Schneemann sucht Schmelzpunkt - Lili B. Wilms - E-Book

Schneemann sucht Schmelzpunkt E-Book

Lili B. Wilms

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Beschreibung

Es hat viele Jahre gedauert, bis Yannik den Mut gefunden hat, sein Leben so zu führen, wie er es schon lange wollte – mit Make-up und Lipgloss als stilvolles Extra. Jedoch sieht er sich jetzt immer wieder wegen seines Äußeren mit Attacken konfrontiert. Ausgerechnet Daniel setzt dem Ganzen die Krone auf. Daniel, von dem Yannik dachte – gehofft hatte –, er würde ihn so akzeptieren, wie er ist. Die Enttäuschung über Daniels Verhalten lässt Yannik alle Schutzschilde hochfahren, bis er mitten im Winter auf einer Hütte in den österreichischen Alpen landet – mit Daniel und ohne Strom. Alles, was Daniel wollte, war, mit seinen Freunden in Ruhe Silvester zu feiern – ohne Yannik. Noch vor einigen Monaten hätte Daniel sich über dessen Anwesenheit gefreut und die Gelegenheit genutzt, um endlich zu klären, was in dieser gemeinsamen Nacht mit Yannik vor einem Jahr passiert ist. Doch die Hoffnung auf diese Klärung hat er aufgegeben – diesmal endgültig.

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Schneemann sucht Schmelzpunkt

 

 

 

 

Lili B. Wilms

 

 

 

Rainbow Romance Roman

 

Für Katrin

der Fehlerfee

Inhaltsverzeichnis
Kapitel Eins: 28. Dezember, Yannik
Kapitel Zwei: Daniel
Kapitel Drei: Yannik
Kapitel Vier: Daniel
Kapitel Fünf: Yannik
Kapitel Sechs: 29. Dezember, Daniel
Kapitel Sieben: Yannik
Kapitel Acht: Daniel
Kapitel Neun: Yannik
Kapitel Zehn: Daniel
Kapitel Elf: Yannik
Kapitel Zwölf: 30. Dezember, Daniel
Kapitel Dreizehn: Yannik
Kapitel Vierzehn: Daniel
Kapitel Fünfzehn: Yannik
Kapitel Sechzehn: 31. Dezember, Daniel
Kapitel Siebzehn: Yannik
Kapitel Achtzehn: Daniel
Kapitel Neunzehn: Yannik
Kapitel Zwanzig: 1. Januar, Yannik
Kapitel Einundzwanzig: Daniel
Epilog: 362 Tage später, 31. Dezember

 

Nachwort
Über die Autorin
Leseprobe

Kapitel Eins

28. Dezember

Yannik

Die Schneeflocken vor der Windschutzscheibe hatten sich bereits vor über einer Stunde zu einem schier undurchsichtigen Vorhang verdichtet. Die Scheibenwischer arbeiteten auf höchster Stufe und dennoch konnte Yannik mittlerweile kaum noch die Straße vor sich erkennen.

Zu Beginn der Fahrt hatte die Sonne die Schneehügel, welche die Straße säumten, idyllisch angeleuchtet. Aus den einzelnen romantischen Flöckchen kurz vor Österreich war ein regelrechter Sturm geworden und aus der entspannten Fahrt in seinen mehr als verdienten Winterurlaub wurde ein Kampf gegen die Elemente. Er liebte Schnee – vor allem aus der Ferne. Während er vor einem knisternden Kaminfeuer lag und die Flocken durch ein Fenster beobachtete. Er dehnte seinen Kopf vorsichtig von links nach rechts, um die Verspannung, die sich in seinem Nacken festgebissen hatte, zu lösen. Ein Stich schoss ihm in den Kopf und er musste kurz die Augen schließen, um den Schmerz auszuhalten. Als er sie nach nur einer Sekunde wieder öffnete, sah er die Felswand, die den Weg entlang emporragte, auf sich zukommen und riss das Steuer herum. Er lenkte nur wenige Meter auf das andere Ende der engen, kurvigen Bergstraße zu, bevor er bremsen konnte und kam quer auf der Fahrbahn zum Halten. Zittrig blickte er um sich. Nach wie vor gab es kein anderes als sein Fahrzeug, so weit er sehen konnte. Zugegebenermaßen war dies nicht sonderlich weit. Gott sei Dank war er nur im Schneckentempo unterwegs gewesen. Vorsichtig richtete er das Lenkrad aus und startete den Wagen neu. Die Schneeketten griffen sofort auf der rutschigen Fahrbahn und er nahm seine Fahrt wieder auf. Dabei hielt er das Lenkrad so fest umklammert, dass sich seine Handknöchel weiß färbten.

Ein kurzer Blick auf das Navi bestätigte seine Vermutung, dass seit seiner letzten Kontrolle dessen erst fünf Minuten vergangen waren. Yannik seufzte tief. Noch weitere zwanzig Minuten durch diese Winterhölle. Die Autobahn hatte er vor fast einer Stunde verlassen. Wenn die Witterungsbedingungen nur etwas besser wären, hätte er sein Ziel vermutlich schon erreicht. An eine Pause war auf diesen eisigen Serpentinen nicht zu denken. Ihm blieb nichts anderes übrig, als seine gesamte verbliebene Kraft und positiven Gedanken zu sammeln sowie sämtliche mögliche Glücksgötter anzurufen, um den letzten Anstieg zur Hütte seines Freundes zu schaffen. Er hatte mit Sicherheit nicht das gesamte Jahr gearbeitet wie ein Verrückter, um nicht einmal sein Ziel in den österreichischen Alpen zu erreichen. Er hatte mit Sicherheit nicht seine komplette Wintergarderobe erneuert, um dann in einer Schneewehe wenige Meter vor dem wahr gewordenen Traum alpiner Idylle zu erfrieren, bevor er überhaupt seinen Koffer auspacken konnte. Ihn erwarteten ausgewählte Weine – da er diese selbst mitbrachte –, köstliche Speisen – die hoffentlich Henry mitbrachte –, seine besten Freunde – zumindest annehmbare Charaktere, mit denen man feiern konnte – und die epischste Neujahrsfeier des Jahrhunderts. Oder zumindest ein nettes Fest in einer angenehmen Umgebung. Dies alles inmitten eines romantischen Alpendörfchens in Henrys frisch renovierter Hütte. Dass es zu einer Freundschaft mit dem Steuerberater gekommen war, lag mit Sicherheit an der Beständigkeit und Offenheit Henrys. Trotz Yanniks verrückten Arbeitszeiten in einer internationalen Bank, für die weder Feiertage noch Festtage galten, hatte Henry immer ein offenes Ohr für ihn. Seit Yannik vor knapp zwei Jahren aus dem deutschen Haupthaus in Frankfurt in die Filiale in den Südwesten der Republik versetzt worden war, entwickelte sich Henry zu einer zuverlässigen Konstante in seinem Leben.

Bevor ihre Freunde – die meisten in Form von Henrys Mitspielern in seiner Fußballmannschaft – ankamen, hatte sich Yannik angeboten, drei Tage vorher anzureisen, um die Hütte vorzubereiten. Für die wenigen Handgriffe, die dies tatsächlich beinhaltete, wie das Wasser des Whirlpools einzulassen, musste er nicht drei Tage früher da sein. Aber er wollte in jedem Fall den Nebeneffekt nutzen, die Ruhe der Berge zu genießen, fernab vom üblichen beruflichen und sozialen Trubel. Wenn er erst mal in der Hütte war, würde der Schnee ein Bonus sein, der diese Ruhe unterstrich. Nur Yannik, sein Kindle und Tiefenentspannung. Henry hatte ihm neben dem Whirlpool auch einen offenen Kamin versprochen.

Yannik spürte die Vorfreude durch seinen Körper wandern, bis sie schließlich in seinem Kiefer ankam. Dieser fühlte sich an, als hätte er seit Stunden darauf herumgekaut. Er bewegte ihn behutsam hin und her. Vorsichtig beschleunigte er den Wagen und wurde durch ein Ortsschild, das er kaum durch das dichte Schneegewirr ausmachen konnte, überrascht. Er hatte es geschafft. Die höfliche Stimme seines Navigationsgerätes leitete ihn vorbei an der Kirche, zwischen einer kleinen Häusersiedlung hindurch, weiter aus dem Ort hinaus. Obwohl dies genau der Beschreibung Henrys entsprach, beunruhigte ihn das Verlassen der Zivilisation etwas. Der Schneefall ließ weiterhin nicht nach und er konnte kaum eine Handbreit hinter der Autoscheibe erkennen. Nach wenigen weiteren hundert Metern verkündete der Bordcomputer seines Leihautos die Ankunft an seinem Ziel. Unschlüssig blickte er rechts in die Einfahrt zu einem überraschend großen, rustikalen Bauwerk. Es war unmöglich, Details zu erkennen. Obwohl es noch nicht einmal vier Uhr nachmittags war, war es düster und der Schneesturm erledigte den Rest.

Yannik bog vorsichtig in die steile Auffahrt ein und blieb vor einer steinernen Treppe, die zur Haustür führte, stehen. In der Ablage seines Fahrzeugs kramte er unter den Ferkelgummibärchen, die er sich bei der letzten Tankpause gegönnt hatte, den von Henry überlassenen Schlüssel hervor. Vom Beifahrersitz nahm er seinen neuen Wollmantel in Bouclé-Struktur. Das Gefühl der weichen Wolle an seinen Fingern ließ ihn innerlich strahlen. Dieser Mantel fühlte sich nicht nur fantastisch an, sondern kleidete ihn auch perfekt. Er konnte die Spaziergänge in der österreichischen Winterlandschaft nicht erwarten. Die ebenfalls neu erstandene blaue Mütze zog er sich über die kurz geschorenen Haare, während er mit dem Mantel über dem Arm und dem Schlüssel in der Hand schnellen Schrittes die Treppenstufen zum Eingang emporeilte. Innerhalb kürzester Zeit hatte sich ein kalter weißer Umhang um ihn gelegt. Noch während er versuchte, den Schlüssel in das Loch zu stecken, gratulierte er sich dazu, die wasserfeste Wimperntusche aufgetragen zu haben. Die winzigen unbeirrbaren Flocken drohten sein Gesicht komplett aufzuweichen. Nach einem kurzen Ruckeln gab das Schloss endlich nach und Yannik stieß die Tür mit einem Seufzer der Zufriedenheit auf, der ihm jedoch im Halse stecken blieb.

Irritiert sah er sich um. Der Eingangsbereich wies den anscheinend ursprünglichen Steinboden auf, während der Blick nach links die Sicht auf ein modern renoviertes Wohnzimmer und nach rechts in eine Hightech-Küche zuließ. Aus dem Wohnzimmer drang der rötliche Schimmer eines brennenden offenen Kamins. Vorsichtig schloss Yannik die Haustür hinter sich und eine heimelige Wärme durchdrang ihn. Das kurze Gefühl des Wohlbehagens wurde unmittelbar erneut erschüttert, als Yannik Schritte über sich wahrnahm. Wer war in seiner Hütte? Ein Eindringling würde ihm wohl kaum Feuer machen. War Henry doch bereits vor ihm angereist? Unschlüssig stand Yannik im Eingangsbereich. Seinen Plan, sein Gepäck und die Einkäufe für die Silvesterfeier aus dem Wagen zu holen, verwarf er, bis er wusste, wer sich mit ihm in seinem Urlaubsdomizil befand. Wie Schuppen fiel es ihm von den Augen, als er sich an den Hausmeister erinnerte, den Henry erwähnt hatte. Ein Bauer, der nebenan – wo auch immer dies in dieser Einöde war – wohnte, sah immer wieder nach dem Rechten, hatte ihm sein Freund erzählt. Im Sommer goss er die Blumen, im Winter stellte er sicher, dass die Wasserrohre nicht einfroren und die Heizung funktionierte. Erleichtert wollte Yannik nach ihm rufen, doch schlagartig wurde ihm bewusst, dass er dessen Namen nicht kannte. Vielleicht hatte ihn Henry auch gar nicht erwähnt. Wie nett von diesem Jemand, seine Ankunft vorzubereiten. Um den armen Mann nicht zu erschrecken, musste er aber auf sich aufmerksam machen.

»Hallo?«, rief er vorsichtig die Treppe hinauf.

Das Geräusch der Schritte verstummte und Yannik reckte seinen Kopf, um in das Obergeschoss zu sehen. Auch wenn er sich sicher war, dass es sich um den Nachbarn handeln musste, blieb er vorsorglich an der Türe stehen. Unschlüssig wippte er auf den Füßen hin und her. Aus dem Obergeschoss konnte er keine Geräusche mehr wahrnehmen. Ihm blieb nichts anderes übrig, als seine Ankunft in irgendeiner Form deutlich zu machen.

»Hallo. Herr ähm, ah hallo. Hier ist Besuch!«, rief er nun merklich lauter und schüttelte den Kopf über sein Gestammel. Erleichtert merkte er, wie sich die Schritte im Obergeschoss wieder in Bewegung setzten. Schließlich traten besockte Füße, die aus einem Paar Jeans herausragten, welche sich über kräftige Oberschenkel spannten, auf der Treppe in sein Sichtfeld. Während er sich noch über die Freundlichkeit eines Hausmeisters wunderte, der offenbar die Schuhe auszog, um seine Arbeitsrunden zu drehen, wurde sein Blick nicht nur auf ein ihm bekanntes Flanellhemd, das den muskulösen V-förmigen Oberkörper darunter nicht verheimlichen konnte, freigegeben, sondern auch auf das strahlende Gesicht dessen Eigentümers.

Unwillkürlich zuckte Yannik bei dem Anblick der wippenden Lockenpracht, die sich der Träger aus der Stirn strich, wohin sie sofort wieder zurückfiel, zusammen. Ein Schauer überzog seinen soeben aufgewärmten Körper und er bemerkte, wie sich sein Gesicht verfinsterte. Um seine Reaktion auf diese Person vor sich zu überspielen, richtete er sich auf und reckte die Nase in die Luft. Das Zusammenkräuseln seiner Lippen als Ausdruck seiner Missbilligung wollte er nicht verheimlichen. Das konnte sein Gegenüber gerne sehen.

»Du!«, war alles, was er verächtlich ausspuckte, um nicht laut aufzuschreien.

Kapitel Zwei

Daniel

 

Das Lachen gefror auf Daniels Gesicht, als er sah, wer im Eingangsbereich der Hütte stand. Sein Herz machte – wie immer, wenn er Yannik sah – einen Satz und sprang ihm in den Hals. Alles um ihn herum verschwamm, während sein alleiniger Fokus auf den wunderschönen Mann vor ihm gezogen wurde.

»Du!«, hörte er noch und war sich nicht sicher, ob Yanniks Ausruf eher Überraschung oder Ekel ausdrückte. In jedem Fall brachte er Daniel zurück in das Hier und Jetzt. Auf den rund abgetretenen Stufen der Holztreppe rutschte seine Ferse über den Absatz und er kam mit seinem vollen Gewicht auf seinem Fuß zum Stehen. Ein durchdringender Schmerz lief über seinen Rücken bis in den Nacken. Sternchen blitzten vor seinen Augen auf und mit Mühe hielt er sich am Geländer fest, um nicht vollständig die Treppe hinab zu fallen. Als er am Tag zuvor angekommen war, hatte er wie jedes Jahr den heimeligen Mix aus alten Stein- und Holzböden und modern renoviertem Innenleben der Hütte bewundert. Jetzt verfluchte er die rutschigen Stufen, genau so wie seine immer gleiche Reaktion auf Yannik. Er raubte ihm den Atem und brachte ihn jedes Mal wieder schmerzhaft auf den harten Boden der Realität zurück. Egal wie oft er sich vor ihm zum Affen machte, die blonde Schönheit mit den großen, ausdrucksstarken Augen, sah ihn nur von oben herab wie Abschaum an – und das, obwohl Yannik am Fuß der Treppe und somit unter ihm stand.

Der Schmerz ließ langsam nach und an dessen Stelle trat eine Wut darüber, dass er sich von Yannik wieder derart aus der Fassung hatte bringen lassen. Er hatte sich geschworen, ihm diese Genugtuung nie mehr zu gönnen. Doch erneut hatte er ihn nicht nur im übertragenen Sinn auf dem falschen Fuß erwischt. Aber damit war ein für alle Mal Schluss. Er würde Yanniks einnehmende Aura an sich abprallen lassen. Offenbar wollte sein Herz nicht lernen. Es zog es anscheinend vor, sich bei jeder ihm bietenden Gelegenheit vor Yannik auszubreiten, nur um immer wieder von dessen kalter Attitüde zerquetscht zu werden. Also musste sein Verstand in dieser Sache ab sofort das Ruder übernehmen. Nachdem der Schmerz gewichen war und seinen Blick wieder auf dieses faszinierende Exemplar männlicher Perfektion freigab, zwang er sich, genau diese nicht wahrzunehmen.

Ärgerlich darüber, dass ihm dies wieder nicht gelang, herrschte er Yannik an: »Was willst du hier?«

Er war sich sicher, dass sein ehrliches Interesse daran, was Yannik hier – weit weg von wo er tatsächlich sein sollte – machte, durchschien. Als Daniel beim Auspacken der letzten Reste in seinem Koffer eine Stimme im Erdgeschoss wahrgenommen hatte, war er sich sicher gewesen, einer seiner Freunde wäre früher als geplant angekommen. Oder der Verwalter der Ferienhütten, von dem er am gestrigen Abend den Schlüssel abgeholt hatte, musste ihm noch etwas mitteilen. Oder ein Alien war gelandet und hatte sich in seinen Winterurlaub eingeladen. Alles hätte ihn weniger überrascht und aus der Fassung gebracht als Yannik; wie er da stand mit seinen blauen blitzenden Augen und den vollen rosa Lippen. Bevor sein Verstand sich jedoch in die Huldigung Yanniks makellosem Äußeren verabschieden konnte, begannen diese samtigen Lippen ihr Gift zu versprühen: »Ich bin dir kaum eine Rechenschaft schuldig. Es ist armselig, zu welchen Mitteln du greifst. Stalkst du mich mittlerweile?«

Weißer Zorn waberte durch Daniels Gehirn und machte es schwierig, Worte zu finden. »Geh!« Er schluckte und würgte weiter hervor: »Ich habe mein Zimmer bereits bezogen. Wenn hier wer jemandem hinterherfährt, bist das wohl du. Also verschwinde, wenn dich meine Anwesenheit stört. Für mich macht es keinen Unterschied, ob du gehst oder bleibst.« Schnell lief er die Treppe hinab, an Yannik vorbei, um in die Küche zu stürmen. Nicht einbezogen hatte er dabei den Geruch Yanniks, der ihn gleichermaßen zu jeder Jahres-, Tages- und Nachtzeit zu umgeben schien. Gottverdammt, verströmte der Typ Pheromone statt Körpergeruch?

Wütend knallte Daniel den Wasserkocher zurück auf die Station, sodass Wasser leicht über die Öffnung schwappte. Er drückte die Augenlider zu und atmete tief ein, um sich zu fassen. Wie sollten sie die Zeit in dieser Hütte gemeinsam überstehen? Es war schier unmöglich, gemeinsam wenige Stunden in der Anwesenheit des anderen zu verbringen, selbst wenn sie jederzeit den Ort verlassen konnten. Wie sollten sie die nächsten Tage im selben Gebäude schlafen, ohne sich gegenseitig an die Gurgel zu gehen? Die anderen konnten nicht schnell genug ankommen, um Distanz zwischen sie beide zu bringen.

Aus dem Augenwinkel sah er Yannik ungeduldig mit seinem Handy hantieren. Er schien beinahe vor Energie zu bersten. Das war es, was Daniel vom ersten Augenblick an Yannik fasziniert hatte. Diese energiegeladene Schönheit, sein Witz und seine Schlagfertigkeit. Schade, dass diese Kombination in seinem Innersten ein derartiges Ekel war. Seit dem unsäglichen Eklat auf der Geburtstagsfeier Yanniks im September hatte Daniel jeden Kontakt mit ihm gemieden. Der letzte Versuch im Herbst, mit ihm zu reden, endete darin, dass Yannik ihn lauthals aus der Bar, in der er feierte, warf. Danach hatte Daniel aufgegeben. Er hatte erfolgreich sichergestellt, ihm vollständig aus dem Weg zu gehen. Dass darunter seine sozialen Kontakte litten, nahm er gerne in Kauf. Zumindest hatte er dann nicht mehr mit ansehen müssen, wie Yannik mit irgendwelchen Kerlen nach Hause oder sonst wohin ging, während er Daniel keines Blickes würdigte. Es hatte weh getan, zu sehen, wer gut genug für Yannik war und damit immer wieder unter die Nase gerieben zu bekommen, dass er selbst es eben nicht war. Sein innerliches Gejammere war hinfällig und überflüssig. Nachdenklich zog er einen Teebeutel aus der Packung. Genau um diesen Konflikten aus dem Weg zu gehen, war er in diesem Jahr nicht auf Henrys alljährliche Weihnachtsfeier gegangen, auf der das ganze Schlamassel im letzten Jahr begonnen hatte. Er hatte Henry explizit gefragt, zu welcher Feier Yannik zugesagt hatte, um diese dann zu meiden. Deshalb hatte er sich entschieden, Silvester mit seinen Freunden hier zu verbringen – Yannik sollte überhaupt nicht hier sein. Hatte Henry da etwas durcheinandergebracht? Oder hatte er sie beide bewusst hierher gelotst? Daniel knurrte vor sich hin. Das würde seinem harmoniebedürftigen Freund ähnlichsehen: die gute Fee spielen zu wollen, damit sich alle wieder vertrugen.

Hinter ihm schimpfte der Neuankömmling auf sein Telefon ein: »Wieso, verdammt noch mal, gibt es hier kein Netz?«

Wie es aussah, waren sie die nächsten zwei Tage auf sich gestellt. Daniel schüttelte den Kopf. Um diese Tage zu überleben, musste sich etwas ändern.

»Das Netz ist, seit ich hier bin, nicht sehr zuverlässig und teilweise ganz weg. Ist in den letzten Stunden, seit es so zu schneien angefangen hat, nicht besser geworden.«

Yannik sah ihn finster an. »Ich muss hier weg.«

Daniel atmete geräuschvoll aus. Sie waren erwachsene Menschen. Die Hütte war groß genug, um sich aus dem Weg zu gehen. Er hatte keine Lust mehr auf eine Fehde, von der er bis jetzt nicht wusste, woher sie kam, da Yannik nicht mit ihm redete. Nicht mehr mit ihm redete, um genau zu sein. Als sie sich auf einem von Henrys berühmten Sommerfesten kennengelernt hatten, hätte er schwören können, dass sie sich mehr als nur ein bisschen sympathisch fanden. Was folgte, war ein Tanz umeinander herum, der fast ein halbes Jahr dauerte. Bis zu besagter Weihnachtsfeier vor einem Jahr, seit Yannik nicht mehr mit ihm sprach. Es sei denn, er fand einen Grund, ihn wieder anzukeifen. Was auch immer Daniel verbrochen hatte, er war diesen Kleinkrieg satt.

»Bleib. Hol deine Sachen aus dem Auto und such dir ein Zimmer aus. Wir werden es schaffen, uns hier nicht dauernd über den Weg zu laufen und in drei Tagen kommen die anderen ja.«

»Klar! Für deine Machtspielchen stehe ich nicht zur Verfügung.« Yannik schlüpfte in seinen Mantel und drehte sich schwungvoll zur Tür um.

»Wo willst du denn jetzt hin?«

»Lieber schlafe ich im Auto, als mit dir unter einem Dach zu sein.«

Kapitel Drei

Yannik

 

»Was soll das heißen, die Straße ist gesperrt?«

»Des wos i gsogt hob: die Possstroß is seid zwoa Wocha zua. Und wie bist du überhaupt no aufakema? Die Serpentinen über St. Johann san heit a gsperrt woaden.«

Entgeistert starrte Yannik Herrn Mair, den Hausmeister der Ferienhütte, an. Dunkel erinnerte er sich, dass der Mechaniker an der Tankstelle, der ihm mit dem Aufziehen der Schneeketten geholfen hatte, auch irgendetwas von einem gesperrten Pass erzählt hatte – nachdem er Yannik mehr als zweifelnd betrachtet hatte. So ganz genau hatte Yannik allerdings nicht zugehört, da er sich den inquisitorischen Blicken entziehen und einfach nur ankommen wollte.

Er nagte auf seiner Unterlippe: »Und ein Hotel hier im Dorf?«

»Bua! Es is drei Tog vor Silvesta. Entweda die Hotels san zua über Neijohar oda ausbucht. Die Hitten san a olle vull.« Mit einem besorgten Gesichtsausdruck musterte er Yannik. »Wos is des Problem? Es is doch scho ana von aich do. Dem hob i olles im Haus zagt.«

»Ja. Da ist schon einer. Aber ich kann da nicht bleiben«, murmelte Yannik erschöpft vor sich hin.

Der ältere Herr sah Yannik alarmiert an und seine buschigen grauen Augenbrauen zogen sich zusammen. »Is wos passiert? Brauchst a Hulfe?«

Yannik überlegte. Wie sollte er diesem netten Österreicher um die siebzig, den anscheinend nicht mal Yanniks Make-up irritierte, klar machen, dass ihm nicht zu helfen war? Dass er diesem Bündel toxischer Maskulinität, bestehend aus Riesenmuskeln und treudoofen Hundeaugen einfach nicht ausgesetzt sein wollte. Nicht konnte. Er hatte jahrelang mit sich und seinem Umfeld für sich und seine Art zu leben und zu sein, gekämpft. Er hatte es satt, sich mit irgendwelchen Typen abzugeben, die ihn aufgrund ihrer eigenen Unsicherheiten und wegen seiner Erscheinung in Make-up und Glamour klein machen wollten. Dass Daniel genau so auf ihn reagiert hatte, wie all die Kerle, die anscheinend um ihre eigene Männlichkeit Angst hatten, wenn er sich schminkte, und das an ihm ausließen, war überraschend und schmerzhaft gewesen. Letztendlich fragte er sich aber immer noch, was er eigentlich erwartet hatte. Er hatte gehofft, Daniel würde seine Ängste und Befürchtungen nicht bestätigen. Leider war diese Hoffnung vergebens gewesen. Und in dem Moment traf Yannik eine Entscheidung. Eine Entscheidung, die er schon so oft in seinem Leben getroffen hatte: Er würde sich nicht beugen. Aus welchen Gründen Daniel ihm angeboten hatte, gemeinsam zu bleiben, war irrelevant. Dessen Logik sollte für ihn ohnehin bedeutungslos sein. Henry hatte ihn eingeladen und er war fix und fertig nach der Fahrt und der üblen Überraschung, die ihn erwartet hatte.

Entschlossen schüttelte er den Kopf. »Nein, alles gut. Ich brauche keine Hilfe. Danke!«

Yannik schlug den Mantelkragen hoch und vergrub die Hände in seinen Taschen. Zügig ging er die Straße durch das dichte Schneetreiben zurück zu Henrys Hütte. Die wenigen hundert Meter dauerten wieder ewig und zu den Niederschlägen war ein beißender Wind gekommen. Er vergrub das Gesicht im Mantel, um die schneidende Kälte von seinem Gesicht abzuhalten. Ihm blieb nur wenig Zeit, sich zu überlegen, wie er Daniel begegnen sollte. Er musste bestimmt auftreten, um von vornherein klar zu machen, dass er weder ein Objekt der Belustigung war, noch anderweitig mit sich spielen ließ. Außerdem würde er jeden Meter des zur Verfügung stehenden Raumes nutzen, ihm aus dem Weg zu gehen. Er konnte in seinem Zimmer drei Tage lang lesen und die Welt ignorieren.

In Gedanken vertieft und überzeugt, seiner Nemesis entgegentreten zu können, bog er zügig um die Kurve in die Einfahrt, als der Boden unter ihm verschwand und er für eine kurze Sekunde schwerelos war. Eine Landung im Schnee tut nicht weh, war das Letzte, was er dachte, bevor sein Fuß nach dem Aufprall unter ihm weg glitt und ein stechender Schmerz in sein Fußgelenk zog, als er auf diesem landete. Im ersten Moment war er orientierungslos. Nachdem er sicher war, dass der Himmel noch über ihm war, rutschte er auf sein Knie, um das Gewicht von seinem Knöchel zu heben, bevor er sich mit den Händen auf dem Boden abstützen konnte.

»Aaaah!« Ihm entfuhr ein Schrei. Seine Fingerspitzen kühlten innerhalb kürzester Zeit in einem schmerzenden Ziehen ab, sodass er sie schnell ausschüttelte. Wieso hatte er darauf verzichtet, die Handschuhe anzuziehen? Verdammt noch mal! Der Schnee fiel unablässig auf ihn herab und innerhalb kürzester Zeit hatte sich eine feine Schicht auf ihn gelegt. Er sah auf und erblickte nur wenige Meter vor sich die Treppe zur Eingangstür der Hütte. Schwerfällig schob er sich hoch, ohne Gewicht auf sein Bein zu geben. Vorsichtig drehte er den Fuß von einer zur anderen Seite. Der Schmerz bestand scheinbar unvermindert weiter, doch sein Gelenk war frei beweglich. Er musste es bis zum Treppengeländer schaffen, dann konnte er sich zumindest daran hochziehen. In Mini-Schritten, die Zehenspitzen des verletzten Fußes eine Millisekunde zum Ausbalancieren aufsetzend, gelangte er zur Treppe. Ein kleiner Stich stieß ihm mit jedem Schritt in das angeschlagene Gelenk und der Schweiß rann ihm unter seinem Mantel den Rücken hinab, während sein Gesicht von eisigen, kleinen Nadelstichen gepiesackt wurde. Erleichtert, den Fuß entlasten zu können, zog sich Yannik mit aller Kraft am Handlauf hoch. Oben angekommen verharrte er einige Momente und ließ sich seine Atmung beruhigen. Vorsichtig schüttelte er sein Bein und stellte erleichtert fest, dass der Schmerz etwas nachgelassen hatte. Als er die Tür aufschloss, konnte er schon wieder mit etwas mehr Gewicht auftreten. Die ihm entgegenschlagende Hitze traf sein von Schnee verfrorenes Gesicht. Vorsichtig schritt er durch den Eingangsbereich und versuchte herauszufinden, wo sich Daniel aufhielt.

Dieser streckte seinen Kopf aus der Küche. »Bist du wieder da?«

Yannik bemühte sich, seine Mimik zu kontrollieren und gab ruhig zurück: »Ich habe mich entschlossen, zu bleiben.«

Daniel sah ihn ungläubig an. »Aha. Wie dem auch sei. Ist wohl die vernünftigere Entscheidung. Das Wetter ist furchtbar und du bist schon den ganzen Tag unterwegs.«

Yannik atmete erleichtert darüber aus, dass Daniel seine Entscheidung anscheinend so einfach akzeptierte. Gott sei Dank. Er wäre zu einem Schlagabtausch nicht mehr fähig gewesen. Langsam, um keine Aufmerksamkeit zu erregen, ging Yannik weiter in Richtung Wohnzimmer, das auf der von der Küche gegenüberliegenden Seite lag. Auf dem Weg dahin zog er sich die Mütze vom Kopf und legte sie mit seinem Mantel auf ein Tischchen im Flur. Als er endlich vor dem offenen Kamin angekommen war, ließ er sich mit einem nicht mehr zu unterdrückenden Stöhnen auf einem Sessel nieder. Er flexte den Fuß und zog ihn wieder an, während er sich erschöpft zurücklehnte. Er musste noch seine Taschen aus dem Auto holen. Während er noch abwägte, wie er unbemerkt nach draußen gelangen sollte, erschien Daniels große Silhouette im Türrahmen und lehnte sich dagegen.

»Was ist mit deinem Bein?« Er sah mit gerunzelter Stirn auf Yannik hinab, der nur den Kopf schüttelte und versuchte, all das Eis, das er aufbringen konnte, in sein Lächeln zu legen.

»Nichts. Alles bestens. Ich ruh mich nur aus.«

Daniel nickte kurz und wandte sich ab. »Ich packe fertig aus.«

Gott sei Dank für die gewonnene Zeit, jubilierte Yannik innerlich. Das Feuer knisterte leise vor sich hin und er streckte die Füße gen Hitze. Nur einen Moment das Bein entlasten, dann würde er aufstehen, um seine Sachen zu holen. Nur kurz ausruhen, war das Letzte, was er dachte. Dann fielen ihm die Augen zu.

Kapitel Vier

Daniel

 

»Yannik …« Daniel verharrte mit zwei Tassen Tee auf der Schwelle zum Wohnzimmer, als er Yannik im Sessel in sich zusammengesunken erblickte. Aus seinem Gesicht war jede Anspannung gewichen und er schien tief und fest zu schlafen. Erleichtert darüber, seinen gefassten Vorsatz, Yannik einen Waffenstillstand anzubieten, solange sie allein waren, nicht sogleich in die Tat umsetzen zu müssen, erlaubte Daniel es sich, ihn genauer zu betrachten. Trotz der langen Fahrt und seinem Ausflug in den Schnee saß Yanniks Make-up tadellos. Die langen, dunkel getuschten Wimpern streckten sich in Richtung seiner Wangenknochen und der scharf gezogene Lidstrich stand in starkem Kontrast zum verspielten Glitzer um seine Augen. Obwohl sie geschlossen waren, schienen sie aufzublitzen. Yanniks feine Gesichtszüge kamen durch das Millimeter kurze Haar und die blonden Bartstoppeln noch deutlicher zur Geltung.

Voller Bedauern fragte Daniel sich zum wiederholten Male, wie ihre Freundschaft so beschädigt worden war, dass es ihnen nicht mehr möglich war, ein freundliches Wort aneinander zu richten. Seine Finger zuckten, so als ob sie sich zu Yannik ausstrecken wollten, um dessen Wange entlang zu fahren.

---ENDE DER LESEPROBE---