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Alte Freunde bringen manchmal Unglück. Diese Erkenntnis macht Dave Robicheaux, als er unverhofft dem abgehalfterten Rock ´n´ Roller Dixie Lee Pugh wiederbegegnet. Pugh arbeitet inzwischen für eine Ölfirma und berichtet ihm von zwei finsteren Kollegen und ihren dreckigen Machenschaften in den Bergen Montanas. Wenig später wird Pugh Opfer eines Brandanschlags und Dave Robicheaux flattert ein Drohbrief ins Haus. Als er sich die Absender schnappen will, steht er plötzlich selbst unter Mordverdacht. Robicheaux hat nur eine Chance: Er muss nach Montana und herausfinden, in welche Geschäfte Dixie Pughs Kollegen verwickelt sind. Es geht um eine Menge Geld, um mächtige Ölgesellschaften und um junge Indianer, die gegen altes Unrecht kämpfen.
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Seitenzahl: 529
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James Lee Burke • Schmierige Geschäfte
Für John und Flavia McBride
JAMES LEE BURKE
Schmierige Geschäfte
Ein Dave-Robicheaux-Krimi Band 3
Aus dem Amerikanischen von Ulrich von Berg
1
Ihre goldenen Locken liegen übers Kopfkissen ausgebreitet, und ihre Haut schimmert hell im flackernden Licht des Hitzegewitters draußen hinter den Pecanbäumen. Eine heiße und drückende Nacht, am Himmel Wolken wie ans Firmament gepinselte Pferdeschweife. Über dem Golf rollt der Donner, als würde ein Apfel auf dem Boden eines leeren Holzfasses hin und her kullern, und schon klatschen die ersten Regentropfen gegen den Ventilator am Fenster. Sie schläft auf der Seite, das Laken umschmeichelt ihre Schenkel, ihre geschwungene Hüfte, ihre Brust. Im Wetterleuchten wirken die Sommersprossen auf ihrer Schulter wie braune Einsprengsel im Marmor einer Skulptur.
Plötzlich birst die Vordertür unter einem Brecheisen und fliegt aus den Angeln; zwei Männer in schweren Stiefeln stürmen ins Haus, die Vorderschaftrepetierer nach unten gerichtet. Der eine ist ein baumlanger Haitianer, der andere ein Latino, dessen Haar in öligen Locken vom Kopf hängt. Ohne ein Wort bauen sie sich am Fußende des Doppelbetts auf, in dem sie alleine schläft. Sie erwacht mit geöffnetem Mund, die Augen weit aufgerissen und ausdruckslos. Ihr Gesicht ist noch traumwarm, und sie kann die beiden Gestalten, die sie nur stumm anstarren, nicht von ihren Schlafbildern unterscheiden. Dann sieht sie, wie die beiden einen Blick austauschen und mit den Schrotflinten aus nächster Nähe auf ihre Brust zielen. Als sie meinen Namen herausschreit, trüben sich ihre Augen, und der Schrei erstirbt wie eine Luftblase, die an der Wasseroberfläche zerplatzt, in ihrer Kehle. Sie wickelt das Laken um ihre Hände, presst es vor die Brüste, als ob es sie vor den zwölfkalibrigen Rotwildgeschossen und den groben Rehposten schützen könnte.
Sie schießen los, und der Raum explodiert förmlich im Rauch und Mündungsfeuer ihrer Schrotflinten, ist plötzlich erfüllt von Patronenteilchen, zerrissener Matratzenfüllung, Holzspänen des Bettgestells, Fetzen der Lampenschirme und herumwirbelnden Glassplittern. Die beiden Killer überlassen nichts dem Zufall. Sie haben die Sportsman-Stopfen aus ihren Flinten entfernt, sodass jetzt fünf Schuss ins Magazin passen, und sie hören nicht auf zu feuern und rauchende Hülsen auf den Fußboden auszuwerfen, bis die Schlagbolzen auf leere Kammern klicken. Dann laden sie mit der Gelassenheit von Waidmännern, die gerade aus der Deckung getreten sind und auf einen Schwarm Enten angelegt haben, ihre Waffen nach.
Das Laken ist zerfetzt, mit ihrem Blut durchtränkt, in ihre Wunden eingedrungen. Die Männer sind nun fort, und ich sinke neben meiner Frau auf die Knie, küsse die Augen, die nie mehr sehen werden, streichele ihr Haar und ihr fahles Gesicht, führe ihre Finger an meinen Mund.
Ein einzelner Blutstropfen rinnt vom zertrümmerten Kopfbrett des Bettes herab und sammelt sich auf meiner Haut. Im abgeernteten Feld hinterm Haus schlägt krachend ein Blitz ein. Mein Kopf füllt sich mit einem feuchten Schwefelgestank, und wieder höre ich meinen Namen, als würde er wie eine lange eingesperrte Luftblase vom sandigen Grund eines Tümpels aufsteigen.
Es war vier Uhr in der Frühe, und es regnete heftig, als ich in einem Motel am westlichen Stadtrand von Baton Rouge aus meinem Traum erwachte. Nur in Unterwäsche saß ich auf dem Bettrand und versuchte, mir den Schlaf aus den Augen zu reiben, ging dann auf die Toilette, kehrte ins Schlafzimmer zurück und ließ mich in der Dunkelheit wieder auf dem Bett nieder.
Bis zum ersten Tageslicht waren es noch zwei Stunden hin, aber ich wusste, dass ich keinen Schlaf mehr finden würde. Ich zog mir Regenmantel und Hut über und fuhr mit meinem Pick-up zu einem Nachtcafé, das sich im Seitentrakt einer schindelgedeckten Straßenraststätte befand. Der Regen trommelte auf das Kabinendach des Pritschenwagens, und der Wind blies kräftig von den Atchafalaya-Sümpfen im Südwesten und peitschte auf die Palmen und Eichen am Highway ein. Das westliche Baton Rouge, das jenseits des Mississippi beginnt, war schon immer eine zwielichtige Gegend, voller Fernfahrerspelunken, Zockertreffs, in denen kaum mal richtiges Geld auf dem Tisch liegt, und Pinten, in denen nur Schwarze und Malocher verkehren. Gen Osten hat man einen guten Blick auf die hell erleuchteten Stahlträger der Earl-K.-Long-Brücke, die Rauchwolken über den Ölraffinerien und das sich gegen den Regen abhebende Regierungsgebäude unseres Bundesstaates. Baton Rouge zählt zu den grünen Städten – an Bäumen, Parkanlagen und Badegewässern herrscht kein Mangel, das Lichtermeer der Raffinerien und Chemiefabriken sieht man dagegen eher als Indiz finanziellen Wohlergehens denn als Fluch des Industrie zeitalters an. Sobald man aber die Eisenbahnbrücke nach Westen überquert und drüben auf die alte, mit Schlaglöchern übersäte Ausfallstraße rumpelt, kommt man in eine Welt, die nur mehr den Bewohnern des Atchafalaya-Bassins etwas zu bieten hat, den Cajuns, Rothäuten, Gelegenheitsarbeitern, Ölmalochern und anderen Rednecks, deren immer weiter zusammenschrumpfender Lebensraum nur noch aus verbeulten Pick-ups, der Musik von Waylon Jennings aus dem Kassettenrekorder und einem Zwölferpack Jax-Bier besteht.
Im Schein der gelben Bogenlampen über dem Parkplatz des Cafés sah der Regen aus wie vom Himmel fallende Bindfäden. Abgesehen von einer fetten Schwarzen, die ich hinter der Durchreiche zur Küche sehen konnte, und einer hübschen rothaarigen Serviererin von Anfang zwanzig, in einer rosa Uniform und mit am sommersprossigen Nacken hochgestecktem Haar, war es drinnen leer. Die Bedienung war unverkennbar müde, schenkte mir aber trotzdem ein freundliches Lächeln, während sie meine Bestellung entgegennahm. Wegen meiner spontanen Empfänglichkeit für ihr Lächeln überkam mich ein schlechtes Gewissen, fast so etwas wie Scham. Denn wenn man neunundvierzig ist und unverheiratet, Witwer, oder sich ganz einfach entschlossen hat, allein zu leben, fühlt man sich rasch durch die Aufmerksamkeit junger Frauen geschmeichelt und vergisst darüber, dass es sich dabei häufig nur um einen gewissen Respekt vor dem Alter handelt.
Ich bestellte mir ein paniertes Steak und eine Tasse Kaffee und hörte mir Jimmy Clanton an, dessen alter Hit Just a Dream nebenan in der Jukebox lief. Durch die offene Verbindungstür hinter der verlassenen Tanzfläche konnte ich ein halbes Dutzend Gäste an der Bar sitzen sehen, die sich an der Rückwand befand. Ich beobachtete einen Mann meines Alters mit welligem blonden Haar, der seinen Whiskey bis auf die Eiswürfel leer trank, dem Barmann das Glas zum Nachschenken hinhielt und sich dann von seinem Hocker erhob und quer über die Tanzfläche ins Café kam.
Er trug eine graue Hose, ein grünes, mit blauen Blümchen gemustertes Sporthemd, frisch polierte Slipper, weiße Socken, eine goldene Armbanduhr und einen ebenfalls goldenen Kugelschreiber, der in der Brusttasche des Hemds steckte. Das Hemd hing über der Hose, wahrscheinlich um die Wampe und sein Hüftgold zu verdecken.
„He, Schätzchen, mach mir ’n Cheesburger und bring ihn an die Bar, ja?“, sagte er.
Dann gewöhnten sich seine Augen an das schummrige Licht, und er unterzog mich eines prüfenden Blicks.
„Heiliger Herrgott“, sagte er. „Dave Robicheaux. Du alter Bock.“
Eine Stimme und ein Gesicht aus der Vergangenheit, nicht unbedingt aus meiner, eher aus einer längst vergangenen Epoche. Dixie Lee Pugh hatte 1956, im ersten Jahr an der Southwestern University von Louisiana, mit mir das Zimmer geteilt: Als Sohn eines bettelarmen Farmers aus irgendeinem Kaff am Fluss nördlich von Baton Rouge hörte er sich eher nach Mississippi als nach Louisiana an, hatte gleich im Anfangssemester hingeschmissen und sich nach Memphis davongemacht, um in genau jenem Studio, in dem auch die Karriere von Carl Perkins, Johnny Cash und Elvis begonnen hatte, zwei Platten aufzunehmen. Die zweite Scheibe brachte ihm einen Fernsehauftritt in New York ein, und wir daheim hingen voller Ehrfurcht am Bildschirm und schauten zu, wie er auf einer alten Bluesgitarre, die schon so manchen Sturm überstanden hatte, herumschrubbte oder mit den Fingern auf die Klaviertasten eindrosch, während das fast tausendköpfige Publikum vor Begeisterung ausrastete und in den Gängen tanzte.
In den ersten Jahren des Rock ’n’ Roll zählte er zu den Giganten, und er besaß dieses gewisse Etwas, das kaum ein anderer hatte. Er war schlicht und einfach authentisch, ein weißer Bluessänger, ungekünstelt und so glaubwürdig, dass er selbst den lieben Gott überzeugt hätte. In der Baptistenkirche hatte er die Musik mit der Muttermilch aufgesogen, aber irgendwer in dem kleinen Baumwollnest mit den Pecannussplantagen musste ihm den Schmerz förmlich unter die Haut gerieben haben, denn er war in jedem seiner Lieder zu hören und gewiss nicht um des Effekts willen aufgesetzt.
Später dann lasen und hörten wir andere Geschichten: vier oder fünf gescheiterte Ehen, ein Kind, das bei einem Wohnungsbrand ums Leben kam, ein schwerer Verkehrsunfall mit Fahrerflucht, ein längerer Aufenthalt im texanischen Staatsgefängnis von Huntsville.
„Dave, ich kann’s nicht glauben“, sagte er grinsend. „Wir haben uns vor zehn oder zwölf Jahren das letzte Mal in New Orleans gesehen. Damals warst du bei der Polizei.“ Ich konnte mich auch daran erinnern. Es war in einem drittklassigen Schuppen in der Nähe der Canal Street gewesen, einem jener Löcher, wo sie Berühmtheiten vergangener Zeiten noch eine Chance geben, die Gäste aber selbst während der Auftritte einen Höllenlärm veranstalten und den Entertainern die wüstesten Beleidigungen an den Kopf werfen.
Er setzte sich neben mich und gab mir, fast als sei es ihm erst jetzt eingefallen, die Hand.
„Pfeifen wir uns ein paar ein und quatschen ein bisschen“, sagte er und wies die Serviererin an, mir ein Bier und einen Highball zu bringen.
„Danke, nein, Dixie“, sagte ich.
„Meinst du damit, es ist zu spät oder zu früh am Tag, oder bist du etwa ganz weg von dem Stoff ?“
„Ich geh jetzt zu diesen Versammlungen. Du weißt schon, was ich meine.“
„Teufel, ja. Dazu braucht man Mumm, Mann. Kann ich dir nur meine Bewunderung für aussprechen.“ Der glasige Schimmer in seinen Augen verriet den Alkoholiker. Er sah mich kurz an, zwinkerte und wirkte dabei, als sei es ihm peinlich.
„Hab in der Zeitung gelesen, was deiner Frau zugestoßen ist. Tut mir leid.“
„Danke.“
„Hat man die Kerle geschnappt, die’s getan haben?“
„Mehr oder weniger.“
„Hmm“, sagte er und musterte mich einen Augenblick. Ich spürte, dass er sich allmählich unbehaglich fühlte angesichts der Erkenntnis, dass ein zufälliges Treffen mit einem alten Freund noch keine Garantie dafür ist, gemeinsam schönen Erinnerungen nachzuhängen. Dann lächelte er wieder.
„Bist du noch bei der Polizei?“, fragte er.
„Ich betreibe einen Bootsverleih mit Fischködergeschäft südlich von New Iberia. Gestern Abend kam ich hierher, um ein paar Ersatzteile für die Kühlboxen zu besorgen, bin aber durch den Sturm hängengeblieben.“
Er nickte. Dann schwiegen wir beide.
„Spielst du hier irgendwo, Dixie?“, sagte ich. Ein Fehler.
„Nein, damit ist es vorbei. Nach dem Ärger in Texas hab ich’s nicht mehr ernsthaft versucht.“
Er räusperte sich und fischte eine Zigarette aus der Schachtel in seiner Hemdtasche.
„Sag mal, Schätzchen, wie wär’s, wenn du mir meinen Drink von der Bar rüberbringst?“
Die Serviererin lächelte, legte den Putzlappen zur Seite, mit dem sie die Theke abgewischt hatte, und ging in den Nachtclub nebenan.
„Weißt du von dem Scheiß in Texas?“, sagte er.
„Ich denk schon.“
„Alkohol am Steuer, keine Frage, und abgehauen bin ich auch. Aber der Kerl hat ein Stoppschild überfahren. Ich hatte keine Chance, ihm auszuweichen. Aber seinen kleinen Sohn hat’s nun mal erwischt. Verdammt hart, mit so was zu leben.“ Mit dem Daumennagel ritzte er Muster in seine Papierserviette. „Viele Leute wollen’s aber auch nicht vergessen.“
Ich wusste nicht, was ich darauf erwidern sollte. Er tat mir leid. Dabei schien er kaum anders als der Junge, den ich einst gekannt hatte, nur dass er jetzt meistens unter Strom stand. Mir fiel ein Zitat aus einem Artikel in Newsweeküber Dixie Lee ein, das ihn treffender charakterisierte als alles, was ich sonst über ihn gelesen hatte. Ob irgendein Mitglied seiner Band Noten lesen könne, hatte ihn der Reporter gefragt. „Yeah“, lautete Dixies Antwort, „einige können’s, aber das schadet der Musik kein bisschen.“ Weil ich irgendetwas sagen musste, fragte ich ihn schließlich, was er denn jetzt so treibe.
„Grundstücksgeschäfte“, sagte er. „Wie Hank Snow immer sagte: ‚Vom alten Montana bis runter nach Alabama.‘ Ich komm ganz schön rum. Überall, wo’s Öl und Kohle gibt. Und der Kies stimmt auch, Partner.“
Die Serviererin stellte ihm seinen Bourbon mit Wasser hin. Er trank einen Schluck und zwinkerte ihr über das Glas hinweg zu.
„Freut mich, dass es dir gut geht, Dixie“, sagte ich.
„Yeah, ist ’n angenehmes Leben. Ein Cadillac Cabrio und alle paar Wochen ’ne neue Adresse, ist jedenfalls besser als trocken Brot und Grütze.“ Er schlug mir auf die Schulter. „Teufel, ist sowieso alles Rock ’n’ Roll, Mann.“
Ich nickte gut gelaunt und sah durch die Durchreiche, wie die schwarze Köchin mein Essen aus der Pfanne kratzte und auf einen Teller schob. Ich war versucht, der Serviererin zu sagen, dass die Bestellung zum Mitnehmen gedacht war.
„Tja, auf mich warten ’n paar Leutchen“, sagte Dixie Lee. „Ein paar süße junge Dinger schauen immer noch mal vorbei, du weißt schon, was ich meine. Nimm’s locker, Kumpel. Du siehst gut aus.“
Ich gab ihm die Hand, aß mein Steak, bestellte einen zweiten Kaffee für unterwegs und ging hinaus in den Regen.
Den ganzen Rückweg um das Atchafalaya-Becken rüttelte der Wind an meinem Truck. Als die Sonne aufging, sah alles grau und durchnässt aus, und Enten und Reiher flogen tief über die abgestorbenen Zypressen in der Marsch. Das Wasser in den Buchten sah aus wie Blei und kräuselte sich im Wind. Auf einer Bohrinsel hinter einem überschwemmten Weidenbestand loderte eine Gasflamme. Jeden Morgen beginne ich den Tag mit einem Gebet, in dem ich dem Höchsten danke, dass ich den vergangenen Tag trocken geblieben bin, und ihn bitte, mir auch heute dabei zu helfen. Diesen Morgen schloss ich Dixie Lee in mein Gebet ein.
Über St. Martinville fuhr ich zurück nach New Iberia. Die Sonne kletterte bereits über die Eichen am Bayou Teche, doch in den tiefen frühmorgendlichen Schatten hing der Dunst noch wie Rauchwolken zwischen den Katzenschwänzen und feuchten Baumstümpfen. Es war erst März, aber wie immer nach den langen grauen Regentagen im Februar hielt der Frühling mit aller Macht Einkehr in Südlouisiana. Entlang der East Main Street von New Iberia standen die Gärten voller Azaleen, Rosen, gelbem und rotem Hibiskus, und die Lauben und Pavillons waren übersät mit wildem Wein und Büscheln von violetten Glyzinien. Ich rumpelte über die Zugbrücke und folgte dem Feldweg entlang dem Bayou im Süden der Stadt, wo ich einen Fischereianleger betrieb und mit einem sechsjährigen salvadorianischen Flüchtlingsmädchen namens Alafair in dem alten Haus wohnte, das mein Vater während der Depressionszeit aus Eichen und Zypressen erbaut hatte.
Das Holz war nie gestrichen worden und mittlerweile dunkel und eisenhart, und die Balken waren durch Zapfen miteinander verbunden und verkeilt. Die Pecanbäume im Vorgarten strotzten vor Blättern, von denen immer noch das Regenwasser tropfte und auf das Blechdach der Galerie klatschte. Der Garten lag stets im Schatten und war mit einer dicken Schicht schwarzverfärbter Blätter bedeckt. Die ältere Mulattin, die manchmal auf Alafair aufpasste, zog gerade im Garten nebenan die Plastikschutzplanen von meinen Kaninchenställen. Wie viele Schwarze in Südlouisiana mit französischem Einschlag hatte sie eine Hautfarbe wie ein Kupferpenny und türkise Augen. Ihr Körper wirkte wie aus Holzstöcken zusammengesetzt, und lauter feine Linien schlängelten sich über ihre Haut. Sie stand auf Schnupftabak, rauchte ständig selbstgedrehte Zigaretten und kommandierte mich in meinen eigenen vier Wänden herum, doch sie konnte härter arbeiten als sonst irgendjemand, und seit meiner Kindheit war sie meiner Familie mit wild entschlossener Loyalität ergeben.
Meine Anlegestelle lag jetzt im prallen Sonnenlicht, und ich konnte Batist sehen, den anderen Schwarzen, der für mich arbeitete, wie er eine Kiste für zwei Weiße in deren Außenborder lud. Er war ohne Hemd und kahl, und unter dem Gewicht der Eiskiste wurde sein Rücken breit, und um seine Schultern spielten die Muskeln. Mit bloßen Händen brach er das Feuerholz für meine Grillgrube, und einmal hatte ich ihn einen fast zwei Meter langen Alligator am Schwanz aus dem Wasser ziehen und auf eine Sandbank werfen sehen.
Ich wich den Pfützen im Hof aus und ging zur Galerie.
„Was solln wir bloß mit dem Viech da anstelln?“, sagte Clarise, die Mulattin.
Sie hatte Tripod, meinen dreibeinigen Waschbären, an die Kette gelegt, die an einer Wäscheleine aus Draht befestigt war, sodass er im Hof auf und ab laufen konnte. Nun zog sie ihn mittels der Kette in die Luft. Sein Leib tanzte und krümmte sich, als werde er garrottiert.
„Clarise, lass das.“
„Frag ihn, was er gemacht hat, der“, sagte sie. „Geh, schau dir mein Waschkorb an. Geh, schau die Hemden an. Gestern warn se blau. Jetzt sin se braun. Geh mal riechen, du.“
„Ich nehm ihn mit runter zum Anleger.“
„Sag Batist, er soll ’n nich wieder hochbringen, ne.“ Sie setzte den halb erdrosselten Tripod ab. „Kommt er wieder in mein Haus, landet er im Kochtopf, bei den Süßkartoffeln.“
Ich hakte seine Kette von der Wäscheleine los und führte ihn runter zum Köderladen neben dem Café am Dock. Ich staunte immer wieder über die Illusion von der weißen Vorherrschaft in der Gesellschaft des Südens, wo doch viel öfter Schwarze unseren Haushalt schmeißen und im Haus das Sagen haben.
Batist und ich schöpften das Regenwasser vom Unwetter der vorigen Nacht aus unseren Mietbooten, füllten die Zigaretten- und Bonbonautomaten auf, seihten tote Fische aus den Tanks mit Lebendködern, ließen das Wasser aus den Eisbehältern ab, legten frische Eisblöcke oben auf die Soda- und Bierflaschen und machten das Grillfeuer fürs Mittagessen an, das wir für die Fischer bereiteten. Dann spannte ich die Sonnenschirme auf, die in den Löchern der riesigen Telefonkabeltrommeln steckten, die wir als Tische benutzten, und ging zum Haus zurück.
Der Morgen hatte sich wunderbar herausgemacht. Der Himmel war blau, das Gras auf den Feldern noch sattgrüner nach dem Regen; auf der Galerie wehte ein kühles Lüftchen, der Hinterhof lag im tiefen Schatten des Mimosenbaums, und meine Blumenkästen aus Redwood waren streifig vom Wasser und gestopft voller Petunien und Indianerquasten. Alafair saß in einer Schlafanzughose in der Küche und malte ein Mickymausheft aus, das ich ihr tags zuvor gekauft hatte. Ihre dunklen Haare waren zu einem Pony gestutzt, ihre Augen groß und braun, der Mund so rund wie ein Kuchenteller und ihre Haut in der Sonne bereits dunkler geworden. Wenn irgendetwas an ihr nicht vollkommen war, dann ihre weit auseinander stehenden Schneidezähne, die ihr Lächeln noch breiter wirken ließen als ohnehin schon. Kaum zu glauben, dass ich sie vor weniger als einem Jahr aus einem knapp außerhalb des Southwest-Pass in den Golf gestürzten Flugzeug gezogen hatte, ein ertrinkendes kleines Mädchen, dessen Knochen sich leicht wie bei einem Vogel angefühlt hatten und die im Schoß meiner Frau dann nach Luft geschnappt hatte wie ein Guppy auf dem Trockenen.
Ich fuhr ihr mit der Hand über die feinen schwarzen Haare.
„Wie geht’s dir, kleiner Kerl?“, sagte ich.
„Wo bist du hin, Dave?“
„Ich bin vom Sturm überrascht worden und musste in Baton Rouge bleiben.“
„Oh.“
Sie widmete sich wieder ihrer Ausmalerei. Dann hielt sie inne und grinste mich voller Übermut an.
„Tripod hat Aa in Clarises Korb gemacht“, sagte sie.
„Ich hab’s schon gehört. Schau, sag nicht ‚Aa machen‘. Sag ‚auf die Toilette gehen‘.“
„Kein Aa?“
„Genau. ‚Er ist auf die Toilette gegangen.‘“
Sie sprach es mir nach, während wir beide dazu im Takt mit dem Kopf nickten.
Sie ging in die erste Klasse auf der katholischen Schule in New Iberia, doch schien sie von Clarise, Batist und seiner Frau mehr Englisch zu lernen als von mir und den Nonnen. Heraus kamen dabei einige Sätze, die man jederzeit von den dreien hören konnte: „Wie spät isses jetz’?“, „Was machst ’n du da, Blätter unter mei’m Fenster verbrennen, du?“, „Fahr da grad mit dei’m Laster lang, da schmeißt mir doch einer ’n Nagel unters Rad und macht mir ’n Riesenplatten.“
Ich drückte Alafair, gab ihr einen Kuss auf den Scheitel und ging ins Badezimmer, um mich zu duschen und umzuziehen. Der Luftzug durch das Fenster roch nach feuchter Erde und Bäumen und einem Hauch von Wunderblumen, die im Schatten noch immer offen waren. Ich hätte vor Energie bersten müssen an diesem Frühlingsmorgen, aber ich fühlte mich lustlos und verbraucht, nicht ganz bei mir, und das kam nicht nur von der Schlaflosigkeit und den schlechten Träumen der vorigen Nacht. Solche Stimmungen überkamen mich von Zeit zu Zeit, als ob mein Blut von einer Fäulnis befallen wäre, und plötzlich drangen dann Bilder und Geräusche auf mich ein, mit denen ich noch nicht richtig umgehen konnte.
Es konnte überall geschehen. Doch gerade jetzt geschah es in meinem Schlafzimmer. Ich hatte etliche Wandbretter ersetzt, die großkalibrigen Reh- und Hirschposteneinschüsse mit Holzkleber verstopft und sie glattgeschmirgelt. Das zerfetzte und zersplitterte Kopfteil, mit dem Blut meiner Frau befleckt, als habe es jemand mit dem Malerquast verschmiert, lag in einer Ecke der zusammengebrochenen Scheune am anderen Ende meines Grundstücks. Aber wenn ich die Augen schloss, sah ich das Mündungsfeuer der Schrotflinten in der Dunkelheit aufblitzen, hörte die Detonationen, so laut wie der Donner draußen, hörte ihre Schreie, als sie sich unter dem Laken zusammenkrümmte und sich mit den Händen zu schützen versuchte, während ich wie von Sinnen durch den Regen zum Haus rannte und das Donnergrollen meine Schreie übertönte.
Wie stets, wenn ich aus heiterem Himmel von diesen finsteren Tagträumen überwältigt wurde, konnte ich mich aus eigenen Kräften nicht davon befreien. Stattdessen zog ich meine Sporthose und die Laufschuhe an und stemmte im Hinterhof Gewichte. Stoßen, Drücken und Reißen mit Neunzig Pfund auf der Stange, sämtliche Übungen in Zehner serien und das Ganze sechsmal hintereinander. Danach joggte ich sechs Kilometer den Feldweg am Bayou entlang, wo das Sonnenlicht wie Rauch durch das Laubdach der Eichen und Zypressen über mir tanzte. Unter den Katzenschwänzen und Wasserlilien lauerten Brassen auf Insekten, und manchmal sah ich zwischen zwei Zypressen den dicht unter der Oberfläche dahingleitenden Rücken eines Großmaulbarsches.
An der Zugbrücke, wo ich dem Wärter zuwinkte, kehrte ich um und machte auf dem ganzen Rückweg noch mal richtig Dampf. Ich war gut bei Puste, das Blut jubilierte in meiner Brust, und mein Bauch fühlte sich flach und hart an, doch ich fragte mich, wie lange ich den Tod und die Erinnerungen wohl noch im Zaum halten konnte.
Stets der Spieler, der auf der Rennbahn die Zukunft vorherzusehen und zu kontrollieren versucht, aber nur über die Quoten von morgen verfügt.
Drei Tage später drückte ich gerade mit einem Besenstiel das Regenwasser aus der Plane über meinem Dock, als das Telefon klingelte. Es war Dixie Lee Pugh.
„Ich lad dich zum Essen ein“, sagte er.
„Danke, aber ich hab zu tun.“
„Ich muss mit dir reden.“
„Schieß los.“
„Kann ich dir nur persönlich sagen.“
„Wo steckst du?“
„In Lafayette.“
„Dann komm doch vorbei. Fahr auf der East Main raus und nimm südlich der Stadt den Weg am Bayou entlang. Du kommst direkt bei mir raus.“
„Gib mir eine Stunde.“
„Du klingst ’n bisschen düster, Kumpel.“
„Yeah, wahrscheinlich sollt ich mal wieder heiraten. Häng ’n bisschen zwischen Baum und Borke.“
Jeden Morgen brieten Batist und ich Hühnchen und Würste auf einem Grill, den ich gebaut hatte, indem ich ein Ölfass der Länge nach aufgetrennt und Scharniere und Metallbeine angeschweißt hatte. Auf Papptellern verkaufte ich Mittagessen aus Grillfleisch mit Schmutzigem Reis zu 3,50 die Portion, und für gewöhnlich kassierte ich 30 Dollar oder so von den Anglern, die entweder von ihrer Tour zurückkamen oder gerade los wollten. Nachdem wir dann die Kabeltrommeltische abgewischt hatten, genehmigten Batist und ich uns ebenfalls einen Teller, öffneten für jeden eine Flasche Dr Pepper und aßen unter einem der Sonnenschirme am Ufer.
Es war ein warmer, strahlend heller Nachmittag, und der Wind löste das Moos von den toten Zypressen in der Marsch. Der Himmel war blau und so makellos wie das Innere einer Teeschale.
„Der Mann fährt, wie wenn er nich weiß, dass die Straße voller Löcher is“, sagte Batist. Sein sonnenverblichenes Baumwollhemd hatte er aufgeknüpft. Um den Hals trug er an einer Kordel eine Dime-Münze, die den gris-gris bannen sollte, einen bösen Zauber, und seine schwarze Brust sah aus wie aus Kesseleisen gefertigt.
Das rosa Cadillac-Cabriolett mit offenem Verdeck war matschverkrustet und an den Kotflügeln zerschrammt und verbeult. Ich sah, wie die Vorderräder in ein Schlammloch eintauchten und gelbliches Wasser über die ganze Windschutzscheibe spritzte.
„Zurückhaltung war noch nie Dixie Lees Stärke“, sagte ich.
„Du borgst ihm doch kein Boot?“
„Er will bloß was mit mir bereden. Er war mal ein berühmter Country- und Rock-’n’-Roll-Star.“
Batist kaute weiter und sah mich ausdruckslos und offenbar unbeeindruckt an.
„Ernsthaft. Er war mal ’ne große Nummer oben in Nashville“, sagte ich.
Er kniff die Augen zusammen, wie immer, wenn Wörter fielen, die er nicht kannte.
„Das liegt in Tennessee. Dort machen sie jede Menge Country-Platten.“
Nützte nichts.
„Ich hol uns noch ein Dr Pepper. Hast du Tripod gefüttert?“, sagte ich.
„Meinst du, das Vieh weiß nich, wo’s Futter gibt, das?“
Ich begriff nicht.
„Die Nase hat er ja nich verloren, ne.“
„Was sagst du da, Batist?“
„Hat die ganzen Küchlein vertilgt. Schau mal nach dein’ Küchlein.“
Dixie Lee stellte den Motor ab, knallte die Tür hinter sich zu und kam, kurz mit einem Winken grüßend, zum Köderladen geschlendert. Sein Gesicht war blutleer, die Haut straff über die Wangenknochen gespannt und mit Schweißperlen übersät wie Wassertropfen auf einem Kürbis. Sein holzkohlefarbenes, mit Rosen verziertes Hemd war entlang der Knöpfe und unter den Achselhöhlen feucht.
Ich folgte ihm in den Köderladen. Er warf einen Fünf-Dollar-Schein auf die Theke, öffnete eine langhalsige Flasche Jax am Bierkasten und hob sie an den Mund. Er schluckte, bis sie fast leer war, holte dann tief Luft und kniff ein paarmal die Augen auf und zu.
„Junge, hab ich heut einen Kater“, sagte er. „Richtig schlimm, wie wenn mir jemand ’n Drillbohrer durch die Schläfen gejagt hat.“
Wieder hob er die Flasche, eine Hand an die Hüfte gestemmt, und leerte sie endgültig.
„Das mildert’s, aber es hält die Schlangen nicht lang im Korb, was?“
„Ne.“
„Ich mein damit, dass jetzt was Härteres angesagt ist. Du hast nicht zufällig ’n JD oder ’n Beam hier rumstehn?“
„Ich fürchte, nein, Dixie.“ Ich tippte seine Zeche in die Kasse ein und legte das Wechselgeld auf die Theke.
„Dann müssen’s halt die Schnuckelchen hier tun.“ Er öffnete ein weiteres Jax, nahm einen langen Zug und rülpste. „Mich hat mal ’n Pfarrer gefragt: ‚Mein Sohn, kannst du dir zwei Drinks genehmigen und es dann sein lassen?‘ Sag ich: ‚Das kann ich Ihnen nicht beantworten, weil ich’s noch nie probiert hab.‘ Sollt ’n Witz sein, aber ich nehm an, es klingt einfach nur erbärmlich, nicht?“
„Was steht an, Partner?“
Er sah sich im leeren Köderladen um.
„Wie wär’s mit ’ner Bootsfahrt?“, sagte er.
„Ich bin grad ziemlich eingespannt.“
„Ich bezahl dich auch dafür. Es ist wichtig, Mann.“
Seine grünen Augen musterten mich. Ich ging zur Tür.
„Bin in ’ner halben Stunde zurück“, rief ich Batist zu, der noch unter dem Sonnenschirm saß und sein Essen genoss.
„Ich weiß das zu schätzen, Dave. Bist ’n anständiger Kerl.“ Dixie Lee schnappte sich eine Papiertüte und packte vier Flaschen Jax ein.
Ich nahm ihn in einem Außenborder mit den Bayou hinunter, vorbei an Four-Corners, der Kreuzung, wo der alte Gemischtwarenladen mit der breiten Veranda und der abblätternden Farbe im Schatten riesiger Eichen stand. Ein paar alte Männer und etliche Schwarze von einem Straßenbauarbeitertrupp saßen dort und tranken Soda.
Das Kielwasser des Außenborders schwappte durch die Wasserlilien und Katzenschwänze und klatschte gegen die Zypressenwurzeln am Ufer. Dixie Lee hatte sich an den Bug gelehnt, die Bierflasche in seiner Hand funkelte wie Bernstein im Sonnenschein, und gedankenverloren verkniff er die Augen vor der Spiegelung auf dem braunen Wasser. Ich stellte den Motor ab und ließ uns von unserem eigenen Kielwasser unter die überhängenden Weiden treiben. In der jähen Stille konnten wir vom mit Muschelschalen bestreuten Parkplatz des Gemischtwarenladens her ein Autoradio einen alten Hank-Williams-Song spielen hören.
„Allmächtiger, träum ich, oder gibt’s das wirklich?“, sagte er.
„Kommt von Four-Corners“, sagte ich und lächelte ihm zu. Ich zückte mein Puma-Taschenmesser und schälte die Rinde von einem nassen Weidenstrunk.
„Junge, kommen da Erinnerungen hoch. Als ich angefangen hab, hieß es immer, spielst du nicht wie Hank oder wie Lefty, isses die Butter auf ’m Brot nicht wert. Und recht hatten sie. He, weißt du, was der größte Moment meiner Karriere war? Nicht die zwei goldenen Schallplatten und bestimmt nicht die Heirat mit irgend’ner Filmschauspielerin mit Waschwasser statt Hirn im Kopf. Es war das Live-Album, das ich mit Fats drunten in New Orleans eingespielt hab, das war’s. Ich war der einzige Weiße, mit dem er je ’ne Platte aufgenommen hat. Mann, war der klasse. Er hat ausgesehn wie ’n gemästetes Zwergschwein auf der Klavierbank, mit silbernem Hemd und strassbesetzter Jacke, und sämtliche Finger voller Ringe. Hat gegrinst wie bescheuert und mit seinen Wurstfingern auf die Tasten eingedroschen, und der Schweiß ist ihm vom Gesicht geflogen, und das Publikum hat durchgedreht. Ich mein, die weißen Bräute haben versucht, auf die Bühne zu klettern, und die Leute haben unter den Augen der Bullen ’n Boogie hingelegt. Ich mein, es war seine Show, und er hatte alles im Griff, Mann, aber jedesmal, wenn er ’n Solo durch hatte, hat er zu mir gezeigt, damit der Spot zu meiner Gitarre schwenkte und ich auch mein Teil von dem Geplärr abkriege. Der Junge hatte wirklich ’n Herz aus Gold, Mann.“
Dixie Lee schüttelte den Kopf und machte mit seinem Taschenmesser ein neues Bier auf. Ich blickte auf meine Uhr.
„Yeah, tut mir leid“, sagte er. „Ist ’ne schlechte Angewohnheit von mir, immer mit dem alten Krempel anzukommen. Schau, ich hab was Schlimmes auf dem Herzen. Was Verrücktes, genaugenommen. Ich weiß nicht mal, wie ich’s erklären soll. Vielleicht ist auch gar nix dran. Mist, ich weiß es nicht.“
„Warum erzählst du’s mir nicht einfach?“
„Star Drilling hat mich und zwei andere Pachtheinis rauf nach Montana geschickt. Zum Osthang der Rockys, wo sie da oben die Rocky-Mountain-Front dazu sagen. Riesen Gasvorkommen, Alter. Unberührtes Land. Wir reden hier über Hunderte von Millionen Dollar. Außer, dass es da ’n Problem mit irgend’nem Landschaftsschutzgebiet und dem Reservat der Schwarzfußindianer gibt. Was mich aber nix angeht. Ich bin ja bloß der Pachtheini, klar? Albere mit der Forstverwaltung rum und den Indianern oder diesen verrückten Mistkerlen, die die Bäume vernageln –“ „Die was machen?“
„Ein Haufen Sektierer oder so, die nicht wollen, dass die Bäume gefällt werden, und deswegen Nägel und Eisenbahnbolzen in die Stämme hämmern. Dann kommt ’n Holzfäller mit seiner Motorsäge an, und dem reißt’s fast die Rübe runter. Aber ich persönlich hab kein Stunk mit den Leutchen da. Soll sich doch jeder um seine Angelegenheiten kümmern, klar? Überlass Star Drilling die Presse und die Politik, und Dixie Lee kommt mit ’n paar JDs und Gottes Segen schon heil über den Tag.
Aber dann kommen wir für sechs Wochen zum Handeln und Konferieren zurück ins Öl-Center nach Lafayette. Also wohn ich mit den andern beiden Pachtjungs im Motel. Die Firma übernimmt sämtliche Rechnungen, die Bar ist immer auf, und jeden Morgen serviert uns ’n Schwarzer Bloody Marys und eisgekühlte Shrimps am Pool. Hätt ’n schöner Urlaub sein können, bevor ich mich wieder mit den Indianern und den Irren rumschlagen muss.
Bloß dass vor zwei Nächten einer von den andern Pachtheinis ’ne Party auf seiner Bude veranstaltet. Eigentlich eher ’ne Art Peep-Show. Bräute, die sich die BHs vom Körper reißen, Leute, die einander mit Eis und Soda vollspucken. Dann – ich nehm mal an, meine romantische Ader hat mich gepackt – bin ich mit ’ner strammen Blondine, die ausgesehn hat, als könnt sie ’ne ausgewachsene Sau übern Gartenzaun wuchten, im Schlafzimmer verschwunden.“
Sein Blick wanderte von mir weg, und seine Wangen färbten sich leicht. Ohne mich anzusehen, trank er wieder einen Schluck Jax.
„Aber in der Nacht hatte ich schwer ein’ in der Kanne, jedenfalls konnt ich mit ihrer Sauerei nicht mithalten“, sagte er. „Ich muss weggeknackt sein und zwischen Bett und Wand gerollt, weil ich so um fünf Uhr früh dort aufgewacht bin. Die Schlangen zoffen sich in ihrem Korb, und dann hör ich, wie die zwei andern Jungs in ihrer Bude mit’nander reden. Der eine Junge – ich nenn sein’ Namen mal nicht – sagt: ‚Keine Sorge. Wir haben bloß gemacht, was wir mussten.‘ Dann sagt der andere: ‚Yeah, aber wir hätten uns mehr Zeit lassen sollen. Wir hätten Steine drauflegen sollen oder was. Die Tiere wühlen immer im Wald rum, und dann braucht bloß ’n Jäger zu kommen.‘
Darauf sagt der erste Typ: ‚Keiner wird sie finden. Keiner kümmert sich um die. Die haben alle zwei bloß Ärger gemacht. Stimmt’s oder stimmt’s nicht?‘ Dann sagt der zweite: ‚Kann schon stimmen.‘ Und der erste sagt: ‚Das ist wie im Krieg. Die Regeln werden erst hinterher gemacht.‘
Ich bin im Schlafzimmer geblieben und hab mich ruhig verhalten, bis ich gehört hab, wie sie sich zum Frühstück Champagner kommen lassen, dann bin ich in Unterhosen rüber ins Wohnzimmer und hab ausgesehn, als hätt mich meine Mutter grad im Galopp verloren. Ich hab gedacht, die zwei scheißen sich auf der Stelle in die Hosen.“
„Glaubst du, die haben jemand umgebracht?“
Er fuhr sich nervös mit den Fingern über die Stirn.
„Herrgott noch mal, Mann, ich weiß es nicht“, sagte er. „Wie hört sich das für dich an?“
„Hört sich übel an.“
„Und was soll ich deiner Meinung nach tun?“
Ich rieb mit der Hand übers Knie meiner Khakiarbeitshose, schnippte mit den Fingernägeln ans Metallgehäuse des Außenbordmotors. Sonnenlichttupfer fielen durch die Weiden auf Dixies gerötetes Gesicht.
„Ich kann dich mit dem Sheriff von New Iberia bekannt machen oder mit ’nem ziemlich guten Agenten von der Drogenfahndung drüben in Lafayette“, sagte ich.
„Machst du Witze, Mann? ’nen Drogenfahnder kann ich gebrauchen wie der Hühnerhof ’nen eierschlürfenden Hund.“
„Tja, wäre immer noch der Sheriff.“
Er trank den Schaum aus der Jax-Flasche und schaute mich an, ein Auge vor der Sonne zugekniffen.
„Langsam hab ich den Eindruck, du denkst, ich hätt mir bloß ’n bisschen am Sack rumgefummelt“, sagte er.
Ich hob die Augenbrauen und antwortete ihm nicht.
„Komm schon, Dave. Ich brauch Hilfe. Mit Ärger komm ich nicht klar. So was frisst mich auf.“
„Wo, glaubst du denn, ist es passiert?“
„Oben in Montana, nehm ich an. Da waren wir jedenfalls die letzten drei Monate.“
„Wir könnten mit dem FBI reden, aber ich glaub nicht, dass das zu was führt. Du hast einfach nicht genug Anhaltspunkte, Dixie.“ Ich hielt einen Moment lang inne. „Und dann gibt’s da noch ’nen Stolperstein.“
Er sah mich an wie ein Kind, das vom Lehrer ins Gebet genommen wird.
„Als ich an der Flasche hing, hatte ich oft Schwierigkeiten, die Leute von den Dingen zu überzeugen, die ich gehört und gesehen habe“, sagte ich. „Gerecht ist es nicht, aber so was ergibt sich nun mal.“
Er starrte aufs Wasser und rieb sich die Augen.
„Ich würde dir raten, dich von den Kerlen fernzuhalten.“
„Aber ich arbeite mit denen.“
„Es gibt andere Firmen.“
„Mach mal halblang. Ich hab in Huntsville gesessen. Die Bewährungsbehörde in Texas stellt dir nicht grad das beste Empfehlungsschreiben aus.“
„Dann weiß ich nicht, was ich dir raten soll.“
„Scheint ’n ziemlicher Schlamassel zu sein, was?“
Ich begann die Ankerleine einzuholen.
„Du zeigst mir also die kalte Schulter“, sagte er.
„Ich wünschte, ich könnte was für dich tun. Aber ich glaub nicht, dass ich’s kann. So ist es nun mal.“
„Eine Frage will ich dir noch stellen, bevor du den Motor anwirfst. Dein Vater ist doch draußen im Golf auf ’ner Bohrinsel umgekommen, nicht?“
„Richtig.“
„Diese Bohrinsel gehörte Star, nicht?“
„Yeah.“
„Es gab keinerlei Schutzvorkehrungen gegen plötzlichen Ölaustritt. Zig Arbeiter wurden bei der Explosion getötet.“
„Du hast ’n gutes Gedächtnis, Dixie.“ Ich drehte am Gas, damit Benzin zuströmte, und riss an der Starterleine. Der Motor kam nicht.
„Das juckt dich nicht, dass ich über die Star Drilling Company rede?“
Ich riss weiter am Starter, während Öl und Benzin vom Motor ins Wasser liefen. Dann stemmte ich ein Knie an die Sitzplanke, umklammerte mit einer Hand die Motorverkleidung und riss mit der anderen den Startergriff bis an mein Ohr. Die Maschine röhrte auf, die Schraube wirbelte eine Wolke aus gelblichem Schlamm und abgestorbenen Hyazinthenranken vom Grund, und ich steuerte uns zurück ins pralle Sonnenlicht, wo das Wasser unter dem Bug klatschte und der Wind nach Jasmin und Glyzinien roch. Auf der Rückfahrt hockte Dixie im Bug, ließ die Unterarme lose zwischen den Beinen baumeln und schaute lustlos drein, während sich sein rosenbesticktes Hemd in der warmen Luft blähte.
Am späten Nachmittag drehte der Wind und blies von Süden, und man konnte das Schwemmland riechen und einen Hauch Salz in der Luft. Dann trieb vom Golf her eine Bank Gewitterwolken über den Himmel, tanzte wie Kanonendunst vor der Sonne, und das Licht fing sich in den Eichen, Zypressen und Weiden und nahm einen seltsam grünen Farbton an, als sehe man die ganze Welt durch eine Schicht Wasser. Ein heftiger Regen ging nieder, hüpfte auf dem Bayou und den Wasserlilienfeldern im Flachwasser, trommelte auf meine Galerie und die Kaninchenställe und verlieh den frisch gepflügten Feldern einen dunklen Glanz. Dann war er plötzlich vorbei, der Himmel klarte auf, und der Horizont im Westen bekam feurige Streifen. An einem solchen Frühlingsabend, wenn ein kühler Wind geht und es ab und zu tröpfelt, fuhren Batist und ich gewöhnlich zu den Evangeline Downs nach Lafayette. Doch das Ölgeschäft in Louisiana war im Keller, unser Staat wies die höchste Arbeitslosigkeit und die teuersten Zinsen im ganzen Land auf, also hatte die Rennbahn dichtgemacht.
Zum Abendbrot kochte ich Langusten, und Alafair und ich aßen sie an unserem Rotholzpicknicktisch unter der Akazie im Hinterhof. In dieser Nacht träumte ich von einer Feuerblase, die unter dem grünen Wasser des Golfs loderte. Die See kochte und zischte, Geysire aus Dampf und dreckigem Qualm stiegen auf, und ein gigantischer blaugrüner Ölteppich erstreckte sich bis zum westlichen Horizont. Irgendwo tief da unten, zwischen verzogenen Spieren, Ölrohren, Kabeln und dem vollgelaufenen Wrack des Versorgungsschiffes lagen die Leichen meines Vaters und 19 weiterer Männer, die mit dem Bohrturm untergegangen waren, als der Bohrer auf Ölsand stieß und die Quelle in die Luft flog.
Der Pressesprecher der Firma sagte, sie hätten Sicherheitsvorkehrungen nicht für nötig befunden, weil man in dieser Tiefe und in diesem Teil des Golfs noch nie auf Ölsand gestoßen sei. Ich fragte mich, was wohl mein Vater in jenen letzten Augenblicken seines Lebens gedacht hatte. Nie hatte ich ihn furchtsam gesehen. Egal, wie schlimm ihm die äußeren Umstände zusetzten, die Treulosigkeit meiner Mutter, die Raufereien in den Bars und schließlich die Zeit, da er im Bezirksgefängnis eingesperrt war, stets hatte er für mich und meinen Bruder ein Grinsen und ein Augenzwinkern übrig und machte uns überzeugend weis, dass solche Missgeschicke nicht der Rede wert seien.
Was aber empfand er in jenen letzten Augenblicken, hoch oben auf dem Kran, in der Dunkelheit, als der Bohrturm zu schwanken und zu ächzen begann und er sah, wie die Ölmalocher auf der Arbeitsplattform Trossen und Ketten fallen ließen und vor dem hoch aufschießenden Sand, Salzwasser, Gas, Öl und den herumwirbelnden Rohrtrümmern flüchteten, die in Sekundenschnelle in einer grellorangen Stichflamme explodieren würden, in der Eisenstreben wie Lakritze zerschmolzen? Dachte er da an mich und meinen Bruder Jimmie?
Ich wette, das tat er. Sogar als er den Sicherungsgurt in die Führungsleine einhakte und hinab in die Finsternis sprang, sogar noch, als der Bohrturm ihn unter sich begrub und auf das Versorgungsschiff krachte, waren seine Gedanken bei uns, da gehe ich jede Wette ein.
Seine Leiche wurde nie gefunden, aber selbst heute noch, fast zweiundzwanzig Jahre später, besuchte er mich im Schlaf, und manchmal dachte ich, er spreche mich auch im Wachzustand an. In meinem Traum sah ich ihn aus der Brandung kommen, die grünen Wellen und die Gischt umspülten die Knie seines Overalls, und sein mächtiger Leib war von rostfarbenem Seegras umschlungen. Die wettergegerbte Haut wirkte dunkel wie bei einem Mulatten, die Zähne strahlten weiß, und die dichten Locken glänzten schwarz wie Indianerhaar. Den Schutzhelm hatte er schräg auf dem Kopf sitzen, und als er ein nasses Streichholz am Daumennagel anriss, einen Zigarrenstumpen in seinem Mundwinkel ansteckte und mich mit seinen von Lachfältchen umgebenen Augen ansah, traf ein einzelner Sonnenstrahl seinen Helm und ließ ihn aufblinken wie einen Heliografen. Ich konnte spüren, wie das Salzwasser um meine Beine schwappte, als ich ihm entgegenging.
Aber es war nur ein Traum. Mein Vater war tot. Meine Frau ebenfalls. Die falsche Morgendämmerung mit ihren Trugbildern und ihrer nebelumwaberten Weichheit kann ebenso unangemessen und flüchtig sein wie Morpheus’ Gaben.
2
In der ersten Aprilwoche wurden die Tage wärmer, und manchen Morgen war ich bereits bei Dämmerung draußen auf dem Salzwasser und warf das Schlagnetz im roten Licht des Sonnenaufgangs nach Krabben aus. Am Nachmittag half ich Batist im Köderladen, arbeitete dann an meinen Blumenbeeten und stutzte die purpurroten und gelben Kletterrosen, die ich an der Südseite des Hauses zog. Ich stemmte Gewichte und lief fünf Kilometer auf der unbefestigten Straße am Bayou. Um vier Uhr hörte ich gewöhnlich den Schulbus halten, hörte, wie Alafair ihre Brotzeitbüchse auf den Küchentisch knallte, den Kühlschrank öffnete; dann kam sie heraus auf den Hinterhof und schaute nach mir.
Manchmal fragte ich mich, ob sie vielleicht einfach nur von mir fasziniert war wie von einem seltsamen und interessanten Tier, das unerwartet ihren Lebensweg gekreuzt hatte. Ihre Mutter war ertrunken, während sie das Kind hoch in eine schwindende Lufttasche in einem abgestürzten und im Golf versunkenen Flugzeug hielt, das ein Priester aus El Salvador herausgeflogen hatte. Ihr Vater war entweder von Soldaten in den Bergen umgebracht worden oder in einem Militärgefängnis „verschwunden“. Durch Zufall und aufgrund der Umstände lebte sie nun bei mir in meiner schlichten Welt der Cajuns am Rande des Schwemmlandes von Louisiana.
Eines Nachmittags hatte ich den Picknicktisch hinaus in die Sonne gestellt und mich in Turnhosen darauf schlafen gelegt. Ich hörte, wie sie die Fliegendrahttür zuknallte, und als ich danach die Augen immer noch nicht aufschlug, machte sie sich einen Spaß daraus, mich mit einer Entenfeder, die sie am Teich aufgelesen hatte, an besonders empfindlichen Körperstellen zu kitzeln: der weiße Fleck in meinen Haaren, mein Schnurrbart, die wellenförmige Narbe von einer Tretfalle auf meinem Bauch. Dann spürte ich, wie sie über die dicken aufgeworfenen Wülste an meinem Oberschenkel strich, die wie unter der Haut vergrabene Pfeilspitzen aussahen, wo ich immer noch Granatsplitter mit mir herumtrug, die manchmal die Metalldetektoren auf Flugplätzen losschrillen ließen. Als ich auch hierauf keine Reaktion zeigte, hörte ich sie durchs Gras zur Wäscheleine laufen und Tripod von seiner Kette losbinden. Plötzlich saß er auf meiner Brust, seine Barthaare, die feuchte Nase und die von weißem Fell umrandeten Knopfaugen genau über meinem Gesicht. Alafairs Gekicher schallte durch die Akazien.
An diesem Abend schloss ich gerade den Fischköderladen und faltete die Sonnenschirme über den Tischen an der Anlegestelle zusammen, als ein Mann in einem neuen Plymouth, der wie ein Miet- oder Firmenwagen aussah, an meiner Bootsrampe parkte und an der Anlegestelle vorbei auf mich zukam. Seine aufrechte, beinahe grimmige Körperhaltung ließ ihn größer wirken, als er tatsächlich war. Wahrscheinlich maß er nicht mehr als einen Meter fünfundsechzig, doch sein Hals war stark und sehnig, die breiten Schultern hängend wie bei einem Gewichtheber, und seine Augenbrauen bildeten eine durchgehende dunkle Linie. Seine Muskeln schienen so eng miteinander verbunden, dass die Bewegung eines einzelnen gleich ein halbes Dutzend andere mitaktivierte, wie bei einem Spinngewebe, das an irgendeiner Stelle angestupst wird. Irgendwie erinnerte er mich an einen Stapel aufgeschichteter Ziegelsteine. Seine Hose hatte er weit über die Hüfte gezogen, der Kragen seines kurzärmeligen weißen Hemds blieb aufgeknöpft, die Krawatte gelockert. Statt zu lächeln, warf er einen raschen Blick auf meinen Laden und die leeren Tische, dann hielt er mir seine Dienstmarke entgegen.
„Mr. Robicheaux, ich bin Special Agent Dan Nygurski von der DEA“, sagte er, „Drogenfahndung. Es macht Ihnen doch nichts aus, sich kurz mit mir zu unterhalten?“
Der Akzent passte nicht zu seinem Namen und dem Auftreten. Es war der nasale Tonfall der Hillbillies aus den südlichen Bergregionen und klang wie Blech.
„Ich schließe gerade, wir sind praktisch schon auf dem Weg zu dem Langustenstand im Park.“
„Es wird nicht lange dauern. Ich habe mit dem Sheriff in New Iberia gesprochen, und er hat mir erzählt, dass Sie mir wahrscheinlich helfen können. Sie waren doch mal Deputy Sheriff in seinem Dienstbezirk?“
„Kurze Zeit.“
Sein Gesicht war vernarbt, die Züge grobschlächtig, die Augen an den Rändern leicht gerötet. Wenn er sprach, spannte er seltsam den Mund an, und seine Halsmuskeln zuckten, als hingen sie an einer Schnur.
„Zuvor waren Sie doch lange bei der Polizei in New Orleans? Lieutenant bei der Mordkommission, stimmt’s?“
„Richtig.“
„Respekt“, sagte er und blickte durch die Zweige der Zypressen auf die rot untergehende Sonne und die leeren Boote, die an der Anlegestelle vertäut waren.
Eine Erfahrung hatte ich mit allen möglichen Bundesagenten gemacht: Sie reden gern um den heißen Brei herum.
„Können Sie mir ein Boot vermieten? Oder selbst mit mir rausfahren und mir ein paar Kanäle zeigen, die in die Vermilion Bay führen?“, fragte er. Sein schütter werdendes Haar war kurz geschoren wie bei einem GI, und er fuhr sich mit den Fingern hindurch, riss die Augen auf und sah sich wieder um.
„Morgen früh kann ich Ihnen ein Boot vermieten, aber rausfahren müssen Sie schon allein. Womit kann ich Ihnen denn behilflich sein, Mr. Nygurski?“
„Ich bin da an so ’ner Sache dran.“ Wieder spannten sich seine Kiefermuskeln. „Und ich habe gehört, dass Typen da unten in der Vermilion Bay ballenweise Stoff ausladen. Da möchte ich mich bei Gelegenheit mal mit der Gegend vertraut machen.“
„Stammen Sie aus New Orleans?“
„Nein, nein, ich bin zum ersten Mal hier unten. Die Gegend gefällt mir. Ich muss unbedingt die Langusten probieren, solange ich hier bin.“
„Warten Sie mal. Ich kann Ihnen nicht ganz folgen. Sie interessieren sich für irgendwelche Drogenschmuggler, die in der Vermilion Bay aktiv sind, aber Sie kommen von ganz woanders her?“
„Ist nur ’ne vage Vermutung. Wäre möglich, dass es sich um dieselben Typen handelt, hinter denen ich vor ein paar Jahren in Florida her war. Zwei Liebespärchen kamen ihnen zufällig in die Quere, als sie eines Nachts draußen vor Fort Myers ein Rennboot entluden. Die Typen haben alle vier umgelegt, die beiden Mädchen waren erst 19. Ist jetzt aber nicht mehr mein Fall.“
Der näselnde Ton seiner hohen Stimme passte weder zu dieser Geschichte noch zum Erscheinungsbild des kleinen, untersetzten Mannes, der, wie ich jetzt bemerkte, ziemlich wacklig auf den Beinen stand und sich fast seitlich wie im Krebsgang vorwärts bewegte.
„Dann kommen Sie also aus Florida?“
„Nein, nein, Sie verstehen mich völlig falsch. Ich komme aus Great Falls, Montana, und eigentlich wollte ich Sie nach jemand anderem fragen, nach …“
Ich schüttelte den Kopf.
„… Dixie Lee Pugh“, ergänzte ich.
Wir gingen die Anlegestelle hinauf, überquerten die unbefestigte Straße und kamen durch die Schattenwand der Pecanbäume auf meinen Hof. Auf die Frage, wie er mich mit Dixie Lee in Verbindung gebracht habe, erklärte er mir, dass einer seiner Leute an jenem Morgen, als ich mit Dixie in dem Café außerhalb von Baton Rouge saß, meine Autonummer aufgeschrieben hatte. Außerdem, so nahm ich an, hatten die Drogenfahnder wohl das Telefon seines Motelzimmers angezapft. Ich ging ins Haus und holte zwei eisgekühlte Büchsen Dr Pepper, mit denen wir uns auf die Verandatreppe setzten. Durch die Stämme der Pecanbäume konnte man sehen, wie die Schatten auf dem Bayou allmählich länger wurden.
„Ihre Untersuchung in allen Ehren, Mr. Nygurski, aber ich glaube nicht, dass er ein Großdealer ist. Schießen Sie da nicht mit Kanonen auf Spatzen?“
„Warum?“
„Weil er ein Mensch mit einem Gewissen ist. Mag sein, dass er Drogen nimmt, aber das heißt noch nicht, dass er damit handelt.“
„Würden Sie mir verraten, warum er zu Ihnen rausgefahren ist?“
„Er steckt in Schwierigkeiten. Aber mit Drogen hat das nichts zu tun, und die Einzelheiten müssen Sie sich schon von ihm selbst erzählen lassen.“
„Hat er Ihnen gesagt, dass er in Huntsville mit Sal der Ente in einer Zelle gesessen hat?“
„Mit wem?“
„Sal die Ente. Auch bekannt als Sally Dio oder Sally Dee. Finden Sie das komisch?“
„Tut mir leid“, sagte ich. Ich wischte mir mit dem Handrücken über den Mund. „Aber haben Sie erwartet, dass mich das beeindruckt?“
„Die meisten Leute bestimmt. Seine Familie kontrollierte früher Galveston. Spielautomaten, Nutten, das Glücksspiel draußen vor der Küste, Rauschgift, was Sie nur wollen. Dann zogen sie nach Vegas und Tahoe weiter, und vor zwei Jahren sind sie dann in Montana aufgetaucht. Sal stattete seiner Verwandtschaft in Galveston einen Höflichkeitsbesuch ab und wurde mit geklauten Kreditkarten geschnappt. Ich habe gehört, dass es ihm in Huntsville überhaupt nicht gefallen hat.“
„Da würd ich drauf wetten, dort geht’s schlimmer zu als in Angola.“
„Aber den einen oder anderen Schein hat er immer noch gemacht. Er hat den ganzen Knast mit Drogen versorgt, und ich glaube, er hat Pugh an dem Geschäft beteiligt.“
„Tja, das ist Ihre Meinung. Ich halte Dixie im Grunde für einen Alkoholiker und kranken Mann.“
Nygurski zog eine ausgeschnittene Zeitungsmeldung aus seiner Hemdtasche und drückte sie mir in die Hand.
„Lesen Sie mal“, sagte er. „Ich glaube, die Reporter haben sich drüber amüsiert.“
Die Überschrift lautete: NEUGIER WURDE BÄR ZUM VERHÄNGNIS. Die Meldung stammte aus Polson, Montana, und der erste Absatz schilderte, wie ein Seesack mit vierzig Päckchen Kokain per Fallschirm über einem unzugänglichen Waldgebiet östlich von Flathead Lake abgeworfen worden war und von einem Schwarzbären gefunden wurde, der Pulver und Verpackungsmaterial über den ganzen Bergrücken verteilte, bevor ihn eine Überdosis dahinraffte.
„Dieser Fallschirm ging über einem Staatsforst nieder, und jetzt raten Sie mal, wer gleich nebenan ein Jagdrevier gepachtet hat?“
„Keine Ahnung.“
„Sally Dio und sein alter Herr. Und wer, glauben Sie, hat ihnen den Pachtvertrag vermittelt?“
„Dixie Lee.“
„Der ja vielleicht nur ein armer, kranker Kerl ist.“
Ich schaute weg, auf das weiche Licht des Bayou. Aus dem Augenwinkel konnte ich sehen, wie er die Limonadendose mit der Hand zerdrückte.
„Sagen Sie schon, was Sie denken.“
„Ich denke, dass Sie übers Ziel hinausschießen.“
„Da haben Sie recht. Ich mag diese Drecksäcke nicht …“
„Die mag keiner. Aber ich bin raus aus dem Geschäft. Sie kämpfen da gegen Windmühlenflügel an, und bei mir sind Sie obendrein an der falschen Adresse.“
„Bären umzubringen halte ich auch nicht für witzig. Ich werde nicht zusehen, wie diese Typen mit ihrem Dreckszeug und ihrer Raffgier diesen schönen Landstrich da oben verpesten. Ihr Freund Pugh steht bis Oberkante Unterlippe in einem See aus Scheiße, und gleich kommt ein Motorboot ganz dicht an ihm vorbeigefahren.“
„Dann sagen Sie’s ihm doch.“ Ich schaute auf die Uhr. Eine leichte Brise raschelte in den Blättern der Pecanbäume.
„Mach ich auch, das können Sie mir glauben. Im Moment muss ich mich aber leider an meine Anweisungen von oben halten. In drei Tagen fahre ich zurück nach Great Falls.“ Er schüttete den letzten Rest aus der Dose, zerquetschte sie an seinem Handballen und setzte sie behutsam auf der Verandatreppe ab. Dann stand er auf und reichte mir seine Karte.
„Die Nummer meines Motels in Lafayette steht auf der Rückseite. Falls Sie später Ihre Überlegungen mit mir teilen möchten, können Sie sich per R-Gespräch in Montana melden.“
„Ich habe nichts, das wert wäre, geteilt zu werden.“
„Hört sich ja richtig deprimierend an.“ Um seinen Mund zuckte es wieder so komisch. „Sagen Sie mal, finden Sie, dass an meinem Gesicht irgendwas seltsam ist?“
„Nein, würde ich nicht sagen.“
„Kommen Sie, ich bin nicht empfindlich.“
„Ich wollte Sie nicht kränken“, sagte ich.
„Junge, sind Sie vorsichtig. Eine Frau hat mal gefragt, ob mein Gesicht in ’nen Steinschlag geraten wäre. Ich glaube, es war meine eigene. Sehen Sie sich vor, bei diesem Dixie Pugh, Robicheaux. Der wird Ihnen noch ’ne Schüssel voll Rattenscheiße andrehen und behaupten, es wär Schokoladenpudding.“
„Ich habe eben meine Meinung geändert. Ich werde Sie doch an einer Überlegung teilhaben lassen, Mr. Nygurski. Sie sind nicht den ganzen Weg hier runtergekommen, um sich hinter jemand wie Dixie Lee zu klemmen. Wie Sie’s auch hinstellen, er ist keiner, der in der Oberliga spielt.“
„Kann sein, muss aber nicht.“
„Was ist wirklich bei Ihnen da oben los?“
„Genau dasselbe wie im ganzen Land, bloß läuft’s noch zügiger ab. Man kommt sich schon vor wie im Zoo. Sämtliche großen Tiere versammeln sich um den Futtertrog und versuchen, den Rüssel reinzuhängen. Treiben Sie nur weiter Ihre Spielchen mit diesem Altrocker, und Sie werden noch ein paar andere von denen kennenlernen.“
Als er zwischen den Bäumen davonging, knirschten abgefallene Blätter und Nussschalen unter seinen Schritten.
In dieser Nacht stand der Mond tief am schwarzen Himmel, und im Süden zuckten verästelte Blitze über den Horizont. Um vier Uhr morgens weckten mich dumpfes Donnergrollen und tanzende Lichtmuster auf der Wand des Zimmers. In meiner Brust vibrierte eine Stimmgabel, wofür ich keine Erklärung fand, und obwohl ein kühler Wind durchs Fenster hereinkam, fühlte sich meine Haut heiß und trocken an. Ich bildete mir ein, Geräusche zu hören: ein Auto, dessen Motor gerade ausgeschaltet wurde, die Schritte zweier Männer, die zwischen den Bäumen näher kamen, das Quietschen einer Diele auf der Veranda, das leise Kratzen eines Brecheisens an der Vordertür. Es waren Geräusche, die aus dem Reich der Toten herüberkamen, denn den einen Mann hatte der Schlag in der Bade wanne getroffen, als ihm sein Radio in den Schoß fiel, den anderen hatten in einer Mansarde an der St. Charles fünf Hohlspitzgeschosse umgebracht, die ich aus meiner .45er durch den Fußboden in seinen Körper jagte.
Aber Angst ist eine irrationale Gefühlsregung, die wie ein Heliumballon, den man mit den Fingerspitzen wegstößt, von Gegenstand zu Gegenstand treibt. Ich öffnete die Kommodenschublade, holte die .45er unter meinen Arbeitshemden hervor, schob einen Ladestreifen ins Magazin und streckte mich in der Dunkelheit wieder auf dem Bett aus. Der Lauf brannte auf meinem Oberschenkel. Ich legte einen Arm über die Augen und versuchte wieder einzuschlafen. Es nützte nichts.
Ich zog meine Khakihose und Sandalen an und ging zwischen den dunklen Stämmen der Pecanbäume auf den Hof vor dem Haus, überquerte die Straße und schlenderte an der Anlegestelle vorbei zum Fischköderladen hinunter. Der Mond kam hinter einer Wolke hervor, überzog die Weiden mit silbernem Licht und illuminierte den schwarzen Umriss einer Biberratte, die durch den Bayou schwamm und auf das Riedgras zuhielt. Was tat ich hier? Ich redete mir ein, dass ich den Tag so früh wie möglich beginnen wollte. Ja, das musste der Grund sein.
Ich öffnete das Kühlfach, in dem Softdrinks, Jax, Dixie und Pearl in schmalhalsigen Bierflaschen standen. Das gestern nachgefüllte Eis war geschmolzen, Bieretiketten trieben im Wasser. Ich stützte mich mit den Armen auf das Kühlfach und schloss die Augen. Irgendwo im Sumpfland rief eine Biberratte nach einem Gefährten, was immer so klingt, als bekomme eine Frau einen hysterischen Anfall. Ich tauchte die Hände ins Wasser, wusch mir das Gesicht und stieß die Luft aus, als mich der Kälteschock traf. Ich trocknete mein Gesicht mit einem Handtuch ab und warf es über den Ladentisch auf die Ablage.
Wieder im Haus, setzte ich mich in der dunklen Küche an den Tisch und legte den Kopf auf die Unterarme.
Annie, Annie.
Ich hörte nackte Füße hinter mir über den Linoleumboden schlurfen. Ich hob den Kopf und erblickte Alafair, die in einem Schlafanzug, der mit grinsenden Uhren bedruckt war, im Mondlicht stand. Ihr Gesicht war von Schlaf und Verwirrung gezeichnet. Sie blinzelte mich an, als sei sie noch nicht ganz aus einem Traum zurück, kam dann zu mir, legte ihre Arme um meinen Hals und drückte den Kopf an meine Brust. Ich roch das Babyshampoo in ihrem Haar. Mit einer Hand berührte sie meine Augen.
„Warum is dein Gesicht nass, Dave?“
„Ich hab’s gerade gewaschen, kleines Kerlchen.“
„Oho.“ Und dann: „Was nich in Ordnung?“
„Es heißt nicht ‚nich‘. Sag nicht ‚nich‘.“
Sie gab keine Antwort. Sie umarmte mich nur noch fester. Ich streichelte über ihr Haar und gab ihr einen Kuss, dann hob ich sie hoch und trug sie zurück in ihr Schlafzimmer. Ich legte sie aufs Bett und deckte sie mit dem Laken zu. Ihre Stofftiere lagen auf dem Boden verstreut. Draußen wurde es langsam hell, und ich hörte Tripod im Hof umhertollen. Von ihrem Kissen schaute sie zu mir hoch. Ihr Gesicht wirkte noch runder als sonst, und ich sah die Lücken zwischen ihren Zähnen.
„Dave, kommen die bösen Männer zurück?“
„Nein. Sie werden nie mehr zurückkommen. Das verspreche ich dir.“
Ich drehte den Kopf zur Seite, damit sie meine Augen nicht sah.
Eine Woche später fuhr ich mit Alafair zum Frühstücken nach New Iberia, und als ich gerade eine liegen gebliebene Ausgabe des Daily Iberian durchblättern wollte, sprang mir Dixie Lees Konterfei von der ersten Seite entgegen. Es war ein uraltes Archivbild, das ihn in seiner alten Bühnenkluft zeigte: protzige Lederschuhe, die Hose mit rasiermesserscharfer Bügelfalte, ein mit Stickereien verziertes weißes Sportsakko und um den Hals die sturmerprobte Gitarre.
Er hatte sich schwere Brandverletzungen zugezogen, als draußen in einem Angelcamp im Henderson-Sumpf ein Feuer ausgebrochen war. Eine zweiundzwanzigjährige Kellnerin, in der Meldung als seine „weibliche Begleiterin“ bezeichnet, war in den Flammen umgekommen. Man hatte Dixie Lee gerade noch rechtzeitig aus dem Wasser gezogen, nachdem seine Holzhütte, die auf Pflöcken stand, in einer Stichflamme in die Luft geflogen und in den Bayou gekracht war. In kritischem Zustand lag er jetzt im Krankenhaus Our Lady of Lourdes in Lafayette.
Außerdem war ein Haftbefehl auf ihn beantragt. Der Bezirkssheriff von St. Martin hatte eine Zahnseideschachtel voller Kokain unter dem Vordersitz seines Cadillac gefunden.
Ich nahm mir vor, mich nicht in seine Schwierigkeiten hineinziehen zu lassen. Nimm Drogen, und du bist auf der Verliererseite. Eine harte Lektion, aber wer sich mit Süchtigen oder Säufern einlässt, wird schnell zum Akteur in einem Spiel, in dem für ihn dieselben Regeln gelten wie für sie.
Am Nachmittag bastelte ich mit Alafair zwei Futternäpfe aus Kaffeebüchsen, die wir für die Vögel in den Akazienbäumen im Hinterhof befestigten, und dann banden wir Tripod an den Pecanbäumen an, damit er nicht an Clarises Wäsche herankam. Wir schleppten seine Hundehütte unter einen Baum, bauten sie auf Ziegelsteine, damit sie trocken blieb und kein Schlamm hineinkam, und stellten ihm seine Fressschüssel und die Wasserschale vor die Tür. Alafair strahlte jedesmal vor Begeisterung, wenn Tripod vor dem Fressen sein Futter wusch und sich hinterher Schnauze und Pfoten säuberte.
Zum Abendessen machte ich uns étouffée, und wir hatten gerade am Picknicktisch im Hinterhof zu essen begonnen, als das Telefon in der Küche klingelte. Es war eine Nonne, die im Lourdes arbeitete, wo Dixie Lee lag. Sie sagte, er wolle mich sehen.
„Ich kann nicht kommen, Schwester. Tut mir leid“, sagte ich.
„Ist das alles, was ich ihm ausrichten soll?“, antwortete sie nach einer kurzen Pause.
„Er braucht einen Rechtsanwalt. In Lafayette und St. Martinville gibt’s mehrere, die ich empfehlen kann.“
Wieder schwieg sie einen Augenblick. Das müssen sie ihnen in der Klosterschule beibringen, dachte ich. Es ist eine Art elektrisierendes Schweigen, bei dem man meint, aus dem Universum zu rutschen.
„Ich habe nicht den Eindruck, dass er viele Freunde hat, Mr. Robicheaux“, sagte sie schließlich. „Kein Mensch war hier, um ihn zu besuchen. Außerdem hat er nach Ihnen gefragt und nicht nach einem Rechtsanwalt.“
„Tut mir leid.“
„Um ehrlich zu sein, mir auch“, sagte sie und legte auf.
Ich spülte gerade mit Alafair Geschirr, und draußen vor dem Fenster wurden die gepflügten und abgeernteten Zuckerrohrfelder im Dämmerlicht dunkler, als das Telefon erneut klingelte.
Seine Stimme klang belegt und benommen, nur ein Flüstern drang aus dem Hörer.
„Ich muss dich unbedingt sehen, alter Junge. Die haben mich in Mull gepackt, mit Schmerztötern vollgepumpt, und ein Klistier steckt in meinem Hinterausgang.“ Er hielt inne und atmete angestrengt durch die Leitung. „Könnte’s wirklich brauchen, dass du mir zuhörst.“
„Was du brauchen könntest, Dixie, ist der Beistand eines Anwalts. Ich bin dir keine Hilfe.“
„Ich hab ’n Anwalt, ’n ganzen Sack voll könnte ich mir von der Sorte leisten, und es würde auch nix nützen. Die schicken mich wieder in den Knast, Junge.“
Ich sah, wie meine Hand die Anrichte umklammerte.
„Ich sag dir das ungern, Kumpel, aber das Zeug war in deinem Besitz“, sagte ich. „Das steht nun mal fest, und damit musst du fertig werden.“
„Es ist eine Lüge, Dave.“ Ich hörte, wie er gegen den Speichel ankämpfte. „Ich nehm das Pulver nicht mehr. Damit hab ich mir schon damals mein Leben versaut. Ab und zu ’n bisschen Gras, das ist alles.“
Ich zupfte an meiner Augenbraue.
„Dixie, ich weiß beim besten Willen nicht, was ich für dich tun könnte.“
„Komm her. Hör mir fünf Minuten zu. Ich hab sonst niemand.“
Ich starrte durch das Fliegengitter auf den Rasen, die Schatten, das Huschen der Nachtvögel vor dem roten Himmel.