine psychische Störung(1) als Syndrom einer Person. Dieses Syndrom geht mit klinisch signifikanten Störungen von Kognitionen, Verhalten und der Emotionsregulation einher (Falkai und Wittchen 2015). Bei (fast) allen psychischen Erkrankungen lassen sich auch Störungen im emotionalen Erleben finden (Lammers 2007). So trägt eine defizitäre Emotionsregulation »zur Entstehung und Aufrechterhaltung vieler psychischer Störungen bei« (Berking und Hondong 2018, S. 77).
Merke
Übergreifend lassen sich die Störungen der Emotionsregulation grob (1)einteilen in:
Zu intensives und/oder einseitiges Erleben einer Emotion, wie beispielsweise Angst bei Angststörungen(1) und/oder Scham bei sozialen Phobien(1)
Zu wenig Zugang zum eigenen emotionalen Erleben, wie es im Rahmen einer Dysthymia oder Depression oft beschrieben wird
Dysfunktionale Denk- und Verhaltensweisen, die emotionales Erleben in den Hintergrund treten lassen; Zwangsgedanken und -handlungen sollen beispielsweise emotionales Erleben und innere Anspannung neutralisieren
Persönlichkeitsstörungen(1) zeichnen sich entweder durch eine emotionale Unterregulation, mangels fehlender oder nicht genutzter Emotionsregulationsstrategien, oder durch überregulierte emotionale Prozesse aus. Überregulation wird oft durch kognitive Prozesse(1) oder schnelle Verhaltensweisen, die das emotionale Geschehen in den Hintergrund drängen, erreicht. Typischerweise stehen trotz Über- oder Unterregulation einzelne Emotionen im Vordergrund eines möglichen Geschehens, wie Wut und Hass bei narzisstischer oder paranoider Persönlichkeitsstörung(1)(1) oder Angst und Unsicherheit bei ängstlich vermeidenden(1)(1) oder dependenten Strukturen.
Scham und Schuld als intensivstes Erleben findet sich oft bei Patienten mit einer emotional instabilen und ängstlich-vermeidenden Persönlichkeitsstörung. Patienten mit einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung haben oft das vulnerable emotionale Selbstschema im Sinne des doppelten Selbstkonzeptes(2) (Sachse 2010) im Hintergrund. Scham- und Schuldthemen sowie die Auseinandersetzung und mögliche Vermeidung von Scham und Schuld lassen sich manchmal eher kognitiv bei anankastischen und narzisstischen Persönlichkeitsstrukturen finden. Fehlendes Scham- und Schuldempfinden(1) und -erleben bzw. die manipulative Nutzung von Scham- und Schuldimpulsen wird im Zusammenhang mit antisozialen Persönlichkeiten und unterschiedlichen Psychopathieansätzen diskutiert (▶ Kap. 1.2.4).
Unabhängig von einzelnen Störungen spielen auch Scham und Schuld eine bedeutsame Rolle bei der Entstehung und Aufrechterhaltung psychischer Störungen. Gerade Scham- und Schulderleben stellen einen wichtigen (1)Teil des Leidensdrucks dar, es nicht alleine zu schaffen oder geschafft zu haben. Weiterhin kann der Umstand, eine Erkrankung oder lebenslange Folgen einer Erkrankung zu spüren, mit sekundärem Scham- oder Schulderleben einhergehen. Körperliche Beeinträchtigungen, die sichtbar sind, verursachen beispielsweise durchaus Scham. Aber auch die Folgen einer langjährigen Essstörung, die sich in irrreversiblen körperlichen Folgeerkrankungen zeigt, werden oft begleitet von Schuld- und/oder Schamerleben.
Festhalten lässt sich, dass das Arrangieren mit einer »einfachen« körperlichen Erkrankung den meisten Menschen anscheinend leichter gelingt, als wenn sie unter psychischen Störungen leiden. Mit »Arrangieren« ist vor allem der Anpassungsprozess an die unterschiedlichen Stadien gemeint, also an das Lebensalter mit den dazugehörigen Rahmenbedingungen des sozialen Umfeldes. Die Anpassung ist keineswegs statisch zu verstehen, sondern eher als dynamische Auseinandersetzung, die mit Toleranz und Akzeptanz einhergeht. Die Auseinandersetzung scheint bei psychischen Erkrankungen deutlich schwieriger zu sein, vermutlich da insbesondere chronische Erkrankungen oder Rezidive einer Erkrankung zum (Wieder-)Erleben von Scham und Schuld führen (können).
Ähnlich verhält es sich jedoch auch mit körperlichen Erkrankungen, die einen multikausalen Zusammenhang, wie beispielsweise Herz-Kreislauf-Erkrankungen, aufweisen. In früher Kindheit lernen die meisten Menschen, dass es eine Ursache gibt, die im kausalen Zusammenhang mit der aktuellen Erkrankung steht. Multikausalität verändert das Einfluss- und Selbstwirksamkeitserleben(1). Dem gleichzeitigen Auftreten vieler möglicher Ursachen erfahren sich Patienten hilflos ausgeliefert. Einzelne Ursachen werden meist fokussiert, und der eigene Einfluss darauf wird überbewertet. Das Ausbleiben von Erfolgen führt wiederum zu Scham- und Schulderleben.
Die medizinisch notwendige Behandlung kann neue potenzielle Gefahrenquellen für Scham- und Schulderleben verursachen. Nebenwirkungen der Medikationen und Zeitaufwendungen für die eigene Genesung sind wichtig, aber durchaus auch kritisch. Im Umfeld wünschen sich oft nahe Angehörige nach der überstandenen Zeit eine Würdigung der erbrachten Unterstützung. Oft kommt es in dieser Phase zu Trennungen, wenn die »Bringschuld« nicht erbracht wird.
Herr E., 56 Jahre, kommt ein Jahr nach einer akuten körperlichen Krisensituation zum therapeutischen Erstgespräch. Ihm sei empfohlen worden, eine Therapie zu machen, dass verstehe er nur bedingt. Durchaus nehme er jedoch die Herz-Kreislauf-Erkrankung als eine Art Bestrafung für Fehlverhalten in der Vergangenheit wahr. Insbesondere die Nichtbeachtung von wichtigen Informationen, wie beispielsweise die Häufung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei den männlichen Familienmitgliedern und das eigene jahrzehntelange Rauchen, wiegt aus seiner Sicht besonders schwer.
Die Medikation bekämpft nun die Symptome der Erkrankung, aber die Nebenwirkungen, insbesondere die Impotenz, würden ihm sehr zu schaffen machen. Seine Partnerin klage zusätzlich darüber, dass Herrn E. die emotionalen Regungen im Gesicht fehlen würden, sie sei lange nicht mehr angelächelt worden. Immerhin habe sie auch eine intensive Zeit der Angst überstanden, denn ihr Mann sei der Alleinversorger, und ohne ihn seien existenzielle Ängste aufgetaucht. Es solle ihm schnell wieder bessergehen, und gemeinsam müsse man Vorsorge betreiben, damit so etwas nicht wieder geschehe. Ebenso wäre die Umverteilung der finanziellen Situation wichtig. Wegen der fehlenden Patienten- und Betreuungsvollmacht sei es zu kritischen Situationen gekommen. Diese habe Herr E. noch gar nicht ausreichend realisiert – genauso wenig wie die Leistungen der Ehepartnerin im letzten Jahr.
Im Rahmen psychischer Erkrankungen können Scham und Schuld also ein Symptom der psychischen Erkrankung sein. Das Wissen rund um Scham(1)(2)(1)(2)und Schuld heißt auch, ein Verständnis von Gesundheit und psychischen Störungen zu haben (Broucek 1991). Scham- und Schulderleben kann pathogenen Charakter haben und sollte im Rahmen einer Therapie beachtet und gewürdigt werden (▶ Kap. 3). Die folgenden Ausführungen geben einen kurzen Überblick möglicher Zusammenhänge und Einflüsse.
Praxistipp
Grundsätzlich lässt sich sagen, dass ein Übermaß an Scham oft mit einem Mangel an angemessener Selbstfürsorge und Verantwortungsübernahme(1) einhergeht, wohingegen zu viel Schulderleben und -empfinden oft Schamerleben und frühe Schamgefühle kompensiert (Erläuterung zum Unterschied ▶ Kap. 1.5).
Angsterkrankungen(2) können mit Scham- und Schulderleben als Folge der Erkrankung einhergehen. Das Selbstbild und die Selbstwahrnehmung(1) spielen dabei große Rollen. Angst nimmt einen großen Raum im eigenen emotionalen Erleben ein und führt oft dazu, dass andere Emotionen kaum noch eine Rolle im Lebensalltag spielen. Diese Verschiebung des emotionalen Erlebens stellt eine Abgrenzung zum sozialen Umfeld dar und aktiviert oft zusätzliches Scham- und Schulderleben bei Betroffenen. Häufig werden antizipierte Sorgen vor Bloßstellung geäußert, sodass Scham- und Schulderleben als weiterer Makel und Bestätigung des »Anders-Seins« verstanden werden. Ängste, Scham- und Schulderleben können sich manifestieren und einen zustandsartigen Charakter annehmen, der noch mehr zu Rückzug und Einsamkeit führt (▶ Kap. 3, 7.1 und 15).
Ein Kriterium de(1)r Depressionen im (noch aktuellen) ICD-10 stellt fest, dass das »Selbstwertgefühl(1) und Selbstvertrauen [. . .] fast immer beeinträchtigt« sind (Dilling und Freyberger 2008). Selbst bei einer leichten depressiven Episode gibt es Gedanken an die eigene Wertlosigkeit, die wiederum Scham triggern kann. Intensive Schuldvorwürfe sind ein diagnostisches Merkmal. Die Intensität von erlebter Scham weist Zusammenhänge zu Depression auf (Kämmerer 2010). Gambin und Sharp (2018) konnten in ihrer Studie zu den Zusammenhängen zwischen Empathie, Schuld, Scham und Depressionen bei adoleszenten Patienten nachweisen, dass Scham mit emotionaler Empathie einen großen Zusammenhang zu Depressionen aufwies. Kognitive Empathie(1) korrelierte hingegen eher mit kontextabhängiger Schuld und zeigte keine Verbindung zu Depressionen.
Pulcu et al. (2014) lieferten im Rahmen einer fMRT-Studie Hinweise, dass Scham(1) bei Patienten mit einer remittierten depressiven Störung eine erhöhte neuronale Aktivierung innerhalb der rechten Amygdala sowie der rechten posterioren Insula im Vergleich zur Kontrollgruppe aufweisen. Diese besondere Aktivierung wird im Sinne einer erhöhten Vulnerabilität bei remittiert depressiv Erkrankten diskutiert. Gestützt wird dieses Ergebnis von einer früheren fMRT-Studie (Green et al. 2012), die Schulderleben(1) bei Patienten mit remittierter Depression untersucht hatte. Im anterioren Temporallappen, der spezifisch für Repräsentationen von sozialen Konzepten und selbstbeschuldigenden Emotionen ist, scheint es zu einer Entkopplung des temporo-fronto-limbischen Bereiches zu kommen. Diese Entkopplung wird wiederum in den Zusammenhang mit den typisch verzerrten Selbstbeschuldigungen bei Depressionen gesetzt. Scham- und Schulderleben sind immer auch ein elementares Thema bei einem chronisch rezidivierenden Verlauf von Depressionen, sodass es bei jeder erneuten Episode an Relevanz gewinnt.
Massive Derealisation(1) und Depersonalisation(1) gehen mit einer hohen Funktionalität einher. So können beide beispielsweise als Symptom einer Borderline-Erkrankung(1)(1)(1), einer sozialen Phobie oder im Rahmen einer Posttraumatischen Belastungsstörung auftreten. Michal et al. (2006) beschreiben den Zusammenhang von sozialen Ängsten und Scham. Derealisation und Depersonalisation werden als Kompensationsmechanismus für »pathologische Scham« und soziale Ängste bezeichnet. Durch die Fokussierung auf defizitäre Anteile des eigenen Selbst kommt es dazu, dass Menschen sich selbst innerlich ablehnen und bewerten. Depersonalisation ist daher ein Distanzierungsmechanismus vom eigenen defizitären Selbst. Derealisation schafft durch das Unwirklichkeitserleben gegenüber der umgebenden Realität einen möglichen Schutzraum vor antizipierten und erfahrenen Beschämungen und Abwertungen(1). Korrigierende Erfahrungen werden im Rahmen der scheinbar schützenden Distanzierungsprozesse jedoch verhindert.
Dissoziation(1) als grundsätzlich adaptive Fähigkeit kann kreative Prozesse anregen und Blockaden lösen. Dieser Effekt wird in hypnotherapeutischen Ansätzen im Rahmen einer Trance genutzt. Pathologisch anmutende dissoziative Prozesse gehen vermutlich mit frühen Bindungstraumata(1) einher (Schore 2012). Cyrulnik (2011) beschreibt in seinem Buch als frühes Dissoziationserleben den desorientierten Bindungsstil, was wiederum später das Auftreten von Dissoziationserleben begünstigt. Dissoziation, die weniger als Fähigkeit, sondern mehr als intensiv und überflutend wahrgenommen wird, hat hohe Folgekosten im Alltag. Dazu gehören Wertlosigkeits-, Scham- und Schulderleben sowie Resignation. Zu diskutieren ist, ob sich hierin auch ein Anteil der frühen traumatischen Bindungserfahrungen(1) auf emotionaler Ebene widerspiegelt.
Scham- und Schulderleben fokussiert sich oft auf den eigenen Körper und körperliche Vorgänge. Unzulänglichkeitserleben im Rahmen von Ess- und Brechattacken mit nachfolgender Scham werden von Patienten immer wieder berichtet. Anorexie (1)(1)und restriktives Essverhalten dienen oftmals der Kontrollerreichung über den eigenen Körper, verhindert aber auch Reifungsprozesse – insbesondere in Lebensphasen, die eine Schwellensituation darstellen, z. B. die Adoleszenz oder das Klimakterium. Schamerleben kann als emotionaler Anteil/Prozess einer Körperschemastörung verstanden werden. Sich selbst abzuwerten und körperlich abnormal einzustufen führt zu Ekel, der wiederum das eigentliche Schamerleben oftmals überdeckt. Kontrollerleben und sich Nahrung zu verweigern kann als kognitiv machtvolle Methode das emotionale Schamerleben reduzieren. Schuld erleben Patienten sich selbst gegenüber bei Nichteinhaltung der restriktiven und strengen Vorgaben. Schulderleben aktiviert wiederum Scham und den Wunsch nach mehr kognitiver Kontrolle über das eigene Selbst und den Körper.
Hypochondrie(1) geht einher mit einer sehr intensiven Neigung, sich und den eigenen Körper selbst zu beobachten. Die wahrgenommenen Veränderungen führen die Patienten dazu, Ärzte aufzusuchen und sich diagnostischen Untersuchungen zu unterziehen. Im Rahmen der Erkrankung dominiert die Wahrnehmung, einen Körper zu haben, der sich gegen Krankheiten und deren Folgen nicht wehren kann. Dieser Defekt kann Ausdruck eines interpersonellen Scham- und Schulderlebens sein, denn ein defizitärer Körper könnte dazu führen, dauerhaft krank und in der Folge unter massivem Schmerzerleben von anderen Menschen abhängig zu sein. Schuld an Erkrankungen zu haben oder eine Schuldzuweisung durch medizinisches Personal während der Untersuchungen zu erhalten ist für Patienten unerträglich. In analytischen Betrachtungsweisen steht das Immunsystem symbolisch für das eigene Selbst, das sich gegen körperliche Gefahren und Krankheiten nicht wehren kann. Dabei sind insbesondere Erkrankungen mit multikausalem Geschehen eine große Bedrohung. Zurückweisende Rückmeldungen und Hinweise auf die psychischen Besonderheiten der Personen, die an hypochondrischen Ängsten leiden, verursachen ebenso häufig Scham- sowie Schulderleben.