Schulbasierte Ergotherapie -  - E-Book

Schulbasierte Ergotherapie E-Book

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Beschreibung

Schulbasierte Ergotherapie im inklusiven Bildungssystem Gesellschaftspolitische Veränderungen ergeben neue Herausforderungen aber auch Chancen für das Entstehen neuer Arbeitsweisen und Arbeitsfelder von Ergotherapeut*innen. Die weltweite Inklusionsbewegung fordert uns auf, unsere Rolle als Therapeut*in zu überdenken, neu zu bewerten und sich auf eine andere Art des Arbeitens einzulassen. Seit den 1980er-Jahren hat sich in angelsächsischen und skandinavischen Ländern die Ergotherapie als unterstützender Dienst im inklusiven Bildungssystem entwickelt und etabliert. Aufbauend auf Erfahrungswerten und dem Wissen aus Forschungsstudien hat sich Schulbasierte Ergotherapie zu einem kontextbasierten Arbeiten entwickelt, integriert in inklusiven Bildungseinrichtungen. Für dieses Buch wurden theoretisch fundierte und evidenzbasierte Modelle, Ansätze und Rahmenwerke ausgewählt, die die Qualitätsstandards der World Federation of Occupational Therapists (WFOT) widerspiegeln. Erfahrene Kolleg*innen aus Deutschland, Österreich, Schweiz und Luxemburg bringen ihre unterschiedlichen Erfahrungen und Sichtweisen ein, verknüpfen diese mit den best practise Ergebnissen und zeigen auf wie diese im deutschsprachigen Raum im inklusiven Bildungswesen umgesetzt werden können. Angesprochen werden Ergotherapeut*innen im Bereich der Pädiatrie oder in Bildungseinrichtungen, die aber Wunsch haben, inklusive Bildung zu unterstützen und den Mut haben, neue Arbeitsweisen auszuprobieren. Inhalt und Aufbau Teil A: Konzeptionelle und strukturelle Einführung und Grundlagen Teil B: Ergotherapeutisches Wissen und Schulbasierte Ergotherapie Teil C: Kernelemente der Schulbasierten Ergotherapie Teil D: Interventionsmodelle

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Petra Wirth

Andrea Hasselbusch

Anja Blum

(Hrsg.)

Schulbasierte Ergotherapie

Partizipation und Inklusion in Bildungseinrichtungen unterstützen

unter Mitarbeit von

Jillian Boyd

Fritz Buthke

Bethan Collins

Anja Diebels

Danielle Dolezal

Angelika Echsel

Maria Feiler

Daniela Felber

Anita Franken

Heike Gede

Mieke le Granse

Margo van Hartingsveldt

Roswitha Hoerder

Vera Kaelin

Elisabeth Kogelnik

Elke Kraus

Sarah Kufner

Natasha Coetzee Kukuk

Corinne Majerus

Berit Menke

Sarah Meuser

Thomas Morgenthaler

Astrid Netzband-Ness

Katrin Pechstädt

Nadja Reeck

Ina Roosen

Erna Schönthaler

Nadine Scholz-Schwärzler

Barbara Schweiger

Lea Törkel

Dorothea Tschaggeny

Sabine Vinçon

Liesbeth de Vries

Bettina Weber

Cornelie Zillhardt

Schulbasierte Ergotherapie

Petra Wirth, Andrea Hasselbusch, Anja Blum (Hrsg.)

Programmbereich Gesundheitsberufe

Wissenschaftlicher Beirat Programmbereich Gesundheitsberufe

Sophie Karoline Brandt, Bern; Jutta Berding, Osnabrück; Sinje Gehr, Göttingen; Heidi Höppner, Berlin; Heike Kubat, Feldbach; Christiane Mentrup, Zürich; Sascha Sommer, Bochum; Birgit Stubner, Regensburg; Ursula Walkenhorst, Osnabrück; Claudia Winkelmann, Berlin

Petra Wirth, B. ch. OT (NL), Dozentin

Andrea Hasselbusch, M. Occ. M (OT)

Anja Blum, B. Sc.

Wichtiger Hinweis: Der Verlag hat gemeinsam mit den Autoren bzw. den Herausgebern große Mühe darauf verwandt, dass alle in diesem Buch enthaltenen Informationen (Programme, Verfahren, Mengen, Dosierungen, Applikationen, Internetlinks etc.) entsprechend dem Wissensstand bei Fertigstellung des Werkes abgedruckt oder in digitaler Form wiedergegeben wurden. Trotz sorgfältiger Manuskriptherstellung und Korrektur des Satzes und der digitalen Produkte können Fehler nicht ganz ausgeschlossen werden. Autoren bzw. Herausgeber und Verlag übernehmen infolgedessen keine Verantwortung und keine daraus folgende oder sonstige Haftung, die auf irgendeine Art aus der Benutzung der in dem Werk enthaltenen Informationen oder Teilen davon entsteht. Geschützte Warennamen (Warenzeichen) werden nicht besonders kenntlich gemacht. Aus dem Fehlen eines solchen Hinweises kann also nicht geschlossen werden, dass es sich um einen freien Warennamen handelt.

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Anregungen und Zuschriften bitte an:

Hogrefe AG

Lektorat Gesundheitsberufe

z.Hd.: Barbara Müller

Länggass-Strasse 76

3012 Bern

Schweiz

Tel: +41 31 300 45 00

[email protected]

www.hogrefe.ch

Lektorat: Barbara Müller

Herstellung: Daniel Berger

Umschlagabbildung: Skynesher, GettyImages

Umschlag: Claude Borer, Riehen

Satz: punktgenau GmbH, Bühl

Format: EPUB

1. Auflage 2024

© 2024 Hogrefe Verlag, Bern

(E-Book-ISBN_PDF 978-3-456-96061-6)

(E-Book-ISBN_EPUB 978-3-456-76061-2)

ISBN 978-3-456-86061-9

https://doi.org/10.1024/86061-000

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Zitierfähigkeit: Dieses EPUB beinhaltet Seitenzahlen zwischen senkrechten Strichen (Beispiel: |1|), die den Seitenzahlen der gedruckten Ausgabe und des E-Books im PDF-Format entsprechen.

Inhaltsverzeichnis

1 Zweck und Verwendung dieser Publikation

1.1 Hinweise zur Nutzung

1.2 Wegweiser: Abbildung zur Schulbasierten Ergotherapie

1.3 Kapitelübersicht

1.4 Terminologie

Teil A: Konzeptionelle und strukturelle Grundlagen

2 Konzeptionelle EinleitungPetra Wirth, Andrea Hasselbusch, Vera Kaelin (Kap. 2.3.2 und 2.3.3 in Zusammenarbeit mit Barbara Dehnhardt)

2.1 Konzept- und Begriffsklärungen

2.1.1 Exklusion

2.1.2 Separation

2.1.3 Integration

2.1.4 D (Diversität) – E (Equity – Gleichheit/ Gleichberechtigung) – I (Inklusion)

2.2 Unterschiedliche Sichtweisen auf Behinderung

2.2.1 Medizinisches Modell

2.2.2 Soziales Modell

2.2.3 Bio-psycho-soziale Modelle

2.2.4 Menschenrechtliches Modell

2.2.5 Affirmatives Modell

2.3 Auf dem Weg zum inklusiven Bildungswesen

2.3.1 Grundlagen

2.3.2 Partizipation

2.3.3 Das family of Participation – Related Constructs (fPRC) Framework

2.3.4 Partizipationsfokussierte Assessments

2.4 Qualitätsmerkmale Schulbasierter Ergotherapie

2.5 Fazit

3 Strukturelle Grundlagen und PerspektivenAnja Blum, Anja Diebels, Angelika Echsel, Corinne Majerus, Thomas Morgenthaler

3.1 Bildungssysteme: Deutschland, Luxemburg, Österreich, Schweiz

3.2 Inklusion, Integration und Sonderpädagogik

3.3 Hindernisse und Chancen für die Umsetzung von Inklusion

3.4 Gesetzliche Regelungen zur Mitarbeit von Ergotherapeut*innen

3.5 Ergotherapeutische Interventionen und strukturelle Voraussetzungen

3.5.1 Mehrstufige Interventionsansätze

3.5.2 Voraussetzungen für die Umsetzung

3.5.3 Universal Design for Learning

3.6 Teamarbeit

3.7 Dienstleistungsmodelle und Finanzierung

3.8 Fazit

Teil B: Ergotherapeutisches Wissen verknüft mit SB-ET

4 Bedeutung von Betätigungen in inklusiven BildungseinrichtungenIna Roosen, Nadja Reeck, Katrin Pechstädt, Dorothea Tschaggeny

4.1 Occupational Science

4.1.1 Betätigungstransition

4.1.2 Betätigungsbalance

4.1.3 Betätigungsgerechtigkeit

4.2 Fazit

5 Konzeptionelle ergotherapeutische ModelleAnita Franken

5.1 Person – Environment – Occupation (PEO) Model

5.1.1 Konzepte im PEO

5.1.2 Fallbeispiel Manuel

5.1.3 Fazit zum PEO-Modell

5.2 Canadian Model of Occupational Performance and Engagement (CMOP-E)

5.2.1 CMOP-Grundannahmen

5.2.2 Fallbeispiel Paula

5.2.3 Engagement im CMOP-E

5.2.4 Enablement – Schlüsselfertigkeiten

5.2.5 Fazit zum CMOP-E

5.3 Canadian Model of Occupational Participation (CanMOP)

5.4 Model of Human Occupation (MOHO)

5.4.1 Konzepte des MOHO

5.4.1.1 Subsystem Volition

5.4.1.2 Subsystem Habituation

5.4.1.3 Subsystem Performanz

5.4.1.4 Umwelt

5.4.2 Fallbeispiel Jonathan

5.4.3 Fazit zum MOHO

5.5 KAWA

5.5.1 KAWA-Konzepte

5.5.2 Fallbeispiel Daniel

5.5.3 Fazit zum KAWA

5.6 Fazit

6 Ergotherapeutische Prozessmodelle in der BildungVera Kaelin, Jillian Boyd, Cornelie Zillhardt

6.1 Das Occupational Therapy Intervention Process Model (OTIPM)

6.2 Das Canadian Practice Process Framework (CPPF)

6.2.1 Die Elemente des CPPF

6.2.2 Die acht Aktionspunkte

6.3 Fazit

7 Enablement in BildungseinrichtungenPetra Wirth, Barbara Schweiger

7.1 Grundlagen des Enablements

7.2 Enablement skills

7.3 Praxisbeispiel

7.4 Fazit

8 Bezugsrahmen in der Schulbasierten ErgotherapieNatasha Coetzee Kukuk (mit Beiträgen von Erna Schönthaler, Danielle Dolezal, Sabine Vinçon, Barbara Schweiger, Maria Feiler)

8.1 Lerntheorien und lernbasierte BezugsrahmenErna Schönthaler, Danielle Dolezal, Sabine Vinçon

8.1.1 Lerntheorien

8.1.2 Theorien des motorischen Lernens

8.1.3 Der CO-OP-Ansatz

8.1.4 Das Neuromotor Task Training

8.2 Wahrnehmungs-, bewegungs- und verhaltensbasierte Bezugsrahmen

8.2.1 Sensorische Integration (SI)

8.2.2 Bezugsrahmen für visuelle Wahrnehmung

8.2.3 Biomechanischer BezugsrahmenDanielle Dolezal

8.2.4 Ergonomie im SchulalltagDanielle Dolezal

8.2.5 Neuro-Developmental Treatment (NDT)

8.2.6 Kognitiv-verhaltensbasierter Bezugsrahmen

8.3 Adaptionsbasierte Bezugsrahmen

8.3.1 Betätigungsanpassung

8.3.2 Umweltpassung

8.3.3 Hilfsmittelversorgung und assistive Technologie Barbara Schweiger

8.4 Bezugsrahmen im Schulalltag

8.5 Fazit

9 Ergotherapeutisches Reasoning im SchulalltagMaria Feiler, Erna Schönthaler

9.1 Professionelles Reasoning in der Schulbasierten Ergotherapie

9.2 Zusammenarbeit und professionelles Reasoning

9.3 Aufgaben und Rollen von Ergotherapeut*innen

9.4 Praxisbeispiel: Die Therapeutin Iris

9.5 Fazit

Teil C: Kernelemente der Schulbasierten Ergotherapie

10 Beratung und partnerschaftliche ZusammenarbeitAnita Franken, Corinne Majerus

10.1 Aus dem Therapieraum in den Lebensalltag

10.2 Expertenberatung vs. partnerschaftliche Beratung

10.3 Umsetzung der partnerschaftlichen Beratung

10.3.1 Beziehungsaufbau & -pflege

10.3.2 Themenidentifikation

10.3.3 Zielsetzung und Plan erstellen

10.3.4 Intervention

10.3.5 Re-Evaluation

10.4 Fazit

11 Betätigungsorientiertes und lösungsfokussiertes CoachingSarah Kufner, Nadine Scholz-Schwärzler

11.1 Occupational Performance Coaching (OPC)

11.1.1 Das Foto-Interview

11.1.2 Motivierende Ziele finden

11.2 Relevante Theorien und Evidenz

11.3 Ergotherapeutisches Coaching in der Schule

11.4 Fallbeispiele

11.4.1 Fallbeispiel: Setting Primärstufe

11.4.2 Tele- und Videocoaching

11.5 Fazit

12 Co-Teaching im Deutschunterricht: Schreiben von HandMargo van Hartingsveldt, Liesbeth de Vries, Elke Kraus

12.1 Schulbasierte Ergotherapie und Co-Teaching

12.2 Handschreiben – Schreiben von Hand

12.3 Ergotherapeutische Schwerpunkte

12.4 Handschrift im deutschen Schul- und Klassenkontext

12.5 Bewertung vom motorischen Schreiben

12.6 Effektive Intervention für die Schreibmotorik

12.7 Co-Teaching und Schreiben von Hand

12.8 Fazit

13 Der Schulalltag als Klassenzimmer für das LebenBerit Menke, Lea Törkel

13.1 Wir sind alle Lernende

13.2 Mittendrin oder nur dabei?

13.3 Beobachtungen mit dem PEO

13.4 Diagnosen: Türöffner oder Schublade?

13.5 Alle für einen – einer für alle

13.6 Fazit

14 Der M.A.T.C.H. AnsatzFritz Buthke, Heike Gede

14.1 Betätigungsperformanz und PEO

14.2 Umschriebene Entwicklungsstörung der motorischen Funktionen (UEMF)

14.3 Ergotherapeutischer Prozess im schulbasierten Kontext

14.4 M.A.T.C.H. als Schwerpunkt ergotherapeutischer Interventionen

14.5 Der M.A.T.C.H. Ansatz in unterschiedlichen Bildungseinrichtungen

14.6 Fazit

15 Universal Design/Inklusives DesignMieke le Granse, Bettina Weber

15.1 Einleitung

15.2 Die sieben Prinzipien des UD

15.3 UD und Ergotherapie

15.3.1 Ergotherapeutische Modelle, Theorien und Konzepte

15.3.2 Medizinisches und soziales Modell

15.3.3 Assessments, Guidelines und Klassifikationen

15.4 Universal Design im Schulkontext

15.5 Beispiel für die sieben Prinzipien

15.6 Fazit

16 HilfsmittelBarbara Schweiger

16.1 Kontext: inklusive Beschulung

16.2 Hilfsmittelnutzung und Partizipation

16.3 Qualitätskriterien und Strukturierung des Versorgungsprozesses

16.4 Das Bildungswesen in Deutschland

16.5 Gesetzliche Grundlagen

16.6 Fazit

17 Positionierung und Handling im SchulalltagAstrid Netzband-Ness

17.1 Bewegen (moving) und Handhaben (handling)

17.2 Multidisziplinäre Zusammenarbeit nach Bobath

17.3 Beispiele aus der Praxis

17.4 Manuelles Handling für den Schulalltag

17.5 Handling-Assessment im Schulalltag: Der TILE/LITE Ansatz

17.6 Fazit

18 Assistive TechnologienBarbara Schweiger

18.1 Grundlagen

18.2 Bereich Motorik

18.3 Bereich Sehbehinderungen

18.4 Bereich Hörbehinderungen

18.5 Bereich „unterstützte Kommunikation“

18.6 Fazit

19 Knowledge Translation (Wissenstranslation)Elisabeth Kogelnik, Anita Franken

19.1 Wissensgenerierung und -vermittlung

19.2 Knowledge-to-Action-Framework

19.3 Wissenstranslation im Schulkontext

19.4 Fazit

Teil D: Umfassende Interventionsmodelle

20 Universelles Design für das Lernen (UDL) (Universal Design for Learning)Natasha Coetzee Kukuk, Bethan Collins

20.1 Die Grundlagen des UDL

20.2 UDL-Guidelines

20.3 Verständnis und Beseitigung der Barrieren

20.4 UDL-Implementierung im schulischen Umfeld

20.5 Rolle der Ergotherapeut*innen

20.6 Fazit

21 Response to Intervention (RTI)Roswitha Hoerder

21.1 Ergotherapeutische Modelle im Bildungsalltag

21.2 Integrierte Ergotherapie im Bildungsalltag

21.3 Ergotherapie in mehrstufigen Interventionsmodellen

21.4 Fazit

22 Partnering for Change (P4C)Daniela Felber, Sarah Meuser

22.1 Erkenntnisse aus Theorie und Forschung

22.2 Einordnung in den inklusiven Schulkontext

22.3 Anwendung der Intervention

22.4 Fazit

23 Das School-Based Occupational Therapy Practice Framework (SB-OT-PF)Andrea Hasselbusch

23.1 Entwicklungsprozess von komplexen Interventionen

23.2 Inhalt des SB-OT-PF

23.2.1 Der inklusive Schulkontext

23.2.2 SB-ET-Praxisprinzipien

23.2.3 Professional Reasoning

23.2.4 Ergotherapeutischer Prozess im inklusiven Bildungskontext

23.3 Fazit

Anhang

Abkürzungsverzeichnis

Herausgeberinnen und Autor*innen

Hinweise zu Zusatzmaterialien

Sachwortverzeichnis

|12|1  Zweck und Verwendung dieser Publikation

Schulbasierte Ergotherapie (SB-ET) ist im deutschsprachigen europäischen Raum ein neues Arbeitsfeld. Es ist uns ein Anliegen, in dieser Publikation deutlich zu machen, was das Arbeiten im inklusiven Bildungsalltag ausmacht und inwiefern es sich von der traditionellen Arbeitsweise von Ergotherapeut*innen unterscheidet. Ebenfalls soll aufgezeigt werden, wie bereits bekannte ergotherapeutische Theorien, Modelle und Ansätze in inklusiven Bildungseinrichtungen kontextgerecht umgesetzt werden können. Dieses Buch bietet einen Überblick über das vorhandene Wissen und die relevante Forschungsevidenz betreffend der Schulbasierten Ergotherapie in inklusiven Bildungseinrichtungen. In jedem Kapitel werden nach einer Einführung die Grundlagen zu einem spezifischen Themenbereich der Schulbasierten Ergotherapie dargestellt und illustriert durch praktische Beispiele aus inklusiven Bildungseinrichtungen.

1.1  Hinweise zur Nutzung

Die Buchabschnitte (Teile A–D) mit den dazugehörigen Kapiteln beginnen jeweils mit Grundlagenwissen. Es werden bekannte ergotherapeutische Theorien, Modelle und Ansätze in Bezug zur Schulbasierten Ergotherapie und deren Umsetzung im inklusiven Bildungsalltag gestellt. Danach werden Theorien und Ansätze vorgestellt, die spezifisch zur Schulbasierten Ergotherapie und Unterstützung von inklusiver Bildung entwickelt wurden. Leser*innen können dieses Buch von Anfang bis Ende durcharbeiten oder sich zielgerichtet und systematisch Teile oder individuelle Kapitel auswählen.

1.2  Wegweiser: Abbildung zur Schulbasierten Ergotherapie

Die Abbildung 1-1 zur Schulbasierten Ergotherapie gibt einen Überblick über relevante Theorien, Konzepte und Ansätze, die für die Arbeit als Schulbasierte Ergotherapeut*innen in inklusiven Bildungseinrichtungen wichtig sind. Diese Theorien, Konzepte und Ansätze werden in den folgenden Buchkapiteln vertieft, weshalb die Abbildung als visueller Überblick und Wegweiser für das ganze Buch dienen kann.

Der Hintergrund der Abbildung symbolisiert Schulbasierte Ergotherapie mit dem zentralen Ziel der Inklusion und Partizipation in inklusiven Bildungseinrichtungen. Zu diesem Kontext gehört neben einem Menschenbild auch ein (Erklärungs-)Modell von Behinderung, das Partizipation in Bildung als Menschenrecht für alle und einen Rechtsanspruch auf Partizipation unterstützt sowie eine positiv-affirmative Einstellung zur Vielfalt (Diversität) vertritt. Auch rückt das Modell die behindernde Rolle von sozialen Faktoren in den Mittelpunkt. Dieser Kontext (der Hintergrund der Abbildung 1-1) ist vor allem im Teil A in der konzeptionellen und strukturellen Einführung im Detail beschrieben. Je|13|doch beeinflussen diese Kernkonzepte der Schulbasierten Ergotherapie auch andere Teile und Kapitel in diesem Buch. Leser*innen, die eine umfassende Einführung in diesen Kontext und die Kernkonzepte der Schulbasierten Ergotherapie suchen, können mit diesem Teil des Buchs beginnen oder jederzeit zu diesem Teil des Buches zurückkehren.

Abbildung 1-1:  Grafik zur Schulbasierten Ergotherapie

In den beiden weißen Feldern auf der linken Seite der Abbildung 1-1 (erste Ebene) sind ergotherapeutische Grundlagen und Modelle aufgeführt, beides vor dem Hintergrund der Schulbasierten Ergotherapie. Dies illustriert, dass diese Felder ergotherapeutisches Wissen und Theorien benennen, diese Theorien jedoch vor dem Hintergrund der Schulbasierten Ergotherapie mit der Zielsetzung der Inklusion und Partizipation und im Kontext der inklusiven Bildungseinrichtungen neu verstanden und mit dem entsprechenden Menschenbild (dem affirmativen, sozialen und menschenrechtlichen Modell) genutzt werden. Die praktische Umsetzung dieses ergotherapeutischen Wissens in der Schulbasierten Ergotherapie wird diesem Kontext angepasst. Leser*innen, die gerne erfahren möchten, wie bereits vertrautes Wissen und etablierte Modelle und Ansätze aus dem eigenen Praxisalltag in diesem noch weniger vertrauten inklusiven Arbeitsfeld umgesetzt werden, können im Teil B dieses Buches mehr darüber erfahren.

In dem darauf liegenden Feld (zweite Ebene) sind die Qualitätsmerkmale der Schulbasierten Ergotherapie dargestellt. Die beiden Kästchen auf der linken Seite des Feldes zeigen eine Auswahl von Ansätzen und Methoden, die weit verwendeten Kernbestandteile und Handwerkszeuge der Schulbasierten Ergotherapie sind (Teil C). Vor dem Hintergrund der Qualitätsmerkmale wird die Umsetzung dieser Methoden für das ergotherapeutische Arbeiten in inklusiven Bildungseinrichtungen beschrieben. Praktische Beispiele verdeutlichen die Umsetzung. Diese Ansätze und Methoden werden teils auch von anderen Berufsgruppen genutzt, die in unterstützenden Diensten und Rollen tätig sind. Deshalb ist es wichtig, die spezifisch ergotherapeutische Umsetzung und Nutzung hervorzuheben. In der inklusiven Bildung ist die Unterstützung durch ein interdisziplinäres Team die Lösung, und nicht die Auswahl einer individuellen Berufsgruppe zur Erfüllung einer Rolle oder Aufgabe.

|14|In dem dritten obenauf liegenden Kästchen (dritte Ebene) auf der rechten Seite der Abbildung 1-1 sind sowohl komplexere Dienstleistungsmodelle und Herangehensweisen für inklusive Bildung dargestellt als auch umfassende schulbasierte Interventionsmodelle und Rahmenwerke, die ausschließlich für den inklusiven Bildungskontext entwickelt worden sind. Diese Rahmenwerke, Dienstleistungs- und Interventionsmodelle werden im Teil D des Buches dargestellt. Die komplexen Modelle und Rahmenwerke sind besonders gut geeignet für Leser*innen, die bereits Erfahrungen in der Arbeit in Bildungseinrichtungen sammeln konnten. Die Hilfe von erfahrenen Kolleg*innen kann die Auseinandersetzung mit diesen komplexen Themen erleichtern. Falls diese Modelle und Rahmenwerke nicht zu dem jetzigen Arbeitsalltag passen, können im Teil B oder Teil C besser geeignete Modelle oder Ansätze gefunden werden.

Nach diesem groben Überblick werden nun die individuellen Kapitel und deren Autor*innen vorgestellt, um den Lesenden die spezifische Auswahl zu erleichtern. Die visuelle Darstellung wird weiterhin als Wegweiser dienen.

1.3  Kapitelübersicht

Die Abbildung 1-1 über die Visualisierung der Schulbasierten Ergotherapie verdeutlicht nicht nur die unterschiedlichen Aspekte der Disziplin, sondern bietet gleichzeitig einen groben Überblick über den Aufbau des Buches und begleitet damit die Leser*innen durch die unterschiedlichen Kapitel.

Teil A: Der Kasten im Hintergrund (erste Ebene) bezieht sich auf die zugrundliegenden Werte und Haltungen von Ergotherapeut*innen, die schulbasiert arbeiten. Ebenfalls sind dies die Einstellungen, Haltungen und Wertvorstellungen von den Bildungseinrichtungen und dem Lehrpersonal, die für das Erreichen von Partizipation und Inklusion unterstützend wirken. Diese Grundannahmen werden im Kapitel 2 von Petra Wirth (D) und Andrea Hasselbusch (D, UK) dargestellt. Es werden theoretische Grundlagen für die Arbeit im inklusiven Bildungswesen dargelegt und aufgezeigt, was ein in die Schule integriertes Arbeiten ausmacht. Vera Kaelin (CH, USA) widmet sich darin ausführlich dem Thema der Partizipation. Anja Blum (D), Anja Diebels (D), Angelika Echsel (CH, USA), Corinne Majerus (L) und Tom Morgenthaler (A) setzen sich im Kapitel 3 mit den strukturellen Bedingungen im Bildungswesen der verschiedenen deutschsprachigen Länder auseinander.

Teil B: Die Grundlagen für die ergotherapeutische Arbeit in Bildungseinrichtungen werden in diesem Teil des Buches vorgestellt (vgl. die beiden Felder auf der linken Seite der Abbildung 1-1). Präsentiert werden diese Grundlagen in zwei Gruppen.

Im Kapitel 4 wird Betätigungswissenschaft (occupational science) als Erklärungsmodell von Ereignissen und Herausforderungen im Bildungskontext durch die Autorinnen Ina Roosen (D), Nadja Reeck (D), Katrin Pechstädt (A) und Dorothea Tschaggeny (CH) vorgestellt, mit besonderem Fokus auf die Konzepte von Betätigungsgerechtigkeit, Betätigungsbalance und Betätigungstransition im Bildungsalltag. Dieses grundlegende (Nach-)Denken über den Bildungsalltag aus der Sichtweise der Betätigungswissenschaft ist hilfreich für alle Ergotherapeut*innen, die in diesem Arbeitsbereich tätig sind oder dies werden möchten.

Im unteren weißen Feld auf der linken Seite der Abbildung 1-1 sind die ergotherapeutischen Modelle aufgeführt, die im Bereich der Bildung genutzt werden können. Dazu gehören die konzeptionellen Modelle (Kapitel 5) wie das PEO, CMOP-E, MOHO oder das KAWA. Anita Franken (CA, D) stellt die verschiedenen Modelle anschaulich vor und verknüpft diese mit Praxisbeispielen. Das Kapitel über die Prozessmodelle (Kapitel 6) wurde von Vera Kaelin (CH, USA), Jillian Boyd (CA, D) und Cornelie Zillhardt (D) ausgearbeitet. Auch hier wird anhand von Praxisbeispielen aufzeigt, wie das OTIPM oder das CPPF als Gerüst für das ergotherapeutische Arbeiten dienen können. Das CMCE-Modell zur |15|Befähigung (Kapitel 7), dargestellt von Petra Wirth (D) und Barbara Schweiger (D), vermittelt die Strategien und die darunterliegenden Kerngedanken, die das Handeln und die Interventionen der Schulbasierten Ergotherapie leiten. Alle diese ergotherapeutischen Modelle sind spezifisch für unsere Berufsgruppe, haben sich in vielen Arbeitsfeldern bereits bewährt und bringen für viele Leser*innen bekanntes Wissen mit sich. Jedoch ist zu beachten, dass die Modelle bei deren Umsetzung sehr gründlich an den konkreten Arbeitskontext und die Lebensumwelt (inkl. Bildungseinrichtung) angepasst werden.

Im Kapitel 8 gibt Natasha Coetzee Kukuk (USA, D) zunächst einen Überblick über alle Bezugsrahmen, die für den Schulalltag von Bedeutung sein können. Das Kapitel wird abgerundet durch den Beitrag von Danielle Dolezal (A), Erna Schönthaler (A) und Sabine Vinçon (D) über Lerntheorien und lernbasierte Bezugsrahmen und dem Beitrag von Barbara Schweiger (D) über den adaptionsbasierten Bezugsrahmen. Diese Bezugsrahmen werden in der Schulbasierten Ergotherapie besonders häufig genutzt. Im Kapitel 9 verdeutlichen Maria Feiler (A) und Erna Schönthaler (A) grundlegende Gedanken zum Professionellen Reasoning. Sie zeigen auf, welche Denkprozesse in der Entscheidungsfindung während des therapeutischen Arbeitens im inklusiven Bildungsalltag ablaufen. Sowohl Bezugsrahmen als auch professionelles Reasoning werden von allen Therapeut*innen im Arbeitsalltag durchgängig genutzt. Jedoch ist es wichtig, dass Therapeut*innen zusätzlich zum Bezugsrahmen ein Inhaltsmodell (Kapitel 5), Prozessmodell (Kapitel 6) oder als Alternative ein komplexes Interventionsmodell (Kapitel 22) oder Rahmenwerk (Kapitel 23) für ihren Arbeitsalltag auswählen.

Teil C: Die grauen Felder auf dem hellgrauen Hintergrund (zweite Ebene der Abbildung 1-1) zeigen Methoden, wie das ergotherapeutische Handeln im Kontext gestaltet werden kann. Zentral dabei sind die Beratung und partnerschaftliche Zusammenarbeit, die im Kapitel 10 von Anita Franken (CA, D) und Corinne Majerus (L) vorgestellt werden. Diese beiden Konzepte spielen von der Identifizierung von Herausforderungen bis zur Umsetzung und Evaluation der gemeinsam erarbeiteten Interventionen eine tragende Rolle. Im Kapitel 11 beschreiben Sarah Kufner (D) und Nadine Scholz-Schwärzler (D) die Methode des Coachings und verdeutlichen die mögliche Umsetzung im Bildungsalltag anhand verschiedener Beispiele. Von Margo van Hartingsveldt (NL), Liesbeth de Vries (NL) und Elke Kraus (D) wird im Kapitel 12 das bislang im deutschsprachigen Raum wenig bekannte Co-Teaching vorgestellt und am Beispiel des Handschreibens weiter ausgeführt. Da viele Kolleg*innen Erfahrungen und Kompetenzen im Bereich Schreiberwerb mitbringen, bietet das Co-Teaching im Deutschunterricht einen guten Einstieg, um dieses Wissen zu konkretisieren. Dem gemeinsamen sozial-emotionalen Lernen, welches in den Bildungseinrichtungen einen wichtigen Platz einnimmt, ist das Kapitel 13 gewidmet. Berit Menke (D) und Lea Törkel (D) zeigen hierfür ergotherapeutische Handlungs- und Interventionsmöglichkeiten im Schulalltag auf. Die Methode des M.A.T.C.H. (Kapitel 14) wird von Fritz Buthke (D) und Heike Gede (D) vorgestellt. Sie beschreiben mögliche Strategien, Anpassungen und Modifikationen in der Umwelt (physisch und sozial) oder im Verhalten der Schüler*innen. Dieser Ansatz eignet sich besonders für Berufseinsteiger*innen oder Kolleg*innen, die neu im Schulkontext arbeiten. Barbara Schweiger (D) zeigt in den Kapiteln über Hilfsmittel (Kapitel 16) und assistive Technologien (Kapitel 18) Möglichkeiten auf, wie Lernende, die zum Teil großen körperlichen Herausforderungen erleben, Unterstützung erhalten können, und wie die Prozesse der Hilfsmittelbeschaffung geregelt sind. Positionierung und Handling (Kapitel 17) wird von Astrid Netzband-Ness (D) vorrangig anhand des 24-Stunden-Bobath-Konzepts vorgestellt. Zudem werden Gedanken zum Risikomanagement und zum Erstellen eines Handling Konzeptes aufgegriffen – ein weiteres Kapitel von besonderem Interesse für Kolleg*innen, |16|die Schüler*innen mit größeren körperlichen Herausforderungen im Bildungsalltag unterstützen. Im letzten Kapitel (Kapitel 19) des dritten Teils beschäftigen sich die Autorinnen Elisabeth Kogelnik (A) und Anita Franken (CA, D) mit der Wissensvermittlung. Sie zeigen auf, wie in Bildungseinrichtungen das Wissen der Profession an andere Beteiligte weitergegeben werden kann, um dadurch einen wichtigen Beitrag zur Inklusion zu leisten.

Teil D: Der letzte Teil des Fachbuchs handelt von umfassenden Rahmenwerken und Herangehensweisen, die zur Unterstützung der Bildungseinrichtungen, Klassen oder zur Begleitung von einzelnen Lernenden genutzt werden können. Dazu zählt das Universal Design for Learning (UDL), das zunächst von Mieke Le Granse und Bettina Weber vorgestellt wird (Kapitel 15) und dessen Prinzipien von Natasha Coetzee Kukuk (USA, D) und Bethan Collins (UK, Irl) anhand von Beispielen aus dem Schulalltag verdeutlicht werden (Kapitel 20). Eine Art des mehrstufigen Arbeitens in Bildungseinrichtungen wird von Roswitha Hoerder (D) anhand des Response to Intervention (RTI) (Kapitel 21) aufgezeigt.

Als Abschluss werden zwei komplexe Rahmenwerke beschrieben (siehe rechte Felder in der Abbildung 1-1), die von Ergotherapeut*innen speziell für den Schulkontext entwickelt wurden. Daniela Felber (A) und Sarah Meuser (D) stellenPartnering for Change (P4C) (Kapitel 22) vor. Andrea Hasselbusch (D, UK) beschreibt im Kapitel 23 das von ihr entwickelte Schulbasierte Ergotherapeutische Rahmenwerk für den inklusiven Schul- und Bildungskontext (SB-OT-PF). Diese komplexen Interventionsmodelle und Rahmenwerke können für den Einstieg in den inklusiven Arbeitskontext anfangs überwältigend sein – dies kann erleichtert werden durch den Austausch mit erfahrenen Kolleg*innen und durch weitere Lernmöglichkeiten. Die Interventionsmodelle und Rahmenwerke sind gut geeignet für Leser*innen, die bereits anfängliche Erfahrungen oder Wissen über das Arbeiten in Bildungseinrichtungen sammeln konnten.

1.4  Terminologie

Das Denken, die Haltung und das Handeln von Ergotherapeut*innen ist auf Inklusion ausgerichtet und sieht bei den Lernenden, mit oder ohne Behinderung, primär die im Bildungsalltag zu bewältigenden Herausforderungen. Deshalb wird in diesem Buch vor allem von Kindern und jungen Menschen mit Herausforderungen gesprochen. Es sollen alle Kinder unterstützt werden, bei denen Herausforderungen eine erfolgreiche Partizipation am Bildungsalltag erschweren. Die Arbeit im inklusiv gestalteten Bildungswesen orientiert sich an den bildungsrelevanten Zielen der Lernenden, ist betätigungsorientiert und findet im Kontext von bestehenden Herausforderungen statt. Jedoch wird Behinderung nicht ignoriert, sondern es wird jedem Menschen das Recht und die Wahl gegeben, diese als ein Teil ihrer Identität wahrzunehmen und zu entdecken. Im Buch wird wiederholt über Behinderung als typischen Bestandteil der Diversität einer Gesellschaft, einer Schul- und Klassengemeinschaft sowie jeder sozialen Gruppe gesprochen. Die Bedeutung und der Gebrauch des Begriffs Behinderung ist vielschichtig und komplex, weshalb er auch in den verschiedenen Kapiteln unterschiedlich gehandhabt wird. Insbesondere in den Einführungskapiteln (Teil A) werden Sichtweisen auf Behinderung thematisiert.

Anmerkung des Verlags: Sie können für diesen Titel kostenfrei Online-Materialien (Vorlagen für die eigene Dokumentation) über unsere Internetseite nach erfolgter Registrierung in der Mediathek abrufen. Nutzen Sie dazu bitte den angegebenen Link und melden Sie sich nach den dort beschriebenen Schritten an. Sie können auf die Materialien über Mein Konto zugreifen, indem Sie unter Meine Zusatzmaterialien den Code eingeben. Sie werden dann automatisch in den Downloadbereich weitergeleitet.

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|17|Teil A: Konzeptionelle und strukturelle Grundlagen

|18|2  Konzeptionelle Einleitung

Petra Wirth, Andrea Hasselbusch, Vera Kaelin (Kap. 2.3.2 und 2.3.3 in Zusammenarbeit mit Barbara Dehnhardt)

Bildung ist die mächtigste Waffe, um die Welt zu verändern. (Nelson Mandela)

Was im Vorhinein nicht ausgegrenzt wird, muss hinterher auch nicht eingegliedert werden! (Altbundespräsident Richard von Weizsäcker)

Partizipation im Bildungsalltag ist ein grundlegender Bestandteil des Lebens eines jeden Kindes, Jugendlichen und jungen Erwachsenen (Chapparo & Lowe, 2011). Kinder und Jugendliche verbringen während des Schuljahres die meisten ihrer wachen Stunden im Laufe einer Woche in Bildungseinrichtungen. Kindertagesstätten, Kindergärten, Vorschulen, Grundschulen und weiterführende Schulen werden zu einer zweiten Heimat und sind neben der Familie ein wichtiger Ort der Sozialisation. Bildungserfahrungen prägen das weitere Leben eines jeden Menschen im weitesten Sinne. Bildung, die in allen Bildungseinrichtungen stattfindet, ist nicht nur auf das Lernen in Schulfächern des Curriculums/Lehrplans begrenzt, sondern beinhaltet auch ein Lernen über die Gesellschaft, deren Kultur und Wertvorstellungen sowie ein Lernen des Zusammenlebens. Dies prägt die Einstellungen (attitudes) von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Die Auswirkungen sind weitreichend und tragen wesentlich zur Entwicklung des akademischen, sozialen, finanziellen und psychologischen Erfolgs während des Lebens bei (Eriksson, 2005; Simeonssen et al., 2001). Bildungseinrichtungen müssen sich dieser kulturellen und gesellschaftlichen Dimension des Lernens und der Entwicklung bewusst sein. Deshalb ist es nicht möglich, sich nur auf das Lernen in den akademischen Fächern oder Bereichen zu konzentrieren. Inklusive Bildung führt zu einer steigenden Anzahl von langfristigen Arbeitsverhältnissen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt und zu einem höheren Grad an Unabhängigkeit in einem selbstbestimmten Alltagsleben für Menschen mit Behinderung – mittendrin in der Gesellschaft (Wagner et al., 2016).

Die Partizipation im Schulleben und Bildungsalltag, gemeinsam mit sehr unterschiedlichen Kindern und Jugendlichen, bedeutet andere Lernmöglichkeiten anzubieten, zunächst innerhalb der inklusiven Klassen- und Schulgemeinschaft und danach auch außerhalb, also nach Ende des Schultages. Die örtliche Bildungseinrichtung ist der Ort, an dem Freundschaften geschlossen werden, welche oft nach der Schule gepflegt werden, in der Nachbarschaft und Freizeit. Die Bildungseinrichtung wird zum „Inklusionshub“, wie eine Welle setzen sich die dort begonnenen Beziehungen zwischen Kindern, Jugendlichen, Eltern und Familien fort. In einer inklusiven Bildungsgemeinschaft werden individuelle Unterschiede ganz bewusst wahrgenommen und in die Gestaltung des Bildungs-/Schulalltags sowie in die Planung von Lernaktivitäten positiv miteinbezogen (Deutsche UNESCO-Kommission e. V. [DUK], 2014; Mittendrin e. V., 2013). Von inklusiver Bildung profitieren alle Menschen |19|innerhalb und außerhalb der jeweiligen Bildungseinrichtung.

Insbesondere in den letzten Jahrzehnten hat sich das Selbstverständnis der Menschen mit Behinderung und chronischen Erkrankungen verändert, aber auch die Sichtweise der Eltern von betroffenen Kindern über deren Bildungsmöglichkeiten und ihre Hoffnungen und Aussichten für die Zukunft. Jedoch treffen diese Veränderungen im deutschsprachigen Raum Mitteleuropas auf Bildungssysteme, Bildungsorganisationen und auf eine Bildungspolitik, die vor langer Zeit auf die Leistungshomogenität von Schülergruppen ausgerichtet wurden und in denen Kinder und Jugendliche, die nicht so leicht in dieses traditionelle Leistungsdenken reinpassten, separiert wurden. In den 1980er- und 1990er-Jahren, als sich viele Länder bereits der inklusiven Bildung zuwandten, wurde im deutschsprachigen Raum das Sonderschulsystem noch weiter ausgebaut. Um diese tiefverwurzelten, leistungshomogenen und ausgrenzenden Kulturen, Strukturen und Praktiken zu wandeln, ist mehr Veränderung notwendig als nur die Anpassung von gesetzlichen Vorlagen (Booth & Ainscow, 2017).

Vielerorts leisten Ergotherapeut*innen bereits jetzt wichtige Pionierarbeit für diesen Wandel, bisher aber noch nicht im selben Ausmaß wie in anderen Ländern. Schulbasierte Ergotherapie (SB-ET) unterstützt die Inklusion und Bildung aller Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen in einem inklusiven Bildungssystem. Die Rollen und Aufgaben der SB-ET haben sich innerhalb des und gemeinsam mit dem sich verändernden Bildungsdenken entwickelt. International hat sich die SB-ET als ein wichtiger unterstützender Dienst innerhalb eines integrativen oder inklusiven Bildungssystems entwickelt.

Definition

„Der Begriff Schulbasierte Ergotherapie (SB-ET; school-based occupational therapy) bezeichnet die ergotherapeutische Tätigkeit in der natürlichen Lebensumwelt Schule zur Unterstützung der Inklusion. Der Fokus der Schulbasierten Ergotherapie ist alltagsbezogen und in den Schulalltag integriert. Schulbasierte Ergotherapie hat das Ziel, die Teilhabe am Schulleben und die erfolgreiche Durchführung von alltäglichen Schulbetätigungen/Schulaktivitäten für alle Kinder zu ermöglichen. Dabei steht nicht die Behinderung oder Beeinträchtigung im Vordergrund, sondern das Potenzial jedes Kindes für die Teilhabe am Schulalltag. Das Grundverständnis von natürlicher Diversität in einer Klasse oder Schule ist die Basis des ergotherapeutischen Handelns und auch der Arbeitsweise des gesamten Schulteams im inklusiven Schulkontext“ (Arbeitsgruppe Schulbasierte Ergotherapie, Deutscher Verband Ergotherapie e. V. [DVE], 2018, S. 4).

In diesem Kapitel werden wir Theorien, Haltungen und Sichtweisen darstellen (insbesondere zur Diversität und Inklusion), die der Schulbasierten Ergotherapie in inklusiven Bildungseinrichtungen zugrunde liegen. Veränderte Sichtweisen auf Behinderung haben zu neuen Theorien und konzeptionellen Modellen von Behinderung (Behinderungsmodelle) geführt und haben direkte Auswirkungen sowohl auf die Bildung als auch auf die Ergotherapie für Schüler*innen in inklusiven Bildungseinrichtungen. Kritische Stimmen, insbesondere aus der Inklusions-/Behindertenrechtsbewegung, sowie andere gesellschaftliche Veränderungsanstöße (z. B. verbindliche, internationale Vereinbarungen der Vereinten Nationen/UN) werden umrissen. Im Anschluss daran folgt eine Positionierung der Schulbasierten Ergotherapie und es wird dargestellt, welche Ausrichtung das ergotherapeutische Arbeiten auf dem Weg in die inklusive Bildung oder innerhalb eines inklusiven Bildungssystems einnehmen kann. Aufbauend wird das Konzept der Partizipation erörtert und die Qualitätsmerkmale für die Schulbasierte Ergotherapie vorgestellt.

|20|2.1  Konzept- und Begriffsklärungen

Die folgenden Konzepte, sowie auch deren Verständnis, stehen in direktem Zusammenhang mit der Inklusionsbewegung/Behindertenrechtsbewegung (Disability Rights Movement) und mit deren Forderungen nach gesellschaftlichen Veränderungen (Zames Fleischer & Fleischer, 2011; Osgood, 2005; Pelka, 2012; Winzer, 2009). Das United Nations Committee on the Rights of Persons with Disabilities (CRPD) betont 2016, wie wichtig es ist, die Unterschiede zwischen Exklusion, Segregation, Integration und Inklusion anzuerkennen.

2.1.1  Exklusion

Exklusion (Ausschluss) tritt ein, wenn Schüler*innen/Student*innen direkt oder indirekt am Zugang zur Bildung gehindert werden oder ihnen dieser in irgendeiner Form verweigert wird (CRPD, 2016). Gesellschaftliche Minderheiten (z. B. ethnischer Hintergrund, Migrationshintergrund, Religion, sexuelle Orientierung/Identität, Behinderung/chronische Krankheit) erleben oft ähnliche Erfahrungen von gesellschaftlichem Ausschluss in ihrem Alltag. Der historisch weitverbreitete beschränkte Zugang von Frauen zu zunächst jeglicher und später zu höherer Bildung ist ein weiteres Beispiel. Exklusion hat systemische und kulturelle Dimensionen, die Exklusion von „niedrig angesehenen“ gesellschaftlichen Schichten war historisch verbreitet und hat die soziale Mobilität stark eingeschränkt.

„Einem Menschen seine Menschenrechte verweigern bedeutet, ihn in seiner Menschlichkeit zu missachten.“ (Nelson Mandela)

Vor mehr als hundert Jahren wurde eine allgemeine Schulpflicht eingeführt, davor war Bildung nur wenigen privilegierten Menschen vorbehalten und damit weiten Teilen der Gesellschaft unzugänglich. Der Erziehungswissenschaftler und Sonderpädagoge Hans Wocken (1991) beschreibt, dass diese Schulpflicht grundsätzlich für alle Kinder galt. Allerdings wurden Kinder mit körperlichen und geistigen Behinderungen als „nicht schulreif oder bildungsfähig“ wahrgenommen – sie durften keine öffentliche Schule besuchen (Wocken, 1991). Diese Sichtweisen über Menschen mit Behinderung spiegeln zwar gesellschaftliche Einstellungen der Zeit wider, jedoch wird diese Einstellung durch die fehlende Teilhabe von Menschen mit Behinderung in Bildung und Gesellschaft noch weiter verstärkt.

2.1.2  Separation

Separation oder eine Trennung (Segregation) findet statt, wenn die Ausbildung von Schüler*innen mit Behinderungen in getrennten/separaten Umgebungen (Umwelten) angeboten wird (CRPD, 2016). Geschichtlich ist die Separation/Segregation von afroamerikanischen Schüler*innen in den USA oder von schwarzafrikanischen Schüler*innen während der Apartheid in Südafrika bekannt. In beiden Fällen gehen niedrige Erwartungen an die Bildungsergebnisse und Schulabschlüsse der jeweils getrennt beschulten Gruppen einher. Heutzutage sind sonderpädagogische Bildungseinrichtungen/(Sonder-)Förderschulen als Teil von Bildungssystemen innerhalb Mitteleuropas noch sehr gegenwärtig. Diese getrennten Bildungseinrichtungen sind darauf ausgelegt, auf eine bestimmte Beeinträchtigung oder auf verschiedene Einschränkungen isoliert von anderen Schüler*innen mit Behinderung zu reagieren (CRPD, 2016). Wocken (1991) beschreibt die durchaus positiven Absichten hinter diesen Sonderschulen, dass sie nämlich ursprünglich behinderten Kindern eine Chance boten, eine öffentliche Schule zu besuchen und somit auch deren Bildungsfähigkeit aufzeigten. Sonderschulen entstanden später auch für Kinder mit Lern-, Sprach- und Verhaltensstörungen, weil diese bislang nicht gefördert und häufig nicht versetzt wurden und als Resultat regelmäßig |21|allgemeine staatliche Schulen ohne Abschluss verließen.

Der Erziehungswissenschaftler und emeritierte Professor für Bildungsforschung Klaus Klemm (2015) erkennt für den Zeitraum ab den frühen 1950er-Jahren bis zum vereinigten Deutschland drei Phasen in der Entwicklung des schulischen Unterrichts für Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf. Die erste Phase ist der kontinuierliche Ausbau des Förderschulangebots und des Anteils an Kindern und Jugendlichen, die separierende Förderschulen besuchen (Klemm, 2015). In dieser Phase wird die Diagnostik verfeinert und eine Klassifizierung entwickelt, um den sonderpädagogischen Förderbedarf aufzuzeigen und um die geeignete Schulform für Schüler*innen zu finden, die im Regelschulsystem „nicht beschult“ werden können.

Jedoch gab es schon früh Pädagog*innen, Eltern und junge Menschen mit Behinderung, die diese Sonderbeschulung nicht als ideal angesehen oder erlebt hatten. Problematisch befindet Wocken (1991), dass mittlerweile der Eindruck vorherrsche, die Sonderschule sei der einzig mögliche Lernort für behinderte Kinder. Seiner Meinung nach ist der Begriff „Sonderschulbedürftigkeit“ Symptom eines besitzergreifenden Alleinvertretungsanspruchs für die schulische Förderung behinderter Kinder (Wocken, 1991). Des Weiteren wurden immer wieder die niedrigen Erwartungen an die Schüler*innen in Sondereinrichtungen kritisiert. Eine „Sonderbeschulung“ betont die Unterschiede und nicht die Gemeinsamkeit und Zugehörigkeit zu einer Gesellschaft. Die langfristige Separation von der Gesellschaft durch getrennte Einrichtungen im Bereich Freizeit und Arbeit ist die Folge. Diese dauerhafte Identifizierung und Einordnung eines (jungen) Menschen mit einem einzelnen Merkmal, das von der Gesellschaft als Nachteil oder Bürde angesehen wird, wirkt sich auf das Selbstbild der Person aus. Fehlende Rollenmodelle im öffentlichen Leben und in den Medien tragen weiter dazu bei, dass sich diese jungen Menschen vor allem als „anders“ und „nicht dazugehörig“ erleben.

Aber es handelt sich nicht nur um Kinder mit Behinderungen oder Einschränkungen, die vermehrt an Förderschulen geschickt werden, es befinden sich darunter auch sehr viele Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund – dies ist bedenklich. Als Begründung liegt nahe, dass entweder das Verhalten und das Lernen von Menschen mit Migrationshintergrund nicht verstanden und schneller be- und verurteilt werden oder dass allgemeine Bildungseinrichtungen ein sehr enges und fragliches Bild von „Normalität“ vertreten.

Kinder und Jugendliche werden also auch ohne Behinderung/chronische Erkrankung in Sonderschulen geschickt. Diese Erfahrung von Separation/Segregation wirkt sich auf die individuellen Schüler*innen bis in ihr Erwachsenenleben aus. Laut Reich (2018), mit Bezug auf die Autor*innen Stanat et al. (2017), Haeberlin et al. (2003), Schnell et al. (2011), Eckhardt et al. (2011) und Klemm (2009), zeigen Untersuchungen wiederholt, dass „die deutschen Sonderschulen […] nicht zu einer sehr hohen […] Abschlussquote“ (Reich, 2018, S. 5) beitragen und an Sonderschulen viele Schüler*innen aus einem schwächeren sozialen Milieu oder auch mit Lernschwierigkeiten zu finden sind. Was ursprünglich als schützende Umgebung entwickelt worden war, verstärkt oft eine Ausgrenzung in der Lebenswelt (Reich, 2018; Schumann, 2007). „Die Bekämpfung der Segregation in Schulen und die Förderung der Interaktion zwischen minderjährigen Migranten und einheimischen Kindern ist ebenfalls von entscheidender Bedeutung, um unser Bildungssystem inklusiver zu gestalten“ (European Comission, 2020, S. 10).

2.1.3  Integration

Integration ist ein Prozess der Unterbringung von Menschen mit Behinderungen in bestehende allgemeine Bildungseinrichtungen, sofern sich diese an die standardisierten Anforderun|22|gen dieser Einrichtungen/Institutionen anpassen können (CRPD, 2016). Integration geht immer mit der Erwartung der Anpassung an die bestehenden Bedingungen einher – es bestehen kaum (oder keine) Erwartungen, dass sich die Bildungseinrichtungen verändern sollten. Der Erziehungswissenschaftler Klaus Klemm (2015) formuliert in seiner Theorie zur dreiphasigen Entwicklung des schulischen Unterrichts weiter, dass in der zweiten Phase, nach der Wiedervereinigung in Deutschland, allmählich mehr Schüler*innen mit diagnostiziertem sonderpädagogischem Förderbedarf in allgemeinen Schulen (und integrativen Kindertagesstätten) gemeinsam mit Kindern und Jugendlichen ohne besonderen Förderbedarf unterrichtet wurden. Die Praktiken der Sonderbeschulung, später Förderbeschulung, wurden unter den Erziehungswissenschaftler*innen kontrovers diskutiert (Wocken, 1991).

Die Kontakt Theorie (contact theory) beschreibt die Entwicklung der Einstellungen (attitudes) gegenüber bestimmten Gruppen oder Minderheiten in der Gesellschaft, wie diese grundlegenden Einstellungen in der Kindheit und Jugend durch bestimmte Erfahrungen entstehen und wie sie im Erwachsenenalter möglichen Veränderungen ausgesetzt sind. Stark eingeschränkte oder gar nicht existierende direkte Kontakte im Bildungsalltag zwischen Kindern und Jugendlichen mit und ohne Behinderung/chronischen Erkrankungen haben langfristig einen deutlich negativen Einfluss auf die Einstellungen gegenüber Menschen mit Behinderungen/chronischen Erkrankungen innerhalb der Gesellschaft. Integrative Projekte zwischen Regel- und Sonderschulen oder die Integration von individuellen Kindern für bestimmte Unterrichtseinheiten/Lernaktivitäten in der Regelschule wurden häufig als eine Möglichkeit zur Förderung dieses Kontaktes gesehen. Diese Projekte zeigten jedoch deutliche Grenzen in ihrer angestrebten Wirkungsweise, der positiven Veränderung von Einstellungen. Besondere Sorgfalt und Planung konnte nur begrenzt Gefahren ausgleichen und der minimale Kontakt zwischen Kindern mit und ohne Behinderung kann nicht nur zu einer Veränderung, sondern sogar zur Entwicklung von negativen Einstellungen führen (MacMillian et al., 2013). Begrenzter Kontakt birgt die Gefahr, dass die Kinder und Jugendlichen mit Behinderung/chronischer Erkrankung verstärkt die Unterschiede bemerken, also das „anders sein“ wahrnehmen, anstatt die Gemeinsamkeiten (z. B. Interessen) und positiven Charakteristiken zu entdecken.

Einzelne „Integrations-Kinder“, die sich in das bestehende System einfügen konnten, hatten damit die Möglichkeit, in der Regelschule dabei zu sein. Falls notwendig erhielten sie dabei Fördermaßnahmen durch sonderpädagogisches Personal. Allerdings wurden damit keine systemischen Veränderungen am „System Schule“ oder an der grundlegenden Unterrichtsweise vorgenommen. Die Kinder blieben in der Regel Schüler*innen der Förderschule. Dies führte häufig dazu, dass sich die Klassenlehrpersonen (und die Regelschule insgesamt) nicht oder weniger verantwortlich fühlten – jedoch sind gerade die Einstellungen dieser „Schlüsselpersonen“ im Bildungskontext ein Faktor, der die Entwicklung der Einstellungen von Schüler*innen nachhaltig zu beeinflussen vermag. Sehr deutlich wird die häufig fehlende Anpassung an Kinder mit körperlichen oder anderen Einschränkungen in der Planung und Gestaltung des Sportunterrichts oder in der Umsetzung von speziellen Schulausflügen, Wander- und Sporttagen. Teilweise wurde dabei erwartet, dass diese Kinder bei solchen Events zuhause blieben, wenn sie nicht über die Fähigkeiten zur Teilnahme verfügen. Aber auch in weiterführenden Schulen waren Lehrpersonen selten sensibilisiert für die Schwierigkeiten, die Schüler*innen z. B. durch das Wechseln von Räumen bewältigen mussten. Lehrpersonen waren in den Regelschulen oft nicht auf solche Situationen vorbereitet und Eigeninitiativen damit abhängig von der individuellen Kreativität und Sensibilität der Lehrperson.

Integrative Bildung hat also deutliche Grenzen. Die Anzahl an jungen Menschen, die der |23|geforderten Anpassung an das bestehende Schulsystem gerecht werden können, ist begrenzt. Des Weiteren bringt integrative Bildung häufig nur wenig Vorteile für andere Kinder und Jugendliche, die in dem vorherrschenden Bildungssystem häufig benachteiligt und ausgegrenzt werden – darunter beispielsweise Schüler*innen mit Migrationshintergrund, Kinder, die in Armut aufwachsen, junge Menschen mit bildungsfernem Hintergrund oder auch Schüler*innen, die in ihrer Familie Pflegeverantwortung übernehmen. Integrative Bildungseinrichtungen schließen also noch immer eine große Anzahl Menschen von der sozialen Teilhabe am Bildungsalltag aus, vielen Schüler*innen bleibt das Erreichen ihres Lern- und Entwicklungspotenzials verwehrt.

Des Weiteren wird die Erwartung vermittelt, dass sich Menschen mit Behinderungen/chronischen Erkrankungen „einfach anpassen müssen“ an eine Welt, die für einen „nichtexistierenden Durchschnittsmenschen“ entwickelt wurde. Es besteht die Gefahr, dass Kinder und Jugendliche mit Behinderung/chronischer Erkrankung glauben, dass es ganz allein ihre Schuld ist, wenn sie bestimmten Herausforderungen oder Alltagsproblemen nicht gewachsen sind, obwohl es eigentlich daran liegt, dass Partizipation im Lebensalltag nicht möglich ist. „Ich bin das Problem“ oder „es ist meine Schuld“ kann Teil eines negativen Selbstbilds des jungen Menschen werden. Wir tragen zu einer exklusiven Gesellschaft bei – einer Gesellschaft, die Menschen mit Behinderungen/chronischen Erkrankungen immer wieder zum Scheitern verurteilt.

2.1.4  D (Diversität) – E (Equity – Gleichheit/ Gleichberechtigung) – I (Inklusion)

Diversität, Gleichheit, Gleichberechtigung und Inklusion sind als Konzepte sehr eng miteinander verbunden. Inklusion und inklusive Bildung sind nicht möglich ohne ein tiefgehendes Verständnis für Diversität und der Annahme von Gleichberechtigung.

„Es ist normal, verschieden zu sein“ (Altbundespräsident Richard von Weizsäcker)

Der ursprünglich aus der Biologie stammende Begriff der Diversität beschreibt den Artenreichtum. Im gesellschaftspolitischen Kontext wurde Diversität (diversity) in den Antidiskriminierungs-, Bürgerrechts- und Gleichberechtigungsbewegungen der 1960er- und 1970er-Jahre in den USA genutzt (Keuchel, 2016). Die Bürgerrechtsbewegung (Civil Rights Movement) der Afroamerikaner*innen beeinflusste nicht nur die Inklusions-/Behindertenrechtsbewegung (Disability Rights Movement), sondern auch eine Bürgerrechtsbewegung in der LBGTQI (Lesbian, Gay, Bi, Trans, Queer und Intersex) Gemeinschaft (Gay Rights Liberation Movement). Teile der Gesellschaft, häufig Minderheiten, die regelmäßig in ihrem Alltag von der Teilhabe an der Gesellschaft ausgeschlossen wurden, fingen damit an, sich als Teil einer vielfältigen Gesellschaft zu beschreiben und Gleichberechtigung einzufordern. Diversität bedeutet Vielfalt, Vielfältigkeit und Verschiedenartigkeit. Unterschiede und Unterschiedlichkeit werden als Normalität, sogar als Vorteil einer vielfältigen, bunten Gesellschaft gesehen. In der inklusiven Gesellschaft werden Individualität und individuelle Unterschiede wertgeschätzt, jeder Mensch kann gleichermaßen frei als Individuum leben. Kerndimensionen der Diversität beinhalten Alter, sexuelle Orientierung, ethnische Herkunft, Behinderung, Religion und Weltanschauung sowie Geschlecht (Verein Charta der Vielfalt e. V., 2016). Jedoch ist jeder Versuch, eine Liste aufzustellen, unvollständig – so werden teils auch chronische Erkrankungen, sexuelle Identität, Migrationshintergrund oder sozio-ökonomischer Status als weitere Charakteristiken erwähnt, welche die Gemeinsamkeiten und Unterschiede im Kontext der gesellschaftlichen Diversität beschreiben.

|24|Merke

Diversität ist normal und unvermeidlich, sobald zwei oder mehr Menschen zusammenkommen und eine soziale Gruppe bilden. Unterschiedlichkeit und Vielfalt bestehen in allen sozialen Gruppen.

In jeder Schulklasse gibt es Unterschiedlichkeit und Vielfalt. Jedes Kind hat unterschiedliche Begabungen, Interessen, Kompetenzen und Lernstile, aber auch unterschiedliche (Vor-)Erfahrungen im Lernen sowie unterschiedliche Umgebungen, in denen es aufwächst, mit mehr oder weniger Ressourcen. Kinder, die in Armut und/oder bildungsfern aufwachsen, bringen andere Voraussetzungen und Vorerfahrungen in ihre Bildungsumwelt mit. Kinder mit Migrationshintergrund, die mit unterschiedlichen kulturellen Werten und religiösen Vorstellungen aufwachsen, gehören ebenfalls zu einer diversen Schulgemeinschaft. Menschen mit chronischen Krankheiten oder Behinderungen sind ebenso Teil des Bildungsalltages in einer Bildungseinrichtung, die Diversität wertschätzt. Der Deutsche Verband Ergotherapie e. V. (DVE) legt in seinen ethischen Grundsätzen (DVE, 2005, 2020) fest, dass Ergotherapeut*innen sicherstellen, dass kein*e Klient*in aufgrund von „Rassenzugehörigkeit, Hautfarbe, Einschränkung, Behinderung, Herkunft, Alter, Geschlecht, sexuellen Neigungen, Religionszugehörigkeit, politischer Ansicht oder gesellschaftlichen Stellung“ (DVE, 2005, S. 3) oder aus irgendeinem anderen Grund diskriminiert wird.

Jedes Kind muss und sollte in seiner Verschiedenheit wertgeschätzt und unterstützt werden, um auf diese Weise sein bestmögliches Lern- und Entwicklungspotenzial zu erreichen. Die Annahme von Diversität als normaler Zustand innerhalb jeder Gruppe von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen ist die Grundvoraussetzung für erfolgreiche Inklusion!

Mit dem BegriffGleichberechtigung/Gleichheit (equity) verbinden sich die Konzepte der Gleichheit vor dem Gesetz und Gleichberechtigung im gesellschaftlichen Leben. Eine Gleichstellung unter der Berücksichtigung von Diversität, also einer Berücksichtigung der unterschiedlichen Voraussetzungen und Möglichkeiten, die jeder Mensch innerhalb einer Gesellschaft, einer Bildungseinrichtung oder einer sozialen Gruppe mit sich bringt. Equality wird teilweise falsch übersetzt oder verstanden im Sinne von „Gleichbehandlung“ (und dazu noch in einem Verständnis von Gleichbehandlung, das Menschen mit Behinderung benachteiligt). Eine Analogie, die in der Inklusionsbewegung und Inklusionsliteratur häufig genutzt wird, um diese Problematik zu verdeutlichen, stammt aus der Tierwelt: eine Gruppe von sehr unterschiedlichen Tieren (z. B. Vogel, Affe, Pinguin, Elefant, Fisch, Robbe und Hund) erhalten die „gleiche“ Aufgabe (z. B. auf einen Baum zu klettern). Diese Gleichbehandlung, also die gleiche Behandlung aller Menschen ohne jegliche Berücksichtigung der individuellen Unterschiede und Charakteristiken (Diversität), führt zu Benachteiligung, Ausgrenzung und Isolation. Menschen mit Behinderung/chronischer Erkrankung werden durch fehlende Gleichstellungsmaßnahmen (Anpassungen, Hilfestellungen & Unterstützungsmaßnahmen) an die individuellen Charakteristiken zum Scheitern verurteilt. Im Kontext der SB-ET in inklusiven Bildungseinrichtungen sollten die Konzepte der Gleichheit, Gleichberechtigung und Gleichstellung immer in Verbindung mit Diversität verstanden werden.

Zahlreiche für die Inklusion relevante internationale Vereinbarungen (insbesondere die der United Nations, UN) und nationale Gesetze vertreten dieses mit Diversität verbundene Verständnis von Gleichheit, Gleichberechtigung und Gleichstellung. Werden diese Vereinbarungen von den einzelnen Ländern unterzeichnet, haben sie bindenden Charakter. Das Recht jedes Menschen auf Bildung ist in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (Universal Declaration of Human Rights, UDHR) von 1948 verankert (UN, 1948). Auf der Weltkonferenz |25|„Bildung für Alle“ (World Declaration on Education for All) im Jahr 1990 wurde festgelegt, dass dieses Recht unabhängig von individuellen Unterschieden zu sichern ist (United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization [UNESCO], 1990). Die Standardregeln der United Nations (UN, 1993) zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung fordern alle Staaten auf, sicherzustellen, dass die Erziehung von Personen mit Behinderung Bestandteil des Schulsystems ist und „…, dass das Recht auf Bildung ohne Diskriminierung und auf der Grundlage der Chancengleichheit gewährleistet werden muss. Die Vertragsstaaten müssen jegliche Diskriminierung aufgrund einer Behinderung verbieten und allen Menschen mit Behinderungen gleichen und wirksamen Schutz vor Diskriminierung aus allen Gründen garantieren. […] Zu den Maßnahmen, die erforderlich sind, um alle Formen der Diskriminierung zu bekämpfen, gehören die Identifikation und Beseitigung rechtlicher, physischer, kommunikativer und sprachlicher, sozialer, finanzieller und einstellungsbedingter Barrieren in den Bildungseinrichtungen und in der Gemeinschaft. Das Recht auf Nicht-Diskriminierung beinhaltet das Recht, nicht ausgegrenzt zu werden und angemessene Vorkehrungen zu treffen, und muss im Zusammenhang mit der Pflicht zur Bereitstellung eines zugänglichen Lernumfelds und angemessener Vorkehrungen verstanden werden“ (Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen [UN-BRK], 2006, S. 9). Innerhalb dieses internationalen politischen Kontexts muss inklusive Bildung als ein Menschenrecht verstanden werden.

In der Studie des Office of the High Commissioner for Human Rights (OHCHR, 2013) über die Rechte von Menschen mit Behinderung wird in Bezug auf Bildung bestätigt, dass nur eine inklusive Bildung beides kann, nämlich die qualitative Bildung und soziale Entwicklung für Menschen mit Behinderung zu ermöglichen und eine Garantie für Universalität und Nicht-Diskriminierung im Recht auf Bildung sicherzustellen (OHCHR, 2013). Inklusive Bildung ist die Voraussetzung für eine lebenslang selbstbestimmte und inklusive Lebensgestaltung in allen gesellschaftlichen Lebensbereichen. Ein Arbeits- und Privatleben von Menschen mit Behinderung/chronischer Erkrankung wird ohne inklusive Bildung unnötigerweise „klein“ gehalten. Selbstbestimmung wird verhindert oder zumindest stark eingeschränkt.

Menschen mit Behinderung oder besonderen Herausforderungen haben das Recht auf Bildung ohne Diskriminierung und auf Basis von gleichen Möglichkeiten (equal opportunities) sowohl in Zugang (Access) als auch Ergebnissen (Outcomes) – zusammengefasst ein Recht auf inklusive Bildung. Dies meint den Zugang zu hochwertiger Bildung innerhalb eines inklusiven Bildungssystems (Access), mit hohen Erwartungen an das Lernpotenzial und an die Lernergebnisse (Outcomes) für alle Menschen innerhalb der Gesellschaft. Menschen mit Behinderungen/chronischen Erkrankungen, Migrationshintergrund, Armut und/oder bildungsfernem Hintergrund (Diversität) erleben häufig niedrige Erwartungen in ihrem Leben und im Bildungsalltag. Diese bilden eine Barriere und führen dazu, dass ihr Lernpotenzial nicht erreicht wird.

Inklusion bedeutet eine gesellschaftliche Umorientierung und Umgestaltung, um die Partizipation von zueinander sehr unterschiedlichen Personen (Diversität) in der Gesellschaft zu ermöglichen. Die Gesellschaft versteht sich sowohl als Teil des Problems als auch als Teil der Lösung in der Diskriminierung und im gesellschaftlichen Ausschluss (Isolation/Separation/Exklusion) von Menschen mit Behinderungen/chronischen Erkrankungen. Inklusion und inklusive Bildung schätzen sowohl Individualität als auch Gemeinschaftssinn (community spirit) und gesellschaftliche Verantwortung innerhalb einer offenen und toleranten Gesellschaft. Jedes Mitglied einer inklusiven Gesellschaft kann dazu beitragen, dass Menschen mit unterschiedlichen Diversitätsmerkmalen weniger von der Gemeinschaft ausgeschlossen werden und selbstbestimmt am Gesellschaftsleben teilhaben können.

|26|Inklusion ist ein systemischer Reformprozess, der Veränderungen und Anpassungen von Inhalten, Lehrmethoden, Ansätzen, Strukturen und Strategien im Bildungswesen beinhaltet, um Barrieren zu überwinden, mit dem Ziel, allen Schüler*innen der entsprechenden Altersgruppe eine gleichberechtigte und partizipative Lernerfahrung und ein Umfeld zu bieten, das ihren Bedürfnissen und Vorlieben am besten entspricht. Die Unterbringung von Schüler*innen mit Behinderungen in Regelklassen ohne begleitende strukturelle Veränderungen, z. B. bei der Organisation, dem Lehrplan und den Lehr- und Lernstrategien, stellt keine Integration dar. Außerdem garantiert die Integration nicht automatisch den Übergang von der Segregation zur Inklusion (CRPD, 2016). Der Erziehungswissenschaftler Klaus Klemm (2015) beschreibt eine dritte Phase, die mit der Unterzeichnung der UN-Konvention für die Belange behinderter Menschen beginnt und sich in der Entwicklung der gemeinsamen Beschulung fortsetzt. Die Bundesländer legen seither die jeweiligen rechtlichen Rahmenbedingungen für Inklusion fest.

„Von der frühkindlichen Betreuung, Bildung und Erziehung (FBBE) bis zur Tertiär- und Erwachsenenbildung und außerschulischen Bildung sind die allgemeine und berufliche Bildung die Grundlage für eine erfolgreiche Teilhabe an der Gesellschaft und eines der wirksamsten Instrumente für den Aufbau inklusiver Gesellschaften. Die COVID-19-Pandemie hat noch deutlicher gezeigt, wie wichtig Inklusion und Chancengleichheit in der Bildung sind.“ (European Comission, 2020, S. 9).

Deutlich wird hier, dass die Konzepte Diversität, Gleichheit und Inklusion eng miteinander verknüpft sind und untrennbar zusammengehören. Vielfalt ist positiv und bereichernd, Gleichberechtigung (equality) beinhaltet neben den gleichen Rechten auch die gleichen Möglichkeiten. Dies bedeutet die Möglichkeit, aktiv Entscheidung treffen und mitgestalten zu können (auch auf politischer Ebene), dabei aber auch die notwendige Unterstützung zu erhalten. Inklusion ist das aktive Partizipieren in der Gesellschaft und damit in allen Bereichen des öffentlichen Lebens.

Das traditionelle Unterrichten zur „Mitte“ hin, ausgerichtet auf ein hypothetisches Durchschnittskind, ist eine Illusion. Es funktioniert für viele Kinder aus unterschiedlichen Gründen nicht. Diversität muss als Normalzustand gesehen werden, denn alle Gruppen und Klassen sind heterogen. Erst wenn Diversität als Standard akzeptiert ist, kann Inklusion effektiv umgesetzt und eine Benachteiligung bestimmter Gruppen, auch über Generationen hinweg, vermieden werden. Die Unterzeichnung der UN-Konvention für die Belange behinderter Menschen setzt, laut Reich (2018), seit 2009 neue Maßstäbe, um Exklusionspraktiken zu begrenzen. Klemm (2015) sieht in der Behindertenrechtskonvention eine Fortsetzung der bereits begonnenen Entwicklung der gemeinsamen Beschulung, indem nämlich auch die einzelnen Bundesländer rechtliche Rahmenbedingungen für Inklusion formulieren.

2.2  Unterschiedliche Sichtweisen auf Behinderung

Im Folgenden werden unterschiedliche Sichtweisen auf Behinderung dargestellt, mit besonderem Fokus auf den Einfluss, den diese auf Entwicklungen im Bildungswesen und in der Ergotherapie haben. Auch die Verknüpfungen mit unterschiedlichen Konventionen der Vereinten Nationen oder UNESCO werden nachfolgend kurz skizziert und die Auswirkungen auf die Betroffenen selbst, das Bildungswesen und die Ergotherapie aufgezeigt. „Disability studies“ als transdisziplinärer Wissenschaftsansatz (seit 2002 im deutschsprachigen Raum; in Großbritannien und USA seit den 1980er- und 1990er-Jahren) unter leitender Führung von Menschen mit Behinderung/chronischer |27|Erkrankung beschäftigt sich im Detail mit Sichtweisen oder Modellen von Behinderung. In diesem kurzen Abschnitt kann daher kein Anspruch auf Vollständigkeit bestehen. Die Disability Studies als akademisches Arbeitsfeld haben ihren Ursprung in der Behindertenrechts-/Inklusionsbewegung.

Unterschiedliche Sichtweisen/Modelle von Behinderung nutzen andere Begrifflichkeiten für Menschen mit Behinderung. Teilweise besteht sogar innerhalb eines gewissen Modells Uneinigkeit beim Sprachgebrauch. Beispielsweise wird in der UN-Behindertenrechtskonvention die Formulierung „Menschen mit Behinderung“ genutzt, um zu signalisieren, dass der Mensch und nicht die Behinderung im Vordergrund steht. Unterstützende des affirmativen Modells und einige Inklusionsaktivist*innen legen Wert darauf, dass die durch die Gesellschaft verursachte Behinderung im Vordergrund steht. Sie fordern deshalb, dass von „behinderten Menschen“ mit Stolz und ohne Scham gesprochen wird (McCormack & Collins, 2012). „Disability“ wird dabei immer mit Großbuchstaben und fett hervorgehobenem „D“ geschrieben, um den Stolz auf die eigene Individualität und Einzigartigkeit, die ganz eigene Lebenserfahrung und damit einmalige Perspektive auf das Leben zu betonen (Collins, persönliche Kommunikation).

Begriffsbestimmung

In diesem Kapitel wird der Begriff „Menschen mit Behinderung“ benutzt, um historische Entwicklungen und Konzeptionalisierung von Behinderung aus verschiedenen theoretischen Richtungen zu verdeutlichen. Im weiteren Verlauf dieses Buchs wird vor allem die Formulierung „Menschen mit Herausforderungen“ benutzt. Damit sind alle Menschen eingeschlossen, da jeder Mensch im Laufe seines Lebens mit unterschiedlichen Herausforderungen konfrontiert wird und diese nicht zwangsläufig an irgendeine Form von Behinderung gebunden sind.

2.2.1  Medizinisches Modell

Das medizinische oder medizinisch-rehabilitative Modell von Behinderung verbindet mit Behinderung einen Schaden oder eine Krankheit. Behinderung wird als Problem der behinderten Person gesehen; die Behinderung kommt durch eine Schädigung zustande, häufig durch die Schädigung des Körpers (Körperstrukturen und/oder -funktionen). Behinderung und behinderte Menschen werden als Abweichung von der Norm gesehen, weil sie anders sind als der Rest der Gesellschaft, anders als die als Norm betrachteten „Durchschnittsbürger*innen“. Normalität und Norm wird ein hoher Stellenwert zugemessen. Das medizinische Denken im Gesundheitswesen ist meist defizitär geprägt, mit der Identifikation und Behebung dieser Defizite. Dabei wird die „Normalisierung“ von Körperstrukturen und/oder -funktionen wertgeschätzt. Es herrscht ein lineares Denken, wobei für jede Krankheit eine Behandlung zur Behebung der Unterschiede angeboten wird. Bei einem durch das medizinische Modell geprägten Denken wird durch wiederherstellende Behandlung versucht, die Unterschiede zu reduzieren oder auszuschalten. Behinderte Menschen müssen behandelt, verändert oder wiederhergestellt werden, damit sie den allgemeingültigen Standards/Kriterien der Gesellschaft entsprechen (MacArthur, 2009).

1980 veröffentlichte die World Health Organization (WHO, 1980) die erste Ausgabe der International Classification of Impairments, Disabilities and Handicaps (ICIDH), aufbauend auf der Internationalen Klassifikation von Krankheiten (ICD). Die ICIDH war eine erste internationale Nomenklatur und Klassifikation für Krankheitsfolgen, welche in Form von drei Dimensionen konzeptualisiert wurde: Beeinträchtigung (Impairment) – Behinderung (Disability) – Benachteiligung/Behinderung (Handicap) (WHO, 2001). Die Behindertenrechtsbewegung kritisierte, dass sowohl beim medizinischen Modell als auch beim Klassifikationssystem der ICIDH die Probleme von Behinderung aus|28|schließlich innerhalb des Individuums gesehen werden und nicht im Kontext der sozialen, wirtschaftlichen und politischen Bereiche. Das Klassifikationssystem der ICIDH konzentriere sich demnach nur auf die Einschränkung der Fähigkeiten von Menschen anstatt auf Barrieren in der Gesellschaft (Barnes et al., 2000, in Hemmingsson & Jonsson, 2005; Hurst, 2003; Simeonsson et al., 2003). Inklusionsaktivist*innen und Menschen mit Behinderung kritisierten, dass insbesondere Umweltfaktoren (z. B. nicht angepasste räumliche Umwelt, negative Einstellungen und wenig entgegenkommendes Verhalten in der sozialen Umwelt) nicht berücksichtigt wurden, obwohl diese im Lebensalltag häufig erhebliche Barrieren zur Teilhabe darstellen.

Diese am medizinischen Modell orientierte Art des Denkens hat dazu geführt, dass überall auf der Welt behinderte Kinder und Jugendliche nach der Art oder dem Schweregrad ihrer Behinderung kategorisiert und etikettiert wurden (MacArthur, 2009). Laut MacArthur (2009) hat dies in vielen Ländern zunächst zu einem Ausbau eines Sonderschulsystems geführt, damit behinderte Schüler*innen von nicht behinderten Schüler*innen getrennt werden und dadurch „spezialisierten“ Unterricht erhalten konnten. Das medizinische Modell hat die Förder-Bildungssprache beeinflusst und ist tief verankert in unserem Denken (MacArthur, 2009). Dieses defizitorientierte Denken hat das Bildungswesen langfristig beeinflusst, und genau in diesem Denken müssen die Menschen für eine Veränderung sensibilisiert werden.

Eine defizitorientierte, sonderpädagogische Abklärung wurde zu einem zentralen Bestandteil des Sonderschulsystems. Herausforderungen der Schüler*innen werden als Defizit oder Problem beschrieben (häufig auf dem Niveau von Körperstrukturen und -funktionen) und damit als Begründung aufgeführt, weshalb die Kinder eine besondere Förderung erhalten müssen, damit sie mit der Norm mithalten und sich anpassen können. Die Schwierigkeiten werden im Zusammenhang mit der Behinderung und nicht im Kontext der unangepassten Bildungsumwelt wahrgenommen (Klassenzimmer, Lernumwelt, Schulgebäude oder Unterrichtsmethoden). In Förderschulen befinden sich häufig Lernende mit spezifischen Lernschwierigkeiten oder aus schwächeren sozialen Milieus, was sich verstärkend auf die soziale Ungleichheit auswirkt. Auch werden Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund im Vergleich zu ihren deutschen Mitschüler*innen häufiger an Sonderschulen verwiesen. Diese Überrepräsentation der beschriebenen Personengruppen in Sonderschulen wird sowohl von Fachleuten als auch von Aktivist*innen auf systemische Probleme im allgemeinen Bildungssystem zurückgeführt und als Diskriminierung beschrieben. Gleichzeitig wird häufig eine sehr stark schützende, fürsorgliche Haltung eingenommen, wodurch typische Alltagsrisiken abgeschwächt oder vermieden werden. Auch sind die erhöhte Fremd- und reduzierte Selbstbestimmung häufig Teil eines Bildungskontexts, der auf dem medizinischen oder medizinisch-rehabilitativen Modell von Behinderung aufbaut. Der ursprünglich gut gemeinte Schonraum zum Lernen, mit der Idee, soziale Ausgrenzung abzuschwächen, führt letzten Endes zu einer dauerhaften Ausgrenzung (Reich, 2014). Er kann zu einer Falle werden (Schonraumfalle) und zur sozialen Isolation beitragen. So fehlen meist die Kontakte und Freundschaften in der Nachbarschaft, weil die Kinder nicht in ihrem Wohnort/mit Kindern aus der Nachbarschaft in die Schule gehen (fehlende gemeinsame Schulwege und Schulzeiten) und auch nicht an altersangemessenen Freizeitaktivitäten (z. B. Sportverein, Musikschule, örtlicher Spielplatz) mit diesen Kindern teilnehmen können. Damit ist der junge Mensch seltener Teil der örtlichen Gemeinschaft. Wenig oder niedrige Erwartungen an diesen Schonraum und fehlende Schulabschlüsse tragen zudem langfristig zur sozialen Isolation bei, da damit der Zugang zum allgemeinen ersten Arbeitsmarkt verstellt wird.

Das medizinische Modell hat auch in der Ergotherapie zu mechanistischen Denkansätzen und defizitorientierten Herangehensweisen|29|geführt. Es wurde nach Ursache und Wirkung gesucht und für unterschiedliche Krankheiten wurden Tests, Assessments und Therapien entwickelt (Kielhofner, 2009). Beispielsweise wurden Assessmentinstrumente entwickelt, die einen Fokus auf die Verbesserung von Körperfunktionen legten, meist im Vergleich zu definierten Normwerten. Therapeut*innen werden in diesem Kontext als Expert*innen gesehen, die Defizite bei Patient*innen behandeln, um diese zu beheben und möglichst nahe an die bestehende gesellschaftliche Norm heranzukommen.

Der mittlerweile als Bottom-up bezeichnete ET-Ansatz ist im medizinischen Modell beheimatet. Umweltfaktoren spielen eine untergeordnete Rolle und werden gar nicht oder nur wenig als Ansatzpunkt für Veränderung gesehen. Wenn zum Beispiel eine therapeutische Entscheidung darüber getroffen werden muss (s. Kap. 9), ob ein Hilfsmittel zum Einsatz kommt oder ob die Körperfunktion wiederhergestellt wird, würde innerhalb dieses Ansatzes die Veränderung der Körperfunktion angestrebt werden. Inklusionsaktivist*innen und Inklusionspädagog*innen bezeichnen diese Art von Therapie abwertend als „Reparaturtherapie“, weil es sich um eine Herangehensweise handelt, die nicht hinterfragt, ob die Person überhaupt verändert werden muss oder möchte.

Innerhalb des medizinischen Modells finden Einzel- und teilweise auch Gruppentherapien statt, die jedoch immer in einem speziellen Therapieraum außerhalb des Alltags von Menschen mit Behinderung lokalisiert sind. Arbeitet ein*e Therapeut*in in einer sonderpädagogischen Bildungseinrichtung, werden Kinder aus ihrem Alltag (dem Klassenzimmer oder Gruppenraum) herausgenommen, um in einem Therapieraum behandelt zu werden. Diese Unterbrechung des Lernens und sozialen Miteinanders mit anderen Kindern/Jugendlichen im Klassen- und Gruppenkontext steht in Kritik durch Inklusionsaktivist*innen und Inklusionspädagog*innen. Des Weiteren werden im klassischen medizinischen Modell viele Entscheidungen über Herangehensweisen durch Therapeut*innen oder anderes Fachpersonal getroffen, mit wenig bis keinem Raum für die Stimme und das Eigenwissen der Patient*innen.

Im direkten Kontrast zum medizinischen Modell steht das soziale Modell von Behinderung. Seit den 1960er-Jahren fordert die politische Bewegung behinderter Menschen in den USA Selbstbestimmung und Selbstdefinition (McCormack & Collins, 2012). Die zahlreichen Kritikpunkte am traditionellen medizinischen Modell führten zur Forderung eines Umdenkens. Eine andere Sichtweise, die die Lebenserfahrung der Menschen mit Behinderung berücksichtigt, war und ist notwendig. Aus diesem Grund hat die Behindertenrechts-/Inklusionsbewegung als Gegenentwurf das soziale Modell von Behinderung aufgestellt, welches einen alternativen Denk- und Lösungsansatz zum bisher üblichen Modell bietet.

2.2.2  Soziales Modell

Der Begriff des sozialen Modells von Behinderung wurde durch den britischen Sozialwissenschaftler Michael Oliver (1996) geprägt, indem er feststellte, dass es die Gesellschaft ist, die Menschen mit körperlicher Einschränkung behindert. Behinderung entsteht als etwas Zusätzliches zu unserer körperlichen Einschränkung durch die Art und Weise, wie wir unnötigerweise isoliert und von voller Partizipation in der Gesellschaft ausgeschlossen werden (Oliver, 1996). Diese Sichtweise beschreibt, wie Menschen mit Behinderung in alltäglichen Lebenserfahrungen durch die Gesellschaft behindert werden (z. B. unzugängliche Gebäude und öffentliche Bereiche, negative Einstellungen und/oder niedrige Erwartungen von Mitmenschen, insbesondere Menschen in Schlüsselpositionen, eine unnötige soziale Isolation in Sondereinrichtungen, Armut oder fehlender Zugang und verminderte Chancen auf dem Arbeitsmarkt). Seit den 1960er-Jahren forderte die politische Bewe|30|gung behinderter Menschen in den USA und Großbritannien Selbstbestimmung und Selbstdefinition (McCormack & Collins, 2012). Die Erfahrung von Behinderung entsteht ihrer Meinung nach nicht durch eine Beeinträchtigung, d. h. durch körperliche Fähigkeiten und Erfahrungen (z. B. Schwierigkeiten, den eigenen Körper zu bewegen oder Herausforderungen beim Sehen/Hören), sondern durch das Leben in einer Gesellschaft, die einige Menschen als abnormal ansieht und nicht angemessen auf diese reagiert oder sie unterstützt. Dies sind Erfahrungen, die Kinder und Jugendliche mit Behinderung häufig schon früh machen (z. B. unzugängliche örtliche Spielplätze, Freizeitangebote von Sportverein oder Musikschule, an denen sie nicht teilnehmen können, der Besuch einer anderen Bildungseinrichtung als die Geschwister und Kinder der Nachbarschaft, Veranstaltungen wie Theater oder Musikkonzerte für Kinder ohne Gebärdensprache). Menschen mit Behinderung erleben eine Reihe von Barrieren, die sie an der vollen Partizipation am Gemeinschaftsleben hindern. Das soziale Modell von Behinderung fordert, dass die Gesellschaft ihre Wertvorstellungen über Norm/Normalität anpasst und damit respektvoller und inklusiver gegenüber der Vielfalt (Diversität) wird (MacArthur, 2009). Das soziale Modell von Behinderung bietet somit einenalternativen Denk- und Lösungsansatz zu dem bisher üblichen medizinischen Denken und Handeln.

Es gab schon früh einzelne Pädagog*innen im deutschsprachigen Raum, die den massiven Ausbau des Sonderschulsystems (mit jeweils spezifischem Fokus in den individuellen Sonderbildungseinrichtungen, z. B. Körperbehinderung, geistige Behinderung, Sprachentwicklungsprobleme, Verhalten) sehr kritisch betrachtet haben und ein Umdenken forderten. Seit den Siebzigerjahren wird unter den Erziehungswissenschaftler*innen die Frage der Separation kontrovers diskutiert (Möckel, 2004). Es gab damals erste Schulversuche, die beweisen, dass ein gemeinsames Unterrichten für alle Kinder vorteilhaft ist. Die Sonderschule erscheint Wocken (1991) nicht zwangsweise als der einzig mögliche Lernort für behinderte Kinder.

Mit der Unterzeichnung derKinderrechtskonvention (United Nations Convention on the Rights of the Child, UNCRC) (UN, 1989), der „Bildung für Alle“ unabhängig von individuellen Unterschieden (UNESCO, 1990), wie auch dem Salamanca Statement (UNESCO, 1994) mit dem Recht auf inklusive Beschulung, kam es zu einer vermehrten Auseinandersetzung in den Bereichen der Sonder-/Förderbeschulung und der Regelbeschulung. In dem Vorwort zu dem Salamanca Statement (UNESCO, 1994) beschreibt Mayor diese Dokumente „getragen vom Prinzip der Integration, von der Erkenntnis, dass es notwendig ist, auf eine ‚Schule für alle‘ hinzuarbeiten – also auf Einrichtungen, die alle aufnehmen, die Unterschiede schätzen, das Lernen unterstützen und auf individuelle Bedürfnisse eingehen“ (S. 1). „Regelschulen mit dieser integrativen Orientierung [sind] das beste Mittel […], um diskriminierende Haltungen zu bekämpfen, um Gemeinschaften zu schaffen, die alle willkommen heissen, um eine integrierende Gesellschaft aufzubauen und um Bildung für Alle zu erreichen; darüber hinaus gewährleisten integrative Schulen eine effektive Bildung für den Grossteil aller Kinder und erhöhen die Effizienz sowie schliesslich das Kosten-Nutzen-Verhältnis des gesamten Schulsystems“ (UNESCO, 1994, S. 2). MacArthur (2009) bringt Ideen über die Partizipation von Schüler*innen in der Schule mit dem Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte des Kindes (UNCRC) (United Nations, 1989) in Verbindung. Inklusive Bildung und Bildungseinrichtungen sind eine zentrale Forderung von Behindertenrechts-/Inklusionsaktivist*innen. Ohne Rechtsanspruch auf und Zugang zu inklusiver Bildung können viele der im sozialen Modell identifizierten Barrieren zur gesellschaftlichen Partizipation nicht behoben, verändert oder entfernt werden.

Hier wird deutlich, dass die Inhalte, die unter dem Begriff der Integration (s. Kap. 2.2.3) genannt werden, ursprünglich den Vorstellun|31|gen von Inklusion entsprechen. Da der pädagogische Inklusionsbegriff im deutschsprachigen Mitteleuropa unbekannt war (Hinz, 2013), kam es zu einem „Übersetzungsfehler“ (Heiden, 2014) indem inclusion mit Integration übersetzt wurde. Die unterschiedlichen Bedeutungen dieser Begriffe kristallisierten sich im Laufe der Jahre immer stärker heraus (vgl. die Konzept- und Begriffserklärungen im Kap. 2.2). Im englischen Sprachgebrauch existiert selbst im Alltag ein feiner, aber deutlicher Unterschied zwischen „to integrate/integration“ und „to include/inclusion“, daher sind Herausforderungen im Verständnis und in der Übersetzung dieser Begriffe verständlich.

Während Lehrer*innen die Auswirkungen der Beeinträchtigung einer*s Schüler*in auf seine*ihre Lern- und Sozialerfahrungen berücksichtigen müssen, lenkt das soziale Modell die Aufmerksamkeit auf die Notwendigkeit, Barrieren für das Lernen und die Teilnahme an der Schule zu identifizieren, wie z. B. Mobbing oder das Ignoriert werden oder einen Mangel an Ressourcen, und zu überlegen, wie diese Barrieren reduziert oder beseitigt werden können (Mac​Arthur, 2009). Bildungssysteme und Bildungseinrichtungen, deren Lehren und Lernen an diesem sozialen Modell ausgerichtet sind, untergehen weitreichenden strukturellen und kulturellen Veränderungen (vgl. Index für Inklusion) (Booth & Ainscow, 2017; Booth & Ainscow, 2019). Diese erfordern ein deutliches Umdenken und eine umfassende Umgestaltung therapeutischer Dienstleistungen für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene mit Behinderung, die in inklusiven Bildungseinrichtungen gemeinsam mit ihren gleichaltrigen Mitmenschen ohne Behinderung nicht nur lernen, sondern auch aufwachsen.

Noch vor wenigen Jahrzehnten war die Ergotherapie von der medizinischen Perspektive dominiert, die sich auf objektiv messbare Leistungskomponenten konzentrierte. Diese Perspektive wurde mit der Zeit als unzureichendes Konzept wahrgenommen, weil Klient*innen in ihren alltäglichen Betätigungen effektiv unterstützt werden wollten, um wieder zu gesunden. Entwicklungen innerhalb der Ergotherapie, wie zum Beispiel das Verständnis der Klientenzentrierung, wurden von gesellschaftlichen Strömungen wie der Behindertenrechts-/Inklusionsbewegung und deren Forderung nach Selbstbestimmung beeinflusst. Es wurde wichtig, die Erfahrungen von Klient*innen und deren täglichen Lebenskontext zu verstehen und partnerschaftliche Beziehungen aufzubauen, um die Selbstbestimmung der Klient*innen zu ermöglichen (Hemmingsson & Jonsson, 2005). Erste ergotherapeutische systemische Ansätze wurden entwickelt, um entstehenden Anforderungen und Bedürfnissen zu begegnen. Berichte und Einschätzungen über Alltagsprobleme und -situationen aus erster Hand, insbesondere von primären Klient*innen (den Menschen mit Behinderung), werden dabei von Therapeut*innen wertgeschätzt.

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