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Das Kirchenjahr wieder theologisch entdecken
Im Kirchenjahr begegnet uns Theologie in besonderer Gestalt. Jedes Fest erzählt einen anderen Teil der Geschichte Jesu Christi, bietet Verheißungen, Wegweisungen, Anstöße, aber auch Zumutungen. Gerhard Sauter erschließt hier Bau und Botschaften des Kirchenjahres auf ebenso kundige wie seelsorgerlich einfühlsame Weise. Wer einen neuen Blick für die Themenvielfalt der Feste und Feiern des Jahres gewinnen möchte, wer anderen das Kirchenjahr im Gottesdienst oder im Unterricht nahe bringen oder wer einfach einmal wissen will, was es in der Kirche außer Weihnachten sonst noch zu feiern gibt, der findet hier eine anregende, ja, spannende Lektüre.
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Seitenzahl: 559
Das Kirchenjahr mit seiner immer erneuten Vergegenwärtigung und Darstellung des Lebens Christi bis zur Ausgießung des Heiligen Geistes ist das größte Kunstwerk der Menschen; und Gott hat sich dazu bekannt und gewährt es Jahr für Jahr, »sendet seine Güte und Treue« (Psalm 57) und schenkt stets von neuem und stets in ganzer Fülle sein Wort zu Advent, Weihnacht, Passion, Ostern, Himmelfahrt, Pfingsten; schenkt es in immer neuem Lichte, als begegnete es einem zum ersten Male!
JOCHEN KLEPPER, Tagebucheintrag am 22. Februar 1939, in: Unter dem Schatten deiner Flügel. Aus den Tagebüchern der Jahre 1932-1942, hg. von Hildegard Klepper, Stuttgart 1956, 728.
Im Kirchenjahr begegnet uns Theologie in anderer Gestalt, als die Dogmatik, eine Glaubenslehre oder eine Systematik theologischen Denkens sie bieten können. Jedes Fest hält eine spezifische Botschaft, Verheißungsworte, Wegweisungen, Anstöße und Zumutungen für uns bereit, damit wir sie staunend aufnehmen, zu Herzen nehmen und voller Freude weitertragen. Ein jeder Festinhalt will in seiner Eigenart, mit seiner Zuspitzung und seinen Verweisen entdeckt werden, und er kann sich jedes Mal unter einem anderen Blickwinkel von unerwarteter Seite zeigen. Vergleichen wir das Kirchenjahr mit einem Bauwerk, dessen Grund nicht von Menschenhand gelegt ist, an dem aber Generationen über Generationen mitgearbeitet haben, dann können wir von Stützpfeilern, Verstrebungen und kunstvollen Querverbindungen sprechen, die seine Wucht tragen. Wie bei jedem großen Bau muss auch hier immer wieder etwas von Ablagerungen gereinigt, ausgebessert, erneuert, ersetzt und ergänzt werden.
Die Statik des Kirchenjahres weist aufwärts, und sie will einen lichten Raum bilden, in den der Glanz des Lebens Christi einfällt, auch wenn draußen dunkle Wolken vorüberziehen. Das Leben Christi: das Herzstück der Geschichte Gottes mit den Menschen, sein Handeln an, in und mit Jesus Christus für alle Welt, erinnert und erwartet kraft des Heiligen Geistes. Weil das Kirchenjahr ein verlässlicher Zeitraum für die Begegnung dieses Handelns ist, bleibt es ein lebendiges Gebilde, das sich der unerschöpflichen Treue Gottes verdankt.
»… als begegnete es zum ersten Male«, schrieb JOCHEN KLEPPER über das Geschenk des Gotteswortes im neuen Lichte eines jeden Festtages im Kirchenjahr. Dieses anvertraute Wort hat einen unschätzbaren Mehrwert gegenüber allen unseren Auslegungen. Darum will immer wieder von Neuem gehört werden, was uns hier gesagt wird. Theologie kann diese Erwartung beleben, sie erweitern und vertiefen, indem sie hilft, biblische Texte für Liturgie und Predigt eines Festtages mit einem theologisch geübten Blick zu lesen. Dieser Blick richtet sich auf die Fragen: »Wer ist Gott? Wer ist Jesus Christus? In welchem Verhältnis stehen beide zueinander und zum Heiligen Geist? Was ist hier geschehen, getan und erlitten worden – ein für allemal? Was kündigt sich dabei an? Wen dürfen wir erwarten?« So werden auch Zusammenhänge innerhalb des Kirchenjahres und sein überraschender Beziehungsreichtum erschlossen, Anstöße der Festbotschaften verschaffen sich Geltung.
Die Feste des Kirchenjahres sind gewissermaßen Portale für den Eintritt in den Innenraum der Christusgeschichte. Wer ihn betritt, kommt mit der Kirche und ihrer Botschaft in Berührung – mit der Verheißung des Kommens Christi in sein Leben. Eine Theologie des Kirchenjahres kann die Architektur der Portale erklären, auf oft übersehene Details aufmerksam machen, vielleicht über die Schwellenangst hinweghelfen, die sich durch Enttäuschungen über das Erscheinungsbild der Kirche eingeschlichen hat. So will sie geschichtlichen Einführungen1, liturgischen Erläuterungen und Versuchen zur Neugestaltung von Festen und Festzeiten2 zur Seite stehen. Sie richtet sich an alle, die das Kirchenjahr als Kunstwerk näher kennenlernen möchten oder denen es fremd geworden ist, ohne dass sie es schon als Auslaufmodell abschreiben. Andere, die allenfalls noch das weihnachtliche Hauptportal durchschreiten, werden schwerlich von einer Theologie des Kirchenjahres angesprochen werden. Diejenigen aber, die für einen solchen Festtag, der leichter als andere zugänglich scheint, einen Gottesdienst vorbereiten, werden eine größere Verantwortung verspüren, der sie sich oft nicht gewachsen fühlen. Haben sie nicht schon unzählige Male das Gleiche gesagt? Und kann ein einziger Festgottesdienst Spuren für ein ganzes Jahr hinterlassen, auch wenn er noch so anziehend inszeniert wird?
Viele Prediger und Predigerinnen sehen sich in ihrer Vorbereitung auf Festtage, zumal vor Weihnachten und Ostern, auf ein relativ enges Themenspektrum festgelegt. Vielleicht lassen sie sich auch verleiten, das Fest auf einen Nenner zu bringen, der Jahr für Jahr gnadenlos wiederholt wird. Abgesehen von der Arbeitsüberlastung, die sich vor und bei jedem großen Fest einstellt, wird die Monotonie eines stereotypen Festmotivs die Predigerin, den Prediger erschöpfen und die Gemeinde bald ermüden. Zwar ermöglichen die biblischen Texte, die für Liturgie und Predigt vorgesehen sind, eine gewisse Abwechslung; Akzente können unterschiedlich gesetzt werden. Theologie kann aber den Blick auf einen Horizont lenken, der über die Geschichten, die an diesen Festen erzählt werden und die über sie oder im Anschluss an sie erzählt werden könnten, weit hinausgeht. Dafür sind auch viele Gemeindeglieder aufgeschlossen. Aber viele kennen nur noch Feste des Kirchenjahres, die gesetzliche Feiertage sind, aus der Einteilung ihres Kalenders, und Kirchenblätter zeigen nur die Hauptfeste an.
»Meine Eltern waren noch ganz im Kirchenjahr getaktet, ich hatte schon Schwierigkeiten damit, und meinen Kindern sagt es gar nichts mehr.« So oder ähnlich hörte ich es oft in den letzten Jahren. Diesem Verblassen des Kirchenjahres möchte ich die Freude entgegenbringen, das Kirchenjahr zu entdecken: als ein Kunstwerk, in dem das Vertrauen darauf, dass »alle meine Zeiten in deinen Händen« sind (Ps 31,16), an den Stationen der Christusgeschichte Halt gewinnt. Die innere Dynamik des Kirchenjahres und sein Rhythmus strukturieren gelebtes Leben durch Schrittfolgen – auch außerhalb der Festtage, an denen miteinander gefeiert wird, wie Gott zu bestimmter Zeit an, in und mit Christus für uns handelte und was er zu tun verheißen hat. Das Kirchenjahr gestaltet mit seinem reichen Gedächtnis, seinen vielseitigen Wahrnehmungen, seinen Klärungen und seiner hoffnungsvollen Ausrichtung die Lebensform christlichen Glaubens. Um mit dieser Lebensform vertraut zu werden, bedarf eines lebenslangen Lernens. Es schließt auch ein, das Leben im Kirchenjahr von anderen Festkalendern und Zeitfolgen zu unterscheiden, an die wir gebunden sind: an die Jahreszeiten und den vegetativen Rhythmus regelmäßig wiederkehrender Zustände und Veränderungen von Lebewesen.
Seit einiger Zeit wird eine Reform der Textvorschläge für die gottesdienstlichen Lesungen und die Predigttexte vorbereitet;3 Diskussionsbeiträge und einige Ergebnisse liegen bereits vor, die vermuten lassen, dass eine Neuausrichtung besonders der Feiern im Kirchenjahr angestrebt wird. Der umfangreiche Entwurf einer »Neuordnung der gottesdienstlichen Lesungen und Predigttexte« im Auftrag der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), der Union Evangelischer Kirchen in der EKD (UEK) und der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD)4 wurde kürzlich den Landeskirchen zur Erprobung übergeben. Auf dies alles kann ich zwar nur am Rande eingehen, dennoch versteht sich meine Darlegung als theologischer Beitrag zu der in Gang gekommenen Debatte.
Eine Theologie des Kirchenjahres möchte auch die christliche Unterweisung und den Religionsunterricht unterstützen. Deshalb wendet sie sich an Lehrende und Studierende, die den christlichen Glauben und seine Hoffnung als Lebensform verstehen wollen, statt Kirche und Christentum durch einen Religionsvergleich anhand theoretischer Raster zu erkunden oder nur religionswissenschaftlich einzuordnen. Begegnungen mit anderen Religionen auf alltäglicher Ebene gelingen eher über die Wahrnehmung von Festen als über die Aufzählung von Themen, die Gemeinsamkeiten und Unterschiede namhaft machen sollen. Schnittstellen zwischen Kirchenjahr und Höhe- oder Wendepunkten im Jahreslauf können zu Brücken zwischen Schule und Kirche werden.
Während der Jahre meiner Lehrtätigkeit in Bonn habe ich regelmäßig Seminare über »Theologie der Festtagspredigten« angeboten. Sie zeigten mir, dass viele Studierende der Theologie ein inneres Verhältnis zum Kirchenjahr vermissen lassen. Um diese Beziehung wieder zu gewinnen, ist erfahrungsgemäß eine theologische Zusammenschau biblischer Texte geeignet, die sich für die Feste des Kirchenjahres anbieten, von denen allerdings viele in exegetischen Lehrveranstaltungen nur höchst selten ausgelegt werden. Eine solche Synopse kann auch helfen, die verbreitete Scheu vor dem Aussagengefüge der Theologie zu nehmen. Sie verhilft zu einer freieren theologischen Denkart, als Kompendien der Dogmatik oder eine systematisch konzipierte Glaubenslehre sie erlauben. So können Fragen, die sich aus der kirchlichen Praxis stellen, so integriert werden, dass Bibelauslegung, dogmengeschichtliche Forschung und theologische Urteilsbildung zusammenwirken.
Vorarbeiten zu diesem Buch finden sich in Predigtmeditationen, die ich seit 1966 für die Neue Folge von »Hören und Fragen«, die »Göttinger Predigt-Meditationen« und die drei Folgen der »Calwer Predigthilfen« schrieb. Für einige Passagen habe ich Predigten aus dem Band »Zumutungen als Ermutigung« herangezogen.5 Das Einleitungskapitel ist eine teilweise veränderte und erheblich erweiterte Fassung meines Beitrages zur Festschrift für Friedrich Wintzer,6 der auf eine Studie für die Festschrift für Antonius H. J. Gunneweg zurückgeht.7 Kapitel 6 erschien mit dem Titel »An Ostern die Auferstehung predigen« in: Göttinger Predigt-Meditationen 63 (2009), 153-165, und wurde überarbeitet.
Die Belege aus dem Alten Testament werden meistens in der Übersetzung der Zürcher Bibel (Ausgabe 1955) zitiert. Abkürzungen entsprechen dem Verzeichnis in »Religion in Geschichte und Gegenwart« (RGG,4 Bd. 8, Tübingen 2005). EKG bedeutet »Evangelisches Kirchengesangbuch« (1950), EG »Evangelisches Gesangbuch« (1996), EGB »Evangelisches Gottesdienstbuch«.8 Bei Literatur aus den USA habe ich, wie dort üblich, auch den Verlag angegeben. – Sind für biblische Lesungen und Predigttexte zusätzlich Verse (in Klammern) zur Wahl gestellt, werden sie nach einem Semikolon hinzugefügt.
Meiner Frau Annegrete, Pfarrer Thomas Bergfeld (Wegberg/Serneus in Graubünden), Pfarrer Dr. Rainer Fischer (Köln), Kirchenrat Hans-Peter Friedrich (Düsseldorf), Prof. Ernstpeter Maurer (Dortmund), Pfarrerin Sabine Petzke (Köln), Pfarrerin Dr. Caroline Schröder Field (Basel), Prof. Hans G. Ulrich und Prof. Karin Ulrich-Eschemann (Erlangen) und Pfarrer Kurt Josef Wecker (Heimbach in der Eifel) danke ich herzlich für ihre Anregungen zur Ausgestaltung meiner Entwürfe, Prof. Albert Gerhards (Bonn) für seine Auskünfte und Hinweise aus der Sicht eines katholischen Liturgiewissenschaftlers, Herrn Diedrich Steen und Frau Gudrun Limberg (Gütersloher Verlagshaus) für die vertrauensvolle Zusammenarbeit.
Gewidmet ist dieser Versuch der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Karls-Universität Prag. Prager Kollegen wünschen seit Längerem von mir gleichsam einen Grundriss und einen Aufriss evangelischer Theologie, und ich hoffe, ihrer Bitte einigermaßen nachzukommen, wenn auch in anderer als der üblichen Form.
Sankt Augustin bei Bonn, im Advent 2014
Gerhard Sauter
HANSJÖRG AUF DER MAUR, Feiern im Rhythmus der Zeit, Bd. 1: Herrenfeste in Woche und Jahr (Gottesdienst der Kirche. Handbuch der Liturgiewissenschaft 5), Regensburg 1983; KARL-HEINRICH BIERITZ, Das Kirchenjahr. Feste, Gedenk- und Feiertage in Geschichte und Gegenwart, München 1987 (82013); KLAUS-PETER JÖRNS und KARL-HEINRICH BIERITZ, Artikel »Kirchenjahr«, in: TRE 18, 1989, 575-599.
Zum Beispiel GERHARD RÖDDING, Das Kirchenjahr feiern & erleben, Gütersloh 2002; Kontexte zu den Festkreisen des Kirchenjahres. Anregungen für Gottesdienst und Gemeindearbeit, hg. von Erhard Domay, Gütersloh 2004; Die Feste im Kirchenjahr. Gottesdienste und Erläuterungen zum Feiern in gerechter Sprache, hg. von Erhard Domay und Hanne Köhler, Gütersloh 2004; KRISTIAN FECHTNER, Im Rhythmus des Kirchenjahres. Vom Sinn der Feste und Zeiten, Gütersloh 2007; Leben mit dem Kirchenjahr – Ein Gang durch die Zeit im Altenheim, hg. von Martina Plieth, Neukirchen-Vluyn 2008; Nimm an unser Gebet. Gebete im Gottesdienst an Sonn- und Feiertagen im Kirchenjahr, hg. von Martin Evang, Gerd Kerl und Ilsabe Seibt, Neukirchen-Vluyn 2011; GERHARD ENGELSBERGER, An deiner Quelle. Eingangsgebete, Fürbitten und Impulstexte durch das Kirchenjahr, Gütersloh 2013.
Die Liturgische Konferenz des Lutherischen Kirchenamtes erarbeitete seit 2002 ein Projekt »Kirchenjahr erneuern«, vorgestellt als »Gottesdienst von Monat zu Monat. Elementares Kirchenjahr«, [Hannover] 2009. – Die Konferenz Landeskirchlicher Arbeitskreise Christen und Juden veröffentlichte im Sonderheft Dezember 2009 der »Zeitschrift für Kirchen und Judentum« ein »neues Perikopenmodell« unter dem Titel »Die ganze Bibel zu Wort kommen lassen«. – Siehe dazu HENNING THEISSEN, Was wird aus der Perikopenordnung? Zwei aktuelle Vorschläge aus dem Bereich der EKD, in: DtPfrBl 110 (2010), 353-357; ders., Eingedenk Israels predigen. Die Konferenz Landeskirchlicher Arbeitskreise Christen und Juden schlägt ein neues Perikopenmodell vor, in: PTh 99 (2010), 418–434.
http://62.154.201.176/Perikopenrevision-Enddatei-WEB.pdf.
Erschienen als Bd. 22 der Reihe »Predigt heute«, Waltrop 2012.
»Kein Jahr von unserer Zeit verflieht, das dich nicht kommen sieht.« Dogmatische Implikationen des Kirchenjahres, in: In der Schar derer, die da feiern. Feste als Gegenstand praktisch-theologischer Reflexion, hg. von Peter Cornehl, Martin Dutzmann und Andreas Strauch, Göttingen 1993, 56-68.
Passahaggada und Osterpredigt, in: Altes Testament und christliche Verkündigung, hg. von Manfred Oeming und Axel Graupner, Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz 1987, 207-223.
Evangelisches Gottesdienstbuch. Agende für die Evangelische Kirche der Union und für die Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche Deutschlands, Berlin, Bielefeld und Hannover 1999. Taschenbuchausgabe 22001.
Der kirchliche Festkalender bietet die Gelegenheit, an bestimmten, herausgehobenen Tagen ein spezifisches Handeln Gottes an, in und mit Jesus Christus und das Wirken des Heiligen Geistes zu feiern. So bildet das Kirchenjahr eine Gedächtnisstütze der Kirche und weist den Weg, auf dem wir Jesus Christus als den Kommenden erwarten. Das Kirchenjahr hilft uns, Jesu Christi eingedenk zu bleiben, und es macht uns wachsam und aufmerksam dafür, wie Jesus Christus uns heute begegnet: im Zusammenhang der Geschichte Gottes mit den Menschen und ihrer Welt. Festtage, ob sie nun zu öffentlichen Feiertagen wurden oder nicht, haben tiefe Spuren in unserer Kultur und deren gesellschaftlichem Leben hinterlassen. Dort versandeten manche Feste allmählich oder sind umgepflügt, manchmal auch untergepflügt worden. Umso mehr sind alle, die zur Christenheit gehören, gefragt, ob sie im Kirchenjahr leben und sich in seinem Rhythmus bewegen. Besonders dringlich richtet sich diese Frage an alle, denen die Verkündigung des Evangeliums anvertraut ist.
Wir sind gewohnt, Advent, Weihnachten, Epiphanias, Karfreitag, Ostern, Christi Himmelfahrt, Pfingsten und den Sonntag Trinitatis als eine Reihe oder Kette anzusehen. Doch die frühe Christenheit kannte länger als drei Jahrhunderte nur ein einziges Christus-Fest: das Gedenken vornehmlich der Passion und des erlösenden Todes Christi, zunächst wohl zeitgleich mit dem jüdischen Pessach-/Passa-Fest, später als auch terminlich eigenständige Feier, die in der Freude über die Auferstehung Jesu Christi gipfelt.1 Ebenfalls auf Ostern gestimmt war der Anfang jeder Woche, seit dem 2. Jh. als »Tag des Herrn« bezeugt. An diesem Tag sind wir »zu neuer Hoffnung gekommen« und ist »unser Leben aufgegangen durch ihn«, Christus, »und seinen Tod«.2 Der erste Wochentag wird auch »Sonnentag« genannt: Tag der Schöpfung, an dem das Licht von der Finsternis geschieden wird, und Tag der Auferstehung Christi, an dem Gottes Licht des Lebens die Finsternis des Todes durchbricht.3
321 dekretierte Kaiser KONSTANTIN der Große, der erste Wochentag sei als »verehrungswürdiger Tag der Sonne« und als öffentlicher Ruhetag zu begehen. So wollte er dem Gott »Sonne«, den er anbetete, staatliche Reverenz erweisen. Wurde, als der Kaiser sich taufen ließ, der Sonntag zum Herrentag – oder wurde der Herrentag zum Sonntag? In welchem Verhältnis stand der staatlich gewährte Ruhetag zum Tag des Herrn mit seiner Feier des Herrenmahles und ihrer Ausstrahlung nicht nur auf diesen Tag, sondern auf die ganze Woche, die mit ihm beginnt? Ruhetage, die zur Erholung gebraucht werden, sind nicht unbedingt an einen bestimmten Rhythmus gebunden. Der Sonntag ist als Feiertag ein Gottesgeschenk an die Menschen, das sie gemeinsam auf Jesus Christus ausrichtet, indem es sie zum Gottesdienst zusammenruft, in dem das Herrenmahl gefeiert wird. An jedem Herrentag begegnet Christus auf seine besondere Weise der Gemeinde, die sich zu seinem Gedenken und in der Erwartung auf ihn versammelt, »bis er kommt« (1 Kor 11,26). Christus ist die Gestalt der strahlenden doxa Gottes, weder der Sonnengott noch eine neue Sonne. Bereits für den Sonntag als Herrentag stellte sich also die Frage, wie sich äußere Veranlassung und innere Gründe zueinander verhalten. Diese Frage wird an vielen Festtagen des Kirchenjahres wiederkehren.
Im 4. Jh. setzt ein Prozess ein, der die Osterbotschaft aufgliedert und auf weitere Christus-Feste gleichsam verteilt.4 Der Karfreitag wird durch die beginnende Kreuzesverehrung vom »Tag der Auferstehung« gesondert, aber nicht als ein Durchgang zu Ostern angesehen.5 Denn das Kreuz auf Golgatha trägt eine eigene Botschaft in die Welt, die von der Gemeinde Christi auch eigens vernommen werden will: Christus, der auferstandene Herr, ist der gekreuzigte Jesus, den wir auch an Ostern nicht hinter uns lassen können. Nur weil er uns Anteil an seinem Sterben gibt, werden wir seines neuen Lebens gewahr, doch dorthin vermögen wir ebenso wenig einfach fortzuschreiten wie Jesus selbst. – Seit Mitte des 4. Jh. wird das Kommen des Erlösers in die Welt als Geburt des göttlichen Kindes gefeiert: am weihnachtlichen Christfest, im Westen am 25. Dezember, im Osten am 6. Januar. Ursprünglich waren Inkarnation und Auferweckung Jesu als Einheit aufgefasst worden, und noch heute wird Joh 1,1-17, im Westen einer der grundlegenden Weihnachtstexte, im österlichen Morgengottesdienst der Ostkirche als Evangelium verlesen. – Im 4. Jh. finden sich auch erste Anzeichen für Vorbereitungen auf das Christfest, die später zur Adventszeit ausgestaltet wurden. – Das Fest Christi Himmelfahrt, seit dem 4. Jh. gefeiert, hebt ein weiteres Moment der Osterbotschaft gesondert hervor: Jesus Christus ist zu Gott erhöht worden, jetzt herrscht er über den Kosmos. – Das Pfingstfest schließt die fünfzigtägige Freudenzeit nach Ostern ab, die wohl schon seit der zweiten Hälfte des 2. Jh. gefeiert worden war, nachweislich im 3. Jh. in Rom und Ägypten. Als eigenständiges Fest ist es vom 4. Jh. an begangen worden, vermutlich zunächst in Jerusalem. Der Gehalt des Festes umfasst zahlreiche Elemente, von denen gegen Ende des 4. Jh. die Sendung des Heiligen Geistes maßgebend geworden ist, und dies setzt eine Unterscheidung von der Himmelfahrt Christi voraus, die zuvor in enger Beziehung zum Kommen des Geistes aufgefasst worden war. – Das Fest Trinitatis wurde zwar erst 1334 für die gesamte Westkirche eingeführt, es greift aber auf das trinitarische Dogma zurück, also wiederum auf das 4. Jh. Die orthodoxe Kirche kennt kein eigenes Trinitatisfest. Sie verband vielmehr das an Pfingsten gefeierte Ereignis mit der Vollendung des vom dreieinigen Gott bestimmten Heilsplanes (Heilsökonomie).
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