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Der Schniederlihof im Schwarzwald, auf der Südseite des Schauinslands, wurde im Jahr 1593 erbaut und, nach einem Umbau 1766, fast unverändert bis ins Jahr 1965 bewohnt. Weil hier die letzte Bäuerin noch ganz traditionell gelebt hatte, blieb der Hof in seiner ursprünglichen Gestalt erhalten. Heute ist der Schniederlihof Museum und spricht als original erhaltenes Schwarzwaldhaus von den früheren Zeiten, die so lange zurückzuliegen scheinen und hier doch mit Händen zu greifen sind. Der Leiter Andreas Venzke erzählt hier nicht nur die Geschichte dieses Hauses, sondern auch einige zugehörige Geschichten.
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Seitenzahl: 75
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Ein Rundgang durch den Schniederlihof
„Was für ein Abenteuer!“
Der zivilisatorische Fortschritt: Das Leben heute und
damals
„Maria tanzt! – Eine Mär aus dem Schwarzwald“
Lied: „
In Mueders Stübele
“
Lied: „
Hofsgrund
“ (Mariele Loy und Uli Führe)
„Ehrenamtlich“
„Käsemachen in Reimform“
„Geschichten“
Chronik: Die Geschichte des Schniederlihofs
„
Deheim bi de Antone
“ (Mariele Loy)
Literatur
Seit beinahe undenkbar langen Zeiten steht der ganz aus Holz errichtete Schniederlihof am südlichen Hang des Schauinslands, geradezu als Teil der Landschaft, in die er sich so duckt, als wollte er gar nicht gesehen werden. Und im Winter, wenn Schnee liegt, wie er früher monatelang die Landschaft bedeckte, ist der Schniederlihof wirklich wie versteckt.
Der Schniederlihof von Westen aus Hofsgrund kommend, der einzigen möglichen Zufahrt
Mit dem vielen Schnee auf dem Dach wirkt er dann wie ein riesiger Iglu. Und mit dem Winter vor Augen wurde er auch erbaut. Es galt, hier auf über 1000 Metern Höhe die kalte und oftmals eiskalte Jahreszeit nicht nur zu überstehen, sondern sie zu überleben.
Der Schniederlihof ist ein typisches Schauinslandhaus. Zwar ist sein Erscheinungsbild mächtig, jedoch hat ein „normales“ Schwarzwaldhaus noch ganz andere Ausmaße: noch einmal doppelt so groß. Der Schniederlihof hat eine Grundfläche von 150 m2. Er reichte zur Selbstversorgung für nur eine Familie, ohne zusätzlich „angestellte“ Knechte und Mägde, mit höchstens sechs Kühen, ein oder zwei Schweinen und ein paar Ziegen oder Schafen.
Auch der Schniederlihof ist traditionell in Holzständerbauweise errichtet, so wie man klassisch ein Zelt aufbaut. Das ganze Haus erhebt sich um drei Hauptständer, den Hochsäulen (oder Firstsulen), die vom Boden bis zum First als ganzer Stamm bestehen und mit Pfetten und Riegeln an weiteren Ständern verzimmert sind. Wie ein Regenschirm spannt sich das riesige Dach über alles Innere, über Wohnung, Stall und Brunnengang. Als Konsequenz hat das Haus nur wenig Licht und in weiten Teilen sogar höhlenartigen Charakter: Die wenigen im Dach eingebauten Glasflächen stammen aus der Neuzeit, und künstliches Licht gab es nur in Form eines rußenden Kienspans, einer flackernden Talglampe oder einer teuren Kerze: Der Sonnenstand im Jahresgang gab den Rhythmus des Lebens vor.
Dieses wunderbar gearbeitete Modell des Schniederlihofs zeigt dessen Konstruktionsprinzip.
Diese Bauweise als Eindachhof entspricht zwar der eines Schwarzwaldhauses, die man jahrhundertelang beibehielt (man spricht auch von Heidenhaus), doch hat beim Schniederlihof dieser Typ noch einmal eine ganz eigene Form angenommen. Weil das Gelände steil abfällt, musste man hangparallel bauen. Weil das Gebäude zudem (wieder dem Gelände geschuldet) vergleichsweise kurz ist (16 m), blieb auch auf der Talseite kein Platz für einen Hausgang. Daher konnte es keinen getrennten Zugang für Mensch und Tier geben. Lange Zeit nutzte man auf der Schönwetterseite, wo das Dach als Halbwalm weit vorkragt, das Tor zum Brunnengang als gemeinsamen Einlass, nach hinten in den Stall und nach vorn zur Küche. Den heutigen Treppenaufgang gab es zu Beginn nicht. In dem Stüble dahinter hatte die letzte Bewohnerin, Antonia, das Wohnrecht. (Die dann nach dem Tod ihres letzten Bruders den Hof jahrelang allein bewohnte, nur noch mit ihren vielen Katzen.)
Wie bei jedem traditionellen Firstständerhaus ergab sich auch die Raumaufteilung wie von selbst, nämlich jeweils eine Fläche links und rechts der Hochsäulen: Da ist zunächst links die gute Stube, rechts davon das Stüble und die Rauchküche mit einer eigenen Laubkammer, beidseitig darüber die Stubenkammern. Hinter der guten Stube liegt die Schlafkammer, dahinter, ohne den üblichen, trennenden Hausgang, sofort der Stall, darüber die Heubühne. Zur Bergseite zieht sich über die gesamte Länge des Hauses der Brunnengang (oder Schopf), mit der darüberliegenden Einfahrt in die Tenne.
Der Schniederlihof ist wahrlich ein Relikt aus einer Zeit, als der Mensch sich seine Umwelt völlig einverleibt hatte, geradezu eins mit ihr war. In einem solchen „Holzwesen“steckt nicht nur das Wissen, die Tradition und das Geschick der früheren Bewohner, sondern in gewisser Weise ihr ganzes Leben.
Auch wenn die Gegend um den Schniederlihof, ohne asphaltierte Straße, ohne Beleuchtung, abseits gelegen vom Ort Hofsgrund, wild und ursprünglich erscheint, ist es doch eine reine Kulturlandschaft, und zwar eine ganz besondere, jahrhundertelang vom Menschen gemacht.
Ursprünglich handelt es sich rund um den Feldberg und also auch den Schauinsland um eine typisch geglättete oder sogar ausgehobelte Eiszeitlandschaft, die einst aus nacktem Fels bestand, den in den folgenden Warmzeiten (wie der heutigen, dem Holozän) dann der Wald bedeckte. Dieser erschien einstmals so rau und dunkel (Schwarzwald), dass ihn selbst die Römer mit ihren fortschrittlichen Technologien mieden.
Erst im frühen Mittelalter wurde der Schwarzwald von den Klöstern in ihrem (ursprünglichen) Bedarf nach Abgeschiedenheit erschlossen, und dann, zusammen mit den weltlichen Herren, in ihrem Bedarf nach Macht und Reichtum auch in den Höhen besiedelt. Rund um den Schauinsland gab es bedeutende Silbervorkommen, und Silber in seiner Seltenheit und Beständigkeit war im Mittelalter im Grunde so wertvoll wie Gold. So bot der undurchdringliche, urtümliche Wald, der in der Höhe fast ausschließlich aus Tannen und Buchen bestand, auf einmal eine gute Lebensgrundlage vor allem für die Bergleute, die am Ende des 12. Jahrhunderts Stück für Stück besonders aus dem Münstertal bis hoch zum Schauinsland vordrangen, immer auf der Suche nach Erzgängen mit dem kostbaren Silber. Wenn man sich auskannte, das heißt, wenn man aus Erfahrung die Natur deuten konnte (Wasserläufe, Quellen, Pflanzenbewuchs, Qualität und Farbe der Steine), „sah“ man, wo im Boden Erzadern verliefen.
Die Landschaft auf der südlichen Seite des Schauinslands, auf dem Weg zum rechts versteckt gelegenen Schniederlihof und dem 1 km entfernten Ort Hofsgrund (links oben)
Zu Beginn ließ sich das Erz relativ leicht gewinnen. Hatte man erst einmal einen Erzgang gefunden, baute man diesen von oben ab, so dass ein sogenannter Verhau entstand. Erst wenn das Erz so nicht mehr zu erreichen war, drang man mit dem Anlegen von Stollen in den Berg vor. Die Stollen mussten jedoch, oberflächennah, abgestützt werden, wozu man Holz benötigte, das es freilich am Anfang im Überfluss gab.
Wenn auch heute noch die ganze Gegend um Hofsgrund von Wiesen oder von Weiden mit dem typischen Borstgras umgeben ist, so gehört allerdings für das Mittelalter das Bild dazu, dass die bis dahin entwaldete Umgebung auf allen Seiten von Stollen durchzogen war, darunter Abraumhalden, auch das Gewann „Gegendrum“, wo der Schniederlihof steht. Die Bezeichnung ist Ausdruck dafür, dass man sich (heute verschüttete) Erzgänge, die Trume oder Trümer, von der Gegenseite jenseits der Silberbergstraße (K 4996), auf der Südseite des Schauinslands weitergeführt dachte. Hofsgrund mit dem Schniederlihof war eigentlich eine Industrielandschaft (die dann in der Neuzeit wie geschaffen war für die Ski-Industrie – mit einer von November bis März geschlossenen Schneedecke!).
Der Bergbau, im Jahr 1593 noch in Betrieb, war auch der Grund für den Bau des Schniederlihofs. Der Boden in dieser Höhe bot eigentlich keine guten Voraussetzungen für Landwirtschaft. Nicht nur ist er karg und kaum von Humus bedeckt, sondern eben auch äußerst steil. Auf den Matten gibt es für Kühe, Schafe und Ziegen wenig Nahrung. Doch die Bergleute brauchten Verpflegung, und wer sich als Bauer in dieser Landschaft niederließ, hatte zwangsläufig mit dem Bergbau zu tun. Die Bauern ernährten die Bergleute und gesellten sich als Arbeiter auch zu ihnen.
Derart begrenzt waren die landwirtschaftlichen Ressourcen in diesem Teil des Schwarzwalds, dass der Fortbestand eines Hofes immer bedroht war, zumal in Krisenzeiten, und zwar in Krieg und Frieden. Ein Sommer mit schlechter Heuernte konnte bedeuten, dass man das Vieh nicht „überwintern“ konnte. Noch als es zur Mitte des 19. Jahrhunderts zur Kartoffelfäule kam, konnten manche Bauern ihre Kinder nicht mehr ernähren und versteigerten sie regelrecht, um ihr (das der Kinder und das eigene) Überleben zu sichern. Alle hundert Jahre geht ein Bettelmann durchs Haus, hieß es im Schwarzwald.
So gab es hier sogar ein eigenes Erbrecht, das sogenannte Anerbenrecht. Ein solcher einzelner Hof konnte nur bestehen, wenn er erblich ungeteilt blieb. Deswegen hatte von den meist vielen Kindern nur eines Anspruch auf den Hof als Erbe, und zwar der jüngste Sohn, der „Hofengel“. (Töchter, und zwar die älteste, kamen nur in Frage, wenn es keinen männlichen Nachfolger gab.) Dieses sogenannte Minorat hatte seinen Grund darin, dass die Eltern den Hof damit so lange wie möglich selbst halten konnten und dass der Jüngste in guter Gesundheit sie länger pflegen konnte als der Älteste. Noch zu Lebzeiten vermachten also die Eltern ihren Hof in einer bis in die Einzelheiten abgefassten Abmachung (Leibgeding) an den jüngsten Sohn, der sich als Gegenleistung verpflichtete, für seine Eltern bis zu ihrem Tod zu sorgen. Seine Geschwister wurden „ausgekauft“, blieben als Knechte oder Mägde auf dem Hof oder sorgten woanders für ihr Auskommen.
Dass nun der Schniederlihof als einer der ältesten erhaltenen Schwarzwaldhöfe bis heute bestehen bleiben konnte, ist eigentlich kaum zu glauben. Denn als auch in der Gegend von Hofsgrund besonders ab den 1970er Jahren die Moderne Einzug hielt, mit Autos für jedermann, Strom, Telefon, Waschmaschine und einer modernen (Öl-)Heizung, wollte in den „alten Hütten“ niemand mehr gern wohnen. Es galt als rückständig. Massenhaft riss man daher die alten Höfe ab,