Schauen Sie mal böse - Mario Adorf - E-Book

Schauen Sie mal böse E-Book

Mario Adorf

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Beschreibung

Ein Jahrhundertschauspieler wird 85 Ein Buch der Erinnerungen an ein großes Schauspielerleben. Eine Sammlung herrlicher Geschichten über Erlebnisse auf der Bühne, hinter den Kulissen, vor und hinter der Kamera und über unvergessene Kollegen wie Fritz Kortner, Hans Albers, Heinrich George und viele andere. Mario Adorfs Karriere begann in den frühen 50er-Jahren als junger Theaterschauspieler an den Münchner Kammerspielen und führte ihn über ungezählte Rollen im deutschen, italienischen, französischen und amerikanischen Film bis in die Gegenwart. Zugleich reüssierte er ab 1992 (»Der Mäusetöter«) auch als Buchautor. Sein neues Buch »Schauen Sie mal böse« versammelt eine Vielzahl hinreißender Geschichten aus seinem Schauspielerleben und zeigt noch einmal Mario Adorfs großes schriftstellerisches Können, mit dem er seit vielen Jahren seine Leser begeistert hat. Es beginnt mit Erinnerungen an seine allererste Rolle als Vierjähriger in seiner Heimatstadt Mayen in der Eifel (als siebter Zwerg in »Schneewittchen und die sieben Zwerge«). Es folgen erste Gesangsauftritte im Luftschutzkeller, um die Todesangst zu verdrängen, und Erinnerungen an seine Doppelexistenz als Schauspieler am Mainzer Studententheater und als Schwergewichtsboxer. Und ganz nebenbei entpuppt sich Mario Adorfs Buch als eine kleine augenzwinkernde Schauspielschule, in der es um die vielen Fußangeln der Schauspielkunst geht – um Blackouts bei Texten, um das Weinen und Lachen auf der Bühne, die originellsten Unfälle oder Sterbeszenen … Es ist ein großes Glück für uns alle, dass uns Mario Adorf zu seinem Geburtstag dieses Buch schenkt, das er zum ersten Mal auch mit eigenen Zeichnungen illustriert hat.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 123

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Mario Adorf

Schauen Sie mal böse!

Geschichten aus meinem Schauspielerleben

Mit Zeichnungen von Mario Adorf

Kurzübersicht

> Buch lesen

> Titelseite

> Inhaltsverzeichnis

> Über Mario Adorf

> Über dieses Buch

> Impressum

> Hinweise zur Darstellung dieses E-Books

Inhaltsverzeichnis

FrontispizVorwortDer siebte ZwergZwei DiensteBombenwetterVeilchenNaturtalentBum Bum BumDas VorsprechenGut riechenFügungBlackoutKein TenorFortuna ist zwar blind – aber nicht unsichtbarSie sind doch schon hier!Der taubstumme RednerSchauen Sie mal böse!HandschellenLachwurz’nDie LacharieDas WeinenSchmerzenMagieEine wichtige MitteilungAlkoholSterben spielenDer schwarze FürstDie KlosettschüsselMisserfolgDank
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Vorwort

Es mag richtig sein, wenn man sagt, dass man sich erst im Alter an lange Vergessenes wieder erinnert oder zumindest die schlummernden Bilder der Vergangenheit häufiger, besser und genauer erinnert. Ich bilde da keine Ausnahme.

 

Aber ich glaubte lange, dass meine weit zurückliegenden Erinnerungen andere so wenig interessierten wie mich selbst. Doch ich kann immer häufiger beobachten, dass auch bei jüngeren Freunden und Bekannten ein größeres Interesse an meiner Kindheit und Jugend und an meiner frühen schauspielerischen Arbeit besteht als an Erfolgsgeschichten des Arrivierten.

Wann hast du gemerkt, dass du Schauspieler werden wolltest? Wie hast du es angestellt, dass …? Wie bist du mit dem frühen Erfolg fertig geworden? Hattest du jemals Zweifel an deiner Begabung? Welche Rolle spielte der Zufall, der Ehrgeiz, das Geld?

So möchte ich hier einige Geschichten erzählen, die Antworten auf diese Fragen versuchen, gemischt mit Anekdoten und Erinnerungen an große Persönlichkeiten des Theaters, die ich bewundert habe, die mich beeindruckt und beeinflusst haben, die meine Vorbilder waren.

Die eingefügten Zeichnungen und Skizzen sollen im Übrigen nicht das Geschehen rückblickend illustrieren. Es sind vielmehr die Bilder, die der dilettierende Zeichner in der Erinnerung bewahrt hat.

 

Darüber hinaus bitte ich den Leser um großzügiges Verständnis dafür, dass ich hier und da Geschichten aus früheren Büchern wiederverwendet habe, um einen Zusammenhang zu erhalten, der sonst verloren gegangen wäre.

 

Paris, März 2015

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Der siebte Zwerg

Ich war nicht einmal vier Jahre alt und lebte seit einem Jahr im Marienhaus, von den Einheimischen »Spitälchen« genannt, dem Waisenhaus und Altersheim meiner Heimatstadt Mayen in der Eifel, in das meine Mutter mich hat geben müssen, als sie den temperamentvollen Kleinen nicht mehr zu ihrer Arbeit als Näherin in die Wohnung ihrer Kundinnen mitnehmen konnte.

Das Spitälchen war ein schwarzes, düsteres Basaltgebäude, das an der Ringstraße, von den Mayenern Glacis genannt, lag. Von der Rückseite zur Stehbachstraße hin schaute man auf das Stadtgefängnis. Das Spitälchen war, wie der Name sagt, ursprünglich ein Krankenhaus, das beim Ausbruch des Zweiten Weltkriegs als Waisenhaus geschlossen und als Lazarett wieder seiner ersten Bestimmung zugeführt und gegen Ende des Kriegs ein Opfer der Bomben wurde.

 

Aber noch sind wir im Jahr ’34, und in diesem Jahr setzen offensichtlich meine allerersten Erinnerungen ein. Warum kann ich das Datum dieser ersten Bilder so genau angeben? Weil ich heute weiß, dass sie mit einem historischen Ereignis verknüpft sind: Ich schaue aus dem Fenster des Treppenhauses über die hohe Mauer mit den einzementierten Glasscherben, die unseren Spielplatz, den großen kiesbedeckten Hof des Spitälchens, umschloss. Und was ich jenseits des Hofes erblickte, war ungewöhnlich.

Im Möhren, der Straße, die jenseits des Glacis hügelan aus der kleinen Stadt hinausführt, wimmelte es plötzlich von uniformierten Männern vor dem sogenannten »Braunen Haus«, und mir fiel auf, dass die Fahne, die sonst weit über der Straße flatterte, kaum mehr zu sehen war. Ich erinnere mich, dass ich jemanden fragte, was da Besonderes los sei, und es war vielleicht ein alter Mann aus dem Altersheim im zweiten Stock, der hinter mir stand und antwortete: »Halbmast. Der Hindenburg ist gestorben.« Hindenburg, das sagte mir etwas, das war der alte Mann mit dem weißen Stiftenkopf und der prächtigen Marschallsuniform.

*

Es muss zu Weihnachten desselben Jahres gewesen sein, dies meine zweite zusammenhängende Erinnerung, dass im sogenannten »Gesellenhaus«, das weiter unterhalb des Spitälchens auf der gleichen Seite des Glacis lag, eine Theateraufführung von Schneewittchen und die sieben Zwerge stattgefunden hat.

Ich weiß gar nicht, wie es dazu kam, dass ich darin den stummen siebten Zwerg spielte, jedenfalls steckte man mich in ein Kostüm mit roter Zipfelmütze, man klebte mir einen langen weißen Bart aus Verbandswatte an und gab mir einige bunte Perlenketten, mit denen ich spielen sollte. In der ersten Aufführung löste sich der Wattebart, geriet mir in Mund und Nase, ich glaubte zu ersticken, riss mir prustend und hustend den Bart ab und begann laut zu weinen, was die anderen Zwerge und das Schneewittchen sicher störte, beim Publikum aber für viel Heiterkeit und etwas Mitleid mit dem armen siebten Zwerg sorgte. Mein erster Bühnenerfolg.

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Zwei Dienste

Die nächsten Erinnerungen: der Kindergarten, dort auch das erste Verliebtsein in ein Mädchen mit lustigem Mäusegesicht, der erste Schultag, ohne Tüte und Foto, das Frühaufstehen und die Frühmesse in der Kirche des Spitälchens, bald als Messdiener, der die lateinische Liturgie auswendig lernt und dem vom Messwein betrunkenen Priester einsagt.

Danach doch schon genauer gespeicherte Erinnerungen, die sich allmählich zu dem verdichteten, was man beginnt, »mein Leben« zu nennen: der Brand der Synagoge, ein Ereignis, das später »Reichskristallnacht« genannt wird, und eine Nonne im Spitälchen, die am nächsten Morgen mir, der ich wegen einer Erkältung nicht zur Schule gegangen war, erzählt, dass die da unten aus dem Gefängnis getriebenen am Vortag festgenommenen und nun auf Lastwagen gestoßenen alten Menschen Juden seien und nichts anderes verbrochen hätten, als dass sie Juden seien. Dagegen Schulkameraden, die mit erbeuteten Süßigkeiten aus den Judengeschäften prahlten.

Das bei Kriegsbeginn geschlossene Spitälchen, das Erlernen des Zusammenlebens mit meiner Mutter. Das nächtliche Rattern der Nähmaschine Marke Phönix. Der Kriegsbeginn, die verpasste Napola wegen eines angeblichen Sehfehlers, der eigentlich aus den weißen Flecken auf dem »Sippenpass« bestand.

Im Frühjahr 1940, mit nicht einmal zehn Jahren, war ich in das nationalsozialistische Jungvolk eingetreten. Da ich dazu am 20. April, an Hitlers Geburtstag, hätte zehn Jahre alt sein müssen, machte ich mich auf der Meldestelle ein Jahr älter, was später zur Folge haben sollte, dass ich am 20. Juli 1944 mit noch 13 Jahren Kriegsfreiwilliger wurde.

Der sogenannte »Dienst«, der Mittwoch- und Samstagnachmittag stattfand, war für mich ein willkommenes Kontrastprogramm zu den gleichzeitigen Vorbereitungen auf meine »erste heilige Kommunion«. Meine Mutter war zuerst über mein eigenmächtiges Eintreten ins Hitlerjungvolk verärgert. Sie hatte mit Politik und Partei und Kirche »nichts am Hut«. Doch schließlich sagte sie: »Dann bist du wenigstens zwei Tage in der Woche von der Straße.« Da uns das Geld für die Uniform fehlte, brachte ich sie sogar dazu, mir das braune Hemd und die kurze schwarze Hose zu nähen.

Natürlich waren für mich die Übungen und Geländespiele als Pimpf in der braunen Uniform und den schick runtergerollten Strümpfen spannender als die Katechismusstunden in der finsteren Clemenskirche im dunkelblauen Matrosenanzug mit bis über die Knie gezogenen und mit einem Gummiband befestigten juckenden schwarzen Wollstrümpfen.

Als damaliger Oberschüler – das Gymnasium hieß während der Nazizeit Oberschule – wurden wir automatisch Jungvolkführer. Da ich Musik liebte, ergriff ich die erste Gelegenheit, in den Fanfarenzug einzutreten, tauschte die ungeliebte Blockflöte gegen eine Fanfare, und vier Jahre später, gegen Ende des Krieges, war ich der Anführer dieses Fanfarenzugs. Hatte es in den ersten Kriegsjahren vielerlei offizielle Anlässe wie Kreisparteitage, Sportfeste und Hitlergeburtstage gegeben, so waren es später nur noch traurige Anlässe wie Begräbnisfeiern für in der Ferne gefallene Söhne der Stadt, Volkssturmversammlungen und Durchhaltevorträge von heimatlichen Ritterkreuzträgern, bei denen wir das musikalische Rahmenprogramm bestritten.

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Bombenwetter

Mit den ersten Kriegsjahren hatte die Bombenzeit begonnen, fast jede Nacht gab es Fliegeralarm. Das hieß, aus dem meist ersten Schlaf gerissen in den Luftschutzkeller zu hasten, der sich unten in der früheren Waschküche befand, die jetzt durch dicke Balken abgestützt war. Da saß man dann stundenlang und wartete auf die Bomben oder die Entwarnung. Meine Mutter hatte sich immer eine Handarbeit mitgenommen und strickte oder häkelte gleichmütig vor sich hin. Ich saß neben ihr, hielt den Mund offen und mir – so hatte man uns geraten – die Ohren zu, um das Trommelfell zu schützen. Und als dann wirklich die Bomben herunterpfiffen, zählte ich mit, bis es krachte. Wenn zwischen Pfeifen und Detonation lange Sekunden lagen, sagte meine Mutter trocken: »Weit weg!« Weil die Erschütterung des Fußbodens bei den Einschlägen mir Angst machte, berührte ich ihn nur mit den Zehenspitzen. Während es draußen krachte, fiel oft der elektrische Strom aus, und unser Hausherr Öhm Fupp zündete eine Karbidlampe an.

Dies war auch die Zeit meiner schlimmsten Flegeljahre, was auch hieß, dass ich frech und aufmüpfig wurde. Wenn ich gar nicht mehr parieren wollte, drohte meine Mutter mit ebendiesem Öhm Fupp, der ein ehemaliger Schmied war und große kräftige Pranken mit krallenartigen gewölbten harten Fingernägeln besaß, die er nur mit einer Beißzange stutzen konnte.

Einmal, als ich wohl besonders widerspenstig war, hatte meine Mutter ihre Drohung wahr gemacht und Öhm Fupp zu Hilfe gerufen. Der hatte mich gepackt und in diesen Luftschutzkeller geschleift. Dann hatte er den Gürtel aus seiner Hose gezogen, und mit den Worten »Jetzt schrei mal richtig laut, damit deine Mutter dich oben hört!« schlug er – Klatsch, klatsch, klatsch! – auf die Balken. Ich hatte schnell begriffen und schrie wie am Spieß. Danach zog Öhm Fupp seinen Gürtel wieder durch die Schlaufen seiner Hose und sagte: »Nun mach aber auch, was deine Mutter dir sagt!« Der spielte ich nachher schmerzgekrümmt den reuigen Sünder vor. Sie wollte die Striemen auf meinem Hintern besichtigen, was ich, den Schamhaften mimend, ablehnte.

*

Nach den Stunden im Luftschutzkeller waren wir am nächsten Morgen alles andere als ausgeschlafen, aber um acht Uhr saß ich in der Schule gähnend in meiner Bank. Auch den Lehrern sah man an, dass es ihnen nachts nicht besser ergangen war. Sie gingen dann eher milde mit uns Schülern um.

 

Gegen Kriegsende war die kleine Stadt Mayen von den Bomben arg zerstört, auch unsere Wohnung war zum Schluss unbewohnbar, und so lebte ich in den letzten sechs Kriegsmonaten Tag und Nacht in einem der beiden großen Luftschutzbunker der Stadt. Der größere Burgbunker befand sich mitten in der Stadt unter dem Schieferberg mit der Genovevaburg. In diesen hatte man ein weitläufiges Netz aus Stollen gegraben, in denen bis zu 6000 Menschen Schutz finden konnten. Der »Bannenbunker«, benannt nach der Straße, die unterhalb des Bunkers vorbeiführte, lag näher an unserer Wohnung und war dadurch bei Fliegeralarm schneller erreichbar. Ich erinnere, wie meine Mutter und ich den steilen Aufgang zur Bunkertür außer Atem hinaufkeuchten, während schon die ersten Bomben auf die Stadt niederrauschten und detonierten. Wie der Burgbunker war der Bannenbunker nicht einer dieser klotzigen Betonbunker, wie es sie in vielen Städten gab, sondern eine lang gestreckte Basalthöhle, in die man zwei lange, parallel laufende Gänge mit Bankreihen zu beiden Seiten für etwa 2000 Menschen eingebaut hatte. Weiter hinten im nicht ausgebauten Teil hatten sich Gruppen und ganze Familien häuslich eingerichtet. Mich zog es besonders in diesen Teil des Bunkers, denn dort wurden heimlich auf einem Plattenspieler streng verbotene amerikanische Jazzschallplatten gespielt, es wurde getanzt, geraucht, Schwarzhandel getrieben, und in dunkle Ecken zogen sich Liebespaare zurück. Mein Schlafplatz lag allerdings vorne in einem der beiden Gänge, brav neben meiner Mutter.

Es hatte sich offenbar herumgesprochen, dass ich eine passable Singstimme besaß, und so ging in den langen Abend- und Nachtstunden durch die Bankreihen schon mal die Aufforderung an mich: »Mario, sing doch mal was!« Und ich sang Mamatschi, schenk mir ein Pferdchen, Heimat deine Sterne und Lilli Marleen.

Mit Mamatschi konnte ich meine Mutter richtig ärgern. Sie fragte:

»Warum singst du so einen Schrott?«

»Die Leute lieben diese Schnulze!«

»Das ist nicht einmal eine Schnulze, das ist Kitsch!«

»Über den Kitsch heulen sie aber!«

»Warum singst du nichts Italienisches, das kannst du doch auch?«

»Die Leute wollen nichts Italienisches mehr hören, seit die Italiener die Deutschen verraten haben. Badoglio! Italien, das Land der ›Feigen‹. Die Deutschen singen jetzt auf die Melodie der Giovinezza, der italienischen Nationalhymne: ›Wir sind tapfre Italiener, unser Land wird immer kleener …‹«

Allmählich bekamen viele dieser Schlager einen aktuellen Text. Bei Lilli Marleen hieß es nach »Alle Leute sollen es sehn«: »Wenn wir bei Dötsche Schlange stehn.« Dötsch hieß der Pferdemetzger. Und Heimat deine Sterne wurde zu Heimat deine Trümmer: »Die Sonne strahlt bis zum ersten Stock, und im Keller liegen zerbroch’ne Teller. Und der Opa sucht seinen Sonntagsrock.« Und zu ganz später Stunde brauchte ich nur leise anzustimmen: »Es geht alles vorüber, es geht alles vorbei«, schon stimmten die meisten verstohlen mit ein: »Auch A-a-dolf Hitler mit seiner Partei.«

Unvergessen blieb mir, dass eines Tages ein SS-Soldat, der sich auf Heimaturlaub befand, vor all den Menschen im Bunker die Persiflage einer Hitlerrede zum Besten gab, die er mit der Stimme des »größten Feldherrn aller Zeiten« vortrug:

»Volksgenossen, Volksgenossinnen, es muss einmal die Wahrheit gesagt werden: Wo derr deutsche Soldatt steht, kommt keine Verpflegung hin!« Diese gefährliche Rede entsprach durchaus der Stimmung der Menschen in diesen letzten Kriegsmonaten, aber dass sie ausgerechnet von einem SS-Soldaten kam, hinterließ Staunen und besorgte Bewunderung. Wenn schon ein SS-Soldat – man hielt die Waffen-SS damals noch für eine Elitetruppe – solche defätistischen Töne anschlug, musste die Lage tatsächlich hoffnungslos sein.

Da ich mir einbildete, Hitlers Stimme gut nachahmen zu können, nahm ich diese Rede, deren gefährlicher Gehalt mir anscheinend nicht ganz klar war, in mein Repertoire auf, zu dem auch eine ähnlich verballhornte Goebbelsrede gehörte, mit dem ich meine Jungs vom Fanfarenzug nach dem absolvierten Blas- und Trommel-Programm gerne unterhielt. Gott sei Dank kam keiner von ihnen auf die Idee, mich zu verraten.

So war das: Auf der einen Seite war ich der brave Jungvolkführer, auf der anderen der Sänger aufmüpfiger Schlagertexte, der hinten im Bunker Radio London mithörte und vor seinen Pimpfen defätistische Reden schwang. Das Merkwürdige daran ist, dass diese Ambivalenz mir keine Gewissensbisse verursachte.

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Veilchen

Mein alter Klassenlehrer auf dem Mayener Gymnasium war Dr. Brodmühler, den wir kurz De Bömm nannten. De Bömm stammte aus der Kölner Gegend, und da er seine Mundart nicht verbergen konnte, bekamen wir unsere deutschen Klassiker im Deutschunterricht im rheinischen Singsang dargeboten. So wurde er bald das Opfer meiner Spielfreude, indem ich ihn zum Vergnügen der Klasse imitierte: »Bedeck-ke deinen Himmel Zöis mit Wolkendunst …«

Während der Kriegsjahre verheimlichte er uns gegenüber nicht, dass er gegen den Krieg war und nicht in die laute, kraftmeierische Zeit passte. Es war schon auffällig, dass sein morgendlicher »Heil Hitler«-Gruß beim Betreten der Klasse sich gerade noch wie »’litler« anhörte und die begleitende Grußbewegung mehr dem lästigen Verscheuchen einer Fliege glich.