Schlagsahne zum Frühstück - Christian Callsen - E-Book

Schlagsahne zum Frühstück E-Book

Christian Callsen

4,7

Beschreibung

Eine neue Liebe ist wie ein anderes Leben. So jedenfalls fühlt es sich an, als das idyllische Familienleben der Winkelreuters in Turbulenzen gerät. Mutter Susi ist seit 13 Jahren scheinbar glücklich mit Jan verheiratet. Ehemann Jan ist ein relaxter Hobbydrummer und mehr oder minder erfolgreich in der Werbebranche tätig, ehe er unverhofft gleich doppelt stolpert. Erst ist der 43-Jährige plötzlich seinen Job los, dann beschreitet auch noch seine Ehefrau neue Wege, auf denen er verzichtbar werden könnte. Das Leben der Familie steht Kopf. Mittendrin in dieser handfesten Krise befinden sich Töchterchen Nicoletta und ihr älterer Bruder Torven, der mit seinen 17 Jahren ohnehin schon genug Gefühlschaos zu bewältigen hat. Ist die Schieflage der Familie noch zu retten? Gelingt Jan mit seiner Band Das alte Geschirr ein plötzlicher Karrieresprung? Kann Torven seine erste Liebe erobern? Und wer macht bei Susi das Rennen? Alle Beteiligten erleben im Verlauf der Geschichte einen Wandel von der Routine am heimischen Frühstückstisch hin zu unkonventionellen und spannenden Erlebnissen, auf die sie keiner vorbereitet hat. Wächst die Familie an den Reifeprüfungen oder wird aus den leidgeprüften Beteiligten ein Trupp von Einzelkämpfern? Die Wochen der Wahrheit beginnen.

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Über das Buch:

Eine neue Liebe ist wie ein anderes Leben. So jedenfalls fühlt es sich an, als das idyllische Familienleben der Winkelreuters in Turbulenzen gerät. Mutter Susi ist seit 13 Jahren scheinbar glücklich mit Jan verheiratet. Ehemann Jan ist ein relaxter Hobbydrummer und mehr oder minder erfolgreich in der Werbebranche tätig, ehe er unverhofft gleich doppelt stolpert. Erst ist der 43-Jährige plötzlich seinen Job los, dann beschreitet auch noch seine Ehefrau neue Wege, auf denen er verzichtbar werden könnte. Das Leben der Familie steht Kopf.

Mittendrin in dieser handfesten Krise befinden sich Töchterchen Nicoletta und ihr älterer Bruder Torven, der mit seinen 17 Jahren ohnehin schon genug Gefühlschaos zu bewältigen hat.

Ist die Schieflage der Familie noch zu retten? Gelingt Jan mit seiner Band Das alte Geschirr ein plötzlicher Karrieresprung? Kann Torven seine erste Liebe erobern? Und wer macht bei Susi das Rennen? Alle Beteiligten erleben im Verlauf der Geschichte einen Wandel von der Routine am heimischen Frühstückstisch hin zu unkonventionellen und spannenden Erlebnissen, auf die sie keiner vorbereitet hat. Wächst die Familie an den Reifeprüfungen oder wird aus den leidgeprüften Beteiligten ein Trupp von Einzelkämpfern? Die Wochen der Wahrheit beginnen.

Über den Autor:

Christian Callsen wurde 1968 in Lübeck geboren. Seit vielen Jahren wohnt er mit seiner Familie und einem glücklichen Kaninchen in Kiel. Viele Jahre war er nebenberuflich als Sportredakteur an den Seitenlinien norddeutscher Fußballstadien unterwegs. Dabei wirkte er unter anderem auch bei der Stadionzeitung für die KSV Holstein und der Chronik »100 Jahre Holstein Kiel« mit. Aus der Sportberichterstattung wechselte er kurzerhand ins noch ernstere Leben und veröffentlichte im Jahr 2016 mit »Schlagsahne zum Frühstück« seinen ersten Roman.

Inhalt

Teil I

April

Torven

1 – Müde Schlagsahne

Susi

2 – Heitere Wettervorhersagen

Jan

3 – Heißes Marketing

Susi

4 – Leckeres Schnittchen

Torven

5 – Früher Besuch

Jan

6 – Laute Befindlichkeiten

Torven

7 – Versteckte Blicke

Jan

8 – Schiefe Tonlage

Susi

9 – Der Zusammenbruch

Susi

10 – Lautes Geschirr

Torven

11 – Ungewohnte Glücksmomente

Jan

12 – Der Agent

Teil II

Juni

Jan

13 – Die Beichte

Susi

14 – Scherben

Torven

15 – Edelfan

Jan

16 – Ratschläge

Susi

17 – Aufgewacht

Torven

18 – Revolverhelden

Jan

19 – Harte Weichen

Susi

20 – Freundinnen

Jan

21 – Aufschlag

Torven

22 – Schlüsselerlebnis

Jan

23 – Der Brief

Teil III

August

Jan

24 – Konto

Torven

25 – Paris

Susi

26 – Kurschatten

Jan

27 – Spinat

Torven

28 – Pizza

Susi

29 – Afrika

Jan

30 – Angebote

Torven

31 – Sahnetorte

Susi

32 – Richterin

Jan

33 – Baum

ERST WIRD ES HART SEIN, NACHHER FIND`ST DU ES GUT

ICH SEH, DU HAST DIE LUST DRAUF,

DIR FEHLT NUR NOCH EIN STÜCKCHEN MUT!

KOMM WEG HIER

UND FRAG NICHTS

UND SAG NICHTS

ES WIRD ZEIT

BITTE, GLAUB MIR:

GLEICH BRENNT´S HIER –

HÖCHSTE ZEIT

KOMM JETZT WEG HIER,

GEH MIT MIR,

HÖCHSTE ZEIT

Manfred Maurenbrecher

Höchste Zeit

Teil I

April

Torven

1 – Müde Schlagsahne

Unser Auto ist alt. Unser Haus ist alt. Ach, irgendwie ist bei uns alles alt. Die Nachbarn, unser Garten oder unser bescheuerter Wohnzimmerteppich, der regelmäßig einen wunderbaren Job als Stolperfalle ausübt und nebenbei bemerkt auch extrem hässlich ist. Und nicht zu vergessen meine Eltern. Ja, die sind irgendwie auch alt. Zumindest meistens. Die verhalten sich manchmal so, als wäre die Steinzeit deutlich näher als unser aktuelles Handyzeitalter.

Mein Handy indes ist neu. Genau genommen hat das Handy seit drei Monaten und fünf Tagen bei mir eine neue Bleibe gefunden. Und ja, um eventuell aufkommende Fragen gleich zu beantworten, es ist mir heilig. Manchmal gelingt es mir schon, es mal für zwei Stunden nicht anzurühren. Ich denke, dass zwei Stunden ein nahezu realistischer Wert sind. Zwei Stunden ohne jede Handynutzung, das ist wahrscheinlich so etwas wie der Maximalwert, den ich mir zutraue. Zumindest, wenn ich mich mal so richtig anstrenge. Aber warum sollte ich? Ist ja kein Wettbewerb, keine Meisterschaft! So sind es meistens eben nicht mehr als fünf Minuten, dann wage ich gerne und regelmäßig schon einmal einen leisen Blick auf mein Smartphone. Selbst im Unterricht bekommen es meine Lehrer nur in den seltensten Fällen mit, wenn man mal eine Kurznachricht auf die Reise schickt. Egal, ob nun wichtig oder nicht. Gewusst wie. Dass meine

Eltern meinen Handykonsum weniger schätzen, liegt auf der Hand. Dafür haben die ihre eigenen Macken.

Der heutige Dienstag kommt dem gestrigen Montag sehr nahe. Dabei fängt der Tag erst an. Wetter trist. Stimmung mau, und der Wille, gleich in der Schule einen Verdienstorden für herausragende Leistungen in mündlicher Mitarbeit zu erlangen, ist durchaus überschaubar.

Auch das Frühstück ist an einem trüben Dienstag nur selten ein Festessen. Wenn einen dann die eigene Mutter auch noch voller Freude und Optimismus anlächelt, in dem (hinterhältigen) Versuch, einen mit ihrer guten Laune anzustecken, erschwert das die Angelegenheit natürlich. Aber keine Chance, solche Krankheitsbilder gibt es bei mir nicht.

Ich grummel ein »Guten Morgen« in die Runde und stelle beruhigt fest, dass ich es auch heute geschafft habe, als Letzter am Frühstückstisch aufzutauchen. Meine Familie ist vollzählig.

Mein Vater Jan steckt mit halbem Kopf und halbem Toast in der Zeitung. Meine Mutter schaut erwartungsvoll in die Runde, freut sich, strahlt und nebenbei gelingt es ihr, sich noch locker bis beschwingt mit Milch zu versorgen. So ist sie, die Susi, meine Mutter, immer in Action, immer im Gleichgewicht und immer im sanften Wohlfühlmodus.

Und die kleine Nicoletta sitzt auf ihrem Stuhl und bewundert munter die Weltgeschichte, die Natur und die sich kreisende Erdkugel. Keine Ahnung, ob sie den Blumen in unserem Garten beim minimalen Wachstum zuschaut oder doch nur fasziniert den alten Kühlschrank betrachtet. Auf alle Fälle lächelt sie. Typisch Frau!

Wenn wir Besuch haben, bestaunen die Gäste sehr gerne unser ach so schmuckes Häuschen (»Tolle Einrichtung, so unkonventionell und so geschmackvoll«). Ich schüttel dann gerne innerlich den Kopf und halte in Gedanken unzählige Argumente dagegen. Wir wohnen im Schäferkamp, unsere Straße ist eine Sackgasse – nicht selten bin ich auch gefühlsmäßig auf einem solchen Pfad unterwegs.

Wenn ich kurz darüber nachdenke, dann gefällt mir der Gedanke, dass man unser Einfamilienhaus (Baujahr etwas älter, wie ich bereits erwähnte) eigentlich gut in zwei Ebenen aufteilen könnte: einen ruhigen Bereich, in dem man sich langsam bewegt, wo man leise spricht, wo man immer aufmerksam und freudig nickt, wenn man angesprochen wird. Wo man sich ausgeschlafen und putzmunter an den Naturgegebenheiten erfreut. Ein Bereich mit farbenfrohen Tapeten, duftenden Blumen, voller Ruhe und Zufriedenheit, mit heißem Tee und immer warmen Heizungen. Da passen meine Mutter Susanne – die jeder nur Susi nennt – und die kleine Nico wunderbar rein. Vielleicht wäre es angebracht, dort noch viele Kuscheltiere, kleine Prinzesspüppchen und Herzkissen zu deponieren. Nicht zu vergessen die Grundversorgung mit gesundem Brot, mit frischem Gemüse, mit Teesorten, die man eigentlich noch erfinden müsste (gibt es wirklich eine Mandel-Mango-Teemischung?) und Obst. Obst, das grün, gelb, rot oder auch zartlila wäre und das nicht nur der Dekoration dienen würde, sondern auch essbar wäre.

Die Ebene für meinen Vater und mich würde ganz anders aussehen, ganz anders klingen und schmecken. Habe ich schon erwähnt, dass mein Vater Schlagzeug spielt? Ich denke nicht. Ja, mitten in unserem Wohnzimmer steht das riesige Teil. Überhaupt, würde man eine Trennung der beiden Parteien anstreben, dann wären laute Musik, lautes Poltern, tüchtiges Fluchen tatsächlich bei uns an der Tagesordnung. Ich würde mich dafür einsetzen, dass statt ausgewogener Ernährung die Schwerpunkte auf Fleisch, Fast Food, Pommes und Cola auf der Tagesordnung stehen würden. Dafür bräuchte man dann weniger Klamotten, weniger Bügelwäsche und vor allen Dingen weniger kluge Sprüche. Kleiner Einspruch, euer Ehren, die klugen Kommentare kommen dann doch in schöner Regelmäßigkeit von meinem Vater.

Ich bin ein wenig vom Thema abgekommen, denn wir sitzen an diesem bewölkten Vormittag immer noch an unserem Ikea-Frühstückstisch mit der gesunden Balance aus Toast, Vollkornbrot, Marmelade und dem ganzen restlichen Zeug, das man sich noch auf eine ordentliche Stulle draufpackt. Auf meinem Brot befindet sich Marmelade mit einer Portion Schlagsahne. Sie wundern sich? Warum? Anscheinend bin ich in Nordeuropa der einzige Genießer, der schon zum Frühstück den Verzehr von Schlagsahne schätzt. Früher wurde die für mich frisch geschlagen, nach monatelangen Diskussionen habe ich mich mittlerweile des Öfteren mit halbfrischen Sprühdosen zufriedengegeben. Außer am Wochenende, da gibt es für mich noch häufiger echte Schlagsahne zum Frühstück. Egal, ob auf Marmelade, Nutella oder auf meinem Schinkenbrot.

Meine Müdigkeit scheint unterdessen einmal mehr neue Rekordwerte anzupeilen. Keine Ahnung, warum ich anscheinend als Einziger in diesem Haus frühmorgens leide. Meiner Mutter gelingt es hingegen schon, fröhlich pfeifend durch die Küchendiele zu schlendern.

»Na, gut geschlafen, mein Großer?«, fragt sie mich, nicht ohne mir dabei durch meine längeren, ungekämmten Haare zu fahren. Das ist zweifelsohne eine dieser mütterlichen Morgenübungen, auf die ich gerne verzichten könnte.

»Geht so.« Das soll als Antwort von mir reichen. Schließlich werde ich am Frühstückstisch nicht für die mündliche Mitarbeit benotet. Der Gedanke an die Schule lässt mich schlucken und noch trüber aus den müden Augen blicken.

»Lass den Jungen bloß in Ruhe, der war schließlich gestern erst sehr spät im Bett«, bemerkt mein Vater. Der geübte Blick auf den Sportteil wird dabei nur kurzzeitig vernachlässigt.

Ich bemerke unterdessen seinen süffisanten bis vorwurfsvollen Unterton. Kurz nachgedacht. Sicher war es gestern später, ohne dass mir eine bewusste Uhrzeit in den Sinn kommt. Ich hatte einen ganz lustigen Abend mit den Jungs aus der Klasse, manchmal muss man halt auch mal in der Woche Farbe bekennen. Dass Elternteile dafür wenig Verständnis zeigen, ist für mich keine neue Erkenntnis.

»Seid schön lieb zueinander, dieser Tag ist viel zu schön, um hier am Frühstückstisch schon zweifelhafte Nettigkeiten auszutauschen.« So ist sie, meine Mutter. Harmonie und Zufriedenheit, das sind ihre Zauberwörter, die sie als geübte Friedensbotschafterin in wohl allen Lebenslagen beherzigt.

Mein Handy sendet in der Zwischenzeit zwei Signale. Alle schauen mich an.

»Kannst du nicht einmal dein Handy in deinem Zimmer lassen?«, murrt der Mann mit der Zeitung.

Ich schaue indes freudig auf mein Marmeladenbrot und denke mir meinen Teil.

Nicoletta schaut und lächelt entspannt aus dem Fenster, auch wenn sich dort in den letzten zehn Minuten absolut nichts geregt hat. Dass sie dabei das Frühstücken vergisst, soll diesmal keinen der Tischpartner kümmern.

***

In der Schule erwartet mich der normale Wahnsinn. Wer immer den Schuldienst vor sieben Millionen Jahren erfunden hat, sollte zumindest überdenken, ob eine erste Stunde denn wirklich um 7:50 Uhr anfangen muss. Warum zum Teufel gibt es keine Parteien, die das mal mit Nachdruck auf ihre Wahlplakate draufpinseln? Mit meinen 17 Jahren bin ich zwar neuerdings wahlberechtigt, nur fehlt mir noch das passende Parteiprogramm für eine Liberalisierung der schulischen Anfangszeit. So schleppe ich mich mit Mühe in den Klassenraum der 12b, der wenige Minuten vor Schulbeginn gut gefüllt ist.

Englisch ist uncool, Mathe irgendwie überflüssig und Fächer wie Physik, Chemie und Erdkunde braucht auch kein Mensch (jedenfalls keiner, den ich kenne). Mit Deutsch kann ich mich noch halbwegs anfreunden, solange man dabei wenigstens kreativ denken und schreiben darf.

Aber für mich geht es in der Schule sowieso viel mehr um den Austausch mit Gregor, Ben, Tille und Achim. Wir sind eine Gang, mit Ben und Tille spiele ich auch gemeinsam Basketball, und zu viert hängen wir die meiste Zeit irgendwo ab. Und natürlich geht es meistens um Mädchen. Verbal spielen wir da in der Champions League, im wirklichen Leben reicht es dagegen meistens nur für die Ersatzbank.

In unserer Klasse, der 12b, sind die ganz großen Sahneschnitten auch nicht vertreten. Tina ist ganz ordentlich und die junge Türkin Ayse ist nicht eben schlecht. Aber der Rest? Dafür hat die Parallelklasse deutlich mehr Leckerbissen. Wenn ich ehrlich bin, habe ich sowieso nur Augen und Ohren für Sybille. Dieses dunkelblonde Geschöpf macht mich wahnsinnig. Diese Zöpfe, dieser Körper, diese Ausstrahlung, diese Stimme. Leider kreuzen sich unsere Wege im Unterricht immer nur im Kunstunterricht, immer donnerstags um 11:10 Uhr. Sybille ist in der Parallelklasse, fast schon ein unlauterer Wettbewerb für mich. Somit sind wir nur eine Schulstunde pro Woche in einem gemeinsamen Klassenraum. Ich liebe den Kunstunterricht. Selbst meine Eltern wundern sich, dass ich mich seit einiger Zeit für zeitgenössische Maler interessiere. Ob man mit gefährlichem Halbwissen und naivem Kleinstadtcharme Sybilles Herz erobern kann? Die Hoffnung stirbt an diesem tristen Dienstag zuletzt…

Susi

2 – Heitere Wettervorhersagen

Irgendwie sind wir eine ganz normale Familie. Zwei Kinder, Küche, Bad. Wobei, streng genommen ist es ein schickes, wenn auch nicht mehr ganz modernes Einfamilienhaus am Stadtrand. Seit sechs Jahren wohnen wir in dieser Seitenstraße. Nach unserer eher unpraktischen Etagenwohnung haben wir den Zugewinn an Platz, Ruhe und Terrasse schnell zu schätzen gelernt. Auch beziehungstechnisch sind wir auf den normalen Fahrspuren unterwegs. Drei Jahre waren Jan und ich verlobt, inzwischen sind wir 14 Jahre verheiratet und haben zwei Kinder, die 17 und acht Jahre alt sind. Zugegeben, zu Torvens Geburt waren wir noch nicht getraut. Jan war damals vom Kopf her noch nicht so weit, wie er damals meinte und auch heute immer noch beteuert. Spontane Lebensplanung ist nicht unbedingt der Lieblingssport meines Mannes.

Manchmal fehlt Jan die Entscheidungsfreudigkeit. So war es schon bei unserem Kennenlernen. Ich habe ihn seinerzeit angesprochen und habe die ersten Schritte getan und ihn mehr oder minder zum Glück gezwungen. Wir haben uns damals bei einem Spanisch-Sprachkurs kennengelernt. Inzwischen lernt man Sprachen ja größtenteils über Apps oder Sprachprogramme, damals rannte ich monatelang immer dienstags zur Volkshochschule, um über einen längeren Zeitraum meine Spanisch-Kenntnisse zu erweitern. Da sich Jan in dem überwiegend von Frauen besuchten Kurs deutlich schwieriger tat, begann ich mich nach und nach intensiv um ihn zu kümmern – nicht ganz ohne Hintergedanken. Über fehlende Spanisch-Vokabeln lernten wir die Sprache der Zuneigung und wenig später den großen Festsaal der Liebe kennen. Seitdem sind wir unzertrennlich, wie man so schön sagt. Klar, die riesige Romantik ist bei uns inzwischen so angestaubt wie die alten Schmöker, die in den hinteren Ecken unseres Kellers hausen. So werden inzwischen bei Badewannenbesuchen weniger Kerzen angezündet, sondern man teilt sich vielmehr nacheinander das Badewasser.

Auch sonst haben wir uns mit den Jahren deutlich einer Durchschnittsfamilie angeglichen. Weder unsere Bettwäsche noch unsere Zimmeraufteilung oder die Wahl unserer Ferienziele sind irgendwie besonders oder außergewöhnlich. Auch unser Türschild ist eines dieser Tonschilder, auf dem in Schnörkelschrift ganz brav alle Familienmitglieder aufgeführt sind. In unserer Freizeit streiten wir uns weder mit unserem Postboten, noch sind wir außerordentliche Jäger bei Schnäppchen oder Restposten. Selbst unsere Steuererklärung ist weder besonders kreativ noch exotisch.

Mein Mann ist ein ordentlich aussehender Mittvierziger, wenn man mal von zwei lichter werdenden Stellen an seinem runden Kopf absieht. Er sieht aus wie der Typ Sportmoderator in den dritten Programmen, ich vielleicht eher die adrette Wetteransagerin, wobei ich die von den zahlreichen Fernsehsendern immer durcheinanderbringe. In unserem Tennisclub behaupten nicht wenige, dass mein Mann mit dem Schweden Mats Wilander eine gewisse Ähnlichkeit habe, aber das dann freilich weniger, was sein Tennisspiel anbelangt.

Beruflich ist Jan seit Jahren erfolgreich in der Werbebranche tätig. Ich glaube, diese Mischung aus Kreativität und Kopfarbeit macht ihm richtig Freude. Zumindest wäre es so bei mir. Mein Job hingegen ist weniger aufregend. Ich gehe zwei Tage die Woche einem unspektakulären Bürojob in einer Likörfabrik nach. Job ist Job. Nach inzwischen sechs Dienstjahren ist es nicht gerade so, dass ich mich auf meine Arbeitstage freue, somit rede ich gerne und häufig bei meinem Brötchengeber vom Schnapsladen. Ansonsten ist auch die Familie ein Fulltime-Job. Torven ist mit 17 Jahren in keinem leichtem Alter (Jan spricht immer von den jugendlichen Wechseljahren), bei Nicoletta geht es mit ihren acht Jahren alles etwas ruhiger, langsamer und rosaroter zu.

Das turbulente Dienstagsfrühstück ist erfolgreich absolviert, und nach der frühmorgendlichen Badezimmerhektik und der schnellen Nahrungsaufnahme haben meine drei Lieben das Haus verlassen. Ich habe mir mit unserer Kaffeezaubermaschine einen Cappuccino gegönnt und lasse den munteren Morgen Revue passieren.

Es klingelt und wie verabredet steht meine Mutter Hilde vor der Tür. Hilde wird auf Nicoletta aufpassen, wenn diese später aus der Schule kommt. Ich bin mit meiner besten Freundin Sabrina verabredet, wir wollen gemeinsam eine erste Yogastunde besuchen. Wir kamen vor einigen Tagen auf die Idee, mit Yoga einen neuen sportlichen Weg zu versuchen.

Früher habe ich über einen längeren Zeitraum gerudert. Ich war in Jugendtagen mehrere Jahre im Verein, ehe irgendwann der Reiz verloren ging. Ich habe – Jan zuliebe – mit dem Tennis angefangen, aber schlussendlich eingesehen, dass der Sonnenschein auf dem Platz zwar ganz schön ist, ich mit Volley und Slice hingegen eher auf Kriegsfuß stehe. Jetzt also ein neuer Versuch mit Yoga. Ein Einstiegskurs der neuen Sportart klang überaus vielversprechend. Als ich den farbenfrohen Prospekt vor zwei Wochen sah, machte er mir gleich richtig Laune auf Entspannung und Wohlbefinden. Ein einfacher Anruf bei Sabrina, die auch gleich Feuer und Flamme war, und schon war der Kurs gebucht.

Sabrina ist ein echter Schatz und erfüllt mein Leben häufig mit ihrem sorgenfreien Gute-Laune-Paket. Sie als beste Freundin zu bezeichnen, wäre schamlos untertrieben. Auch wenn sie nicht bei uns eingezogen ist, so kenne ich keine Person, die besser über mich und meine Familie Bescheid weiß. Nebenbei bemerkt ist Sabrina ledig (aber meistens nicht ohne irgendeinen Kerl), als Immobilienberaterin beruflich erfolgreich (richtig viel arbeitet sie irgendwie nicht) und eben der Inbegriff von Fröhlichkeit und Lockerheit. Ganz gewiss sind dies Eigenschaften, die auf meinen bisherigen Pfaden – häufiger als mir lieb war – auf ein Stoppschild trafen.

Ich gehe zur Tür, und beim Blick aus dem Küchenfenster sehe ich, wie meine Mutter in typischer Manier ihr Gewicht von einem Bein aufs andere verlagert, während sie darauf wartet, dass ich ihr öffne. Ich überlege im Stillen, dass Angewohnheiten wohl dazu da sind, um sie regelmäßig auszuleben. Meine Mutter erscheint immer dann, wenn Jan aus dem Haus ist. Sie ist schon bemüht, ihrem Schwiegersohn – so gut es geht – aus dem Weg zu gehen. Die beiden hatten vor wenigen Monaten einen heftigen Streit, als es darum ging, wie sehr Torven in seinem Alter eine ordnende Hand benötige. Jan hat in vielen Angelegenheiten, so auch in der Erziehung, eine etwas laxere und lässigere Einstellung – eine Denkweise, die meiner Mutter natürlich völlig fremd ist. Ich stand indes irgendwo im Schatten und versuchte, die heißen und aufgebrachten Gemüter zu beruhigen. Manchmal fungiert man dabei auch als Schiedsrichter, freilich ohne die Handhabe von roten Karten…

»Ach guten Morgen meine Liebe«, begrüßt mich meine Mutter in gewohnt freundlicher Stimmlage.

»Hallo Mutter«, strahle ich zurück und atme frische Frühlingsluft ein. Ein kurzer Blick in den Vormittagshimmel verrät, dass sich der Tag wettertechnisch richtig was vorgenommen hat. Vielleicht ist es aber auch die Vorfreude auf meinen freien Nachmittag, den ich mit Sabrina, mit Yoga und vielleicht einer kleinen Shoppingtour genießen werde.

»Oh, es sind wohl schon alle aus dem Haus?«, bemerkt meine Mutter beim Eintreten.

Ich schaue etwas sparsam, was auch daran liegt, dass man immer das Gefühl hat, dass die eigene Mutter mit strengen Blicken nach rechts und links nach heimlichen Staubbergen, Staubresten, kleinen Fusseln oder Flecken Ausschau hält.

»Mutter, es ist viertel nach zehn. Natürlich sind die drei schon los. Torven und Nicoletta sind zur Schule und Jan ist auch seit viertel nach acht im Büro«, erkläre ich. So wie immer, hätte ich am liebsten hinzugefügt, verkneife mir aber meine kritische Anmerkung.

Meine Mutter kommt meistens ein bis zwei Tage pro Woche zu uns zum Aufpassen oder um das Essen für Nicoletta vorzubereiten. Ich glaube, das tut ihr ganz gut. Und uns als Familie wohl auch. Mein Vater starb vor knapp acht Jahren. Er hatte viele Jahre als Schiffskapitän gearbeitet, war überwiegend auf dem Rhein unterwegs. Nur zwei Jahre nach seiner Pensionierung verstarb er plötzlich, als das Herz streikte. Es kam furchtbar unerwartet, doch wir alle haben uns recht gut von dem Schock erholt. Umso besser – so denke ich –, wenn meine Mutter mit kleineren Aufgaben merkt, wie und wo sie gebraucht wird. Nicht immer teilt Jan dieses Verständnis.

»Ich bin in einer halben Stunde weg und treffe mich mit Sabrina«, erkläre ich meiner Mutter, was ich ihr jedoch auch schon gestern am Telefon mitgeteilt habe. »Ich bin auch nachmittags noch unterwegs, sodass ich erst gegen 18:00 Uhr wieder hier bin. Nicoletta kommt so gegen halb eins von der Schule«. Wann Torven nach Hause kommt, verschweige ich, weil ich es selbst nicht genau weiß. Manchmal zieht er direkt nach der Schule los, manchmal schlägt er erst abends wieder seine Zelte bei uns auf. Manchmal muss man als Elternteil auch klein beigeben.

Meine Mutter nickt. Ich denke, dass sie sich ihren Teil denkt. Aber was sie wirklich denkt – wer weiß das schon, vielleicht hat sie ja auch gerade ein Staubkörnchen entdeckt.

***

Jan

3 – Heißes Marketing

Druck. Ständig dieser Druck. Gemeint ist dabei nicht zwangsläufig die Morgentoilette, sondern vielmehr die Anspannung beim Dienstherren. Heute ist wieder einmal so ein echter Tag der Entscheidung, wo es um einen dieser ultrawichtigen Aufträge geht, die für unsere Firma anscheinend existenzielle Bedeutung haben.

Ich bin seit über vier Jahren in der Werbeagentur Kreiser & Schmal, und es geht wirtschaftlich seit längerer Zeit um das große Überleben. Um Umsatz und Kundenbindung. Um Aufträge, um Verträge, um satte Rechnungen und um Marketingkonzepte, die uns den Kopf retten und für die tägliche Butter und Brot sorgen sollen. »Creative Director« steht auf meiner Visitenkarte, was das im Alltag bedeutet, weiß außer mir kein Mensch.

Wir betreuen verschiedene Unternehmen im großen Werbebereich. Mein Chef, Ludwig Kreiser, legt größten Wert darauf, dass wir so viele verschiedene Firmen und Branchen wie möglich betreuen. Wir haben eine Bierbrauerei, verschiedene Handwerksbetriebe, ein Autohaus und unterschiedliche Kunden aus dem Gastronomie-Bereich dabei. Ich bin zumeist textlich, also inhaltlich gefragt. Die bunten Bilder und Farben werden dabei von meiner Kollegin Jana Schmidt zugefügt. Die Erwartungshaltung meines Chefs und der zahlreichen Kunden ist nahezu identisch: Markenberatung, Konzepte, Imageberatung und Strategien – das Ganze muss immer schnell, präzise, frech und jedes Mal neuwertig und innovativ sein. Zu teuer darf es bitte auch nicht werden. Wer immer das auf diesem Erdball leisten kann – mir hat sich die Antwort darauf noch nicht ganz erschlossen. Ich selbst bin zwar erfahren und kreativ, aber das Hexen überlasse ich Bibi Blocksberg, Apple oder renommierten Zauberkünstlern wie David Copperfield.

Um 11:00 Uhr ist bei uns in der Firma der große Präsentationstermin. Nein falsch: Um 11:00 Uhr gestalte ich den Termin, bei dem es, würde man unseren Chef und Geschäftsführer Ludwig Kreiser fragen, um das Wohl unserer kleinen, beschaulichen zehnköpfigen Zweckfamilie beziehungsweise unserer Firmengemeinschaft geht.

Über gut vier Wochen habe ich mit meiner Kollegin Jana Schmidt auf diesen Termin hingearbeitet. Wir haben getextet, haben probiert, haben angepasst, verworfen und das Ganze in ein solides Fundament gegossen, wie man in unserer Branche sagt. Unser Chef, der Kreiser, hat regelmäßig morgens und abends den Kopf in die Tür gesteckt und Fragen wie »Wie weit seid ihr?« oder »Kommt ihr voran?« gestellt. Um die Mittagszeit fielen seine Kontrollfragen meistens etwas knapper aus. »Läuft’s?« oder »Alles klar?« waren einige der chefseitigen Anmerkungen. Echte Unterstützung sieht irgendwie anders aus.

Ich weiß nicht, mit welchen Antworten er gerechnet hatte, zumeist schwiegen wir uns aus, nickten höflich und entschlossen oder lächelten bescheiden zurück. Der Kreiser ist einer jener Menschen, die vermehrt in der Theorie zu Hause sind. Struktur, Konzepte, Emotionen, Kundenbindung, all das sind Schlagwörter, die der Kreiser in jedem dritten Satz unterbringt. Aber er ist wie einer dieser Typen, die vollmundig ankündigen, beim Umzug des besten Freundes ordentlich mitanzupacken. Wenn es dann losgeht, kommt er zwei Stunden zu spät und hält alle Anwesenden mit Schwatzen auf, ehe er auf dem Laster nur die Sachen entgegennimmt und kurz verstaut. So einer ist der Kreiser, große Klappe, kleine Wirkung, aber die Macht ist stets mit ihm!

Die Jana dagegen ist eher etwas ruhiger. Kurze Haare, häufig kurz angebunden und manchmal auch etwas kurzatmig. Aber sie ist fleißig und zumeist dienstlich wie auch emotional höchst ausgeglichen. Rein fachlich ist Jana eine gute Grafikerin, irgendwie kann Jana auch alles. Texten, entwerfen, recherchieren und planen. Aber sie ist halt keine Frau für die erste Reihe. Es sei denn im Linienbus, da mag sie aus Sicherheitsgründen an vorderster Front vielleicht die Nähe zum Busfahrer suchen.

Ich habe das Frühstück mit der Familie unfallfrei und unbeschadet überstanden. Gleichwohl muss ich zugeben, dass der morgendliche Familientrubel auch sehr stressen kann. Frühmorgens hatte ich mich mit Susi schon wegen Schwiegermutter Hilde angezofft, und wenn dann noch der eigene Sohn lässig und luftig sein Frühstücksmahl ohne jeden Familiensinn einnimmt, dann birgt das schon einen gewissen Reizfaktor. Mich reizte es jedenfalls so sehr, dass sich das anscheinend sogar auf mein ohnehin etwas mürrisches Auto übertragen hat.

Ich fahre ein eher älteres Modell. Ich bin stolzer Besitzer eines weißen 6er BMW aus dem Jahr 1987. Zugegeben, hier und da ruckelt, wackelt, dampft und streikt er mal. Aber meistens entscheidet er sich dann doch loszufahren. Neben der Familie versuche ich doch so wenig wie möglich ein Leben von der Stange zu führen. Dazu gehören sicherlich meine musikalischen Ambitionen. Mit unserer Band Das alte Geschirr spielen wir Partyhits, Rocknummern und inzwischen sogar ganz vereinzelt eigene Lieder. Ich sitze dabei gut versteckt hinter dem Schlagzeug. Mit Bernd, Andi und Tom »The Rock« sind wir ein ordentliches Quartett, wenn auch nach gut sieben Jahren die großen Träume vom Musikbusiness inzwischen beerdigt worden sind. Zudem spiele ich Mundharmonika und als sportlichen Ausgleich bin ich ein ganz passabler Tennisspieler. Der Rest der Zeit geht dann für Job und Familie drauf.

Heute Morgen hat der BMW, von Nicoletta liebevoll »der weiße Schwan« getauft, nur einmal kurz gebockt, dann konnte es losgehen. Wäre ja noch schöner, an einem so entscheidenden Tag zu streiken.

Aber vielleicht ist das der ganze normale Stress vor dem Stress. In rund 35 Minuten wird die Firma Bursen erwartet, ein Unternehmen aus dem gehobenen Mittelstand, das mit 18 Filialen im Bereich Kaminöfen ein Spezialist ist. Die Zusammenarbeit in Marketing und Werbung besteht seit nunmehr zwei Jahren. Die letzten Kampagnen waren geprägt von so schwungvollen Slogans wie »Wir heizen Ihnen ein«, »Superheiße Angebote«, »Come in for Kamin« und dem etwas gewagten »Sie spielen gerne mit dem Feuer? Dann sollten wir uns kennenlernen…«. Aber es wurde Zeit für Erneuerung, fanden die Kaminmenschen, woraufhin wir in den letzten fünf Wochen kreativ geworden sind. Hoffentlich mit Erfolg.

Zu dem von uns angedachten »Rundum-sorglos-Paket« gehört neben Print- und Radiowerbung eben auch ein veränderter Internetauftritt des Familienunternehmens. Ich habe zusammen mit unserem Art Designer Archie (ich glaube, »Art Designer« steht auch auf seiner Visitenkarte, wenn er denn überhaupt eine hat, zumindest wüsste jeder, was dieses Berufsfeld hergibt) viel Wert auf die Internetpräsenz verwendet. Im wahren Leben heißt Archie übrigens Achim Rüdiger Schluser, manchmal sind Kurzformen und Kosenamen auch ganz nützlich. Archie hat viele Dinge programmiert und ein Layout gewählt, das für mein Empfinden deutlich ansprechender und frischer wirkt als das alte. Nicht immer kommt so etwas beim Kunden an, entsprechend unruhig hippele ich auf meinem Bürostuhl hin und her. Ich trommele in meinem Büro leise einen Rhythmus auf dem Bürotisch. Als Drummer hat man halt immer einen gewissen Rhythmus im Blut.

Ich entscheide mich, unseren Präsentationsraum noch ein letztes Mal zu überprüfen. Technik, Klima, Handout und Sitzplätze sind jedoch einwandfrei, Archie und Herr Kreiser (auch wenn wir uns die meiste Zeit über duzen, ist er in meinen Gedanken irgendwie immer der Herr Kreiser) trudeln auch wenige Momente nach mir im Besprechungsraum »Puerto Rico« ein. Wir haben unsere Räumlichkeiten (Meeting Points sagt man dazu in der Werbebranche) nach karibischen Inseln benannt, das sorgt für ein noch wärmeres Klima, so die interne Firmenaussage. Blöd nur, dass wir letztes Jahr einen guten Kunden, einen regionalen Brotlieferanten, in den Raum »Jamaika« einluden und dieser tatsächlich schon den Überseeflieger gebucht hatte, ehe wir die Sache zwei Tage vor dem Termin zur riesigen Verwunderung des Kunden aufklären konnten. Wir haben aus Kulanz sogar die Stornokosten übernommen.

Das schnurlose Telefon in dem Konferenzraum klingelt. »Die Herren der Firma Bursen sind da«, haucht die Stimme vom Empfangsbereich gekonnt in den Hörer. »Schick die Herren gerne rauf«, hauche ich ins Telefon zurück und überprüfe noch einmal meinen Krawattenknoten. Plötzlich habe ich einen komischen Knoten im Hals.

Die Anspannung im Raum ist greifbar. Häufig vermittelt unser Chef den Eindruck von Unsicherheit, von Angst und Pessimismus. Es könnte ja auch etwas schiefgehen. Das Glas vom Chef ist immer halb leer, immer mit der Tendenz nach unten. Ich sehe die Sache zumeist etwas lässiger, etwas entspannter. Schließlich sind Jana und ich im Gegensatz zu Herrn Kreiser vorbereitet. »Das Erschießungskommando kommt«, versuche ich einen Witz. Jana Schmidt guckt geistesabwesend, der Herr Kreiser schüttelt hingegen den Kopf. Okay, den Witz spare ich mir dann eben beim nächsten Mal. Ich gehe mit meiner rechten Hand noch einmal durch meine Frisur. Herr Kreiser atmet einmal hörbar laut ein und aus. Dann wieder Stille. Ich warte. Ich räuspere mich. Dann geht die Tür auf und drei Herren in dunklen Anzügen treten ein. Freundlichkeit sieht dabei irgendwie anders aus…

***

Zugegeben, ich bin Fan von Fortuna Düsseldorf. Bayern München kann ja irgendwie jeder. Vor allen Dingen Kleinkinder, die vor dem Erlernen der Abseitsregel schon Bayern-Anhänger werden. Bayern-Fans können gut jubeln, sich freuen und angeben. Ausgewachsene Fans der Münchener können auch hervorragend abwertend gucken, arrogant den Kopf schütteln und ihre starre Meinung vertreten. Düsseldorf-Fans können eigentlich nur eine Sache wirklich gut: gut leiden. Richtig gut leiden. Ich selbst bin ein Fan der älteren Stunde. Das riesige Düsseldorfer Rheinstadion habe ich verehrt. In dieser großen Schüssel habe ich wahnsinnig viele kleine Momente gehabt; habe gebangt, gezittert, gehofft, gelitten, gestampft, gelästert und viel und laut geschrien. Ich habe als Jugendlicher mein Geld ausgegeben, um Idole wie den unglaublichen Gerd Zewe, Ralf Dusend, Holger Fach, Rudi Bommer, den Isländer Atli Edvaldsson und die Allofs-Brüder zu sehen. Das neue moderne Stadion wirkt auf mich zu kühl, zu steril. Bei den bunten Sitzen weiß ich immer nicht, auf welcher Farbe ich Platz nehmen soll, da zumeist doch noch viele Plätze frei sind. Die letzten Mannschaften der Fortuna wirkten indes für mich zu farblos. Mir kann man es aber auch nicht immer allen recht machen, stelle ich gerade fest. Einmal Fortuna, immer Fortuna. Alles kann, nichts muss.

Susi

4 – Leckeres Schnittchen

Bin ich beim ersten Aufeinandertreffen sogar rot geworden? Ich bin mir nicht sicher. Aber irgendwie ist dieser Yogalehrer ein ganz schön knuspriger Typ. Marc heißt er, und er betonte gleich zweimal, dass er hinten mit »c« geschrieben wird. Sabrina hat mich in der ersten Stunde mehrfach angestupst, den Kopf Richtung Trainer gedreht und leise gelächelt. Einmal hat Marc das anscheinend auch mitbekommen, dass wir zwei ihn länger angeschmachtet haben. Manchen Menschen gelingt es eben ganz ordentlich, schon in der ersten Stunde aufzufallen. Der Sport war nebenbei bemerkt auch ganz nett. Wir hatten im Vorweg überlegt, ob wir einen gewöhnlichen Yogakurs besuchen sollten, haben uns aber dann gemeinsam für den Power-Yogakurs entschieden. Mit voller Kraft ins große Vergnügen. Die ganze Stunde hat auf jeden Fall Lust auf mehr gemacht. Sabrina hat sich nach der Stunde auch noch länger mit dem großen, blonden Yogalehrer ausgetauscht, ich habe derweil in Ruhe meine Sporttasche gepackt. Würde es ein Schulfach im Draufgängertum geben, dann hätte Sabrina mindestens die Note Zwei. Meine mündliche Mitarbeit in dem Bereich liegt hingegen eher bei einer schwachen Vier. Stark ausbaufähig. Dafür hatte ich in der Grundschule zumindest in Schönschrift immer ein Sehr gut im Zeugnis.

Die Komplexität aus Koordination, Konzentration und Gelenkigkeit war furchtbar anstrengend. Da hofft unsereins,