Mississippi Jam - James lee Burke - E-Book

Mississippi Jam E-Book

James Lee Burke

4,6

Beschreibung

Vor der Küste Louisianas sinkt ein U-Boot der Nazis. Jahrzehnte später erhält Dave Robicheaux von Hippo Bimstine den Auftrag, die Lage des Schiffes auf dem Meeresgrund zu lokalisieren. Der Geschäftsmann will das U-Boot bergen und daraus ein Casino als Touristenattraktion machen. Dave verspürt wenig Lust auf den Job, aber er braucht das Geld, um seinem Freund Batist zu helfen, der wegen Mordverdachts verhaftet wurde. Doch Bimstine ist nicht der Einzige, der sich für das U-Boot interessiert. Ein Mann namens Buchalter will es um jeden Preis. Schnell muss Robicheaux erkennen, dass dieser nicht nur ein übler Rassist, sondern auch ein gefährlicher Psychopath ist, der vor nichts zurückschreckt. Auch nicht davor, Daves Familie zu terrorisieren. Ihr Leben gerät völlig aus den Fugen.

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James Lee Burke • Mississippi Jam

Für Porteus und Alice Burke

JAMES LEE BURKE

Mississippi Jam

Aus dem Amerikanischen von Jürgen Bürger

Die amerikanische Originalausgabe erschien unter dem Titel „Dixie City Jam“ bei Orion, London.

Pendragon Verlag

gegründet 1981

www.pendragon.de

1. Auflage

Deutsche Erstausgabe

Veröffentlicht im Pendragon Verlag

Günther Butkus, Bielefeld 2016

© by James Lee Burke 1994

© für die deutsche Übersetzung

by Pendragon Verlag Bielefeld 2016

Alle Rechte vorbehalten

Lektorat: Eva Weigl

Umschlag und Herstellung: Uta Zeißler, Bielefeld

Umschlagfoto: mauritius images / alamy

Satz: Pendragon Verlag auf Macintosh

Gesetzt aus der Adobe Garamond

eBook-ISBN 978-3-86532-535-8

eBook-Herstellung und Auslieferung: readbox publishing, Dortmundwww.readbox.net

1

Kaum zu glauben, aber in den ersten Monaten des Jahres 1942 lauerten an der Mündung des Mississippi Nazi-U-Boote auf Tanker, die ohne Geleitschutz von den Erdölraffinerien bei Baton Rouge auf dem Weg in den Golf von Mexiko waren.

Es war die reinste Schießbude. Aufgrund der Informationssperre brachten weder die Tagespresse noch das Radio Berichte über die vor der Küste Louisianas versenkten amerikanischen Schiffe. Direkt nach Sonnenuntergang konnten die Leute tief unten am Winterhimmel das Flackern des brennenden Öls sehen – ein sich schnell ausbreitender orangefarbener Schmierfleck.

Als kleiner Junge in New Iberia bekam ich mit, wie Krabbenfischer über die völlig verkohlten, mit einem Ölfilm überzogenen Leichen von vier Matrosen redeten, die man in einer Insel aus Seetang treibend gefunden hatte, ihre blinden Augen und aufgedunsenen Gesichter mit Quallen besetzt.

Viele Jahre verfolgten mich Albträume von Nazis, die ich mir als glotzäugige Kreaturen mit verhärmten Gesichtern vorstellte, die nicht weit von meinem Zuhause irgendwo unter den Wellen lebten und der Welt schließlich einen teuflischen Stempel aufdrücken würden.

Bei einem Tauchgang während meiner College-Zeit, es war ein ruhiger, windstiller Tag, fand ich durch Zufall eines dieser U-Boote in etwa zwanzig Metern Tiefe. Es lag mit Schlagseite auf dem Kiel, Reling und vorderes Deckgeschütz waren grau und sahen wegen des Tangs ein wenig unwirklich aus, während am Heck Luftbläschen in einer feinen Linie aufstiegen.

Mein Herzschlag geriet kurz ins Stolpern, die Blutgefäße in meinem Kopf verengten sich, aber ich wollte mich nicht von den Ängsten meiner Kindheit übermannen lassen und schwamm daher zu den verbogenen Überresten des Periskops hinunter, bis ich schließlich das Hakenkreuz und die Schiffsnummer auf der Seite des Kommandoturms sehen konnte.

Ich zog das Bowiemesser aus dem Holster an meiner Hüfte und klopfte, wie der archaische Krieger, der den Leichnam eines getöteten Feindes berühren musste, mit dem Heft des Messers gegen den Rand des Kommandoturms.

Und dann geschah eines der seltsamsten Ereignisse meines ganzen Lebens.

Ich spürte im Wasser eine betäubende Kälte, wo zuvor nichts gewesen war, und dann erklang ein Geräusch, eine Vibration, wie ein reißendes Drahtseil, über die gesamte Länge des U-Boots. Der Kommandoturm begann, sich scheinbar von allein in der Strömung aufzurichten, die Metallplatten des Rumpfs schrammten über den Sand, und Schlickwolken und zuvor eingeschlossenes Öl lösten sich unter dem Kiel und stiegen auf. Entsetzt beobachtete ich, wie das U-Boot dicht über dem Meeresboden zu schweben schien, während Algenschleier wie zerfetzte Kriegsflaggen am Turm nach hinten fächelten, dann neigte sich der Bug abwärts in die Dunkelheit und glitt über den Rand des Festlandsockels, und mein Bowiemesser fiel auf das sich anhebende Heck, während Sandtigerhaie wie Elritzen im aufgewirbelten Wasser hinter den Schrauben des Boots trudelten.

Später erfuhr ich, dass dieses U-Boot kein Geheimnis umgab. Es war entdeckt worden, als es an der Oberfläche seine Batterien auflud, wurde von einem Zerstörer der US-Navy beschossen und dann mit Wasserbomben aus dem Meer geholt, die Hülle aufgebrochen; seit damals war es auf dem Grund des Golfs entlang der Küste Louisianas von der Strömung immer in Bewegung gehalten worden.

In manch dunklen Momenten aber dachte ich an die Schiffsbesatzung, die in einem Inferno aus kreischenden Sirenen und schrillen Pfiffen untergegangen war, überwältigt von reißenden Wasserströmen, die durch die aufgerissenen Rumpfplatten barsten oder den Schiffsturm hinabschossen, den niemand mehr rechtzeitig hatte schließen können. Hatten sie sich gegenseitig von den Leitern gerissen? Waren sie bereit, sich gegenseitig zu verstümmeln oder zu töten, nur um noch ein paar Sekunden länger atmen zu können? Bereuten sie, bereitwillig den Plan aufgegriffen zu haben, der auf der ganzen Welt das Licht verlöschen lassen würde?

Oder befanden sie sich unter den Wellen immer noch auf großer Fahrt, die Haut konserviert im Salz, ihre Uniformen Nester von Muränen, und auf ewig den Plan verfolgend, die Welt in einen Ort voller Stacheldraht und Wachtürme zu verwandeln, so sicher wie das phosphoreszierende, wallende Kielwasser eines auf ein Schiff zurasenden Torpedos, das sich in der Ferne vor einem Herbstmond als Silhouette abzeichnete?

* * *

Es war ein merkwürdiger Tag auf dem Meer gewesen. Der Wind kam heiß und trocken aus Süden, und in der Dünung waren die glänzenden Rücken von Stachelrochen und die bläulich-rosafarbenen Luftsäcke von Quallen zu sehen, was bedeutete, dass sie wahrscheinlich von einem Sturm landeinwärts Richtung Küste getrieben wurden. Dann fiel das Barometer, der Wind legte sich schlagartig, und die Sonne sah aus wie eine weiße Flamme, die im stillen Wasser gefangen war.

Es regnete nur gerade mal fünf Minuten, große, fette Tropfen, die wie Bleischrot aufs Wasser schlugen, dann war der Himmel auch schon wieder klar und heiß, und Schweiß und kondensierte Luftfeuchtigkeit perlten über die Haut wie Schlangen. Ich sah, dass sich der Sturm offenbar weit im Süden festsetzte. Graue Wolken hingen tief verankert über dem Horizont, und genau dort, wo sie das Wasser berührten, war eine weiße Linie von Gischt zu sehen, und von Zeit zu Zeit zitterte ein Blitz wie ein silberner Faden im Inneren der Wolken.

Während Batist, der Schwarze, der bei mir arbeitete, die Leinen für den Kreuzwels auslegte, streifte ich meine Pressluftflaschen über, zog Flossen und Maske an und ließ mich seitlich von der Bordkante ins Meer gleiten, folgte dem Ankerseil hinunter durch den schimmernd grünen Lichtkegel bis zu einer Wasserschicht, die unvermittelt kalt war, ständig in Bewegung und grau vor aufgewirbeltem Schlick, in dem sich gelbe Seegrashalme drehten und wo es womöglich nur so wimmelte von Sandtigerhaien, die mit einer solchen Energie und Wucht an einem vorbeizischen konnten, dass man meinte, von einer unsichtbaren Hand geschlagen worden zu sein.

Das Ankertau war straff gespannt und fühlte sich hart an, als ich es berührte. Über mir konnte ich vor dem hellen Licht vage die Konturen des Rumpfs meines schwankenden Boots ausmachen, dessen Bug sich gegen den Zug des Ankers im Wellengang neigte. Ich blies meine Maske frei und tauchte das Tau entlang weitere drei Meter, in einen Trichter der Finsternis, des wirbelnden Schlicks, schwarz vor Öl, hinab in eine Geräuschkulisse, die es hier nicht hätte geben dürfen – Metall auf Metall schlagend, wie ein Hammer auf einen Amboss, Stahlplatten, die über festgebackenen Sand schrammten, Drahtseile vielleicht, die von der Strömung angehoben wurden und sich dann auf verbogene Segelstangen senkten.

Ich gab auf und schwamm Richtung Oberfläche, stieg wieder auf in von Sonnenstrahlen durchzogene Wasserschichten, zurück in die berechenbare Welt von Wind und salziger Gischt, die gegen die Maske fegte, von über mir dahingleitenden Möwen und Pelikanen, von Batist, der sich mit beiden Händen gegen einen Stachelrochen stemmte, dem der Haken nicht ins Maul, sondern in den Bauch eingedrungen war.

Ich legte die Sauerstoffflaschen ab und rubbelte Kopf und Gesicht mit einem Handtuch ab. Batist stand mit nacktem Oberkörper da, definierte Muskeln zeichneten sich auf seinem Rücken ab, und sein kugelförmiger Kopf glänzte vor Schweiß, während er das Gaff in den Rochen stieß und ihn über den Rand des Bootes hob. Er hatte das Gaff durch den ledrigen Flügel des Rochens gebohrt. Batist drehte den Fisch auf den Rücken, schüttelte den Haken frei, ging auf ein Knie und schnitt den Dreifachhaken aus seinem Bauch. Er wischte das Blut vom Messer, betrachtete die verbogenen Zacken seines Hakens und warf den Rochen mit beiden Händen über Bord.

„Wie weit unten warst du, Dave?“, fragte er.

„Etwa zehn, fünfzehn Meter.“

„Nicht klug. Da unten liegt ’ne Menge Müll rum. Ja, sogar Bäume sind da, wusstest du das? Die treiben den ganzen weiten Weg den Miss’sippi runter. Manche so groß wie dein Haus.“

„Ja, wahrscheinlich hast du recht.“

„Und?“ Batist stopfte sich eine Zigarre in den Mundwinkel.

„Und was?“

„Hast du das U-Boot da unten gefunden?“

„Ich hab so ein metallisches Scheppern gehört, aber ich könnte dir nicht sagen, was das war. Das Wasser da unten ist viel zu trüb, um irgendwas zu erkennen.“

„Vielleicht ist’s ja auch nur ’ne havarierte Bohrinsel. Schon mal an so was gedacht? Vielleicht bleibst du da unten irgendwo hängen, Dave, verlierst dein Leben, und alles nur, weil dieser Hippo dir mit zehntausend Dollar vor der Nase rumgewedelt hat. Wenn er so scharf ist auf das U-Boot, soll der doch seinen fetten Arsch hier rausbewegen und selbst danach suchen.“

„Okay, Batist.“

„Bringt nichts, als reicher Kerl auf’m Friedhof zu liegen, gar nichts bringt das.“

„Ja, ich hab’s kapiert. Und ich weiß das zu schätzen.“

„Du hast mich nach meiner Meinung gefragt.“

„Was hältst du davon, wenn wir jetzt ein paar Fische fangen?“

„Versuch ich ja längst. Nur dass irgendwer unter meiner Leine rumgeschwommen ist.“

Hippo Bimstine war eine große Nummer bei den Demokraten in unserem Bundesstaat, und ihm gehörte wahrscheinlich die Hälfte aller Drugstores in New Orleans. Seine Leibesfülle war gigantisch, seine mit Ringen geschmückten fetten Finger und die gelb-schwarz karierten Sakkos waren legendär. Jeden Tag konnte man ihn im Pearl an der St. Charles Avenue sehen, wo er zwischen fünf bis acht Dutzend Austern vertilgte und mit reichlich Bier runterspülte, sein Stiernacken mit Talkum gepudert, eine lila Rose am Revers, die Schwabbelbacken stets frisch rasiert und in einem gesunden Rosa leuchtend, und wenn er lächelte, kniff er seine Augen fast ganz zusammen. Vor einigen Jahren hatte ich ihm von dem deutschen U-Boot-Wrack erzählt, das ich während meiner College-Zeit entdeckt hatte. Letzte Woche hatte ein Freund von Hippo, ein Charter-Skipper aus Cocodrie, ihm erzählt, sein Echolot hätte direkt südlich von Grand Isle ein riesiges Metallobjekt geortet. Hippo erinnerte sich an meine Geschichte von dem gesunkenen U-Boot, rief mich in New Iberia an und sagte, er würde zehntausend Dollar Finderlohn zahlen, wenn ich das U-Boot orten und er es anschließend bergen könnte.

„Was willst du denn mit einem alten U-Boot aus dem Zweiten Weltkrieg, Hippo?“, fragte ich.

„Machst du Witze? Hast du schon mal diesen Typen im Fernsehen gesehen, diesen Geraldo? Der hat Millionen von Menschen dabei zusehen lassen, wie er sich durch eine Kellerwand unter einem Hotel in Chicago gegraben hat, in dem Al Capone lebte. Der hat’s geschafft, dass alle überzeugt waren, in diesem unterirdischen Gewölbe befänden sich ein Auto, Leichen, Goldbarren, Maschinengewehre, alle mögliche Scheiße. Die Show zog sich über drei Stunden. Das war so grottenlangweilig, man musste sich immer wieder mal ’ne Ohrfeige verpassen, um nicht einzuschlafen. Und weißt du, was er gefunden hat? Einen großen Haufen nassen Sand und ein paar alte Flaschen. Außerdem hätte er um ein Haar ein richtig fettes Loch in die Rückhaltemauer geschlagen, die verhindert, dass der Lake Michigan ganz Chicago flutet. Weißt du, was ich mit einem U-Boot voller abgesoffener Nazis machen könnte? Lass mal deine Fantasie spielen, Dave!“

Aber ich war raus. Was schon okay war. Hippos Projekte waren für gewöhnlich so grandios und theatralisch wie sein genusssüchtiger Verzehr von Fisch und Meeresfrüchten im Pearl, und wenn man sich sehr lange mit ihm einließ, dämmerte einem allmählich, dass man in diesem Leben dann wohl doch nicht sonderlich erfolgreich die Rolle des Hofnarren gemieden hatte.

Batist und ich fingen über ein Dutzend Welse und nahmen sie aus, rissen die Stacheln raus, zogen die Haut mit Zangen ab, filetierten das Fleisch in lange, rosa Streifen und legten diese ordentlich nebeneinander auf das zerstoßene Eis in der Kühlbox. Dann aßen wir Po’boy-Sandwiches, die wir an diesem Morgen aus gebratenen Austern, Mayonnaise, Sauce piquant, Tomatenscheiben und Zwiebeln zubereitet und dann in Wachspapier gewickelt hatten. Als es nachmittags allmählich abkühlte, und der Wind auf Westen drehte, nach noch fernem Regen roch, nach Saiblingslaich, an Land geschwemmten Krustentieren und Seetangfäden, die dort trockneten, wo sich bei Ebbe das Meer vom Sand zurückgezogen hatte, nahmen wir wieder Kurs auf die Küste.

Als die fast untergegangene rote Sonne am Horizont scheinbar in sich zusammenfiel und zu einem einzelnen Stück Glut verschmolz, konnte man beobachten, wie der Neonschein von New Orleans nach und nach das Tageslicht verdrängte und sich über den dunkel werdenden Himmel ausbreitete. Die Wolken hingen schwarz-grün tief über der Stadt, waren durchzogen von tanzenden Blitzadern, aufgewühlt von Barataria bis ganz hinaus zum Lake Pontchartrain, und man wusste, dass schon sehr bald der Regen wie aus Eimern durch die Straßen fegen, auf die Palmen an den Promenaden eindreschen, die Rinnsteine im Quarter überlaufen lassen und den Tunnel aus Eichen an der St. Charles mit einem grauen Nebel füllen würde, durch den sich die alten eisernen, grün gestrichenen Straßenbahnwagen auf den Gleisen vorarbeiteten wie Abgesandte aus dem Jahr 1910.

An einem späten Abend im August war New Orleans einfach wunderbar.

Das dachte ich zumindest, bis ich Hippo Bimstine anrief, um ihm mitzuteilen, dass er sich jemand anderen suchen müsste, der für ihn nach Wracks von Nazi-U-Booten tauchte.

„Wo bist du gerade?“, fragte er.

„Wir essen im Mandina’s zu Abend, draußen an der Canal Street.“

„Bist du immer noch dicke mit Clete Purcel?“

„Klar.“

„Weißt du, wo Calucci’s Bar ist? Ecke St. Charles und Carrollton Avenue?“

„Ja, das ist doch direkt bei dir gegenüber, richtig?“

„Genau. Und genau jetzt, in diesem Augenblick, sehe ich aus meinem Fenster, wie sich da draußen gewaltig was zusammenbraut. Und ich rede hier davon, dass da draußen ein SWAT-Team aufgelaufen ist. Ist es zu fassen? Ein gottverdammtes Sondereinsatzkommando, hier bei uns, mitten in meinem Viertel. Ich glaube, jemanden mit diplomatischen Fähigkeiten könnten sie jetzt hier draußen gut gebrauchen, bevor der Fleischklops noch als Deko auf der Tapete landet, wenn du verstehst, was ich meine?“

„Nein, versteh ich nicht.“

„Hast du vielleicht noch Salzwasser in den Ohren, Dave?“

„Hör zu, Hippo …“

„Es geht um Clete Purcel. Er ist drüben im Calucci’s total ausgerastet und hat einen Kerl glatt durch die Fensterscheibe geschmissen. Der Typ liegt immer noch drüben im Blumenbeet. Es heißt, Purcel habe da drinnen noch zwei oder drei andere auf Knien hocken. Falls er nicht rauskommt - und das sagt jetzt der leitende Zivilbulle vor dem Haus -, werden sie ihn ausräuchern. Ich hab hier Klein-Beirut direkt in meinem Vorgarten, Tatsache, Mann, den ganzen verpissten Libanon!“

„Wer ist der diensthabende Beamte?“

„Ein Kerl namens Baxter. Ja, Nate Baxter. Früher war er bei der Sitte im First District. Erinnerst du dich an einen Zivilbullen mit dem Namen? … Hey, Dave, bist du noch dran?“

2

Calucci’s Bar befand sich in einem alten Fachwerkhaus mit Blechmarkisen über den Fenstern in einem alten Wohngebiet am Ende der St. Charles Avenue unmittelbar vor dem Mississippi-Deich. Im Neonschein der Bar sah der Regen aus wie violetter, grüner und pinkfarbener Graupel, hinter dem Deich stieg Dunst vom Fluss auf, und die Signalhörner eines Schleppkahns waren zu hören.

Ein halbes Dutzend Einsatzfahrzeuge versperrte die Straße vor der Bar, das Licht ihrer rotierenden Rundumleuchten wurde von Sträuchern, nassem Beton und den Palmen entlang der Promenade reflektiert. Als Batist und ich meinen Pick-up am Bordstein parkten, erspähte ich sofort mitten im Getümmel Nate Baxter. Regen tropfte von seinem Hut und seine zweifarbigen Schuhe und die graue Golferhose waren von vorbeifahrenden Autos bespritzt worden. Sein gepflegter roter Bart war in rotes Licht getaucht, Dienstmarke und ein verchromter Revolver waren an seinem Gürtel befestigt. Ein Mann mittleren Alters mit einem kräftigen, muskulösen Körper vom täglichen Training im New Orleans Athletic Club.

Eine flachbrüstige Schwarze, wahrscheinlich eine Polizistin in Zivil, mit dünnen Armen und einem Mund voller Goldzähne diskutierte lautstark mit ihm. Ihre zerknitterte braune Bluse hing lässig über einer dunkelblauen Hose. Ihr Make-up war vom Regen verschmiert, und sie trug Halbschuhe ohne Socken. Nate Baxter versuchte, sich von ihr abzuwenden, doch sie folgte ihm, hatte die Hände in die schmalen Hüften gestemmt, und ihr Mund öffnete und schloss sich im strömenden Regen.

„Ich spreche mit Ihnen, Lieutenant“, sagte sie. „Meines Erachtens haben wir hier eine Situation, die völlig außer Kontrolle geraten ist. Die polizeiliche Reaktion steht in keinem vernünftigen Verhältnis zum Anlass. Meiner Auffassung nach, Sir. Sollten Sie damit weitermachen, werde ich einen eigenen Bericht einreichen. Hören Sie mich, Sir?“

„Ach, machen Sie doch, was Sie nicht lassen können, Sergeant. Aber bitte, machen Sie’s woanders!“, fauchte Baxter.

„Ich bin hier, weil ich den Einsatzbefehl erhalten habe. Und es passt mir nicht, wie Sie mit mir reden“, sagte sie.

„Schön, okay, ich werde es extra für Sie etwas deutlicher formulieren: Sie sind eine ausgemachte Nervensäge und gehen mir gewaltig auf die Eier. Falls Sie mir jetzt mit Diskriminierung oder was weiß ich kommen wollen, bitte, nur zu, tun Sie sich keinen Zwang an. Aber in der Zwischenzeit verschwinden Sie einfach von hier. Und das ist ein Befehl!“

Ein uniformierter weißer Cop gackerte im Hintergrund.

Baxter kniff die Augen unter der Krempe seines Huts zusammen, als er mich sah.

„Was machen Sie hier, Nate?“, fragte ich.

Er ignorierte mich und begann, mit einem Cop zu reden, der eine kugelsichere Weste trug und den Schirm seiner Mütze nach hinten gedreht hatte.

„Was haben Sie mit Clete Purcel vor?“, fragte ich.

„Bleiben Sie hinter der Absperrung, Robicheaux“, blaffte er mich an.

„Ich kann mit ihm reden, dann kommt er freiwillig raus.“

„Das hier ist nicht Ihr Zuständigkeitsbereich.“

Selbst im Regen war sein Atem noch heiß, er roch abgestanden.

„Es muss hier niemand zu Schaden kommen, Nate“, sagte ich.

„Purcel hat die Karten gegeben, nicht ich! Und wissen Sie was? Ich glaube, er ist schon sein ganzes Leben auf diesen Moment aus.“

„Haben Sie ihn angerufen?“

„Gute Idee, stimmt’s? Das würde ich wirklich gern tun. Nur dass er das Ding von der Wand gerissen und einem Kerl das Kabel um den Hals gewickelt hat. Anschließend hat er den Burschen durch die Frontscheibe geschmissen.“

„Die Calucci-Brüder sind doch Mafia. Das ist irgendwas Persönliches zwischen denen und Clete, und das wissen Sie auch. Wegen einem blöden Kneipenquatsch lässt man doch kein SWAT-Team auffahren.“

„In New Orleans läuft außerdem derzeit ein Kerl rum, der meint, das Gesetz in die eigenen Hände nehmen zu können. Ich persönlich finde, Purcel ist ein perfekter Tatverdächtiger.“

Ich spürte, wie sich meine Hände, die ich dicht am Körper hielt, unwillkürlich öffneten und schlossen. Baxter redete wieder mit dem Cop in der kugelsicheren Weste und zeigte auf eine höher gelegene Stelle auf dem Deich.

„Damit kommen Sie nicht einfach so durch“, sagte ich.

„Ende der Unterhaltung, Robicheaux.“

„Clete hat mal in einer Bar an der Decatur Ihren Kopf in eine Toilettenschüssel gedrückt“, sagte ich. „Sie haben den Vorfall nicht gemeldet, weil er nämlich wusste, dass Sie es sich für lau von Straßennutten im Quarter besorgen lassen. Darum geht’s hier doch, Nate, und um nichts anderes.“

Vier weiße Cops und auch die schwarze Polizistin starrten uns jetzt an. Die Haut um Nate Baxters rechtes Auge kräuselte sich wie bei einem Scharfschützen, wenn er durch sein Zielfernrohr blickt. Er setzte zu einer Erwiderung an, aber ich gab ihm keine Chance.

Ich hob meine Dienstmarke des Iberia Parish Sheriff’s Department hoch über den Kopf und marschierte auf den Vordereingang der Bar zu.

* * *

Clete hatte an sämtlichen Fenstern die Jalousien runtergelassen und lehnte an der Theke, einen Fuß auf der Fußleiste, trank mexikanischen Rum aus einem Schnapsglas und lutschte an einer gesalzenen Limone. Er trug seinen taubenblauen Porkpie schräg in die Stirn gekippt, die Hose hing fünf Zentimeter unterhalb seines Nabels. Auf seinem rundlichen, rosafarbenen Gesicht hing ein glückliches Lächeln, in seinen grünen Augen ein alkoholgeschwängerter Glanz. Durch eine Augenbraue und quer über den Nasenrücken zog sich eine Narbe dick wie ein Fahrradflicken und von Einstichlöchern gesäumt, wo er als Kind im Irish Channel mit einem Rohr verprügelt worden war. Wie immer wirkte sein mit tropischen Motiven gemustertes Hawaiihemd, als könnte es jeden Moment an seinen massigen Schultern aufplatzen.

Die Kneipe war leer. Regen fegte durch die zerbrochene Scheibe herein und tropfte von den Lamellen der Jalousie.

„Was geht ab, Streak?“, fragte er.

„Hast du sie nicht mehr alle?“

„Unfreundliche Worte, mein Freund. Entspann dich!“

„Das da draußen ist Nate Baxter. Der würde uns beide gern für einen Neuanstrich benutzen.“

„Und genau deshalb geh ich ja auch nicht da raus. Da sind noch ein paar andere, die mögen auch keine Privatdetektive.“ Er warf einen Blick auf seine Uhr und klopfte mit dem Fingernagel aufs Glas. „Willst’n Dr Pepper?“

„Ich will, dass wir jetzt zusammen hier rausgehen. Und außerdem werden wir deine Kanone vor uns rauswerfen.“

„Wozu die Eile? Trink ein Dr Pepper. Ich schmeiß noch ein paar Kirschen und ’n bisschen Eis rein.“

„Clete …“

„Ich hab dir doch gesagt, alles im grünen Bereich. Und jetzt mal ganz locker, mein Freund. Die alten Bobbsey Twins von der Mordkommission bringt keiner aus der Ruhe.“ Er genehmigte sich einen Schluck aus seinem Schnapsglas, lutschte an seinem Limonenschnitz und strahlte mich an.

„Zeit, hier abzuzwitschern, Partner“, sagte ich.

Wieder warf er einen Blick auf seine Uhr.

„Gib mir noch fünf Minuten“, sagte er und lächelte erneut.

Er machte Anstalten, sein Glas aus einer großen, braunen Flasche nachzufüllen. Ich legte eine Hand leicht auf seinen Arm.

„Pass auf, mein Freund, ich setz dich jetzt mal in groben Zügen ins Bild“, sagte er. „Ich hab da momentan diese Freundin. Sie ist total sympathisch, tut keiner Menschenseele was zuleide, ist wahnsinnig intelligent und besucht nebenbei das Junior College. Und außerdem strippt sie in einem Titten-und-Ärsche-Schuppen an der Bourbon, der den Calucci-Brüdern gehört. Wir sprechen hier von Max und Bobo, Dave, du erinnerst dich an sie, diese beiden Typen, die wir mal eingelocht haben, weil sie einem Mädel mit ’ner Kombizange einen Fingernagel rausgerissen haben? Bevor ich Martina kennenlernte, so heißt meine Freundin, hat sie sich von den Caluccis zwei Riesen geborgt, um die Krankenhauskosten ihrer Großmutter bezahlen zu können. Als sie dann gestern die Kohle nicht zurückzahlen konnte, hat Max, das Arschloch, das ich vorhin durch die Fensterscheibe geschmissen habe, sie heute Morgen herzitiert und zu ihr gesagt, es wär jetzt an der Zeit, dass sie vom Rücksitz eines Taxis aus anschafft.“

Er nahm seinen Porkpie ab, kämmte sich das strohblonde Haar aus der Stirn, steckte den Kamm in die Brusttasche seines Hemds und setzte den Hut wieder auf.

„Die Caluccis werden kein großes Ding draus machen, Dave, zumindest nicht juristisch. Die machen sich auf einem Polizeirevier so gut wie Scheiße in ’ner Eisdiele“, sagte er. Er füllte sein Schnapsglas, leerte es in einem Zug und zwinkerte mir zu.

„Wo ist der andere – Bobo?“

Wieder warf er einen Blick auf seine Armbanduhr, dann wanderte sein Blick über die Theke, vorbei an einer kleinen Küche zur wuchtigen Holztür eines begehbaren Fleischkühlraums.

„Wahrscheinlich wickelt er sich gerade in Frischhaltefolie“, sagte er. „Wenigstens würde ich das an seiner Stelle tun.“

„Machst du Witze?“

„Ich hab ihn da nicht reingesteckt. Er hat sich selbst eingesperrt. Was soll ich denn dagegen tun? Er hat die Tür von innen mit einer Eisenstange oder was weiß ich verbarrikadiert. Ich sage immer: leben und leben lassen.“

Ich ging zum Kühlraum und versuchte, die Tür zu öffnen. Der Griff war aus Chrom und fühlte sich sehr kalt an. Die Tür bewegte sich zwei, drei Zentimeter, schlug dann gegen etwas Metallisches und ließ sich nicht weiterbewegen.

„Bobo?“, fragte ich.

„Was ist?“, fauchte eine Stimme durch den Spalt.

„Dave Robicheaux hier. Ich bin Detective beim Sheriff Department. Es ist vorbei. Kommen Sie jetzt da raus. Niemand wird Ihnen etwas tun.“

„Hab noch nie von dir gehört.“

„Ich habe früher bei der Mordkommission im First District gearbeitet.“

„Oh, ja! Du warst der Partner von diesem Pimmelkopp da draußen. Was hast du hier zu suchen? Hat er dich gerufen, damit ihr zusammen ablachen könnt?“

„Hören Sie, Bobo, die Sache sieht folgendermaßen aus: Ich erkläre Ihnen jetzt mal kurz, was Sache ist, und dann sehen wir, was Sie dazu sagen. Ich hab hier in meiner Hand eine .45er. Wenn Sie sich weigern, die Tür aufzumachen, werde ich höchstwahrscheinlich ein paar Löcher ins Schloss und die Scharniere ballern müssen. Ist das okay für Sie?“

Es folgte ein Moment absoluter Stille.

„Wo ist er?“, fragte die Stimme.

„Er ist hier nicht mehr im Spiel. Verlassen Sie sich drauf.“

„Halt mir dieses Tier vom Leib. Der Typ ist eine beschissene Gefahr für andere. Man sollte sein Gehirn in der medizinischen Fakultät als Präparat in ein Glas stecken.“

„Sie haben mein Wort, Bobo.“

Ich hörte, wie eine Eisenstange auf den Boden schepperte, dann drückte Bobo mit einem Fuß die Tür auf: Er kauerte in einer Ecke, hatte sich einen Kartoffelsack um die Schultern gewickelt, die Haare und Nasenflügel waren weiß vom Raureif, und gefrierender Dampf stieg von seinem Körper zu den Rinderhälften auf, die an Haken über seinem Kopf hingen. Seine kleinen, eng beieinanderstehenden Augen musterten mich von Kopf bis Fuß.

„Du hast überhaupt keine Kanone! Du verfluchter Mistkerl. Du hast mich angelogen!“, schimpfte er.

„Gehen wir eine Runde spazieren“, sagte ich und zog ihn an einem Arm auf die Füße. „Machen Sie sich keine Sorgen um Clete. Der trinkt noch schnell sein Glas aus und folgt uns dann nach draußen. Ob Sie’s glauben oder nicht, da draußen sind Cops, die bereit waren, einen ihrer eigenen Leute umzulegen, nur um Sie zu beschützen. Da ist man doch gleich mächtig stolz, Steuerzahler zu sein, was?“

„Nimm die Pfote von meinem Arm“, zischte er, als wir die Tür erreichten.

* * *

Batist und ich übernachteten in einer Pension an der Prytania Street, gerade mal einen Block von der St. Charles entfernt. Der Himmel leuchtete rot bei Sonnenaufgang, die zornigen Rufe der Blauhäher im heißen Schatten vor den Verandatüren erfüllten die Luft. Nate Baxter hatte Clete wegen Ruhestörung eingelocht, aber die Caluccis erschienen am Morgen nicht, um Anzeige wegen Körperverletzung zu erstatten. Also wurde Clete wieder entlassen, ohne dass irgendeine offizielle Anklage gegen ihn erhoben wurde.

Batist und ich bestellten uns Café au lait und Beignets im Café du Monde gegenüber vom Jackson Square. Ein warmer Wind wehte vom Fluss hinter uns herüber, die Sonne schien hell auf die Bananenstauden und Myrten auf dem Platz, und Berieselungsanlagen strichen die schwarzen, schmiedeeisernen Zäune mit ihren kunstvollen Spitzen entlang, die den Park und seine Rasenflächen von den Straßenmalern und den Ladenlokalen unter den alten eisernen Kolonnaden trennten. Ich ließ Batist im Café zurück und ging durch den Park vorbei an der St. Louis Cathedral, wo sich bereits die ersten Straßenmusiker im Schatten einrichteten, und weiter die St. Ann hoch zum Büro von Cletes Detektei.

Morgens war immer die beste Zeit für einen Spaziergang durchs Quarter. Die Straßen lagen noch in tiefen Schatten, und das Wasser vom Regen der vergangenen Nacht tropfte von den hölzernen Fensterläden über die pastellenen Hausfassaden, man konnte Kaffee und frisch gebackenes Brot in den kleinen Lebensmittelgeschäften riechen, und auch den feuchten, kühlen Geruch wilder Minze und alter Backsteine in den Durchgängen. Jeder schmiedeeiserne Balkon entlang der Straße schien überwuchert von einem wilden Knäuel eingetopfter Rosen, Bougainvilleen, Azaleen und flammendrotem Eibisch, und der Augenblick konnte so vollkommen sein, dass man meinte, in ein Gemälde von Utrillo gestiegen zu sein.

Aber es war nicht nur wie ein Gedicht. Es gab hier auch noch eine andere Wirklichkeit: Uringestank in Hauseingängen, die nächtlichen Hinterlassenschaften von Obdachlosen und Verrückten, und die Splitter zerbrochener Zehn-Dollar-Kokain-Fläschchen, die wie Rattenzähne in der Gosse funkelten.

Die biscuitfarbenen Wände in Cletes Büro waren geschmückt mit Stierkampfplakaten, ledernen Weinbeuteln und Banderillas, die er aus einem Urlaub in Mexico City mitgebracht hatte. Durch das nach hinten hinaus gelegene Fenster konnte ich den gefliesten kleinen Innenhof sehen, wo er seine Hanteln und eine Trainingsbank aufbewahrte, um Gewicht und Blutdruck niedrig zu halten. Daneben ein ausgetrockneter gemauerter Brunnen, aufgefüllt mit Dreck und Bananenstauden.

Clete saß in Budweiser-Shorts, gelbem Muskelshirt und Porkpie auf dem Kopf hinter seinem Schreibtisch. Seine blauschwarze .38er Police Special hing in einem Nylon-Holster an einer Garderobe in der Ecke. Mit einem Taschenmesser öffnete er eine Flasche Dixie-Bier, ließ den Schaum über den Hals auf den Teppich fließen, schleuderte seine Flip-Flops von den Füßen und legte sie hoch auf den Schreibtisch.

„Willst du heute schon zeitig Feierabend machen?“, fragte ich.

„Hey, ich hab die ganze Nacht in der Kiste verbracht. Die Szene da müsstest du dir auch mal näher ansehen, mein Freund. Mindestens zwei Drittel von den Typen da sind hundertprozentige Vollpfosten. Und ich spreche hier von Jungs, die ihre Grütze mit den Händen essen. Das ist einfach nur gottverdammt erbärmlich.“

Er spielte mit einem Zettel neben seinem Telefon.

„Etwas, das Nate Baxter gestern Abend sagte, hat mich echt beunruhigt“, sagte ich.

„Ach, ja?“

„Dass jemand hier das Gesetz in die eigenen Hände nimmt. Er denkt, du könntest derjenige welcher sein.“

Clete trank einen Schluck Bier und lächelte mich an. Seine Augen funkelten verschmitzt.

„Traust du mir so was wirklich zu?“, fragte er.

„Die Leute haben sich über uns beide schon Schlimmeres erzählt.“

„Der Lone Ranger war ein Hörspiel im Radio, mein Freund. Ich persönlich glaube nicht, dass irgendwer bei uns das Gesetz in die eigenen Hände nimmt. Ich glaube vielmehr, dass wir es mit einer Riesenportion Wunschdenken zu tun haben. Diese Verbrechen sind doch hier in der Stadt an der Tagesordnung. Wir haben inzwischen eine Mordrate so hoch wie die von Washington, D.C.“

„Fünf oder sechs der Opfer waren Schwarze aus den Sozialbausiedlungen.“

„Das waren doch alles Dealer.“

„Genau das ist es ja.“

„Dave, ich habe sowohl in Iberville als auch in Desire schon Leute geschnappt, die auf Kaution draußen waren und dann abgetaucht sind. In diesen Ghettos ist ein Leben ungefähr genauso wertvoll wie Wasser, das aus einer Papiertüte ausläuft. Diese Stadt geht den Bach runter, mein Freund. So ist das eben. Falls da draußen tatsächlich jemand ernsthaft Leute aus dem Verkehr zieht, dann sage ich, weiter so! Aber das glaube ich nicht, und auf keinen Fall bin ich das.“

Er nahm einen großen Schluck von seinem Bier. Das Innere der Flasche leuchtete bernsteinfarben. Kondenstropfen perlten den Hals hinunter und über das grün-goldene Etikett.

„Tut mir leid. Soll ich dir ein Dr Pepper oder einen Kaffee kommen lassen?“, fragte er.

„Nein, ich muss wieder los. Ich musste mein Boot für Wartungsarbeiten von New Iberia raufbringen. Es wird gegen Mittag fertig sein.“

Er nahm den Notizzettel neben seinem Telefon und rieb ihn zwischen Daumen und Zeigefinger.

„Ich sollte dir Kopfschmerzen ersparen und das hier einfach wegschmeißen“, sagte er. Aber er schnipste den Zettel über die Schreibunterlage in meine Richtung.

„Was ist das?“

„Diese schwarze Braut, der Sergeant, der vor dem Calucci’s war, sie hat heute Morgen angerufen. Sie wusste nicht, wie sie dich sonst erreichen kann. Mein Rat lautet: Schmeiß diese Telefonnummer in den Papierkorb und fahr zurück nach New Iberia. Vergiss New Orleans. Hier wartet alles nur darauf, dass eine Wasserstoffbombe hochgeht.“

„Was ist mit ihr?“

„Sie ist eine abgebrühte schwarze Lady namens Lucinda Bergeron und kommt selbst aus den Sozialbausiedlungen. Und sie lässt sich von weißen männlichen Cops keine Scheiße gefallen. Das ist mit ihr.“

„Und?“

„Gestern Abend ist sie Nate Baxter ganz offensichtlich gewaltig auf die Eier gegangen. Also versucht er heute, ihr eine Dachlatte in den Arsch zu rammen. Er wirft ihr Befehlsverweigerung vor. Er behauptet, sie hätte ihn wüst beschimpft. Sie sagt, sie sei unschuldig und du könntest das bezeugen.“

„Solange ich dabei war, hat sie ihn nicht beschimpft. Tatsächlich ist sie sogar extrem cool geblieben.“

„Lass dich da nicht reinziehen, mein Freund. Sich mit Baxter anzulegen ist das Gleiche, wie deine Hand in einen Spucknapf zu tauchen.“

Ich nahm den Zettel und steckte ihn ein.

„Was weiß ich denn schon?“, murmelte er.

* * *

Von der Pension aus rief ich die Werft an und erfuhr, dass der Mechaniker krank geworden und nach Hause gegangen sei und mein Boot nicht vor morgen fertig würde. Dann rief ich die Nummer auf dem Zettel an, die, wie sich herausstellte, zum Polizeipräsidium des Garden Districts gehörte. Man sagte mir, Lucinda Bergeron sei nicht da. Ich hinterließ meinen Namen und die Telefonnummer der Pension.

Batist saß auf seiner Bettkante, die großen, schwieligen, mit Narben überzogenen Hände auf dem Schoß. Er starrte gedankenverloren aus der Verandatür.

„Was beschäftigt dich, Partner?“, fragte ich.

„Der Nigger da drüben auf dem Parkplatz.“

„Der was?“

„Du hast richtig verstanden.“

„Was hat er gemacht?“

„Als du geschlafen hast, bin ich früh auf und wollte mir einen Kaffee unten im Speiseraum holen. Er war da und hat gegessen, mit vollem Mund geredet, diesem jungen weißen Mädel immer eine Pranke auf den Hintern gelegt, wenn sie ihm Kaffee nachgeschenkt hat. Hat immer so getan, als wär alles total harmlos und unschuldig, als wär er nur ein netter Kerl, der überhaupt keine schlimmen Gedanken hat, also so gar nicht.“

„Vielleicht ist das allein ihre Sache, Batist.“

„Diese Sorte wertloser Nigger macht’s schwer für uns andere, Dave.“

Er ging zur Tür, starrte weiter hinaus auf den Parkplatz, schälte das Zellophan von einer Zigarre und knüllte es dann langsam in der Hand zusammen.

„Er lehnt an deinem Truck“, sagte er.

„Lass ihn.“

„Dem muss schleunigst mal einer Bescheid sagen.“

Ich hütete mich generell davor, mit Batist zu diskutieren, deshalb sagte ich nichts mehr. Er zog sein kurzärmeliges Jeanshemd aus, hing es über den Bettpfosten und seifte sich vor dem Badezimmerspiegel das Gesicht ein. Seine Schulter- und Rückenmuskeln erinnerten mich an Steine in einem Lederbeutel. Er begann, sich mit einem Rasiermesser mit Perlmuttgriff zu rasieren, zog die Klinge sauber auf beiden Seiten der Wange entlang bis unters Kinn.

Ich kannte ihn seit meiner Kindheit, als er mit meinem Vater auf Marsh Island Fallen aufgestellt hatte. Er konnte weder lesen noch schreiben, nicht mal seinen eigenen Namen, und es bereitete ihm große Schwierigkeiten, Zahlen zu erkennen und auf einem Telefon eine Nummer zu wählen. Er war noch nie außerhalb von Louisiana gewesen, hatte 1968 zum ersten Mal gewählt und wusste nichts von den Dingen, die sich in unserem eigenen Land oder der Welt da draußen ereigneten. Aber er war einer der ehrlichsten und anständigsten Männer, denen ich je begegnet bin, und er blieb selbst in schwierigen Situationen absolut furchtlos und unerschrocken. Meine Adoptivtochter Alafair kam nie so ganz darüber hinweg, dass sie mal gesehen hatte, wie er in eine abgesoffene Piroge griff, eine Mokassinschlange von gut einem Meter Länge einfach hinter den Kopf packte und dann völlig ungerührt quer über den Bayou pfefferte.

Batist kehrte zur Verandatür zurück, drückte ein Handtuch auf einen Schnitt an seinem Kinn, hielt die Rasierklinge immer noch in der Hand. Dann klappte er das Messer zusammen, schob es in die Gesäßtasche seiner Jeans und begann, sein Hemd zuzuknöpfen.

„Was hast du vor, Batist?“

„Ich seh mich da draußen mal um.“

Ein großer, schlanker Mulatte mit einer Hautfarbe wie ein neuer Penny redete in der Nähe meines Trucks mit einem halben Dutzend schwarzer Kids. Er trug eine gestreifte braune Hose mit einem geflochtenen schwarzen Gürtel und dazu ein fliederfarbenes kurzärmeliges Hemd mit weißer Krawatte. Er grinste, hibbelte herum und gestikulierte beim Reden wild mit den Händen, als ob in seinem Inneren ein Lied ablief.

„Ein Typ wie der ist für diese abgerissenen Kids so was wie ein Filmstar, Dave.“

„Früher oder später werden sie lernen, dass er das nicht ist.“

„Dann ist’s zu spät. Der ist entweder Dealer oder Zuhälter, und erzähl mir nichts anderes. Der wird hemmungslos das Leben von den Jungs da verheizen, nur damit er Geld für ein schickes Auto hat, mit Frauen zur Rennbahn fahren und sich ein paar Linien in die Nase ziehen kann … Hey, glaubst du, ich liege falsch? Sieh’s dir an.“

Der Mulatte rubbelte einem Jungen über die Haare, wie es vielleicht ein Baseballtrainer tun würde, dann hakte er zwei Finger unter den Gürtel des Jungen, zog den Burschen zu sich heran und stopfte ihm etwas Kleines in die Hosentasche. Dann legte er eine Hand um das Genick eines anderen Jungen, wobei er ihn spielerisch und wohlwollend anstrahlte, und schob auch ihm etwas in die Hosentasche.

„Bin sofort zurück“, knurrte Batist.

„Lass den Kerl in Ruhe, Batist. Ich ruf die Cops an, und die schicken dann jemanden raus.“

„Ja klar, so ungefähr in drei Stunden.“

„Ist nicht unser Tümpel, Partner.“

„Ach, nein? Und wie kommt’s, dass du gestern Abend quer durch die Stadt gerannt bist, um dich in diese Sache zwischen Purcel und den Spaghettis einzumischen?“

Er nahm seine verloschene Zigarre aus dem Aschenbecher, klemmte sie sich entschlossen zwischen die Zähne und marschierte aus der Tür.

Oh Mann, dachte ich.

Batist ging von der Pension an den Rand des Parkplatzes. Der Mulatte lehnte gegen den Scheinwerfer meines Trucks und unterhielt sein Publikum, indem er eine Halbe-Dollar-Münze zwischen den Fingern einer Hand wandern ließ. Einen gewienerten Schuh stützte er hinter sich auf der Stoßstange des Trucks ab und rückte behutsam seinen Hodensack zurecht. Ich weiß nicht, was er zu Batist sagte. Möglich, dass es eine herablassende Bemerkung war oder vielleicht auch eine freundliche Begrüßung. Jedenfalls lächelte er, als er es sagte. Allerdings glaube ich nicht, dass er mit der Antwort rechnete, die er bekam.

Batists Hand, die sich locker um einen Backstein legen konnte, schien auf der Wange des Mannes zu explodieren. Sein Gesicht verzog sich unter dem Schlag, und das Blut wich blitzartig aus seinem Gesicht, die Kinnlade sackte runter und seine Augen waren mit einem Mal ganz klein und rund, lagen weit hinten in seinem Schädel wie bei einem Schwein. Dann verpasste Batist ihm mit der offenen Hand eine weitere Ohrfeige, noch fester diesmal, erwischte seitlich seinen Mund, die Unterlippe wurde gegen die Zähne gedrückt und platzte auf.

Batist wedelte mit den Händen in Richtung der schwarzen Kids, erinnerte an jemanden, der Hühner aus dem Stall scheucht. Die Jungs liefen in alle Richtungen davon, während der Mulatte sich den Handrücken auf den Mund drückte und gleichzeitig die andere Hand in einer beschwichtigenden Geste ausstreckte.

Batist richtete einen Finger aufs Gesicht des Mannes und marschierte schweigend auf ihn zu, als würde er eine Lanze auf ihn richten. Der Mann setzte sich in Bewegung und rannte über den Parkplatz zu einem Häuschen auf der anderen Straßenseite. Batist zermalmte eine winzige Glasampulle unter dem Absatz seines Stiefels, dann ging er an einer Gruppe völlig verdutzter Touristen vorbei, die eben aus dem Speiseraum der Pension getreten war. Batist wendete verlegen sein verschwitztes Gesicht ab.

* * *

Ich rief Bootsie, meine Frau, in New Iberia an und sagte ihr, dass ich noch mindestens einen weiteren Tag in New Orleans bleiben würde, dann versuchte ich erneut, Lucinda Bergeron im Präsidium des Garden Districts zu erreichen. Sie war immer noch nicht da, also beschloss ich, einfach rüberzufahren, eine Aussage zu machen und die Angelegenheit damit abzuschließen. Da wusste ich noch nicht, dass ich am Ende mit Sergeant Benjamin Motley reden würde, der früher bei der Sitte gearbeitet hatte, als ich selbst Lieutenant in der Mordkommission im First District gewesen war.

Er war ein rundlicher, stämmiger Schwarzer, dessen Kleidung immer nach Zigarrenqualm stank. Er hatte einen dichten schwarzen Schnurrbart, und sein Hals glänzte wie ein Hydrant. Er gehörte zu der Fraktion, die nur wenig Verständnis für die missliche Lage seiner eigenen Leute hatte. Einmal hatte sich ein schwarzer Saufbruder in einer Zelle über Motley lustig gemacht, ihn als bezahlter Nie-groo der Weißen tituliert, woraufhin Motley den Mann von Kopf bis Fuß mit Pfefferspray eingedeckt hatte. Zu einem frühen Zeitpunkt seiner polizeilichen Laufbahn war wegen fahrlässiger Tötung gegen ihn ermittelt worden; als Justizvollzugsbeamter hatte er sieben an den Händen aneinander gefesselte Häftlinge aus der Ausnüchterungszelle zur morgendlichen Vorführung vor dem Haftrichter begleitet, als aufgrund eines Brandes im Keller des Gerichtsgebäudes sämtliche Sicherungen rausgeflogen waren und der Aufzug zwischen den Etagen stecken blieb. Motley war durch die Klappe in der Decke der Fahrstuhlkabine rausgekommen, die sieben Männer jedoch waren erstickt.

Sein geräumiges Büro war teilweise verglast, eine ganze Reihe gerahmter Auszeichnungen und Belobigungen hingen an den Wänden. Davor lag ein Großraumbüro voller uniformierter Cops, die an ihren Schreibtischen Papierkram erledigten. Motley lehnte sich in seinem Schreibtischsessel zurück, hatte einen Fuß auf dem Papierkorb abgestützt und verspeiste einen halb ausgepackten Schokoriegel, während ich handschriftlich das wenige aufschrieb, das ich über den Schlagabtausch zwischen Nate Baxter und Lucinda Bergeron berichten konnte.

Ich setzte meinen Namen unter das Formular und reichte es ihm. Seine Blicke wanderten das Blatt rauf und runter, während er sich mit dem Knöchel seines Zeigefingers das Kinn rieb.

„Was machen Sie überhaupt hier in New Orleans, Robicheaux? Ich dachte, Sie wären Zivilbulle im Iberia Parish?“, fragte er.

„Hab eine Weile Urlaub.“

„Sie konnten nicht aus New Orleans wegbleiben?“

„Brauchen Sie sonst noch was von mir, Motley?“

„Nein, nichts. Nutzen Sie Ihre Zeit, wie Sie wollen.“

„Was soll das jetzt heißen?“

„Glauben Sie vielleicht, hiermit könnten Sie diese Braut aus der Patsche holen?“ Er wedelte mit dem Blatt herum.

„Keine Ahnung. Jedenfalls hat sie Nate Baxter nicht bexschimpft, während ich dabei war. Ganz im Gegenteil war es meiner Meinung nach vielmehr Baxter, der sich ungebührlich verhalten hat.“

„Als Baxter noch bei der Dienstaufsicht war, war er doch dafür verantwortlich, dass Sie ohne Lohnfortzahlung vom Dienst suspendiert wurden. Sie haben ihn ja sogar einmal auf einem Revier im First District k.o. geschlagen. Das hier hätten Sie auf Klopapier schreiben und ins Scheißhaus legen sollen.“

„Immer noch ganz der Alte, Motley, was?“

Er kaute an seiner Unterlippe und verdrehte die Augen.

„Sehen Sie mal durch die Scheibe da“, sagte er. „Zählen Sie zuerst die weißen Officer da draußen, und anschließend zählen Sie die schwarzen. Wenn Sie das gemacht haben, zählen Sie die weiblichen Beamten. Und danach dann die schwarzen Kolleginnen. Blicken Sie’s jetzt so langsam?“

„Machen die ihr das Leben schwer?“

„Von mir haben Sie das nicht.“

Ich sah ihm in die Augen und schwieg. Er wischte sich mit der Verpackung Schokoladenreste von den Fingern und warf sie dann in den Papierkorb.

„Hundescheiße in ihrer Schreibtischschublade, ein Dildo mit Klebeband an einem Töpfchen Vaseline in ihrem Postfach, getürkte Telefonnachrichten aus dem Wahlkampf-Hauptquartier des Abgeordneten und alten Ku-Klux-Klan-Mannes David Duke. Solche Scheiße eben“, sagte er. „Sie kommt mir wie ein ganz anständiger Kerl vor, aber höchstwahrscheinlich werden die sie hier am Ende doch rausekeln.“

„Klingt so, als könnte sie ein paar Freunde gut gebrauchen“, sagte ich und erhob mich zum Gehen.

„Damit meinen Sie die anderen Schwarzen, Typen wie mich?“

Ich zuckte mit den Achseln.

„Die Letzten fliegen zuerst“, sagte er. „So läuft das hier, mein Freund. Daran ändert sich nichts, nur weil du Tampons benutzt. Damit wir uns richtig verstehen: Sie sind einzig und allein wegen Ihres Kumpels Purcel in diese Sache verwickelt. Also, Robicheaux, kümmern Sie sich um Ihren eigenen Scheiß.“

* * *

An diesem Abend gingen Batist und ich rüber zur St. Charles und fuhren mit der Straßenbahn rauf bis zur Canal Street, von wo aus wir ins Quarter gingen und im Acme Oyster House an der Iberville aßen. Es war voll und warm und roch intensiv nach abgestandenem Bier und den Bergen leerer Austernschalen in den Mülleimern. Draußen über dem Fluss donnerte es, dann begann es zu regnen, und wir kehrten im Schutz der Häuser zurück zur Canal, wo wir gerade noch rechtzeitig eine Bahn erwischten.

Während wir am Reiterstandbild von Robert Lee vorbei um den Lee Circle ratterten, öffnete sich vor uns die St. Charles Avenue zu einem langen, breiten, grün-schwarzen Korridor moosbehangener Eichen, um die von der Abendsonne getönte Nebelschwaden waberten. In der hell erleuchteten Straßenbahn selbst war es kühl und trocken, die Scheiben von außen mit Regentropfen überzogen. Und die Welt kam einem einfach nur großartig und wunderschön vor.

Zurück in unserer Pension sahen wir uns einen Film im Fernsehen an, während der Maulbeerbaum vor den Verandatüren vom Regen und Wind durchgeschüttelt wurde. Ich achtete nicht weiter auf die Sirenen, die ich auf der Avenue hörte, auch nicht auf die Blaulichter, die auf der anderen Seite des Parkplatzes wütend die Dunkelheit zerschnitten. Wir würden am kommenden Morgen mein Boot abholen, und mit etwas Glück wären wir gegen Mittag bereits irgendwo südlich von Terrebonne Bay, auf dem Heimweg nach New Iberia, und dabei würden die Schwimmer an unseren Angeln hinter uns im Kielwasser tanzen.

Mehrere Blitze zuckten über den Himmel, und ich legte mich mit einem Arm über den Augen aufs Bett zurück. Batist begann sich fürs Schlafengehen auszuziehen, dann ging er zur Verandatür, um den Vorhang zu schließen.

„Hey, Dave, da drüben vor dem kleinen Haus, wohin dieser Nigger gerannt ist, ist ein Krankenwagen und ein ganzer Haufen Polizisten“, sagte er.

„Ich schlaf jetzt, Partner. Clete hat schon recht. New Orleans muss mit seinen Problemen allein zurechtkommen.“

„Die tragen da einen raus.“

„Erzähl mir das morgen früh noch mal. Gute Nacht.“

Er antwortete nicht, und ich spürte, wie ich zum Prasseln des Regens gegen die Scheiben an den Rand des Schlafes trieb. Dann hörte ich noch, wie Batist die Lampe ausschaltete.

Es musste ungefähr eine Stunde später gewesen sein, als wir vom lauten Klopfen an der Tür geweckt wurden. Nein, falsch: es war kein Klopfen, es war ein unablässiges Eindreschen mit der Faust, so ein hässliches, penetrantes Geräusch, das nur jemand macht, für den die Störung unserer Nachtruhe lediglich ein kleiner Hinweis auf seine eigentlichen Absichten ist.

Ich stand in Unterwäsche auf, entriegelte das Schloss und öffnete die Tür einen Spaltbreit.

„Nehmen Sie die Sicherheitskette weg, Robicheaux.“

„Was wollen Sie, Nate?“

„Wonach sieht das hier aus?“ Er hielt mir einen Haftbefehl vor die Nase, die verchromte .357er Magnum lässig in der anderen Hand. Sein Gesicht war gezeichnet von Erschöpfung und verhaltenem Ärger, Regentropfen glitzerten auf seiner Haut. Hinter ihm standen drei uniformierte weiße Cops.

„Wozu? Wegen dem Ärger in Calucci’s Bar?“, fragte ich.

„Sie enttäuschen mich doch nie. Sagen Sie mir, dass Gestank und Scheiße nicht zusammengehören.“

„Warum versuchen Sie nicht einfach mal, sich verständlich auszudrücken, Nate?“

„Wir haben gerade auf der anderen Straßenseite einen filetierten Nigger abtransportiert. Und jetzt raten Sie doch mal, wer ihn heute vor einem halben Dutzend Zeugen vermöbelt hat? Es ist toll, Sie wieder in der Stadt zu haben, Robicheaux. Ganz wie früher.“

Er löste Handschellen von seinem Gürtel und ließ sie wie eine Taschenuhr von seinem Zeigefinger baumeln. Hinter mir saß Batist auf der Bettkante, die großen Hände ruhten auf seinen nackten Oberschenkeln. Sein Blick spiegelte das traurige und uralte Wissen seiner Rasse, das nur er allein sehen zu können schien.

3

Es gibt Leute, die benutzen aus politischen Gründen gern Begriffe wie Country-Club-Gefängnisse. Aber kein Knast, egal wo auf dieser Welt, ist ein Ort, an dem man sein will. Jeder, der was anderes behauptet, ist noch nie in einem gewesen.

Man muss sich eine Umgebung vorstellen, in der das Licht niemals erlischt, und man sich vor aller Augen auf einer Klosettbrille entleeren muss, die mit dem Urin anderer Menschen vollgespritzt ist, ein Ort, an dem man nie wirklich einschläft, wo man stets umgeben ist von Geräuschen wie dem Schlagen von Eisen auf Eisen, von irren Stimmen, die steinerne Korridore hinunterhallen, wo ein Wärter oder gereizter Schließer mit seinem Gummiknüppel gegen Stahlstangen schlägt, oder von den halb erstickten, gequälten Schreien eines achtzehnjährigen Frischlings, der unter der Dusche von einer ganzen Horde vergewaltigt wird.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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