Schaurige Plätze Baden-Württemberg - Benedikt Grimmler - E-Book

Schaurige Plätze Baden-Württemberg E-Book

Benedikt Grimmler

0,0
17,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Baden-Württemberg, das Land des Bollenhutes und der Spätzle? Weit gefehlt. Wer hinter die Kulissen schaut, stößt auf verstörende Gestalten und unerklärliche Phänomene. Es finden sich Schwarzwalddörfer, die Kontakt ins Jenseits suchen, Straßenräuber, die vom Blitz getroffen werden, oder Poltergeister, die Bauern erschrecken. Hexen betreiben Tanzschulen und in Wiesen bilden sich unerklärliche Kreuze ab. Das Schaurige findet sich überall im Land, ganz in Ihrer Nähe.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 202

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Urlaub mit Vollpension und Gespenst (Kapitel 14)

Benedikt Grimmler

SCHAURIGE PLÄTZEBADEN-WÜRTTEMBERG

Unheimliche Orte und mysteriöse Fälle, die auf wahren Begebenheiten beruhen

INHALT

Einleitung

35 SCHAURIGE PLÄTZE

1Der Leidensengel

Anna Henle in Aichstetten

2Der heilende Friseurmeister

Pietro Tranti in Oberschwaben

3Der Tod des schwarzen Veri

Xaver Hohenleiter in Biberach

4Mörikes unheimlicher Mitbewohner

Das Pfarrhaus in Cleversulzbach

5Der rätselhafte Bösewicht

Das Poppele vom Hohenkrähen

6Herr und Frau Müller gehen um

Die Geistermühle bei Eigeltingen

7Ein Exorzist auf der Ostalb

Johann Josef Gaßner in Ellwangen

8»Wandrer, flieh!«

Die Pestkreuze von Emmingen ob Egg

9Abergläubische Hexen und falsche Märtyrer

Endingen am Kaiserstuhl

10Dämonische Melkerin

Die Milchhexe von Eppingen

11Ein Skelett im Wald

Der Totenmannstein bei Ettlingen

12Tanz in den Tod

Das Haus zum Walfisch in Freiburg

13Spuk unter dem Mikroskop

Das Freiburger Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene

14Urlaub mit Vollpension und Gespenst

Das Hotel Waldlust in Freudenstadt

15Der gute Geist

Schloss Bronnen im Donautal

16Terror auf dem Bauernhof

Der Spuk von Großerlach

17»… der Unfug der Sara Gayer hat aufgehört«

Die Somnambule von Großglattbach

18Spuk im Geisterdorf

Auf dem Friedhof von Gruorn

19»Simpelhafter Tollkopf« und Gegen-Papst

Der Schwarzwälder Prophet Ambros Oschwald

20Ein unmoralischer Geist(licher)

Kenzingen und Wittnau

21Satansbraten

Der Kindermord von Laiz

22Der Welterbe-Geist

Kloster Maulbronn

23Wunderliches auf der Wiese

Das Rasenkreuz von Meggen

24Hängepartien

Die Galgen von Mudau und Triberg

25Blutige Vergeltung

Das Schwedengrab in Mühlheim an der Donau

26Bender – die frühen Fälle

Poltergeister in Neusatz und Neudorf

27Schwarze Lies contra Malefizschenk

Elisabetha Gassner in Oberdischingen

28Gespaltene Gespenster

Die Geisterhöhle Rechtenstein

29Handwerk hat goldenen Boden

Josef Weber, der Scharlatan von Schutterwald

30Die Toilette des Teufels

Faust in Knittlingen und Staufen

31Die Geister, die wir riefen

Spiritismus in Todtnauberg

32Der betrogene Alchimist

Laboratorium im Schloss Weikersheim

33Kerners unheimliche Gäste

Der Geisterturm in Weinsberg

34Er ist wieder da

Winzingen bei Donzdorf

35Stigma

Viktoria Hecht aus Wolpertswende

Register

Impressum

Der heilende Friseurmeister (Kapitel 2)

Der rätselhafte Bösewicht (Kapitel 5)

Ein Skelett im Wald (Kapitel 11)

Der Welterbe-Geist (Kapitel 22)

Kerners unheimliche Gäste (Kapitel 33)

Ein Gespenst lädt zum Übernachten ein: Hotel Waldlust. (Kapitel 14)

EINLEITUNG

»So hörte ich in den verflossenen Nächten oft eine ganz unnachahmliche Berührung meiner Fensterscheiben bei geschlossenen Laden, ein sanftes, doch mächtiges Andrängen an die Laden von außen, mit einem gewissen Sausen in der Luft verbunden, während die übrige, äußere Luft vollkommen regungslos war; ferner schon mehrmals dumpfe Schütterungen auf dem obern Boden, als ginge dort jemand, oder als würde ein schwerer Kasten geruckt.«

Es war nur einer von vielen Vorfällen, den niemand Geringeres als der Cleversulzbacher Pfarrer Eduard Mörike im Jahr 1841 in einem Bericht für seinen Freund Justinus Kerner über Vorgänge in seiner Dienstwohnung schilderte, die sich einige Jahre zuvor ereignet hatten und für die er nur eine Erklärung hatte: Im Pfarrhaus des Dorfes spukte es.

Mörike ist der Erfinder einiger der berühmtesten baden-württembergischen Gestalten überirdischer Natur, der Blaubeurer Schönen Lau oder der Geister am Mummelsee, doch hier war er mit ganz anderen, ihn und seine Mitbewohner zugleich faszinierenden und beängstigenden Phänomenen konfrontiert, die nicht der Literatur, der Sagenwelt oder seiner Fantasie entsprangen. Auf deren Spuren wandelte auch seit Jahren sein Freund, der Arzt und Dichterkollege Justinus Kerner in Weinsberg, er war ein eifriger Sammler unerklärlicher Ereignisse, mysteriöser Vorgänge und Berichten über Personen mit rational nicht zu fassenden Fähigkeiten – weshalb er uns in diesem Buch gleich mehrfach begegnen wird.

Denn um beides geht es auch auf den folgenden Seiten: Phänomene, die nicht der Literatur, Sagenwelt und Fantasie von Dichtern entspringen, Berichte über ungeklärte Vorfälle, seltsame Personen mit übernatürlichen Fähigkeiten und mysteriöse Ereignisse, die für Aufsehen sorgten. Was geschildert wird, hat eine reale Grundlage, ist fest mit Orten verbunden und wurde dokumentiert sowie teilweise sogar wissenschaftlich untersucht. Schließlich gibt es hierfür mit dem Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene in Freiburg sogar eine zuständige Institution. Manches wurde widerlegt oder zumindest arg in Zweifel gezogen, manches aber nie geklärt oder musste offenbleiben. Leserinnen und Leser dürfen selbst entscheiden, woran und wem sie glauben möchten.

Denn sind nicht viele der Zeugen ähnlich glaubhafter Natur wie ein Mörike – immerhin Geistlicher – oder Kerner? Und nicht alles liegt weit zurück, in vermeintlich abergläubischen Zeiten. Höhepunkte an Geistererscheinungen finden sich im 19. Jahrhundert, aber bis weit in die Gegenwart hatten und haben neuere Phänomene wie das Auftreten von Heilern, Hellsichtigen und Visionären Konjunktur, als Radio, TV und Presse sich längst etabliert hatten. Die Religion in teils bizarren Formen spielt ebenfalls über alle Jahrhunderte eine einflussreiche Rolle. Und mancher wird sich bei der Lektüre wundern, wie häufig Geistliche auftreten – und zwar keineswegs nur als neutrale Beobachter wie Mörike oder herbeigerufene Hilfe gegen Hexen, den Teufel oder einen Spuk. Gerade die Vertreter Gottes auf Erden, insbesondere die katholischen, tauchen nicht selten in äußerst zwielichtiger Form auf, als Exorzisten, Sektenführer oder eben selbst als Gespenst mit unlauteren Absichten.

Das oft als etwas bieder, von braven schwäbischen Häuslebauern und gemütlichen Badenern wahrgenommene Ländle hat eine dunkle Seite, auf der sich allerhand wenig brave und gar nicht gutmütige, ja sogar bösartige und betrügerische Gestalten tummeln. Ob in Nordbaden oder dem Markgräflerland, im Schwarzwald oder dem oberschwäbischen Allgäu, dem fränkischen Taubertal oder auf der Schwäbischen Alb, das Unheimliche lauert an jeder Ecke. In klassischen Spukorten wie Klöstern, Burgen und Kirchen, aber auch Hotels, Geisterdörfern und unscheinbaren Wohnungen. Alchimisten und Geistheiler, Scharlatane und Propheten, Untote und Straßenräuber, Poltergeister und Hexen treiben gleich nebenan ihr Unwesen.

Hierher kam man sehr gern – früher: Waldbad Baienfurt (Kapitel 2)

Hier fiel der Exorzist durch: Bischofsresidenz Meersburg. (Kapitel 7)

Wie Mörike fühlen auch wir das Faszinierende und das Beängstigende der Spukgestalten und schwer zu fassenden Phänomene, die um uns herum vorgehen. Natürlich sind wir neugierig, was dahintersteckt, beruhigt, wenn sich eine ganz schlichte, alles in Wohlgefallen auflösende Erklärung findet. Was aber, wenn nicht? Stellt sich nur wohliger Grusel ein, werden wir unsicher? Streiten wir alles ab, weil es nicht sein kann? Machen Sie sich selbst ein Bild von den schaurigen Orten, lesen Sie die unheimlichen Geschichten und suchen Sie die Stätten auf, um Ihre eigenen Erfahrungen zu machen und Ihre Schlüsse zu ziehen. Wer weiß, wer oder was Ihnen dort begegnet?

Noch kurz ein paar praktische Hinweise: Die Kapitel enden jeweils in einer von drei zusätzlichen Tipps der Kategorie »Das Gespenst nebenan«, »Unheimliche Begegnung der anderen Art« und »Erholung vom Grusel«. Ersteres erklärt sich von selbst, in den »Begegnungen« geht es um weiterführende Lektüre, ein unheimliches Gebäude oder Ereignis in der Nähe, »Erholung« dagegen verspricht ein spannender Ort in der Nähe, der ausnahmsweise nicht von Geistern oder schaurigen Vorfällen geplagt wird. Für gewöhnlich sind die im Buch geschilderten Orte direkt aufsuchbar, allerdings gibt es einige Fälle, die sich auf heute noch oder wieder bewohnte Privatgebäude beziehen. Hier sind die Angaben bewusst vage, um Belästigungen der Privatsphäre zu vermeiden, wofür die Leserinnen und Leser sicher Verständnis haben werden.

Gerichtsurteil über den Teufel als Täter: Schloss Sigmaringen (Kapitel 21)

1

DER LEIDENSENGEL

Anna Henle in Aichstetten

Visionen, Wundmale, Tau vom Himmel – Anna Henle soll schon in jungen Jahren von Gott auserwählt worden sein. Doch vieles im Leben der Allgäuerin ist eher mysteriös statt mystisch.

Aichstetten, Landkreis Ravensburg (RV) Ort Kirchstr. 5, 88317 Aichstetten GPS 47.895353, 10.079376 Anfahrt Bahnhof Aichstetten (RE Lindau–München) A 96, Ausfahrt Aichstetten

Die Grabstätte der Familie Henle in Aichstetten, geschmückt von Verehrern

EIN SELTSAMES KIND – 1870 war ein sehr wichtiges Jahr für das Dorf Aichstetten im Allgäu nahe der bayerischen Grenze. Nach mehreren Jahren Bauzeit war die neue Pfarrkirche so weit fertig, dass der zuständige Bischof im Herbst zu Besuch kam, um sie feierlich einzuweihen. Natürlich gab es ein großes Fest, gleichwohl war es keine einfache Zeit für Katholiken, erste Wogen des Kulturkampfes insbesondere in Bayern und in Baden waren hochgeschlagen, das Schlimmste, ausgelöst von der Regierung des unter Preußen vereinten Deutschen Reiches mit Bismarck an der Spitze, sollte aber noch kommen. Umso mehr blühten unter den Gläubigen verschiedene Formen der Frömmigkeit verstärkt auf, teils im traditionellen Rahmen – Wallfahrten oder das Aufstellen von Kreuzen und Bildstöcken –, teils über diesen hinaus. So erlebten Marienvisionen eine erstaunliche Konjunktur, die Gottesmutter schien besonders in Deutschland ein starkes Mitteilungsbedürfnis zu haben – nicht verwunderlich angesichts der tatsächlichen und gefühlten Bedrohung der Gläubigen durch den Staat. In Rottenburg, dem Sitz der für Aichstetten zuständigen Diözese, war eine Kirchenweihe somit eher eine angenehme Routineangelegenheit, doch auch von dort sollten bald Nachrichten kommen, die Ärger versprachen. Am 28. November 1871 wurde Anna Henle geboren und vermutlich in der im Inneren noch nicht komplett fertigen Pfarrkirche getauft. Dreizehn Jahre später ging die Tochter einer Bäckersfamilie dort zur Ersten Heiligen Kommunion, für jedes Kind ein aufregendes und im katholischen Milieu einschneidendes Erlebnis. Doch der Tag sollte für Anna wenig fröhlich enden, sie wurde schwer krank. Was wie ein bitteres Schicksal klingt, beeindruckte sie jedoch wenig, im Gegenteil. Laut eigener Aussage hatte sie dies selbst so gewollt. Drei Engel seien ihr erschienen, jeder von ihnen trug einen Gegenstand mit sich: einen Blumenkranz, eine Dornenkrone und eine Harfe. Anna wurde aufgefordert zu wählen. Sie entschied sich für die Dornenkrone. Für das Leiden.

EIN SELTSAMES HAUS – Fortan verließ Anna nicht mehr das Bett, geschweige denn ihr Elternhaus in der Nähe des 1889 errichteten Bahnhofes. Das Mädchen litt unter langanhaltenden Lähmungserscheinungen, die sie als Ekstase empfand, in der ihr Visionen zuteilwurden. Oft war sie stundenlang wie weggetreten, nur unter Mühe konnte sie aus diesen Zuständen zurückgeholt werden. Wie von ihr selbst – aufgrund einer Botschaft – angekündigt, zeigten sich bei ihr ab dem sechzehnten Lebensjahr die Wundmale Christi, verbunden mit starken Blutungen und Schmerzen, die sich an bestimmten Tagen steigerten und am Karfreitag, an dem Jesus hingerichtet wurde, ihren Höhepunkt fanden. Diese Stigmata verschwanden allerdings wieder mit 33 Jahren, dem Alter, in dem Christus der Überlieferung nach den Tod fand. Das wurde aufgrund der heftigen Schmerzen auch für Anna Henle befürchtet, doch sie überlebte, die Wundmale seien zudem nicht völlig verschwunden, sondern nur unsichtbar geworden. Die Stigmatisierung war nicht das einzige spektakuläre Ereignis in dem kleinen Häuschen, berühmt wurde Anna Henle vor allem durch die sogenannte himmlische Kommunion und den Himmelstau. Da sie nicht zur Kirche gehen konnte und der zuständige Ortspfarrer nur selten vorbeikam, um ihr die Kommunion zu bringen, mussten dies Engel übernehmen. Während Anna selbst den kompletten Vorgang sah – sprich einen Engel, der zu ihr kam –, erlebten Zuschauer ausschließlich den letzten Moment mit: Sie konnten kurz eine Hostie sehen, die in Annas Mund gelegt wurde. Sie wurde allerdings nicht nur mit dem heiligen Brot versorgt, sondern auch mit einem visionär wahrgenommenen Quellwasser, das ihr die Engel schöpften. Anna trank hiervon – wiederum sichtbar für Beobachter –, Teile der Flüssigkeit aber manifestierten sich als Himmelstau auch auf ihr oder religiösen Gegenständen. Skeptiker, so wird berichtet, fanden dafür keine plausible Erklärung, weder habe es sich um Dunst noch Schweiß oder verspritztes Weihwasser gehandelt. Auch dieses Phänomen ließ mit der Zeit etwas nach, ohne allerdings gänzlich zu versiegen. Allzu viele Zeugen gab es jedoch nie, die Verwandten schränkten den Zugang zu Anna auf ihren Wunsch hin stark ein, sie lebte ziemlich abgeschottet. Ein Besucher jedoch wurde zugelassen. Er war schon erwartet worden.

Anna Henles Grabstein ist sehr schlicht.

EIN SELTSAMER PRIESTER – Der elsässische Diakon Josef Busert stand kurz vor der Priesterweihe, als er an Weihnachten 1895 einen lebhaften Traum hatte: Er erhielt durch Vermittlung eines Engels – vorzeitig – die Weihen, um daraufhin im Haus einer Kranken, die er nicht sah, seine erste heilige Messe feiern zu können. Busert war beeindruckt, nahm die Sache aber nicht allzu ernst, schließlich stand im März des kommenden Jahres seine richtige Aufnahme in den Priesterdienst an. Nun geweihter Pfarrer, war er im Sommer auf der Suche nach einem Urlaubsziel, gerne wählte er Wallfahrtsorte. Da sein Augenmerk auf Bayern fiel, wurde er bald stutzig: Auf der von ihm konsultierten Landkarte war ein Ort Aichstetten zu sehen, genau wie in seinem Traum. Alles stimmte: Es gab dort einen Bahnhof, Leutkirch und Memmingen, Städte, von denen er nie gehört hatte, lagen in der Nähe. Neugierig machte sich der Geistliche dorthin auf und stieß auf ein ihm aus seinem Traum bereits bekanntes Häuschen, Anna Henles Unterkunft. Von der Familie wurde er freundlich aufgenommen, da Anna ihn als »Helfer« bereits angekündigt hatte. Er durfte sie sprechen und erbat sich, an Weihnachten wiederkommen zu dürfen. An diesem Fest empfing Anna einmal mehr die himmlische Kommunion, Busert war erstaunt und ergriffen, doch als er die schwebende Hostie sah, richtete er an Anna die Bitte, diese berühren zu dürfen. Kaum in Händen, überfielen ihn Zweifel, da fing die Hostie zu bluten an, besudelte das Ornat des Priesters. Busert war endgültig überzeugt, er würde bis zu seinem Lebensende mit Anna verbunden bleiben – egal, wo er Gottesdienst feierte, ob in Lothringen, auf Wallfahrten oder auf Mission in Indien, Anna war mit ihm, zeigte ihre Anwesenheit durch Himmelstau. Der Leidensengel Anna Henle und der Segenspfarrer Josef Busert, beide Figuren sind nur schwer zu fassen. Besonders der Elsässer ist kaum greifbar, viele der in den spärlichen Informationen zu seiner Biografie genannten Orte scheinen nicht einmal zu existieren. An Anna Henles Existenz immerhin bestehen keine Zweifel. Ihr Grab – sie starb 1950 – ist auf dem Friedhof von Aichstetten zu finden, Blumenschmuck und hinterlassene Devotionalien deuten auf eine weiter vorhandene kleine Verehrerschar hin, selbst Pfarrausflüge finden dorthin statt. Die Kirche – womit wir zum zuständigen Rottenburg zurückkehren – hat den Kult um Anna Henle dagegen nicht offiziell anerkannt.

Das Gespenst nebenan

Trotz des martialischen Namens war der Blutsberg bei Aichstetten weder eine Hinrichtungsstätte noch Ort einer grausamen Schlacht. Grausam sollen jedoch die Bewohner der dortigen Burg gewesen sein, weshalb sie der Sage nach schließlich durch den Fluch eines abgewiesenen heiligen Wandereremiten mit Mann und Maus auf immer im Boden versank. Dementsprechend ist dort von ihr auch kaum mehr etwas zu sehen außer ein paar Gräben und Wällen. Harmlos ist dagegen die Herkunft des Namens, benannt nach einer dort einst wohnenden Bauernfamilie wurde aus dem Blutschirgendwann der Blutsberg. Weniger harmlos soll es dagegen an der Stelle der untergegangenen Burg zugehen …

Die damals neue Pfarrkirche von Aichstetten

2

DER HEILENDE FRISEURMEISTER

Pietro Tranti in Oberschwaben

Er heilte laut Eigenwerbung Tausende, wurde geachtet und geächtet und löste in einem Nachbarland eine Staatskrise aus. Pietro Tranti war ein typisches Phänomen der Nachkriegszeit und feierte besonders in Oberschwaben große Erfolge.

Baienfurt, Landkreis Ravensburg (RV) Ort Waldbad 1, 88255 Baienfurt GPS 47.836070, 9.697931 Anfahrt Bahnhof Niederbiegen (RB Friedrichshafen-Aulendorf) A96, Ausfahrt Leutkirch

Im Waldbad Baienfurt empfing Pietro Tranti seine Kundschaft.

HEILUNG STATT HAARSCHNITT – Die Haare streng nach hinten gegelt, ein adrettes Menjou-Bärtchen auf der Oberlippe, ein exotisch angehauchter, eher an einen Zirkuskünstler erinnernder Name, für uns heute – natürlich auch mit dem Wissen im Nachhinein – wirkt Pietro Tranti geradezu wie die Karikatur eines Schmierenkomödianten. Doch der Eindruck täuscht: Zwar war dieser ein gebürtiger Remscheider, aber der italienische Name war ebenso echt wie sein Ansehen als Friseurmeister und sein Aussehen als Gentleman, an der Seriosität des eleganten Herren hatte im Rheinland niemand Zweifel, im Gegenteil, die Kolleginnen und Kollegen Haarschneider wählten ihn sogar zu ihrem lokalen Standesvertreter. Seit 1949 platzte sein Friseursalon in Düsseldorf schließlich aus allen Nähten. An seiner Kunst mit der Schere lag das allerdings nicht, sondern an einer nächtlichen Vision, die Tranti im April des gleichen Jahres hatte. Von Gott höchstpersönlich ging an ihn der Auftrag, Menschen von ihren Leiden durch Handauflegung zu erlösen. Ein Befehl von ganz oben, dem sich der gläubige Katholik nicht verschloss. Dieses neue Zusatzangebot im Herren- und Damensalon entfaltete schnell breite Wirkung, der Zulauf war enorm. In der Nachkriegszeit existierte offensichtlich ein großes Bedürfnis nach übersinnlicher Tröstung, Invaliden und Kriegsgeschädigte gab es zudem genug, die Sehnsucht nach metaphysischen Tröstungen und die Wundergläubigkeit waren generell hoch. Tranti musste bald zusätzlich komplette Säle anmieten, um des Andrangs Herr zu werden. Weniger Begeisterung zeigten die Behörden, die sich anfangs zwar noch arrangierten, dann aber zunehmend gegen Tranti vorgingen, der als italienischer Staatsbürger in Deutschland keine Erlaubnis für heilpraktische Verfahren erlangen konnte. Seine Beteuerungen, er tue ja niemanden etwas Böses, alle kämen freiwillig zu ihm, er verschreibe weder Tabletten, noch gebe er medizinische Ratschläge, überzeugten nicht. Er erhielt mehrfach Bußgelder, suchte sich deshalb ein neues Territorium.

WALLFAHRTEN ZUM WALDBAD – Im Süden fand er ein dankbares Publikum. Tranti schlug sein neues Hauptquartier in Lindau auf, von wo aus er zahlreiche Reisen ins Umland unternahm, um das ihn schon sehnsüchtig erwartende kranke Volk mit seinen heilenden Händen zu berühren. Nicht jede Gemeinde zeigte sich aufgeschlossen, im bayerischen Immenstadt wurde ihm der Aufenthalt verwehrt, er zog kurzerhand ein paar Kilometer weiter über die österreichische Grenze, die Heilung Suchenden folgten gern. Insgesamt war die allgemeine Stimmung im Allgäu keineswegs ablehnend, Tranti wusste sich das örtliche Wohlwollen durch zahlreiche Spenden an Gemeinden und Pfarreien gewogen zu halten, die Kirche sah das Handeln des sich explizit auf Gott berufenden Tranti keineswegs kritisch. Dessen Einnahmen florierten, die Werbetrommel lief, Plakate und Flugblätter verwiesen auf die jeweiligen Sitzungsstage des Heilers. Seit dem Sommer 1950 nutzte dieser das Waldbad bei Baienfurt in Oberschwaben als einen seiner Außenstützpunkte. Das war ein gut gewählter Ort, denn das Waldbad war ein sehr bekanntes und beliebtes Ausflugsziel in der Region, nun um eine Attraktion reicher. Ganze Busse trafen dort ein, nicht um zu baden, sondern um den inzwischen berühmten Heiler aufzusuchen. Alles war bestens organisiert: Einhundert Personen waren pro Tag zugelassen, in 25er-Gruppen wurden sie vor den Meister geführt. Der Tarif war für den Einzelnen mit 8 DM (heute ca. 4 Euro) überschaubar, für Tranti aber durch die Masse – und natürlich den höheren Wert des Geldes in jener Zeit – ein ziemlich gutes Geschäft. Allerdings zeigte ihn schließlich ein sich nicht geheilt, sondern betrogen fühlender Baienfurter an. Tranti kam in Untersuchungshaft nach Ravensburg. Ein Knick in der Karriere? Keineswegs. Vor dem Gefängnis der Oberschwabenmetropole versammelten sich verärgerte Tranti-Anhänger und Kranke, die teils weiteste Wege zurückgelegt hatten, um den Mann mit den magischen Händen zu sehen. Erstaunlicherweise gaben die Behörden nach: Tranti durfte in der Untersuchungshaft weiterpraktizieren. Nach seiner Entlassung war trotzdem kein Bleiben mehr in Oberschwaben, nachdem ihm in Lindau auch noch das Finanzamt und einmal mehr das Gericht auf die Pelle gerückt waren, weil einerseits leider das Steuernzahlen vergessen worden war, andererseits weiterhin keine Heilpraktikererlaubnis vorlag.

Das gesamte Areal des Bades ist heute ein Lost Place.

Verfall allerorten im Waldbad

EINE STAATSKRISE – Noch immer war das kein Grund für Tranti, seine Tätigkeit einzustellen. Er zog nach München, seine Gläubigen folgten ihm auch hierhin. Ein Busnetz wurde eingerichtet, um Tranti-Jünger aus der ganzen Republik abholen zu können. Und doch wurde der Boden dünner, auf dem sich der selbsternannte Heiler bewegte. Auch in München wurden die Behörden auf ihn aufmerksam, in Düsseldorf strebte man sogar eine Abschiebung an, Tranti war ja Italiener. Auf Veranlassung einer Geheilten aus Liechtenstein bildete sich dort eine Initiative, die ihm die Übersiedlung und Ausübung seiner Tätigkeit im kleinen Alpenland ermöglichen sollte. Das Parlament war geteilter Meinung, da es sich zu keiner Entscheidung durchringen konnte, schrieb es eine Volksbefragung aus. Diese wiederum wurde nach einem Gutachten des Staatsgerichtshofes von der Regierung abgesagt, ein verfassungsrechtlich bedenklicher Vorgang, der für erheblichen Ärger zwischen den Institutionen sorgte. Tranti blieb in Deutschland, doch nun, 1954, neigte sich das Schicksal dann doch langsam der ungünstigeren Seite zu: Ein Münchner Gericht verurteilte ihn zu einer empfindlichen Geld- und Bewährungsstrafe. Es wurde ruhig um den einst so erfolgreichen, heilenden Friseurmeister. Seiner kurzzeitigen Wirkungsstätte, dem Waldbad, ging es nicht besser. Das jahrhundertealte Bad, in der Zwischenkriegszeit unter Regie des Brauereibesitzers Karl Rittler ein zugkräftiger Erlebnisort mit zahlreichen Attraktionen, die es zum Sehnsuchtsziel der Goldenen Zwanziger machten, konnte zwar in den Wirtschaftswunderjahren noch einmal an die früheren Erfolge anknüpfen, geriet dann aber erst aus der Zeit und dann in Verfall. Heute ist es ein heruntergekommener Lost Place im Achtal, der selbst einige heilende Hände gut gebrauchen könnte.

Das Gespenst nebenan

Sollte das Baienfurter Waldbad tatsächlich eine Renaissance erleben und als Hotelbetrieb wiedererstehen, wie es schon seit Längerem geplant ist, so ist eine Übernachtung dort womöglich trotzdem mit Vorsicht zu genießen. Besucher, aber auch Besitzer des Altbaues im 19. Jahrhundert berichteten mehrfach von nächtlichen Begegnungen mit unheimlichen Mönchen auf den Zimmern, offenkundig Nachfahren früherer Gäste, als sich das Bad bei den Klöstern der Umgebung großer Beliebtheit für Erholungskuren erfreute. Das Zusammentreffen mit den mysteriösen Geistlichen in späterer Zeit empfanden die Waldbadbewohner allerdings weitaus weniger erfrischend.

Keine Erleuchtung mehr …

… denn Tranti kehrte nie wieder.

3

DER TOD DES SCHWARZEN VERI

Xaver Hohenleiter in Biberach

Die einen stilisierten ihn zum Mörder und Erzgauner, die anderen zum oberschwäbischen Robin Hood. Doch das Leben des Bandenchefs war weitaus unspektakulärer – mit der Ausnahme seines bizarren Ablebens.

Biberach, Landkreis Biberach (BIC) Ort Ehinger-Tor-Platz, 88400 Biberach an der Riß GPS 48.100277, 9.788152 Anfahrt Bahnhof Biberach/Riß (RE Stuttgart-Ulm-Lindau, RB Ulm–Biberach) A7, Ausfahrt Dettingen an der Iller

Der Biberacher Schadenhof beherbergte das Oberamt.

ÜBERFALL! – Die alte Frau hatte keine Chance. Nichtsahnend stieg sie vom oberen Stockwerk ihres Bauernhauses herab, als ihr auf der Treppe gleich mehrere Männer entgegensprangen, so schnell, dass sie das Zwischengatter nicht mehr zuwerfen konnte. Die Räuber hatten alle Vorteile auf ihrer Seite: Der Argenhardter Hof nahe Tettnang stand buchstäblich allein auf weiter Flur, der Rest der Familie hatte ihn, beobachtet von der Bande, zum sonntäglichen Kirchgang verlassen. Eines ihrer Mitglieder war mit den Örtlichkeiten bestens vertraut, hatte er doch kurze Zeit dort gearbeitet. Und dann besaß die kleine Truppe natürlich auch noch Waffen, zwei alte Pistolen, dazu Stöcke und eine Rute, von der sie nun eifrig Gebrauch machten, um aus der 55-jährigen kränklichen Witwe Schmid angeblich verstecktes Geld herauszuprügeln. Doch selbst als sie die Frau schwer misshandelten und mit der Pistole bedrohten, sprang dabei nicht mehr heraus als »drei große Thaler«, dazu zwei Gulden, ein paar Lebensmittel und Haushaltsgegenstände. Die Altbäuerin wurde gefesselt in den Keller geworfen, aus dem sie jedoch kurz darauf entkam. Unglückseligerweise waren die Räuber noch nicht weit genug weg, sie entdeckten die fliehende Frau und brachten sie zurück in den Keller, banden sie erneut fest und warfen sie bäuchlings auf den Boden. Zwar konnte sie sich mit Mühe ein weiteres Mal selbst befreien, doch wurde sie in Folge von Alpträumen, Angstzuständen und Depressionen geplagt – sie litt, würde man heute sagen, an einer typischen posttraumatischen Belastungsstörung – und starb drei Monate später. Die Täter waren nicht auffindbar, aber niemand zweifelte daran, dass es sich um die Bande Xaver Hohenleiters gehandelt hatte, des Schwarzen Veri.

GEFANGENNAHME – Dieser brutale Überfall vom Frühjahr 1819 zeigt, wie wenig die legendenhaften Geschichten über die oberschwäbischen Räuberbanden mit der Wirklichkeit übereinstimmen. Dies fängt bereits bei Grundsätzlichem an: Von Banden, also eingeschworenen, teils durch Eid gebundenen über lange Zeit agierenden Zusammenschlüssen kann nicht die Rede sein. Die Gruppen jener Tage, kaum mehr vergleichbar mit den Dieben zu Zeiten der Schwarzen Lies (siehe 27