Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Schloß Hubertus Ludwig Ganghofer - Schloss Hubertus ist ein Heimatroman von Ludwig Ganghofer aus dem Jahr 1895. Er handelt von einem Grafen, der seine Jagdleidenschaft als Sucht auslebt und darüber zugrunde geht.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 813
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Nehmen Sie unser kostenloses
Schnelles Quiz und herausfinden, welches
Best Side Hustle ist ✓das Beste für Sie.
✓ BESUCHEN SIE UNSERE WEBSITE:
→ LYFREEDOM.COM ← ← HIER KLICKEN ←
Kapitel
1
Schwül und dunstig lag der heiße Nachmittag über dem Bergwald. An den Buchen rührte sich kein Blatt, an den dunklen Fichten schwankte kein Wipfel.
Aus der Tiefe des Tales klang zuweilen ein verschwommener Laut herauf – die schwere Luft erstickte jeden Ton zu einem unbestimmten Geräusch. Sonst keine Stimme des Lebens, kein Vogelruf im Bergwald. Nur manchmal ein leises Rascheln, wenn ein dürrer Zweig durch die Blätter fiel.
In dieser Stille ein leichter Schritt. Auf dem tiefer liegenden Pfad, zwischen sonnigem Laubwerk, schimmerte ein weißes Gewand.
»Gundi?«
Der fragende Ruf klang durch den stillen Wald wie der Ton einer silbernen Glocke. Dann ein perlendes Lachen. An einer Wendung des Pfades erschien eine schlanke Mädchengestalt in duftigem Sommerkleid. Hut und Fächer flogen ins Moos, und zu Füßen einer riesigen Buche, die mit weitgespannten Ästen den Platz überschattete, ließ sie sich niedersinken. Leuchtend hob sich die weiße Gestalt mit ihren feinen Linien aus dem grünen Grund; unter dem Saum des Kleides lugten die schmalen Füßchen hervor, deren zierliche Schuhe von den scharfen Steinen des Bergpfades übel gelitten hatten; zwischen dem kurzen, fein gefälteten Ärmel und dem hohen blaßgelben Lederhandschuh zeigte sich ein schmaler Streif des rosigen Armes; unter raschen Atemzügen, von denen sie jeden wie eine Erquickung zu genießen schien, hob und senkte sich die junge Brust. Gleich einer Blume, die in der Sonne dürstet, hing das Köpfchen auf die Schulter; ein schmales, edles Gesicht, nun freilich glühend wie Purpur, umrahmt von aschblondem Haar, dessen losgesprungene Löckchen sich schimmernd um die Stirne kräuselten; darunter zwei große blaue Augen, lichter als das Blau der Veilchen, dunkler als die Bläue des Himmels und staunend, strahlend in heiterer Lebensfreude.
Als sie den Schatten gesucht, war es diesen lachenden Augen entgangen, daß an dem Stamm der Buche ein Täfelchen befestigt hing, ein »Marterl«. Das verwitterte Bild mit der halb erloschenen Schrift erzählte, daß an dieser Stelle vor Jahr und Tag der Tod ein Leben zerbrochen habe. Hier ruhte sie, lächelnd und träumend in ihrer Jugend und Schönheit. Und die Erde, auf der sie ruhte, hatte Blut getrunken.
Gewannen die dunklen Schatten, die den Ort umschwebten, Macht über die junge Seele? Das Lächeln schwand von den Lippen des Mädchens, der Frohsinn ihres Gesichtes verwandelte sich in sinnenden Ernst. Ihre Augen blickten ziellos durch eine Bresche des Waldes hinunter in die Tiefe, in der zwischen steilen Ufern der schöne Bergsee gebettet lag, umwoben von Dunst und Sonnenglast. Der glatte Spiegel des Wassers war anzusehen wie straff gespannte, schimmernde Seide.
Da flog es dunkel über den See. Ein schwerer Wolkenball hatte sich vor die Sonne geschoben, die schon nahe dem Grat der westlichen Berge stand. Und das ganze Bild der Landschaft war plötzlich verwandelt. Es schien, als hätte der See sich emporgehoben aus der Tiefe, sein Glanz und Schimmer war erloschen, wie ein riesiger Smaragd, tiefgrün und düster, dehnte sich die wellenose Flut zwischen den steilen Felsenufern, die näher gerückt erschiene und schwermütige Farben zeigten. Trüber Schatten dämmerte, ein sachtes Flüstern erhob sich in den Blättern, die Wipfel und Zweige der Fichten begannen zu schwanken, und wie eine Unglückskunde den sorglosen Schläfer weckt, so flog ein rauschender Windstoß durch den Wald. Dann wieder Stille. Nur fern aus den Lüften klang noch ein murrender Hall.
Die Einsame blickte scheu umher, hinunter auf den See, den schon ein feines Netz von Linien überkräuselte, und empor zum Himmel, der sich rasch mit Gewölk zu umziehen begann. Ihre Stimme hatte sorgenden Klang, als sie gegen den Pfad hinunterrief:
»Tante Gundi?«
Ein ächzender Laut war die Antwort. Aus der Senkung des Pfades tauchte eine rundliche Gestalt hervor. Ein schillerndes Seidenkleid von altmodischem Schnitt umzwängte die ausgiebigen Formen der ältlichen, mehr als wohlgenährten Dame. Den Strohhut hatte sie am Gürtel befestigt, und während sie mit den Händen das Kleid gerafft hielt, trug sie den Sonnenschirm unter den Arm geklemmt. Die zu einem Nest geschlungenen Zöpfe hatten sich gegen das linke Ohr verschoben, und ihr tiefes Schwarz stach gegen die ergrauende Farbe der glatt über die Schläfe gescheitelten Haare sehr bedenklich ab. Das hochgeborene Fräulein Adelgunde von Kleesberg schien auch sonst mit Toilettenkünsten sehr vertraut; das verrieten die schwarzen Striche über den kleinen, hurtigen Augen und der weiße, flaumige Teint der gepolsterten Wangen. Das war nun freilich eine Kunst, die sich wenig schickte für eine Wanderung durch den steilen Bergwald. Die reichlichen Perlen, die der Erschöpften von der Stirne sickerten, hatten Furchen durch den weißen Teint gezogen, und wo dieser Perlen Weg gegangen war, glühte eine dunkelrote Linie der erhitzten Haut durch den Puder.
Der Anblick, den die alternde Dame bot, rechtfertigte das Lachen, mit dem sie von ihrem harrenden Schützling empfangen wurde. »Tante Gundi, wie siehst du aus!«
Fräulein von Kleesberg schien eine wütende Entgegnung auf der Zunge zu haben, aber Erschöpfung und Atemnot benahmen ihr die Sprache. Sie ließ den Sonnenschirm fallen und sank mit einem Seufzer in das Moos. Da verwandelte sich die heitere Laune des Mädchens in Erbarmen.
»Armes Tantchen! Nun mach' ich mir wahrhaftig Gewissensbisse!«
»Kitty! Du bist ein Ungeheuer!« Fräulein von Kleesberg keuchte noch was von »Narretei«, von »Hitze« und »schattigem Park«, von »Schaukelstuhl« und »verwünschten Bergen«, von »Eigensinn« und »kindischer Ungeduld«. Dabei zerrte sie das Taschentuch hervor, um Stirn und Wangen zu trocknen; als sie das Tüchlein sinken ließ, glich ihr brennendes Vollmondgesicht einer Palette, auf dem man Weiß und Rot und Schwarz in konfusen Mischungen durcheinandergerieben hatte.
Mühsam unterdrückte Kitty das Lachen. »Wie kannst du mir böse sein, weil ich Papa eine Stunde früher sehen wollte. Seit vier Monaten, seit der Hahnenjagd, hab' ich ihn nicht mehr gesehen. Und denk' nur, die Freude, die es ihm machen wird, wenn ich ihn so überrasche, mitten im Bergwald –« Ihre Worte erloschen unter einem dumpfen Rauschen, das den Wald durchzog. Sie warf einen Blick zum Himmel; dort oben sag es schon bedrohlich aus. Spähend blickte sie zur Höhe des Waldes und sagte kleinlaut: »Lange kann Papa nicht mehr ausbleiben. Hier müssen wir mit ihm zusammentreffen. Er hat keinen anderen Weg, um vom Jagdhaus herunter an den See zu kommen.«
Auch Gundi Kleesberg schien das dumpfe Rauschen, das über den Wald gefallen, nicht geheuer zu finden und vergaß alle Müdigkeit. »Herr du mein Gott im Himmel, da kommt ein Gewitter! Fort! Nach Hause!«
»Tantchen, ich bitte dich –«
»Nein! Ich bleibe keine Sekunde mehr!« Mühselig raffte Gundi Kleesberg sich auf und jammerte: »Ich hab' es mir gleich gedacht, daß bei dieser Narrheit so was herauskommt!« Stöhnend hob sie ihren Sonnenschirm von der Erde und trippelte hastig davon, jeden unsicheren Tritt mit leisem Aufschrei begleitend.
In Mißvergnügen blickte Kitty ihr nach, unschlüssig, ob sie folgen sollte. Ein rollender Donner entschied ihren Zweifel. Sie warf noch einen sehnsüchtigen Blick empor durch den wogenden Bergwald und rief mit glockenheller Stimme: »Papa!« Nur das Rauschen des Windes gab ihr Antwort. Schon wollte sie gehen; da fiel ihr Blick auf das Martertäfelchen an der Buche. Neugierig bog sie einen überhängenden Zweig beiseite. Mit ländlicher Kunst war auf dem Täfelchen eine waldige Berggegend abgebildet; ein grün gekleideter Mann, die Büchse im Arm, lag ausgestreckt auf der Erde, und über seiner Stirn schwebte ein rotes, von einem Schein umzogenes Kreuzlein. Unter dem Bilde stand in verwaschener Schrift zu lesen:
»Hier an dieser Stelle wurde Anton Hornegger, Gräflich Egge-Sennefeldischer Förster, am heiligen Johannistag erschossen aufgefunden.
Böse Tat ist hier geschehen,
Und der Mörder ist entflohn,
Gottes Aug' hat ihn gesehen,
Gottes Zorn erreicht ihn schon!
R. I. P.
Wanderer, ein Vaterunser!«
Unwillkürlich bekreuzte sich Kitty. Ein leises Grauen kam ihr aus dem Gedanken, daß sie hier geruht hatte, auf dieser Erde, die getränkt war mit dem Blut eines Ermordeten. »Tante Gundi!« stammelte sie und fing zu laufen an.
Hinter ihr rauschte der Bergwald, und über das finstere Gewölk leuchtete der Schein des ersten Blitzes, der sich in der Ferne entlud.
Eine Minute, und Kitty hatte Tante Gundi eingeholt, die der erste Blitz um das letzte Restchen ihrer Fassung brachte. Wie eine Verzweifelte beteuerte sie, daß ihr Leben eine grausame Qual, daß sie nur zum Elend geboren wäre. Eine Lungenentzündung war das Gelindeste, was sie für sich als Ende dieses »neuen Unglücks« prophezeite, in das sie »wieder einmal aus blinder Liebe« hineingerannt wäre.
Kitty schwieg und half nach Kräften, um diesem ausgewachsenen Häuflein Jammer den Niederstieg auf dem unbequemen Wege zu erleichtern. Nur einmal, als Tante Gundis Klagelied sich in scheltende Gereiztheit gegen die »Anstifterin des Unglücks« verwandelte, bracht Kitty ihr Schweigen: »Ich habe dir doch gesagt: bleib du zu Hause und laß mich allein gehen!«
Auch im Stadium hochgradiger Verzweiflung vergaß Adelgunde von Kleesberg nicht, was sie ihrer Stellung schuldig war. Zürnend hob sie das brennende Gesicht und erklärte: »Eine Gräfin Egge-Sennefeld in deinem Alter geht nicht allein.«
Schmollend verzog Kitty das Mäulchen. »Ach was, hier im Gebirge, in Papas eigenem Walde!« Und nach kurzem Schweigen fügte sie bei: In meinem Alter? Siebzehn Jahre! Wie alt muß man denn werden, um allein gehen zu dürfen?«
»So alt wie deine Mutter war, als sie ihre eigenen Wege ging.«
»Nein, Tante Gundi sagte das nicht; es blieb in ihren Gedanken; sie sagte nur: »Ich hoffe, daß du dieses Alter niemals erreichen wirst!«
Kitty fand nicht Zeit, über den Sinn dieser unverständlichen Wendung nachzudenken. Die ersten schweren Tropfen fielen klatschend auf die Blätter. Ohne ein ausgiebiges Bad schien das Abenteuer nicht ablaufen zu wollen. Kitty faßte die Gundi Kleesberg, die jetzt dem Weinen näher war als dem Schelten, energisch unter dem Arm, um sie in rascheren Gang zu bringen. An einer Biegung des Pfades jubelte sie: »Wir sind gerettet!«
Zwischen Büschen schimmerten die grauen Bretter einer Scheune, die im Winter zur Fütterung des Hochwildes diente. Hundert Schritt seitwärts durch den Wald, und das schützende Dach war erreicht, ehe das Unwetter begann. Die Scheune war von drei Seiten geschlossen. Da hatten die beiden Flüchtlinge auch den Sturmwind nicht zu fürchten, der den schwer fallenden Regen in schiefen Strähnen über den Berghang peitschte. Erschöpft sank Adelgunde von Kleesberg auf ein Restchen Heu, das vom Wildfutter des letzten Winters noch verblieben war; das Gesicht drehte sie gegen den finsteren Winkel, um die Blitze nicht zu sehen. Kitty hatte rasch ihre gute Laune wiedergefunden. »Das ist lieb von Papa, daß er so zärtlich für seine Hirsche sorgt – und für mich, wenn ich zufällig in den Regen komme!« Sie lauschte.
Was war das? Eine Stimme? Dazu noch eine singende! Und eine jener Weisen, wie sie in den Bergen heimisch sind. Nun erblickte Kitty den Sänger. Geradeswegs kam er den steilen Bergwald heruntergestürmt, den Schutz der Hütte suchend. Es war ein Jäger in grauer Lodenjoppe und kurzer Lederhose, die Büchse hinter dem Rücken, in den Händen den Bergstock, den er klirrend zwischen die Steine stieß, um sich auf dem abschüssigen Hang hinwegzuschwingen über Felsbrocken und gestürzte Bäume. Mit großen Augen sah Kitty ihm entgegen und wußte nicht, ob sie mehr über die eiserne Kraft dieses Burschen staunen sollte oder über den sorglosen Mut, mit dem er bei jedem Sprung um Hals und Glieder spielte.
Jetzt hatte er die Hütte erreicht. Ohne die Damen zu gewahren, trat er unter das vorspringende Dach. Gewehr und Bergstock lehnte er an die Bretterwand, schüttelte sich, daß die Tropfen von der Joppe flogen, und während er das grüne Filzhütl abnahm, um das Wasser fortzuschleudern, das sich in der hohlen Krempe angesammelt hatte, lachte er: »Sakra noch amal, jetzt hätt mich aber 's Wetter bald erwischt!«
Bald erwischt? Er troff vor Nässe am ganzen Leib. Dabei trug er den aus grobem Loden geschnittenen Wettermantel sorgfältig gerollt zwischen den Riemen des Rucksackes. Für sich selbst hatte er nicht gesorgt; aber das blaue Taschentuch hatte er um das Schloß der Büchse gebunden, damit die Waffe von der Nässe nicht leiden möchte. Lachend blickte er hinaus in das Strömen und Gießen. Die lichtbraunen Haare, die sich sonst in widerspenstigen Ringeln durcheinanderkräuselten, klebten ihm feucht und glatt an Stirn und Schläfen, ein hübsches, männliches Gesicht umrahmend. Aufgezwirbelt saß ein braunes Bärtchen über dem lachenden Mund. Hell und offen blitzten die Sterne seiner dunklen Augen in die Welt, und ihr froher Blick milderte den Ernst der Stirne.
Ein greller Blitz fuhr über den Bergwald hin, der Donner schmetterte, und aus dem Schuppen klang Tante Gundis Wimmerschrei.
Der Jäger spitzte die Ohren. »Mir scheint, da hör ich wen?« Rasch griff er nach Bergstock und Büchse und trat in die Hütte.
Kitty erkannte ihn. »Aber das ist doch unser Franzl!«
Der Jäger machte verblüffte Augen. »Mar' und Joseph! Gnädigs Fräuln! Ja, wie kommen denn Sie daher?«
»Das Gewitter überraschte uns. Ich wollte Papa erwarten.«
»Da hätten S' lang warten dürfen! Der Herr Graf kommt heut nimmer runter.«
»Kommt nicht?« Ein Schatten flog über Kittys Züge. »Er weiß doch, daß ich gestern in Hubertus eingetroffen bin. Ich habe heut früh den alten Moser mit der Nachricht zur Hütte hinaufgeschickt.«
»Ja, der Herr Graf hat 's Briefl kriegt.«
»Und kommt nicht?« Kitty fragte erschrocken: »Papa ist krank?«
Franzl lachte. »Aber Fräuln Konteß! Unser Herr Graf? Und krank? Der reißt Bäum aus mit seine sechzig Jahr. Ah na! Dem fehlt kein Haarl net!«
»Aber weshalb kommt er nicht? Es muß ihm doch Freude machen, mich wiederzusehen.«
Betroffen schaute Franzl in Kittys Augen; der Klang ihrer Worte brachte ihn aus seiner fröhlichen Ruhe. »Aber freilich,« stammelte er, »gwiß freut er sich! Aber gwiß!«
Kitty stand schweigend; ihre Finger knitterten an den Blättern des Fächers.
»Aber schauen S', Fräuln, deswegen müssen S' Ihren Hamur net verlieren!« tröstete Franzl. »Der Herr Graf hat halt an sakrisch guten Gamsbock im Wind. Sie wissen ja, wie er is. Da laßt er net aus, bis der Bock sein Kügerl net droben hat.«
»Ein Gemsbock!« Kittys Augen füllten sich mit Tränen.
»Aber Fräuln Konteß!« Franzl nahm den Hut ab und kraute sich hinter dem Ohr. »Ich kann ja nix dafür!« Nun hörte er aus der Tiefe des Schuppens ein leises Gewimmer. »Was is denn?« Er trat näher. »Jegerl, 's alte Fräuln!« Gundi Kleesberg hielt das Gesicht tief eingedrückt in das Heu, und Franzl suchte die Wimmernde aufzurichten. »Fräuln! Um Herrgotts willen! Was haben S' denn? Is Ihnen was gschehen?«
Die Kleesberg stöhnte: »O Gott, o Gott, dieses entsetzliche Gewitter!«
Nun mußte der Jäger lachen. »Aber sind S' doch gscheit! Dös hört schon wieder auf. In die Berg kommt so was gschwind, aber lang dauert's net. Da, es wird schon aber bißl lichter im Gwölk!«
Zögernd richtete Tante Gundi sich auf. Im gleichen Augenblick fuhr nahe bei der Hütte ein Blitz herunter; aller Grund schien verwandelt in Flammen, und Erde und Luft erzitterten unter einem rasselnden Donnerschlag. Ächzend warf Gundi Kleesberg sich wieder über das Heu; auch Kitty wich mit einem leisen Aufschrei in die Tiefe der Hütte zurück.
»Macht nix!« lachte Franzl. »Is schon gschehen!«
Mit diesem letzten Schlag hatte das Unwetter sich ausgetobt. Es folgten nur noch schwache Blitze, die matt hinleuchteten über das wogende Gewölk und einen sanft verrollenden Donner weckten.
Während Franzl unter geduldigem Trösten neben der Kleesberg stehenblieb, trat Kitty unter das Vordach der Hütte hinaus und trank in tiefen Zügen die würzige Luft, die den Wald durchhauchte. Die Wolken klüfteten sich, helles Licht floß über Berg und See, und der Regen versiegte. In sachten Stößen strich der Wind durch die Bäume und schüttelte die Tropfen von allem Gezweig.
Rings um die Hütte hatte sich eine breite Pfütze gebildet, und überall auf dem Berghang sprudelten die Regenbäche.
»Da wird sich der Heimweg hart machen,« meinte Franzl, »wie, zeigen S' amal her, gnädigs Fräuln, was haben S' denn für Schucherln an?«
Kitty hob das Kleid und streckte das Füßchen vor.
»Da schaut's schlecht aus!« jammerte Franzl. »Hundert Schritt in so einer Nässen, und 's Schucherl fallt Ihnen wie Zunder vom Füßl.«
Sorgenvoll betrachtete Kitty den überschwemmten Grund. »Aber wie kommen wir nach Hause?«
»Gar net schlecht! Passen S' nur auf!« Franzl zog den Wettermantel aus dem Bergsack und warf die Büchse hinter den Rücken. Dann rollte er den Mantel auseinander und schlang das weiche Tuch mit scheuer Achtsamkeit um Kitty. Gleich einer grauen Mumie stand sie von den Schultern bis zu den Füßen eingehüllt, und wie sie das Köpfchen reckte, um Kinn und Wangen aus den Falten des Mantels frei zu bekommen, war sie einem Schmetterling zu vergleichen, der aus der Puppe schlüpfen will. Noch ehe sie recht begriff, was mit ihr geschehen sollte, hatte Franzl sie auf seine Arme gehoben wie ein Kind, dessen Last er kaum zu spüren schien. Lächelnd ließ sie ihn gewähren; dann plötzlich stammelte sie: »Aber was geschieht mit Tante Gundi?«
»Alles der Reihe nach!« erwiderte Franzl.
Jetzt wurde Gundi Kleesberg lebendig. Händeringend kam sie und schwor die heiligsten Eide, daß sie um alles in der Welt nicht allein bliebe in diesem »gräßlichen« Wald.
Franzl tröstete: »Wölfe und Bären gibt's net bei uns, und die Mäus haben noch nie an Menschen anpackt. Bleiben S' nur schön da, bis ich wiederkomm! Ich trag 's gnädig Fräuln nunter ins Kapuzinerhäusl, da kann's warten unter Dach, bis a Schiffl kommt. In zehn Minuten bin ich wieder da.«
Während die Kleesberg wie eine Niobe jammerte, trat er hinaus in den Wald und wanderte mit sicherem Schritt davon. Als eine steilere Stelle kam, blickte er lachend zu Kitty auf und sagte: »Es geht schon! Meine Füß haben Augen im Wald und eiserne Zähn zum Beißen! Tun S' Ihnen net fürchten, gnädigs Fräuln!«
Lächelnd schüttelte Kitty das Köpfchen, schob eine Hand aus den Falten des Mantels heraus und nahm den Strohhut ab; der Wind, der ihre Wangen umwehte, tat ihr wohl; träumend blickte sie in den stiller werdenden Wald, und ihre Züge nahmen einen sinnenden Ausdruck an: »Sag' mir, Franz – der Förster Anton Hornegger, das war dein Vater?«
»Ja, gnädigs Fräuln! Wie kommen S' jetzt da drauf?«
»Ich bin dort oben bei der Buche gewesen. Das war ein schweres Unglück für dich und deine Mutter!«
Franzl antwortete nicht gleich. »D' Mutter hat's freilich schwer verwunden, und 's Unglück hat aus ihr an alts und stills Weiberl gmacht. Ich, mein Gott, ich war selbigsmal noch a kleiner Bub, der net recht verstanden hat, was er verliert. Jetzt weiß ich, was dös heißt, kein Vater nimmer haben. Manchmal kommen so Sachen über ein', wo man kein Rat nimmer weiß, und wo jeder andere Bursch zum Vater geht und fragt. Wen frag denn ich? D' Mutter will ich net veralterieren mit meinen Sorgen. Sonst hab ich kein Menschen net.« Die Worte waren ruhig gesprochen; dennoch klang aus ihnen etwas empor wie aus dem Schacht eines Brunnens.
Herzlich hingen Kittys Augen an dem Gesicht des Jäger. »Man weiß noch immer nicht, wer es getan hat?«
»Nix! Net der gringste Verdacht! Aber leben tut er schon noch, derselbig! Und wann mich unser Herrgott liebhat, führt er mich amal zamm mit ihm.« Kitty fühlte den Arm erzittern, der sie umschlungen hielt. »Und wenn der Strich, der bei der Rechnung gmacht wird, weg geht über mich – auf so was muß unsereiner gfaßt sein alle Tag. So is halt 's Jägerleben in die Berg. Da gehst im Wald umanand und denkst an nix. Und hinter die Bäum steht einer drin. Und auf amal, da kracht's. Und aus is's! Wenn's sein muß, in Gotts Namen! Tust halt den letzten Schnaufer, schaust noch amal auffi zu die höchsten Wänd, machst deine Lichter zu, und bhüt dich Gott, du schöne Welt! Ich denk mir, so hat's mein Vater gmacht. Wer weiß, leicht mach ich's ihm nach amal.«
Die Sonne war über die Seeberge schon hinabgesunken; nun lugte sie aus einem tiefen Talspalt wieder hervor, und der goldige Schein, den sie warf, durchleuchtete das von Tropfen glitzernde Laub und wob einen wundersamen Schimmer um die feuchten Stämme. Die kleinen Vögel des Waldes waren lebendig geworden und huschten umher; doch ihr Gezwitscher erlosch unter einem dumpfen Rauschen, das vom nahen Seeufer einhertönte.
Kitty schien kein Auge zu haben für die leuchtende Schönheit des Bergwaldes. Was sie gehört hatte, gab ihr zu denken.
»Franz? Du hast von Sorgen gesprochen. Was für Sorgen sind das, die du hast?«
Ein heftiges Wort schien dem Jäger auf der Zunge zu liegen. Doch er schüttelte den Kopf. »Ah, nix! So Jagergschichten halt!«
»Kann ich dir helfen?«
Wieder schüttelte er den Kopf und sah dankbar zu ihr auf.
Nun lächelte sie, und der Schelm erwachte in ihren Augen. »Bist du verliebt?«
Franzl lachte. »Das ging mir grad noch ab! Ich muß mich eh schon giften gnug.«
Sie schlug ihn leicht mit dem Fächer auf den Mund und lachte mit ihm.
Nun war der ebene Grund erreicht, und Franzl stand ratlos. Der Wetterbach, der hier in den See mündete – in trockener Zeit ein Bächlein, das mit einem Schritt zu übersetzen war – hatte sich in einen tobenden Gießbach verwandelt, der in einem nahen Felsenwinkel aus steiler Höhe niederstürzte und mit schäumenden Wellen über das grobe Steingeröll wegrauschte. Von dem Stege, der sonst über das Bett des Baches führte, war keine Spur mehr zu sehen; seine Balken mochten weit draußen schwimmen im See. Und hinüber mußten die beiden, der Zugang zum See war ihnen abgeschnitten, da der Gießbach zur Linken hart an eine steil in den See abfallende Felswand lenkte. Jenseits des Baches lag eine sanft ansteigende, mit alten Ahornbäumen bestandene Grasfläche, die sich vom Seeufer zwischen dem Bach und einer verwitterten Felswand bis zur Schlucht des Wasserfalles emporhob. Über die Wipfel der Bäume herüber lugte das Türmlein einer Eremitage, die an die Felswand angebaut war.
Sehnsüchtig schaute Kitty dort hinüber und streifte mit besorgtem Blick die schäumenden Wellen. Franzl hatte den Ausweg schon gefunden: eine gestürzte Fichte, die den Bach überbrückte. Rasch entschlossen schritt er auf den Baumstamm zu. Kitty sträubte sich, als sie seine Absicht erkannte. Franzl lachte. »Tun S' Ihnen net fürchten, gnädigs Fräuln! Über so a Bäuml geh ich weg in der stockfinstern Nacht. Lassen S' mir nur den Hals schön frei.« Kitty verstand ihn kaum, das Rauschen des Wassers übertönte seine Worte. Und nun hatte er die luftige Brücke schon betreten. Sicher, wie auf ebener Erde, schritt er über den schwankenden Stamm. In Kitty erwachte die Angst; der Anblick des schießenden Wassers machte sie schwindeln. Stammelnd schlang sie die Arme um den Hals des Jägers. Unter diesem Ruck drohte Franzl das Gleichgewicht zu verlieren. »Lassen S' mein Hals aus!« mahnte er; nur noch angstvoller umklammerte sie ihn; und da begann er auf dem schwankenden Stamm zu laufen. Schon war er bis auf wenige Schritte dem Ufer nahe, da glitt ihm auf dem nassen Baum der Fuß aus. Von Kittys Lippen flog ein Schrei. Im Wanken wagte Franzl den Sprung ans Ufer. Glücklich erreichte er den festen Grund, doch die Bürde, die er trug, raubte ihm beim Aufsprung das Gleichgewicht, und er drohte sich rücklings zu überschlagen. In diesem Augenblick griffen zwei fremde Arme helfend zu und rissen den Stürzenden auf sicheren Grund. Kitty war einer Ohnmacht nahe. Sie fühlte nur, daß sie aus Franzls Armen glitt, und als sie die Augen öffnete, lag sie an der Brust eines jungen Mannes, und neben ihr stand Franzl, lachend, aber mit blassem Gesicht.
In Verwirrung richtete Kitty sich auf. Schwer wie Blei lag ihr die überstandene Angst in allen Gliedern. Sie mußte den Arm ergreifen, den der junge Fremde ihr bot. Was er sagte, konnte sie bei dem Rauschen des Wassers nicht verstehen. Den besten Weg über trockene Plätzchen suchend, führte er sie zur Eremitage und ließ sie auf die Steinbank niedersinken, die neben der Tür in die Mauer des kapellenartigen Häuschens eingelassen war.
Halb aus Bruchsteinen, halb aus dicken Baumklötzen gefügt, mit niederer Tür, zwei kleinen Fenstern und einem zierlichen Glockentürmchen über dem Rindendach, lehnte sich die Klause an die graue Felswand. Unter dem vorspringenden Dach war an den Balken des Firstes eine rote Marmortafel befestigt, die in verblaßter Goldschrift die Worte trug: »Hier wohnt das Glück.«
Wer hatte die Klause erbaut? Wer diese Inschrift angebracht? Und wie reich mußte jenes Glück, das hier erblüht war, gewesen sein, da jene, die es genossen, den Drang empfunden hatten, ihren Dank in Stein zu meißeln. Das Flecklein Erde, das diese Hütte trug, schien wie geschaffen, um ein verschwiegenes Glück vor dem Blick der Menschen zu bergen. Vom rauschenden Wildbach, vom weiten See, den das Gezweig der Bäume verschleierte, und von ragenden Felswänden umgrenzt, schob sich das kleine, samtgrüne Tal in das Herz des Berges, wie ein feines Kämmerchen inmitten eines riesigen Palastes, versteckt und abgeschieden, geschmückt mit allen Reizen der Natur.
Frischer und würziger hauchte nach dem vertobten Gewitter die reine Bergluft, saftiger leuchtete alles Grün an Busch und Bäumen. Hell glitzerten die über alle Felsen niederrinnenden Wasserfäden, und in buntem Feuer leuchteten die vom Dächlein der Klause fallenden Tropfen.
Nun erlosch der Sonnenschein, und alle Farben der Umgebung dämpften sich wie von einem zarten Schleier überzogen.
Kapitel
2
Kitty vermochte noch immer kein Wort zu sprechen; die Hände im Schoß und ohne Bewegung saß sie auf der Steinbank und sah dem Jäger nach, der den Wetterbach schon wieder überschritten hatte.
Auch der junge Fremde schwieg. Er stand neben der Bank und betrachtete forschend den gesenkten Mädchenkopf, als möchte er diese feingeschwungenen Linien und die schimmernden Töne des gewellten Haares in sein Gedächtnis prägen. Hätte nicht der Feldstuhl, die zusammengeklappte Staffelei und der Malkasten, der an der Mauer im Trockenen lag, den Beruf des jungen Mannes bezeichnet – schon dieser prüfend gleitende Blick und die schlanken Hände hätten den Künstler verraten. Er mochte einige Jahre über zwanzig zählen; seiner Jugend widersprach die stille Schwermut der dunklen Augen und der gereifte Ernst des schmalen, herb geschnittenen Gesichtes; glatt legte sich das kurze Braunhaar über die Stirn und mischte sich an den Schläfen mit dem schattigen Flaum des jungen Bartes, der sich um Wangen und Lippen kräuselte. Dieser Mund mit dem strengen Zug, in dem sich Kraft und Entschlossenheit verriet, war doch sanft geschwellt und hatte ein mildes, verträumtes Lächeln. Das Gesicht war nicht schön zu nennen, aber dieser Mund und diese Augen fesselten. Der hager aufgeschossene Körper war unausgeglichen, jugendlich eckig; dazu eine leicht vorgeneigte Haltung, wie sie nachdenklichen Naturen eigen ist; dennoch war die Gestalt nicht übel anzusehen; der leichte graue Sommeranzug, so bequem er saß, hatte modischen Schnitt, die Wäsche war wie Schnee, die weiße Seidenkrawatte tadellos geknüpft. Man merkte an ihm keine Spur von jener bei jungen Künstlern häufigen Vorliebe für das Nachlässige, aber auch keinen Zug vom Stutzer; er schien für seine äußere Erscheinung zu sorgen, weil es die Art eines wohlerzogenen Menschen ist, sich gut zu kleiden.
Je länger er niederblickte auf das liebliche Bild des Mädchens, desto wärmer wurde der Glanz seiner Augen; er schien eine Freude zu genießen: die Freude des Künstlers an jener Schönheit, die noch unberührt ist von der rauhen Hand des Lebens und einer Blütenknospe vom Morgen gleicht.
Als hätte Kitty diesen Blick empfunden, so hob sie plötzlich die Augen. Das fremde Gesicht verwirrte sie, und dennoch hielt die stumme Sprache dieser Züge ihren Blick gefangen; das war eines von jenen Gesichtern, die auch ohne Worte von trüber Zeit erzählen.
Ihre Verwirrung schien ansteckend zu wirken. Verlegen suchte der junge Künstler nach Worten, und endlich brachte er die Frage heraus, ob sie den Schreck des kleinen Abenteuers völlig überstanden hätte.
Da fand sie ihre heitere Laune; lachend nickte sie und reichte ihm die Hand. »Ich danke Ihnen! Sie haben mich vor einem unangenehmen Bad behütet. Der Wetterbach hat heut seine böse Stunde. Das hätte übel für mich ausfallen können.« Sie rührte die Schulter, als empfände sie ein leises Grauen; doch gleich wieder lachte sie und erzählte vom Gewitter, vom Unterschlupf in der Wildscheune und von dem glücklichen Zufall, der »unsern guten Franzl« als Retter in der Not geschickt. Drollig schilderte sie den »kopflosen Schreck«, der sie befallen, als der Jäger den schwankenden Baum betrat. »Und ich hätte mir doch sagen müssen, daß ich sicher bin! Ich kenne doch unseren Franzl!« Sie unterbrach sich und blickte auf. »Wie waren Sie denn eigentlich so flink bei der Hand?«
»Das hab' ich meinem Fleiß zu denken. Ich bin schon seit dem Morgen hier und habe gearbeitet.«
»Gearbeitet?« Sie schien den Sinn dieses Wortes nicht zu verstehen. Da gewahrte sie die Geräte des Künstlers. »Ach, Sie malen!« Dem respektvollen Staunen, mit dem sie ihren jungen Retter betrachtete, war es anzumerken, daß vor ihren Augen ein lebendiger Künstler nicht viel geringer wog als einst in vergangenen Zeiten vor dem Blick des Burgfräuleins der tapfere Ritter, der den Drachen überwand. Neugierig spähte sie nach dem Leinwandrahmen, der gegen die Mauer gelehnt stand.
Der junge Maler schien nicht eitel zu sein; sonst hätte er diesen Blick zu deuten gewußt. »Auch mich hat das Gewitter überrascht, mitten in der besten Arbeit,« erzählte er, »und ich mußte eine Stunde hier unter der Tür sitzen. Aber es war herrlich, so hineinzuschauen in den Zorn der Natur. Sie ist immer schön, ob sie lächelt oder grollt, fast schöner noch in ihrem Zorn als in ihrem Frieden. Wenn ich sie so toben sehe, fühl' ich auch, daß ich ihr in solchen Augenblicken näher komme als in sonniger Stunde. In der Sonne steht sie vor mir wie ein Geheimnis in bunten Kleidern. Im Sturme seh' ich die Riesin, wie sie vor meinem Blick die Hülle zerreißt. Ich spähe ihr in das wildpochende Herz, und mir ist, als flösse in mich etwas über von ihrer Kraft.« Er sagte das ruhig, wie man selbstverständliche Dinge äußert.
Kitty blickte zu ihm auf mit großen Augen.
Er begegnete diesem Blick, und leichte Röte schlich über seine schmächtigen Wangen. »Als es vorüber war, hörte ich den Wildbach kommen. Und da lief ich hinunter. Es war prachtvoll anzusehen, wie das harmlose Wasserschlänglein in wenigen Minuten sich zum brüllenden Ungeheuer auswuchs. Und wie ich so stehe, seh' ich Sie plötzlich drüben aus dem Wald hervorkommen, auf dem Arm des Jägers. Das war ein so köstliches Bild, daß ich es mit ein paar Strichen zu fassen suchte.« Er griff an seine Taschen. »Wo hab' ich denn nur –?« Nun erschrak er. »Ach du lieber Himmel!« und mit langen Beinen sprang er zum Wildbach hinunter.
Verblüfft sah im Kitty nach; kaum war er zwischen den Bäumen verschwunden, da huschte sie auf den Leinwandrahmen zu, hob ihn von der Erde und machte sonderbare Augen, als sie die begonnene Studie sah. Etwas Außerordentliches hatte sie zu entdecken erwartet. Statt dessen sah sie ein Wirrsal noch nasser Farbenflecke, die sich flimmern durcheinanderschlangen und den Vorwurf des Bildes kaum erkennen ließen: die Felswand in greller Sonne und zu ihren Füßen die Klause, übergossen von den Lichtern, die durch das Gezweig der Bäume fielen. Ein Kennerauge hätte gestaunt über die Kraft und Kühnheit, die sich in diesem raschen Erfassen eines malerischen Stimmung verriet. Kitty aber stellte sehr enttäuscht die Leinwand wieder gegen die Wand. Zu ihrem weiteren Ärger gewahrte sie noch, daß sie mit den behandschuhten Fingern in die nasse Farbe geraten war. »Pfui!« murrte sie und säuberte die Fingerspitzen an der Balkenwand.
Kaum saß sie wieder auf der Steinbank, als er vom Ufer heraufgestiegen kam, in der Hand ein graues Buch, das er mit dem Taschentuch abwischte. »Es ist glücklicherweise sehr günstig gefallen, als ich es fortwarf, um die Hände frei zu bekommen!« sagte er lächelnd. Dann schlug er das Buch auf und reichte es ihr.
Ein Laut freudiger Überraschung glitt beim Anblick des Blattes von Kittys Lippen. Wohl waren die beiden Figuren nur mit flüchtigen Strichen gezeichnet, aber jede Linie saß, und das kleine Bildchen hatte warmes Leben und bestrickenden Reiz.
Glücklich blickte Kitty zu dem Künstler auf. »Ist das wirklich so hübsch gewesen – wie hier?«
Er sah sie an. »Das da, das ist ja gar nichts. Das ist Asche. Was ich gesehen habe, war Licht, Farbe, etwas ganz unbeschreiblich Schönes.« Die Augen schließend, rührte er mit den Fingern an die durchsichtigen Lider. »Aber hier sitzt es, fest! Und ich weiß, ich bring' es heraus.«
Rauschend kam der Abendwind über die Felsen niedergezogen; die Äste der Bäume schwankten und schüttelten die Regentropfen ab.
Erschrocken deckte Kitty den Arm über das Skizzenbuch, denn ein paar große Tropfen, wie Tränen, waren auf das Blatt gefallen. Und als der Wind die Bäume wieder zauste, sprang Kitty auf und flüchtete mit dem Buch in die Klause.
Der junge Mann folgte ihr, und da saß sie schon an dem roh gezimmerten Tisch und tupfte achtsam mit dem Handschuh die auf das Papier gefallenen Tropfen fort. »Es hat nichts geschadet!« versicherte sie lachend und hielt das Buch schief gegen das Licht des Fensters. »Man sieht nur noch ein wenig die feuchten Flecke.« Wieder vertiefte sie sich in die Betrachtung des Bildchens; dann begann sie im Skizzenbuch zurückzublättern; ein paar Studien hatte sie bestaunt, als sie plötzlich aufblickte und verlegen fragte: »Darf ich denn?«
Er nickte lächelnd und trat an ihre Seite. Das Licht, das durch Tür und Fenster fiel, hatte in dem geschlossenen Raum schon einen Schleier der beginnenden Dämmerung.
Eine seltsame Stimmung webte zwischen den Mauern und erzählte von erlöschenden Erinnerungen. Neben dem Tische standen nur zwei plumpe Holzbänke in dem kahlen Raum; doch es war ihm anzumerken, daß er in vergangener Zeit einen freundlicheren Anblick geboten hatte. Die Decke war noch von einer zart geblumten Tapete bedeckt; aber das Regenwasser, das durch die Lücken des Daches gedrungen, hatte häßliche Flecken gebildet. Auch an den Wänden hingen noch Streifen der Tapete, mit Hunderten von Namen bedeckt. Wer hier im Lauf der Jahre vor Sonne oder Regen Schutz gesucht, Sommergäste, Touristen, Jäger, Sennerinnen, Almbauern und Schiffer, alle hatten den Drang empfunden, ihre Namen an diesen geduldigen Wänden zu verewigen. Viele Namen standen paarweise, von einer Herzlinie umschlungen. Hatten die Träume, die aus diesem Zeichen redeten, sich erfüllt? Oder war das Leben über sie hinweggerollt wie die glättende Eisenwalze über den Kies der Straße? Von manchem, der vor Jahr und Tag seinen Namen an diese Wand geschrieben, mochte nichts anderes mehr übrig sein als nur der Name.
Inmitten dieser toten Vergangenheiten klang Kittys helle Stimme, ihr Lachen und die Freude, mit der sie jede Skizze begrüßte, deren Modell sie erkannte. Bald fand sie eines ihrer Lieblingsplätzchen am See, eine Straße oder ein Häuschen des Dorfes, bald wieder Köpfe und Gestalten, die einen fremd, die anderen ihr wohlbekannt. Mehrere der Skizzen waren mit dem Namen des Künstlers gezeichnet: Hans Forbeck. Kitty blätterte weiter. Flüchtige Wolkenstudien, Baumschläge und Gebirgsveduten wechselten mit Skizzen, deren wirre Linien sie nicht verstand: Bilderideen, mit ein paar hastigen Strichen festgehalten.
Wieder wandte Kitty eines der Blätter. Und erschrocken stammelte sie: »Wie traurig!«
»Die Stubenarbeit eines Regentages!« sagte er leise, fast entschuldigend.
Die Zeichnung des Blattes war sorgfältiger als die der anderen Skizzen, die graue Arbeit des Stiftes mit zarten Farbtönen überhaucht. Eine öde, fast unübersehbare Heide, dürr und kahl; der Himmel ist mit schwerem Gewölk bedeckt, durch dessen spärliche Klüfte kaum eine matte Helle quillt, wie eine Ahnung des verschleierten Lichtes. Über die Heide führt ein rauher Steinpfad, von niederem Dorngestrüpp umwachsen. Und auf dem Pfad liegt, halb zur Erde gesunken, mit aufgestütztem Arm und das entkräftete Haupt gegen die Schulter geneigt, die Gestalt einer Genie, todmüde und schmerzverloren, in Lumpen gehüllt, mit zerzausten Schwingen.
Kitty hob die Augen. »Herr Forbeck?« Schüchtern sprach sie seinen Namen aus. »Was soll das vorstellen? Das Unglück?«
»Nein.« Er zögerte. »Meine Kindheit.«
Nun verstand sie, was aus seinem Gesicht beim ersten Anblick zu ihr gesprochen hatte. Ein leises Zucken ging um ihren Mund. Sie mußte der eigenen Kindheit denken. Auch ihrer Kindheit hatte die Liebe gefehlt, die Liebe der Mutter. Vor dreizehn Jahren war ihre Mutter in der Fremde gestorben – auf einer Reise, hatte man ihr gesagt.
Sie senkte die Augen auf das Blatt. »Wie traurig das ist!« Zwei Tränen rannen ihr langsam über die Wangen.
Mit unbehilflichem Lächeln wandte Forbeck sich ab und trat unter die offene Tür.
Leise schwankten die Zweige der Bäume; der Fall der Tropfen, der von ihnen niederging, begann schon zu versiegen. Auch das Rauschen des Wetterbaches schien sich bereits zu dämpfen; aber der Lärm seiner Wellen war noch immer laut genug, um die beiden Stimmen zu übertäuben, die vom jenseitigen Ufer herüberklangen.
Franzl hatte die Kleesberg glücklich durch den Wald heruntergebracht. Das war ein hartes Stück Arbeit gewesen, um so härter, da Franzl zur Stütze für seinen jammernden Schützling nur den einen Arm frei hatte; unter dem andern Arm schleifte er ein schweres Brett, das er von der Wildscheune losgerissen hatte, um über den von Felsblöcken durchsetzten Wildbach einen Steg zu bauen. Während Gundi Kleesberg in Verzweiflung die Hände rang, ließ er das Brett vom Ufer gegen den nächsten Felsblock fallen. Er trat auf den improvisierten Steg hinaus und schaukelte sich, um die Festigkeit des Brettes zu prüfen und Tante Gundis Mut zu erwecken. »So, Fräuln, kommen S' nur!« lachte er. »Da schauen S' her!« Er schaukelte sich, daß das schwingende Brett die schießenden Wellen fast berührte. »Dös Brettl, dös tragt Ihnen leicht, da dürften S' noch a paar gute Pfündln mehr haben!«
»Nein, nein, nicht um die Welt!« kreischte Gundi Kleesberg und streckte wehrend die Arme, als sollte sie mit Gewalt in den sicheren Tod geschleift werden. »Lieber bleib ich die ganze Nacht!« Während ihr die Tränen der Angst über die Schlotterwangen kollerten, schrillte ihre Stimme: »Kitty! Kitty! Du Ungeheuer!« Zu allem Jammer erwachte in ihr noch ein neuer. »Wo ist sie denn? Ich sehe sie nicht!«
»Sie wird halt mit dem jungen Herrn Maler im Kapuzinerhäusl sein.« Franzl streckte die Hände. »Also weiter, Fräuln, kommen S'!«
Er hatte Tante Gundi beruhigen wollen. Aber der Schreck, den ihr seine Worte einjagten, sprach aus ihren weit aufgerissenen Augen. Keuchend rang sie nach Luft. »In der Klause? Mit einem –« Da ging ihr schon wieder der Atem aus. Aber ihre Angst hatte plötzlich alle Komik verloren. »In der Klause? Das ist gerade der richtige Platz! Als hätten wir nicht schon genug an jenem ersten –« Versagte ihr die Stimme, oder verschluckte sie ein Wort, das nicht über ihre Lippen kommen durfte? »Nein! Nein! Und wenn es mein Leben kostet! Das will ich verhindern!«
Tante Gundi richtete sich auf wie eine Löwin, die ihr Junges verteidigt. Und als wäre die stille, friedliche Klause ein Abgrund der Gefahr, aus dem sie das ihrer Obhut anvertraute Mädchen erlösen mußte, so stürzte sie auf das Ufer zu und klammerte sich an die Hand des Jägers. Kaum hatte sie das Brett betreten, kaum fühlte sie dieses bedenkliche Schaukeln, kaum sah sie unter ihren Füßen das schießende Wasser, da war es wieder vorbei mit ihrem Löwenmut. Aber Franzl hielt fest. Da gab es kein Zurück mehr. Ihre Seele mit einem Stoßgebetlein dem Herrn empfehlend, stieß Tante Gundi einen klagenden Schrei aus und schloß in Schwindel die Augen.
Trotz des rauschenden Lärmes, den der tobende Bach erhob, klang dieser Schrei bis zur Klause.
Forbeck lauschte. Aber da hörte er hinter sich einen Ausruf fröhlicher Überraschung. »Köstlich! Jeder Zug! Dieser Mund! Dieses Zwinkern im Auge! Als stünde er vor mir, wirklich und wahrhaftig!« So sprudelten Kittys Worte. »Herr Forbeck! Wie kommen Sie zu diesem Bild?«
Was Kittys Jubel erweckt hatte, war das Brustbild eines alten Jägers mit geflickter Joppe und mürbem Filzhut, auf dem eine geknickte Spielhahnfeder saß.
»Nicht wahr, ein famoser Kerl, dieser alte Waldbär!« sagte Forbeck, der Kittys Freude nicht völlig zu begreifen schien. »Ein Typus von Jäger und Bauer! Echter Volksschlag. Sehen Sie nur diese knochige Stirn an, diesen Falkenblick im Auge, diese Adlernase und den gewalttätigen Mund! Was da in jeder Linie liegt an Kraft und rücksichtsloser Derbheit! Und dieser zausige weiße Bart! Das ist unglaublich charakteristisch. Der Alte muß einen Zorn haben wie der Sturmwind, und dann fährt er wohl mit seinen schwieligen, sonnverbrannten Fingern in diesen Bart und zerrt –« Forbeck verstummte. Die Sache mochte ihm nun doch etwas sonderbar erscheinen, denn Kitty lachte, daß ihr die Tränen kamen.
»Köstlich! Aber wie sind Sie denn zu diesem Bild gekommen?«
»Ich machte vor einigen Tagen eine Bergpartie, und da ist mir der Alte in der Nähe einer Sennhütte in den Weg gelaufen. Er stach mir gleich in die Augen, und so bat ich ihn, mir eine Stunde zu sitzen.«
»Und das hat er getan?«
»Natürlich! Er schien riesig geschmeichelt, als ich ihn ›Herr Förster‹ titulierte. Und er wußte wohl auch, daß ich es nicht umsonst verlangte.«
Kitty schien von einer Ekstase heiterer Laune befallen. »Und Sie wissen nicht, wer das ist? Wirklich nicht?« Vor Lachen vermochte sie kaum weiterzusprechen. »Das ist doch mein Papa!«
Forbeck trat verblüfft zurück. Er begriff nicht. Wie kam dieser alte »Waldbär« – vielleicht war er doch kein gewöhnlicher Waldaufseher, wie sein Äußeres vermuten ließ, sondern wirklich ein wohlbestallter Förster – aber wie kam ein schlichter Förster zu einer solchen Tochter mit diesem zierlichen Wuchs und diesem holden Gesichtchen – und noch mehr: zu einer Tochter in so vornehm gewählter Kleidung, mit schwedischen Handschuhen und dem eleganten Schuhwerk. Dieses Kleid und was dazu gehörte – das wog den halben Jahresverdienst eines Försters auf! Da schoß ihm der Gedanke durch den Kopf: eine Theaterprinzessin? Er wußte nicht, warum er diesen Gedanken so unangenehm empfand, fast wie einen Schmerz. Aber nein! Er durfte nur in diese strahlenden Augen blicken, auf diesen kindlichen Mund, um den sinnlosen Einfall wieder zu verwerfen. Dadurch wurde die Sache für ihn noch unbegreiflicher. Der alte »Waldbär«, den er dort oben gefunden – der war echt! An dem war nicht zu zweifeln! Das Rätsel war dieses Mädchen.
Schon wollte Forbeck eine Frage stellen, da ließen sich vor der Klause hastige Schritte vernehmen. Es wurde finster in der Tür, und Gundi Kleesberg stolperte über die Schwelle. »Kitty –« Nun sah sie den jungen Maler – das Licht des Fensters fiel hell auf sein Gesicht – und Gundi Kleesberg taumelte an die Wand, erschrocken wie vor dem Anblick eines Gespenstes.
Verwundert blickte Forbeck auf die ihm fremde Dame, und Kitty stellte ihr Lachen ein. »Tantchen? Was ist dir?«
Gundi Kleesberg schien sich zu erholen.
»Aber so sprich doch! Was ist dir?«
»Nichts, nichts! Wer ist – dieser Herr?«
»Herr Maler Forbeck!« stammelte Kitty, während der junge Mann sich verbeugte. Um über den unbehaglichen Augenblick hinüberzukommen, faßte Kitty das Skizzenbuch. »Tante Gundi, ich muß dir was zeigen, was Herr Forbeck gezeichnet hat, du wirst Augen machen –«
Die Kleesberg hatte beim Klang dieses Namens, den sie noch nie in ihrem Leben gehört hatte, erleichtert aufgeatmet. Scheu ließ sie die Augen an dem jungen Mann emporgleiten und schüttelte den Kopf.
»Tantchen, sieh doch!«
Beim Klang dieser Stimme war Gundi Kleesberg plötzlich ihrer Stimme mächtig. Mit dem Zorn einer Furie schoß sie auf Kitty zu, umklammerte ihre Hand und schüttelte sie, daß das Skizzenbuch zu Boden fiel. »Laß das! Und komm! Das ist kein Ort für dich!«
Über Forbecks Gesicht flog brennende Röte. Dann hob er schweigend das Buch von der Erde.
»Aber Tante?« stammelte Kitty verlegen.
»Komm!« In ungestümer Hast zog die Kleesberg das junge Mädchen zur Tür hinaus.
Kitty Lippen zuckten. »Aber Tante Gundi! Herr Forbeck –«
»Komm!« Gundi Kleesberg hielt fest und suchte so schnell als möglich aus der Nähe der Klause zu kommen.
»Aber Tante, ich bitte dich! Herr Forbeck hat mich doch gerettet! Was muß er denken von mir!«
»Komm nur!« Tante Gundi schlug einen bei ihrer Schwerfälligkeit überraschenden Sturmschritt an. Das Staunen machte Kitty verstummen. Seit jenem Tag, an welchem Adelgunde von Kleesberg aus dem Stift gekommen war, um sich in eine sehr weitschichtige »Tante« zu verwandeln und die Obhut über das junge mutterlose Mädchen zu übernehmen – seit jenem Tage bis zu dieser Stunde hätte Kitty niemals ahnen mögen, daß in diesem »fleischgewordenen Schaukelstuhl« – wie Graf Egge das alte Fräulein getauft hatte – eine so wieselflinke Beweglichkeit verborgen läge. Kitty meinte ein Wunder zu sehen. Halb schmollend, halb lachend, ließ sie sich von Tante Gundi weiterziehen. Einmal blickte sie wohl über die Schulter zurück, aber die Klause was schon hinter der Felswand verschwunden.
Da kam auch Franzl vom Seeufer hergelaufen und rief: »Ich hab a Schiffl!«
»Gott sei Dank!« Gundi Kleesberg verhielt den stürmischen Schritt. Ihre Kräfte waren zu Ende.
Kapitel
3
Langsam glitt der Nachen über den stillen See, der unter den sinkenden Schatten des Abends in tiefgrünen Farben spielte. Hinter dem Schifflein lagen die den halben See umziehenden Berge mit ihren schwarzen Fichtenwäldern, mit den grauen Wänden und den grünen Almen in der Höhe, auf denen noch helle Sonne lag. Am Ufer, dem der Nachen entgegensteuerte, sah man einen belebten Gasthof und eine Reihe weißer Villen, aus deren einer die Solfeggien einer herrlichen Altstimme und die Töne eines Flügels erklangen. Hinter den roten Dächern der Villen dehnte sich ein welliges Gelände mit den zerstreuten Häuschen und Gehöften des Dorfes. An ihre Gärten schloß sich, von einer roten Mauer umzogen, ein weitgedehnter Park, über dessen kugelige Ulmenwipfel sich das Dach und die Türmchen von Schluß Hubertus erhoben.
Von den Insassen des Nachens achtete niemand der Schönheit dieses Bildes, das nach dem reinigenden Gewitterregen in seinen Farben so frisch und so neu erschien, als wäre es eben jetzt aus der Hand des Schöpfers hervorgegangen. Der alte Schiffer führte, im Spiegel des Bootes stehend, in gleichmäßigem Takt das Ruder; Franzl, der auf dem Schnabel des Schiffes ein nicht sehr bequemes Plätzchen gefunden, wischte mit dem Ärmel die Rostflecken von dem Lauf seiner Büchse; und Kitty saß, dem Stiftsfräulein den Rücken kehrend, in schmollendes Brüten versunken. Plötzlich erwachte sie. Franzl hatte sie leis auf das Knie getippt und flüsterte: »Schauen S' das alte Fräuln an!« Kitty blickte über die Schulter zurück und erschrak vor dem kummervollen Anblick, den Tante Gundi bot. Breit lag ihr das rote Doppelkinn auf dem schwer atmenden Busen, tiefe Furchen kreuzten die Mundwinkel, und über die welken Wangen, von denen auch die letzte Spur der Schminke geschwunden war, kollerten dicke Perlen. Waren es Schweißtropfen oder Tränen? Wohl beides zugleich. Aus dem zerfallenen Gesichte redete die Sprache eines tiefen, bedrückenden Schmerzes.
Das fühlte Kitty, und im Augenblick war ihr Groll vergessen. Hurtig schwang sie die Füßchen über das Brett und faßte die Hände des Fräuleins. »Tante Gundi! Was hast du?«
Die Kleesberg sah mit verstörten Augen auf, als hätte man sie bei einer bösen Tat ertappt. »Laß mich, du –« Sie wandte mit einem übelgelungenen Versuch von Würde das Gesicht und blickte krampfhaft ins Wasser, um ihre Tränen zu verbergen.
Kitty schwieg. Mit scheuer Sorge hingen ihre Augen an Tante Gundi, und im stillen begann sie sich Vorwürfe zu machen. Sie wußte sich freilich keiner anderen Sünde zu zeihen als der einzigen, daß sie in der begreiflichen Ungeduld, nach langer Trennung den Vater um eine Stunde früher zu sehen, die erste Ursache zu dem für Gundi Kleesberg so übel verlaufenen Abenteuer gegeben hatte. An allem anderen war sie schuldlos. Alles andere war gekommen – sie wußte selbst nicht wie!
Knirschend fuhr der Nachen an das Ufer. Kaum hatte die Kleesberg festen Fuß unter sich, und kaum gewahrte sie die Gruppen der Schiffer und Sommergäste, da hatte sie ihre verlorene Fassung wiedergefunden. Der Seewirt, der die zum Schloß Hubertus gehörige Fischerei in Pacht hatte, kam gerannt, um den »gnädigen Damen« seine Aufwartung zu machen. Kitty reichte ihm freundlich die Hand, Gundi Kleesberg rauschte an ihm vorüber, mit dem Aplomb einer Königin, deren Würde mehr in die Breite ging als in die Höhe.
Franzl schwang die Büchse auf den Rücken und wanderte davon. Bald verstummte hinter ihm der Lärm des belebten Ufers, und zwischen Haselnußstauden ging sein Weg über stille Wiesen. Ein paar hundert Schritte trennten ihn noch von seinem Haus. Nun führte der Fußweg gegen einen hohen Zaun, bei dem ein paar rohgezimmerte Stufen den Überstieg erleichterten; und drüben lag ein schmaler, von zwei tischhohen Bretterplanken eingefaßter Pfad.
Da hörte Franzl über den Zaun her eine Männerstimme – sie redete jene zweifelhafte Bauernsprache, die der Jäger manchmal in den Sennhütten von jungen Touristen zu hören bekam – und ihr erwiderte eine zornige Mädchenstimme: »Aus'm Weg, du!«
Neugierig drückte Franzl die Haselnußzweige auseinander und gewahrte einen kniemageren Touristen, dessen Rucksack, Joppe und Lederhose an diesem Tage wohl zum erstenmal die Berge erblickt hatten; quer in den Händen hielt er einen wahren Baum von Bergstock, mit dem er einem jungen, schmucken Mädel den schmalen Pfad verlegte.
»'s Zollheben is 'n alter Brauch,« erklärte der kühne Wegelagerer in seinem zweifelhaften Dialekt, »und drum so i dir, du saubers Diandl, du kommst mir nit ummi, eh du nit dein Zoll zahlt hast.«
»Gehst aus'm Weg?«
»Nit um die Welt. Da müßt ich woltern erscht von dein süßen Göscherl mein Bussarl haben! Und wann du's nit gern gibst –«
Da griff das Mädel mit zwei gesunden Fäusten zu. »Wart, dir gib ich a Bußl, du Zibebenkramer!« Zuerst machte der Bergstock einen Purzelbaum, dann sein Besitzer; die morsche Bretterplanke krachte, und hinter ihr verschwand der besiegte Ritter, daß für eine kurze Weile nur noch seine frisch genagelten Schuhe zu sehen waren.
Das Mädel wischte die Hände über die Hüften, näherte sich dem Überstieg, hörte das Gelächter des Jägers und gewahrte über dem Zaunrand sein braunes Gesicht mit den lustigen Augen, die in Wohlgefallen an ihr hingen.
Franzl erkannte sie nicht, sie mußte eine Auswärtige sein. Das gestrickte braune Leibchen, das die Brust und die runden Arme knapp umschloß, und die weiße Halskrause – das war fremde Tracht. Aber woher auch immer, sie war in einer Luft gewachsen, die gesund und sauber macht. Und wie gut der halbverrauchte Zorn zu ihrem frischen, sonnverbrannten Gesichte stand, zu den blaugrauen Augen und der festen Stirn, über der die blonde Haarkrone sich so bedenklich verschoben hatte, daß die schweren Zöpfe zu fallen drohten.
Der erste Blick, den sie auf den Jäger geworfen, war kein sonderlich freundlicher gewesen. Sie schien eine neue Wegsperre zu befürchten. Doch sein Lachen wirkte ansteckend, und sie lachte mit.
»Madl! Den hast bös auszahlt.«
»Wie's ihm ghört hat! So a Grashupfer! Aber z'erst, da bin ich aber bißl erschrocken.«
»Hättst kein Kummer net haben brauchen. Wann's gfehlt hätt, wär schon ich bei der Hand gwesen.«
Sie nickte ihm freundlich zu. »Vergeltsgott! Aber es hat's net braucht. Der hat net amal 's Schneidergewicht. Den muß man mit Schmalz einreiben, daß er fett wird. Wo is er denn?« Sie guckte über die Schulter; als sie den Pfad noch immer leer sah, meinte sie besorgt: »Er wird doch nit ungut gfallen sein?«
»Gott bewahr! Grad rappelt er sich in d' Höh!«
Hinter der geknickten Bretterplanke erschien der grasgrüne Spitzhut mit der trauernden Hahnenfeder.
»No also!« Mit diesem Wort schien die Sache für sie erledigt. An dem Gezweig eine Stütze suchend, stieg sie auf die Kante des Zaunes, faßte die Hand, die ihr der Jäger reichte, und sprang zu Boden.
»Bhüt dich Gott, Jager!« grüßte sie lächelnd.
»Bhüt dich Gott auch!«
Sie schritt davon, und Franzl sah ihr betroffen nach. Nun plötzlich, an ihrem Lächeln, war ihm etwas aufgefallen; er mußte sie schon einmal gesehen haben.
Nach wenigen Schritten blieb sie stehen und sah sich um. Die Augen der beiden trafen sich, und eines schien dem andern sagen zu wollen: »Mir scheint, ich müßt dich kennen!«
Aber sie schwiegen, und das Mädel ging; hinter den Haselnußstauden verschwand es; nur ein paarmal leuchtete zwischen dem Grün noch die weiße Schürze.
Franzl schob von hinten den Hut in die Stirn; das tat er immer, wenn er zu denken hatte. Dann stieg er über den Zaun und folgte dem eingeplankten Pfad. Hinter den Brettern sah er den traurigen Ritter stehen, der ratlos einen handbreiten Riß in seiner neuen Lederhose musterte. Lachend streckte Franzl die Hand über die Planke und klopfte ihm auf die Schulter. »Ja, Mannderl, bei uns kosten die Busserln Hosenfleck! In der Stadt sind s' billiger.«
Nach kurzem Weg erreichte der Jäger sein Heimwesen, ein freundliches Haus mit frisch geweißter Mauer und grünen Fensterläden, Hofraum und Garten mit Sorgfalt gepflegt, der ganze Besitz von einem hohen Staketenzaun umschlossen. Als Franzl das Pförtchen öffnete, erhob sich von einem der Gartenbeete eine alte Frau mit stillen Augen und weißem Faltengesicht, das von dem grauen, tief in die Schläfe gekämmten Haar wie von einer verblaßten Haube umrahmt war.
»Grüß dich Gott, Bub!«
»Grüß Gott, Mutter! Wie geht's allweil?«
»Es tut's. Und dir? Is dir's allweil gut gangen am Berg?«
»Am Berg? Da droben geht's eim allweil gut!« lachte Franzl.
Seine Mutter schien ein feines Ohr zu haben. Dieses Lachen klang nicht wie sonst. Und die Liebe in Menschen, die Unglück erfuhren, ist immer furchtsam. Forschend hingen die Augen der Försterin an ihrem Sohn. »Franzl? Hat der Herr Graf wieder gscholten? Oder fangt der Schipper seine scheinheiligen Gschichten wieder an?«
»Gott bewahr! Nix, gar nix! Mußt dir denn allweil Sorgen machen, wo keine sind?« Er faßte die Hand der Mutter und streichelte die welken Finger. »Geh, du Sorgenhaferl, du alts!«
Die Horneggerin, wenn einmal eine Sorge in ihr wach geworden, war so leicht nicht wieder zu beruhigen. »Warum kommst denn heim? Mitten unter der Woch?«
»Treiber muß ich bstellen, der Herr Graf will riegeln. Und was ich fragen will, Mutter – is bei uns net grad a Madl vobeigangen?«
»Ja. Warum fragst? Hast es nimmer kennt? Bist doch mir ihr in d' Schul gangen! Die Bruckner-Mali!«
»Die Maaali?« Der Name hing ihm an der Zunge wie ein zehnsilbiges Wort. Daß er aber auch die Mali nicht gleich erkannt hatte! Als Kinder waren sie unzertrennlich gewesen, bis im Försterhaus das blutige Unglück Einkehr hielt, vor vierzehn Jahren. Da war der Bub durch Wochen nicht von der Seite der Mutter gewichen; und als er eines Abends die kleine Freundin wieder suchte, war sie verschwunden. Eine ältere Schwester, die in eine weit entfernte Ortschaft geheiratet, hatte das Mädel zu sich genommen. Und jetzt war die Mali wieder heimgekehrt? Sie hatte sich sauber ausgewachsen! Und weshalb sie gekommen war, das meinte Franzl zu erraten. Dem Bruckner, ihrem Bruder, war das Weib gestorben, er hatte drei Kinder, Not und Krankheit in der Stube. Da waren ihm zwei gesunde Arme zur Hilfe mehr als nötig. Und daß die Mali zwei feste Arme besaß, davon hatte Franzl sich vor einem Viertelstündchen zur Genüge überzeugt – er und noch ein anderer!
»Die Mali! Jetzt is dös gar die Mali gwesen!« Mit vergnügtem Schmunzeln schüttelte Franzl den Kopf und folgte der Mutter ins Haus.
Der Abend sank, und aus den Wiesen begann ein dünner Nebel zu dampfen, der sich gleich einem weißen Schleier über die Haselnußstauden aller Pfade legte. –
Noch vor Einbruch der Dämmerung hatten auch Kitty und Tante Gundi das Parktor von Schloß Hubertus erreicht. Auf dem ganzen Wege hatten sie kein Wort miteinander gewechselt. Als aber Gundi Kleesberg die Hand nach der Torklinke streckte, verstellte ihr Kitty den Weg.
»Tante Gundi? Bist du mir böse?«
»Ach, Kind!« Die Kleesberg umschlang mit beiden Armen das Mädchen und küßte ihm die Wange so zärtlich, wie nur eine bekümmerte Mutter ihr Kind zu küssen vermag. »Wie kann ich dir böse sein? Ich hab' dich lieb. Und habe nur dich. Wir beide brauchen uns. Ich bin deine Mutter, du bist mein Kind!«
Sie betraten den Park, und klirrend fiel hinter ihnen das hohe, schmiedeeiserne Tor ins Schloß. Es hallte unter den Bäumen, und ein ungestümes Flattern und Gerüttel ließ sich vernehmen.
Eine breite Allee, von alten Ulmen halb überdacht, führte in gerader Linie zum Schlosse. Blumenduft und Heugeruch erfüllten die Luft. Inmitten der Allee weitete sich ein großes Kiesrondell, auf dem sich ein mächtiger, aus Eisenstangen und grobem Drahtgeflecht gebildeter Käfig erhob. Er barg die sieben Steinadler, die Graf Egge im Laufe mehrere Jahre als halbflügge Vögel aus ihren Nestern gehoben. Während Kitty und Tante Gundi vorüberschritten, begann im Käfig ein grauenhaftes Spektakel. Gleich schwarzen Schatten huschten in der Dämmerung die aus ihrer Ruhe aufgescheuchten Adler durcheinander; fauchend und mit gellenden Schreien warfen sie sich gegen das Drahtgeflecht und rüttelten an ihrem Kerker; unter dem Klatschen der Flügelschläge hörte man das Knirschen des Drahtes, wenn die scharfen Fänge in das Flechtwerk griffen.
Tante Gundi beeilte sich, an dem Käfig vorüberzukommen. »Eine merkwürdige Liebhaberei, das!« grollte sie. »Dieser Aasgeruch, mitten zwischen den Rosenbeeten! Pfui!«
Kitty schwieg; diese Vögel waren eine Freude ihres Vaters, eine lebendige Trophäe seines kühnen Jägermutes.
Aus dem Schlosse fiel schon der Lichtschein einzelner Fenster in die Allee. Nun zeigte sich ein weiter, fein besandeter Platz mit Blumenbeeten, exotischen Gewächsen und einer plätschernden Fontäne, von deren hohem, gleich mattem Silber leuchtenden Strahl ein feiner Staubregen gegen die finsteren Bäume dampfte. In der Tiefe des Platzes erhob sich Schloß Hubertus, eine Mischung von gotischem Kastell und moderner Villa. Man sah es auf den ersten Blick: hier wohnte ein großer Jäger vor dem Herrn. Über jedem Fenster war ein mächtiges Hirschgeweih an der Mauer befestigt – eine Sammlung, anzusehen wie eine riesige, die Geweihbildung aller Hirschgattungen demonstrierende Wandtafel; hier hing der konfuse Hauptschmuck des lappländischen Renntiers, die wuchtige Schaufel des schwedischen Elchs, der stämmige Schlag der böhmischen Wälder, das Zentnergeweih des amerikanischen Wapiti, der Urhirsch aus der Bukowina, das massige Kronengeweih des Bakonyerwaldes, die gefingerte Schaufel des Dambockes, der weichlich gezeichnete Hauptschmuck des gefütterten Parkwildes und das schlanke, schön verästelte Geweih des stolzen Edelhirsches der deutschen Berge. Jede dieser Trophäen hatte Graf Egge auf seinen Jagdreisen mit der eigenen Kugel gewonnen, unter jedem der Geweihe war ein weißes Täfelchen angebracht, auf dem die Heimat des Hirsches und der Tag verzeichnet standen, an dem das Wild gefallen.
Jetzt verschleierte tiefe Dämmerung diese stolze Jägerchronik, und wie ein Gewirr von dürren Ästen starrten die hundert Enden aus der Mauer.
Lichtschein fiel aus der offenen Tür über die steinerne, von wildem Wein und Jerichorosen umrankte Veranda, zu der drei breite Stufen emporführten.
Als Kitty und Tante Gundi die Veranda betraten, kam ihnen ein junger Diener entgegen, der sich besorgt erkundigte, ob die Damen nicht ins Gewitter geraten wären.
»Nein, Fritz,« sagte Kitty, »wir kommen trocken nach Hause. Wo ist mein Bruder?«
»Der Herr Graf arbeiten in seinem Zimmer.«
Durch einen breiten Flur, dessen Wände von den Steinfliesen bis zur Decke mit Jagdtrophäen aus aller Welt bedeckt waren, eilte Kitty zur Treppe. Auch hier im Treppenhaus wie in den Korridoren des oberen Stockes hing Geweih neben Geweih an allen Wänden.
Kitty öffnete eine Tür und schob das Köpfchen durch den Spalt. »Stört man nicht?«
»Komm nur!« erwiderte eine ruhige Männerstimme.
Das matte Licht einer mit chinesischem Schirm bedeckten Studierlampe füllte den nicht allzu großen, einfach möblierten Raum. Bücher, Zeitungen und Broschüren lagen, da es an Schränken fehlte, überall umher, auf dem Tisch, auf allen Stühlen. Der große Schreibtisch war von einem Ringwall dicker Bände umzogen, so daß für Lampe, Tintenzeug und Aktenmappe nur ein kleiner Raum verblieb. Man glaubte sich in dem Zimmerchen eines fleißigen Studenten zu befinden, der vor dem Examen steht. Aber Graf Tassilo, Kitty ältester Bruder, hatte die Schuljahre längst hinter sich.
Er nahm den Schirm von der Lampe und erhob sich: eine schlanke, vornehme Gestalt mit einem energischen Kopf, einem scharfgeschnittenen Gesicht und einem Knebelbart, wie König Ludwig II. ihn zu tragen pflegte. Die Härte der Züge, die Tassilo vom Vater hatte, wurde gemildert durch den ruhigen Glanz der Augen, die den Augen der Schwester glichen. Man konnte lesen in diesem Gesicht und Blick: da steht ein Mensch, der mit sich im klaren ist und weiß, was er will; eine starke, zähe, an Arbeit und Selbstbeherrschung gewöhnte Natur mit warm fühlendem Herzen. Aber es mochten schwere Kämpfe gewesen sein, in denen er das sichere Gleichgewicht des Lebens gewonnen; das verriet die tief eingeschnittene Furche zwischen den Brauen. Graf Tassilo stand im dreißigsten Jahr, doch hätte man ihn wohl um einige Jahre älter geschätzt.
Herzliches Wohlgefallen leuchtete beim Anblick der Schwester aus seinen Augen. Wie das lichte Figürchen auf ihn zugeflattert kam, das war auch, als wehte ein frischer Frühlingshauch in die ernste Stube. Kitty umschlang den Bruder. »Guten Abend, Tas!«
Lächelnd hielt er sie fest und streichelte ihr Haar. »Nun? Ist Papa gekommen?«
Sie hob wie in unbehaglichem Empfinden die Schultern.
Ein Schatten ging über das Gesicht des Bruders. Er gab die Schwester frei und ließ sich nieder. »Ich hätt' es dir voraussagen können. Aber ich wollte deine Freude nicht stören. Möglich wär' es ja doch gewesen –«
»Nein, ganz unmöglich!« fiel Kitty ein, als hätte sie das Bedürfnis, ihren Vater zu verteidigen. »Er konnte nicht kommen, absolut nicht! Franzl hat es mir gesagt. Weißt du, Tas, da droben steht irgendwo ein ganz fabelhafter Gemsbock. Papa mußihn haben!«